Antwort der Bundesregierung - Deutscher Bundestag
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Deutscher Bundestag Drucksache 19/23490 19. Wahlperiode 19.10.2020 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/22789 – Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken in Europa Vorbemerkung der Fragesteller Die meisten Atomkraftwerke (AKW) in Europa sind für eine Betriebsdauer von 30 bis 40 Jahren ausgelegt. Von den 126 Reaktoren, die 2019 in der Euro- päischen Union (EU) in Betrieb waren, sind schon 90 davon über 30 Jahre alt und 14 über 40 Jahre alt (vgl. https://www.worldnuclearreport.org/IMG/pdf/w nisr2019-v2-lr.pdf, S. 272). Um Abschaltungen zu vermeiden, wurde die Laufzeit von etlichen AKW in Europa bereits verlängert: Die abgeschriebenen Anlagen stellen für Betreiber und deren Gesellschafter bzw. Aktionäre „Cash- cows“ dar, die es gilt, so lange wie möglich zu erhalten. Da jedoch die größte AKW-Neubauwelle in der EU in den 1980er-Jahren stattfand, steht die größte Welle an Laufzeitverlängerungen vermutlich noch bevor. Die Kluft zwischen dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik und der tatsächlichen Ausrüstung dieser Anlagen ist im Laufe der Jahrzehnte be- sonders groß geworden: Sicherheitseinrichtungen wie Kühlsysteme haben oft einen zu geringen Redundanzgrad, der sie unfallanfälliger macht; der Schutz gegen Einwirkungen von außen, wie Flugzeugabstürze, ist mangelhaft bis nicht gegeben; die Auffangbecken für Kernschmelzen werden unterdimensio- niert nachgerüstet oder sind inexistent (vgl. z. B. https://www.oeko.de/oekodo c/2216/2014-756-de.pdf, https://m.tagesspiegel.de/downloads/12767042/1/gut achten-fessenheim.pdf) etc. Vor allem aber leidet das Material nichtersetzbarer Teile unter der Alterung: in erster Linie die Dampferzeuger und Reaktordruck- behälter. Bei europäischen AKW, wie z. B. Beznau, Tihange 2 und Doel 3 oder Hunterston B, wurden Risse bzw. Materialprobleme unterschiedlicher Art an nichtersetzbaren Teilen festgestellt. Solche Befunde führten so gut wie nie zu einer endgültigen Abschaltung (vgl. z. B. https://rp-online.de/panorama/aus land/akw-beznau-schweizer-atomkraftwerk-nahe-der-deutschen-grenze-darf-w ieder-ans-netz_aid-19018281 und http://rtl.de/cms/tihange-atomreaktor-mit-ta usenden-rissen-geht-in-belgien-wieder-ans-netz-2594561.html). In dem Urteil vom 29. Juli 2019 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Genehmigung für die Laufzeitverlängerung der belgischen Atomkraftwerke Doel 1 und 2 ohne grenzüberschreitende Umweltverträglich- keitsprüfung (UVP) nicht hätte erteilt werden dürfen, und so gegen Europäi- sches Recht verstoße. Das Ausmaß an Modernisierungsarbeiten für die Sicher- Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 16. Oktober 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Drucksache 19/23490 –2– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode heit, sowie die Dauer der Laufzeitverlängerung würden Umweltrisiken bergen, die mit der ursprünglichen Inbetriebnahme vergleichbar seien, so der EuGH (vgl. https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2019-07/cp1901 0 0 d e .pdf). Die Implikationen für andere AKW in Europa sind potentiell immens, da diese Erkenntnis nicht nur im Falle Doels relevant erscheint. Einem „Spiegel-Online“-Artikel vom August 2019 zufolge werden mindes- tens 18 Atomkraftwerke in der Europäischen Union (EU) offenbar ohne die notwendigen Genehmigungen betrieben, da keine grenzüberschreitenden UVPs vor der Laufzeitverlängerung stattfanden (siehe https://www.spiegel.de/ wirtschaft/atomkraft-dutzende-meiler-in-europa-laufen-offenbar-ohne-genehm igung-a-1282287.html). Mit diesem Urteil ist aber bei Weitem nicht Rechtssicherheit zu AKW-Lauf- zeitverlängerungen in der EU geschaffen worden. Denn der EuGH ließ dem belgischen Verfassungsgerichthof Interpretationsspielraum bezüglich der Not- wendigkeit der Abschaltung des AKW Doel: Diese Entscheidung sollte vor dem Hintergrund der belgischen Versorgungssicherheit getroffen werden. In einem Urteil vom 5. März 2020 vertritt der belgische Verfassungsgerichtshof die Ansicht, dass die Abschaltung der zwei Reaktoren unter diesem Gesichts- punkt eine Bedrohung für die Energiesicherheit des Landes darstelle. Die Inte- ressen der Betreiber blieben somit bewahrt, und der Umweltbericht zum Atomkraftwerk Doel lässt noch immer auf sich warten. Mehr als ein Jahr nach dem Urteil wurden für andere AKW, deren Laufzeit verlängert wurde, keine Umweltberichte nachträglich veröffentlicht. Darüber hinaus erscheint die Anwendbarkeit des Urteils auf Atommeiler im Vereinigten Königreich und in der Schweiz ungewiss. Außerdem birgt das Urteil unter Umständen das Risiko europaweiter Sicher- heitsrabatte im Rahmen von AKW-Laufzeitverlängerungen. Die Niederlande sehen sich z. B. nicht in der Pflicht, eine UVP durchzuführen, weil im Zuge der Laufzeitverlängerung des AKW Borssele keine Modernisierungsarbeiten durchgeführt wurden (vgl. https://zoek.officielebekendmakingen.nl/kst-25422- 258.html). Wenn eine UVP-Pflicht tatsächlich nur im Zuge von Modernisie- rungsarbeiten droht, wird das Urteil zu einem guten Grund, keine durchzufüh- ren. Die Niederlande verstoßen laut dem Compliance Committee der Aarhus- Konvention mit ihrem Verhalten auch gegen Voraussetzungen der Öffentlich- keitsbeteiligung der Konvention – doch auch das konnte die Niederlande zu keiner grenzüberschreitenden Beteiligung der Öffentlichkeit überzeugen (vgl. https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2014-104/C104_ Netherlands_Findings_advance_unedited.pdf). Abgesehen von dem Urteil des EuGH wird auch im Rahmen der Espoo- Konvention das Thema AKW-Laufzeitverlängerungen behandelt. Dazu wurde eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe geschaffen, dessen Co-Vorsitz das Vereinigte Königreich und Deutschland innehaben. Sie befasst sich mit der Erstellung einer Anleitung zur Anwendbarkeit der Espoo-Konvention in Bezug auf Lauf- zeitverlängerungen von Atomkraftwerken, da in diesem Bereich laut Espoo- Sekretariat rechtliche Unsicherheit besteht. Diese Anleitung sollte ursprüng- lich bei dem Treffen der Vertragsparteien vom 8. bis 11. Dezember 2020 in Vilnius zur Annahme vorgelegt werden. