als Helfer der New Yorker Feuerwehr1 - von Ingmar Lehmann, Berlin

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als Helfer der New Yorker Feuerwehr1 - von Ingmar Lehmann, Berlin
π als Helfer der New Yorker Feuerwehr1
von Ingmar Lehmann, Berlin

               Wer sich richtig mit Mathematik beschäftigt, merkt bald, dass die Zahl π
               verzaubert. Sie ragt in nahezu alle interessanten Fragestellungen hinein, auch
               wenn man gar nicht damit rechnet. Der nachfolgende Beitrag stammt von Priv.
               Doz. Dr. Lehmann von der Humboldt-Universität in Berlin. Im zweiten Teil sieht
               er sehr mathematisch aus. Wir glauben aber, dass das so schlimm gar nicht ist.
               Lesen Sie ruhig weiter, Sie werden verstehen und Freude an Pi und der
               Feuerwehr haben.

                Ingmar Lehmann ist mathematikbegeistert, und das sieht man auch auf dem Foto.
               Über sich schreibt er in aller Bescheidenheit: Zu meiner Biographie gibt es wenig
               Aufregendes zu schreiben (stimmt natürlich nicht, Anmerkung der Redaktion). Als
               Junge, der in einem kleinen Dorf (Stapelburg) am Harzrand aufgewachsen ist,
               habe ich "natürlich" Fußball gespielt - andere Freizeitangebote gab es nicht. Auf
               diese Weise habe ich bereits als Jugendlicher neben den Sportplätzen des Ost-
               Harzes auch fast alle Gaststätten dieser Dörfer und Städtchen kennen gelernt.
               Denn dort haben wir uns zu unseren Spielen umgezogen; Umkleidekabinen oder
               gar Duschen gab da noch nicht. Erfolgreich waren wir dennoch ... Als
               Schiedsrichter habe ich dann später auch das "diagonale" Laufen über den Platz
               gelernt.

               Mit Beginn der 9. Klasse ging ich in Wernigerode, der "Bunten Stadt am Harz -
               diesen Beinamen verdankt sie dem (Heimat-)Schriftsteller Hermann Löns -zum
               Gymnasium; so heißt meine Schule wieder - damals war das eine Erweiterte
               Oberschule (EOS) für die Klassen 9 bis 12. Mein Mathematiklehrer, Herr Busse,
               hat mich für die Mathematik begeistert, mich zur Mathematik-Olympiade
               geschickt - und so mein ursprüngliches Ziel, "ganz alte" Geschichte zu studieren,
               aus den Augen schwinden lassen. Stattdessen wurde ich Mathematik-und
               Physiklehrer.

               Nur als Hobby bin ich der Geschichte treu geblieben. Daneben interessieren mich
               Bücher, gehe ich sehr gern ins Theater, ins Konzert. Ein- oder zweimal im Jahr
               schnüre ich die Wanderstiefel oder radle mit meiner Frau durch schöne
               Gegenden.

               Neben meinen Vorlesungen und Seminaren am Institut für Mathematik der
               Humboldt-Universität zu Berlin führe ich einmal in der Woche auch einen Zirkel
               mit Schülern durch. Die Mathematische Schülergesellschaft "Leonhard Euler"
               (MSG) ist eine außerunterrichtliche Einrichtung unseres Institutes
               (und des Senats von Berlin) zur Förderung von mathematisch interessierten und
               begabten Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 7 bis 13. Die MSG wurde
               1970 gegründet; seit 2003 bin ich der Leiter dieser MSG

1
    Für den Mathetreff übersetzter und modifizierter Auszug aus dem Buch von Alfred S. Posamentier & Ingmar
    Lehmann: π: A Biography of the World’s Most Mysterious Number. Afterword by Dr. Herbert Hauptman,
    Nobel Laureate. Prometheus Books Publishers, Amherst, New York, 2004. ISBN 1-59102-200-2 [siehe
    Chapter 6, S. 157 – 170]

                                                                                                              1
als Helfer der New Yorker Feuerwehr1 - von Ingmar Lehmann, Berlin
(http://www.mathematik.hu-berlin.de/ und dann dem Link unter
               "Schülerförderungen" folgen oder:
               http://wwp.mathematik.hu-
               berlin.de/%7Ewebmsg/index.htm).

