Anlagepolitik - Q 2 | 2022 - Ausbalancieren - Cision
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Anlagepolitik Ausbalancieren Unsere Markteinschätzung Seite 7 Fokusthema Der Ukraine-Krieg bringt ungeahnte Unsicherheit Q2 | 2022 Seite 10
Ausbalancieren Ausbalancieren ist mehr als ein physikalisches Gesetz. Es ist das Justieren eines Ungleichgewichts zur Herstellung eines Idealzustan- des. Das Ausbalancieren ist für das menschliche Wohlbefinden wichtig. Wir streben nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance und bringen Körper und Geist in Einklang. Und das Ausbalancieren ist auch in der Finanzwelt wichtig: Es bedarf eines richtigen Risiko- Ertrag-Verhältnisses und einer ausgewogenen Diversifikation, um Vermögenswerte langfristig zu vermehren und die Risiken im Lot zu halten. IMPRESSUM: Erscheint vierteljährlich | Erscheinungsdatum: 22. März 2022 | Redaktionsschluss: 18. März 2022 | Gesamtauflage: 2’400 Herausgeber/Redaktion: Luzerner Kantonalbank AG, Investment Office, +41 (0) 844 822 811, anlagepolitik@lukb.ch | Realisation: grip-agency.ch Druck: beagdruck | Titelbild: Grafilu | Porträtillustrationen: Janine Wiget | Bilder: gettyimages & shutterstock | Datenquelle für Grafiken: Bloomberg, Refinitiv lukb.ch/anlagepolitik
EDITORIAL Geschätzte Investorin, geschätzter Investor Die tragischen Nachrichten, die uns nun schon seit vier Wochen täglich aus der Ukraine erreichen, führen uns vor Augen, wie schnell so etwas für uns Selbst- verständliches wie Frieden verloren gehen kann. «Der Kriegsausbruch, die hohe Inflation sowie neu aufflammende Björn Eberhardt Leiter Investment Office Lieferkettenprobleme werden die Volatilität der Märkte erhöht halten.» Die Finanzmärkte wurden vom Kriegsausbruch ebenfalls erschüttert, und die Marktschwankungen haben stark zugenommen. Das stellt eine besondere Herausforderung für Investoren dar. Der markante Anstieg der Inflation bedeutet auch, dass selbst sichere Anlagen wie Liquidität oder Staatsanleihen nach Abzug der Inflation negativ rentieren dürften. Positionen in Realwerten wie Gold, Rohstoffe, Immobilien und auch Aktien sind daher trotz hoher INHALT Bewertungen für uns wichtige Portfoliobestandteile. 4 | Highlights 6 | Basisszenario Im Fokustext dieser Anlagepolitik werfen wir einen 7 | Markteinschätzung Blick auf die möglichen kurz- bis langfristigen Auswir- 8 | Konjunktur und Geldpolitik kungen des Ukraine-Krieges. 10 | Fokus: Der Ukraine-Krieg bringt ungeahnte Unsicherheit Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. 14 | Festverzinsliche Anlagen 16 | Aktienmärkte Ihr Björn Eberhardt 18 | Rohstoffe Leiter Investment Office 20 | Immobilien 22 | Marktüberblick 23 | Makroprognosen ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 3
HIGHLIGHTS MAKRO- UND RISIKO-UMFELD Die Indikatoren deuten auf ein schwierigeres Marktumfeld hin. Das Wachstum scheint zwar vorerst intakt, während die Liquiditätsbedingungen und die Risikofreude der Marktteil- nehmer rückläufig sind. Der Inflationsausblick hat sich noch einmal verschlechtert. ¢ 1. Quartal 2022 ¢ 2. Quartal 2022 LIQUIDITÄT RISIKO-UMFELD Zahlreiche Zentralbanken haben begonnen, Angesichts des Ukraine-Krieges hat die Risiko- ihre bisher sehr lockere Geldpolitik zu be- bereitschaft der Marktteilnehmer recht enden. Dieser Trend wird sich fortsetzen, was deutlich abgenommen. Die vorläufig erhöhte sich im Rückgang der Liquidität spiegelt. Volatilität dürfte die Risikofreude dämpfen. WACHSTUM INFLATION Das globale Wirtschaftswachstum ist noch Der Inflationsindikator ist weiter gestiegen, intakt, die Aufhebung von Corona-Restriktio- was höhere Rohstoffpreise und Löhne reflek- nen belebt die Konjunktur. Die Unsicherheit tiert. Das Thema Inflation hat für die Finanz- für den Ausblick hat jedoch zugenommen. märkte noch einmal an Brisanz gewonnen. UNSERE POSITIONIERUNG Liquidität Festverzinsliche Anlagen Aktienmärkte Nicht-traditionelle Anlagen Positionierung vorher ¢ stärker untergewichtet ¢ leicht untergewichtet ¢ neutral ¢ leicht übergewichtet ¢ stärker übergewichtet 4 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
FOKUSTHEMA Ukraine-Krieg bringt ungeahnte Unsicherheit Der Schock des leidvollen Ukraine-Krieges erschüt- tert die europäische Nachkriegsordnung. Auch an den Finanzmärkten stieg die Verunsicherung stark. Wir beleuchten die möglichen Auswirkungen des Konflikts auf verschiedenen Ebenen. Für Investoren bleibt eine gute Diversifikation entscheidend. AKTIEN Die Aktienmärkte gerieten im 1. Quartal deutlich unter Druck. Die Bewertungen sind dadurch gesunken, allerdings dürften die Gewinnerwartungen nach unten revidiert werden. Eine Stütze für die Aktien stellen u.a. das schon sehr negative Marktsentiment und ihre Eigenschaft als Inflationsschutz dar. ANLEIHEN ROHSTOFFE Obligationen haben aufgrund steigender Renditen und Risiko- Viele Rohstoffpreise haben prämien seit Jahresbeginn deutlich sich im März zwischenzeitlich eingebüsst. Ihre Bewertung hat massiv erhöht. Wir sehen Gold, sich dadurch leicht verbessert, sie bleibt aber angesichts hoher Energie und Industriemetalle Inflation immer noch unattraktiv. als wichtige Portfoliobestand- Zudem besteht weiterhin das teile an, mit denen sich Risiken Risiko steigender Zinsen. Breit diversifizierte Schwellenländer- (Inflation, Geopolitik) gut anleihen stellen eine Alternative abfedern lassen. als Beimischung dar. IMMOBILIEN Wir empfehlen zur Diversifikation den Einsatz gemischter Schweizer Immobilienfonds. Das Kurspotenzial erscheint aufgrund der hohen Agios jedoch begrenzt. Bei ausländischen Immobilienanlagen bevorzugen wir im aktuellen Marktumfeld die defensiveren EUR-REITs. ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 5
BASISSZENARIO Der Weltwirtschaft bläst 2022 ein rauerer Wind entgegen. Dämpfende Effekte gehen u.a. vom Ukraine-Krieg aus. So dürften die Rohstoffpreise auf hohen Niveaus bleiben. Gleichzeitig können Lieferketten gestört werden. Bremseffekte gehen auch davon aus, dass staatliche Programme zur Stimulierung der Wirtschaft auslaufen. Zudem schlägt eine Reihe von Zentralbanken wegen der hohen Inflationsraten einen restriktiveren Kurs bei der Geldpolitik ein. Erwartete Marktauswirkungen Die Aktienmärkte werden volatil bleiben, sind aber durch Wachstum leicht über Trend und attraktivere Bewertungen gestützt. Positionen in Gold und Rohstoffen sind geeignet zur Absicherung von geopolitischen und Inflationsrisiken. Anleihen haben wenig Renditepotenzial aufgrund des Risikos steigender Zinsen. ALTERNATIVSZENARIEN 1. Kräftiger Abschwung Ausgelöst z.B. durch stark steigende Rohstoffpreise, eine Verschärfung der Corona- 2. Globale Erholung Ausgelöst z.B. durch sinkende Rohstoffpreise, ein Abklingen der Pandemie, virus-Pandemie, Lieferkettenprobleme und/ abebbende Lieferengpässe, Produktivitäts- oder zu restriktive Fiskal- und Geldpolitik. zuwächse, Belebung von Investitionen und Konsum. Erwartete Marktauswirkungen Positiv für Gold, Rohstoffe (zu Beginn), Schwei- Erwartete Marktauswirkungen zer Franken, Anleihen von «safe haven»-Staa- Positiv für Aktien, Unternehmens- und ten; negativ für Aktien, Unternehmensanleihen, Schwellenländeranleihen; negativ für Staats- EUR und Schwellenländer-Vermögenswerte. anleihen. Wirtschaftswachstum und Inflation in den Industrieländern seit 2008 6 2021 4 2022 (S) Wachstum in % gegenüber Vorjahr 2023 (S) Stand der Weltwirtschaft 2 Ende 2021 inkl. Entwicklung seit 2008 2008 0 Erwarteter Stand der Welt- wirtschaft Ende 2022/2023 Durchschnittswerte seit 2000 –2 (S) LUKB-Schätzwerte –4 –6 0 1 2 3 4 5 Inflation in % gegenüber Vorjahr 6 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
