Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft
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Tagungsbericht Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung am 20./21. November 2014 im Bildungszentrum Kloster Banz Datei eingestellt am 18.12.2014 unter http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/141120_Tagungs bericht.pdf Empfohlene Zitierweise Beim Zitieren empfehlen wir hinter den Titel des Beitrags das Datum der Einstellung und nach der URL-Angabe das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse anzugeben. [Vorname Name: Titel. Untertitel (Datum der Einstellung). In: http://www.hss.de/...pdf (Datum Ihres letzten Besuches).]
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft 20./21. November 2014, Kloster Banz Welche Auswirkungen hat die Ukraine-Krise auf die transatlantische Partnerschaft und wie können gemeinsame Lösungsstrategien erfolgreich umgesetzt werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der diesjährigen Transatlantik-Tagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, die vom 20. bis 21. November im Kloster Banz stattfand. Die transatlantische Partnerschaft steht vor großen Herausforderungen. Nicht nur aufgrund der Vielzahl an internationalen Konflikten. Sondern auch, da sich die Jahrzehnte währende Partnerschaft in keinem guten Zustand befindet: Die NSA-Affäre und neuerliche Spionagevorwürfe haben die Bundesregierung von Angela Merkel erschüttert und Vertrauen zerstört; weltpolitische Machtverschiebungen sowie unterschiedliche Interessen und Wahrnehmungen – nicht zuletzt aufgrund spezifischer innenpolitischer Konstellationen – erschweren konzertierte Aktionen. Sehr deutlich zeigt sich diese Entwicklung in der Ukraine-Krise und dem Verhältnis der verschiedenen Länder zu Russland. Wie können die USA und die EU also eine effektivere Sicherheitspolitik verfolgen, um zukünftige Grenzkonflikte mit Russland zu vermeiden? Wodurch kann die Ukraine stabilisiert werden? Mit welchen Mitteln können die gemeinsamen Ziele der transatlantischen Partner – eine Ukraine, in der sowohl Demokratie und Stabilität herrschen, als auch gute Beziehungen zu den USA, Europa und Russland – erreicht werden? Wie sieht die Zukunft der „strategischen Partnerschaft“ zwischen Russland und der NATO aus? Um diesen Fragen auf den Grund gehen zu können, brachte die Hanns-Seidel-Stiftung in München unter Mitarbeit deren Büros in Berlin, Moskau und Washington D.C. namhafte Experten aus verschiedenen Ländern zusammen. 1
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 Panel I: Vom Protest zur Staatskrise: Hintergrund und Entwicklung der Ukraine- Krise Neue Identitätsbildung in der Ukraine Die Moderatorin, Dr. Barbara Kunz (Stiftung Genshagen, Genshagen), leitete das erste Panel der Tagung mit der Frage ein, wie innenpolitische Entwicklungen in der Ukraine auf die Krise im „Land am Rand“ einwirken. Ihr Podiumsgast Peter Hilkes (Ludwig- Maximilians-Universität, München) untermauerte seine Bewertung unter anderem mit persönlichen Erfahrungen vor Ort. Dabei merkte er an, dass im Zuge der Maidan- Bewegung eine neue nationale Identität in der Ukraine entstanden sei, welche zum Sturz des ehemaligen ukrainischen Präsident Janukowitsch führte. Sie sei keine vom Ausland mitfinanzierte Oppositionsbewegung, sondern entspräche dem Wunsch des Volkes nach Anbindung an den Westen. Die Bevölkerung im Osten sei, laut Hilkes, politisch unzufrieden, aber durch ihre geographische Lage, fernab des Regierungszentrum Kiews, auch leichter zugänglich für die Separatisten und ihren vermeintlich gleichen Interessen. Der Mensch als wichtiger Bestandteil des Staates rücke in seinem Bestreben nach Selbstbestimmung in den Vordergrund. Weder die ukrainische Armee, noch die führenden Parteien oder deren Politiker waren in der Lage diese Entwicklung aufhalten. Hilkes mahnte an, dass das