Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung

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Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Age-Dossier

    Generationen-
    Wohnen heisst
    Nachbarschaft

              2020/2
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Age-Dossier
4                                  30                                   50

                                                                                                             Überblick & Grundlagen
Einleitung                         Praxisbeispiel                       Durchmischungsziele – Wohnungs-
                                   «Die Kinder kommen fast              mix und Vermietung
                                   täglich vorbei»
Überblick & Grundlagen                                                  52
                                   32                                   Durchmischung sicherstellen – Min-
6                                  Wer Kontakträume plant, macht        destbelegung und Wiedervermie-
Interview                          Beziehungen möglich                  tung
Warum es generationengemischte
Nachbarschaften braucht
                                                                        Fördern im Betrieb
9
Wohnmodelle für mehrere                                                 54
Generationen                                                            Praxisbeispiel
                                                                        Ein Haus für jedes Alter
14
Herausforderungen für gene-                         1.
                                                  sehen
                                                             2.
                                                          begegnen      56
rationengemischte Wohngemein-                            3.
                                                     Beziehung          Wie organisieren sich generatio-
                                                      pflegen

schaften                                                                nengemischte Nachbarschaften?

16                                                                      58
«Generationen», ein mehrdeutiger                                        Organisierte Nachbarschaftshilfe
Begriff                                                                 als Begegnungsstifterin?

                                                                                                             Fördern in der Planung
17                                                                      59
Generationenbeziehungen als                                             Das Wohnumfeld
Mittel zum Zweck?                                                       gemeinsam gestalten

18                                                                      60
Unterstützung im Alltag und die    35                                   Praxisbeispiel
Rolle der Nachbarn                 Sehen und gesehen werden             Wenn es viel zu tun gibt, kommen
                                   als Basis für Nachbarschaft          immer genug Leute
22
Interview                          36                                   62
«Generationenwohnen soll die       Spontanen Begegnungen                Begegnungen motivieren
Beziehung und nicht den Nutzen     Raum geben
in den Vordergrund stellen»                                             65
                                   40                                   Interview
25                                 Begegnungschancen                    «Für Junge ist Generationendurch-
Repräsentative Umfrage: Die        erhöhen                              mischung normal»
engsten Nachbarn sind oft im                                            _
selben Alter                       44
                                   Kristallisationspunkte für Genera-   Umschlag
                                   tionenbeziehungen schaffen
Fördern in der Planung                                                  Danksagung
                                                                                                             Fördern im Betrieb

                                   48                                   Literaturangaben
28                                 Räume für gemeinschaftliche und      Impressum
Für jede Lebensphase ein eigenes   gemeinsame Nutzung                   –
Haus?                                                                   Projektbeispiele:
                                   49                                   Standorte im Überblick
                                   Partizipative Planung?
                                   Wie viel braucht's?
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Referenzprojekte in diesem Heft
Die Projektinformationen befinden sich auf der hinteren Umschlagklappe.
Die Projektkennungen A bis Z dienen in diesem Heft auch
als Verweise auf die jeweiligen Projektbeispiele.

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tation und weiteren Materialien.
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PROJEKTBEISPIELE M – Z   M                                          T
                         Zopfmatte                                 Siedlung Muttimatte
                         Ort: Suhr                                 Ort: Brügg
                         Grösse: 26 Eigentums- und 30 Miet-        Grösse: 27 Wohnungen
                         wohnungen                                 Trägerschaft: Biwog (Gen.)
                         Trägerschaft: Gen. LebenSuhr              → age-stiftung.ch/muttimatte
                         → age-stiftung.ch/zopfmatte-suhr
                                                                   U
                         N
                                                                   Wohnen für Generationen
                         Hausgemeinschaft                          Ort: Ormalingen
                         Büel                                      Grösse: 38 Wohnungen
                         Ort: Gsteigwiler                          Trägerschaft: Gen. Ribi & Gen. Wohn-
                         Grösse: 7 Wohnungen                       stadt Basel
                         Trägerschaft: Familie Stucki              → age-stiftung.ch/ribi
                         → age-stiftung.ch/gsteigwiler

                                                                   V
                         O                                         Siedlung «Im Zelgli»
                         HiBi 22 - gemeinschaftliches              Ort: Madiswil
                                                                   Grösse: 22 Wohnungen + PWG
                         Wohnen                                    Trägerschaft: Gen. Im Zelgli, Wohnen im
                         Ort: Bülach
                                                                   Alter
                         Grösse: 11 Eigentumswohnungen
                         Trägerschaft: Stockwerkeigentümerge-      → age-stiftung.ch/imzelgli
                         meinschaft «Hibi22»
                         → age-stiftung.ch/hibi22                  W
                                                                   Siedlung Husmatt
                          P                                        Ort: Steinen
                                                                   Grösse: 38 Mietwohnungen und 11 Eigen-
                         Generationenhaus Masein                   tumswohnungen
                         Ort: Masein
                                                                   Trägerschaft: Katharina und Karl von
                         Grösse: 7 Wohnungen
                                                                   Rickenbach-Stiftung
                         Trägerschaft: Gen. Generationenhaus
                                                                   → age-stiftung.ch/husmatt-steinen
                         → age-stiftung.ch/masein

                                                                    X
                         Q
                         Generationenhaus Papillon                 Generationenhaus Neubad
                                                                   Ort: Basel
                         Ort: Linden                               Grösse: 87 Pflegeplätze
                         Grösse: 6 Wohnungen, 3 Pflegeplätze       Trägerschaft: Oekumenischer Verein
                         Trägerschaft: Familie Herren              Generationenhaus Neubad
                         → age-stiftung.ch/papillon-linden         → age-stiftung.ch/neubad

                          R 
                                                                    Y 
                         Alterswohnungen                           Wohnen für Hilfe
                         Untergesteig                              Vermittlungsangebot
                         Ort: Nesslau                              Ort: Zürich
                         Grösse: 13 Wohnungen                      Trägerschaft: Pro Senectute Kt. Zürich
                         Trägerschaft: GAWU (Gen.)                 → age-stiftung.ch/wohnenfuerhilfe
                         → age-stiftung.ch/untersteig

                                                                    Z
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                                                                   Benewohnen
                         Novellas Generationenhaus                 Ort: St. Gallen
                         Ort: Vilters                              Vermittlungsangebot
                         Grösse: 7 Wohnungen (Pension), 33 Pfle-   Trägerschaft: Stiftung Benevol
                         geplätze                                  → age-stiftung.ch/benewohnen
                         Trägerschaft: Zeitsprung AG
                         → age-stiftung.ch/novellas
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PROJEKTBEISPIELE A – L   A                                        H
                         Hunziker Areal                           WohnenPlus-Siedlung
                         Ort: Zürich                              Bergli
                         Grösse: 370 Wohnungen                    Ort: Bülach
                         Trägerschaft: Gen. mehr als wohnen       Grösse: 47 Wohnungen + PWG
                         → age-stiftung.ch/hunzikerareal          Trägerschaft: GAB & WSGZ (Gen.)
                                                                  → age-stiftung.ch/bergli-buelach
                          B
                         Wohn- und Gewerbehaus                     I
                         Kalkbreite                               Mehrgenerationensiedlung
                         Ort: Zürich                              Soligänter
                         Grösse: 97 Wohnungen                     Ort: Bülach
                         Trägerschaft: Gen. Kalkbreite            Grösse: 39 Wohnungen + PWG
                         → kalkbreite.net                         Trägerschaft: Gen. Gstückt
                                                                  → age-stiftung.ch/soligaenter

                         C
                         Zollhaus                                  J
                         Ort: Zürich                              Siedlung Sonnmatt
                         Grösse: 56 Wohnungen (Bezug              Ort: Willisau
                         ca.2020/2021)                            Grösse: 71 Wohnungen
                         Trägerschaft: Gen. Kalkbreite            Trägerschaft: Gen. Sonnmatt Willisau
                         → age-stiftung.ch/zollhaus               → age-stiftung.ch/sonnmatt-willisau

                         D                                        K
                         Generationenhaus                         Siedlung Brandstrasse/
                         Heizenholz                               Hausgemeinschaft 50plus
                         Ort: Zürich                              Ort: Uster
                         Grösse: 33 Wohnungen                     Grösse: 55 Wohnungen inkl. Hausgemein-
                         Trägerschaft: Gen. Kraftwerk 1           schaft (19 Wohnungen)
                         → age-stiftung.ch/heizenholz             Trägerschaft: (Gen.) BZU, WSGU & Gewo
                                                                  Züri Ost (Hausgemeinschaft 50plus)
                                                                  → age-stiftung.ch/brandstrasse
                          E
                         Mehrgenerationenhaus                      L
                         Giesserei
                         Ort: Oberwinterthur                      Siedlung Ruggächern
                         Grösse: 140 Wohnungen                    Ort: Zürich
                         Trägerschaft: Gen. GESEWO                Grösse: 282 Wohnungen
                         → age-stiftung.ch/giesserei              Trägerschaft: ABZ (Gen.)
                                                                  → age-stiftung.ch/ruggaechern

                          F
                         Haus StadtErle
                         Ort: Basel                               A     lle Förderprojekte werden mit einem
                                                                       A
                         Grösse: 33 Wohnungen
                                                                       Bericht abgeschlossen. Die Projektbe-
                         Trägerschaft: Gen. Zimmerfrei
                                                                       richte, Dokumentationen und Studien
                         →age-stiftung.ch/stadterle                    finden Sie auf den angegebenen Web-
                                                                       seiten unter:
                         G                                             → Materialien zum Projekt

                         GeWo Burgdorf
                         Ort: Burgdorf
                         Grösse: 94 Wohnungen
                         Trägerschaft: Gebäudeversicherung Bern
                         → age-stiftung.ch/gewo-burgdorf
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Zum Inhalt dieses Age-Dossiers                               A  Die Buchstaben bezeichnen

                                                                                                                                  Andreas Sidler, Age-Stiftung
                                                                die jeweiligen Referenzpro-
                                                                jekte, die auf der Umschlag-
                                                                innenseite veremerkt und
                                                                verlinkt sind.