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden aber alle Treffen der Arbeitsgruppe abgesagt (vgl. https://www.unece. org/environmental-policy/conventions/environmental-assessment/meetings-an d-events.html#/). Es steht aus der Sicht der Fragesteller außerdem nicht fest, ob diese Leitlinien eindeutig, rechtlich bindend und in der Praxis durchsetzbar sein werden. Dieser kurze Überblick sollte nach Ansicht der Fragestellenden ausreichen, um festzustellen: Die lose Ansammlung an dieser Stelle nicht eindeutiger internationaler Konventionen und einer EU-Rechtsprechung ist unzureichend. Es fehlt eine allgemein geltende Regel in Europa. Das ist besonders besorgnis- erregend angesichts der zunehmenden Alterung des europäischen Reaktor- parks und des fehlenden Willens, veraltete Atomkraftwerke abzuschalten. Zu möglichen Lösungen dieses Problems gehört z. B. die Ergänzung der UVP- Richtlinie mit der ausdrücklichen Erwähnung der UVP-Pflicht im Falle von
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –3– Drucksache 19/23490 AKW-Laufzeitverlängerungen (vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/D E/ALL/?uri=CELEX%3A32011L0092). Die europäische Kommission wehrt sich aber, dieses Projekt anzugehen (vgl. https://www.europarl.europa.eu/doce o/document/E-9-2019-004179-ASW_DE.html). Reaktoren in deutscher Grenznähe, die von einer Laufzeitverlängerung ohne UVP betroffen sind, sind insbesondere Tihange und Doel in Belgien, Borssele in den Niederlanden, Dukovany in der Tschechischen Republik und die Schweizer AKW Beznau und Gösgen. Mit diesen Ländern hat Deutschland Kommissionen bzw. Expertengruppen zum Thema Reaktorsicherheit ein- gerichtet, die einen engen Informationsaustausch ermöglichen sollen (vgl. https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/nukleare-sicherheit/i nternationales/bilaterale-zusammenarbeit/). Aber auch weiter entfernte alte AKW stellen für Deutschland ein Risiko dar. Aus der Sicht der Fragestellen- den ist es nicht zuletzt aus Gründen der staatlichen Pflicht zur Schadensvor- sorge notwendig, dass die Bundesregierung über eine präzise Übersicht zum Zustand von Reaktoren in Europa verfügt. Deutschland ist außerdem Vertrags- partei der Espoo-Konvention und hat wie bereits erwähnt den Co-Vorsitzt der Espoo-Arbeitsgruppe zu AKW-Laufzeitverlängerungen inne. Vor allem aber hat Deutschland am 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und verfügt in diesem Zusammenhang über erweiterte Informationsquellen und Einflussmöglichkeiten. Darauf muss die Bundesregierung aus Sicht der Frage- stellenden umgehend zurückgreifen, um ihrem Versprechen aus dem Koali- tionsvertrag von 2018, „bei der Reaktorsicherheit in Europa dauerhaft Einfluss aus[zuüben]“, gerecht zu werden. Des Weiteren wird im Koalitionsvertrag ver- sprochen: „Angesichts des alternden Bestands der Atomkraftwerke in Europa wollen wir uns weiterhin für umfassende Sicherheitsüberprüfungen, ambitio- nierte verbindliche Sicherheitsziele in der EU und ein System wechselseitiger Kontrolle bei fortbestehender nationaler Verantwortung für die Sicherheit ein- setzen.“ Vorbemerkung der Bundesregierung Es trifft zu, dass eine Vielzahl von Atomkraftwerken (AKW) in Europa 30 Jahre und älter ist. Ebenso ist zutreffend, dass auch in Europa die Verlänge- rung der Betriebsdauer von AKW über ihre ursprünglich geplante Laufzeit hinaus in den letzten Jahren bereits vielfach realisiert wurde bzw. angestrebt wird. Deutschland hat sich für den Ausstieg aus der Atomenergie bis spätestens Ende des Jahres 2022 entschieden. Gleichzeitig ist jeder Staat frei, über seinen natio- nalen Energiemix souverän zu entscheiden und trägt dafür auch die alleinige Verantwortung. Die Bundesregierung steht Laufzeitverlängerungen kritisch gegenüber. Sie kann Laufzeitverlängerungen ausländischer AKW letztlich nicht verhindern, setzt sich aber nachdrücklich dafür ein, dass zumindest grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) durchgeführt werden für mehr Trans- parenz und Beteiligungsmöglichkeiten der angrenzenden Bevölkerung. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) engagiert sich im Rahmen der UN ECE Espoo Konvention in einer ad hoc Arbeitsgruppe unter deutsch-britischem Ko-Vorsitz für die Durchführung grenzüberschreitender UVP auch vor Entscheidungen über AKW-Laufzeitver- längerungen, weil die Gefahren für die Umwelt bei einer weit über die ur- sprüngliche Betriebsdauer hinausreichenden Laufzeitverlängerung eines AKW ein Ausmaß umfassen können, welches einer Erstinbetriebnahme einer Anlage gleichkommt. Geplant ist, auf der Espoo Vertragsstaatenkonferenz im Dezem- ber des Jahres 2020 (unter deutschem EU-Ratsvorsitz) einen Leitfaden zur An- wendbarkeit der Espoo-Konvention auf Laufzeitverlängerungen zur Entschei- dung vorzulegen.
