Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft

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Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft
Tagungsbericht

Die Auswirkungen der Ukraine-Krise
auf die Zukunft der transatlantischen
Partnerschaft

Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner

Tagung
der Hanns-Seidel-Stiftung
am 20./21. November 2014
im Bildungszentrum Kloster Banz

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Tagungsbericht
Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der
transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz
Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014

                                             Tagungsbericht

                           Transatlantik-Tagung:
    Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen
                                Partnerschaft

                               20./21. November 2014, Kloster Banz

Welche Auswirkungen hat die Ukraine-Krise auf die transatlantische Partnerschaft und
wie können gemeinsame Lösungsstrategien erfolgreich umgesetzt werden? Diese
Fragen standen im Mittelpunkt der diesjährigen Transatlantik-Tagung der Akademie für
Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, die vom 20. bis 21. November im
Kloster Banz stattfand.

Die transatlantische Partnerschaft steht vor großen Herausforderungen. Nicht nur
aufgrund der Vielzahl an internationalen Konflikten. Sondern auch, da sich die
Jahrzehnte währende Partnerschaft in keinem guten Zustand befindet: Die NSA-Affäre
und neuerliche Spionagevorwürfe haben die Bundesregierung von Angela Merkel
erschüttert und Vertrauen zerstört; weltpolitische Machtverschiebungen sowie
unterschiedliche Interessen und Wahrnehmungen – nicht zuletzt aufgrund spezifischer
innenpolitischer Konstellationen – erschweren konzertierte Aktionen.

Sehr deutlich zeigt sich diese Entwicklung in der Ukraine-Krise und dem Verhältnis der
verschiedenen Länder zu Russland. Wie können die USA und die EU also eine effektivere
Sicherheitspolitik verfolgen, um zukünftige Grenzkonflikte mit Russland zu vermeiden?
Wodurch kann die Ukraine stabilisiert werden? Mit welchen Mitteln können die
gemeinsamen Ziele der transatlantischen Partner – eine Ukraine, in der sowohl
Demokratie und Stabilität herrschen, als auch gute Beziehungen zu den USA, Europa und
Russland – erreicht werden? Wie sieht die Zukunft der „strategischen Partnerschaft“
zwischen Russland und der NATO aus?

Um diesen Fragen auf den Grund gehen zu können, brachte die Hanns-Seidel-Stiftung in
München unter Mitarbeit deren Büros in Berlin, Moskau und Washington D.C. namhafte
Experten aus verschiedenen Ländern zusammen.

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Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der
transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz
Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014

Panel I: Vom Protest zur Staatskrise: Hintergrund und Entwicklung der Ukraine-
Krise

Neue Identitätsbildung in der Ukraine
Die Moderatorin, Dr. Barbara Kunz (Stiftung Genshagen, Genshagen), leitete das erste
Panel der Tagung mit der Frage ein, wie innenpolitische Entwicklungen in der Ukraine
auf die Krise im „Land am Rand“ einwirken. Ihr Podiumsgast Peter Hilkes (Ludwig-
Maximilians-Universität, München) untermauerte seine Bewertung unter anderem mit
persönlichen Erfahrungen vor Ort. Dabei merkte er an, dass im Zuge der Maidan-
Bewegung eine neue nationale Identität in der Ukraine entstanden sei, welche zum Sturz
des ehemaligen ukrainischen Präsident Janukowitsch führte. Sie sei keine vom Ausland
mitfinanzierte Oppositionsbewegung, sondern entspräche dem Wunsch des Volkes nach
Anbindung an den Westen. Die Bevölkerung im Osten sei, laut Hilkes, politisch
unzufrieden, aber durch ihre geographische Lage, fernab des Regierungszentrum Kiews,
auch leichter zugänglich für die Separatisten und ihren vermeintlich gleichen Interessen.
Der Mensch als wichtiger Bestandteil des Staates rücke in seinem Bestreben nach
Selbstbestimmung in den Vordergrund. Weder die ukrainische Armee, noch die
führenden Parteien oder deren Politiker waren in der Lage diese Entwicklung aufhalten.
Hilkes mahnte an, dass das Parlament bei unzureichenden strukturellen Reformen
erneut seinen Rückhalt in der ukrainischen Bevölkerung verlieren könnte. Es sei daher
von     erheblicher     Bedeutung,     den     Destabilisierungsversuchen      Russlands
entgegenzuwirken, zumal Russland, so Hilkes, weitere territoriale Ambitionen nach
krim’schen Vorbild hege. Das Parlament setze entsprechend seinen pro-europäischen
Kurs fort, wie die Ergebnisse der ukrainischen Parlamentswahlen von Oktober 2014
belegen. Die Neustrukturierung des Landes habe neben der Stabilisierung der
Sicherheitslage auf allen Ebenen höchste Priorität. Abschließend mahnte Hilkes, dass es
Aufgabe der EU und der NATO bleibe, diese Entwicklung weiterhin zu beobachten und
gegebenenfalls zu unterstützen.