                                                                                                                                  Bild: Giorgio von Arb
                                                             A  Das Symbol verweist auf die
                                                                Projektberichte, die im Rah-
                                                                men der Förderung publiziert
                                                                wurden. Download über die
                                                                verlinkte Projektseite (Um-
                                                                schlaginnenseite).

Kontakte zwischen den Generationen           Fundament für eine intensivere Nachbar-           unterschiedlichen Alters. Sie können
sind gut und wichtig – sowohl für die        schaftshilfe legen», schreibt z.B. Avenir         sich in allen Wohnmodellen entwi-
Gesellschaft als auch für den einzelnen      Suisse in der Publikation «Generationen-          ckeln, wo unterschiedliche Generatio-
Menschen. Diese Aussage geniesst             (un)gerechtigkeit überwinden». Die Gene-          nen leben. Wir werden uns also nicht
ungeteilte Zustimmung. Dabei sollen          rationensolidarität in der Kernfamilie soll       mit einem bestimmten Wohnmodell
Generationenkontakte auf unterschied-        also idealerweise auf die Nachbarschaft           befassen, sondern mit den Grundlagen
lichen Ebenen positive Wirkung ent-          ausgeweitet werden. Auf sozialpolitischer         und Faktoren, welche für die nachbar-
falten.                                      Ebene sind mit den geförderten Generati-          schaftlichen Generationenbeziehungen
                                             onenbeziehungen also grosse Hoffnun-              förderlich sind – in der Planung und im
Wunsch nach Solidarität                      gen verbunden.                                    Betrieb.
Der Kontakt zwischen Alt und Jung soll
gegenseitiges Verständnis fördern, die Ge-   Nachbarschaft in der generationenge-              Gemeinschaftliches Wohnen ist keine
nerationensolidarität stärken und den so-    mischten Siedlung                                 zwingende Voraussetzung
genannten Generationenvertrag festigen.      Solche Erwartungen lenken den Blick auf           Wird über «Generationenwohnen» ge-
Die Annahme, dass die Bereitschaft und       Projekte und Wohnmodelle, welche län-             schrieben, sind damit oft generationen-
die Möglichkeiten zur gegenseitigen Un-      gerfristige Beziehungen zwischen Nach-            gemischte, gemeinschaftliche Wohn-
terstützung zwischen den Generationen        barn in unterschiedlichen Lebensphasen            formen gemeint. Beobachter stellen
in naher Zukunft sinken, verleiht diesen     fördern. Sie stehen auch im Zentrum die-          fest, dass der Begriff «gemeinschaftli-
Anliegen zusätzliche Dringlichkeit: Einer-   ses Age-Dossiers. Ob starke intergenera-          ches Wohnen» zunehmend durch «Ge-
seits stellt die demografische Entwick-      tionelle Nachbarschaftsnetzwerke die Er-          nerationenwohnen» ersetzt wird, da
lung die grundlegende Funktionsweise         wartungen auf gesamtgesellschaftlicher            insbesondere ältere Menschen weni-
der Sozialwerke und Krankenversicherun-      Ebene erfüllen, wird hier nicht eruiert.          ger voreingenommen darauf reagieren
gen infrage. Andererseits hält sich seit     Stattdessen zeigt das Age-Dossier, wie            würden. Das ist nachvollziehbar: Wäh-
Längerem die These, dass der Ausbau des      man gute Grundlagen für intergeneratio-           rend sich die meisten Personen im Al-
Wohlfahrtsstaats, die abnehmenden Ge-        nelle Nachbarschaftsbeziehungen schafft           ter eine gute und generationengemisch-
burtenzahlen, die erhöhte Mobilität so-      und was man im Wohnalltag von alters-             te Nachbarschaft wünschen, kann sich
wie die veränderten Berufsperspektiven       durchmischten Nachbarschaften erwar-              lediglich eine Minderheit vorstellen,
(insbesondere von Frauen) die gegensei-      ten kann bzw. was nicht. Obwohl Bezie-            später in einer gemeinschaftlichen
tige Unterstützung von Angehörigen           hungen stets wechselseitig und selten             Wohnform zu leben (→ Abb. S. 11). Das
schwächten. Die Folge davon sei zuneh-       gleichbedeutend sind, steht in diesem             heisst aber auch, dass es wenig ziel-
mende Hilflosigkeit und Einsamkeit bei       Heft die Perspektive der älteren Men-             führend ist, gemeinschaftliches Woh-
betagten Menschen.                           schen im Vordergrund. Die Sicht der jün-          nen als zwingende Voraussetzung für
                                             geren wird dennoch nicht ignoriert.               gute Generationenbeziehungen beim
Grosse Erwartungen                           Räumlich bewegen wir uns dabei inner-             Wohnen zu definieren. Dennoch spie-
Bisher sind Generationensolidarität und      halb der Grenzen generationengemisch-             len gemeinschaftlich orientierte Wohn-
gegenseitige Unterstützungsbereitschaft      ter Siedlungen. Der Fokus könnte auf              projekte in diesem Heft eine wichtige
innerhalb von Familiennetzwerken nach-       Quartiere und Gemeinden ausgeweitet               Rolle: Einerseits sind dort die Konzepte
weislich stark geblieben. Die eigenen        werden. Dort beginnt aber das Terrain der         und die Grundlagen zur Etablierung
Kinder oder die betagten Eltern werden       Quartierentwicklung, welches für das vor-         von Generationenkontakten meist sorg-
noch immer unterstützt oder betreut –        liegende Age-Dossier zu weitläufig ist.           fältig ausgearbeitet. Andererseits fin-
trotz zusätzlicher Belastung. Dennoch ha-                                                      det innerhalb solcher Wohnprojekte
ben Generationenprojekte Hochkonjunk-        Beziehungen sind kein Wohnmodell                  oft ein reflektierter Austausch dazu
tur. Insbesondere Massnahmen, die auf        Eine allgemein anerkannte Definition des          statt, wie die verschiedenen Alters-
Generationenkontakte ausserhalb des Fa-      Begriffs «Generationenwohnen» gibt es             gruppen im Haus zueinander stehen.
milienverbandes fokussieren, werden ge-      nicht, jedoch verschiedene Definitions-           Bei diesem Fundus an Erkenntnis fra-
fördert. Dabei erhofft man sich auch kon-    vorschläge. Sie orientieren sich oft an den       gen wir aber stets auch nach der Über-
kreten Mehrwert durch zivilgesellschaft-     Erwartungen, die an Generationenbezie-            tragbarkeit ins Wohnumfeld einer «kon-
liches Engagement: «Generationenpro-         hungen im Wohnumfeld gestellt werden.             ventionellen» generationengemischten
jekte, die unterschiedliche Altersgruppen    In diesem Heft findet sich kein solcher           Siedlung.
zusammenbringen, können Stigmatisie-         Definitionsvorschlag, denn das Interesse          _
rungen und Vorurteile abbauen und das        gilt der Beziehung zwischen Nachbarn

4
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Überblick und
                               Grundlagen

                                                                            Überblick & Grundlagen
     Jung und Alt, wer
     schaut zu wem?

                             Was sind
                             «Generationen»?            Erset
                                                              z
                                                       die F en Nachb
                                                            amil      arn
                                                                 ie?

           i e r e n ge-
       o n
Funkti ngemisch-
        ne
neratio
         ?
 te WGs                           Generationen-
                                  wohnen =
                                  Kinderhüten und
                                  Einkaufen?

                      Helfen s
                               ic
                     Jung ge h Alt und
                             genseiti                     en
                                      g?       Generation
                                                           ofür?
                                               mischen – w

            Auf Generationen-
            Solidarität in der
            Nachbarschaft
            bauen?