Drucksache 19/23490 –4– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Neben der Espoo-Konvention und der jüngeren EuGH-Rechtsprechung eröffnet die europäische UVP-Richtlinie den Bundesländern und der deutschen Öffent- lichkeit die Möglichkeit, sich an grenzüberschreitenden UVPs zu beteiligen, die für kerntechnische Vorhaben im Ausland durchgeführt werden. Auch in Fällen, in denen für solche ausländischen Vorhaben keine grenzüberschreitenden UVPs, jedoch Zulassungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung (Artikel 6 Aarhus-Konvention) durchgeführt werden, können sich interessierte Personen und Vereinigungen aus Deutschland beteiligen. Es gelten jeweils die Rechts- vorschriften des Staates, in dem das Vorhaben durchgeführt wird – mithin aus- ländisches Recht. Auf deutscher Seite ist für die Prüfung und Entscheidung, ob für ein ausländisches Vorhaben mit möglichen grenzüberschreitenden Umwelt- auswirkungen eine grenzüberschreitende UVP durchgeführt werden soll, die Behörde zuständig, die für ein gleichartiges Vorhaben oder eine gleichartige Planung in Deutschland zuständig wäre (§ 58 Absatz 5 Satz 1 UVP-Gesetz); das sind bzgl. AKW die Bundesländer. Zu Informationszwecken veröffentlicht das BMU ausländische Nuklearvorhaben auf seiner Website (Quelle: https://w ww.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/nukleare-sicherheit/internation ales/beteiligungsverfahren-und-uvpsup/), von denen es durch Benachrichtigung eines anderen Staates oder auf sonstige Weise Kenntnis erhält, darunter auch Fälle ohne Bundesländer-Beteiligung. Die Bundesregierung erfüllt ihren Schutzauftrag gegen die Gefahren der Kern- energie, auch nach dem Jahr 2022, unter Achtung der alleinigen Zuständigkeit anderer Staaten für kerntechnische Anlagen in dortiger Verantwortung. Nur der jeweils zuständigen nationalen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde liegen alle für eine sicherheitstechnische Bewertung notwendigen Informationen vor. Die Bundesregierung nutzt verschiedene Möglichkeiten und Instrumente, wie z. B. bilaterale Nuklearkommissionen mit allen Nachbarstaaten mit Atomenergie, maßgebliche Mitwirkung in allen relevanten europäischen wie internationalen Gremien zur Weiterentwicklung des kerntechnischen Regelwerkes oder die Unterstützung der Kompetenz- und Nachwuchsentwicklung für nukleare Sicherheit in Deutschland mittels staatlicher Forschungsförderung und ist be- strebt, auch nach dem Atomausstieg dauerhaft Einfluss bei der Reaktorsicher- heit in Europa auszuüben. 1. Welche Atomkraftwerke (AKW) in der EU (zzgl. des Vereinigten König- reiches, der Schweiz, der Ukraine, der Türkei, Armeniens und des russi- schen Kaliningrader Gebiets) überschreiten nach Kenntnis der Bundes- regierung die bei ihrer Auslegung vorgesehene Laufzeit jeweils um wie viele Jahre (bitte jeweils das Baujahr, die bei der Auslegung vorgesehene Laufzeit, die aktuelle Laufzeit, die entsprechende Überschreitung und ggf. das aktuell vorgesehene Abschaltdatum tabellarisch angeben – vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 99 auf Bundestagsdrucksache 19/12640 und Antwort auf die Schriftliche Frage 146 auf Bundestags- drucksache 19/13176)? Nachstehend sind die der Bundesregierung bekannten Angaben für AKW in der EU zur Inbetriebnahme, zugrunde gelegten Betriebsdauer und zur derzeit vor- gesehenen Stilllegung tabellarisch aufgeführt. Die aufgeführten Angaben sind aus öffentlich zugänglichen Berichten der Vertragsparteien des Übereinkom- mens über nukleare Sicherheit (CNS) für die achte Überprüfungstagung (Stand: August 2019) abgeleitet worden. Genaue Angaben zu aktuellen Laufzeiten kön- nen ausschließlich die dafür zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörden auf Basis der von ihnen zugrunde gelegten und regelmäßig überwachten Be- triebsdauer erteilen. Hierzu liegen der Bundesregierung keine Detailinformatio- nen vor. Die aufgeführten Betriebsdauern wurden vielmehr für die Zwecke die- ser Übersicht aus den in der Inbetriebnahme-Erlaubnis festgelegten Betriebs-
