Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision

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Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
Anlagepolitik

            Ausbalancieren

               Unsere Markteinschätzung
               Seite 7

               Fokusthema
               Der Ukraine-Krieg bringt
               ungeahnte Unsicherheit
Q2 | 2022      Seite 10
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
Ausbalancieren
     Ausbalancieren ist mehr als ein
     physikalisches Gesetz. Es ist das
     Justieren eines Ungleichgewichts
     zur Herstellung eines Idealzustan-
     des. Das Ausbalancieren ist für
     das menschliche Wohlbefinden
     wichtig. Wir streben nach einer
     ausgewogenen Work-Life-Balance
     und bringen Körper und Geist in
     Einklang. Und das Ausbalancieren
     ist auch in der Finanzwelt wichtig:
     Es bedarf eines richtigen Risiko-
     Ertrag-Verhältnisses und einer
     ausgewogenen Diversifikation, um
     Vermögenswerte langfristig zu
     vermehren und die Risiken im Lot
     zu halten.

         IMPRESSUM: Erscheint vierteljährlich | Erscheinungsdatum: 22. März 2022 | Redaktionsschluss: 18. März 2022 | Gesamtauflage: 2’400
       Herausgeber/Redaktion: Luzerner Kantonalbank AG, Investment Office, +41 (0) 844 822 811, anlagepolitik@lukb.ch | Realisation: grip-agency.ch
Druck: beagdruck | Titelbild: Grafilu | Porträtillustrationen: Janine Wiget | Bilder: gettyimages & shutterstock | Datenquelle für Grafiken: Bloomberg, Refinitiv
                                                                       lukb.ch/anlagepolitik
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
EDITORIAL
 Geschätzte Investorin, geschätzter Investor

 Die tragischen Nachrichten, die uns nun schon seit
 vier Wochen täglich aus der Ukraine erreichen, führen
 uns vor Augen, wie schnell so etwas für uns Selbst-
 verständliches wie Frieden verloren gehen kann.

   «Der Kriegsausbruch, die hohe
 Inflation sowie neu aufflammende                                    Björn Eberhardt
                                                                     Leiter Investment Office
  Lieferkettenprobleme werden die
Volatilität der Märkte erhöht halten.»
 Die Finanzmärkte wurden vom Kriegsausbruch
 ebenfalls erschüttert, und die Marktschwankungen
 haben stark zugenommen. Das stellt eine besondere
 Herausforderung für Investoren dar. Der markante
 Anstieg der Inflation bedeutet auch, dass selbst sichere
 Anlagen wie Liquidität oder Staatsanleihen nach Abzug
 der Inflation negativ rentieren dürften.

 Positionen in Realwerten wie Gold, Rohstoffe,
 Immobilien und auch Aktien sind daher trotz hoher                   INHALT
 Bewertungen für uns wichtige Portfoliobestandteile.
                                                                     		 4 | Highlights
                                                                     		 6 | Basisszenario
 Im Fokustext dieser Anlagepolitik werfen wir einen                  		 7 | Markteinschätzung
 Blick auf die möglichen kurz- bis langfristigen Auswir-             		 8		| Konjunktur und Geldpolitik
 kungen des Ukraine-Krieges.                                         10		| Fokus: Der Ukraine-Krieg
                                                                              bringt ungeahnte Unsicherheit
 Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.                        14 | Festverzinsliche Anlagen
                                                                     16 | Aktienmärkte
 Ihr Björn Eberhardt                                                 18 | Rohstoffe
 Leiter Investment Office                                            20 | Immobilien
                                                                     22 | Marktüberblick
                                                                     23 | Makroprognosen

                               ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 3
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
HIGHLIGHTS
                        MAKRO- UND RISIKO-UMFELD
   Die Indikatoren deuten auf ein schwierigeres Marktumfeld hin.
        Das Wachstum scheint zwar vorerst intakt, während
   die Liquiditätsbedingungen und die Risikofreude der Marktteil-
       nehmer rückläufig sind. Der Inflationsausblick hat sich
                     noch einmal verschlechtert.

                                   ¢ 1. Quartal 2022              ¢ 2. Quartal 2022

                  LIQUIDITÄT                                                            RISIKO-UMFELD
Zahlreiche Zentralbanken haben begonnen,                                Angesichts des Ukraine-Krieges hat die Risiko-
ihre bisher sehr lockere Geldpolitik zu be-                             bereitschaft der Marktteilnehmer recht
enden. Dieser Trend wird sich fortsetzen, was                           deutlich abgenommen. Die vorläufig erhöhte
sich im Rückgang der Liquidität spiegelt.                               Volatilität dürfte die Risikofreude dämpfen.

                 WACHSTUM                                                                  INFLATION
Das globale Wirtschaftswachstum ist noch                                Der Inflationsindikator ist weiter gestiegen,
intakt, die Aufhebung von Corona-Restriktio-                            was höhere Rohstoffpreise und Löhne reflek-
nen belebt die Konjunktur. Die Unsicherheit                             tiert. Das Thema Inflation hat für die Finanz-
für den Ausblick hat jedoch zugenommen.                                 märkte noch einmal an Brisanz gewonnen.

                             UNSERE POSITIONIERUNG

Liquidität
Festverzinsliche Anlagen
Aktienmärkte
Nicht-traditionelle Anlagen

˜ Positionierung vorher ¢ stärker untergewichtet ¢ leicht untergewichtet ¢ neutral ¢ leicht übergewichtet ¢ stärker übergewichtet

                                      4 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
FOKUSTHEMA
                                     Ukraine-Krieg bringt ungeahnte Unsicherheit
                                     Der Schock des leidvollen Ukraine-Krieges erschüt-
                                     tert die europäische Nachkriegsordnung. Auch an
                                     den Finanzmärkten stieg die Verunsicherung stark.
                                     Wir beleuchten die möglichen Auswirkungen des
                                     Konflikts auf verschiedenen Ebenen. Für Investoren
                                     bleibt eine gute Diversifikation entscheidend.

AKTIEN
Die Aktienmärkte gerieten im 1. Quartal deutlich unter Druck. Die Bewertungen
sind dadurch gesunken, allerdings dürften die Gewinnerwartungen nach unten
revidiert werden. Eine Stütze für die Aktien stellen u.a. das schon sehr negative
Marktsentiment und ihre Eigenschaft als Inflationsschutz dar.

ANLEIHEN                                                            ROHSTOFFE
Obligationen haben aufgrund
steigender Renditen und Risiko-
                                                                    Viele Rohstoffpreise haben
prämien seit Jahresbeginn deutlich                                  sich im März zwischenzeitlich
eingebüsst. Ihre Bewertung hat                                      massiv erhöht. Wir sehen Gold,
sich dadurch leicht verbessert,
sie bleibt aber angesichts hoher
                                                                    Energie und Industriemetalle
Inflation immer noch unattraktiv.                                   als wichtige Portfoliobestand-
Zudem besteht weiterhin das                                         teile an, mit denen sich Risiken
Risiko steigender Zinsen. Breit
diversifizierte Schwellenländer-                                    (Inflation, Geopolitik) gut
anleihen stellen eine Alternative                                   abfedern lassen.
als Beimischung dar.

                            IMMOBILIEN
                            Wir empfehlen zur Diversifikation den Einsatz gemischter
                            Schweizer Immobilienfonds. Das Kurspotenzial erscheint
                            aufgrund der hohen Agios jedoch begrenzt. Bei ausländischen
                            Immobilienanlagen bevorzugen wir im aktuellen Marktumfeld
                            die defensiveren EUR-REITs.

                                       ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 5
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
BASISSZENARIO
                   Der Weltwirtschaft bläst 2022 ein rauerer Wind entgegen. Dämpfende Effekte
                    gehen u.a. vom Ukraine-Krieg aus. So dürften die Rohstoffpreise auf hohen
                  Niveaus bleiben. Gleichzeitig können Lieferketten gestört werden. Bremseffekte
                      gehen auch davon aus, dass staatliche Programme zur Stimulierung der
                   Wirtschaft auslaufen. Zudem schlägt eine Reihe von Zentralbanken wegen der
                      hohen Inflationsraten einen restriktiveren Kurs bei der Geldpolitik ein.
                                     Erwartete Marktauswirkungen
              Die Aktienmärkte werden volatil bleiben, sind aber durch Wachstum leicht über
             Trend und attraktivere Bewertungen gestützt. Positionen in Gold und Rohstoffen
                 sind geeignet zur Absicherung von geopolitischen und Inflationsrisiken.
             Anleihen haben wenig Renditepotenzial aufgrund des Risikos steigender Zinsen.

