ANTIDEPRESSIVA Einnahme von Antidepressiva als Risikofaktor zahnärztlicher Implantate

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ANTIDEPRESSIVA Einnahme von Antidepressiva als Risikofaktor zahnärztlicher Implantate
I STUDIENZUSAMMENFASSUNG I

                  ANTIDEPRESSIVA
  Einnahme von Antidepressiva als Risikofaktor zahnärztlicher Implantate

                     PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer M.A., FEBOMFS, Prof. Dr. Karl M. Lehmann, M.Sc.

EINLEITUNG
Die zahnärztliche Implantattherapie hat
sich mit einer mittleren Überlebensrate
von mehr als 95 % zu einer sehr zuverläs-
sigen Behandlungsoption für die Wieder-
herstellung der Funktion und Ästhetik feh-
lender Zähne entwickelt. Allerdings stellt
sowohl das frühe und späte Implantatver-
sagen als auch das Vorkommen periim-
plantärer Infektionen eine Herausforde-
rung sowohl für den Patienten als auch für
den Zahnarzt dar. Die Identifizierung sys-

                                                                                                                                            Foto: PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer
temischer Erkrankungen und systemi-
scher Medikamentenwirkungen, die die
Osseointegration von Implantaten beein-
flussen können, ist entscheidend, um die
Faktoren, die mit dem Erfolg oder Misser-
folg von Zahnimplantaten verbunden sind,
besser zu verstehen.
    Depressionen sind eine weit verbrei-
tete Krankheit, die durch eine gedrückte     Fibrotische Einheilung eines verloren gegangenen Implantats bei einem Patienten mit systemi-
Stimmung und Freudlosigkeit gekenn-          schen Erkrankungen und multipler Medikation (Toluidinblau, originale Vergrößerung x 20).
zeichnet ist und von erheblichen soma-
tischen und kognitiven Veränderungen
begleitet wird, die sich auf die Gedan-      rer Wirksamkeit und ihres geringen Risi-         me von Serotonin und Noradrenalin um-
ken, Gefühle, das Verhalten und das all-     kos für unerwünschte Nebenwirkungen              fasst, wodurch die Konzentration dieser
gemeine Wohlbefinden des Einzelnen           derzeit die für die Behandlung von De-           Neurotransmitter innerhalb der Synapse
auswirken. Das lebenslange Risiko für        pressionen empfohlenen Erstlinien-Me-            erhöht wird. Wenn Behandlungen mit
Depressionen liegt im weltweiten Ver-        dikamente. Der Wirkungsmechanismus               SSRI oder SNRI fehlschlagen, wird die
gleich bei etwa 15 %. Selektive Sero-        von SSRI umfasst die Hemmung der                 Auswahl einer Antidepressivumklasse
tonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)            Wiederaufnahme von Serotonin, wäh-               der zweiten Wahl mit einer anderen Wir-
und Serotonin-Noradrenalin-Wiederauf-        rend der Wirkungsmechanismus von                 kungsweise empfohlen (trizyklische An-
nahmehemmer (SNRI) sind aufgrund ih-         SNRI die Hemmung der Wiederaufnah-               tidepressiva (TCA), atypische Antide-