MARKTEINSCHÄTZUNG Das Marktumfeld wird vorerst volatil bleiben. Selbst auf ein kleines Übergewicht. Auf der Gegenseite stocken bei einem Waffenstillstand bleibt viel Unsicherheit be- wir die Goldposition auf zur Absicherung gegenüber züglich der Konjunktur und Geldpolitik. Wir erwarten steigender Inflation und unerwarteten Schocks. Die weiter steigende Renditen vor dem Hintergrund einer Anleihenquote belassen wir deutlich untergewichtet. langsameren Wachstumsdynamik in den kommenden Bei der Liquidität halten wir die Quote übergewichtet. Quartalen. Daher reduzieren wir unsere Aktienquote Markteinschätzungen und Positionierung per 23. März 2022 Anlageklasse Kommentar Im aktuellen Umfeld grösserer Unsicherheit empfehlen wir eine erhöhte Liquidität Liquiditätsquote zur Ausnutzung von Marktopportunitäten Anleihen sollten im Portfolio trotz des Renditeanstiegs aufgrund des noch Festverzinsliche Anlagen anhaltenden Inflationsdrucks untergewichtet bleiben Trotz der deutlich gestiegenen Renditen bleiben CHF-Anleihen hoch CHF bewertet, weshalb wir sie untergewichten Im EUR sind die Anleiherenditen unattraktiv niedrig, das Risiko steigender EUR Renditen hat mit dem Ausblick strafferer EZB-Politik zugenommen Hohe Inflation dürfte die Bank of England zu weiteren Leitzinserhöhungen GBP veranlassen, weshalb wir GBP-Anleihen untergewichten Der Aufwärtsdruck auf USD-Renditen dürfte anhalten angesichts erhöhter USD Inflation, der kommenden Leitzinsschritte und Reduktion der Bilanzsumme CNY-Anleihen sind für uns ein gutes Instrument zur Diversifikation sowohl CNY auf der Währungs- als auch der Zinsseite Lokalwährungsanleihen sind durch den Ukraine-Krieg unter Druck gekommen, Schwellenländer der Ausverkauf erscheint jedoch übertrieben Auch wenn sich das globale Wachstum abschwächt, stützt es die Aktienmärkte Aktienmärkte noch. Die Risiken (Geldpolitik, Rohstoffpreise) haben jedoch zugenommen Schweizer Aktien sind noch relativ hoch bewertet, ihr defensiverer Sektormix Schweiz rechtfertigt jedoch eine leicht erhöhte Allokation Wir gewichten den Eurozonen-Markt neu neutral. Dieser Markt ist stärker Eurozone gegenüber den Auswirkungen des Ukraine-Krieges exponiert Aus Bewertungsperspektive bleibt der UK-Aktienmarkt attraktiv. Auch der Grossbritannien höhere Anteil an Rohstoffwerten macht ihn im aktuellen Umfeld interessant Die Bewertung des US-Marktes ist zwar relativ hoch, er weist jedoch nur USA geringe Exponierungen gegenüber dem Ukraine-Krieg aus Der japanische Markt ist relativ günstig bewertet. Hohe Rohstoffpreise stellen Japan aber einen Gegenwind dar, weshalb wir das Übergewicht reduzieren Schwellenländeraktien sind niedrig bewertet. Die Unterstützungsmassnahmen Schwellenländer in China helfen dem lokalen Markt, das Aufwärtspotenzial ist aber begrenzt Die Quote der nicht-traditionellen Anlagen erhöhen wir weiter über einen Nicht-traditionelle Anlagen Aufbau von Gold Schweizer Immobilienfonds sind hoch bewertet, stellen aber eine immer Immobilien Schweiz noch attraktive Alternative zu CHF-Obligationen dar Die defensiveren REITs-Märkte der Eurozone bieten angesichts tiefer Obligatio- Immobilien Eurozone nenrenditen und mit Blick auf relativ robustes Wachstum im Jahr 2022 Chancen Als Absicherung gegenüber erhöhten geopolitischen und inflationsbezogenen Rohstoffe (ohne Agrar) Risiken empfehlen wir eine Position in Energie und Metallen Wir bauen die Goldquote aus, die uns derzeit am ehesten geeignet scheint, Gold unerwartete Marktereignisse und Inflationsrisiken abzufedern Positionierung vorher ¢ stärker untergewichtet ¢ leicht untergewichtet ¢ neutral ¢ leicht übergewichtet ¢ stärker übergewichtet ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 7
Konjunktur und Geldpolitik Der Ukraine-Krieg trübt die globalen Konsum. Das Ausmass dieser Effekte wird von der weiteren Entwicklung des Konflikts, der Wirkung der Wachstumsaussichten. Hohe Roh- verhängten Sanktionen und möglichen weiteren stoffpreise befeuern zwar die Infla- Massnahmen abhängen. tion. Sie beeinträchtigen aber auch Hohe Rohstoffpreise schmälern Kaufkraft die Wirtschaft. Die Zentralbanken Der Handel mit russischem Erdgas und Erdöl ist bis- agieren daher vorsichtig. lang in den meisten Staaten von den Sanktionen ausge- nommen. Dennoch verzichtet schon jetzt eine Reihe Noch vor Ausbruch des Ukraine-Krieges zeigte die von Unternehmen auf die Lieferungen aus Russland und Ampel für das Wachstum der Weltwirtschaft grün. sucht Alternativen. Das spiegelt sich in den Preisen Konsumenten und Unternehmen blickten mehrheitlich wider. Während der Preis für russisches Öl der Sorte positiv in die Zukunft. Grund hierfür war u.a., dass Urals seit Ausbruch des Krieges kaum stieg, nahm der viele Länder die Corona-Restriktionen in den letzten Preis für die Nordseesorte Brent deutlich zu (siehe Monaten deutlich lockerten. Entsprechend hat die Abbildung links). Höhere Rohstoffpreise schlagen sich Nachfrage nach Serviceleistungen vor allem aus den aber in höheren Verbraucherpreisen nieder und Freizeit- und Tourismussektoren kräftig zugenommen. schmälern damit die Kaufkraft von privaten Haushalten Gleichzeitig ebbten die globalen Lieferengpässe ab. und Unternehmen. Das wiederum dämpft den privaten Konsum und die Investitionen. Ukraine-Krieg trübt Wachstumsaussichten Mit dem Ukraine-Krieg haben sich die Wachstumsper- Europa stärker betroffen als andere Regionen spektiven für die Weltwirtschaft eingetrübt. Die ukraini- Die Wirtschaft in Europa dürfte stärker unter den sche Wirtschaft ist zum Stillstand gekommen und die negativen Folgen des Ukraine-Krieges leiden als andere russische leidet stark unter den Sanktionen des Westens. Regionen der Welt. Das hängt u.a. damit zusammen, Beide Länder zählen zu den weltweit wichtigsten Pro- dass die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland duzenten und Exporteuren von Energie- und Agrar- und der Ukraine enger sind als anderswo. So deckt der rohstoffen. Die Preise für diverse Rohstoffe sind darum Euroraum einen grossen Teil seines Energiebedarfs mit bereits deutlich gestiegen. Darüber hinaus könnte der Gas und Öl aus Russland ab. Per Saldo haben wir daher Welthandel beeinträchtigt werden, weil Lieferketten unsere Prognose für das Wirtschaftswachstum im aufgrund des Krieges und der Sanktionen gestört werden. Euroraum für dieses Jahr um 0.7 Prozentpunkte auf 3.5% Das Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer kann nach- gesenkt (siehe Abbildung rechts). Auch die Schweizer haltig sinken, mit negativen Folgen für Investitionen und Wirtschaft dürfte 2022 mit 3% schwächer wachsen, als Ölpreise entwickeln sich auseinander Revision unserer BIP-Prognosen für 2022 in US-Dollar pro Fass Abweichung in %-Punkten, Veränderung März vs. Februar 2022 130 0.0 120 –0.1 110 –0.2 100 –0.3 90 –0.4 80 –0.5 70 –0.6 Jan. 2022 Feb. 2022 Mär. 2022 –0.7 –0.8 Brentöl Urals-Öl China USA Welt Schweiz Euroraum 8 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