                                                        ALTERNATIVSZENARIEN

          1.                           Kräftiger Abschwung
         Ausgelöst z.B. durch stark steigende
Rohstoffpreise, eine Verschärfung der Corona-
                                                                                              2.     Globale Erholung
                                                                                                     Ausgelöst z.B. durch sinkende
                                                                                             Rohstoffpreise, ein Abklingen der Pandemie,
virus-Pandemie, Lieferkettenprobleme und/                                                    abebbende Lieferengpässe, Produktivitäts-
oder zu restriktive Fiskal- und Geldpolitik.                                                 zuwächse, Belebung von Investitionen und
                                                                                             Konsum.
Erwartete Marktauswirkungen
Positiv für Gold, Rohstoffe (zu Beginn), Schwei-                                             Erwartete Marktauswirkungen
zer Franken, Anleihen von «safe haven»-Staa-                                                 Positiv für Aktien, Unternehmens- und
ten; negativ für Aktien, Unternehmensanleihen,                                               Schwellenländeranleihen; negativ für Staats-
EUR und Schwellenländer-Vermögenswerte.                                                      anleihen.

                                           Wirtschaftswachstum und Inflation in den Industrieländern seit 2008
                                  6
                                                                           2021

                                  4                                                                   2022 (S)
Wachstum in % gegenüber Vorjahr

                                                           2023 (S)                                                 	Stand der Weltwirtschaft
                                  2                                                                                   Ende 2021 inkl. Entwicklung
                                                                                                                      seit 2008
                                                                                      2008
                                  0                                                                                 	Erwarteter Stand der Welt-
                                                                                                                      wirtschaft Ende 2022/2023

                                                                                                                    	Durchschnittswerte seit 2000
                                  –2
                                                                                                                   (S)	LUKB-Schätzwerte

                                  –4

                                  –6
                                       0           1             2                3           4           5

                                                  Inflation in % gegenüber Vorjahr

                                                                     6 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
MARKTEINSCHÄTZUNG
Das Marktumfeld wird vorerst volatil bleiben. Selbst                          auf ein kleines Übergewicht. Auf der Gegenseite stocken
bei einem Waffenstillstand bleibt viel Unsicherheit be-                       wir die Goldposition auf zur Absicherung gegenüber
züglich der Konjunktur und Geldpolitik. Wir erwarten                          steigender Inflation und unerwarteten Schocks. Die
weiter steigende Renditen vor dem Hintergrund einer                           Anleihenquote belassen wir deutlich untergewichtet.
langsameren Wachstumsdynamik in den kommenden                                 Bei der Liquidität halten wir die Quote übergewichtet.
Quartalen. Daher reduzieren wir unsere Aktienquote

                                           Markteinschätzungen und Positionierung
                                                     per 23. März 2022

Anlageklasse                                                          Kommentar
                                                                      Im aktuellen Umfeld grösserer Unsicherheit empfehlen wir eine erhöhte
Liquidität                                                            Liquiditätsquote zur Ausnutzung von Marktopportunitäten

                                                                      Anleihen sollten im Portfolio trotz des Renditeanstiegs aufgrund des noch
Festverzinsliche Anlagen                                              anhaltenden Inflationsdrucks untergewichtet bleiben
                                                                      Trotz der deutlich gestiegenen Renditen bleiben CHF-Anleihen hoch
CHF                                                                   bewertet, weshalb wir sie untergewichten
                                                                      Im EUR sind die Anleiherenditen unattraktiv niedrig, das Risiko steigender
EUR                                                                   Renditen hat mit dem Ausblick strafferer EZB-Politik zugenommen
                                                                      Hohe Inflation dürfte die Bank of England zu weiteren Leitzinserhöhungen
GBP                                                                   veranlassen, weshalb wir GBP-Anleihen untergewichten
                                                                      Der Aufwärtsdruck auf USD-Renditen dürfte anhalten angesichts erhöhter
USD                                                                   Inflation, der kommenden Leitzinsschritte und Reduktion der Bilanzsumme
                                                                      CNY-Anleihen sind für uns ein gutes Instrument zur Diversifikation sowohl
CNY                                                                   auf der Währungs- als auch der Zinsseite
                                                                      Lokalwährungsanleihen sind durch den Ukraine-Krieg unter Druck gekommen,
Schwellenländer                                                       der Ausverkauf erscheint jedoch übertrieben

                                                                      Auch wenn sich das globale Wachstum abschwächt, stützt es die Aktienmärkte
Aktienmärkte                                                          noch. Die Risiken (Geldpolitik, Rohstoffpreise) haben jedoch zugenommen
                                                                      Schweizer Aktien sind noch relativ hoch bewertet, ihr defensiverer Sektormix
Schweiz
                                                                      rechtfertigt jedoch eine leicht erhöhte Allokation
                                                                      Wir gewichten den Eurozonen-Markt neu neutral. Dieser Markt ist stärker
Eurozone                                                              gegenüber den Auswirkungen des Ukraine-Krieges exponiert
                                                                      Aus Bewertungsperspektive bleibt der UK-Aktienmarkt attraktiv. Auch der
Grossbritannien                                                       höhere Anteil an Rohstoffwerten macht ihn im aktuellen Umfeld interessant
                                                                      Die Bewertung des US-Marktes ist zwar relativ hoch, er weist jedoch nur
USA                                                                   geringe Exponierungen gegenüber dem Ukraine-Krieg aus
                                                                      Der japanische Markt ist relativ günstig bewertet. Hohe Rohstoffpreise stellen
Japan                                                                 aber einen Gegenwind dar, weshalb wir das Übergewicht reduzieren
                                                                      Schwellenländeraktien sind niedrig bewertet. Die Unterstützungsmassnahmen
Schwellenländer                                                       in China helfen dem lokalen Markt, das Aufwärtspotenzial ist aber begrenzt

                                                                      Die Quote der nicht-traditionellen Anlagen erhöhen wir weiter über einen
Nicht-traditionelle Anlagen                                           Aufbau von Gold
                                                                      Schweizer Immobilienfonds sind hoch bewertet, stellen aber eine immer
Immobilien Schweiz                                                    noch attraktive Alternative zu CHF-Obligationen dar
                                                                      Die defensiveren REITs-Märkte der Eurozone bieten angesichts tiefer Obligatio-
Immobilien Eurozone                                                   nenrenditen und mit Blick auf relativ robustes Wachstum im Jahr 2022 Chancen
                                                                      Als Absicherung gegenüber erhöhten geopolitischen und inflationsbezogenen
Rohstoffe (ohne Agrar)                                                Risiken empfehlen wir eine Position in Energie und Metallen
                                                                      Wir bauen die Goldquote aus, die uns derzeit am ehesten geeignet scheint,
Gold                                                                  unerwartete Marktereignisse und Inflationsrisiken abzufedern

˜ Positionierung vorher ¢ stärker untergewichtet ¢ leicht untergewichtet ¢ neutral ¢ leicht übergewichtet ¢ stärker übergewichtet

                                                    ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 7
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
Konjunktur und Geldpolitik
Der Ukraine-Krieg trübt die globalen                          Konsum. Das Ausmass dieser Effekte wird von der
                                                              weiteren Entwicklung des Konflikts, der Wirkung der
Wachstumsaussichten. Hohe Roh-                                verhängten Sanktionen und möglichen weiteren
stoffpreise befeuern zwar die Infla-                          Massnahmen abhängen.
tion. Sie beeinträchtigen aber auch
                                                              Hohe Rohstoffpreise schmälern Kaufkraft
die Wirtschaft. Die Zentralbanken                             Der Handel mit russischem Erdgas und Erdöl ist bis-
agieren daher vorsichtig.                                     lang in den meisten Staaten von den Sanktionen ausge-
                                                              nommen. Dennoch verzichtet schon jetzt eine Reihe
Noch vor Ausbruch des Ukraine-Krieges zeigte die              von Unternehmen auf die Lieferungen aus Russland und
Ampel für das Wachstum der Weltwirtschaft grün.               sucht Alternativen. Das spiegelt sich in den Preisen
Konsumenten und Unternehmen blickten mehrheitlich             wider. Während der Preis für russisches Öl der Sorte
positiv in die Zukunft. Grund hierfür war u.a., dass          Urals seit Ausbruch des Krieges kaum stieg, nahm der
viele Länder die Corona-Restriktionen in den letzten          Preis für die Nordseesorte Brent deutlich zu (siehe
Monaten deutlich lockerten. Entsprechend hat die              Abbildung links). Höhere Rohstoffpreise schlagen sich
Nachfrage nach Serviceleistungen vor allem aus den            aber in höheren Verbraucherpreisen nieder und
Freizeit- und Tourismussektoren kräftig zugenommen.           schmälern damit die Kaufkraft von privaten Haushalten
Gleichzeitig ebbten die globalen Lieferengpässe ab.           und Unternehmen. Das wiederum dämpft den privaten
                                                              Konsum und die Investitionen.
Ukraine-Krieg trübt Wachstumsaussichten
Mit dem Ukraine-Krieg haben sich die Wachstumsper-            Europa stärker betroffen als andere Regionen
spektiven für die Weltwirtschaft eingetrübt. Die ukraini-     Die Wirtschaft in Europa dürfte stärker unter den
sche Wirtschaft ist zum Stillstand gekommen und die           negativen Folgen des Ukraine-Krieges leiden als andere
russische leidet stark unter den Sanktionen des Westens.      Regionen der Welt. Das hängt u.a. damit zusammen,
Beide Länder zählen zu den weltweit wichtigsten Pro-          dass die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland
duzenten und Exporteuren von Energie- und Agrar-              und der Ukraine enger sind als anderswo. So deckt der
rohstoffen. Die Preise für diverse Rohstoffe sind darum       Euroraum einen grossen Teil seines Energiebedarfs mit
bereits deutlich gestiegen. Darüber hinaus könnte der         Gas und Öl aus Russland ab. Per Saldo haben wir daher
Welthandel beeinträchtigt werden, weil Lieferketten           unsere Prognose für das Wirtschaftswachstum im
aufgrund des Krieges und der Sanktionen gestört werden.       Euroraum für dieses Jahr um 0.7 Prozentpunkte auf 3.5%
Das Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer kann nach-            gesenkt (siehe Abbildung rechts). Auch die Schweizer
haltig sinken, mit negativen Folgen für Investitionen und     Wirtschaft dürfte 2022 mit 3% schwächer wachsen, als