Parlament bei unzureichenden strukturellen Reformen erneut seinen Rückhalt in der ukrainischen Bevölkerung verlieren könnte. Es sei daher von erheblicher Bedeutung, den Destabilisierungsversuchen Russlands entgegenzuwirken, zumal Russland, so Hilkes, weitere territoriale Ambitionen nach krim’schen Vorbild hege. Das Parlament setze entsprechend seinen pro-europäischen Kurs fort, wie die Ergebnisse der ukrainischen Parlamentswahlen von Oktober 2014 belegen. Die Neustrukturierung des Landes habe neben der Stabilisierung der Sicherheitslage auf allen Ebenen höchste Priorität. Abschließend mahnte Hilkes, dass es Aufgabe der EU und der NATO bleibe, diese Entwicklung weiterhin zu beobachten und gegebenenfalls zu unterstützen. Innenpolitischer Druck auf Putin Der zweite Impulsvortrag wurde von Dr. Markus Ehm (Hanns-Seidel-Stiftung, Moskau) gehalten. Dabei verwies der Experte auf innenpolitische Faktoren in Russland, welche zur Krise beitrugen. Die EU-Assoziierungsgespräche mit der Ukraine, der bisherigen Pufferzone, seien aus russischer Sicht nicht nur eine Vorstufe zur EU, sondern auch zur NATO-Mitgliedschaft. Auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges würde die NATO von der breiten Bevölkerung sowie der politischen Elite Russlands als „stille Bedrohung“ wahrgenommen werden. Zu oft seien die Russen in ihrer Vergangenheit von ehemals verbündeten Vertragspartnern angegriffen worden. Diese historische Erfahrung präge bis heute das nationale Bewusstsein, sodass Putin nicht im Alleingang, sondern vielmehr mit großem Rückhalt in der russischen Bevölkerung handelte. Umfragewerte des russischen Präsidenten von über 90 Prozent bestätigen dieses Bild 2
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 und seien, gemäß der Einschätzung von Ehm, wahrheitsgetreu. Die Propagandamaschenerie, welche Putin seit 2013 betreibe, sei unter anderem deswegen so erfolgreich, weil sie im Kern den Wunsch der Bevölkerung nach einer Rückkehr zur (nicht unbedingt aggressiven) Weltmacht ausdrücke, die Russland bis zum Fall der Sowjetunion war. Ehm geht davon aus, dass sich die Bevölkerung und der Kreml erstmals wieder mit den USA auf einer Augenhöhe sehen. Aus russischer Sicht sei die Einverleibung der Krim völkerrechtlich nicht vom Einmarsch der USA in den Irak zu unterscheiden. Panel II: Unterschiedliche Interessen – gemeinsame Lösungsstrategien: Die Krisenbewältigung der transatlantischen Partner und ihre Folgen Das Engagement der USA in der Ukraine-Krise Wie ist das Engagement der USA im Rahmen der Ukraine-Krise zu bewerten? Mit dieser Frage setzte sich Dr. Josef Braml (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., Berlin) in seinem Statement in dem von Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser (Hanns-Seidel- Stiftung, München) moderierten Panel schwerpunktmäßig auseinander. Seiner Meinung nach seien die USA nur am Rande in der Krise engagiert, da sie bloß ein „mittelbares Interesse“ für einen größeren Einsatz hätten – nicht zuletzt bedingt durch die Kriegsmüdigkeit im eigenen Land. Durch ihr symbolisches Handeln verfolgen die USA zwei Ziele: Zum einen wolle Präsident Obama ein Signal an die europäischen Partner senden, ihren Anteil an den sicherheitspolitischen Lasten zu tragen und selber aktiv zu werden – Stichwort burden sharing. Zum anderen sei es den USA sehr wichtig, in der Ukraine-Krise symbolisch Präsenz zu zeigen, um somit ihren Vormachtanspruch in anderen Regionen, allen voran Asien, zu untermauern. Der Scherbenhaufen NATO-Russlandbeziehungen In der NATO stehe man aktuell vor einem Scherbenhaufen – es gebe noch keine kohärente Strategie, wie mit Russland in dieser Situation umgegangen werden soll. Mit dieser ernüchternden Beurteilung begann Heidi Reisinger (NATO Defense College, Rom) ihre Ausführungen. Die NATO habe entgegen russischer Propaganda sehr zurückhaltend und besonnen reagiert. Doch zeige allein dieser Aspekt die Zerrissenheit in der NATO, da dieser Kurs nicht von allen Mitgliedern gutgeheißen würde: Das eine Extrem der Ansichten befürworte ein wesentlich härteres Vorgehen gegen Russland in dieser Krise, das andere wolle sich hier ganz und gar heraushalten. Die Zurückhaltung habe in jedem Fall zu skeptischen Blicken der NATO-Partnerländer geführt. Diese würden sehr genau beobachten, dass das Verteidigungsbündnis nichts unternehme, wenn zwei Partnerländer in einen militärischen Konflikt gegeneinander verwickelt seien. 3