wir es bislang prognostiziert haben. Die US-Wirtschaft sollte von den Folgen des Konflikts weniger stark betroffen sein. Das liegt u.a. daran, dass die Handels- beziehungen mit Russland und der Ukraine deutlich weniger intensiv sind. Gleichzeitig zählen die USA selber zu den grössten Gas- und Ölproduzenten der Welt. Daher haben wir unsere Wachstumsprognose für 2022 nur moderat von 3.7% auf 3.5% reduziert. Insgesamt haben wir unsere Prognose für das Weltwirtschafts- wachstum für 2022 von 4.2% auf 3.8% nach unten Brian Mandt korrigiert. Für 2023 rechnen wir mit einem Wachstum Chefökonom von 3.4%. Solide Finanzbasis bei Konsumenten die Zentralbanken heraus. Mit dem Ukraine-Krieg und Unternehmen haben sich jedoch die Parameter verändert. Die Gefahr Der vom Ukraine-Krieg noch verstärkte Inflations- besteht, dass steigende Rohstoffpreise sowohl für einen schock trifft viele Konsumenten zu einem Zeitpunkt, Inflationsschub sorgen als auch das Wachstum stärker an dem sie auf grossen Ersparnisüberschüssen sitzen, bremsen als bislang erwartet. Wächst die Wirtschaft lang- die sie während der Pandemie angehäuft haben. Gleich- samer, wird sich das aber auch dämpfend auf die Ent- zeitig hat die Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlan- wicklung der Inflation auswirken. Treten die Währungs- tiks kräftig zugelegt. Die Einkommen sind gestiegen. hüter in dieser Situation zu stark auf die Bremse, um die Im Grossen und Ganzen sind die Finanzen der privaten Inflation einzudämmen, riskieren sie, dass die Wirtschaft Haushalte in den von uns analysierten Industrieländern kräftiger abflaut, als sie das wünschen. Das werden die in guter Verfassung. Selbst wenn sie mehr für Energie Zentralbanken bei der Beurteilung ihrer Geldpolitik und Lebensmittel zahlen müssen, haben viele Haushalte berücksichtigen und daher vorsichtig vorgehen. Die US- immer noch mehr Kaufkraft als sonst. Das Gleiche gilt Notenbank (Fed) dürfte ihren Leitzins daher behutsam für die meisten Unternehmen. Sobald der anfängliche anheben. Die Fed könnte ihn schrittweise erhöhen, so Schock über den Ukraine-Krieg abgeklungen ist, dürften dass er auf Jahressicht auf 1.50–1.75% steigt. Die EZB sich diese fundamentalen Faktoren wieder durchsetzen. und SNB dürften sich dagegen noch Zeit nehmen und die Leitzinsen vorerst unverändert lassen. ¢ Ärmere Schwellenländer leiden besonders Russland und die Ukraine zählen zu sehr bedeutenden Produzenten von landwirtschaftlichen Gütern. Auf- grund des Krieges dürfte das Angebot an landwirtschaft- lichen Erzeugnissen deutlich sinken. Die Nahrungsmit- telpreise sind darum bereits gestiegen. Nahrungsmittel haben ein hohes Gewicht in den Lebenshaltungskosten von Schwellenländern. Die Bevölkerung gerade in den ärmeren Schwellenländern wird also nicht nur unter den höheren Energiepreisen, sondern vor allem auch unter IN KÜRZE den steigenden Nahrungsmittelpreisen leiden. Der Ukraine-Krieg dämpft die Wachstumsaussichten – vor allem für europäische Länder Geldpolitik ist gefordert Die Inflation dürfte dieses Jahr kräftiger steigen, als Die Inflation nimmt in Folge steigender Energie- und wir bis dato erwartet haben. So rechnen wir für die USA Rohstoffpreise 2022 kräftig zu für 2022 mit einer Teuerungsrate von 6.3% und für den Die Zentralbanken reduzieren ihre expansive Geld- Euroraum mit knapp 5%. Hohe Inflationsraten fordern politik behutsam ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 9
FOKUS Der Ukraine-Krieg bringt ungeahnte Unsicherheit Der Schock des leidvollen Ukraine-Krieges erschüttert die europäische Nachkriegsordnung. Auch an den Finanzmärkten steigt die Verunsicherung stark. Eine gute Diversifikation bleibt entscheidend. Björn Eberhardt Leiter Investment Office Noch vor ein paar Wochen hätten wohl nur wenige Schwellenländern werden sie jedoch schnell ein exis- geglaubt, dass sich die schlimmen Befürchtungen eines tenzielles Problem. Der arabische Frühling 2011 wurde Krieges in der Ukraine bewahrheiten würden. Mittler- nicht zuletzt durch stark gestiegene Nahrungsmittel- weile ist es traurige Gewissheit, dass Krieg, Zerstörung preise und damit verbundene Hungersnöte ausgelöst. und grosses Leid auch wieder auf europäischem Boden stattfinden. Die Invasion Russlands in der Ukraine wird Aufgrund der aktuell besonders ausgeprägten Schnell- von vielen Kommentatoren als eine Zeitenwende oder lebigkeit der Ereignisse und Entwicklungen sowie der Zäsur bezeichnet. Und vermutlich können wir uns der- Komplexität der Thematik haben wir uns entschlossen, zeit nur ein sehr begrenztes Bild von den kommenden einige aus Anlegerperspektive besonders bedeutende globalen Veränderungen ausmalen. Fragen zusammenzutragen und zu beantworten. Viele Auswirkungen des Krieges haben bereits die Finanz- Was bedeutet der Krieg – neben seinen märkte und die Volkswirtschaften vieler Länder erreicht. furchtbaren humanitären Folgen – für die Weitere dürften in den kommenden Monaten folgen und globale Konjunktur und Geldpolitik? global spürbar sein, gerade aufgrund des Anstiegs vieler Gerade für die Ukraine sind die humanitären und Rohstoffpreise. Steigende Lebensmittelpreise sind schon wirtschaftlichen Folgen gigantisch. Dagegen sehen die in den Industrieländern ein wichtiges Thema. In vielen Auswirkungen auf die übrigen europäischen Länder Inflationsbereinigter Aussenwert des CHF Volatilitätsindizes von Obligationen und Aktien Dez. 2000 = 100. Höhere Werte = Frankenstärke in Punkten, unterschiedliche Masseinheiten 130 175 105 125 150 90 120 125 75 115 100 60 110 75 45 105 100 50 30 95 25 15 90 0 0 2005 2008 2011 2014 2017 2020 2019 2020 2021 2022 Obligationen Aktien (rechte Achse) 10 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
