Arenen der Niedertracht - Promi Bullying und Beschämung in Unterhaltungsformaten - TV-Diskurs
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TITEL Uwe Breitenborn Arenen der Niedertracht Promi-Bullying und Beschämung in Unterhaltungsformaten
TITEL Scham ist ein virulentes Gesellschaftsthema und Schaden freude eine Ursubstanz des Unterhaltungsbedürfnisses. Einige Formate gehen dabei mittlerweile sehr weit. Es kann nicht egal sein, ob Mobbing sanktionslos aufgewertet und belohnt wird oder nicht. Letztlich muss es darum gehen, einem antisozialen Verhalten den Erfolgsnimbus zu nehmen. E s heißt, Zyniker sehen im tel 2020) zuweilen auch ein höchst pro- Guten nur das Schlechte, bei blematisches Weltbild transportiere, das manchen Guilty-Pleasure- nicht nonchalant hingenommen werden Formaten ist es wohl umge- könne. Die Empörung war deftig, lief kehrt. Reden wir also über doch das Format gerade in der zweiten Scham. Bei diesem Thema geht es um Hälfte mächtig aus dem Ruder. Alles Identität und Verletzlichkeit, die sich drehte sich um das Mobbing, welches auch in Kategorien von Status und Dis- sich gegen die Modeunternehmerin und tinktion übersetzen lassen. Nicht um- Reality-TV-Darstellerin Claudia Obert sonst wird in den Realityshows ständig richtete, die daraufhin in der 5. Folge die und aufgeregt über „Respekt“ und „Inte- Show verließ. Mit bösartigen Zuschrei- grität“ geredet. Herabsetzung und Be- bungen wie „Viech“ oder „Pottsau“ wur- schämung sind hier häufig Strategien de sie übel attackiert. Auch das herbstli- zur Durchsetzung eigener Ansprüche. che Sommerhaus der Stars bot Ähnliches. Das Fernsehen gilt trotz mehrfach aus- gestellter „Totenscheine“ immer noch Abgrenzung durch Ausgrenzung als ein repräsentativer Ort der Werte- kommunikation unserer Gesellschaft. Medien und Formate wirken durchaus Sicher, einer unter vielen, aber i mmerhin. als öffentliche Beschämungsmaschinen, Trotz extremer Marktdifferenzierung mit die zuweilen Funktionen des mittelalter- Hunderten von P rogrammangeb ot en lichen Prangers übernommen haben, der und Verfügbarkeiten bleiben die markt- dazu diente, mittels eines Spektakels starken Programmangebote im Fokus Ein- und Ausgrenzungen zu definieren. eines Diskurses, der über Werte, Normen Beschämung stellt also eine Kulturtech- und regulative Ideen kommuniziert. nik dar, um Hierarchien zu stabilisieren, Sonst würde sich auch niemand über was die Frage aufwirft: Wer ist „oben“ „Palmenpromis“ aufregen. Eigentlich und wer „unten“? Wer kann wen womit eine gute Nachricht. beschämen? Es gehe zumeist um Entblö- Erfolg und Aufregung sind in der Me- ßungen in unterschiedlichen Machtkon- dienbranche eng miteinander verwo- stellationen, so die Theologin Regina ben. Scham auch. Als im Frühjahr des Ammicht Quinn, die Scham durch drei Coronajahres 2020 die Show Promis Punkte definiert sieht: „Scham ist sozial; unter Palmen (PuP) sehr gute Einschalt- sie entsteht aus dem Geflecht sozialer quoten bei den 14- bis 49-Jährigen er- Beziehung heraus und steht in unmittel- zielte, ging mit den erfreulichen Zahlen barem Zusammenhang mit dem tatsäch- auch eine heftige Debatte einher, dass lichen oder imaginierten Maß von Aner- Promis unter Palmen – Für Geld mache ich alles! „der neue Hit am Reality-Himmel“ (Man- kennung, das man erfährt. Scham ist © SAT.1 27
TITEL normativ, weil sie ein Selbstbild voraus- tensiver Form selbst erleben, so Hallen- für Ausgrenzungskulturen erkannt wer- setzt, gegen das man beschämend ab- berger. Zweifellos eine recht positive den. Scham bleibt ein Querschnitts fällt. Scham ist moralisch relevant, weil Interpretation, aber ist es auch im Sinne thema heutiger Medienkulturen, das gilt die in der Scham verborgenen Normali- des Jugendschutzes eine förderliche nicht nur für die Unterhaltung und den tätsfragen ethisch diskutiert werden Form, wenn eskalierende TV-Shows Boulevard. müssen. Dies betrifft Körper- und Inti- Mobbingkulturen inszenieren? Die Ent- Carmen Krämer publizierte erst kürz- mitätsscham ebenso wie Kompetenz- scheidungen der Freiwilligen Selbstkon- lich eine Studie, in der sie den Würde scham, Ungleichheitsscham und andere trolle Fernsehen (FSF) bezüglich dieser begriff in Bezug auf Casting- und Reali- Bereiche.