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –5– Drucksache 19/23490 laufzeiten bzw. aus der im Rahmen der Auslegung unterstellten Betriebslauf- zeiten hergeleitet. Zugrunde Jahr der Jahr der zur- gelegte Staat Anlage Inbetrieb- zeit geplanten Betriebsdauer nahme Stilllegung (in Jahren) Armenien ARMENIAN-2 1980 30 DOEL-1 1974 40 2025 Belgien DOEL-2 1975 40 2025 TIHANGE-1 1975 40 2025 Bulgarien KOZLODUY-5 1987 30 2027 Finnland LOVIISA-1 1977 30 2027 LOVIISA-2 1980 30 2030 OLKILUOTO-1 1978 40 2038 OLKILUOTO-2 1980 40 2038 BUGEY-2 1978 40 BUGEY-3 1978 40 BUGEY-4 1979 40 BUGEY-5 1979 40 DAMPIERRE-1 1980 40 Frankreich GRAVELINES-1 1980 40 GRAVELINES-2 1980 40 TRICASTIN-1 1980 40 TRICASTIN-2 1980 40 TRICASTIN-3 1980 40 DUNGENESS B 1983 35 2028 HARTLEPOOL 1983 36 2024 Vereinigten Königreich HEYSHAM-1 1983 36 2024 (jeweils 2 Blöcke pro Standort) HINKLEY POINT B 1976 40 2023 HUNTERSTON B 1976 40 2023 Niederlande BORSSELE 1973 40 2033 FORSMARK-1 1980 40 Schweden RINGHALS-1 1976 40 2020 BEZNAU-1 1969 40 Schweiz BEZNAU-2 1971 40 GÖSGEN 1979 40 BOHUNICE-3 1984 30 2044 Slowakei BOHUNICE-4 1985 30 2045 Spain ALMARAZ-1 1980 40 2021 DUKOVANY-1 1985 30 DUKOVANY-2 1986 30 Tschechien DUKOVANY-3 1987 30 DUKOVANY-4 1987 30
Drucksache 19/23490 –6– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Zugrunde Jahr der Jahr der zur- gelegte Staat Anlage Inbetrieb- zeit geplanten Betriebsdauer nahme Stilllegung (in Jahren) KHMELNITSKI-1 1988 30 ROVNO-1 1980 30 2030 ROVNO-2 1981 30 2031 ROVNO-3 1987 30 2037 SOUTH UKRAI- 2023 1983 30 NE-1 SOUTH UKRAI- 2025 1985 30 Ukraine NE-2 SOUTH UKRAI- 1990 30 2020 NE-3 ZAPOROZHYE-1 1985 30 2025 ZAPOROZHYE-2 1986 30 2026 ZAPOROZHYE-3 1987 30 2027 ZAPOROZHYE-4 1988 30 2028 ZAPOROZHYE-5 1990 30 2020 Ungarn PAKS-1 1982 30 2032 PAKS-2 1984 30 2034 PAKS-3 1986 30 2036 PAKS-4 1987 30 2037 2. Bei welchen der in der Antwort zu Frage 1 aufgelisteten Atomkraftwerke wurden im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung nach Kenntnis der Bundesregierung Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt? Nach Kenntnis der Bundesregierung sind in allen im Rahmen der Antwort zu den Fragen 1 sowie 4 aufgeführten Anlagen seit Inbetriebnahme Modernisie- rungs- und Nachrüstungsmaßnahmen vorgenommen worden. 3. Bei welchen der in der Antwort zu Frage 1 aufgelisteten Atomkraftwerke wurde im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung nach Kenntnis der Bundesregierung eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durch- geführt? Die Bundesregierung hat keine systematischen und dementsprechend zuverläs- sigen Erkenntnisse darüber, bei welchen der in Antwort zu Frage 1 aufgeliste- ten Atomkraftwerken im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung eine UVP durchgeführt wurde, und bei welchen dies nicht der Fall war. 4. Welche Atomkraftwerke in der EU (zzgl. des Vereinigten Königreiches, der Schweiz, der Ukraine, der Türkei, Armeniens und des Kaliningrader Gebiets), für die noch keine Stilllegung angekündigt wurde, werden nach Kenntnis der Bundesregierung die bei ihrer Auslegung vorgesehene Laufzeit in den nächsten fünf Jahren überschreiten (bitte das Baujahr, die bei der Auslegung vorgesehene Laufzeit und die aktuelle Laufzeit tabel- larisch angeben)? Nachstehend sind die nach Kenntnis der Bundesregierung von der Frage betrof- fenen Anlagen samt Angaben zur Inbetriebnahme und zugrunde gelegter Be- triebsdauer tabellarisch aufgeführt. Die Bundesregierung verweist im Übrigen auf die Antwort zu Frage 1.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –7– Drucksache 19/23490 Zugrunde gelegte Jahr der Inbetrieb- Staat Anlage Betriebsdauer nahme (in Jahren) Bulgarien KOZLODUY-6 1991 30 BLAYAIS-1 1981 40 BLAYAIS-2 1982 40 BLAYAIS-3 1983 40 BLAYAIS-4 1983 40 CHINON B-1 1982 40 CHINON B-2 1983 40 CRUAS-1 1983 40 CRUAS-2 1984 40 CRUAS-3 1984 40 CRUAS-4 1984 40 DAMPIERRE-2 1981 40 DAMPIERRE-3 1981 40 Frankreich DAMPIERRE-4 1981 40 FLAMANVILLE-1 1985 40 GRAVELINES-3 1981 40 GRAVELINES-4 1981 40 GRAVELINES-5 1984 40 GRAVELINES-6 1985 40 PALUEL-1 1984 40 PALUEL-2 1984 40 PALUEL-3 1985 40 ST. ALBAN-1 1985 40 ST. LAURENT B-1 1980 40 ST. LAURENT B-2 1981 40 TRICASTIN-4 1981 40 HEYSHAM 2 1988 35 Großbritannien TORNESS 1988 35 FORSMARK -2 1981 40 FORSMARK-3 1985 40 Schweden OSKARSHAMN-3 1985 40 RINGHALS-3 1981 40 RINGHALS-4 1983 40 Schweiz LEIBSTADT 1984 40 Slowenien KRSKO 1982 40 ALMARAZ-2 1983 40 ASCO-1 1982 40 ASCO-2 1985 40 COFRENTES 1984 40 Ukraine ZAPOROZHYE-6 1996 30 5. Bei welchen in der Antwort zu Frage 4 aufgelisteten Atomkraftwerken sind nach Kenntnis der Bundesregierung Modernisierungsarbeiten im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung vorgesehen? Die Bundesregierung verweist auf die Antwort zu Frage 2.