Innenpolitischer Druck auf Putin
Der zweite Impulsvortrag wurde von Dr. Markus Ehm (Hanns-Seidel-Stiftung, Moskau)
gehalten. Dabei verwies der Experte auf innenpolitische Faktoren in Russland, welche
zur Krise beitrugen. Die EU-Assoziierungsgespräche mit der Ukraine, der bisherigen
Pufferzone, seien aus russischer Sicht nicht nur eine Vorstufe zur EU, sondern auch zur
NATO-Mitgliedschaft. Auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges würde die
NATO von der breiten Bevölkerung sowie der politischen Elite Russlands als „stille
Bedrohung“ wahrgenommen werden. Zu oft seien die Russen in ihrer Vergangenheit von
ehemals verbündeten Vertragspartnern angegriffen worden. Diese historische
Erfahrung präge bis heute das nationale Bewusstsein, sodass Putin nicht im Alleingang,
sondern vielmehr mit großem Rückhalt in der russischen Bevölkerung handelte.
Umfragewerte des russischen Präsidenten von über 90 Prozent bestätigen dieses Bild
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und seien, gemäß der Einschätzung von Ehm, wahrheitsgetreu. Die
Propagandamaschenerie, welche Putin seit 2013 betreibe, sei unter anderem deswegen
so erfolgreich, weil sie im Kern den Wunsch der Bevölkerung nach einer Rückkehr
zur (nicht unbedingt aggressiven) Weltmacht ausdrücke, die Russland bis zum Fall der
Sowjetunion war. Ehm geht davon aus, dass sich die Bevölkerung und der Kreml
erstmals wieder mit den USA auf einer Augenhöhe sehen. Aus russischer Sicht sei die
Einverleibung der Krim völkerrechtlich nicht vom Einmarsch der USA in den Irak zu
unterscheiden.

Panel II: Unterschiedliche Interessen – gemeinsame Lösungsstrategien: Die
Krisenbewältigung der transatlantischen Partner und ihre Folgen

Das Engagement der USA in der Ukraine-Krise
Wie ist das Engagement der USA im Rahmen der Ukraine-Krise zu bewerten? Mit dieser
Frage setzte sich Dr. Josef Braml (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.,
Berlin) in seinem Statement in dem von Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser (Hanns-Seidel-
Stiftung, München) moderierten Panel schwerpunktmäßig auseinander. Seiner Meinung
nach seien die USA nur am Rande in der Krise engagiert, da sie bloß ein
„mittelbares Interesse“ für einen größeren Einsatz hätten – nicht zuletzt bedingt
durch die Kriegsmüdigkeit im eigenen Land. Durch ihr symbolisches Handeln verfolgen
die USA zwei Ziele: Zum einen wolle Präsident Obama ein Signal an die europäischen
Partner senden, ihren Anteil an den sicherheitspolitischen Lasten zu tragen und
selber aktiv zu werden – Stichwort burden sharing. Zum anderen sei es den USA sehr
wichtig, in der Ukraine-Krise symbolisch Präsenz zu zeigen, um somit ihren
Vormachtanspruch in anderen Regionen, allen voran Asien, zu untermauern.