Ölpreise entwickeln sich auseinander                          Revision unserer BIP-Prognosen für 2022
in US-Dollar pro Fass                                         Abweichung in %-Punkten, Veränderung März vs. Februar 2022

130                                                            0.0
120                                                           –0.1
110                                                           –0.2
100
                                                              –0.3
 90
                                                              –0.4
80
                                                              –0.5
 70
                                                              –0.6
      Jan. 2022

                               Feb. 2022

                                                  Mär. 2022

                                                              –0.7
                                                              –0.8
˜ Brentöl         ˜ Urals-Öl                                         China        USA        Welt      Schweiz    Euroraum

                                           8 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
wir es bislang prognostiziert haben. Die US-Wirtschaft
sollte von den Folgen des Konflikts weniger stark
betroffen sein. Das liegt u.a. daran, dass die Handels-
beziehungen mit Russland und der Ukraine deutlich
weniger intensiv sind. Gleichzeitig zählen die USA selber
zu den grössten Gas- und Ölproduzenten der Welt.
Daher haben wir unsere Wachstumsprognose für 2022
nur moderat von 3.7% auf 3.5% reduziert. Insgesamt
haben wir unsere Prognose für das Weltwirtschafts-
wachstum für 2022 von 4.2% auf 3.8% nach unten
                                                            Brian Mandt
korrigiert. Für 2023 rechnen wir mit einem Wachstum         Chefökonom
von 3.4%.

Solide Finanzbasis bei Konsumenten                          die Zentralbanken heraus. Mit dem Ukraine-Krieg
und Unternehmen                                             haben sich jedoch die Parameter verändert. Die Gefahr
Der vom Ukraine-Krieg noch verstärkte Inflations-           besteht, dass steigende Rohstoffpreise sowohl für einen
schock trifft viele Konsumenten zu einem Zeitpunkt,         Inflationsschub sorgen als auch das Wachstum stärker
an dem sie auf grossen Ersparnisüberschüssen sitzen,        bremsen als bislang erwartet. Wächst die Wirtschaft lang-
die sie während der Pandemie angehäuft haben. Gleich-       samer, wird sich das aber auch dämpfend auf die Ent-
zeitig hat die Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlan-   wicklung der Inflation auswirken. Treten die Währungs-
tiks kräftig zugelegt. Die Einkommen sind gestiegen.        hüter in dieser Situation zu stark auf die Bremse, um die
Im Grossen und Ganzen sind die Finanzen der privaten        Inflation einzudämmen, riskieren sie, dass die Wirtschaft
Haushalte in den von uns analysierten Industrieländern      kräftiger abflaut, als sie das wünschen. Das werden die
in guter Verfassung. Selbst wenn sie mehr für Energie       Zentralbanken bei der Beurteilung ihrer Geldpolitik
und Lebensmittel zahlen müssen, haben viele Haushalte       berücksichtigen und daher vorsichtig vorgehen. Die US-
immer noch mehr Kaufkraft als sonst. Das Gleiche gilt       Notenbank (Fed) dürfte ihren Leitzins daher behutsam
für die meisten Unternehmen. Sobald der anfängliche         anheben. Die Fed könnte ihn schrittweise erhöhen, so
Schock über den Ukraine-Krieg abgeklungen ist, dürften      dass er auf Jahressicht auf 1.50–1.75% steigt. Die EZB
sich diese fundamentalen Faktoren wieder durchsetzen.       und SNB dürften sich dagegen noch Zeit nehmen und
                                                            die Leitzinsen vorerst unverändert lassen. ¢
Ärmere Schwellenländer leiden besonders
Russland und die Ukraine zählen zu sehr bedeutenden
Produzenten von landwirtschaftlichen Gütern. Auf-
grund des Krieges dürfte das Angebot an landwirtschaft-
lichen Erzeugnissen deutlich sinken. Die Nahrungsmit-
telpreise sind darum bereits gestiegen. Nahrungsmittel
haben ein hohes Gewicht in den Lebenshaltungskosten
von Schwellenländern. Die Bevölkerung gerade in den
ärmeren Schwellenländern wird also nicht nur unter den
höheren Energiepreisen, sondern vor allem auch unter          IN KÜRZE
den steigenden Nahrungsmittelpreisen leiden.
                                                              Der Ukraine-Krieg dämpft die Wachstumsaussichten –
                                                              vor allem für europäische Länder
Geldpolitik ist gefordert
Die Inflation dürfte dieses Jahr kräftiger steigen, als       Die Inflation nimmt in Folge steigender Energie- und
wir bis dato erwartet haben. So rechnen wir für die USA       Rohstoffpreise 2022 kräftig zu
für 2022 mit einer Teuerungsrate von 6.3% und für den         Die Zentralbanken reduzieren ihre expansive Geld-
Euroraum mit knapp 5%. Hohe Inflationsraten fordern           politik behutsam

                                         ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 9
Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
FOKUS

                   Der Ukraine-Krieg
             bringt ungeahnte Unsicherheit
                     Der Schock des leidvollen Ukraine-Krieges erschüttert
                        die europäische Nachkriegsordnung. Auch an
                     den Finanzmärkten steigt die Verunsicherung stark.
                        Eine gute Diversifikation bleibt entscheidend.
                                                  Björn Eberhardt Leiter Investment Office

Noch vor ein paar Wochen hätten wohl nur wenige                       Schwellenländern werden sie jedoch schnell ein exis-
geglaubt, dass sich die schlimmen Befürchtungen eines                 tenzielles Problem. Der arabische Frühling 2011 wurde
Krieges in der Ukraine bewahrheiten würden. Mittler-                  nicht zuletzt durch stark gestiegene Nahrungsmittel-
weile ist es traurige Gewissheit, dass Krieg, Zerstörung              preise und damit verbundene Hungersnöte ausgelöst.
und grosses Leid auch wieder auf europäischem Boden
stattfinden. Die Invasion Russlands in der Ukraine wird               Aufgrund der aktuell besonders ausgeprägten Schnell-
von vielen Kommentatoren als eine Zeitenwende oder                    lebigkeit der Ereignisse und Entwicklungen sowie der
Zäsur bezeichnet. Und vermutlich können wir uns der-                  Komplexität der Thematik haben wir uns entschlossen,
zeit nur ein sehr begrenztes Bild von den kommenden                   einige aus Anlegerperspektive besonders bedeutende
globalen Veränderungen ausmalen.                                      Fragen zusammenzutragen und zu beantworten.