                                                               - 164 -                              Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2020 I 36 I 03
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pressiva (AA) und Monoaminoxidase-             Ergebnisse: Die systemische Wirkung           deren Medikamentenklassen erhöhtes
hemmer (MAOI)).                                des SSRIs führte bei den behandelten          Risiko.
    Es konnte gezeigt werden, dass so-         Mäusen zu einer reduzierten Knochenhei-
wohl Serotonin als auch Noradrenalin den       lung mit einer verminderten trabekulären      Schlussfolgerung: Aufgrund der mono-
Knochenstoffwechsel und -umsatz beein-         Dichte und Anzahl sowie einer gesteiger-      zentrischen Ausrichtung mit definierten
flussen, da die entsprechenden funktio-        ten Kollagenproduktion.                       chirurgischen Kautelen und postoperati-
nellen Transporter und Rezeptoren in peri-                                                   ven Nachsorgeintervallen ist von einem
pheren Knochenzellen vorhanden sind.           Beurteilung: Es steht außer Frage, dass       in diesen Punkten recht homogenen Pa-
Serotonin kann die Proliferation von Os-       die Ergebnisse aus Tierversuchen nur be-      tientenkollektiv auszugehen, wenngleich
teoblasten induzieren, während SSRI die        dingt auf die menschliche Physiologie         die Ergebnisse nicht unbedingt auf ande-
Knochenzellfunktion über Apoptose hem-         übertragbar sind. Trotzdem zeigt dieses       re Zentren übertragbar sind. Zu den ge-
men und die Knochenmineralisierung be-         aufwändige Experiment auf beeindru-           wählten Parametern wären sicherlich
hindern können. Darüber hinaus kann ei-        ckende Art und Weise, dass der gewählte       noch weitere (z.B. orale Hygiene, Aug-
ne Beeinträchtigung der Noradrenalinakti-      SSRI die Knochenregeneration negativ          mentationen, Art der Implantate inklusi-
vität die Knochenbildung verringern und        und die Kollagenproduktion – im Sinne ei-     ve Implantatlänge und Durchmesser,
die Knochenresorption erhöhen. Aktuell         ner narbigen Einheilung – positiv beein-      Modalität der prothetischen Versorgung)
wird diskutiert, ob die Verabreichung und      flusst.                                       interessant gewesen. Die Daten geben
Wirkung von Antidepressiva das Risiko ei-                                                    jedoch wertvolle Informationen darüber,
nes Versagens zahnärztlicher Implantate        Hakam AE, Vila G, Duarte PM, Mbadu MP,        dass bei Patienten unter Antidepressiva
erhöhen kann. Daher ist es Thema der           Al Angary DS, Aukhil I, Neiva R, da Silva     ein möglicherweise 4,3-fach erhöhtes
vorliegenden „Studienzusammenfassun-           HDP, Chang J                                  Risikos eines Implantatverlusts im Ver-
gen“, die derzeitige Literatur zu evaluie-     Effekte unterschiedlicher Klassen von         gleich zu Patienten ohne diese Medika-
ren, inwieweit die verschiedenen pharma-       Antidepressiva auf das Versagen zahn-         tion besteht.
kologischen Klassen von Antidepressiva         ärztlicher Implantate: eine retrospek-
den Erfolg von Zahnimplantaten beein-          tive klinische Studie                         Carr AB, Gonzalez RLV, Jia L, Lohse CM
flussen.                                       Effects of different antidepressant classes   Beziehung zwischen selektiven Seroto-
                                               on dental implant failure: a retrospective    nin-Wiederaufnahmhemmern und dem
LITERATURÜBERSICHT                             clinical study                                Risiko des Implantatverlusts
                                               J Periodontol 2020, epub ahead of print       Relationship between selective serotonin
Howie NR, Herberg S, Durham E, Grey Z,                                                       reuptake inhibitors and risk of dental im-
Bennfors G, Elsalanty M, LaRue AC, Hill        Studientyp: retrospektive klinische Fall-     plant failure
WD, Cray JJ                                    Kontroll-Studie                               J Prosthodontics 2019; 28: 252–257
Der selektive Serotonin-Wiederauf-
nahmehemmer Sertralin hemmt die                Ziel der Studie: Analyse des Einflusses       Studientyp: retrospektive klinische Fall-
Knochenheilung in einem Schädel-               von SSRIs, SNRIs, TCAs, AAs und MAOIs         Kontroll-Studie
defektmodell                                   auf das Implantatüberleben
Selective serotonin re-uptake inhibitor ser-                                                 Ziel der Studie: Analyse des Einflusses
traline inhibits bone healing in a calvarial   Materialien und Methoden: Aus den             von SSRIs auf das Implantatüberleben
defect model                                   Krankenakten von 771 Patienten mit 1820
Int J Oral Scienc, 2018, 10: 25                Implantaten, die in einem Zeitraum von        Materialien und Methoden: Aus den
                                               6 Jahren an einem Zentrum behandelt           Krankenakten von 5456 Patienten, die in
Studientyp: Tierversuch                        wurden, erfolgte die Analyse von Implan-      einem Zeitraum von 20 Jahren an einem
                                               tatversagen, Einnahme von verschiede-         Zentrum behandelt wurden, erfolgte die
Ziel der Experimente: Histologische            nen Antidepressiva, Alter, Geschlecht, Ni-    Analyse von Implantatversagen, Einnah-
Messung des Einflusses eines SSRIs auf         kotinabusus, systemischer Erkrankungen        me von verschiedenen SSRIs, Alter, Ge-
die Knochenheilung im Mausmodell               und Implantatlokalisation.                    schlecht und Jahr der Implantation.