vergleichsweise klein aus. Das heisst jedoch nicht, dass Abgesehen vom Schweizer Franken, der seine tradi- sie nicht real und spürbar wären. So haben die Rohstoff- tionelle Rolle als «sicherer Hafen» erneut ausspielen preise merklich angezogen, sichtbar zum Beispiel in der konnte, verloren die meisten europäischen Währungen Entwicklung der Benzinpreise. Das bewirkt einen zusätz- gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert, besonders lichen Anstieg der Inflation, den wir bereits auch in der in Osteuropa. Interessant war die Entwicklung bei Schweiz spüren. den Staatsanleihen: Üblicherweise gewinnen diese in Krisenzeiten stärker an Wert – jedoch haben die zu- Daneben treten Effekte, die sich aus der Unterbrechung nehmenden Inflationssorgen dieses Mal ihre Attrak- und Beeinträchtigung von Lieferketten ergeben. So tivität begrenzt. Gold dagegen erfüllte seine Rolle als mussten u.a. Automobilproduzenten ihre Produktion in «sicherer Hafen» und zeigte einmal mehr, warum es Tschechien oder auch Deutschland bereits herunter- ein wichtiger Bestandteil eines gut diversifizierten fahren, da ihnen Vorleistungsgüter ausgehen. Sowohl Portfolios ist. von der Rohstoffseite als auch aus den Lieferketten droht sich damit ein sogenannter Angebotsschock zu entwi- Die Geschwindigkeit der Markterholung nach dem Ein- ckeln: das Angebot bzw. die Produktion verknappt sich, bruch der ersten zwei Wochen kommt dagegen etwas was zu einem Anstieg der Preise überraschender, da sie uns mehr führt. Erhöhte Inflation und Lie- von Hoffnung als von einer ferkettenprobleme dürften die «Notenbanken müssen Verbesserung der Fundamental- Konjunkturdynamik dämpfen. faktoren getrieben scheint. zwischen zwei Risiken Während Notenbanken auf Welche langfristigen Nachfrageschocks durch eine abwägen, die entgegen- Auswirkungen könnten Veränderung der Geldpolitik gesetzte Reaktionen aufgrund des Ukraine- reagieren können, ist dies bei Krieges entstehen? Angebotsschocks im Grunde benötigen.» Hier gibt es etliche Dimensio- nicht möglich. Lieferkettenprob- nen, entlang welcher der Krieg leme oder verminderte russische längerfristige Effekte mit sich Energieexporte haben nichts mit der Geldpolitik zu bringen wird, jede mit ihrer eigenen Komplexität. Viel tun. Für die Notenbanken gilt es also zwischen zwei wurde darüber geschrieben, dass der Kriegsausbruch Risiken abzuwägen, die jeweils eine entgegengesetzte für Westeuropa auch die seit Ende des Kalten Krieges Geldpolitik erfordern würden: konjunkturelle Verlang- bestehende sogenannte «Friedens-Dividende» in samung und zunehmende Inflation. Welches der beiden Europa beendet. So haben europäische Länder in den schwerer wiegt, werden die kommenden Monate zei- vergangenen Wochen bereits eine Aufstockung ihrer gen. Im Moment scheinen die Notenbanken noch eher Wehretats angekündigt. Ferner dürften die Bemühun- die Inflationsrisiken im Fokus zu haben, insbesondere gen, ein partnerschaftliches Verhältnis mit Russland die US-Fed. aufzubauen, auf absehbare Zeit unterbrochen bleiben. Die Gefahr eines neuen Kalten Krieges bzw. eines neuen Wie schätzen Sie die Marktentwicklungen «Eisernen Vorhangs» in Europa ist damit äusserst real. seit Ausbruch des Krieges ein? Ein positiver Effekt könnte sein, dass es die Solidarität Die Reaktion der Finanzmärkte in den ersten zwei der europäischen Staaten miteinander wieder stärkt, Wochen nach Kriegsausbruch war in weiten Teilen gut insofern, als Russland nun von den meisten Ländern als nachvollziehbar. So stiegen die Rohstoffpreise sehr deut- eine Gefahr wahrgenommen wird und nicht nur von lich, da Russland und die Ukraine bedeutende Rohstoff- den osteuropäischen, die vor solchen Entwicklungen ja produzenten sind – bei Energie, Metallen und Nahrungs- bereits seit Jahrzehnten warnen. Schwer einschätzbar mitteln. Die starke Verteuerung von Rohstoffen verbun- bleibt das russisch-chinesische Bündnis. Russland ist den mit dem Risiko langsameren globalen Wachstums hier klar der Junior-Partner und droht sich in eine Ab- verunsicherte die Aktienmärkte und führte dazu, dass hängigkeit zu begeben, die längerfristig recht teuer Aktien stark unter Druck gerieten, gerade in Europa. werden könnte. ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 11
Zeitenwende – Der Ausgang des Ukraine-Krieges wird mitentscheiden, welchen Weg Europa und die Welt nehmen.
Der Krieg hat zudem vor Augen geführt, welche Ab- Der Franken hat zum Euro wieder aufgewertet. hängigkeit vom ressourcenreichen Russland besteht, Was sind die Folgen für die Schweizer Wirt- insbesondere bei Energieträgern. Nachdem Deutsch- schaft, und wie könnte sich der Wechselkurs land nach langem Zögern schliesslich doch die Zer- weiter entwickeln? tifizierung der Pipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt Trotz des zwischenzeitlichen Erreichens der Parität hat, stellt sich die drängende Frage, auf welche Weise ist das Ausmass der Frankenaufwertung seit Ausbruch die Energieversorgung für Bevölkerung und Industrie des Krieges relativ überschaubar und dürfte auf den sichergestellt werden kann. Das dürfte den Wandel hin aktuellen Niveaus noch keine grösseren negativen Aus- zu klimafreundlichen Technologien und erhöhter Ener- wirkungen auf die Schweizer Konjunktur haben (siehe gieeffizienz deutlich beschleunigen und massive Inves- Abbildung links, Seite 10). Zudem handelt es sich um titionen in den kommenden Jahren auslösen. Daneben eine Euro-Schwäche – der US-Dollar hat zum Franken dürften aber auch Kernenergie und Flüssiggasimporte sogar aufgewertet. Das entschärft die Situation aus Sicht aus Nordamerika und dem Nahen Osten eine Rolle der SNB etwas. Auch wenn sie nahe der Parität offen- spielen. Klar ist auch: die Abhängigkeit wird sich nicht sichtlich stützend eingriff: Wir rechnen nur dann mit über Nacht beseitigen lassen, ohne dass dies grössere verstärkten Interventionen der SNB, falls der Franken wirtschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde. zu schnell und in der Breite aufwerten würde. Auf die Inflation hat der starke Franken zudem leicht dämpfende Auch die Risiken des US-Dollar-zentrierten globalen Effekte. Auf Sicht der kommenden Monate dürfte sich Währungssystems sind deutlich sichtbar geworden. der Franken nahe des aktuellen Niveaus bewegen, u.a. da Dass ein wesentlicher Teil der russischen Währungs- er als «sichere Hafen»-Anlage gefragt bleiben dürfte. reserven in USD und EUR eingefroren werden konnte, dürfte für Länder wie China Wie sollte man Anlage- einen starken Anreiz setzen, eine portfolios für die nächsten möglichst breite Diversifikation Monate ausrichten? ihrer Reserven anzustreben, um «Die Sanktionen Welche Chancen und Risi- im Zweifelsfall nicht die gleichen gegenüber Russland ken sehen Sie? Probleme wie Russland zu erfah- Die Unsicherheit an den Finanz- ren. Das könnte z.B. für den CNY dürften selbst nach märkten wird vorerst hoch blei- einen weiteren Liberalisierungs- einem Waffenstillstand ben – aufgrund des Krieges, aber schub auslösen. auch wegen der hohen Inflation weitgehend Bestand und damit der Ausrichtung der Welche Szenarien sehen Sie haben.» Zentralbankpolitik. Eine gut für