Viele Auswirkungen des Krieges haben bereits die Finanz-              Was bedeutet der Krieg – neben seinen
märkte und die Volkswirtschaften vieler Länder erreicht.              furchtbaren humanitären Folgen – für die
Weitere dürften in den kommenden Monaten folgen und                   globale Konjunktur und Geldpolitik?
global spürbar sein, gerade aufgrund des Anstiegs vieler              Gerade für die Ukraine sind die humanitären und
Rohstoffpreise. Steigende Lebensmittelpreise sind schon               wirtschaftlichen Folgen gigantisch. Dagegen sehen die
in den Industrieländern ein wichtiges Thema. In vielen                Auswirkungen auf die übrigen europäischen Länder

Inflationsbereinigter Aussenwert des CHF                              Volatilitätsindizes von Obligationen und Aktien
Dez. 2000 = 100. Höhere Werte = Frankenstärke                         in Punkten, unterschiedliche Masseinheiten

130                                                                   175                                                      105
125                                                                   150                                                      90
120                                                                   125                                                       75
115
                                                                      100                                                      60
110
                                                                       75                                                       45
105
100                                                                    50                                                      30
 95                                                                    25                                                      15
 90                                                                     0                                                       0
      2005

              2008

                        2011

                                  2014

                                                2017

                                                         2020

                                                                            2019

                                                                                            2020

                                                                                                                 2021

                                                                                                                        2022

                                                                      ˜ Obligationen   ˜ Aktien (rechte Achse)

                                                  10 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
vergleichsweise klein aus. Das heisst jedoch nicht, dass    Abgesehen vom Schweizer Franken, der seine tradi-
sie nicht real und spürbar wären. So haben die Rohstoff-    tionelle Rolle als «sicherer Hafen» erneut ausspielen
preise merklich angezogen, sichtbar zum Beispiel in der     konnte, verloren die meisten europäischen Währungen
Entwicklung der Benzinpreise. Das bewirkt einen zusätz-     gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert, besonders
lichen Anstieg der Inflation, den wir bereits auch in der   in Osteuropa. Interessant war die Entwicklung bei
Schweiz spüren.                                             den Staatsanleihen: Üblicherweise gewinnen diese in
                                                            Krisenzeiten stärker an Wert – jedoch haben die zu-
Daneben treten Effekte, die sich aus der Unterbrechung      nehmenden Inflationssorgen dieses Mal ihre Attrak-
und Beeinträchtigung von Lieferketten ergeben. So           tivität begrenzt. Gold dagegen erfüllte seine Rolle als
mussten u.a. Automobilproduzenten ihre Produktion in        «sicherer Hafen» und zeigte einmal mehr, warum es
Tschechien oder auch Deutschland bereits herunter-          ein wichtiger Bestandteil eines gut diversifizierten
fahren, da ihnen Vorleistungsgüter ausgehen. Sowohl         Portfolios ist.
von der Rohstoffseite als auch aus den Lieferketten droht
sich damit ein sogenannter Angebotsschock zu entwi-         Die Geschwindigkeit der Markterholung nach dem Ein-
ckeln: das Angebot bzw. die Produktion verknappt sich,      bruch der ersten zwei Wochen kommt dagegen etwas
was zu einem Anstieg der Preise                                                   überraschender, da sie uns mehr
führt. Erhöhte Inflation und Lie-                                                 von Hoffnung als von einer
ferkettenprobleme dürften die           «Notenbanken müssen                       Verbesserung der Fundamental-
Konjunkturdynamik dämpfen.                                                        faktoren getrieben scheint.
                                        zwischen zwei Risiken
Während Notenbanken auf                                                            Welche langfristigen
Nachfrageschocks durch eine
                                        abwägen, die entgegen-                     Auswirkungen könnten
Veränderung der Geldpolitik             gesetzte Reaktionen                        aufgrund des Ukraine-
reagieren können, ist dies bei                                                     Krieges entstehen?
Angebotsschocks im Grunde
                                        benötigen.»                                 Hier gibt es etliche Dimensio-
nicht möglich. Lieferkettenprob-                                                    nen, entlang welcher der Krieg
leme oder verminderte russische                                                     längerfristige Effekte mit sich
Energieexporte haben nichts mit der Geldpolitik zu          bringen wird, jede mit ihrer eigenen Komplexität. Viel
tun. Für die Notenbanken gilt es also zwischen zwei         wurde darüber geschrieben, dass der Kriegsausbruch
Risiken abzuwägen, die jeweils eine entgegengesetzte        für Westeuropa auch die seit Ende des Kalten Krieges
Geldpolitik erfordern würden: konjunkturelle Verlang-       bestehende sogenannte «Friedens-Dividende» in
samung und zunehmende Inflation. Welches der beiden         Europa beendet. So haben europäische Länder in den
schwerer wiegt, werden die kommenden Monate zei-            vergangenen Wochen bereits eine Aufstockung ihrer
gen. Im Moment scheinen die Notenbanken noch eher           Wehretats angekündigt. Ferner dürften die Bemühun-
die Inflationsrisiken im Fokus zu haben, insbesondere       gen, ein partnerschaftliches Verhältnis mit Russland
die US-Fed.                                                 aufzubauen, auf absehbare Zeit unterbrochen bleiben.
                                                            Die Gefahr eines neuen Kalten Krieges bzw. eines neuen
Wie schätzen Sie die Marktentwicklungen                     «Eisernen Vorhangs» in Europa ist damit äusserst real.
seit Ausbruch des Krieges ein?                              Ein positiver Effekt könnte sein, dass es die Solidarität
Die Reaktion der Finanzmärkte in den ersten zwei            der europäischen Staaten miteinander wieder stärkt,
Wochen nach Kriegsausbruch war in weiten Teilen gut         insofern, als Russland nun von den meisten Ländern als
nachvollziehbar. So stiegen die Rohstoffpreise sehr deut-   eine Gefahr wahrgenommen wird und nicht nur von
lich, da Russland und die Ukraine bedeutende Rohstoff-      den osteuropäischen, die vor solchen Entwicklungen ja
produzenten sind – bei Energie, Metallen und Nahrungs-      bereits seit Jahrzehnten warnen. Schwer einschätzbar
mitteln. Die starke Verteuerung von Rohstoffen verbun-      bleibt das russisch-chinesische Bündnis. Russland ist
den mit dem Risiko langsameren globalen Wachstums           hier klar der Junior-Partner und droht sich in eine Ab-
verunsicherte die Aktienmärkte und führte dazu, dass        hängigkeit zu begeben, die längerfristig recht teuer
Aktien stark unter Druck gerieten, gerade in Europa.        werden könnte.

                                        ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 11
Zeitenwende – Der Ausgang des Ukraine-Krieges wird mitentscheiden, welchen Weg Europa und die Welt nehmen.
Der Krieg hat zudem vor Augen geführt, welche Ab-           Der Franken hat zum Euro wieder aufgewertet.
hängigkeit vom ressourcenreichen Russland besteht,          Was sind die Folgen für die Schweizer Wirt-
insbesondere bei Energieträgern. Nachdem Deutsch-           schaft, und wie könnte sich der Wechselkurs
land nach langem Zögern schliesslich doch die Zer-          weiter entwickeln?
tifizierung der Pipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt       Trotz des zwischenzeitlichen Erreichens der Parität
hat, stellt sich die drängende Frage, auf welche Weise      ist das Ausmass der Frankenaufwertung seit Ausbruch
die Energieversorgung für Bevölkerung und Industrie         des Krieges relativ überschaubar und dürfte auf den
sichergestellt werden kann. Das dürfte den Wandel hin       aktuellen Niveaus noch keine grösseren negativen Aus-
zu klimafreundlichen Technologien und erhöhter Ener-        wirkungen auf die Schweizer Konjunktur haben (siehe
gieeffizienz deutlich beschleunigen und massive Inves-      Abbildung links, Seite 10). Zudem handelt es sich um
titionen in den kommenden Jahren auslösen. Daneben          eine Euro-Schwäche – der US-Dollar hat zum Franken
dürften aber auch Kernenergie und Flüssiggasimporte         sogar aufgewertet. Das entschärft die Situation aus Sicht
aus Nordamerika und dem Nahen Osten eine Rolle              der SNB etwas. Auch wenn sie nahe der Parität offen-
spielen. Klar ist auch: die Abhängigkeit wird sich nicht    sichtlich stützend eingriff: Wir rechnen nur dann mit
über Nacht beseitigen lassen, ohne dass dies grössere       verstärkten Interventionen der SNB, falls der Franken
wirtschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde.        zu schnell und in der Breite aufwerten würde. Auf die
                                                            Inflation hat der starke Franken zudem leicht dämpfende
Auch die Risiken des US-Dollar-zentrierten globalen         Effekte. Auf Sicht der kommenden Monate dürfte sich
Währungssystems sind deutlich sichtbar geworden.            der Franken nahe des aktuellen Niveaus bewegen, u.a. da
Dass ein wesentlicher Teil der russischen Währungs-         er als «sichere Hafen»-Anlage gefragt bleiben dürfte.
reserven in USD und EUR eingefroren werden konnte,
dürfte für Länder wie China                                                        Wie sollte man Anlage-
einen starken Anreiz setzen, eine                                                  portfolios für die nächsten
möglichst breite Diversifikation                                                   Monate ausrichten?
ihrer Reserven anzustreben, um
                                        «Die Sanktionen                            Welche Chancen und Risi-
im Zweifelsfall nicht die gleichen      gegenüber Russland                         ken sehen Sie?
Probleme wie Russland zu erfah-                                                     Die Unsicherheit an den Finanz-
ren. Das könnte z.B. für den CNY
                                        dürften selbst nach                         märkten wird vorerst hoch blei-
einen weiteren Liberalisierungs-        einem Waffenstillstand                      ben – aufgrund des Krieges, aber
schub auslösen.                                                                     auch wegen der hohen Inflation
                                        weitgehend Bestand                          und damit der Ausrichtung der
Welche Szenarien sehen Sie              haben.»                                     Zentralbankpolitik. Eine gut
für die kommenden Monate                                                            durchdachte Diversifikation über
als wahrscheinlich an?                                                              die Anlageklassen hinweg ist
Über den Kriegsverlauf selbst und                                                   damit sehr bedeutend, vor allem
welches Ergebnis er bringen könnte, lässt sich nur          wenn Staatsanleihen ihre Funktion als «sicherer Hafen»
spekulieren. Das Risiko langanhaltender Kampfhand-          nicht vollständig erfüllen können. Aus unserer Sicht
lungen erscheint aktuell leider noch sehr hoch. Selbst      sind Gold und Rohstoffe wichtige Portfoliokomponen-
im Fall eines Waffenstillstands dürfte sich an der Sank-    ten, um sich gegenüber der Inflation und den geo-
tionspolitik des Westens gegenüber Russland unter           politischen Risiken etwas abzusichern. Anleihen soll-
seiner aktuellen Führung kaum etwas ändern. Die wirt-       ten im Portfolio derzeit noch tiefer gewichtet bleiben,
schaftlichen Verwerfungen und Russlands De-facto-           da wir das Risiko weiter steigender Zinsen sehen.
Ausschluss aus der westlichen Wirtschaftswelt dürften       Aktien sollten leicht über der strategischen Quote
damit bestehen bleiben. In unserem Basisszenario ge-        berücksichtigt werden, denn sie bieten einen gewissen
hen wir derzeit von Wachstum über Trend im laufenden        Inflationsschutz, und wir denken, dass das globale
Jahr aus, bei erhöhter Inflation. Viel wird jedoch vom      Wachstum ausreichend hoch ausfallen dürfte, um die
Krieg und der Entwicklung der Rohstoffpreise abhängen:      Aktienmärkte auf den aktuellen Niveaus zu unterstützen.
Ein starker dauerhafter Anstieg erhöht die Abwärts-         Wir raten jedoch auch vorerst zu einer erhöhten Liqui-
risiken, während eine deutliche Entspannung dagegen         ditätsquote, um Opportunitäten bei Marktrücksetzern
eine Zunahme der Dynamik erlauben würde.                    nutzen zu können. ¢