                                                                        5
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Warum es generationengemischte
                                                     Nachbarschaften braucht
Überblick & Grundlagen

                             Für ältere Menschen gibt es immer mehr Wohnangebote, die spezi-
                             ell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Gleichzeitig wünschen
                             sich viele ein Wohnumfeld, wo sich die Generationen mischen. Wir
                             fragten Generationenforscherin Pasqualina Perrig-Chiello nach den
                             Ursprüngen dieser Sehnsucht.
                             Das Interview führte Andreas Sidler

                                                                    Wie stark sind Generationenbeziehun-          Mit der Nachbarschaft werden somit
                                                                    gen heute noch?                               notgedrungen andere Erwartungen ver-
                                                                    Innerhalb der Familie herrscht nachweis-      bunden als mit der Familie.
                                                                    lich eine grosse Solidarität zwischen den
                                                                    Generationen. Das zeigt sich etwa in den      Ergibt es denn aus gesellschaftlicher
                                                 Prof. Pasqualina
                                                 Perrig-Chiello

                                                                    kürzlich durchgeführten Studien des           Sicht überhaupt einen Sinn, generatio-
                                                                    BAG über betreuende Angehörige.               nengemischte Wohnprojekte zu för-
                                                                                                                  dern?
                                                                    Die Generationenbindungen innerhalb           Es ist für das soziale System gesund,
                                                                    von Familien sind also so stark wie eh        wenn sich die Generationen und auch
                                                                    und je?                                       andere soziale Gruppen mischen. Eine
                         Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello ist    Sie sind stark geblieben, die Zahl dieser     verstärkte Segregation wäre unheilvoll.
                         emeritierte Professorin der Universität    Bindungen nimmt aber ab. Die Anzahl           Unsere Forschung zeigt, dass die Gene-
                         Bern und Präsidentin der Seniorenuniver-   Familienmitglieder wird im Durchschnitt       rationen ausserhalb der Familien immer
                         sität Bern. Ihre Arbeitsschwerpunkte fo-   kleiner und die Zahl von kinderlosen Per-     weniger voneinander wissen. Und je we-
                         kussieren Gesundheit und Wohlbefinden      sonen steigt. Gesamtgesellschaftlich öff-     niger man voneinander weiss, desto eher
                         im mittleren und höheren Lebensalter       net sich dadurch eine Lücke.                  entstehen Projektionsflächen für Ängste,
                         sowie Generationenbeziehungen. Sie lei-                                                  für negative Stereotypen oder sogar für
                         tete das Nationale Forschungsprogramm      Können Nachbarinnen oder Mitbewoh-            Feindbilder, dazu gehört z.B. das Bild
                         52 zu Generationenbeziehungen.             ner in einer generationengemischten           vom reichen Alten, der sich in den Sozial-
                                                                    Wohngemeinschaft oder Siedlung diese          werken bedient. Kontakte zu jüngeren
                         Zum Thema publizierte sie u.a.: Genera-    Lücke bei den Generationenbeziehun-           oder älteren Nachbarn können dem ent-
                         tionenbericht Schweiz (2008); Die Baby-    gen füllen?                                   gegenwirken. Das ist umso wichtiger,
                         boomer – Eine Generation revolutioniert    Tatsächlich verändert sich der Familien-      weil wir in einer Viergenerationengesell-
                         das Alter (2009); Brüchiger Generatio-     begriff derzeit: Auch Personen, die nicht     schaft leben, aber keine Erfahrung damit
                         nenkitt – Generationen im Umbau (2012);    blutsverwandt sind, werden als Familie        haben. Wie das geht, müssen wir zuerst
                         Sozialbericht Schweiz, Fokus Generatio-    bezeichnet, und die Leute bilden Bezie-       gemeinsam lernen.
                         nen (2013); Versöhnung der Generatio-      hungssysteme, die wie eine Familie funk-
                         nen (2017).                                tionieren. Dennoch lässt sich die familiale   Kontakte mit anderen Generationen
                                                                    Generationenbeziehung nicht so leicht         werden auch von älteren Personen
                                                                    ersetzen oder nachbilden. Sie formt sich      selbst gewünscht. Welche Erwartungen
                                                                    aus einer biografisch verankerten emoti-      knüpfen sie daran?
                                                                    onalen Basis heraus und ist eine Bindung,     Verschiedene. Eine zentrale Rolle spielt
                                                                    der man selbst in einer konfliktbelasteten    die Angst, im Alter ausgegrenzt und an
                                                                    Familie nicht so leicht entkommen kann.       den Rand der Gesellschaft gedrängt zu
                                                                    In der Familie teilen die Generationen        werden. «Altersghetto» ist ein oft gehör-
                                                                    zudem eine gemeinsame Identität. Die          ter Begriff. Wer in einer dem Alter zuge-
                                                                    Nachbarschaft hat im Gegensatz dazu           wiesenen Umgebung wohnt, fühlt sich
                                                                    eine sehr heterogene Struktur. Ich habe       häufig stigmatisiert. Nicht zuletzt auch
                                                                    dort die Wahl und die Freiheit, mich zu-      von gleichaltrigen Personen, die sich
                                                                    rückzuziehen oder sogar wegzuziehen.

                         6
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Überblick & Grundlagen
vom negativ besetzten Altersbild abgren-      rungen in der Welt zu erhalten und Neu-     klopft. Deshalb kommt Vereinen und In-
zen möchten.                                  es zu lernen. Man wünscht sich den          teressengruppen in den Quartieren eine
                                              Austausch somit in beide Richtungen.        grosse Bedeutung zu. Sie machen Poten-
Der Wunsch nach einer altersgemisch-                                                      ziale und auch Bedürfnisse in der Nach-
ten Umgebung entspringt also vor allem        Wollen das die jüngeren Erwachsenen         barschaft für andere sichtbar. Bekommen
der Ablehnung von Alterssiedlungen            auch?                                       Vereine und Gruppen in der Nachbar-
und Heimen?                                   Sie wollen bestimmt nicht ungefragt be-     schaft Raum für ihre Aktivitäten, ist das
Nicht nur. Verlust und Tod sind Themen,       lehrt werden. Sie sind in einer Le-         hilfreich.
mit denen man sich im Alter auseinan-         bensphase, wo sie ihre eigene Identität
dersetzen muss. In einem Umfeld, wo nur       definieren müssen, und dafür müssen sie   Während der Pandemie griffen viele
alte Menschen leben, wird diese Ausein-       eigene Massstäbe entwickeln. Im Gegen- Ältere oft lieber auf die Unterstützung
andersetzung vielfach und ständig reflek-     zug sind sie aber auch sehr offen und ha- durch Angehörige zurück als auf die
tiert. Viele Menschen empfinden das als       ben Freude am Experimentieren und         Angebote der Nachbarn – auch in gut
belastend. Die Auseinandersetzung mit         Ausloten von Möglichkeiten. Das kann      vernetzten Nachbarschaften.
jüngeren Menschen und ihren Bedürfnis-        man auch für Generationenkontakte nut-    In unserer Gesellschaft wird Unterstüt-
sen durchbricht dies.                         zen. Praktisches Wissen wird gerne an-    zung und Hilfe als private und nicht ge-
                                              genommen, zum Beispiel beim Urban         sellschaftliche Aufgabe angesehen. In
Die Älteren möchten durch die Jungen          Gardening, beim                                                der Schweiz ist diese
im Wohnumfeld dem Alter also ein              Kochen oder          «Quartiervereine und Interes- Haltung erstaunlich
Stück weit entkommen.                         Handwerken.          sengruppen machen Poten-                  stark verankert, auch
Ein Stück weit. Sie haben ein vitales Inte-   Aber ja, es gibt                                               in den Köpfen der
resse, in einer generationengemischten        ein gewisses Un-
                                                                   ziale und auch Bedürfnisse in Menschen. Man er-
Gemeinschaft zu leben, weil sie partizi-      gleichgewicht,       der Nachbarschaft für andere wartet, dass die Fa-
pieren und zumeist auch gerne etwas           und das Bedürfnis sichtbar.»                                   milie in erster Instanz
weitergeben möchten. Die Babyboomer           nach Kontakten zu                                              hilft. Diese Haltung
werden oft als hedonistische Globetrot-       anderen Generationen ist bei den älteren könnte sich aber bald abschwächen,
ter beschrieben, dabei handelt es sich        Menschen ausgeprägter.                    wenn neue Altersgenerationen allgemein
um eine Generation, die Generativität für                                               weniger auf die Unterstützung durch die
sehr wichtig hält.                            Ist die generationengemischte Nach-       Familie zurückgreifen können. Sei es,
                                              barschaft ein geeigneter Ort dafür?       weil sie vermehrt keine Kinder haben, sei
Was bedeutet Generativität?                   Es muss das entsprechende Klima in der    es, weil die Familie weniger Mitglieder
Generativität meint die gegenseitige Sor-     Nachbarschaft da sein, damit die Gene-    hat oder diese nicht abkömmlich sind.
ge zwischen den Generationen. Für die         rationen den Draht zueinander finden. Es
Regulation ihres Wohlbefindens ist es für     geht ja um mehr als nur um Fahrdienste    Ältere Menschen, die in generationen-
ältere Menschen wichtig, eine Aufgabe         zum Arzt oder Einkaufen während der       gemischte Siedlungen ziehen, werden
zu haben, etwas weitergeben zu können         Pandemie. Generationenbeziehungen         somit zukünftig mehr nachbarschaftli-
und gebraucht zu werden. Die Gesell-          müssen immer ausgehandelt werden,         che Unterstützung erwarten.
schaft teilt dem Alter ja keine spezifi-      und zwar explizit. Dafür braucht es einen Die Hoffnung auf gegenseitige Hilfe ist
schen Aufgaben mehr zu. Das Interesse         Anreiz und in der Regel auch jemanden,    bestimmt eine starke Motivation. Selbst
zum Kontakt mit jüngeren Menschen be-         der die Fäden zusammenführt. Sonst        wenn Nachbarschaft kein Familienersatz
deutet auch, Information über Verände-        warten alle darauf, dass der andere an-   ist, kann sie Subsidiaritätsfunktionen