die kommenden Monate durchdachte Diversifikation über als wahrscheinlich an? die Anlageklassen hinweg ist Über den Kriegsverlauf selbst und damit sehr bedeutend, vor allem welches Ergebnis er bringen könnte, lässt sich nur wenn Staatsanleihen ihre Funktion als «sicherer Hafen» spekulieren. Das Risiko langanhaltender Kampfhand- nicht vollständig erfüllen können. Aus unserer Sicht lungen erscheint aktuell leider noch sehr hoch. Selbst sind Gold und Rohstoffe wichtige Portfoliokomponen- im Fall eines Waffenstillstands dürfte sich an der Sank- ten, um sich gegenüber der Inflation und den geo- tionspolitik des Westens gegenüber Russland unter politischen Risiken etwas abzusichern. Anleihen soll- seiner aktuellen Führung kaum etwas ändern. Die wirt- ten im Portfolio derzeit noch tiefer gewichtet bleiben, schaftlichen Verwerfungen und Russlands De-facto- da wir das Risiko weiter steigender Zinsen sehen. Ausschluss aus der westlichen Wirtschaftswelt dürften Aktien sollten leicht über der strategischen Quote damit bestehen bleiben. In unserem Basisszenario ge- berücksichtigt werden, denn sie bieten einen gewissen hen wir derzeit von Wachstum über Trend im laufenden Inflationsschutz, und wir denken, dass das globale Jahr aus, bei erhöhter Inflation. Viel wird jedoch vom Wachstum ausreichend hoch ausfallen dürfte, um die Krieg und der Entwicklung der Rohstoffpreise abhängen: Aktienmärkte auf den aktuellen Niveaus zu unterstützen. Ein starker dauerhafter Anstieg erhöht die Abwärts- Wir raten jedoch auch vorerst zu einer erhöhten Liqui- risiken, während eine deutliche Entspannung dagegen ditätsquote, um Opportunitäten bei Marktrücksetzern eine Zunahme der Dynamik erlauben würde. nutzen zu können. ¢ ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 13
Festverzinsliche Anlagen Staatsanleihen stecken im Spannungsfeld von Wachstums- und Inflationssorgen. Unternehmens- anleihen bieten mittlerweile wieder höhere Risikoprämien. Der Ausverkauf in Schwellenlän- deranleihen scheint übertrieben. Die Verunsicherung aufgrund des Ukraine-Krieges, steigender Rohstoffpreise und der immer noch bestehenden Aussicht auf eine straffere US-Geldpolitik Björn Eberhardt haben zu einem weiteren Anstieg der Volatilität an den Märkten für Fest- Leiter Investment Office verzinsliche Anlagen geführt. Zu den bemerkenswertesten Entwicklungen zählt eine eher gering ausgeprägte Flucht in Staatsanleihen als «sicherer Hafen», ein deutlicher Anstieg der Risikoprämien von Unternehmensanleihen und eine Korrektur von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung. Staatsanleihen zwischen Die Entwicklung der Renditen von Staatsanleihen in den einzelnen Haupt- Risikoaversion und Inflations- märkten weist einige recht interessante Tendenzen auf. Zunächst fällt auf, sorgen wie vergleichsweise wenig die Renditen auf den Kriegsausbruch reagiert haben. Die Rendite 10-jähriger CHF-Anleihen sank zum Beispiel nur relativ geringe 10 Basispunkte in den ersten zwei Kriegswochen und blieb mit 0.2% im positiven Bereich. Noch zu Jahresbeginn war die Rendite mit –0.14% deutlich tiefer. Im EUR und USD war die Renditebewegung vom Ausmass vergleichbar. Eine Erklärung dafür dürften die stark gestiegenen Rohstoff- preise sein, die vorerst die Inflationsraten deutlich erhöhen werden. Das schmälert die Attraktivität von Anleihen erheblich. Gerade in den USA hat die Notenbank zudem bereits signalisiert, dass sie aufgrund der guten Binnenkonjunktur und erhöhten Inflation die Straf- fung der Geldpolitik weitgehend wie geplant vornehmen dürfte. Die Märkte blicken dieser Perspektive mit Skepsis entgegen, was sich daran zeigt, dass sich die Zinskurve im USD deutlich verflacht hat. Hier herrscht die Sorge, Osteuropäische Lokalwährungsanleihen Renditen CHF-Anleihen nach Kreditqualität in USD, 01.01.2021 = 100, Gesamtrendite in %, Laufzeit 5–7 Jahre 110 2.0 100 1.5 1.0 90 0.5 80 0.0 70 –0.5 60 –1.0 Jan. 2020 Jan. 2021 Juli 2020 Juli 2021 Jan. 2022 Jan. 2021 Mär. 2021 Mai 2021 Juli 2021 Sep. 2021 Nov. 2021 Jan. 2022 Mär. 2022 Tschechien Polen Ungarn Rating A Rating AA Rating AAA 14 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
dass die US-Notenbank überschiessen und ein deutliches Einbremsen der US-Wirtschaft auslösen könnte. Ein positives Zeichen in all der Volatilität der vergangenen Wochen war die Stabile Risikoprämien relative Stabilität der Risikoprämien innerhalb der Eurozone. Auch wenn der in der Eurozone EUR zum Franken und USD deutlich Federn lassen musste, so war der Grund anscheinend nicht Sorgen um den Bestand der Gemeinschaftswährung, sondern eher die Einschätzung, dass das Wachstum der Eurozone vom Krieg besonders betroffen sein wird und die EZB daher noch längere Zeit bei ihrer Negativzinspolitik bleiben dürfte, während die US-Fed bereits die Zins- erhöhungen vornimmt. Dazu beitragen dürfte auch, dass es Bestrebungen gibt, die Lasten aufgrund der gestiegenen Energiepreise und Verteidigungs- kosten auf EU-Ebene gemeinschaftlich anzugehen. Der Ausblick für die Renditen von Staatsanleihen ist stark abhängig von dem für Wachstum und Inflation. Da die gestiegenen Rohstoffpreise einen angebotsseitigen Schock darstellen, der wachstumsdämpfende Effekte mit sich bringt, erwarten wir aus heutiger Sicht nur moderat steigende Renditen. Gleichzeitig begrenzt der ungünstige Inflationsblick das Potenzial für sin- kende Renditen. Die Volatilität dürfte entsprechend hoch bleiben. Je länger die Phase sehr hoher Rohstoffpreise anhält, desto grösser dürften die negativen Wachstumseffekte ausfallen. An den Märkten für Unternehmensanleihen hat sich in den vergangenen Erhöhte Risikoaversion Wochen ein markanter Anstieg der Risikoprämien vollzogen (siehe Abbildung bei Unternehmens- und rechts). Gerade im tiefsten Investment-Grade-Segment sind die Prämien Lokalwährungsanleihen wieder auf Niveaus, ähnlich denen nach einer sehr unruhigen Marktphase Ende 2018. Im EUR sind die Prämien dabei nicht mehr sehr weit von den Hochs vom März 2020 entfernt, als der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie die Märkte belastete. Besonders unter Druck gerieten Energieunternehmen (u.a. wegen der Abschreibungen auf russische Beteiligungen) und Versiche- rungen. Ähnlich wie bei den Aktienmärkten gilt auch hier, dass es wohl noch zu früh ist für ein klares Einstiegssignal. Die konjunkturellen Aussich- ten haben sich aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise eingetrübt, was höhere Prämien aufgrund gestiegener Ausfallrisiken rechtfertigt. IN KÜRZE Trotz eines Renditeanstiegs sind Die Märkte von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung kamen seit Staatsanleihen immer noch hoch Kriegsbeginn sehr deutlich unter Druck. Dazu trug zum einen der vorerst bewertet, und es besteht das komplette Einbruch des russischen Marktes bei, zum anderen litten auch die Risiko weiter steigender Zinsen Währungen und Anleihen in osteuropäischen Ländern wie Polen, Ungarn Anstieg der Risikoprämien hat und sogar Tschechien (siehe Abbildung links). In anderen Märkten zeigten Bewertung von Unternehmens- sich ebenfalls Zeichen zunehmender Risikoaversion, allerdings waren diese anleihen verbessert, aber weitere schwächer ausgeprägt als in Osteuropa. Was den Ausblick dieser Anlagen Ausweitung wegen Konjunktur- anbelangt, so empfiehlt sich eine genaue Selektion der einzelnen Märkte risiken möglich und Produkte. Einige Schwellenländer könnten beispielsweise von hohen Ausverkauf von Schwellenländer- Rohstoffpreisen profitieren. Insgesamt erscheint uns das Ausmass des anleihen erscheint übertrieben und Einbruchs übertrieben. ¢ öffnet Raum für Opportunitäten ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 15