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 Reisinger stellte fest, dass die NATO durch beispielsweise die Rückversicherung der Bündnispartner verschiedene Schritte eingeleitet und zudem ihre Identitätskrise durch den Konflikt weitestgehend überwunden habe. Doch offenbaren die Krisenbewältigungsstrategien der NATO auch tiefgreifende Schwächen des Verteidigungsbündnisses – allen voran in seinen Kernkompetenzen Krisenmanagement und kooperativer Sicherheit. Die Wirkung der gemeinsamen Finanzsanktionen Im Mittelpunkt des dritten Inputstatements stand die Frage, ob die Sanktionen gegen Russland die intendierte Wirkung entfalten würden. Dr. Jens von Scherpenberg (Ludwig-Maximilians-Universität, München) führte aus, dass Sanktionen zwei allgemeine Ziele hätten: Das Land erstens (wirtschaftlich und politisch) unter Druck zu setzen, um somit zweitens eine politische Verhaltensänderung herbeizuführen. Bemerkenswert sei, dass noch nie Finanzsanktionen dieser Reichweite gegen ein Land der Größe und Stärke Russlands verhängt wurden – diese gemeinsame Aktion sei aufgrund der vorherrschenden unterschiedlichen Interessen der EU und der USA erstaunlich. Die Sanktionen würden definitiv eine negative Wirkung auf Russland entfalten, das nun mit einer Kapitalkrise zu kämpfen habe. Die währungs- und finanzpolitische Dominanz der USA habe hierbei ein enormes Machtpotential. Dennoch zeige Russland bisher keinerlei Verhaltensänderung. Gleichzeitig würden die Sanktionen laut von Scherpenberg einen bereits angestoßenen Prozess der Fragmentierung und Entglobalisierung der Weltwirtschaft beschleunigen, der auch zu einer Schwächung des Dollars als Machtwährung führe. Der Wirtschaftsexperte rechnet damit, dass der Dollar seine zentrale Stellung zugunsten konkurrierender Währungen verlieren werde. Diskussion: Von Sanktionen und Partnerschaft In der anschließenden Debatte wurde zusammen mit dem fachlich versierten Publikum unter anderem sehr kritisch und kontrovers die Frage nach der Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland diskutiert. Die einen konstatierten, die Sanktionen seien nicht mehr als ein symbolischer Akt gewesen, um die Geschlossenheit des Westens zu demonstrieren und Moskau gewisse Grenzen aufzuzeigen. Ähnliche Stimmen waren überzeugt, dass die Sanktionen kontraproduktiv seien: Putin habe sein Verhalten nicht geändert, sein Regime sei innenpolitisch gar gestärkt und Russland hätte sich China weiter angenähert. Aus diesem Grund könne es sein, dass das Kalkül der EU und der USA nicht aufgehe. Andere Experten bescheinigten den Sanktionen jedoch Schlagkraft. Reisinger konstatierte, Putin habe sich verschätzt, da er mit einer solchen Reaktion des Westens nicht gerechnet habe. Darüber hinaus wurde von den Experten im Plenum mit Nachdruck die Frage gestellt, was denn passiert wäre, wenn der Westen nicht reagiert hätte. Ob die Sanktionen längerfristig gesehen die gewünschte politische 4