                                                                                                                                  7
Age-Dossier - Generationen-Wohnen heisst Nachbarschaft - Age-Stiftung
Überblick & Grundlagen

                         übernehmen, auch was emotionale Be-            die generationendurchmischte Nach-
                         dürfnisse betrifft. Das Bedürfnis, enge        barschaft den Alleinstehenden deshalb
                         Beziehungen zu anderen Menschen zu             besondere Aufmerksamkeit schenken?
                         haben, dazuzugehören, ist ein ursprüng-        Wie in jedem sozialen System ist es wich-
                         liches. Insbesondere im hohen Alter ist es     tig, Potenziale zu erkennen, zum Beispiel
                         wichtig, dass solche Beziehungen im na-        das der alleinstehenden Frauen im hohen
                         hen Umfeld gepflegt werden können, da          Alter. Aber das System muss das Potenzi-
                         man weniger mobil ist und geringere            al auch aufnehmen können und es darf
                         Freiheitsgrade besitzt. In Zeiten, wo          nicht einseitig geschehen. Dazu gehört,
                         Freundschaften immer mehr zu Wahlver-          dass man sich wahrgenommen fühlt,
                         wandtschaften werden, braucht es Nach-         dass jemand nach dem Befinden fragt.
                         barschaftsstrukturen, in denen sich Be-        Dann fühlt man sich getragen, und schon
                         ziehungen entwickeln lassen.                   das ist ganz wichtig. Und schliesslich ist
                                                                        es immer auch eine Frage der Persönlich-
                         Befragungen zeigen aber, dass ältere           keit. Es gibt solche, die zufrieden sind,
                         alleinstehende Menschen mehr Mühe              wenn sie wissen, dass sie sich an der
                         haben, Nachbarschaftskontakte zu               Nachbarschaft beteiligen und Kontakte
                         knüpfen.                                       pflegen können, wenn sie das möchten.
                         Ich glaube, dass man das differenzierter       Andere wollen mehr machen und sollen
                         anschauen muss. So sind alleinstehende         das auch können.
                         Frauen nicht einsam, nur weil sie allein-
                         stehend sind. Gerade sie sind gut darin,       Aber kann man mit dieser Erwartung in
                         Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Sie        eine neue Nachbarschaft einziehen?
                         organisieren ihr Netzwerk meist gekonnt.       Man kann hoffen, aber nicht erwarten.
                         Alte Männer sind darin weniger routi-          So kann man von niemandem erwarten,
                         niert, weil sie anders sozialisiert sind und   dass er sich stark für die Nachbarschaft
                         bislang anders gelebt haben. Ich rechne        engagiert oder sich auf engere Beziehun-
                         mittelfristig auch damit, dass der von Ih-     gen einlässt. Aber man soll die eigenen
                         nen erwähnte Zusammenhang schwä-               Wünsche und Bedürfnisse kommunizie-
                         cher wird. Wir haben es bald mit einer         ren können. Gerade in generationenge-
                         neuen Generation alter Menschen zu tun,        mischten Nachbarschaften sind unausge-
                         die sich oft bewusst dafür entschieden         sprochene Erwartungen Gift. Kennt man
                         hat, kinderlos zu bleiben. Diese Leute         die gegenseitigen Erwartungen, kann die
                         sind geübt darin, ihr Leben ohne Kernfa-       Beziehung ausgehandelt werden.
                         milie zu organisieren. Die Personen, die       _
                         jetzt im hohen Alter sind, haben das oft
                         nicht so gewählt und sind auch weniger
                         gewohnt, Kontakte aufzubauen.

                         Aber auch das soziale Umfeld der gut
                         Vernetzten schrumpft im Alter. Muss

                         8
Wohnmodelle für
mehrere Generationen

                                                                                                                                      Überblick & Grundlagen
  Es gibt unterschiedliche Wohnformen, die Genera-
  tionenbeziehungen im Wohnumfeld ermöglichen.
  Sie lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen. So
  ist dieser Überblick auch nicht als Ordnungssystem,
  sondern als Orientierungshilfe zu verstehen.

Dieses Heft beschäftigt sich in erster Linie mit Siedlungen, die    rierte Wohnzonen für verschiedene Lebensphasen bilden und
einen konzeptionellen Fokus auf generationenübergreifende           intergenerationelle Begegnungen in den dafür vorgesehenen
Nachbarschaftsbeziehungen legen. In solchen Siedlungen kön-         Bereichen stattfinden (→ S. 28) I , K , U .
nen andere – hier aufgeführte – generationenübergreifende
Wohnformen wie bspw. WGs oder Häuser für die nachfamiliäre          Siedlungen für die nachfamiliäre Lebensphase (50-plus)
Phase integriert sein. Deshalb sind einige Beispielprojekte         Siedlungen für die zweite Lebenshälfte – oft als 50-plus-Sied-
(Kennungen A – Z ) bei mehreren Wohnformen vermerkt.                lung bezeichnet – werden meist nicht als Mehrgenerationen-
                                                                    siedlungen deklariert, obwohl die jüngsten Bewohner oft 30 bis
                                                                    40 Jahre nach den ältesten geboren wurden M , T . Weil bei
1. GENERATIONENGEMISCHTE SIEDLUNGEN UND                             solchen Wohnkonzepten (informelle oder organisierte) Nach-
GENERATIONENSIEDLUNGEN                                              barschaftshilfe und Gemeinschaftsaktivitäten zur angestrebten
                                                                    Wohnkultur gehören, sind Generationenfragen bzw. die unter-
Vergleicht man generationengemischte Siedlungen, zeigt sich,        schiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Altersphasen den-
dass Generationenbeziehungen konzeptionell unterschiedlich          noch Themen, mit denen sich Trägerschaften und Hausgemein-
stark berücksichtigt werden. Eine generationengemischte Sied-       schaften auseinandersetzen müssen. Der Aufwand lohnt sich:
lung kann auch ohne konzeptionellen Unterbau allein durch           Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Personen in der nachfa-
die natürliche Fluktuation in der Bewohnerschaft entstehen.         miliären Phase scheinen in den begutachteten Wohnprojekten
Versteht oder bezeichnet sich eine Siedlung jedoch als «Gene-       besonders gut zu funktionieren.
rationensiedlung» oder wird der Begriff «Mehrgenerationen-
wohnen» verwendet, dann sollte der Aspekt der Generationen-
beziehungen in die Planung (→ S. 27 ff.), in die Vermietung         2. GENERATIONENGEMISCHTE HAUSGEMEINSCHAFTEN
(→ S. 50 ff.) sowie in den Betrieb (→ S. 53 ff.) einfliessen. Der
Kontakt zwischen den Generationen muss durch Konzepte               Unter den gemeinschaftlichen Wohnformen geniessen Hausge-
und Angebote entwickelt und gefördert werden.                       meinschaften die meiste Akzeptanz (→ Tabelle S. 11). Hier teilt
                                                                    man verschiedene Räume und Bereiche in der Siedlung bzw. im
Generationensiedlungen verfügen über einen breiten Mix von          Haus und gestaltet aktiv das Zusammenleben, wobei jede Par-
Wohnungen, die auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Le-            tei ihre eigene Wohnung bewohnt. Oft werden Hausgemein-
bensphasen bzw. Lebenssituationen zugeschnitten sind. Es gibt       schaften durch ihre Bewohnerschaft vollständig oder teilweise
Siedlungen, wo die Wohnungen so angeordnet sind, dass sich          selbstverwaltet E , K . Selbstinitiierte Hausgemeinschafts-
die Generationen innerhalb der Häuser, Stockwerke bzw. Ge-          projekte N gelten als aufwendig und zeitintensiv in der Pla-
bäudeflügel mischen A , B , E , J . Andere Siedlungen ord-          nung und Umsetzung. Auch bestehende Trägerschaften kann
nen die Wohnungen so an, dass sich in den Siedlungen sepa-          diese Wohnform herausfordern L . Das ist mitunter ein Grund,