                                        ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 13
Festverzinsliche Anlagen
                                                                              Staatsanleihen stecken im Spannungsfeld von
                                                                              Wachstums- und Inflationssorgen. Unternehmens-
                                                                              anleihen bieten mittlerweile wieder höhere
                                                                              Risikoprämien. Der Ausverkauf in Schwellenlän-
                                                                              deranleihen scheint übertrieben.

                                                                              Die Verunsicherung aufgrund des Ukraine-Krieges, steigender Rohstoffpreise
                                                                              und der immer noch bestehenden Aussicht auf eine straffere US-Geldpolitik
Björn Eberhardt                                                               haben zu einem weiteren Anstieg der Volatilität an den Märkten für Fest-
Leiter Investment Office
                                                                              verzinsliche Anlagen geführt. Zu den bemerkenswertesten Entwicklungen
                                                                              zählt eine eher gering ausgeprägte Flucht in Staatsanleihen als «sicherer
                                                                              Hafen», ein deutlicher Anstieg der Risikoprämien von Unternehmensanleihen
                                                                              und eine Korrektur von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung.

Staatsanleihen zwischen                                                       Die Entwicklung der Renditen von Staatsanleihen in den einzelnen Haupt-
Risikoaversion und Inflations-                                                märkten weist einige recht interessante Tendenzen auf. Zunächst fällt auf,
sorgen                                                                        wie vergleichsweise wenig die Renditen auf den Kriegsausbruch reagiert
                                                                              haben. Die Rendite 10-jähriger CHF-Anleihen sank zum Beispiel nur relativ
                                                                              geringe 10 Basispunkte in den ersten zwei Kriegswochen und blieb mit
                                                                              0.2% im positiven Bereich. Noch zu Jahresbeginn war die Rendite mit –0.14%
                                                                              deutlich tiefer. Im EUR und USD war die Renditebewegung vom Ausmass
                                                                              vergleichbar. Eine Erklärung dafür dürften die stark gestiegenen Rohstoff-
                                                                              preise sein, die vorerst die Inflationsraten deutlich erhöhen werden. Das
                                                                              schmälert die Attraktivität von Anleihen erheblich.

                                                                              Gerade in den USA hat die Notenbank zudem bereits signalisiert, dass sie
                                                                              aufgrund der guten Binnenkonjunktur und erhöhten Inflation die Straf-
                                                                              fung der Geldpolitik weitgehend wie geplant vornehmen dürfte. Die Märkte
                                                                              blicken dieser Perspektive mit Skepsis entgegen, was sich daran zeigt, dass
                                                                              sich die Zinskurve im USD deutlich verflacht hat. Hier herrscht die Sorge,

Osteuropäische Lokalwährungsanleihen                                                                        Renditen CHF-Anleihen nach Kreditqualität
in USD, 01.01.2021 = 100, Gesamtrendite                                                                     in %, Laufzeit 5–7 Jahre

110                                                                                                          2.0

100                                                                                                          1.5
                                                                                                             1.0
 90
                                                                                                             0.5
 80
                                                                                                             0.0
 70                                                                                                         –0.5
 60                                                                                                         –1.0
                                                                                                                   Jan. 2020

                                                                                                                                                    Jan. 2021
                                                                                                                                    Juli 2020

                                                                                                                                                                Juli 2021

                                                                                                                                                                            Jan. 2022
      Jan. 2021

                  Mär. 2021

                                  Mai 2021

                                                Juli 2021

                                                            Sep. 2021

                                                                        Nov. 2021

                                                                                    Jan. 2022

                                                                                                Mär. 2022

˜ Tschechien                  ˜ Polen        ˜ Ungarn                                                       ˜ Rating A         ˜ Rating AA      ˜ Rating AAA

                                                                              14 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
dass die US-Notenbank überschiessen und ein deutliches Einbremsen der
US-Wirtschaft auslösen könnte.

Ein positives Zeichen in all der Volatilität der vergangenen Wochen war die     Stabile Risikoprämien
relative Stabilität der Risikoprämien innerhalb der Eurozone. Auch wenn der     in der Eurozone
EUR zum Franken und USD deutlich Federn lassen musste, so war der Grund
anscheinend nicht Sorgen um den Bestand der Gemeinschaftswährung,
sondern eher die Einschätzung, dass das Wachstum der Eurozone vom Krieg
besonders betroffen sein wird und die EZB daher noch längere Zeit bei
ihrer Negativzinspolitik bleiben dürfte, während die US-Fed bereits die Zins-
erhöhungen vornimmt. Dazu beitragen dürfte auch, dass es Bestrebungen
gibt, die Lasten aufgrund der gestiegenen Energiepreise und Verteidigungs-
kosten auf EU-Ebene gemeinschaftlich anzugehen.

Der Ausblick für die Renditen von Staatsanleihen ist stark abhängig von
dem für Wachstum und Inflation. Da die gestiegenen Rohstoffpreise einen
angebotsseitigen Schock darstellen, der wachstumsdämpfende Effekte mit
sich bringt, erwarten wir aus heutiger Sicht nur moderat steigende Renditen.
Gleichzeitig begrenzt der ungünstige Inflationsblick das Potenzial für sin-
kende Renditen. Die Volatilität dürfte entsprechend hoch bleiben. Je länger
die Phase sehr hoher Rohstoffpreise anhält, desto grösser dürften die
negativen Wachstumseffekte ausfallen.

An den Märkten für Unternehmensanleihen hat sich in den vergangenen             Erhöhte Risikoaversion
Wochen ein markanter Anstieg der Risikoprämien vollzogen (siehe Abbildung       bei Unternehmens- und
rechts). Gerade im tiefsten Investment-Grade-Segment sind die Prämien           Lokalwährungsanleihen
wieder auf Niveaus, ähnlich denen nach einer sehr unruhigen Marktphase
Ende 2018. Im EUR sind die Prämien dabei nicht mehr sehr weit von den
Hochs vom März 2020 entfernt, als der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie
die Märkte belastete. Besonders unter Druck gerieten Energieunternehmen
(u.a. wegen der Abschreibungen auf russische Beteiligungen) und Versiche-
rungen. Ähnlich wie bei den Aktienmärkten gilt auch hier, dass es wohl
noch zu früh ist für ein klares Einstiegssignal. Die konjunkturellen Aussich-
ten haben sich aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise eingetrübt, was
höhere Prämien aufgrund gestiegener Ausfallrisiken rechtfertigt.                 IN KÜRZE
                                                                                 Trotz eines Renditeanstiegs sind
Die Märkte von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung kamen seit
                                                                                 Staatsanleihen immer noch hoch
Kriegsbeginn sehr deutlich unter Druck. Dazu trug zum einen der vorerst          bewertet, und es besteht das
komplette Einbruch des russischen Marktes bei, zum anderen litten auch die       Risiko weiter steigender Zinsen
Währungen und Anleihen in osteuropäischen Ländern wie Polen, Ungarn
                                                                                 Anstieg der Risikoprämien hat
und sogar Tschechien (siehe Abbildung links). In anderen Märkten zeigten         Bewertung von Unternehmens-
sich ebenfalls Zeichen zunehmender Risikoaversion, allerdings waren diese        anleihen verbessert, aber weitere
schwächer ausgeprägt als in Osteuropa. Was den Ausblick dieser Anlagen           Ausweitung wegen Konjunktur-
anbelangt, so empfiehlt sich eine genaue Selektion der einzelnen Märkte          risiken möglich
und Produkte. Einige Schwellenländer könnten beispielsweise von hohen            Ausverkauf von Schwellenländer-
Rohstoffpreisen profitieren. Insgesamt erscheint uns das Ausmass des             anleihen erscheint übertrieben und
Einbruchs übertrieben. ¢                                                         öffnet Raum für Opportunitäten