Es war im Juli. Das ist keine gute Zeit, um New York zu besuchen. Kam man aus der
Subway, glaubte man in einen Backofen zu geraten – so heiß war es. Im Norden von
Manhattan hatten sich jedoch die Kinder und Jugendlichen mit einem Trick Kühlung
verschafft. Sie drehten einfach die Hydranten am Straßenrand auf – und „duschten“ sich auf
der Fahrbahn. Die Autofahrer waren nachsichtig und fuhren langsam unter den
Wasserstrahlen durch ...

Jahre später las ich in einem großartigen Roman, der die 365 Tage zwischen dem 21. August
1967 und dem 20. August 19682 in New York schildert, dass diese Straßenszenen dort schon
eine längere Tradition hatten.

UWE JOHNSON (1934-1984) beschreibt in seinen „Jahrestagen“ die folgenden beiden Szenen3:

        „ ... Mrs. Cresspahl bekommt ihre vier Flaschen Quellwasser (das aus der Leitung ist
        widerlich braun von den Ablagerungen in den Hauptrohren, hochgespült vom
        wechselnden Druck, seit Kinder überall in der Stadt aus den Feuerwehrhydranten
        Straßenduschen gemacht haben ... “

        „Unten mag es heiß sein, 95 Grad sind vorausgesagt ... Die Feuerwerker werden wieder
        zu wenig Sprühkappen auf die Hydranten gesetzt haben, so daß die Kinder sich helfen
        müssen mit Gewalt, damit sie umherhüpfen können in den sprühenden Strahlen, die
        gegen das Feuer gut sein sollten. Wer daran abends vorbeifährt in verriegelten,
        automatisch gekühlten Autos, wird new yorker [Johnsons Schreibweise] Folklore
        vermuten und nicht einen Mangel an Duschvorrichtungen in den armen Straßen.“

Dem wollte die New Yorker Feuerwehr Einhalt gebieten!
Die Kappen verhinderten jedoch stets nur für kurze Zeit den „Missbrauch“
der Hydranten.
Die Lösung steckte endlich in einem „runden“ Dreieck – und wo es rund
zugeht, ist π mit im Spiel!
Genauer liegt das Geheimnis im Querschnitt des Verschlusses.
Statt einer Vierkant- oder Sechskantschraube wurde ein „rundes“ Dreieck
gewählt:
                                                                                      Bild 1

Ein gewöhnlicher Schraubenschlüssel, mit dem jede Vierkant- oder Sechskantschraube gedreht
werden kann, „fasst“ hier nicht; er rutscht! Das will man im ersten Moment nicht glauben – aber
sehen wir uns die Geschichte etwas genauer an:
Der Querschnitt ist ein Kreisbogendreieck, ein sogenanntes Reuleauxsches Dreieck (1875) –
benannt nach dem deutschen Ingenieur Franz Reuleaux (1829-1905), der an der Königlichen
Technischen Hochschule in Berlin lehrte.

2
    also genau einen Tag vor dem Einmarsch der Russen in Prag endet
3
    Johnson, Uwe: Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl 1, 2. Frankfurt/Main, Suhrkamp
    Taschenbuch Verlag, 1996; Bd. 3, S. 1323; Bd. 4, S. 1465 / 1466

                                                                                                  2
Um den Clou zu verstehen, erinnern wir uns, dass man einen Kreis in eine Schieblehre
einspannen kann und dann den Durchmesser in jeder beliebigen (Dreh-) Stellung ablesen
kann. Ein Schraubenschlüssel reagiert wie die Schieblehre – der Kreis rutscht zwischen den
Wangen:

Bild 2                                     Bild 3

Mathematischer gesagt:

Spannt man einen Kreis zwischen zwei parallele Geraden
ein, d.h. der Abstand zwischen beiden Geraden ist gerade
der Durchmesser des Kreises, dann kann man den Kreis
drehen wie man will, er berührt stets in genau einem Punkt
jede der beiden Geraden. Der Kreis ist überall „gleich dick“.
Das Reuleauxsche Dreieck besitzt aber diese Eigenschaft
auch.
                                                                Bild 4

Es ist – genau wie der Kreis ! – eine (ebene, geschlossene) Kurve konstanter Breite, d.h.,
wie immer man auch eine Schieblehre anlegt, sein „Durchmesser“ ist stets derselbe. Man
nennt diese Figur deshalb mitunter auch ein Gleichdick (allgemein eine Orbiform).