                                                                                                                                 9
Generationenkontakte im Wohnumfeld entstehen …

                                                       … im gleichen Haushalt         … im gleichen Haus                 … in der Siedlung                 … in der Institution
                                                       (WG inkl. Cluster-
                                                       wohnungen)
                         … privat informell
                                                                  7. Mehr-
                         Kontakte zwischen
                                                                  generationen
                         den Generationen im
                                                                  Familienhaus-           8. Intergenerationelle                 6. d) Betreute Woh-
                         Wohnumfeld finden                                                Familienhausge-                        nungen (IV) in der
Überblick & Grundlagen

                                                                  halt
                         spontan und nicht                                                meinschaft                             (Alters-) Siedlung
                         organisiert statt.
                         Grundsätzlich ist das                                                                                    A, E , G, I
                         überall möglich, wo
                         verschiedene Alters-
                         gruppen wohnen.
                                                       3. Generationen-
                                                       gemischte
                                                       Wohngemein-                                  1. Generationengemischte Siedlungen
                                                       schaften, inkl.                              Inkl. 50plus-Projekte
                         … privat formalisiert
                         Kontakte zwischen
                                                       50plus-Projekte                              A, B, G,H, I , J ,K, L , U
                         den Generationen               A, B, D                                     M, T ,W
                         finden innerhalb von           C
                         selbstorganisierten
                         Strukturen statt. Dazu
                         gehören regelmässige                                                2. Generationen-
                         Treffen auf Basis ge-                                               gemischte Haus-
                         meinsamer Verpflich-                                                gemeinschaft,
                         tungen, Interessen                                                  inkl. 50plus-
                         oder privater Verein-
                                                                        4. Wohnraum          Projekte / inkl.
                         barungen.
                                                                        gegen                Grosshaushalte
                                                                        Alltagsunter-        D,E,F,
                         … professionell
                                                                        stützung             N,K, L ,O, B
                         partizipativ
                                                                        (vermittelte
                         Die Organisation von
                                                                        intergeneratio-
                         Kontakten zwischen
                                                                        nelle
                         den Generationen
                         wird professionell                             Zweier-WGs)
                         unterstützt durch                               Y, Z
                         Wohnbauträger oder
                         externe Organisatio-
                         nen (bspw. Gemeinde).
                         Öfter werden dafür
                         Mandate an Fachper-                                                             5. Intergenerationelle
                         sonen vergeben.                                                                 Wohnbegleitung
                         … professionell                                                                  P ,Q, R                      6. a) Kita in der
                         angeboten                                                                                                     (Alters-) Siedlung         6. b) Kita im
                         Kontakte zwischen den                                                                                                                    Altersheim
                                                                                                                                       H
                         Generationen wer-
                         den in der Regel durch                                                                                                                    S,X
                         Dienstleister als Ange-
                         bot organisiert. Die                                                                                              6. c)
                         Begegnungen finden
                                                                                                                                           Pflegewohngruppe
                         stets professionell be-
                         treut und moderiert
                                                                                                                                           in der Siedlung
                         statt. Auch spontane                                                                                               H, I ,V
                         Kontakte finden in be-
                         treutem Rahmen statt.

                          A   Hunziker Areal, Zürich              H  WohnenPlus-Siedlung Bergli,           O   HiBi 22 - gemeinschaftliches         U   Wohnen für Generationen,
                          B   Wohn- und Gewerbehaus                Bülach                                    Wohnen, Bülach                            Ormalingen
                              Kalkbreite, Zürich                   I   Mehrgenerationensiedlung Soli-      P   Generationenhaus Masein,             V    Siedlung «Im Zelgli», Madiswil
                          C   Zollhaus, Zürich                       gänter, Bülach                           Masein                                  W    Husmatt, Steinen
                          D   Generationenhaus Heizenholz,       J   Siedlung Sonnmatt, Willisau           Q   Generationenhaus Papillon,           X    Generationenhaus Neubad, Basel
                              Zürich                              K   Siedlung Brandstrasse / Hausge-        Linden                                  Y    Wohnen für Hilfe, Kanton Zürich
                          E   Mehrgenerationenhaus Giesserei,       meinschaft 50plus, Uster               R   Alterswohnungen Untersteig,
                                                                                                                                                      Z    Benewohnen, St. Gallen
                              Oberwinterthur                      L   Siedlung Ruggächern, Zürich             Nesslau
                          F    Haus StadtErle, Basel              M   Zopfmatte, Suhr                       S   Novellas Generationenhaus,
                                                                                                                                                      → Projektinfos im Umschlag
                          G   GeWo Burgdorf, Burgdorf             N   Hausgemeinschaft Büel,
                                                                                                              Vilters
                                                                     Gsteigwiler                            T   Siedlung Muttimatte, Brügg

                         10
Einschätzung zukünftiger privater Wohnmöglichkeiten durch Personen im Alter 65+
  (2018)
  Frage: «Welche Wohnmöglichkeiten könnten Sie sich in Zukunft für sich vorstellen.
  Ich meine, was käme für Sie da alles in Betracht (einmal abgesehen von den Kosten)?
  Wie könnten Sie wohnen?»

  zukünftige Wohnmöglichkeiten                                                   CH
  In einem Haus, in dem die Nachbarn eine gute Nachbarschaft pflegen.            67%
  In einem Haus mit verschiedenen Generationen.                                  54%

                                                                                                                                            Überblick & Grundlagen
  In einem Haus, in der man eine Ansprechperson hat, wenn man Hilfe              31%
  braucht (Alterswohnung).
  In einer kleineren Wohnung.                                                    25%
  In einem Haus, in dem die Bewohner für das Haus verantwortlich sind            24%
  (Hausgemeinschaft).
  In einer ruhigeren Wohnung.                                                    19%
  In einem Haus, in dem nur ältere Menschen leben.                               12%
  In einer Wohnung, in der noch andere Leute leben (Wohngemeinschaft).           10%
  In einer grösseren Wohnung.                                                    10%

Quelle: Age Report IV
Download unter age-report.ch

weshalb Hausgemeinschaften noch immer eine Nische im                     4. WOHNRAUM GEGEN ALLTAGSUNTERSTÜTZUNG
Wohnungsmarkt darstellen.
                                                                         In früheren Zeiten besserten Witwen ihr Einkommen auf, indem
Bei generationengemischten Hausgemeinschaften wird auf                   sie einzelne Zimmer in ihrem Haus an junge Personen in Ausbil-
allen Ebenen von der Planung bis zum Betrieb die Beziehung               dung oder an Handwerker vermieteten. Unter der Bezeichnung
und der Kontakt zwischen den Generationen stets mitgedacht               «Wohnen für Hilfe» erlebt die Untermiete in angepasster Form
und reflektiert. Unabhängig davon, ob es sich konzeptionell              derzeit eine Renaissance. Wer ungenutzten Wohnraum besitzt,
um eine altersdurchmischte Hausgemeinschaft D , E han-                   kann diesen an junge Menschen vermieten. Dabei wird die Mie-
delt, um eine Hausgemeinschaft für die nachfamiliäre Phase,              te in Form von Unterstützungsleistungen erbracht, wobei die
die ebenso mehrere Generationen umfasst K , O , N , oder                 Wohnfläche mit dem zeitlichen Aufwand für die Unterstüt-
ob generell die Nachbarschaftsentwicklung im Fokus steht F :             zungsleistungen aufgerechnet wird. Inspiriert von Projekten in
Die Erfahrungen aus diesen Wohnprojekten sind auch für ge-               Deutschland, richtete die Pro Senectute des Kantons Zürich
nerationengemischte Wohnformen relevant, die weniger stark               2009 eine Vermittlungs- und Kontaktstelle «Wohnen für Hilfe»
gemeinschaftlich ausgerichtet sind.                                      ein Y . Unterdessen bestehen ähnliche Angebote in Bern, Ba-
                                                                         sel, Fribourg, Genf, Lugano und St. Gallen. Um eine faire Um-
                                                                         setzung zu gewährleisten, werden die WGs durch die Träger-
3. GENERATIONENGEMISCHTE WOHNGEMEINSCHAFTEN                              schaften eng begleitet und teilweise auch durch den Anschluss
                                                                         an die Zeitbörse unterstützt, wie bspw. im Projekt Benewohnen
Gemeinschaftliche Wohnformen gewinnen an Akzeptanz, sind                 in St. Gallen Z (→ Lesetipp S. 12). Viele dieser intergeneratio-
aber bei den über 65-Jährigen immer noch eine seltene Wohn-              nellen Wohnpartnerschaften funktionieren gut. Das liegt nicht
form. Das gilt insbesondere für gemeinschaftlich bewohnte                zuletzt an der Sorgfalt, welche die Projektträgerschaften beim
Gross- und Clusterwohnungen. Interessant ist die Beobach-                Zusammenführen passender Wohnpartner walten lassen. Die
tung, dass ältere WG-Interessierte einem Generationenmix                 grösste Herausforderung für dieses intergenerationelle Wohn-
gegenüber aufgeschlossener zu sein scheinen als jüngere                  modell liegt darin, dass die Nachfrage bei jüngeren Menschen
( D → D S. 31).                                                          – vor allem bei Studierenden – deutlich höher ist als das Ange-
                                                                         bot an Wohnraum durch ältere Menschen. Ein weiteres Prob-
Auch wenn Generationen-WGs eine Nische im Wohnungs-                      lem ist, dass die jungen Mitbewohner wieder ausziehen, sobald
markt darstellen, so sind die Erfahrungen damit erhellend,               die Ausbildungs- oder Beziehungssituation sich ändert. Einzug,
wenn man sich für Generationenbeziehungen im Wohnumfeld                  Kennenlernen und Auszug als Kreislaufprozess kann für die äl-
interessiert. Durch die Nähe der Generationen in der WG                  teren Wohnraumanbieterinnen und -anbieter zu anstrengend
treten einerseits Chancen und Konflikte deutlich zutage. An-             werden.
dererseits wird das Miteinander durch die Bewohnerschaft
reflektiert und bei Problemen nach konstruktiven Lösungen
gesucht. Von diesem Know-how profitieren alle generationen-              5. INTERGENERATIONELLE WOHNBEGLEITUNG
gemischt angelegten Wohnkonzepte, egal ob WG oder Sied-
lung. Der Exkurs auf Seite 14 gibt Auskunft zu den besonderen            Das etwas stereotype Bild von der älteren Generation, die Un-
Herausforderungen für generationengemischte WGs A , B ,                  terstützung braucht und der jungen Generation, die Unterstüt-
 D, E , F .                                                              zung leistet, begründet eine weitere Form des generationenge-
                                                                         mischten Wohnens, in welcher eine grosse Familienwohnung
                                                                         kleineren Wohnungen zugeordnet ist. Die Grundidee: Die jun-
                                                                         gen Bewohner der Familienwohnung bieten ihren älteren Nach-