Drucksache 19/23490 –8– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Bei welchen der in der Antwort zu Frage 4 aufgelisteten Atomkraftwerke ist im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung nach Kenntnis der Bundesregierung die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen? Eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Langzeitbetriebs ist nach Kenntnis der Bundesregierung für das slowenische Atomkraftwerk Krsko und das ukrainische Atomkraftwerk Zaporozhye-6 vorgesehen. 7. Bei welchen der in den Fragen 1 bis 6 aufgelisteten AKW ist im Falle eines GAU nach Kenntnis der Bundesregierung eine radioaktive Konta- minierung Deutschlands auszuschließen (bitte Gründe wie z. B. die Ent- fernung zu Deutschland angeben)? Bei Notfällen in Atomkraftwerken (AKW) mit Freisetzung von radioaktiven Stoffen hängt die Ausbreitung der radioaktiven Wolke und die Kontamination der Umwelt maßgeblich von den Freisetzungsbedingungen und den vorherr- schenden Wetterbedingungen ab. Das Ausmaß einer möglichen Kontamination bzw. die Wahrscheinlichkeit für eine aus Sicht des Strahlenschutzes relevante Kontamination nimmt im Allgemeinen mit wachsendem Abstand vom Frei- setzungsort stark ab. Auf Basis von Gefährdungsanalysen für schwere AKW-Unfälle empfiehlt die Strahlenschutzkommission (SSK), Maßnahmen des Katastrophenschutzes (d. h. insbesondere die Schutzmaßnahmen Evakuierung, Aufforderung zum Aufent- halt in Gebäuden und Iodblockade) in folgenden Abständen (Zonen) um deut- sche und grenznahe ausländische AKW mit unterschiedlichen Planungsvor- gaben vorzubereiten: • Zentralzone (bis 5 km): Evakuierung, Aufforderung zum Aufenthalt in Ge- bäuden, Iodblockade • Mittelzone (bis 20 km): Evakuierung, Aufforderung zum Aufenthalt in Ge- bäuden, Iodblockade • Außenzone (bis 100 km): Aufforderung zum Aufenthalt in Gebäuden, Iod- blockade • Gesamtes Staatsgebiet: Iodblockade für Personen unter 18 Jahren und Schwangere Radiologische Kriterien für sonstige Schutzmaßnahmen können jedoch in deut- lich größeren Entfernungen erreicht bzw. überschritten werden. Nach Gefähr- dungsanalysen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) besteht bei mög- lichen Reaktorunfällen in ausländischen AKW in beispielsweise 1.500 km Ent- fernung eine nicht vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit dafür, dass in Deutschland beispielsweise radiologische Kriterien für notfallbedingt kontami- nierte Lebensmittel (Höchstwerte nach Verordnung 2016/52/Euratom) über- schritten würden, wie dies nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl geschehen ist.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –9– Drucksache 19/23490 8. Wird der Umweltbericht zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke Doel 1 und 2, der im ersten Quartal 2021 veröffentlicht werden soll, nach Kenntnis der Bundesregierung auch in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt? Wenn nein, wird die Bundesregierung um eine Übersetzung bitten bzw. eine Übersetzung selber veranlassen (vgl. Deutschland wurde von Bel- gien gemäß Artikel 7 der UVP-Richtlinie notifiziert, https://www.bm u.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/notifiz ierung_doel_bf.pdf)? Nach Informationen der Bundesregierung plant Belgien für die Laufzeitverlän- gerung von Doel 1 und Doel 2 eine Online-Konsultation, bei der eine Zusam- menfassung der Hauptdokumente in vier Sprachen, u. a. Deutsch, übersetzt werden soll. Für die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung im Rahmen der UVP bei ausländischen Atomkraftwerken gilt die Zuständigkeitsregelung des § 58 Absatz 5 des UVP-Gesetzes. Danach besteht hier keine Zuständigkeit von Bundesbehörden. 9. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung Umweltverträglichkeitsprü- fungen für das Atomkraftwerk Tihange 1 (das bereits die bei der Aus- legung vorgesehene Laufzeit überschritten hat), Tihange 2 (das sie 2022 überschreiten wird), und Tihange 3 (das sie 2025 überschreiten könnte) durchgeführt (vgl. https://www.grenzecho.net/32359/artikel/2020-03-04/l aufzeitverlangerung-fur-atommeiler-kein-tabuthema-mehr)? Für den bereits im Langzeitbetrieb befindlichen Reaktor Tihange-1 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung für die Laufzeitverlängerung keine UVP durch- geführt; ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 20 verwiesen. Gemäß aktu- eller belgischer Gesetzeslage sind der am 13. Oktober 1982 ans Netz gegan- gene Reaktor Tihange-2 bis zum 1. Februar 2023 und der am 15. Juni 1985 ans Netz gegangene Reaktor Tihange-3 bis zum 1. September 2025 außer Betrieb zu nehmen (vgl. auch Antwort zu Frage 1). 10. Wurde die Bundesregierung von der finnischen Regierung über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Zuge der Laufzeitverlängerung des Atomkraftwerks Loviisa 1 und 2 bis jeweils 2027 und 2030 gemäß Arti- kel 2 der Espoo-Konvention notifiziert (vgl. https://tem.fi/en/loviisa-1-an d-2-eia-programme)? Wenn nein, wird die Bundesregierung im Rahmen der Espoo-Konvention um die Zusendung der Unterlagen zum UVP-Verfahren bitten und die deutschen Bundesländer mittels einer Länderabfrage um Beteiligung bitten? Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wurde vom finnischen Umweltministerium am 28. August 2020 mit einer Noti- fizierung über die Einleitung einer grenzüberschreitenden UVP gemäß Espoo- Konvention hinsichtlich einer Laufzeitverlängerung des AKW Loviisa unter- richtet (www.bmu.de/ME9201).