                                        ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 15
Aktienmärkte
Die Aktienmärkte haben in den                                                              Eurozone aufgrund der deutlich stärkeren Verflechtun-
                                                                                           gen mit Russland. In den USA hingegen dürften sich die
letzten Wochen zeitweise deutlich                                                          Gewinnerwartungen im Vergleich stabiler zeigen.
korrigiert, die Gewinnerwartungen
sind jedoch noch wenig verändert.                                                          Entscheidend für das Ausmass der Gewinnrevisionen ist
                                                                                           auch die Sektorzusammensetzung eines Aktienmarktes.
Je nach Sektor und Verflechtung mit                                                        Aufgrund des hohen Engagements in den Bereichen
Russland dürften die Revisionen                                                            Energie und Rohstoffen lässt der britische Aktienmarkt
variieren.                                                                                 eine relativ stabile Gewinnentwicklung erwarten.
                                                                                           Auch für den Schweizer Aktienmarkt erwarten wir auf-
Nach dem Kriegsausbruch haben die Aktienmärkte der                                         grund der defensiven Sektorausrichtung überschaubare
Eurozone und der Schwellenländer mit 11.8% bzw. 9.1%                                       Gewinnrevisionen. Daraus ergeben sich Investitions-
(per 8. März 2022) in der Spitze am stärksten korrigiert.                                  gelegenheiten. Aktienmärkte mit stabilen Gewinnerwar-
Dies, weil gerade die Länder der Eurozone stark von                                        tungen dürften einen stabileren Kursverlauf aufweisen
russischen Energie- und Rohstofflieferungen abhängig                                       bzw. allfällige Kursdellen rasch wieder aufholen. Bei
sind und sich hier grosse Unsicherheiten auftaten. Auch                                    den Schwellenländermärkten bleibt die Unsicherheit
in anderen Geschäftsbereichen sind Unternehmen aus                                         gerade am chinesischen Markt aufgrund der Ausbreitung
der Eurozone oftmals stärker mit Russland verknüpft                                        des Coronavirus sowie regulatorischer Massnahmen
als zum Beispiel US-Unternehmen. Dementsprechend                                           erhöht, was aus unserer Sicht auch das Kurspotenzial
überrascht es nicht, dass der US-Aktienmarkt in der                                        begrenzt.
Phase des grössten Ausverkaufs nur ein eher kleines
Minus von 1.4% zeigte.                                                                     Sektoreinstufung
                                                                                           Angesichts der ungewissen Entwicklungen in der
Gewinnrevisionen zu erwarten                                                               Ukraine, der erhöhten Volatilität und möglicher Sank-
Ein wichtiger Treiber für eine nachhaltige Kursperfor-                                     tionen gegenüber Russland lohnt es sich, ein Aktien-
mance eines Aktienmarktes ist die Entwicklung der                                          portfolio aus Sektorsicht defensiver auszurichten.
Gewinnerwartungen. Wir gehen davon aus, dass diese                                         Dementsprechend heben wir die Sektoreinstufung des
in den kommenden Wochen nach unten angepasst wer-                                          Gesundheitswesens und des nichtzyklischen Kon-
den. Die Gründe dafür sind die abnehmende Konjunk-                                         sums auf «übergewichten» an. Die LUKB Einstufung
turdynamik sowie steigende Kosten, beispielsweise für                                      der Sektoren Finanzen und Technologie werden auf
Energie, Rohstoffe, Transport, Verpackung und Logis-                                       «neutral» reduziert. Die übrigen Einstufungen bleiben
tik. Den ausgeprägtesten Rückgang erwarten wir in der                                      unverändert.

Gewinnerwartungen 2022                                                                     Kursentwicklung seit Jahresbeginn 2022
indexiert auf 100 per 04.02.2021                                                           in CHF, indexiert auf 100 per 31.12.2021

125                                                                                        110
120                                                                                        105
115                                                                                        100
                                                                                            95
110
                                                                                            90
105                                                                                         85
100                                                                                         80
 95                                                                                         75
      Feb. 2021

                  Apr. 2021

                              Juni 2021

                                          Aug. 2021

                                                      Okt. 2021

                                                                   Dez. 2021

                                                                               Feb. 2022

                                                                                                 31.12.21

                                                                                                            14.01.22

                                                                                                                       28.01.22

                                                                                                                                      11.02.22

                                                                                                                                                 25.02.22

                                                                                                                                                            11.03.22

˜ Grossbritannien  ˜ USA  ˜ Eurozone  ˜ Schweiz                                            ˜ Grossbritannien  ˜ USA  ˜ Eurozone  ˜ Schweiz
˜ Schwellenländer                                                                          ˜ Schwellenländer

                                                                  16 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Sektor                                LUKB-Einstufung
Energie                               übergewichten
Finanzen                              neutral
Gesundheitswesen                      übergewichten
Immobilienwerte                       neutral
Industrie                             neutral
Kommunikation                         untergewichten
Nichtzyklischer Konsum                übergewichten
Roh- und Grundstoffe                  übergewichten
Technologie                           neutral
                                                              Reto Lötscher
Versorger                             untergewichten          Leiter Finanzanalyse
Zyklischer Konsum                     neutral

Der Energiesektor wird weiterhin von erhöhten Energie-        aufgeschoben. Zudem sind Gesundheitsunternehmen
preisen profitieren. Sollten die Sanktionen gegenüber         derzeit nicht mehr teuer bewertet. Die Pharmaschwer-
Russland auf Öl und Gas ausgeweitet werden, ist auch ein      gewichte weisen im relativen Vergleich sogar eine güns-
weiterer Anstieg der Energiepreise nicht auszuschliessen.     tige Bewertung auf. Mittel- bis langfristig profitiert der
Dadurch werden diversifizierte Ölmultis von höheren           Gesundheitssektor von seiner hohen Innovationskraft
Gewinnen und höheren Mittelzuflüssen profitieren. Zwar        und strukturellen demografischen Trends (zum Beispiel
sind einige europäische integrierte Ölkonzerne in Russ-       höhere Lebenserwartung, steigender Wohlstand).
land engagiert und werden zum Teil milliardenschwere
Abschreibungen vornehmen müssen, diese Erkenntnis             In einem Umfeld hoher geopolitischer Risiken und ab-
ist in den gegenwärtigen Kursniveaus und Gewinnerwar-         nehmender Konjunkturdynamik bieten Unternehmen
tungen aber reflektiert.                                      aus dem Sektor des nichtzyklischen Konsums in einem
                                                              diversifizierten Portfolio einen stabilen Anker. Wir
Der Sektor Roh- und Grundstoffe ist im Vergleich zum          bevorzugen Nahrungsmittelhersteller. Ihnen dürfte es
Gesamtmarkt attraktiv bewertet. Innerhalb des Sektors         mit der Zeit gelingen, höhere Rohstoff-, Verpackungs-
bevorzugen wir Bergbauunternehmen, die in stabilen            und Logistikkosten an den Kunden weiterzuleiten, auch
Regionen (Australien oder Nordeuropa) tätig sind und          wenn diese vorübergehend die Margen belasten wer-
über starke Bilanzen verfügen. Die Sanktionen gegen-          den. Wir sehen weiterhin davon ab, in Tabakhersteller
über Russland führen zu deutlich höheren Rohstoff-            zu investieren, auch wenn diese günstig bewertet sind.
preisen. Die Umstellung auf neue Energieformen, die           Die zunehmenden Regulierungen und das steigende
Elektromobilität, die Herstellung von Speicherkapazitä-       Gesundheitsbewusstsein werden die Nachfrage nach
ten (Batterien) sowie der Bedarf an neuen Stromnetzen         Tabakprodukten belasten. ¢
werden die Nachfrage nach verschiedenen Metallen
langfristig treiben. Ebenfalls attraktiv sind Industriegas-
unternehmen. Ihr Geschäftsmodell (wenig Konkurrenz,
hohe Eintrittsbarrieren, diversifizierte Kundenbasis) ist
krisenfest und ermöglicht stetige Preiserhöhungen.              IN KÜRZE
                                                                Unternehmen und Regionen mit Russland-Verflech-
Der Gesundheitssektor zeichnet sich durch eine geringe          tungen unter Druck
Konjunktursensitivität und defensive Eigenschaften
                                                                Gewinnrevisionen nach unten stehen an
aus. Denn Medikamente und Gesundheitsprodukte wer-
den unabhängig von der Wirtschaftslage nachgefragt.             Investitionsgelegenheit in Sektoren mit stabilen
Kurzfristig dürfte der Gesundheitssektor von Nachhol-           Gewinnerwartungen
effekten profitieren. So wurden aufgrund der Corona-            Bevorzugte Sektoren: Energie, Roh- und Grundstoffe,
virus-Pandemie u.a. Arztbesuche oder Operationen                Gesundheitswesen sowie nichtzyklischer Konsum