Eine Rolle (mit einem Gleichdick als
Querschnitt) verhält sich deshalb wie eine
„normale“ Rolle (mit einem Kreis als
Querschnitt): der höchste Punkt bleibt stets in
der gleichen Höhe beim Rollen.
Legt man auf eine Walze mit dem
Querschnitt eines Reuleauxschen Dreiecks
ein Brett, rollt es also ohne zu "hoppeln" –
wie auf einer zylindrischen Walze.
                                                  Bild 5

Als (Fahr-)Rad sind Reuleauxsche Dreiecke dennoch nicht zu gebrauchen, denn der
Mittelpunkt (die Achse bzw. der Schwerpunkt der Walze) bewegt sich auf und ab. Nur auf
einem entsprechendem Untergrund kann es rollen wie ein Rad.

Man erhält ein Reuleauxsches Dreieck aus einem gewöhnlichen gleichseitigen Dreieck der
Seitenlänge r, indem man jede Seite durch einen Kreisbogen vom Radius r ersetzt, dessen
Mittelpunkt der gegenüberliegende Eckpunkt ist. Das gleichseitige Dreieck nennt man auch das
Trägerdreieck dieses Reuleauxschen Dreiecks.

Reuleaux soll angeblich durch das Problem, einen Knopf durch ein Knopfloch zu stecken, auf
diese Gleichdicks gestoßen sein. Ein Knopf sollte in jeder Richtung, mit der man ihn durch
ein Knopfloch stecken will, gleich gut durchpassen. „Es ist ein Fehler zu glauben, dass
Knöpfe, um diese Bedingung zu erfüllen, zwangsläufig rund sein müssen“, bemerkte
Reuleaux.

                                                                                             3
Bild 6                     Bild 7                         Bild 8

Ein Reuleauxsches Dreieck entsteht auch bei der Farbmischung aus den drei (sich
addierenden) Farbkreisen Rot, Grün und Blau (RGB-Farbmodell). In der Mitte addieren sich
die Farben zur „Farbe“ Weiß. Um das weiße Reuleauxsche Dreieck herum gruppieren sich die
drei Kreisbögendreiecke in den Komplementärfarben von Rot, Grün und Blau – also Cyan,
Magenta und Gelb.

Eine weitere Anwendung des Reuleauxschen Dreiecks finden wir im Wankelmotor; das ist ein
Drehkolbenmotor (oder Kreiskolbenmotor). FELIX WANKEL (1902-1988) baute das erste Modell
1957; die Serienproduktion startete 1964 mit dem NSU-Spider.

In Ulm steht „Energon“ – das größte Passivbürohaus der Welt. Es hat nach außen die Form eines
Reuleauxschen Dreiecks; beheizt wird diese Weiterentwicklung der Niedrigenergiehäuser durch
Erdwärme, Computer und Menschen.

Das Reuleauxsche Dreieck wird außerdem ausgenutzt, wenn (fast-)quadratische Löcher gebohrt
werden müssen. Das erkannte bereits 1914 der englische Ingenieur HARRY JAMES WATT4, der in
Turtle Creek in Pennsylvania lebte. In den USA existiert dazu u.a. das US-Patent 1241175; diese
Bohrer wurden seit 1916 von den Watts Brothers Werkzeugfabriken in Wilmerding (Pennsylvania)
hergestellt.

Das Reuleauxsche Dreieck kann nämlich so
gedreht werden, dass es stets die Seiten eines
Quadrates berührt, die Seiten des Quadrates
weitgehend überstreicht und dabei auch den
Ecken des Quadrates sehr nahe kommt.
Der Mittelpunkt eines im Quadrat rotieren-
den Reuleauxschen Dreiecks beschreibt dabei
nahezu einen Kreis, der genauer aus vier
elliptischen Bögen besteht.
                                                 Bild 9               Bild 10

(Der Kreis ist nebenbei gesagt die einzige Kurve konstanter Dicke, die ein Symmetriezentrum
besitzt.)

Sehen wir uns ein Reuleauxsche Dreieck etwas genauer an:

4
    ein Nachkomme von JAMES WATT (1736-1819)
                                                                                          4
M ist der „Mittelpunkt“ und Schwerpunkt des gleichseitigen Dreiecks ∆ABC. Die Abschnitte
der Seitenhalbierenden verhalten sich folglich wie 2:1, d.h., es gilt s1 = 2 . s2 .