Aktienmärkte Die Aktienmärkte haben in den Eurozone aufgrund der deutlich stärkeren Verflechtun- gen mit Russland. In den USA hingegen dürften sich die letzten Wochen zeitweise deutlich Gewinnerwartungen im Vergleich stabiler zeigen. korrigiert, die Gewinnerwartungen sind jedoch noch wenig verändert. Entscheidend für das Ausmass der Gewinnrevisionen ist auch die Sektorzusammensetzung eines Aktienmarktes. Je nach Sektor und Verflechtung mit Aufgrund des hohen Engagements in den Bereichen Russland dürften die Revisionen Energie und Rohstoffen lässt der britische Aktienmarkt variieren. eine relativ stabile Gewinnentwicklung erwarten. Auch für den Schweizer Aktienmarkt erwarten wir auf- Nach dem Kriegsausbruch haben die Aktienmärkte der grund der defensiven Sektorausrichtung überschaubare Eurozone und der Schwellenländer mit 11.8% bzw. 9.1% Gewinnrevisionen. Daraus ergeben sich Investitions- (per 8. März 2022) in der Spitze am stärksten korrigiert. gelegenheiten. Aktienmärkte mit stabilen Gewinnerwar- Dies, weil gerade die Länder der Eurozone stark von tungen dürften einen stabileren Kursverlauf aufweisen russischen Energie- und Rohstofflieferungen abhängig bzw. allfällige Kursdellen rasch wieder aufholen. Bei sind und sich hier grosse Unsicherheiten auftaten. Auch den Schwellenländermärkten bleibt die Unsicherheit in anderen Geschäftsbereichen sind Unternehmen aus gerade am chinesischen Markt aufgrund der Ausbreitung der Eurozone oftmals stärker mit Russland verknüpft des Coronavirus sowie regulatorischer Massnahmen als zum Beispiel US-Unternehmen. Dementsprechend erhöht, was aus unserer Sicht auch das Kurspotenzial überrascht es nicht, dass der US-Aktienmarkt in der begrenzt. Phase des grössten Ausverkaufs nur ein eher kleines Minus von 1.4% zeigte. Sektoreinstufung Angesichts der ungewissen Entwicklungen in der Gewinnrevisionen zu erwarten Ukraine, der erhöhten Volatilität und möglicher Sank- Ein wichtiger Treiber für eine nachhaltige Kursperfor- tionen gegenüber Russland lohnt es sich, ein Aktien- mance eines Aktienmarktes ist die Entwicklung der portfolio aus Sektorsicht defensiver auszurichten. Gewinnerwartungen. Wir gehen davon aus, dass diese Dementsprechend heben wir die Sektoreinstufung des in den kommenden Wochen nach unten angepasst wer- Gesundheitswesens und des nichtzyklischen Kon- den. Die Gründe dafür sind die abnehmende Konjunk- sums auf «übergewichten» an. Die LUKB Einstufung turdynamik sowie steigende Kosten, beispielsweise für der Sektoren Finanzen und Technologie werden auf Energie, Rohstoffe, Transport, Verpackung und Logis- «neutral» reduziert. Die übrigen Einstufungen bleiben tik. Den ausgeprägtesten Rückgang erwarten wir in der unverändert. Gewinnerwartungen 2022 Kursentwicklung seit Jahresbeginn 2022 indexiert auf 100 per 04.02.2021 in CHF, indexiert auf 100 per 31.12.2021 125 110 120 105 115 100 95 110 90 105 85 100 80 95 75 Feb. 2021 Apr. 2021 Juni 2021 Aug. 2021 Okt. 2021 Dez. 2021 Feb. 2022 31.12.21 14.01.22 28.01.22 11.02.22 25.02.22 11.03.22 Grossbritannien USA Eurozone Schweiz Grossbritannien USA Eurozone Schweiz Schwellenländer Schwellenländer 16 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Sektor LUKB-Einstufung Energie übergewichten Finanzen neutral Gesundheitswesen übergewichten Immobilienwerte neutral Industrie neutral Kommunikation untergewichten Nichtzyklischer Konsum übergewichten Roh- und Grundstoffe übergewichten Technologie neutral Reto Lötscher Versorger untergewichten Leiter Finanzanalyse Zyklischer Konsum neutral Der Energiesektor wird weiterhin von erhöhten Energie- aufgeschoben. Zudem sind Gesundheitsunternehmen preisen profitieren. Sollten die Sanktionen gegenüber derzeit nicht mehr teuer bewertet. Die Pharmaschwer- Russland auf Öl und Gas ausgeweitet werden, ist auch ein gewichte weisen im relativen Vergleich sogar eine güns- weiterer Anstieg der Energiepreise nicht auszuschliessen. tige Bewertung auf. Mittel- bis langfristig profitiert der Dadurch werden diversifizierte Ölmultis von höheren Gesundheitssektor von seiner hohen Innovationskraft Gewinnen und höheren Mittelzuflüssen profitieren. Zwar und strukturellen demografischen Trends (zum Beispiel sind einige europäische integrierte Ölkonzerne in Russ- höhere Lebenserwartung, steigender Wohlstand). land engagiert und werden zum Teil milliardenschwere Abschreibungen vornehmen müssen, diese Erkenntnis In einem Umfeld hoher geopolitischer Risiken und ab- ist in den gegenwärtigen Kursniveaus und Gewinnerwar- nehmender Konjunkturdynamik bieten Unternehmen tungen aber reflektiert. aus dem Sektor des nichtzyklischen Konsums in einem diversifizierten Portfolio einen stabilen Anker. Wir Der Sektor Roh- und Grundstoffe ist im Vergleich zum bevorzugen Nahrungsmittelhersteller. Ihnen dürfte es Gesamtmarkt attraktiv bewertet. Innerhalb des Sektors mit der Zeit gelingen, höhere Rohstoff-, Verpackungs- bevorzugen wir Bergbauunternehmen, die in stabilen und Logistikkosten an den Kunden weiterzuleiten, auch Regionen (Australien oder Nordeuropa) tätig sind und wenn diese vorübergehend die Margen belasten wer- über starke Bilanzen verfügen. Die Sanktionen gegen- den. Wir sehen weiterhin davon ab, in Tabakhersteller über Russland führen zu deutlich höheren Rohstoff- zu investieren, auch wenn diese günstig bewertet sind. preisen. Die Umstellung auf neue Energieformen, die Die zunehmenden Regulierungen und das steigende Elektromobilität, die Herstellung von Speicherkapazitä- Gesundheitsbewusstsein werden die Nachfrage nach ten (Batterien) sowie der Bedarf an neuen Stromnetzen Tabakprodukten belasten. ¢ werden die Nachfrage nach verschiedenen Metallen langfristig treiben. Ebenfalls attraktiv sind Industriegas- unternehmen. Ihr Geschäftsmodell (wenig Konkurrenz, hohe Eintrittsbarrieren, diversifizierte Kundenbasis) ist krisenfest und ermöglicht stetige Preiserhöhungen. IN KÜRZE Unternehmen und Regionen mit Russland-Verflech- Der Gesundheitssektor zeichnet sich durch eine geringe tungen unter Druck Konjunktursensitivität und defensive Eigenschaften Gewinnrevisionen nach unten stehen an aus. Denn Medikamente und Gesundheitsprodukte wer- den unabhängig von der Wirtschaftslage nachgefragt. Investitionsgelegenheit in Sektoren mit stabilen Kurzfristig dürfte der Gesundheitssektor von Nachhol- Gewinnerwartungen effekten profitieren. So wurden aufgrund der Corona- Bevorzugte Sektoren: Energie, Roh- und Grundstoffe, virus-Pandemie u.a. Arztbesuche oder Operationen Gesundheitswesen sowie nichtzyklischer Konsum ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 17