Materialien und Methoden: Bei 26 Mäu-          Ergebnisse: Eine signifikante Häufung         Ergebnisse: Patienten, die anamnestisch
sen unter kontinuierlicher SSRI-Medika-        von Implantatverlusten konnte für Patien-     das SSRI Sertralin genommen hatten,
tion im Vergleich zu 30 unbehandelnden         ten mit systemischen Erkrankungen             zeigten ein um 60 % erhöhtes Risiko eines
Tieren wurde ein knöcherner Defekt am          (Odds Ratio: 2,6), Rauchern (Odds Ratio:      Implantatverlusts, wobei dies nicht bei Pa-
Schädelknochen angelegt und unter-             5,2) und Patienten mit Antidepressiva         tienten unter aktueller Sertralin-Medika-
schiedlich versorgt. Nach einer Heilungs-      (Odds Ratio: 4,3) sowie im posterioren        tion und Patienten, die Sertralin nach der
dauer von 4 Wochen erfolgte die 2D- und        Oberkiefer (Odds ratio: 2,9) berechnet        Implantation genommen hatten, zutraf.
3D-radiologische sowie die histologische       werden. Insbesondere die Patienten unter      Patienten, die 2 oder mehr Antidrepressi-
Evaluation der Knochenneuheilung.              SNRIs zeigten ein im Vergleich zu den an-     va nahmen, zeigten gegenüber den Pa-

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I STUDIENZUSAMMENFASSUNG I

tienten ohne Andidepressiva eine signifi-      Schlussfolgerung: Es war sicherlich                  Zusammengenommen weisen diese
kant erhöhtes Risiko für Implantatverluste.    schwierig, eine solche Metaanalyse               Ergebnisse darauf hin, dass weitere Un-
                                               durchzuführen, da die eingeschlossenen           tersuchungen erforderlich sind, um besser
Schlussfolgerung: Bei dieser beeindru-         Vergleichsstudien methodisch stark vari-         zu verstehen, wie Serotonin- und Noradre-
ckenden Fallzahl und langer Nachbeob-          ierten und die verschiedenen Antidepres-         nalin-Wiederaufnahme hemmende Arz-
achtungszeit wird leider – noch mehr wie in    siva nicht standardisiert wurden. Wie aus        neimittel den Knochenstoffwechsel schä-
der vorherigen besprochenen Studie – auf       den im Vorab besprochenen Studien er-            digen und dadurch die Osseointegration
das Einbeziehen weiterer relevanter Fakto-     kennbar, scheint die Art des Antidepressi-       und den Erfolg von Zahnimplantaten be-
ren für den Implantatverlust verzichtet. Die   vums ja eine besondere Rolle zu spielen,         einflussen. Außer retrospektiven Studien
Ergebnisse könnten allerdings auf eine sig-    die hier nicht ausgewertet werden konnte.        mit multiplen offenen Fragen existieren
nifikante Rolle des langfristigen Einsatzes    Zusammengefasst lassen sich auch hier            zwar Hinweise, aber keine Beweise, um
von Sertralin und multipler Antidepressiva     lediglich Hinweise auf die negative Wir-         den Zusammenhang zwischen dem Ge-
im Rahmen der dynamischen Knochenhei-          kung von Antidepressiva auf das Überle-          brauch von Antidepressiva und Komplika-
lung in der kritischen Phase der Entwick-      ben zahnärztlicher Implantate gewinnen.          tionen bei Zahnimplantaten zu belegen.
lung und Reifung der Grenzflächen zwi-                                                          Weitere gut durchgeführte prospektive
schen Knochen und Implantat hinweisen.         SYNOPSIS                                         Studien mit einer ausreichenden Stichpro-
                                               Die Definition des Risikoprofils eines be-       bengröße sowie einer Standardisierung
Silva CCG, dos Santos MS, Monteiro             stimmten Patienten beinhaltet die klini-         der Daten sind erforderlich, um ein besse-
JLGC, de Aguiar Soares Carneiro SC, do         sche Bewertung der Wahrscheinlichkeit,           res Verständnis der Auswirkungen von
Egito Vasconcelos BC                           dass wünschenswerte oder auch uner-              Antidepressiva auf das Überleben von
Existiert eine Assoziation zwischen der        wünschte Ergebnisse erzielt werden. Die-         Zahnimplantaten zu ermöglichen.
Einnahme von Antidepressiva und                ses Risikoprofil spielt eine immer wichtige-
Komplikationen zahnärztlicher Implan-          re Rolle bei der Entscheidungsfindung für
tate? Eine systematische Literatur-            die orale Rekonstruktion. Wenn die pro-
übersicht und Metaanalyse                      thetische Versorgung nach Zahnverlust
Is there an association between the use of     eine implantatchirurgische Phase um-
antidepressants and complications invol-       fasst, ist es wichtig, realistische Patienten-
ving dental implants? A systematic review      erwartungen unter Berücksichtigung ihrer
and meta-analysis                              spezifischen Gesundheits- und Medika-