                                          ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 17
Rohstoffe
Der Ukraine-Krieg und die Sanktio-                              Massiver Ölpreis-Anstieg aus Angst vor
                                                                möglichen Sanktionen
nen gegenüber Russland haben die                                Der Ukraine-Krieg hat die Abhängigkeit Europas von
Preise vieler Rohstoffe ansteigen                               russischem Öl und Gas aufgezeigt. Deutschland bezieht
lassen. Die Risiken für die Konjunk-                            ca. die Hälfte seines Gasverbrauchs aus Russland und
                                                                auch der Rest Europas wäre von einem Ausfall der rus-
tur haben dadurch ebenfalls zuge-                               sischen Produktion stark betroffen. Rohöl könnte teil-
nommen. Wir gehen von gut unter-                                weise durch andere Beschaffungskanäle kompensiert
stützten Rohstoffpreisen aus.                                   werden, da es im Gegensatz zu Gas nicht an Pipelines
                                                                gebunden ist. Erdgas hingegen kann ansonsten nur noch
                                                                in Form von LNG (liquified natural gas, d.h. Flüssiggas)
Die jüngsten Preissteigerungen bei vielen Rohstoffen            transportiert werden, das durch Schiffe nur an wenigen
sind hauptsächlich durch die geopolitischen Entwick-            speziell dafür vorgesehenen Hafenstationen ausgeladen
lungen beeinflusst. Der Ukraine-Krieg und die Sank-             werden kann. Somit ist kurzfristig keine vollständige
tionen gegen Russland einerseits sowie kriegsbedingte           Kompensation möglich. Eine Einschränkung des Kon-
Produktionseinstellungen in der Ukraine andererseits            sums und somit eine Verlangsamung der Konjunktur-
führen zu Befürchtungen, dass viele Rohstoffe knapp             dynamik wären die Folgen. Diese Situation liess die
werden könnten. Denn sowohl Russland als auch die               Preise von Öl der Sorte Brent um fast 30% auf beinahe
Ukraine gehören zu den weltweit grössten Produzenten            USD 130 pro Barrel und somit den höchsten Stand seit
und Exporteuren vieler Rohstoffe. So ist Russland zum           2008 steigen. Gas verteuerte sich nicht zuletzt wegen
Beispiel einer der grössten Exporteure von Aluminium            des Stopps für die Zertifizierung der Pipeline «Nord
und gehört zu den grössten Öl- und Gasförderern so-             Stream 2» ebenfalls markant.
wie Palladium- und Nickelproduzenten. Die Ukraine
ist ebenfalls eines der führenden Erzeugerländer im             Diese sehr hohen Preisniveaus sind unseres Erachtens
Agrarbereich. Deshalb haben viele Rohstoffpreise                jedoch nicht nachhaltig. Einerseits deuten technische
Anfang März neue Höchststände erreicht bzw. waren               Faktoren auf einen sehr angespannten Ölmarkt hin.
seit langem nicht mehr so teuer wie kurz nach Kriegs-           Andererseits konnten rekordhohe Ölpreise historisch
beginn. So stiegen u.a. Palladium, Nickel und Kupfer            aufgrund eines sich in der Folge abschwächenden
auf zeitweise neue Allzeithochs. Seit Kriegsausbruch            Wirtschaftsausblicks nicht lange gehalten werden.
wurde Erdöl zwischenzeitlich ca. 30% teurer, Gas sogar          Ankündigungen der Internationalen Energieagentur
mehr als doppelt so hoch bewertet.                              und der Vereinigten Arabischen Emirate, Notreserven
                                                                zu verkaufen bzw. die Produktion auszuweiten, könn-

Ausgewählte Rohstoffpreise                                      Nickelpreis
indexiert. Januar 2022 = 100                                    USD je Tonne

170                                                             60’000
160
                                                                50’000
150
140                                                             40’000
130
                                                                30’000
120
110                                                             20’000
100
                                                                10’000
 90
 80                                                                 0
      Jan. 2022

                               Feb. 2022

                                               Mär. 2022

                                                                         2000

                                                                                2004

                                                                                       2008

                                                                                                2012

                                                                                                        2016

                                                                                                                 2020

˜ Brentöl  ˜ Weizen  ˜ Palladium  ˜ Aluminium  ˜ Gold

                                            18 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
ten ebenfalls für Entspannung sorgen. Auch Diskus-
sionen um zusätzliche Ölfördermengen aus dem Iran
oder Saudi-Arabien könnten zu einer Ausweitung des
Angebots führen. Aber selbst dann gehen wir davon
aus, dass die Ölpreise sich zwar etwas entspannen, aber
immer noch auf erhöhtem Niveau verharren dürften.

Auch einige Edelmetalle glänzten
Palladium konnte seit Jahresanfang eine herausragende
Performance von ca. 35% verzeichnen. Nach Kriegsbe-
                                                           Andreas Müller
ginn verteuerte es sich zwischenzeitlich um 33% auf        Analyst Rohstoffe
über USD 3’400 pro Unze. Grund dafür war die Furcht
vor Sanktionen gegenüber Russland, dem zweitgrössten
Palladiumproduzenten. Damit ist auch die Differenz         Kupfer dürfte aufgrund der sich insbesondere in
zwischen dem Palladium- und dem Platinpreis auf einen      China verlangsamenden Wirtschaft wieder nachlassen.
Rekord angestiegen. Da beide Metalle in der Automobil-     Das Angebot an Aluminium wird aufgrund der hohen
industrie für Katalysatoren verwendet werden, könnte       Energiekosten in der Produktion beschränkt bleiben und
eine Substitution des teuren Palladiums einsetzen. Dies    dem Preis Unterstützung bieten.
und die sich aufgrund von Lieferkettenschwierigkeiten
aktuell wieder abschwächende Automobilproduktion           Insgesamt erwarten wir, dass die Lage an vielen Rohstoff-
werden die Nachfrage nach Palladium belasten.              märkten angespannt bleiben dürfte. Die Preissteige-
                                                           rungen in den ersten zwei Wochen des Ukraine-Krieges
Der Anstieg von Gold um zwischenzeitlich ca. 5% seit       waren äusserst rasant und vor allem panikgetrieben.
Kriegsausbruch ist nahezu bescheiden. Die Kriegsprämie     Die Korrektur seitdem hat entsprechend nicht überrascht.
und die Angst vor Inflation trieben die Preise dennoch     Mittelfristig dürften viele Rohstoffpreise jedoch funda-
auf Niveaus, die zuletzt zu Beginn der Corona-Krise er-    mental gut unterstützt bleiben. ¢
reicht wurden. Aufgrund der wieder deutlich gesunkenen
Realrenditen und der bestehenden wirtschaftlichen
Unsicherheit dürfte Gold gut unterstützt sein.

Bei den Industriemetallen stand Nickel
im Fokus
Der Nickelpreis hat sich Anfang März vervielfacht und
ist von ca. USD 30’000 pro Tonne ganz kurzzeitig auf
ca. USD 100’000 angestiegen. Der Handel an der London
Metal Exchange (LME) wurde in der Folge vorüberge-
hend suspendiert und diverse Transaktionen annulliert.
Grund waren massive Käufe einiger Investoren und             IN KÜRZE
Industriekonglomerate, die zu Absicherungszwecken
                                                             Ukraine-Krieg und mögliche Sanktionen liessen die
Leerverkäufe eingegangen waren. Aufgrund der anstei-
                                                             Preise vieler Rohstoffe deutlich ansteigen
genden Preise mussten diese Positionen geschlossen
werden. Dabei haben insbesondere einige grosse chine-        Eine Normalisierung nach Preisübertreibungen wegen
                                                             ihrer negativen Konjunkturfolgen wahrscheinlich
sische Nickel- und Stahlproduzenten massive Verluste
erlitten.                                                    Gold könnte aufgrund der anhaltenden Unsicherheit
                                                             gut unterstützt bleiben
Auch die übrigen Basismetalle wie Kupfer und Aluminium       Öl dürfte sich vorerst ebenfalls auf erhöhtem Niveau
verzeichneten starke Preisanstiege. Die Nachfrage nach       bewegen