Rohstoffe Der Ukraine-Krieg und die Sanktio- Massiver Ölpreis-Anstieg aus Angst vor möglichen Sanktionen nen gegenüber Russland haben die Der Ukraine-Krieg hat die Abhängigkeit Europas von Preise vieler Rohstoffe ansteigen russischem Öl und Gas aufgezeigt. Deutschland bezieht lassen. Die Risiken für die Konjunk- ca. die Hälfte seines Gasverbrauchs aus Russland und auch der Rest Europas wäre von einem Ausfall der rus- tur haben dadurch ebenfalls zuge- sischen Produktion stark betroffen. Rohöl könnte teil- nommen. Wir gehen von gut unter- weise durch andere Beschaffungskanäle kompensiert stützten Rohstoffpreisen aus. werden, da es im Gegensatz zu Gas nicht an Pipelines gebunden ist. Erdgas hingegen kann ansonsten nur noch in Form von LNG (liquified natural gas, d.h. Flüssiggas) Die jüngsten Preissteigerungen bei vielen Rohstoffen transportiert werden, das durch Schiffe nur an wenigen sind hauptsächlich durch die geopolitischen Entwick- speziell dafür vorgesehenen Hafenstationen ausgeladen lungen beeinflusst. Der Ukraine-Krieg und die Sank- werden kann. Somit ist kurzfristig keine vollständige tionen gegen Russland einerseits sowie kriegsbedingte Kompensation möglich. Eine Einschränkung des Kon- Produktionseinstellungen in der Ukraine andererseits sums und somit eine Verlangsamung der Konjunktur- führen zu Befürchtungen, dass viele Rohstoffe knapp dynamik wären die Folgen. Diese Situation liess die werden könnten. Denn sowohl Russland als auch die Preise von Öl der Sorte Brent um fast 30% auf beinahe Ukraine gehören zu den weltweit grössten Produzenten USD 130 pro Barrel und somit den höchsten Stand seit und Exporteuren vieler Rohstoffe. So ist Russland zum 2008 steigen. Gas verteuerte sich nicht zuletzt wegen Beispiel einer der grössten Exporteure von Aluminium des Stopps für die Zertifizierung der Pipeline «Nord und gehört zu den grössten Öl- und Gasförderern so- Stream 2» ebenfalls markant. wie Palladium- und Nickelproduzenten. Die Ukraine ist ebenfalls eines der führenden Erzeugerländer im Diese sehr hohen Preisniveaus sind unseres Erachtens Agrarbereich. Deshalb haben viele Rohstoffpreise jedoch nicht nachhaltig. Einerseits deuten technische Anfang März neue Höchststände erreicht bzw. waren Faktoren auf einen sehr angespannten Ölmarkt hin. seit langem nicht mehr so teuer wie kurz nach Kriegs- Andererseits konnten rekordhohe Ölpreise historisch beginn. So stiegen u.a. Palladium, Nickel und Kupfer aufgrund eines sich in der Folge abschwächenden auf zeitweise neue Allzeithochs. Seit Kriegsausbruch Wirtschaftsausblicks nicht lange gehalten werden. wurde Erdöl zwischenzeitlich ca. 30% teurer, Gas sogar Ankündigungen der Internationalen Energieagentur mehr als doppelt so hoch bewertet. und der Vereinigten Arabischen Emirate, Notreserven zu verkaufen bzw. die Produktion auszuweiten, könn- Ausgewählte Rohstoffpreise Nickelpreis indexiert. Januar 2022 = 100 USD je Tonne 170 60’000 160 50’000 150 140 40’000 130 30’000 120 110 20’000 100 10’000 90 80 0 Jan. 2022 Feb. 2022 Mär. 2022 2000 2004 2008 2012 2016 2020 Brentöl Weizen Palladium Aluminium Gold 18 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
ten ebenfalls für Entspannung sorgen. Auch Diskus- sionen um zusätzliche Ölfördermengen aus dem Iran oder Saudi-Arabien könnten zu einer Ausweitung des Angebots führen. Aber selbst dann gehen wir davon aus, dass die Ölpreise sich zwar etwas entspannen, aber immer noch auf erhöhtem Niveau verharren dürften. Auch einige Edelmetalle glänzten Palladium konnte seit Jahresanfang eine herausragende Performance von ca. 35% verzeichnen. Nach Kriegsbe- Andreas Müller ginn verteuerte es sich zwischenzeitlich um 33% auf Analyst Rohstoffe über USD 3’400 pro Unze. Grund dafür war die Furcht vor Sanktionen gegenüber Russland, dem zweitgrössten Palladiumproduzenten. Damit ist auch die Differenz Kupfer dürfte aufgrund der sich insbesondere in zwischen dem Palladium- und dem Platinpreis auf einen China verlangsamenden Wirtschaft wieder nachlassen. Rekord angestiegen. Da beide Metalle in der Automobil- Das Angebot an Aluminium wird aufgrund der hohen industrie für Katalysatoren verwendet werden, könnte Energiekosten in der Produktion beschränkt bleiben und eine Substitution des teuren Palladiums einsetzen. Dies dem Preis Unterstützung bieten. und die sich aufgrund von Lieferkettenschwierigkeiten aktuell wieder abschwächende Automobilproduktion Insgesamt erwarten wir, dass die Lage an vielen Rohstoff- werden die Nachfrage nach Palladium belasten. märkten angespannt bleiben dürfte. Die Preissteige- rungen in den ersten zwei Wochen des Ukraine-Krieges Der Anstieg von Gold um zwischenzeitlich ca. 5% seit waren äusserst rasant und vor allem panikgetrieben. Kriegsausbruch ist nahezu bescheiden. Die Kriegsprämie Die Korrektur seitdem hat entsprechend nicht überrascht. und die Angst vor Inflation trieben die Preise dennoch Mittelfristig dürften viele Rohstoffpreise jedoch funda- auf Niveaus, die zuletzt zu Beginn der Corona-Krise er- mental gut unterstützt bleiben. ¢ reicht wurden. Aufgrund der wieder deutlich gesunkenen Realrenditen und der bestehenden wirtschaftlichen Unsicherheit dürfte Gold gut unterstützt sein. Bei den Industriemetallen stand Nickel im Fokus Der Nickelpreis hat sich Anfang März vervielfacht und ist von ca. USD 30’000 pro Tonne ganz kurzzeitig auf ca. USD 100’000 angestiegen. Der Handel an der London Metal Exchange (LME) wurde in der Folge vorüberge- hend suspendiert und diverse Transaktionen annulliert. Grund waren massive Käufe einiger Investoren und IN KÜRZE Industriekonglomerate, die zu Absicherungszwecken Ukraine-Krieg und mögliche Sanktionen liessen die Leerverkäufe eingegangen waren. Aufgrund der anstei- Preise vieler Rohstoffe deutlich ansteigen genden Preise mussten diese Positionen geschlossen werden. Dabei haben insbesondere einige grosse chine- Eine Normalisierung nach Preisübertreibungen wegen ihrer negativen Konjunkturfolgen wahrscheinlich sische Nickel- und Stahlproduzenten massive Verluste erlitten. Gold könnte aufgrund der anhaltenden Unsicherheit gut unterstützt bleiben Auch die übrigen Basismetalle wie Kupfer und Aluminium Öl dürfte sich vorerst ebenfalls auf erhöhtem Niveau verzeichneten starke Preisanstiege. Die Nachfrage nach bewegen ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 19