Der Scherbenhaufen NATO-Russlandbeziehungen
In der NATO stehe man aktuell vor einem Scherbenhaufen – es gebe noch keine
kohärente Strategie, wie mit Russland in dieser Situation umgegangen werden
soll. Mit dieser ernüchternden Beurteilung begann Heidi Reisinger (NATO Defense
College, Rom) ihre Ausführungen. Die NATO habe entgegen russischer Propaganda sehr
zurückhaltend und besonnen reagiert. Doch zeige allein dieser Aspekt die Zerrissenheit
in der NATO, da dieser Kurs nicht von allen Mitgliedern gutgeheißen würde: Das eine
Extrem der Ansichten befürworte ein wesentlich härteres Vorgehen gegen Russland in
dieser Krise, das andere wolle sich hier ganz und gar heraushalten.
Die Zurückhaltung habe in jedem Fall zu skeptischen Blicken der NATO-Partnerländer
geführt. Diese würden sehr genau beobachten, dass das Verteidigungsbündnis nichts
unternehme, wenn zwei Partnerländer in einen militärischen Konflikt gegeneinander
verwickelt seien.

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Reisinger stellte fest, dass die NATO durch beispielsweise die Rückversicherung der
Bündnispartner verschiedene Schritte eingeleitet und zudem ihre Identitätskrise durch
den    Konflikt    weitestgehend    überwunden     habe.   Doch offenbaren        die
Krisenbewältigungsstrategien der NATO auch tiefgreifende Schwächen des
Verteidigungsbündnisses – allen voran in seinen Kernkompetenzen Krisenmanagement
und kooperativer Sicherheit.

Die Wirkung der gemeinsamen Finanzsanktionen
Im Mittelpunkt des dritten Inputstatements stand die Frage, ob die Sanktionen gegen
Russland die intendierte Wirkung entfalten würden. Dr. Jens von Scherpenberg
(Ludwig-Maximilians-Universität, München) führte aus, dass Sanktionen zwei
allgemeine Ziele hätten: Das Land erstens (wirtschaftlich und politisch) unter Druck zu
setzen, um somit zweitens eine politische Verhaltensänderung herbeizuführen.
Bemerkenswert sei, dass noch nie Finanzsanktionen dieser Reichweite gegen ein
Land der Größe und Stärke Russlands verhängt wurden – diese gemeinsame Aktion
sei aufgrund der vorherrschenden unterschiedlichen Interessen der EU und der USA
erstaunlich. Die Sanktionen würden definitiv eine negative Wirkung auf Russland
entfalten, das nun mit einer Kapitalkrise zu kämpfen habe. Die währungs- und
finanzpolitische Dominanz der USA habe hierbei ein enormes Machtpotential. Dennoch
zeige Russland bisher keinerlei Verhaltensänderung.
Gleichzeitig würden die Sanktionen laut von Scherpenberg einen bereits angestoßenen
Prozess der Fragmentierung und Entglobalisierung der Weltwirtschaft beschleunigen,
der auch zu einer Schwächung des Dollars als Machtwährung führe. Der
Wirtschaftsexperte rechnet damit, dass der Dollar seine zentrale Stellung zugunsten
konkurrierender Währungen verlieren werde.

Diskussion: Von Sanktionen und Partnerschaft
In der anschließenden Debatte wurde zusammen mit dem fachlich versierten Publikum
unter anderem sehr kritisch und kontrovers die Frage nach der Wirksamkeit der
Sanktionen gegen Russland diskutiert. Die einen konstatierten, die Sanktionen seien
nicht mehr als ein symbolischer Akt gewesen, um die Geschlossenheit des Westens zu
demonstrieren und Moskau gewisse Grenzen aufzuzeigen. Ähnliche Stimmen waren
überzeugt, dass die Sanktionen kontraproduktiv seien: Putin habe sein Verhalten nicht
geändert, sein Regime sei innenpolitisch gar gestärkt und Russland hätte sich China
weiter angenähert. Aus diesem Grund könne es sein, dass das Kalkül der EU und der USA
nicht aufgehe. Andere Experten bescheinigten den Sanktionen jedoch Schlagkraft.
Reisinger konstatierte, Putin habe sich verschätzt, da er mit einer solchen Reaktion
des Westens nicht gerechnet habe. Darüber hinaus wurde von den Experten im
Plenum mit Nachdruck die Frage gestellt, was denn passiert wäre, wenn der Westen
nicht reagiert hätte. Ob die Sanktionen längerfristig gesehen die gewünschte politische

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Wirkung entfalten würden, sei laut von Scherpenberg nach aktuellem Stand noch nicht
absehbar.