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 Wirkung entfalten würden, sei laut von Scherpenberg nach aktuellem Stand noch nicht absehbar. Einigkeit bestand hingegen darin, dass die transatlantische Allianz in der Ukraine- Krise tiefgreifende Schwächen offenbare. Unterschiedliche Interessen zu haben sei nicht neu. Besorgniserregend sei jedoch die negative Stimmung in den Gesellschaften und den politischen Eliten. Nicht zuletzt werde die Forderung eines stärkeren Engagements der europäischen Partner in den USA immer lauter – den Europäern hafte das Bild sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer an. Doch sei die Krise anscheinend noch nicht gravierend genug, um zu einem Umdenken bei den Europäern zu führen und notwendige sicherheitspolitische Verantwortung auch finanziell wahrzunehmen. Verhängnisvoll sei es, dass seit Jahren diskutierte Lösungen wie Pooling und Sharing in der Europäischen Union nicht vorankommen würden. Kamingespräch: Wenn das Vertrauen schwindet – Die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach den Abhör- und Spionage-Affären In der Atmosphäre des prachtvollen Kaisersaals erörterten unter der Moderation von Prof. em. Dr. Christian Hacke (Rheinischen Friedrich-Universität, Bonn) ein deutscher und ein amerikanischer Vertreter, welche Auswirkungen die Debatte um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) und die Spionageaffären auf die Partnerschaft haben. Dr. Jackson Janes (American Institute for Contemporary German Studies, Washington D.C.) begrüßte das Freihandelsabkommen. Ein Projekt dieser Größenordnung verbessere die Beziehung, da es intensiven wechselseitigen Austausch ermögliche. Im Zusammenspiel von Wettbewerb und Zusammenarbeit profitiere Deutschland als „leader in partnership“. Er äußerte jedoch Zweifel, ob US-Präsident Obama das Abkommen noch in seiner Amtszeit durchsetzen können wird, da er sowohl vom republikanisch-dominierten Kongress, als auch von verschiedenen Interessensgruppen Gegenwind erhielte. Dr. Andreas Lenz, MdB, ging von keinem Dissens der Verhandlungen mit den Republikanern aus. Diese Partei, so Lenz, fordere nicht unbedingt einen Investitionsschutz und sei für eine Marktvergrößerung tendenziell leichter zu gewinnen. Das Hauptproblem sah er in der öffentlichen Meinung. Besonders beunruhigt zeigte sich Lenz über den latenten Anti-Amerikanismus in Deutschland. Obwohl Deutschland in seiner Vergangenheit bereits eine Fülle von Freihandelsabkommen abgeschlossen habe, sei die Debatte um TTIP sehr emotional aufgeladen. Zusätzlich führe die NSA-Affäre, welche die Dichotomie von Freiheit und Sicherheit aufzeige, zu einer weiteren Entfremdung der beiden Partner. Lenz hielt es für falsch, TTIP grundsätzlich abzulehnen, sondern vertrat die Ansicht, dass die Verhandlungen durchaus selbstbewusst und ergebnisoffen geführt werden sollten. Die 5
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 deutsche und europäische Politik sei sich über die vorherrschenden Unterschiede der Systeme durchaus bewusst. Es müsse jedoch auf dem Fundament einer gemeinsamen Interessens- und Werteausrichtung aufgebaut, und Gemeinsamkeiten der Partnerschaft wieder neu erkannt werden. Hacke fügte hinzu, dass die NSA-Affäre das Vertrauen der transatlantischen Partnerschaft auf eine harte Probe gestellt habe. Janes merkte hierauf an, dass die Welt und insbesondere der Westen nach den Ereignissen um 9/11 einer ständigen Gefahr durch Bedrohungen wie beispielsweise islamistischen Terrors ausgesetzt seien. Das daraus resultierte Sicherheitsstreben sei Ursache für die massenhafte Erfassung von Daten. Lenz wies auf die neuen sicherheitspolitischen Konstellationen des 21. Jahrhunderts hin. Auch Deutschland sei inzwischen zu einem emanzipierten Staat gereift, der aktiv den internationalen Kampf gegen Terror unterstützt. Er bekräftigte, dass die NSA-Affäre nicht das Fundament der transatlantischen Beziehungen in Frage stelle. Vielmehr mache sie auf bereits bestehende Probleme aufmerksam, denen sich die Politik widmen müsse. Um das deutsch-amerikanische Vertrauensverhältnis wiederherzustellen, und damit langfristig an der Erfolgsgeschichte der transatlantischen Kooperation anzuknüpfen, müsse Glaubwürdigkeit bewiesen werden. Dieses