                                       ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 19
Immobilien
Der Preisdruck für Wohneigentum                                   Robuste Nachfrage nach Wohneigentum
                                                                  Der kräftige Preiszuwachs beruht darauf, dass die Nach-
bleibt 2022 aufgrund des hohen                                    frage nach Wohneigentum unverändert hoch ist. Die Ver-
Nachfrageüberhangs bestehen.                                      besserungen auf dem Arbeitsmarkt, die positive Netto-
Schweizer Immobilienfonds profi-                                  zuwanderung und die konjunkturelle Erholung stützen
                                                                  die Nachfrage. Auch wenn die Zinsen für langfristige Hy-
tieren von stabilen Ausschüttungen.                               potheken in den letzten Wochen aufgrund der weltweit
Wir erachten europäische Immo-                                    anziehenden Inflation gestiegen sind, bleiben die Finan-
bilienaktien als interessant.                                     zierungskonditionen im historischen Kontext attraktiv.
                                                                  Wir sehen gute Chancen, dass diese Faktoren über die
                                                                  nächsten Monate intakt bleiben. So dürfte das Finanzie-
Die Suche nach einem Eigenheim gestaltet sich zuneh-              rungsumfeld insgesamt recht günstig bleiben, denn die
mend herausfordernd. Zum einen war der Nachfrageüber-             SNB dürfte vorerst mit einer Leitzinserhöhung zuwarten.
hang 2021 mit einem kräftigen Preisanstieg verbunden,             Die Frühindikatoren für die Schweizer Wirtschaft sind
zum anderen haben sich die Hypothekarzinssätze von den            von den Hochständen zwar etwas zurückgekommen,
Tiefstständen gelöst, was die Finanzierung teurer macht.          deuten jedoch auf ein überdurchschnittliches Konjunk-
Unseres Erachtens dürften diese Trends 2022 anhalten.             turwachstum im laufenden Jahr hin. Alles in allem sind
Am Mietwohnungsmarkt erwarten wir, dass sich der                  die Treiber für die Nachfrage nach Wohnraum intakt.
Leerstand weiter verringert, da auch hier das Wachstum
beim Angebot mit der Nachfrage nicht mithalten kann.              Geringere Bautätigkeit – tieferer Leerstand
                                                                  Die abnehmende Bautätigkeit im Eigenheimmarkt ist
Kräftiger Preiszuwachs bei Wohneigentum                           nichts Neues. Es ist ein Trend, der sich seit mehreren
Bei Wohneigentum hat sich der Preisanstieg zum Jahres-            Jahren abzeichnet. Zu den Gründen dafür zählen unter
ende 2021 noch einmal deutlich akzentuiert. So zeigen             anderem ein Fokus auf den Bau von Mietwohnungen,
Daten des privaten Immobiliendienstleisters IAZI bei              eine abnehmende Verfügbarkeit von Bauland und teil-
Einfamilienhäusern im 4. Quartal 2021 ein Preiswachs-             weise Lieferengpässe bei verschiedenen Baumaterialien.
tum von 2.2% im Quartalsvergleich sowie von 7.3% auf              Unseres Erachtens dürfte das zusätzliche Angebot bei
Jahresbasis. Letzteres ist der höchste Wert seit 2012. Ein        Wohneigentum im laufenden Jahr wiederum von der
ähnlich dynamisches Bild zeigt sich auch bei Eigentums-           Nachfrage gut absorbiert werden. Am Markt für Miet-
wohnungen, die sich im Quartalsvergleich um 1.5% und              wohnungen sieht es ebenfalls danach aus, dass die Zusatz-
zum Vorjahr um 5.1% verteuerten.                                  nachfrage nach Wohnungen das neu hinzugekommene

Preisentwicklung Wohneigentum Schweiz                             Entwicklung von Schweizer Immobilienfonds
in Prozent zum Vorjahr. IAZI-Indizes                              Gesamtrendite, indexiert, Juli 2021 = 100

20.0                                                              109
15.0                                                              106
10.0                                                              103
  5.0                                                             100
  0.0                                                              97
 –5.0                                                              94
–10.0                                                              91
        2001

                2005

                            2009

                                       2013

                                                2017

                                                         2021

                                                                        Juli 2021

                                                                                     Sep. 2021

                                                                                                    Nov. 2021

                                                                                                                Jan. 2022

                                                                                                                              Mär. 2022

                                                                  ˜ Wohnimmobilien (Swisscanto Ifca)   ˜ Immobilienfonds CH gesamt  
˜ Einfamilienhäuser    ˜ Eigentumswohnungen                       ˜ Logistik (CS LogisticsPlus)

                                              20 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Angebot wie im Vorjahr übertreffen könnte und so der
Leerstand auf dem Mietwohnungsmarkt weiter rückläu-
fig sein wird.

Schweizer Immobilienfonds – interessante
Ausschüttungsrenditen
Das Gros der Schweizer Immobilienfonds hat sich im
1. Quartal 2022 bislang seitwärts bis leicht negativ ent-
wickelt. Der breite Schweizer Immobilienfondsindex
notiert seit Jahresbeginn etwas tiefer. Neben gestiegenen
                                                            Tom Eyer
Zinsen dürfte das durch die Ukraine-Krise ausgelöste        Analyst Immobilienanlagen
negative Marktsentiment die Kurse der Immobilienfonds
ebenfalls belastet haben.
                                                            märkten im Zuge des Ukraine-Krieges und der dadurch
Auch wenn sich die Zinsen von den Tiefstständen gelöst      ausgelösten Marktturbulenzen unter Druck.
haben, ist die Renditedifferenz zwischen zehnjährigen
Staatsanleihen und Schweizer Immobilienfonds immer          Die Kursverluste erscheinen uns jedoch übertrieben.
noch hoch. Die Differenz ist zwar im Zuge des Zins-         Zwar sind Bremseffekte auf die Konjunktur des Euro-
anstiegs über die letzten Monate gesunken, sie übertrifft   raums aufgrund der hohen Rohstoffpreise wahrschein-
aber weiterhin den langjährigen Durchschnitt. Aus die-      lich, das Wachstum dürfte aber dennoch über dem
ser Perspektive sind Immobilienfonds weiter attraktiv.      langfristigen Durchschnitt bleiben. Auch die lockere
Allerdings sind die Prämien gegenüber dem Nettoinven-       Geldpolitik der EZB dürfte vor dem Hintergrund der
tarwert nur unwesentlich gesunken, trotz der gestiegenen    gestiegenen Unsicherheit vorerst eine Stütze darstellen.
Renditen für Staatsanleihen. Vor diesem Hintergrund         Ferner stellen Immobilienunternehmen in einem infla-
erscheint das Kurspotenzial von Schweizer Immobilien-       tionären Umfeld einen attraktiven Portfoliobestandteil
fonds in der Summe eher begrenzt.                           dar. Wir erwarten, dass auf Wohnen fokussierte Immobi-
                                                            lienunternehmen von der anhaltend starken Nachfrage
Wir präferieren gemischte Immobilienfonds, welche           nach Wohnraum in städtischen Gebieten Europas profi-
sowohl in Wohn- als auch in Gewerbeliegenschaften           tieren. Der Nachfrageüberhang führt zu einer tiefen Leer-
investieren. Wohnliegenschaften dürften von einer re-       standsquote und zu Mietpreiswachstum. Die europäische
gen Nettozuwanderung, einer tieferen Leerstandsquo-         Wirtschaft dürfte im laufenden Jahr wiederum über-
te und steigenden Mietzinsen profitieren. Die robuste       durchschnittlich wachsen. Davon können zyklischere
Wirtschaft dürfte bei Gewerbeliegenschaften zu einer        Immobiliensegmente Auftrieb erhalten. Angesichts des
besseren Auslastung und einem Rückgang der Mietaus-         robusten Wirtschaftsgangs bleibt das Umfeld für euro-
fallquote führen. Innerhalb der Gewerbeliegenschaften       päische REITs konstruktiv. ¢
erachten wir ein Engagement in Logistikimmobilien als
interessant.

Europäische REITs profitieren von überdurch-                  IN KÜRZE
schnittlichem Wirtschaftswachstum
Europäische Immobilienunternehmen (Real Estate Invest-        Schweizer-Immobilienfonds bieten attraktive Möglich-
ment Trusts, REITs) haben im 1. Quartal 2022 bislang eine     keiten für Portfoliodiversifizierung
negative Kursentwicklung aufgewiesen. Zu den Belas-           Gemischte Schweizer Immobilienfonds bevorzugen,
tungsfaktoren zählten zum einen steigenden Zinsen und         Opportunitäten bei Schweizer Geschäfts- und Logistik-
die Erwartung, dass auch in der Eurozone bald das Ende        immobilienfonds
der sehr lockeren Geldpolitik eingeläutet werden könnte.      EUR-Immobilienanlagen gestützt vom immer noch
Daneben gerieten die REITs zusammen mit den Aktien-           robusten Wachstumsausblick

                                        ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 21
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