Immobilien Der Preisdruck für Wohneigentum Robuste Nachfrage nach Wohneigentum Der kräftige Preiszuwachs beruht darauf, dass die Nach- bleibt 2022 aufgrund des hohen frage nach Wohneigentum unverändert hoch ist. Die Ver- Nachfrageüberhangs bestehen. besserungen auf dem Arbeitsmarkt, die positive Netto- Schweizer Immobilienfonds profi- zuwanderung und die konjunkturelle Erholung stützen die Nachfrage. Auch wenn die Zinsen für langfristige Hy- tieren von stabilen Ausschüttungen. potheken in den letzten Wochen aufgrund der weltweit Wir erachten europäische Immo- anziehenden Inflation gestiegen sind, bleiben die Finan- bilienaktien als interessant. zierungskonditionen im historischen Kontext attraktiv. Wir sehen gute Chancen, dass diese Faktoren über die nächsten Monate intakt bleiben. So dürfte das Finanzie- Die Suche nach einem Eigenheim gestaltet sich zuneh- rungsumfeld insgesamt recht günstig bleiben, denn die mend herausfordernd. Zum einen war der Nachfrageüber- SNB dürfte vorerst mit einer Leitzinserhöhung zuwarten. hang 2021 mit einem kräftigen Preisanstieg verbunden, Die Frühindikatoren für die Schweizer Wirtschaft sind zum anderen haben sich die Hypothekarzinssätze von den von den Hochständen zwar etwas zurückgekommen, Tiefstständen gelöst, was die Finanzierung teurer macht. deuten jedoch auf ein überdurchschnittliches Konjunk- Unseres Erachtens dürften diese Trends 2022 anhalten. turwachstum im laufenden Jahr hin. Alles in allem sind Am Mietwohnungsmarkt erwarten wir, dass sich der die Treiber für die Nachfrage nach Wohnraum intakt. Leerstand weiter verringert, da auch hier das Wachstum beim Angebot mit der Nachfrage nicht mithalten kann. Geringere Bautätigkeit – tieferer Leerstand Die abnehmende Bautätigkeit im Eigenheimmarkt ist Kräftiger Preiszuwachs bei Wohneigentum nichts Neues. Es ist ein Trend, der sich seit mehreren Bei Wohneigentum hat sich der Preisanstieg zum Jahres- Jahren abzeichnet. Zu den Gründen dafür zählen unter ende 2021 noch einmal deutlich akzentuiert. So zeigen anderem ein Fokus auf den Bau von Mietwohnungen, Daten des privaten Immobiliendienstleisters IAZI bei eine abnehmende Verfügbarkeit von Bauland und teil- Einfamilienhäusern im 4. Quartal 2021 ein Preiswachs- weise Lieferengpässe bei verschiedenen Baumaterialien. tum von 2.2% im Quartalsvergleich sowie von 7.3% auf Unseres Erachtens dürfte das zusätzliche Angebot bei Jahresbasis. Letzteres ist der höchste Wert seit 2012. Ein Wohneigentum im laufenden Jahr wiederum von der ähnlich dynamisches Bild zeigt sich auch bei Eigentums- Nachfrage gut absorbiert werden. Am Markt für Miet- wohnungen, die sich im Quartalsvergleich um 1.5% und wohnungen sieht es ebenfalls danach aus, dass die Zusatz- zum Vorjahr um 5.1% verteuerten. nachfrage nach Wohnungen das neu hinzugekommene Preisentwicklung Wohneigentum Schweiz Entwicklung von Schweizer Immobilienfonds in Prozent zum Vorjahr. IAZI-Indizes Gesamtrendite, indexiert, Juli 2021 = 100 20.0 109 15.0 106 10.0 103 5.0 100 0.0 97 –5.0 94 –10.0 91 2001 2005 2009 2013 2017 2021 Juli 2021 Sep. 2021 Nov. 2021 Jan. 2022 Mär. 2022 Wohnimmobilien (Swisscanto Ifca) Immobilienfonds CH gesamt Einfamilienhäuser Eigentumswohnungen Logistik (CS LogisticsPlus) 20 | ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022
Angebot wie im Vorjahr übertreffen könnte und so der Leerstand auf dem Mietwohnungsmarkt weiter rückläu- fig sein wird. Schweizer Immobilienfonds – interessante Ausschüttungsrenditen Das Gros der Schweizer Immobilienfonds hat sich im 1. Quartal 2022 bislang seitwärts bis leicht negativ ent- wickelt. Der breite Schweizer Immobilienfondsindex notiert seit Jahresbeginn etwas tiefer. Neben gestiegenen Tom Eyer Zinsen dürfte das durch die Ukraine-Krise ausgelöste Analyst Immobilienanlagen negative Marktsentiment die Kurse der Immobilienfonds ebenfalls belastet haben. märkten im Zuge des Ukraine-Krieges und der dadurch Auch wenn sich die Zinsen von den Tiefstständen gelöst ausgelösten Marktturbulenzen unter Druck. haben, ist die Renditedifferenz zwischen zehnjährigen Staatsanleihen und Schweizer Immobilienfonds immer Die Kursverluste erscheinen uns jedoch übertrieben. noch hoch. Die Differenz ist zwar im Zuge des Zins- Zwar sind Bremseffekte auf die Konjunktur des Euro- anstiegs über die letzten Monate gesunken, sie übertrifft raums aufgrund der hohen Rohstoffpreise wahrschein- aber weiterhin den langjährigen Durchschnitt. Aus die- lich, das Wachstum dürfte aber dennoch über dem ser Perspektive sind Immobilienfonds weiter attraktiv. langfristigen Durchschnitt bleiben. Auch die lockere Allerdings sind die Prämien gegenüber dem Nettoinven- Geldpolitik der EZB dürfte vor dem Hintergrund der tarwert nur unwesentlich gesunken, trotz der gestiegenen gestiegenen Unsicherheit vorerst eine Stütze darstellen. Renditen für Staatsanleihen. Vor diesem Hintergrund Ferner stellen Immobilienunternehmen in einem infla- erscheint das Kurspotenzial von Schweizer Immobilien- tionären Umfeld einen attraktiven Portfoliobestandteil fonds in der Summe eher begrenzt. dar. Wir erwarten, dass auf Wohnen fokussierte Immobi- lienunternehmen von der anhaltend starken Nachfrage Wir präferieren gemischte Immobilienfonds, welche nach Wohnraum in städtischen Gebieten Europas profi- sowohl in Wohn- als auch in Gewerbeliegenschaften tieren. Der Nachfrageüberhang führt zu einer tiefen Leer- investieren. Wohnliegenschaften dürften von einer re- standsquote und zu Mietpreiswachstum. Die europäische gen Nettozuwanderung, einer tieferen Leerstandsquo- Wirtschaft dürfte im laufenden Jahr wiederum über- te und steigenden Mietzinsen profitieren. Die robuste durchschnittlich wachsen. Davon können zyklischere Wirtschaft dürfte bei Gewerbeliegenschaften zu einer Immobiliensegmente Auftrieb erhalten. Angesichts des besseren Auslastung und einem Rückgang der Mietaus- robusten Wirtschaftsgangs bleibt das Umfeld für euro- fallquote führen. Innerhalb der Gewerbeliegenschaften päische REITs konstruktiv. ¢ erachten wir ein Engagement in Logistikimmobilien als interessant. Europäische REITs profitieren von überdurch- IN KÜRZE schnittlichem Wirtschaftswachstum Europäische Immobilienunternehmen (Real Estate Invest- Schweizer-Immobilienfonds bieten attraktive Möglich- ment Trusts, REITs) haben im 1. Quartal 2022 bislang eine keiten für Portfoliodiversifizierung negative Kursentwicklung aufgewiesen. Zu den Belas- Gemischte Schweizer Immobilienfonds bevorzugen, tungsfaktoren zählten zum einen steigenden Zinsen und Opportunitäten bei Schweizer Geschäfts- und Logistik- die Erwartung, dass auch in der Eurozone bald das Ende immobilienfonds der sehr lockeren Geldpolitik eingeläutet werden könnte. EUR-Immobilienanlagen gestützt vom immer noch Daneben gerieten die REITs zusammen mit den Aktien- robusten Wachstumsausblick ANLAGEPOLITIK | 2. Quartal 2022 | 21
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