Einigkeit bestand hingegen darin, dass die transatlantische Allianz in der Ukraine-
Krise tiefgreifende Schwächen offenbare. Unterschiedliche Interessen zu haben sei
nicht neu. Besorgniserregend sei jedoch die negative Stimmung in den Gesellschaften
und den politischen Eliten. Nicht zuletzt werde die Forderung eines stärkeren
Engagements der europäischen Partner in den USA immer lauter – den Europäern hafte
das Bild sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer an. Doch sei die Krise anscheinend noch
nicht gravierend genug, um zu einem Umdenken bei den Europäern zu führen und
notwendige sicherheitspolitische Verantwortung auch finanziell wahrzunehmen.
Verhängnisvoll sei es, dass seit Jahren diskutierte Lösungen wie Pooling und Sharing in
der Europäischen Union nicht vorankommen würden.

Kamingespräch: Wenn das Vertrauen schwindet – Die deutsch-amerikanischen
Beziehungen nach den Abhör- und Spionage-Affären

In der Atmosphäre des prachtvollen Kaisersaals erörterten unter der Moderation von
Prof. em. Dr. Christian Hacke (Rheinischen Friedrich-Universität, Bonn) ein deutscher
und ein amerikanischer Vertreter, welche Auswirkungen die Debatte um das
Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) und die Spionageaffären auf die
Partnerschaft haben.
Dr. Jackson Janes (American Institute for Contemporary German Studies, Washington
D.C.) begrüßte das Freihandelsabkommen. Ein Projekt dieser Größenordnung
verbessere die Beziehung, da es intensiven wechselseitigen Austausch ermögliche. Im
Zusammenspiel von Wettbewerb und Zusammenarbeit profitiere Deutschland als
„leader in partnership“. Er äußerte jedoch Zweifel, ob US-Präsident Obama das
Abkommen noch in seiner Amtszeit durchsetzen können wird, da er sowohl vom
republikanisch-dominierten Kongress, als auch von verschiedenen Interessensgruppen
Gegenwind erhielte. Dr. Andreas Lenz, MdB, ging von keinem Dissens der
Verhandlungen mit den Republikanern aus. Diese Partei, so Lenz, fordere nicht
unbedingt einen Investitionsschutz und sei für eine Marktvergrößerung tendenziell
leichter zu gewinnen. Das Hauptproblem sah er in der öffentlichen Meinung. Besonders
beunruhigt zeigte sich Lenz über den latenten Anti-Amerikanismus in Deutschland.
Obwohl Deutschland in seiner Vergangenheit bereits eine Fülle von
Freihandelsabkommen abgeschlossen habe, sei die Debatte um TTIP sehr emotional
aufgeladen. Zusätzlich führe die NSA-Affäre, welche die Dichotomie von Freiheit und
Sicherheit aufzeige, zu einer weiteren Entfremdung der beiden Partner. Lenz hielt es für
falsch, TTIP grundsätzlich abzulehnen, sondern vertrat die Ansicht, dass die
Verhandlungen durchaus selbstbewusst und ergebnisoffen geführt werden sollten. Die
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deutsche und europäische Politik sei sich über die vorherrschenden Unterschiede der
Systeme durchaus bewusst. Es müsse jedoch auf dem Fundament einer gemeinsamen
Interessens- und Werteausrichtung aufgebaut, und Gemeinsamkeiten der Partnerschaft
wieder neu erkannt werden.
Hacke fügte hinzu, dass die NSA-Affäre das Vertrauen der transatlantischen
Partnerschaft auf eine harte Probe gestellt habe. Janes merkte hierauf an, dass die Welt
und insbesondere der Westen nach den Ereignissen um 9/11 einer ständigen Gefahr
durch Bedrohungen wie beispielsweise islamistischen Terrors ausgesetzt seien. Das
daraus resultierte Sicherheitsstreben sei Ursache für die massenhafte Erfassung von
Daten. Lenz wies auf die neuen sicherheitspolitischen Konstellationen des 21.
Jahrhunderts hin. Auch Deutschland sei inzwischen zu einem emanzipierten Staat
gereift, der aktiv den internationalen Kampf gegen Terror unterstützt. Er bekräftigte,
dass die NSA-Affäre nicht das Fundament der transatlantischen Beziehungen in Frage
stelle. Vielmehr mache sie auf bereits bestehende Probleme aufmerksam, denen sich die
Politik widmen müsse. Um das deutsch-amerikanische Vertrauensverhältnis
wiederherzustellen, und damit langfristig an der Erfolgsgeschichte der
transatlantischen Kooperation anzuknüpfen, müsse Glaubwürdigkeit bewiesen
werden. Dieses brauche Zeit, Vorurteilslosigkeit und Weitblick.