brauche Zeit, Vorurteilslosigkeit und Weitblick. Panel III: Nach der Krise: Sicherheit in der Ukraine und ihren Nachbarländern Sicherheit aus amerikanischer Sicht Die Moderatorin Gemma Pörzgen (Freie Journalistin, Berlin) eröffnete das Panel mit dem Hinweis auf die entstandene Unsicherheit in der Ukraine sowie in weiteren post- sowjetischen Staaten wie dem Baltikum, Weißrussland oder Georgien. Chistopher S. Chivvis (RAND, Washington D.C.) sah in Russlands Provokationen eine Beförderung von Konflikten innerhalb und zwischen Staaten. Besonders die zunehmende Fragmentierung Europas und der aufsteigende Nationalismus werde deutlich. Chivves war überzeugt, dass die russische Regierung eine weitere Einflussnahme in der Region anstrebe. Die politischen Entscheidungsträger verhalten sich gegenwärtig wie ein gleichrangiger Bestandteil eines „Konzerts der Mächte“ – wie im Europa des 19. Jahrhunderts, als die Außen- und Sicherheitspolitik noch von einer Pentarchie bestimmt war. Dabei setze Putin auf keinen speziellen Endplan, sondern auf eine generelle Destabilisierungspolitik und entscheide „case to case“. Es sei die „einzige Option“ des Westens, eine gemeinsame Abschreckungsstrategien zu entwerfen. Chivvis warnte vor einer gedanklichen Trennung zwischen EU-Mitgliedern und NATO-Partnern. Eine Abschreckungspolitik müsse zudem je nach Land und Fall situativ entwickelt werden. Dabei unterschied Chivves drei Ebenen: Zum einen die taktische Abschreckung, welche hybride und unkonventionelle Kriegsführung umfasst; zweitens die operative Abschreckung durch Truppenstationierung oder Bereitstellen von Equipment; und 6
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 drittens die strategische Abschreckung, d.h. die politische Komponente. Letztere beinhalte die Fortführung des Entwicklungsprozesses der EU und der NATO, sowie deren Demonstration von Einigkeit, um als außenpolitische Großmacht abschreckend zu wirken. Der Experte mutmaßte, dass Russland derzeit keine militärische Auseinandersetzung anstrebe. Daher müsse sich der Westen auf eine präventiv wirkende strategische Abschreckung konzentrieren, sodass Russland sich langfristig der außenpolitischen Konstellation zu beugen habe. In die Ukraine selbst müsse ein strategisches State-Building Programm umgesetzt werden. Besondere Unterstützung werde von der EU erwartet, da die Regierung in Washington Russland nicht als höchste Priorität wahrnehme. Man sähe sich mit anderen globalen Brennpunkten, wie der Gefahr durch den „Islamischen Staat“, dem Aufstieg Chinas oder der Ebola-Epidemie, konfrontiert und müsse zudem im Inland wirtschaftliche und soziale Reformen umsetzen. Eine neue Erscheinung: hybride Kriegsführung Dr. Margarete Klein (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) erörterte die russische Militarisierung vor und besonders während der Ukraine Krise. Sie stellte fest, dass sich in der Ukraine-Krise besonders die Entwicklung vom traditionellen zum hybriden Krieg erkennen ließe. Dessen Instrumente können in „militärische“ und „nicht- militärische“ unterteilt werden, sowie die Kriegsführung in „regulär“ und „nicht- regulär“. Klein berichtete von der erfolgreichen Militärreform Russlands seit 2008. Inzwischen verfüge diese Armee über eine schnelle Reaktionsfähigkeit und Spezialeinheiten. Neben diesen Fähigkeiten nutze Russland militärische und nicht- militärische Mittel der Kriegsführung, welche nachweislich im Ukraine-Konflikt eingesetzt wurden. Die Russland-Expertin führte weiter aus, dass zum einen die militärische Unterstützung der Rebellen durch Ausbildung, Training und Bewaffnung, aber auch die Involvierung eigener Kräfte in der Ukraine gehören. Zudem solle durch schwer erfassbare Militärübungen der Druck an den Grenzen aufrechterhalten werden, welche nicht nur vorbereitend, sondern auch außenpolitisch abschreckend wirken sollen. Zu den nicht-militärischen