Drucksache 19/23490 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 11. Erwägt nach Kenntnis der Bundesregierung die Regierung der Nieder- lande eine zweite Laufzeitverlängerung des AKW Borssele über seine bei der Auslegung vorgesehene Laufzeit hinaus (also für den Zeitraum nach 2033)? Wenn ja, hat die Bundesregierung diesbezüglich schon Bedenken ge- äußert und auf die UVP-Pflicht hingewiesen? Die Niederlande haben die Bundesregierung informiert, dass im Juni 2020 ein Antrag im Parlament die niederländische Regierung aufgefordert habe, die not- wendige Änderung des Kernenergiegesetzes vorzubereiten, die eine mögliche Verlängerung der Lebensdauer des AKW Borssele nach dem Jahr 2033 ermög- lichen würde, sofern dies der Genehmigungsinhaber für technisch und wirt- schaftlich machbar hält. Jene Prüfung erfolge zurzeit. Die endgültige Entschei- dung, ob die Betriebszeit des AKW Borssele sicher verlängert werden könne, liege bei der niederländischen Atomaufsichtsbehörde. Eine konkrete Initiative bezüglich einer zweiten Laufzeitverlängerung für das AKW Borssele ist der Bundesregierung bisher nicht bekannt geworden. 12. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen der Laufzeit- verlängerung des Atomkraftwerks Tricastin 1 über seine bei der Aus- legung vorgesehene Laufzeit (auch vierte Zehnjahresprüfung genannt – Quatrième Visite Décénnale) eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch- geführt? 13. Erwägt nach Kenntnis der Bundesregierung die französische Regierung für die anderen Reaktoren der 900-MW-Klasse, die gemäß französischer mehrjähriger Energieplanung für den Zeitraum 2021 bis 2028 über ihre bei der Auslegung vorgesehene Laufzeit verlängert werden sollen, Um- weltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen (vgl. https://www.ecologie. gouv.fr/sites/default/files/15.%20PPE%20-English%20Full%20documen t%20for%20public%20consultation.pdf)? Die Fragen 12 und 13 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Nach Kenntnis der Bundesregierung sieht der mehrstufige französische Prozess zur vierten Periodischen Sicherheitsüberprüfung der Reaktoren der 900MW- Flotte (vgl. https://www.asn.fr/Informer/Actualites/4e-reexamen-periodique-de s-reacteurs-de-900-MWe), zu der auch Tricastin-1 gehört, keine Umweltvert- räglichkeitsüberprüfungen vor. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 20 verwiesen. 14. Hat die Bundesregierung im Rahmen bilateraler Gespräche mit Frank- reich die Notwendigkeit der systematischen Durchführung von Umwelt- verträglichkeitsprüfungen im Rahmen der Laufzeitverlängerung von französischen Atomkraftwerken über ihre bei der Auslegung vorge- sehene Laufzeit betont? Was ist der aktuelle Stand solcher Gespräche? Die Bundesregierung verweist im Rahmen ihrer Gespräche mit Frankreich auch auf die Notwendigkeit grenzüberschreitender Umweltverträglichkeitsprüfungen für Laufzeitverlängerungen von AKW und wirbt um französische Unterstüt- zung eines Espoo Leitfadens für Laufzeitverlängerungen von AKW, zuletzt am Rande des informellen Umweltministerrates am 1. Oktober 2020.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/23490 Arbeit auf Ebene der UN ECE: 15. Warum wurden alle Treffen der Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Anwendung der Espoo-Konvention auf die Laufzeitverlängerung von Atomkraft- werken 2020 ersatzlos abgesagt (d. h. ohne ein virtuelles Treffen als Er- satz zu veranlassen, vgl. https://www.unece.org/environmental-policy/co nventions/environmental-assessment/meetings-and-events.html#/)? Die Treffen der Ad hoc Arbeitsgruppe zur Anwendung der Espoo-Konvention auf Laufzeitverlängerungen von AKW wurden, wie viele internationale Tref- fen, aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt. Seit Mai 2020 tagt die Ad hoc Arbeitsgruppe regelmäßig virtuell. 16. Wann wird die Arbeitsgruppe zum nächsten Mal tagen (virtuell oder physisch)? 17. Wann bzw. an welcher Tagung der Vertragsparteien wird die Arbeits- gruppe nach dieser Verzögerung voraussichtlich den Entwurf von Leit- linien zum Thema Anwendung der Espoo-Konvention auf die Laufzeit- verlängerung von Atomkraftwerken vorstellen können (ursprünglich war eine Vorstellung im Dezember 2020 vorgesehen, vgl. https://www.unece. org/fileadmin/DAM/env/eia/documents/WG2.8_Nov2019/Workshop/No te_Stakeholder_Workshop_v.3_FINAL.pdf)? Die Fragen 16 und 17 werden zusammen beantwortet. Ein erster Entwurf von Leitlinien wurde im Vorfeld der Espoo Working Group 9, die im August 2020 stattfand, erarbeitet. Es ist weiterhin beabsichtigt, den endgültigen Entwurf im Rahmen der 8. Vertragsstaatenkonferenz der Espoo Konvention (8th Meeting of the Parties to the Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context) zu verabschieden. Die Ver- tragsstaatenkonferenz findet vom 8. bis 11. Dezember 2020 in Vilnius, Litauen, statt. 18. Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund des heutigen Arbeitstandes im Rahmen dieser Arbeitsgruppe zuversichtlich, dass die Leitlinien die systematische Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei Laufzeitverlängerungen von AKW über die bei der Auslegung vorge- sehene Dauer hinaus vorschreiben werden? Wie bewertet die Bundesregierung die Fortschritte der Arbeitsgruppe? Die Bundesregierung wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass erhebliche Lauf- zeitverlängerungen einer grenzüberschreitenden UVP unterzogen werden. Durch die Rolle als Ko-Vorsitz der Espoo Ad hoc Arbeitsgruppe und die aktu- elle EU-Ratspräsidentschaft nimmt die Bundesregierung vornehmlich eine neutrale und vermittelnde Rolle ein. Die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe sind noch nicht abgeschlossen. Trotz erreichter Fortschritte gibt es noch eine Reihe konfliktträchtiger Themen.