Panel III: Nach der Krise: Sicherheit in der Ukraine und ihren Nachbarländern

Sicherheit aus amerikanischer Sicht
Die Moderatorin Gemma Pörzgen (Freie Journalistin, Berlin) eröffnete das Panel mit
dem Hinweis auf die entstandene Unsicherheit in der Ukraine sowie in weiteren post-
sowjetischen Staaten wie dem Baltikum, Weißrussland oder Georgien. Chistopher S.
Chivvis (RAND, Washington D.C.) sah in Russlands Provokationen eine Beförderung von
Konflikten innerhalb und zwischen Staaten. Besonders die zunehmende
Fragmentierung Europas und der aufsteigende Nationalismus werde deutlich.
Chivves war überzeugt, dass die russische Regierung eine weitere Einflussnahme in der
Region anstrebe. Die politischen Entscheidungsträger verhalten sich gegenwärtig wie
ein gleichrangiger Bestandteil eines „Konzerts der Mächte“ – wie im Europa des 19.
Jahrhunderts, als die Außen- und Sicherheitspolitik noch von einer Pentarchie bestimmt
war. Dabei setze Putin auf keinen speziellen Endplan, sondern auf eine generelle
Destabilisierungspolitik und entscheide „case to case“. Es sei die „einzige Option“ des
Westens, eine gemeinsame Abschreckungsstrategien zu entwerfen. Chivvis warnte
vor einer gedanklichen Trennung zwischen EU-Mitgliedern und NATO-Partnern. Eine
Abschreckungspolitik müsse zudem je nach Land und Fall situativ entwickelt werden.
Dabei unterschied Chivves drei Ebenen: Zum einen die taktische Abschreckung,
welche hybride und unkonventionelle Kriegsführung umfasst; zweitens die operative
Abschreckung durch Truppenstationierung oder Bereitstellen von Equipment; und
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drittens die strategische Abschreckung, d.h. die politische Komponente. Letztere
beinhalte die Fortführung des Entwicklungsprozesses der EU und der NATO, sowie
deren Demonstration von Einigkeit, um als außenpolitische Großmacht abschreckend zu
wirken. Der Experte mutmaßte, dass Russland derzeit keine militärische
Auseinandersetzung anstrebe. Daher müsse sich der Westen auf eine präventiv
wirkende strategische Abschreckung konzentrieren, sodass Russland sich langfristig der
außenpolitischen Konstellation zu beugen habe. In die Ukraine selbst müsse ein
strategisches State-Building Programm umgesetzt werden. Besondere Unterstützung
werde von der EU erwartet, da die Regierung in Washington Russland nicht als höchste
Priorität wahrnehme. Man sähe sich mit anderen globalen Brennpunkten, wie der
Gefahr durch den „Islamischen Staat“, dem Aufstieg Chinas oder der Ebola-Epidemie,
konfrontiert und müsse zudem im Inland wirtschaftliche und soziale Reformen
umsetzen.

Eine neue Erscheinung: hybride Kriegsführung
Dr. Margarete Klein (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) erörterte die russische
Militarisierung vor und besonders während der Ukraine Krise. Sie stellte fest, dass sich
in der Ukraine-Krise besonders die Entwicklung vom traditionellen zum hybriden
Krieg erkennen ließe. Dessen Instrumente können in „militärische“ und „nicht-
militärische“ unterteilt werden, sowie die Kriegsführung in „regulär“ und „nicht-
regulär“. Klein berichtete von der erfolgreichen Militärreform Russlands seit 2008.
Inzwischen verfüge diese Armee über eine schnelle Reaktionsfähigkeit und
Spezialeinheiten. Neben diesen Fähigkeiten nutze Russland militärische und nicht-
militärische Mittel der Kriegsführung, welche nachweislich im Ukraine-Konflikt
eingesetzt wurden. Die Russland-Expertin führte weiter aus, dass zum einen die
militärische Unterstützung der Rebellen durch Ausbildung, Training und Bewaffnung,
aber auch die Involvierung eigener Kräfte in der Ukraine gehören. Zudem solle durch
schwer erfassbare Militärübungen der Druck an den Grenzen aufrechterhalten werden,
welche nicht nur vorbereitend, sondern auch außenpolitisch abschreckend wirken
sollen. Zu den nicht-militärischen Mitteln gehören Propaganda und gezielte
Destabilisierungsversuche, die besonders im Südosten der Ukraine angewendet würden.
Bezüglich einer Lösung des Ukraine-Konfliktes folgerte Klein, dass im Zuge der hybriden
Kriegsführung der Westen vor besonderen Herausforderungen stehe. Sie stimmte mit
Chivves überein, dass es eine neue Form der Abschreckung brauche, die sowohl
militärische als auch nicht-militärische Elemente umfasse. Klein verwies zudem auf die
Defizite der ukrainischen Armee: Die Ausrüstung und Bewaffnung seien veraltet, die
militärische Ausbildung eher unprofessionell und der Konflikt hätte die Schwächen in
der Einsatzkonzeption aufgezeigt. Zudem würde es an Loyalität und an effektiver
Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden mangeln. Daher sei eine
umfassende Sicherheitsreform des ukrainischen Militärs erforderlich. Als