Mitteln gehören Propaganda und gezielte Destabilisierungsversuche, die besonders im Südosten der Ukraine angewendet würden. Bezüglich einer Lösung des Ukraine-Konfliktes folgerte Klein, dass im Zuge der hybriden Kriegsführung der Westen vor besonderen Herausforderungen stehe. Sie stimmte mit Chivves überein, dass es eine neue Form der Abschreckung brauche, die sowohl militärische als auch nicht-militärische Elemente umfasse. Klein verwies zudem auf die Defizite der ukrainischen Armee: Die Ausrüstung und Bewaffnung seien veraltet, die militärische Ausbildung eher unprofessionell und der Konflikt hätte die Schwächen in der Einsatzkonzeption aufgezeigt. Zudem würde es an Loyalität und an effektiver Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden mangeln. Daher sei eine umfassende Sicherheitsreform des ukrainischen Militärs erforderlich. Als 7
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 unterstützende Kraft, müsse sich die westliche Staatengemeinschaft bewusst machen, dass dies eine „Herkulesaufgabe“ darstelle. Russisch-ukrainische Wirtschaftbeziehungen als Einflussfaktor Den letzten Impulsvortrag hielt Prof. Wladimir Woloshin (Wirtschaftsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau), in welchem er auf die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Russland und der Ukraine hinwies. Russland sei ein wichtiger Handels- und Investitionspartner der Ukraine. Er warnte davor, dass bei Verlust des russischen Marktes das Land in eine Phase der „Deindustrialisierung“ zurückfalle. Es sei bereits ein beachtlicher Rückgang des Handels sowie der ukrainischen Produktion zu erkennen, was zu erhöhter Arbeitslosigkeit und Inflation führe. Der wirtschaftliche Abschwung werde, laut Woloshin, erwartungsgemäß länger andauern. Aufgrund der Verflechtung von Politik und Wirtschaft werde die politische Krise zudem langfristig die wirtschaftlichen Beziehungen und Entwicklungen beeinträchtigen. Er fügte hinzu, dass die Sanktionen des Westens nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine negativ träfen. Eine politische Integration der Ukraine an die EU wertet Woloshin kritisch, da die Ukraine wirtschaftlich in vielen Bereichen noch an Russland gebunden sei. Er plädierte abschließend für eine Normalisierung der politischen Beziehungen zwischen der EU, der Ukraine und Russland, sodass sich auf eine zukunftsgerichtete Kooperation konzentriert werden könne. Panel III: Abschlussdiskussion: Wird die Krise sich als Katalysator für die transatlantische Partnerschaft erweisen? Beim abschließenden Panel stellte der Moderator Prof. Dr. Stephan Bierling (Universität Regensburg) zunächst die Frage nach der innenpolitischen Lage in den USA: Sei dort wirklich eine Abkehr von außen- und sicherheitspolitischem Interesse der USA festzustellen? Richard Teltschik (Hanns-Seidel-Stiftung, Washington D.C.) könne das aus seiner Erfahrung vor Ort nicht bestätigen. Zwar wollte sich Obama aus kriegerischen Auseinandersetzungen heraushalten und die USA würde außen- und sicherheitspolitisch nicht mehr „hervorpreschen“. Doch erfordere die Vielzahl an globalen Krisen ein Eingreifen der USA. Dies sei den politischen Eliten bewusst, weswegen das Thema intensiv diskutiert werde. Der These, dass sich die Krise als Katalysator für die transatlantische Partnerschaft erwiesen hat, stand Dr. Gerlinde Groitl (Universität Regensburg) skeptisch gegenüber. Trotz der beschworenen Einheit des Westens durch die Ukraine-Krise würden viele Trennlinien die Partnerschaft erschweren. Hierbei sei die bereits genannte Entfremdung der Gesellschaften zu nennen, die sich auf europäischer Seite in einer Grundskepsis gegenüber dem Agieren der USA widerspiegle. Darüber hinaus seien die 8