                                                                                                                                      11
LESETIPP
                                                                          ZUM THEMA «WOHNRAUM GEGEN
                                                                          ALLTAGSUNTERSTÜZUNG»

                                                                           Z BeneWohnen ist ein Angebot, in welchem
                                                                          das Konzept «Wohnraum gegen Alltagsunter-
                                                                          stützung» zusätzlich mit einer Zeitbörse ver-
                                                                          knüpft wurde. D.h., anstatt mit Miete werden
                                                                          Zimmer mit Zeit bezahlt. Die Überweisung
                                                                          der Zeit erfolgt über ein Zeit-Konto. Die logis-
Überblick & Grundlagen

                                                                          gebende Person kann die Zeit, die sie für die
                                                                          Vermietung eines Zimmers bekommen hat,
                                                                          auch für Dienstleistungen von anderen Zeit-
                                                                          börsen-Teilnehmenden einsetzen.

                                                                          Dokumentation des Pilotprojekts:
                                                                          → age-stiftung.ch/benewohnen

                         barn Unterstützung im Alltag. Das kann im Rahmen eines klei-            oder ihnen Dienstleistungen anbieten kann, darf nur kommuni-
                         nen Hauswartmandats der Trägerschaft erfolgen P , R .                   ziert werden, wenn dies tatsächlich und konkret so vereinbart
                                                                                                 wurde. Hier ist im Vermietungsprozess Zurückhaltung ange-
                         Bekannt sind auch privatunternehmerische Formen, in denen               bracht.
                         eine Familie eigenständig Betreuungs- und teilweise auch Pfle-
                         gedienstleistungen in den Alterswohnungen ihrer Liegenschaft            d) Betreute Wohnungen in der Siedlung
                         anbietet Q . In solchen Wohnmodellen ist die intergeneratio-            Ein weiteres Kooperationsmodell ist die Integration von betreu-
                         nelle Beziehung klar durch das Angebot definiert. Der Kontakt           ten Wohnangeboten für (jüngere) Menschen mit Beeinträchti-
                         zur jüngeren Generation und das damit vermittelte Normali-              gung in eine (Alters-) Siedlung A , E , G , I . Die Kooperati-
                         tätsprinzip ist implizit oder explizit Teil eines klar deklarierten     on kann auch Dienstleistungen für die Wohnungen durch die
                         Alterswohnangebots.                                                     Partnerorganisation beinhalten. So kommt es zu weiteren Ge-
                                                                                                 nerationenbegegnungen in der Nachbarschaft.

                         6. WOHNANGEBOTE MIT INSTITUTIONELLEN GENERATIO-
                         NENKONTAKTEN                                                            7. MEHRGENERATIONEN-FAMILIENHAUSHALT

                         a) Kindertagesstätten in der Siedlung                                   Dass ältere Menschen mit anderen Generationen gemeinsam
                         Siedlungen mit altersgerechten Wohnungen, in denen Kinder-              im selben Haushalt leben, ist in der der Schweiz eher die Aus-
                         gärten oder -tagesstätten integriert werden, bieten spontane            nahme. Das gilt auch innerhalb von Familien: Zwar ziehen älte-
                         Begegnungen mit Kindern und mit deren Eltern H . Teilweise              re Menschen oft in die Nähe ihrer Kinder – jedoch in eine eige-
                         nutzen Bewohnerschaft und die Betreuungsorganisation be-                ne Wohnung. Durch «Intimität auf Distanz» (Perrig-Chiello &
                         stimmte Innen- und Aussenräume gemeinschaftlich V , so dass             Höpflinger, 2009) wahren ältere Eltern und ihre erwachsenen
                         auch gemeinsame Anlässe – bspw. ein Adventsingen oder ein               Kinder gegenseitig ihre Unabhängigkeit. Ziehen sie zusammen,
                         gegenseitiges Geschichten-Vorlesen – organisiert werden kön-            ist der Grund oft ein erhöhter Betreuungsbedarf. So leben
                         nen.                                                                    bspw. von den 80- bis 84-jährigen Frauen 3.6 % mit einem Kind
                                                                                                 zusammen, von den über 90-jährigen sind es 8.4 %. Da Männer
                         b) Kindertagesstätten im Alters- und Pflegeheim                         im hohen Alter deutlich öfters mit einer Ehefrau bzw. Lebens-
                         Ähnliches wird auch in Alters- und Pflegeheimen umgesetzt.              partnerin zusammenleben, sind die Anteile an Vätern, die mit
                         Dort koordinieren zwei Institutionen mehr oder weniger regel-           einem Kind zusammenleben, kleiner (Age Report IV, S. 187).
                         mässig gemeinsame Treffen X , S .
                                                                                                 Zunehmen dürfte in den nächsten Jahren die Teilzeit-Famili-
                         c) Dezentrale Pflegewohngruppen in der Siedlung                         en-WG bei pensionierten Immigranten, die einen Grossteil
                         Interessante Kooperationen ergeben sich auch zwischen Wohn-             ihres Erwerbs- und Familienlebens in der Schweiz verbracht
                         bauträgerschaften und dezentralen Pflegewohngruppen (PWG)               haben. Immerhin besitzen knapp 40% der eingewanderten älte-
                          H , I . Letztere mieten bspw. das Erdgeschoss und bieten               ren Mieterinnen und Mieter (65–79 Jahre) ohne Schweizer Pass
                         dort Pflegeplätze an (→ S. 41 f.). Für die pflegebedürftigen Men-       in ihrem Herkunftsland Wohneigentum (bei den eingebürger-
                         schen bedeutet die räumliche Nähe zur Normalität des Sied-              ten sind es 20 %) (Age Report IV, S. 210). Einige pendeln zwi-
                         lungslebens Anteilnahme und Teilhabe. Sie erlauben den Kon-             schen ihrem Wohneigentum in der alten Heimat und der
                         takt zu anderen Generationen, wobei auch die passive beo-               Schweiz, wo sie jährlich mehrere Wochen bei ihren Kindern
                         bachtende Teilhabe als wichtig für die Lebensqualität gilt. Dass        wohnen.
                         eine PWG ältere Mieter bei späterem Pflegebedarf aufnehmen

                         12
LESETIPP

  Die Website und das Buch «Weiterbauen»
  zeigen, wie der Gestaltungsspielraum im
  Eigenheim genutzt werden kann, um die
  eigene Wohnzukunft zu gestalten. Es ste-
  hen Massnahmen im Vordergrund, die das
  Wohnen im Alter mit einer neuen Nutzung
  verbinden. Neu nutzen heisst hier bei-
  spielsweise, Haus und Garten so umzuge-
  stalten, dass anstelle einer, zwei Wohnun-

                                                                                                                                       Überblick & Grundlagen
  gen Platz finden, und sich eine davon gut
  zum Älterwerden eignet.