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unterstützende Kraft, müsse sich die westliche Staatengemeinschaft bewusst machen,
dass dies eine „Herkulesaufgabe“ darstelle.

Russisch-ukrainische Wirtschaftbeziehungen als Einflussfaktor
Den letzten Impulsvortrag hielt Prof. Wladimir Woloshin (Wirtschaftsinstitut der
Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau), in welchem er auf die
wirtschaftliche Verflechtung zwischen Russland und der Ukraine hinwies. Russland sei
ein wichtiger Handels- und Investitionspartner der Ukraine. Er warnte davor, dass bei
Verlust des russischen Marktes das Land in eine Phase der „Deindustrialisierung“
zurückfalle. Es sei bereits ein beachtlicher Rückgang des Handels sowie der
ukrainischen Produktion zu erkennen, was zu erhöhter Arbeitslosigkeit und Inflation
führe. Der wirtschaftliche Abschwung werde, laut Woloshin, erwartungsgemäß länger
andauern. Aufgrund der Verflechtung von Politik und Wirtschaft werde die politische
Krise zudem langfristig die wirtschaftlichen Beziehungen und Entwicklungen
beeinträchtigen. Er fügte hinzu, dass die Sanktionen des Westens nicht nur Russland,
sondern auch die Ukraine negativ träfen. Eine politische Integration der Ukraine an die
EU wertet Woloshin kritisch, da die Ukraine wirtschaftlich in vielen Bereichen noch
an Russland gebunden sei. Er plädierte abschließend für eine Normalisierung der
politischen Beziehungen zwischen der EU, der Ukraine und Russland, sodass sich auf
eine zukunftsgerichtete Kooperation konzentriert werden könne.

Panel III: Abschlussdiskussion: Wird die Krise sich als Katalysator für die
transatlantische Partnerschaft erweisen?

Beim abschließenden Panel stellte der Moderator Prof. Dr. Stephan Bierling (Universität
Regensburg) zunächst die Frage nach der innenpolitischen Lage in den USA: Sei dort
wirklich eine Abkehr von außen- und sicherheitspolitischem Interesse der USA
festzustellen? Richard Teltschik (Hanns-Seidel-Stiftung, Washington D.C.) könne das aus
seiner Erfahrung vor Ort nicht bestätigen. Zwar wollte sich Obama aus kriegerischen
Auseinandersetzungen heraushalten und die USA würde außen- und sicherheitspolitisch
nicht mehr „hervorpreschen“. Doch erfordere die Vielzahl an globalen Krisen ein
Eingreifen der USA. Dies sei den politischen Eliten bewusst, weswegen das Thema
intensiv diskutiert werde.