Drucksache 19/23490 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 19. Werden die vom Espoo Implementation Committee verabschiedeten Leitlinien einen verbindlichen Charakter erhalten und im Implementation Committee verfechtbar sein, oder sollen sie lediglich der unverbindlichen Orientierung der Vertragsparteien dienen? Die Leitlinien werden der Espoo Vertragsstaatenkonferenz im Dezember 2020 vorgelegt werden. Es ist weiterhin angestrebt, dass die Leitlinien als verbind- liche Auslegungshilfe der Espoo Konvention verabschiedet werden. 20. Wie viele Fälle einer fehlenden UVP im Falle von Laufzeitverlängerun- gen von Atomkraftwerken wurden bis heute insgesamt im Implementa- tion Committee der Espoo-Konvention behandelt (bitte die betroffenen Atomkraftwerke und ggf. die jeweils vom Implementation Committee getroffene Entscheidung angeben)? Derzeit sind nach Angaben des Sekretariats der UN ECE Espoo Konvention vor dem Implementation Committee der UN ECE Espoo Konvention diverse Überprüfungsverfahren zu Laufzeitverlängerungen bei europäischen Atom- kraftwerken anhängig, die ohne Durchführung einer UVP zugelassen worden sein sollen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Anlagen: • 1 Block des AKW Borssele (Niederlande) EIA/IC/INFO/15 • 2 Blöcke des Kraftwerkes Doel; ein Block des Kraftwerkes Tihange (Bel- gien) EIA/IC/INFO/18 • 4 Blöcke des AKW Dukovany (Tschechien) EIA/IC/INFO/19 • 3 Blöcke des AKW Südukraine; 2 Blöcke des AKW Khmelnitski, 2 Blöcke des AKW Rivne; 5 Blöcke des AKW Zaprihia (Ukraine) EIA/IC/INFO/20 • 1 Block des AKW Santa Maria de Garoña, 2 Blöcke des AKW Almaraz (Spanien) ECE/IC/INFO/26, EIA/IC/INFO/34 • 2 Blöcke des AKW Kozloduy (Bulgarien) ECE/IC/INFO/28 • 4 Blöcke des AKW Blayais; 4 Blöcke des Kraftwerkes Bugey; 4 Blöcke des AKW Chinon; 4 Blöcke des AKW Cruas; 4 Blöcke des AKW Dampierre; 6 Blöcke des AKW Gravelines; 2 Blöcke des AKW St. Laurent; 4 Blöcke des AKW Tricastin (Frankreich) EIA/IC/INFO/32 21. Welche Arbeiten laufen gerade nach Kenntnis der Bundesregierung auf EU-Ebene (z. B. seitens der Europäischen Kommission) zum Thema UVP-Pflicht bei AKW-Laufzeitverlängerungen? Die EU-Kommission ist als Espoo Vertragspartei in die Arbeiten zum Leitfaden eingebunden. Als Hüterin der Verträge verantwortet die EU-Kommission im Übrigen die vollständige und rechtzeitige Umsetzung der UVP Richtlinie in den EU-Mitgliedstaaten. Zudem wird das EuGH-Urteil C-411/17 (UVP— Pflicht Laufzeitverlängerung AKW Doel) unabhängig von der Espoo-Thematik von der EU-Kommission mit den zuständigen Experten*innen der Mitglied- staaten diskutiert.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/23490 22. Teilt die Bundesregierung die Meinung der EU-Kommission, dass es nicht erforderlich ist, die UVP-Richtlinie zu überarbeiten, um Projekte des Anhangs I mit den Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken zu ergänzen, weil Projekte, die eine Laufzeitverlängerung von Atomkraft- werken umfassen, von dem Anwendungsbereich der Espoo-Konvention und daher auch der Richtlinie schon erfasst sind (vgl. https://www.europ arl.europa.eu/doceo/document/E-9-2019-004179-ASW_DE.html)? Die Bundesregierung teilt diese Ansicht grundsätzlich. Jedoch haben die Espoo Konvention und die UVP-Richtlinie keinen deckungsgleichen Anwendungs- bereich. a) Wenn ja, warum wird nach Ansicht der Bundesregierung genau die Frage der Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Falle von AKW-Laufzeitverlängerungen von der Ad-hoc-Arbeits- gruppe auf UNECE-Ebene erörtert? Die Espoo-Konvention hat einen anderen Anwendungsbereich und weitere Ver- tragsparteien, die über die EU-Mitgliedsstaaten hinausgehen. Zudem benutzt sie grundsätzlich andere Begrifflichkeiten als die UVP-Richtlinie. Anlass der Einrichtung der Ad hoc Gruppe auf UN ECE-Ebene war eine alternde AKW- Flotte in ganz Europa mit einer endenden Betriebsdauer von 30 oder 40 Jahren sowie vielfacher Maßnahmenergreifung zur Fortsetzung des operativen Be- triebs, einhergehend mit einer wachsenden Anzahl an Fällen von AKW-Lauf- zeitverlängerungen vor dem Espoo Implementation Committee. Vor diesem Hintergrund sollte eine Klärung der Frage auch auf UN ECE Espoo Ebene er- folgen. b) Wenn ja, kann die Bundesregierung bestätigen, dass bei allen geplan- ten Laufzeitverlängerungen in der EU (ggf. nachträglich) eine Um- weltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss? Das Erfordernis einer grenzüberschreitenden UVP bei der Laufzeitverlänge- rung von AKW hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. c) Wenn ja, werden Atomkraftwerke, die in der EU ohne Umweltverträg- lichkeitsprüfung laufzeitverlängert wurden (wie z. B. das französische AKW Tricastin 1, vgl. https://www.greenpeace.org/luxembourg/de/co mmuniques-de-presse/6657/aktion-greenpeace-beginnt-mit-dem-abba u-des-veralteten-und-gefaehrlichen-kernkraftwerks-tricastin-2/), nach Ansicht der Bundesregierung rechtswidrig betrieben? Die Bundesregierung bewertet nicht die Rechtmäßigkeit des Betriebs von AKW in anderen Mitgliedsstaaten.