                                                                                                                                             Foto: privat
Int J Oral Maxillofac Surg 2020; Epub ahe-     tionsprofile zu erzeugen.
ad of print                                         Bei präklinischer und klinischer Evi-
                                               denz liegt nahe, dass die Einnahme von
Studientyp: systematische Literaturüber-       Antidepressiva den Knochenstoffwechsel             → PD DR. DR. PEER W. KÄMMERER
sicht                                          und die Osseointegration des Implantats          Leitender Oberarzt und stellv. Klinikdirektor;
                                                                                                 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und
                                               beeinträchtigen kann. Im Allgemeinen             Gesichtschirurgie − Plastische Operationen −
Ziel der Studie: Analyse der Assoziation       zeigten die Ergebnisse, dass Patienten un-               der Universitätsmedizin Mainz
zwischen Antidepressiva und Komplikatio-       ter Antidepressiva ein signifikant höheres        peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de
nen zahnärztlicher Implantate                  Risiko für Implantatversagen aufwiesen
                                               als Patienten ohne diese Medikation. Laut
Materialien und Methoden: Aus 5 klini-         einzelnen Studien beziffert sich dieses Ri-
schen Studien mit insgesamt 2056 Patien-       siko als ähnlich hoch wie bei Rauchern. Ei-
ten und 5302 Implantaten wurde das rela-       ne weitere Erhöhung des Risikos könnte
tive Risiko berechnet, unter Medikation mit    bei Patienten unter SNRIs, aber auch unter
Antidepressiva einen Implantatverlust zu       spezifischen SSRIs vorliegen. Diese nach-
erleiden.                                      teilige Auswirkung von Antidepressiva auf
                                                                                                                                             Foto: privat

                                               das Überleben von Zahnimplantaten kann
Ergebnisse: Im Vergleich zu Patienten          auf ihre negative Auswirkung auf die Os-
ohne antidepressive Medikation war das         seointegration, auf den Verlust der bereits
                                                                                                    → PROF. DR. KARL M. LEHMANN
relative Risiko eines Implantatverlusts bei    abgeschlossenen Osseointegration bei               Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und
Patienten mit Antidepressiva 3,73-fach er-     Implantaten unter Kaufunktion oder auf           Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Mainz
höht.                                          beides zurückgeführt werden.                       karl.lehmann@unimedizin-mainz.de

                                                                 - 166 -                             Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2020 I 36 I 03
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