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 unterschiedlichen Interessen vor dem Hintergrund weltpolitischer Machtverschiebungen eine zentrale Herausforderung. Die USA würden sich laut Groitl weniger außen- und sicherheitspolitisch zurückziehen, als vielmehr den Blick zu weiten – nicht zuletzt auf den pazifischen Raum. Die Ukraine-Krise sei daher mehr eine „lästige Ablenkung“ als im genuinen Interesse der Vereinigten Staaten. Prof. Dr. Hannes Adomeit (ehemals College of Europe, Warschau) stellte fest, dass Europa zwar in den politischen Eliten Washingtons eine wichtigere Rolle spiele. Die amerikanische Bevölkerung zeige jedoch an der Beziehung wenig Interesse und lege den Fokus auf wirtschaftlich- innenpolitische Belange. In der anschließenden Diskussion stand zunächst die Frage im Raum, ob eine (politische und wirtschaftliche) Überlastung – overstretch genannt – sowohl auf Seiten Russlands als auch der westlichen Verbündeten auszumachen sei. Adomeit konstatierte, dass Russland aktuell überfordert sei, wodurch die Wirksamkeit der Sanktionen untermauert würde. Doch kamen die Experten auch zu dem Schluss, dass die USA und die EU mit den „Altlasten“ Afghanistan und Irak und der Vielzahl an aktuellen internationalen Krisen große Probleme hätten. Laut Groitl würden die USA „nun probieren“, die aktuellen, neuartigen Herausforderungen im internationalen System, handhabbar zu machen – beispielsweise durch den Einsatz von Drohnen. Einig waren sich die Experten darin, dass die Ukraine-Krise ein Katalysator der transatlantischen Zusammenarbeit sein könne und teilweise schon ist. Der Ruf nach mehr deutscher Führung in den USA, vor allem in Europa, sei nicht zu überhören – Deutschland würde als „Fels in der Brandung“ und Problemlöser innerhalb Europas betrachtet werden. Jedoch müsse der Entfremdung Deutschlands von den USA Einhalt geboten werden, denn die USA seien laut Teltschik pragmatisch und würden mit denjenigen Partnern zusammenarbeiten, die ihren Interessen am besten dienten. Fazit Nach zwei Tagen intensiver sowie kontroverser Diskussionen konnten sowohl tiefgreifende Probleme, als auch Chancen und Möglichkeiten einer Verbesserung der transatlantischen Partnerschaft festgestellt und für die Entschärfung des Ukraine- Konflikts aufgezeigt werden. Der Konflikt in der Ukraine ist sehr komplex, der Westen und die transatlantischen Partner mit einer imperialen Politik Russlands konfrontiert, die vor keinen Mitteln zurückschreckt und die Schwächen seiner Gegner ausnutzt. Insbesondere die NATO steht vor großen Herausforderungen: Nicht nur aufgrund der Schwierigkeit des Umgangs mit hybrider Kriegsführung und eines aggressiv handelnden Moskaus, sondern 9
Tagungsbericht Transatlantik-Tagung: Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft - 20./21. November, Kloster Banz Verfasser: Dinah Elisa Khwais, Michael Wagner – November 2014 auch aufgrund der inneren Zerrissenheit und sicherheitspolitischen Mängel, mit Blick auf die Krisenbewältigungsstrategien, die sie momentan aufweist. Dazu kommt eine zunehmende gesellschaftliche Skepsis gegenüber dem jeweils Anderen und Interessenunterschiede der politischen Eliten auf beiden Seiten des Atlantiks. Nichts destotrotz ist durch die Ukraine-Krise auch die Einheit des Westens gestärkt und die Identitätskrise der NATO überwunden worden. Diese hat erste Maßnahmen eingeleitet, um auf die neuerliche Ost-West-Konfrontation zu reagieren. Außerdem ist es den transatlantischen Partnern gelungen, (Wirtschafts- und) Finanzsanktionen in einer bis dahin einzigartigen Art und Weise zu verhängen, die großen wirtschaftlichen Druck auf Russland ausüben. Die Herausforderung ist es nun, Interessensunterschiede konstruktiv zu begleiten und beizulegen, die Bande der transatlantischen Partner zu stärken und die Lasten angemessen zu verteilen. Nicht zuletzt Deutschland muss hier eine stärkere Rolle spielen und mehr Verantwortung und Führung vor allem in Europa übernehmen. 10
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