Drucksache 19/23490 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 23. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für die Überarbeitung der UVP-Richtlinie 2011/92/EU einsetzen, um Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken mit in die Projekte des Anhangs I einzuschließen? Wenn nein, wie wird sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU- Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, dass die Pflicht einer Umweltvert- räglichkeitsprüfung im Falle der Laufzeitverlängerung eines AKW über die bei der Auslegung vorgesehene Dauer mit oder ohne geplanten Mo- dernisierungsarbeiten auch auf EU-Ebene immer besteht (vgl. Verpflich- tung aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von 2018, bei der Reaktorsicherheit in Europa dauerhaft Einfluss auszu- üben)? Eine Änderung der UVP-Richtlinie 2011/92/EU ist nach Kenntnis der Bundes- regierung nicht vorgesehen. Die Bundesregierung verfolgt jedoch die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam und setzt sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in den Gremien der UN ECE Espoo Konvention, dafür ein, dass erhebliche Laufzeitverlängerungen einer grenzüberschreitenden UVP unterzogen werden. Im Rahmen der EU-Ratspräsi- dentschaft hat die Bundesregierung vor allem eine neutrale und vermittelnde Rolle. 24. Zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des EuGH vom 29. Juli (Rechtssache C411/17) die Schlussfolgerung, dass die Betreiber von Atomkraftwerken in der EU laut dieser Rechtsprechung nur dann zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtet wären, wenn die Laufzeitverlängerung zusammen mit Modernisierungsarbeiten großen Umfangs auftritt? Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29. Juli 2019 (C-411/17) hat festgestellt, dass eine Laufzeitverlängerung, die untrennbar mit einer Nachrüstverpflichtung über 700 Mio. Euro verbunden ist, in der Gesamt- betrachtung ein „Projekt“ im Sinne der UVP-Richtlinie darstellt und dass daher die Laufzeitverlängerung der belgischen Atomkraftwerke einer UVP bedurfte. Zur Frage, ob die Betreiber von AKW in der EU auch dann zur Durchführung einer UVP verpflichtet sind, wenn solche Modernisierungsmaßnahmen nicht stattfinden, äußert sich das Urteil nicht. 25. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Schweiz aufgrund der Abkommen mit der EU vom EuGH-Urteil mit der Rechtssache C411/17 ebenfalls betroffen ist (vgl. https://www.eda.admi n.ch/dam/dea/de/documents/publikationen_dea/accords-liste_de.pdf), und hat die Bundesregierung die schweizerische Regierung darum ge- beten, eine UVP für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke Gösgen und Beznau in diesem Sinne nachzuholen? Zu der Frage, ob die Schweiz aufgrund des Urteils der EuGH in der Rechts- sache C-411/17 verpflichtet ist, eine UVP für die Laufzeitverlängerung der AKW Gösgen und Beznau nachzuholen, liegen der Bundesregierung keine ab- schließenden Erkenntnisse vor.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/23490 26. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die vor dem EU-Austritt gefällten Urteile des EuGH – wie z. B. das Urteil mit der Rechtssache C411/17 – auch nach dem Austritt weiterhin im Vereinigten Königreich Anwendung finden (z. B. im Rahmen der Verhandlungen über die künf- tige Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich, vgl. https://ec.europ a.eu/info/european-union-and-united-kingdom-forging-new-partnership/f uture-partnership_de)? Aus Artikel 89 Absatz 1 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft ergibt sich, dass vor Ende des Übergangs- zeitraums ergehende Urteile und Beschlüsse des Gerichtshofs der Europäischen Union in ihrer Gesamtheit für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich rechtsverbindlich sind. 27. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft darüber hinaus dafür einsetzen, dass ein generelles Verbot von AKW- Laufzeitverlängerungen über die bei der Auslegung vorgesehene Dauer in der EU eingeführt wird? In der Europäischen Union entscheidet nach Artikel 194 Absatz 2 Unter- absatz 2 AEUV jeder Mitgliedstaat souverän über seinen Energiemix. Laufzeitverlängerungen und Alterung von Reaktordruckbehältern bzw. Moderatoren: 28. Bei welchen der in den Antworten zu den Fragen 1 und 4 aufgelisteten AKW hat die Bundesregierung Kenntnis über Risse bzw. Materialfehler im Reaktordruckbehälter? Nach Kenntnis der Bundesregierung sind von den Anlagen in der Antwort zu Frage 1 bei Ultraschallprüfungen der Reaktordruckbehälter (RDB) der französi- schen AKW Bugey-5, Gravelines-6, St. Laurent B-1 und B-2 sowie Tricastin-1 und des schweizerischen AKW Beznau-1 Anzeigen auf Materialbefunde fest- gestellt worden. 29. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich die Betreiberin Axpo im Falle eines der ältesten AKW Europas, des AKW Beznau – dessen Lauf- zeit ohne Umweltverträglichkeitsprüfung verlängert wurde –, vor der Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen des Reaktordruckbehäl- ters drückt, obwohl sich das schweizerische Bundesverwaltungsgericht 2017 für eine Veröffentlichung entschieden hatte (vgl. Entscheid A-1432/2016 des schweizerischen Bundesverwaltungsgericht vom 5. April 2017, https://entscheide.weblaw.ch/cache.php?link=05-04-2017- A-1432-2016 und https://energiestiftung.ch/medienmitteilung/oeko-instit ut-zweifelt-am-sicherheitsnachweis-von-beznau-i.html)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Kenntnisse vor.
Drucksache 19/23490 – 16 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 30. Bei welchen der im Vereinigten Königreich heute noch betriebenen Atomkraftwerke des Typs AGR (Advanced Gas-cooled Reactor) wurde nach Kenntnis der Bundesregierung eine Zerbröckelung bzw. ein Ge- wichtsverlust der im Kern als Moderator genutzten Graphitblöcke fest- gestellt (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 146 auf Bundestags- drucksache 19/13176)? Alle Graphitblöcke als Moderator im Kern der AKW des Typs AGR verlieren mit zunehmender Betriebszeit infolge Oxidation langsam an Gewicht. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind Rissbildungen in den Graphitblöcken bei den AKW Hunterston B-1 und B-2 sowie Hinkley Point B bekannt. 31. Wurde diese Zerbröckelung bzw. dieser Gewichtverlust nach Kenntnis der Bundesregierung beziffert (bitte ggf. die entsprechenden Werte für jedes AKW angeben)? Nach einem Bericht der zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde ONR (Office for Nuclear Regulations, http://www.onr.org.uk/pars/2019/hunterston- b-19-004.pdf) bezifferte sich die Anzahl der durch Rissbildung betroffenen Graphitblöcke am Standort Hunterston auf über 350 im Block B-1 und unter 350 im Block B-2. Weitere Detailkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. 32. Sind die Konsequenzen der Alterung von Reaktordruckbehältern bzw. Reaktorkernen auf ihre Widerstandsfähigkeit nach Kenntnis der Bundes- regierung allgemein schon belastbar erforscht worden? 33. Kann nach Kenntnis der Bundesregierung unter Berücksichtigung der vorhandenen Forschungsergebnisse zu diesem Thema das Versagen eines Reaktordruckbehälters bzw. von Moderatoren aufgrund ihres Alters in Europa praktisch ausgeschlossen werden? Die Fragen 32 und 33 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind in den letzten 40 Jahren Forschungs- aktivitäten zur Integrität von Reaktordruckbehälter (RDB) international durch- geführt worden. Dabei wurden zerstörungsfreie Prüfmethoden sowie struktur- mechanische Berechnungsverfahren entwickelt und erprobt. Diese entwickelten Methoden bzw. Verfahren, die im Rahmen von Sprödbruchsicherheitsnach- weisen eingesetzt werden, werden international als belastbar zur Bewertung der Integrität der Reaktordruckbehälter über die Betriebszeit eines AKW akzep- tiert. Es liegt in der alleinigen Verantwortung der für ein AKW zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde, aus den Ergebnissen der Integritätsbewer- tung des RDB Schlussfolgerungen zu ziehen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333
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