Der These, dass sich die Krise als Katalysator für die transatlantische Partnerschaft
erwiesen hat, stand Dr. Gerlinde Groitl (Universität Regensburg) skeptisch gegenüber.
Trotz der beschworenen Einheit des Westens durch die Ukraine-Krise würden
viele Trennlinien die Partnerschaft erschweren. Hierbei sei die bereits genannte
Entfremdung der Gesellschaften zu nennen, die sich auf europäischer Seite in einer
Grundskepsis gegenüber dem Agieren der USA widerspiegle. Darüber hinaus seien die
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unterschiedlichen       Interessen     vor     dem      Hintergrund      weltpolitischer
Machtverschiebungen eine zentrale Herausforderung. Die USA würden sich laut Groitl
weniger außen- und sicherheitspolitisch zurückziehen, als vielmehr den Blick zu weiten
– nicht zuletzt auf den pazifischen Raum. Die Ukraine-Krise sei daher mehr eine „lästige
Ablenkung“ als im genuinen Interesse der Vereinigten Staaten. Prof. Dr. Hannes Adomeit
(ehemals College of Europe, Warschau) stellte fest, dass Europa zwar in den politischen
Eliten Washingtons eine wichtigere Rolle spiele. Die amerikanische Bevölkerung zeige
jedoch an der Beziehung wenig Interesse und lege den Fokus auf wirtschaftlich-
innenpolitische Belange.

In der anschließenden Diskussion stand zunächst die Frage im Raum, ob eine (politische
und wirtschaftliche) Überlastung – overstretch genannt – sowohl auf Seiten Russlands
als auch der westlichen Verbündeten auszumachen sei. Adomeit konstatierte, dass
Russland aktuell überfordert sei, wodurch die Wirksamkeit der Sanktionen untermauert
würde. Doch kamen die Experten auch zu dem Schluss, dass die USA und die EU mit den
„Altlasten“ Afghanistan und Irak und der Vielzahl an aktuellen internationalen Krisen
große Probleme hätten. Laut Groitl würden die USA „nun probieren“, die aktuellen,
neuartigen Herausforderungen im internationalen System, handhabbar zu machen –
beispielsweise durch den Einsatz von Drohnen.

Einig waren sich die Experten darin, dass die Ukraine-Krise ein Katalysator der
transatlantischen Zusammenarbeit sein könne und teilweise schon ist. Der Ruf nach
mehr deutscher Führung in den USA, vor allem in Europa, sei nicht zu überhören –
Deutschland würde als „Fels in der Brandung“ und Problemlöser innerhalb Europas
betrachtet werden. Jedoch müsse der Entfremdung Deutschlands von den USA Einhalt
geboten werden, denn die USA seien laut Teltschik pragmatisch und würden mit
denjenigen Partnern zusammenarbeiten, die ihren Interessen am besten dienten.

Fazit

Nach zwei Tagen intensiver sowie kontroverser Diskussionen konnten sowohl
tiefgreifende Probleme, als auch Chancen und Möglichkeiten einer Verbesserung der
transatlantischen Partnerschaft festgestellt und für die Entschärfung des Ukraine-
Konflikts aufgezeigt werden.

Der Konflikt in der Ukraine ist sehr komplex, der Westen und die transatlantischen
Partner mit einer imperialen Politik Russlands konfrontiert, die vor keinen Mitteln
zurückschreckt und die Schwächen seiner Gegner ausnutzt. Insbesondere die NATO
steht vor großen Herausforderungen: Nicht nur aufgrund der Schwierigkeit des
Umgangs mit hybrider Kriegsführung und eines aggressiv handelnden Moskaus, sondern
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auch aufgrund der inneren Zerrissenheit und sicherheitspolitischen Mängel, mit Blick
auf die Krisenbewältigungsstrategien, die sie momentan aufweist. Dazu kommt eine
zunehmende gesellschaftliche Skepsis gegenüber dem jeweils Anderen und
Interessenunterschiede der politischen Eliten auf beiden Seiten des Atlantiks.

Nichts destotrotz ist durch die Ukraine-Krise auch die Einheit des Westens gestärkt und
die Identitätskrise der NATO überwunden worden. Diese hat erste Maßnahmen
eingeleitet, um auf die neuerliche Ost-West-Konfrontation zu reagieren. Außerdem ist es
den transatlantischen Partnern gelungen, (Wirtschafts- und) Finanzsanktionen in einer
bis dahin einzigartigen Art und Weise zu verhängen, die großen wirtschaftlichen Druck
auf Russland ausüben.

Die Herausforderung ist es nun, Interessensunterschiede konstruktiv zu begleiten und
beizulegen, die Bande der transatlantischen Partner zu stärken und die Lasten
angemessen zu verteilen. Nicht zuletzt Deutschland muss hier eine stärkere Rolle
spielen und mehr Verantwortung und Führung vor allem in Europa übernehmen.

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