  Weitere Informationen und Bestellung:
  → weiterbauen.info

8. INTERGENERATIONELLE FAMILIENHAUSGEMEINSCHAFT                      EXKURS
                                                                     MEHRGENERATIONENHÄUSER IN DEUTSCHLAND
Laut Mariette Beyeler, der Autorin des Buches «Weiterbauen»
(→ Lesetipp), hat die klassische Einliegerwohnung im Einfa-          Im deutschsprachigen Raum bezeichnet der Begriff Mehrgene-
milienhaus erwachsener Kinder für ältere Menschen an Attrak-         rationenhaus kein klar definiertes Wohn- oder Betriebsmodell.
tivität eingebüsst, nicht zuletzt wegen ungenügender Rück-           Unter Mehrgenerationenhäuser subsumiert man einerseits al-
zugsmöglichkeiten. In ihrem Buch zeigt Mariette Beyeler ver-         tersdurchmischte gemeinschaftliche Wohnmodelle. Andererseits
schiedene Lösungen, wie Einfamilienhäuser und Eigentums-             bezieht sich der Begriff vor allem in Deutschland seit dem ers-
wohnungen so umgebaut und weiterentwickelt werden können,            ten bundesweiten Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser
dass sie als Generationenhaus ein gutes Zusammenleben för-           (seit 2006 mit 2 Folgeprogrammen) vermehrt auf offene, quar-
dern. Doch wie in anderen Hausgemeinschaften auch, sind an           tiersorientierte Nachbarschaftstreffpunkte, wo familienorien-
das Zusammenziehen bzw. ans Über- oder Nebeneinanderwoh-             tierte Aktivitäten und Dienstleistungen für alle Altersgruppen
nen von Familienangehörigen viele – teils unausgesprochene           angeboten werden. Die Förderkriterien des Aktionsprogramms
– Erwartungen geknüpft: Sei es bezüglich der Enkelbetreuung,         wurden dabei als Definition für den Begriff Mehrgenerationen-
der Bewirtschaftung der Liegenschaft oder der Integration in         haus im Sinne offener Tagestreffpunkte im Quartier übernom-
den Alltag der jüngeren Kernfamilie. Deshalb brauchen Fami-          men. Diese Begriffszuschreibung hat in der Schweiz dagegen
lienhausgemeinschaften eine sorgfältige Vorbereitung. Ansprü-        nicht stattgefunden, wo Mehrgenerationenhäuser in erster Li-
che, Wünsche, Erwartungen und Abgrenzungen müssen in                 nie mit Wohnprojekten assoziiert werden.
offenen Gesprächen geklärt werden. Dazu gehören auch finan-
zielle und rechtliche Fragen. Und schliesslich ist zu diskutieren,   Um Verwirrung in Diskussionen und Recherchen zum Generati-
wie man die Unterstützung bei einer späteren Hilfs- und Pflege-      onenthema zu vermeiden, ist es sinnvoll, die Kriterien zu ken-
bedürftigkeit gestalten würde. Findet die Familie zu einer ge-       nen, die das erste Aktionsprogramm für die Förderung eines
meinsamen Vision des Zusammenlebens, dann gilt für die Pla-          Mehrgenerationenhauses voraussetzte. Dazu gehörte: ein An-
nungsphase, «dass nichts für die eigene Familie gebaut wird,         gebot zur Kinderbetreuung, ein offenes Café, die Vermittlung
was nicht auch zum Wohnen mit familienfremden Bewohnern              familiennaher und vor allem ehrenamtlich angebotener Dienst-
geeignet wäre» (Beyeler 2010: 20).                                   leistungen (bspw. Einkaufsservice für Senioren, Mittagstische,
–                                                                    Haushaltshilfe etc.). Mit dem Aktionsprogramm sollte also nicht
                                                                     nur die Begegnung zwischen Generationen gefördert werden,
                                                                     sondern auch das Angebot und die Koordination von kosten-
                                                                     günstigen – ehrenamtlichen wie professionellen – Unterstüt-
                                                                     zungsleistungen im Alltag. Entsprechend zählen die neu etab-
                                                                     lierten Quartierstrukturen zu den nachhaltig wirksamen
                                                                     Resultaten des Aktionsprogramms.

                                                                     Die Förderung umfasste bis 2019 eine jährliche Finanzierungs-
                                                                     beteiligung der Öffentlichen Hand mit 40 000 Euro, seit 2020
                                                                     sind es 50 000 Euro pro Mehrgenerationenhaus. Das nächste
                                                                     Folgeprogramm beginnt 2021. Im April 2020 existierten in
                                                                     Deutschland rund 540 Mehrgenerationenhäuser.

                                                                     Weitere Informationen: → www.mehrgenerationenhaeuser.de
Herausforderungen für
                         generationengemischte
                         Wohngemeinschaften
Überblick & Grundlagen

                         Generationengemischte Wohngemein-             Durch diese Tendenz generationenge-         Prioritäten Konflikte zwischen den Gene-
                         schaften stehen vor spezifischen Heraus-      mischter WGs hin zur Verjüngung steigt      rationen entzünden können.
                         forderungen. Dazu gehören Bewohner-           auch die Fluktuation in der Gruppe. Um
                         fluktuationen: Für Menschen in unter-         die Verjüngungstendenz und ihre Folgen      Mit dem privaten Komfort gehen jedoch
                         schiedlichen Lebensphasen haben Wohn-         zu mildern, braucht es vor allem Zeit, um   höhere Mietkosten einher. Das führt mit-
                         situationen nicht den gleichen Zeithori-      ältere Mitbewohner zu finden. Das heisst,   unter in generationengemischten Cluster-
                         zont. Wohnsituationen älterer Menschen        die Gemeinschaft oder die Trägerschaft      Gemeinschaften zu einem höheren Alters-
                         sind in der Regel langfristig angelegt. Sie   muss bereit sein, einen längeren Leer-      durchschnitt als in «Grosswohnungs-
                         besitzen ein über die Zeit gewachsenes        stand in Kauf zu nehmen. Wer aus Kos-       WGs». Die Reduktion von Wohnkosten ist
                         Fundament aus materiellem Besitz, sozia-      tengründen in eine WG gezogen ist, wird     für viele junge Menschen ein Hauptgrund
                         len Beziehungen und emotionaler Ver-          dem nur wenig abgewinnen können.            für den Einzug in eine Wohngemein-
                         bundenheit zum Wohnumfeld. Ein Um-                                                        schaft. Die mit Blick auf den reduzierten
                         zugsentscheid wird im Alter deshalb sel-      Eine weitere Herausforderung sind die       privaten Wohnraum erhöhten Kosten ei-
                         ten kurzfristig gefällt. Er wird sorgfältig   unterschiedlichen Erwartungen an das Le-    ner Clusterwohnung spielen aber auch
                         abgewogen in einem Prozess hin zu einer       ben in der Wohngemeinschaft, die durch      bei Menschen im Rentenalter eine wichti-
                         längerfristig vorbereiteten und einschnei-    die jeweilige Lebensphase und ihre All-     ge Rolle. Der Entschluss, sich im Wohn-
                         denden persönlichen Veränderung. Diese        tagsroutinen geprägt sind. Die unter-       raum einzuschränken, beruht auch in
                         ist oft mit materieller Trennung und sozia-   schiedlichen Prioritäten und Erwartungen    dieser Altersgruppe nicht selten auf fi-
                         lem Verlust verbunden. Für jüngere Perso-     können in der Wohngemeinschaft zu zu-       nanziellen Überlegungen.
                         nen dagegen sind Wohnsituationen Ar-          sätzlichem Klärungsbedarf führen. Die
                         rangements, die sie kurzfristig wieder        Dokumentationen zu generationenge-          Ein weiterer sensibler Punkt in Cluster-
                         ändern können. Entsprechend ist es einfa-     mischten WG-Projekten belegen, dass äl-     wohnungen scheinen die Anteilsverhält-
                         cher, eine jüngere Person für eine WG zu      tere Menschen ihr Leben dort als berei-     nisse zwischen den Altersgruppen zu
                         finden als eine ältere. Im Gegenzug muss      chernde Lebenserfahrung betrachten.         sein. Die Angst, dass man samt seinen al-
                         bei jüngeren Mitbewohnenden auch mit          Die erhöhten sozialen Anforderungen in      tersspezifischen Bedürfnissen im engsten
                         einer kürzeren Verweildauer gerechnet         einem altersdurchmischten Haushalt kön-     Wohnumfeld marginalisiert wird, spielt
                         werden. In der Folge werden ältere Be-        nen mittelfristig jedoch auch ermüden.      dabei eine grosse Rolle ( D , → D S. 36).
                         wohner, welche die WG verlassen, eher
                         durch jüngere Neueintritte ersetzt. Dies      Clusterwohnungen – für Generationen-        Wie gut und wie langfristig sich generati-
                         nicht zuletzt, um Leerstandskosten zu ver-    mix von Vorteil                             onengemischtes Wohnen in WGs bzw. in
                         meiden, für welche die Gruppenmitglieder      In unterschiedlichen Lebensphasen wer-      Clusterwohnungen umsetzen lässt, hängt
                         gemeinsam aufkommen müssen.                   den unterschiedliche Anforderungen an       wohl letztlich auch von Details ab wie der
                                                                       Haushaltsführung und Alltagsstruktur ge-    Lage der Siedlung, der Positionierung und
                          A Maria (58), WG-Bewohnerin,                 stellt. Deshalb haben Clusterwohnungen      der Grösse der privaten Wohneinheiten
                         Textauszug → A S. 74 f.                       im Vergleich zur klassischen Wohnge-        sowie den Wohnkosten und den Vergabe-
                         Jeder Wechsel bedeutet                        meinschaft in einer Grosswohnung insbe-     regelungen.
                                                                       sondere für generationengemischtes Ge-      –
                         Diskussionen und nimmt uns                    meinschaftswohnen gewisse Vorteile. Die
                         mental in Anspruch. Die                       reduzierten privaten Wohneinheiten, die
                         Jungen sind super – aber sie                  mit gemeinschaftlich genutzten Wohn-
                                                                       bzw. Haushaltsflächen kombiniert wer-
                         sind nach zwei oder drei                      den, verfügen in der Regel über eine
                         Jahren wieder weg, wenn sie                   eigene Nasszelle, teils auch über eigene
                         ihr Studium beendet haben                     Kleinküchen. Gepaart mit guter Schalliso-
                                                                       lierung bieten sie mehr privaten Rück-
                         oder eine Familie gründen.                    zugsraum und schmälern Reibungsflächen
                                                                       dort, wo sich aufgrund unterschiedlicher