                                       C                              Mit

                                                                      r = | AB | = | AC | = | BC | = | AN a |
                                                                        = | BN b | = | CN c |,
                                                                      r
                                                                        = | AM c | = | BM c | = | BM a |
                                                                      2
      Nb                               s1                    Na
               h                                        h               = | CM a | = | CM b | = | AM b |,
               Mb                                       Ma
                             s2               s2
                                                                      s1 = | AM | = | BM | = | CM |,
                                                                      s2 = | MM a | = | MM b | = | MM c |,
                                  M

                        s1                         s1
                                                                    h = | M a Na | = | M b Nb | = | M c Nc |
          α2                      s2                                und
          α1                                                        α1 = |∠BAMa| = 30° = |∠CAMa|
A                   r             Mc               r              B    = α2
                    2                  h           2                erhalten wir damit einerseits

                                    Nc

Bild 11
                                                                              s1    3s
r = s1 + s2 + h = 2s2 + s2 + h = 3s2 + h bzw. r = s1 + s2 + h = s1 +             +h= 1 +h
                                                                              2      2
                                                                     r2
und andererseits nach dem Satz des Pythagoras ( s12 = s 22 +            )
                                                                     4
                 3.                             3.
(*)    s1 =         r        bzw.      s2 =        r.
                3                              6
                                                                                          s2 1
Dasselbe liefern entsprechende trigonometrischen Betrachtungen (sin α1 =                    = ;
                                                                                          s1 2
          r                                        r
               1               s 1
cos α1 = 2 =      3 ; tan α1 = 2 =    3 ; cot α1 = 2 = 3 ).
          s1 2                  r 3                s2
                               2
                                   2− 3 .
Ferner ergibt sich dann auch h =           r.
                                     2
Und jetzt kommt π ins Spiel:

Ein einzelner Kreisbogen des Reuleauxschen Dreiecks der Dicke r ist gerade so lang wie der
6. Teil des Umfangs eines Kreises mit dem Radius r.
                                                                    1  )
Das ist der Satz von EMILE BARBIER (1839-1889): u = 3 . | AB | = 3 . . 2πr = πr.
                                                                    6

                                                                                                                5
Überraschender Weise ist also der Umfang eines
Reuleauxschen Dreiecks der Dicke r gerade
gleich dem Umfang des Kreises mit dem
Durchmesser dieser Dicke des Reuleauxschen
Dreiecks.

Für den Flächeninhalt ARD eines Reuleauxschen
Dreiecks der Dicke r erhalten wir
       r2      r2             r2
ARD = ( ⋅ π −        3) ⋅ 3 +    3
        6      4              4
       r2
     =    (π − 3 ) .
        2

                                                    Bild 12

Für den Flächeninhalt AK eines Kreises mit dem Durchmesser r erhalten wir dagegen
              2
       AK = r ⋅ π .
             4
        π− 3 π
Wegen           < bzw. π < 2 3 (3,141592653... < 3,464101615...) ist ARD < AK.
          2      4
WILHELM BLASCHKE (1855-1962) hat bewiesen, dass von allen Gleichdicks gegebener Dicke
das Reuleauxsche Dreieck den kleinsten, der Kreis den größten Flächeninhalt besitzt.

Zurück zur Überschrift „π als Helfer der New Yorker Feuerwehr“:
π allein, also per Kreis, erweist sich noch nicht als hilfreich. Ein normaler Schraubenschlüssel
rutscht um einen Kreis herum; er kann eine kreisrunde Schraube nicht festhalten.
Dasselbe trifft auch zu, wenn statt eines Kreises ein Gleichdick als Schraube gewählt wird.
Das Gleichdick rutscht zwischen den Wangen eines normalen Schraubenschlüssels hindurch.

Die Lösung der Feuerwehr steckt nun gerade in einem solchen Gleichdick.
Statt eines normalen Schraubenschlüssels wird jetzt ein Schlüssel benutzt, der genau auf ein
solches Gleichdick passt. Der Feuerwehr- Schlüssel besteht also aus einem halben Kreis, der
seinerseits noch gedrittelt wird.

π kommt also gleich dreimal
daher – als Helfer!
Denn diese drei Bögen eines
Halbkreises lassen sich ganz
einfach zu einem Gleichdick
zusammen setzen:
 3                             1
   eines Kreises, genauer 3 ×
6                              6
eines Kreises, sind hier also
effektvoller als ein ganzer Kreis!
                                     Bild 13                          Bild 14

π stoppt den Hydrantenmissbrauch!

                                                                                               6
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