                         14
GENERATIONENGEMISCHTE SIEDLUNGEN MIT GEMEIN-
SCHAFTLICHEN WOHNFORMEN

 F StadtErle, Basel                                                 A Hunziker Areal, Zürich
Die StadtErle ist ein Wohnhaus der Genossenschaft Zimmerfrei       Die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» wurde 2007 von
für ca. hundert Menschen im Basler Neubauquartier Erlenmatt        rund 55 Wohnbauträgerinnen als Innovations- und Lernplatt-
Ost. Es wurde von den Initiantinnen und Initianten als Konzept     form für gemeinnützigen Wohnungsbau gegründet. Das Hun-

                                                                                                                                       Überblick & Grundlagen
für eine sozial und altersmässig gemischte Hausgemeinschaft        ziker Areal in Zürich-Nord ist ihr erstes Bauprojekt. Die 370
mit gemeinschaftlicher, nachhaltiger, selbstverwalteter und ge-    Wohnungen decken eine breite Palette von Wohnformen und
nügsamer Lebensweise entwickelt: So entstanden kleine Woh-         Wohnungstypen ab mit einem Schwerpunkt bei 3½- bis 5½-
nungen mit wenig Ressourcenverbrauch und ergänzt durch Ge-         Zimmer-Wohnungen. 24 Wohnungen mit mind. 8 Zimmern –
meinschaftsräume. Neben Wohnungen für Familien, Paare und          darunter 15 Clusterwohnungen – dienen dem Zusammenleben
Singles gibt es auch eine Clusterwohnung und eine Gross-WG.        grösserer Wohngemeinschaften. Dort sollen auch Ältere woh-
Die StadtErle ist hindernisfrei nach SIA 500 gebaut und hält       nen, wobei die Nachfrage in diesem Alterssegment derzeit
auch gewisse Empfehlungen der Planungsrichtlinien «Altersge-       noch niedrig ist. Auch für Klientinnen und Klienten sozialer Ins-
rechte Wohnbauten» ein. Spezielle Wohnungen fürs Alter gibt        titutionen wurde Wohnraum geschaffen. Bei der Vermietung
es nicht, doch die vielen Kleinwohnungen tragen zur Alters-        ist soziale Durchmischung ein wichtiges Ziel. Der Anteil älterer
durchmischung bei. Eine Dokumentation zeichnet die Entwick-        Menschen ist mit 4 % derzeit niedriger als vorgesehen. Eine
lung der generationendurchmischten Hausgemeinschaft und            umfassende Studie gibt Auskunft über die Entwicklung der in-
ihre Qualitäten detailliert nach (vgl. S. 54).                     novativen Siedlung und ihrer Wohnangebote.
→ age-stiftung.ch/stadterle                                        → age-stiftung.ch/hunzikerareal

 B Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite, Zürich                     E Mehr-Generationen-Haus Giesserei, Winterhur
Der Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite liegt mitten in Zürich.        Die Giesserei in Winterthur bietet mit 140 Wohnungen (+ 11 Jo-
Hier wohnen rund 260 Menschen, 28 sind über 60 Jahre alt. 3        kerzimmer mit Bad) einen breiten Wohnungsmix mit grosszügi-
davon wohnen in klassischen WGs unterschiedlicher Grösse. In       gen Wohnungsgrundrissen (48 m² 1.5-Zi.-Wng. bis 374 m² 9-Zi.-
den 3 Wohnclustern der Kalkbreite mit total 32 Wohneinheiten       Wng.) und einen Schwerpunkt bei Familienwohnungen (mind. 4
(1 bis 1½ Zimmer) leben 25- bis 75-Jährige, darunter 13 Personen   Zimmer). Hier wohnen 341 Personen, darunter sind 64 über 65
über 60. Die restlichen 12 Kalkbreitebewohnenden im Alter 60+      Jahre alt (Stand 2020). Zwei über 60-Jährige leben zusammen
leben in 2½- bis 3-Zimmer-Wohnungen. 8 davon sind (fest oder       in einer WG. Acht 48- bis 68-Jährige wohnen in einer Gross-
nachträglich) dem sogenannten Grosshaushalt angeschlossen.         WG. Die Studie zum Projekt zeigt, wie sich die Erwartungen
Dieser besteht aus 20 Wohnungen mit 1 bis 9½ Zimmern und           der Bewohnerschaft vor und nach dem Einzug verändert haben.
wird von rund 50 Personen gemeinsam geführt. Sein Herzstück        → age-stiftung.ch/giesserei
bilden der Ess- und Aufenthaltsraum als Treffpunkt sowie die
gemeinsame professionelle Küche mit angestelltem Kochperso-
nal. Zum Grosshaushalt gehörten im Juli 2018 Familien, junge        D Heizenholz, Zürich
kinderlose Singles und Paare, Menschen im Alter um die 50,         Das Mehrgenerationenhaus der Genossenschaft Kraftwerk1 in
ebenso Pensionierte sowie Personen mit Beeinträchtigungen.         Zürich Höngg wurde 2012 bezogen. Die Bewohnerinnen und
→ kalkbreite.net                                                   Bewohner organisieren ihr Zusammenleben selber und pflegen
                                                                   die grosszügig angelegten Gemeinschaftsbereiche durch Be-
                                                                   triebsgruppen. Finanziert werden die Gemeinschaftsräume
 C Das Zollhaus, Zürich                                            über die Wohnungsmieten. Besonders wichtig für spontane Be-
Das Zollhaus, die zweite Siedlung der Genossenschaft Kalk-         gegnungen ist die vorgelagerte Gemeinschaftsterrasse. Im
breite, entsteht unmittelbar beim Zürcher Hauptbahnhof. In der     Haus leben rund 100 Personen in 26 Wohnungen. Dazu gehören
Vermietung wurden Menschen über 60, die sich für das Woh-          2 konventionelle WGs und 2 Cluster-Grosswohnungen. Dort
nen in einer WG interessierten, begleitet und speziell berück-     sind mit Teeküche und Sanitärzelle ausgestattete Zimmer um
sichtigt. 3 von 50 Wohnungen wurden in der Folge an WGs            grosse Gemeinschaftsflächen mit Küche, Bad und Wohnräu-
«Gemeinschaftliches Wohnen im Alter» vergeben. Beim Erstbe-        men gruppiert. Im Haus sind alle Altersgruppen vertreten. In
zug des Zollhauses sind Personen über 65 noch untervertreten.      die Clusterwohnungen sind zu Beginn nur wenige über 55-Jäh-
→ age-stiftung.ch/zollhaus                                         rige eingezogen, doch tendeziell ist der Altersdurchschnitt in
                                                                   den letzten Jahren gestiegen.
                                                                   → age-stiftung.ch/heizenholz

                                                                                                                                 15
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