“ (Quinn 2019, S. 357) Beschä- Formate kreisten im Kern um die Frage, ty-TV-Formate diskutiert. Begriffe wie mungsvorgänge etablieren häufig eine ob das sanktionsfreie Mobbing oder Bul- „Erniedrigung“ oder „Demütigung“ sind Demarkationslinie zwischen „uns“ und lying in solchen TV-Shows als abträg juristisch nicht immer eindeutig zu fas- den anderen, sie können gar die Andro- liches Sozialverhalten für Kinder zu sen. Die Autorin arbeitet aber detailliert hung oder den Vollzug eines Ausschlus- erkennen ist. In der Regel ist davon aus- heraus, was bei Formaten wie DSDS ei- ses aus der Gruppe bedeuten. Scham sei zugehen, dass bereits Kinder und Ju- gentlich passiert. „All diese Demütigun- anthropologisch eng verwandt mit Ekel gendliche in der Lage sind, ein abstoßen- gen und Erniedrigungen treffen das und bedeute auch Integritätsverletzun- des, sozial unverträgliches und moralisch Ansehen real existierender Persönlich- gen, für die es, so Quinn, keine vergleich- verwerfliches Verhalten wahrnehmen keiten, die im Anschluss an die Sendung baren Entlastungsstrukturen oder Ent- und moralisch einordnen zu können. mit dieser Bewertung leben müssen. lastungsrituale gebe (ebd., S. 359). Wenn aber die gröbsten Mobber auch die Derartige Diffamierungen werden nicht Es lässt sich natürlich auch argumen- Gewinner sind, läuft etwas falsch im nur absichtlich ausgestrahlt, sondern tieren, dass diese Reality-Spiel-Formate Unterhaltungskosmos. Die süffisante, auch absichtlich geäußert, um den Un- durch die Beobachtbarkeit von Mob- ironische Kommentierung in den Shows terhaltungswert zu steigern.“ (Krämer bingkulturen durchaus eine abschre- ist dann als Einordnung zu schwach und 2020, S. 256) So könne in der Konse- ckende Wirkung haben, weil sie auch die verstärkt eher Häme und Spott. Oder, quenz die Ausstrahlung selbst ein Akt Konsequenzen dieses Sozialverhaltens um hier Matthias Struchs Fazit zu Promis der Demütigung sein. Hatten wir das sichtbar machen. Insbesondere in Cas- unter Palmen anzuführen: Dass am Ende nicht schon einmal? ting- und Realityshows sowie Schaden- der Meister des antisozialen Verhaltens freude-Formaten werden Teilnehme Bastian Yotta gewinne, sei unter Wir- Alte diskursive Schlachten rinnen und Teilnehmer immer wieder kungsaspekten des Kinder- und Jugend- zu Entblößungsvorgängen angehalten, medienschutzes eigentlich ein Sakrileg, Vieles erinnert an die Diskussionen aus deren Reichweite sie vermutlich selbst spreche aber weder gegen die Sendung, den 1990er-Jahren. Struch wies in sei- nicht abschätzen können. Die Rezeption die Kandidatinnen und Kandidaten, die nem Beitrag zu Promis unter Palmen auf solcher Vorgänge wird gern auch als Macherinnen und Macher noch gegen den Code of Conduct aus dem Jahr 1998 Fremdschämen umschrieben. Allerdings das Publikum – das mache allein die hin, der damals vom VPRT (Verband Pri- ist es schwierig, sich für andere zu schä- Quote. „Denn klar ist: Gut und gerecht vater Medien, heute VAUNET) in Zusam- men, wenn man keine identifikatorische ist das nicht.“ (Struch 2020) Das Mob- menarbeit mit der FSF erarbeitet wurde. Bindung besitzt. Zuweilen ist es wohl bing führte zwar im Nachhinein bei Fast alle Argumentationslinien hinsicht- eher Koketterie, sich fremdzuschämen. Staffelsieger Yotta und anderen Teil lich einer sozialethischen Desorientie- Es sagt sich schnell dahin und meint nehmenden zu Verlusten bei Geschäfts- rung lassen sich auf heutige Formate letztlich (nur) Guilty Pleasure. beziehungen, aber die spielerische In übertragen. Es ging damals um die szenierung des Zivilisationsbrüchigen Wirkungsabschätzung bezüglich einer Desintegrativer Habitus hat kaum pädagogisch positive Effekte. medial inszenierten Amoral oder anti Schnell gerät man hier in die Empörungs- sozialen Verhaltens, vor allem in den Ob Guilty Pleasure oder gänzlich humor- falle. Natürlich spricht einiges dafür, verrufenen Daily Talks, die viel Ärger befreite Formate, wenn Scham im Spiel diese Formate auch dort zu belassen, wo erregten. Es gab aber immer auch ab ist, geht es immer um „unterstellte oder sie sind, nämlich im Unterhaltungs wägende Positionen, die diese eher als tatsächliche Gruppennormen“ (Hallen- kontext. Alles halb so wild? Auch das Moralbildungsprozesse verstanden und berger 2021, S. 66). Diesbezüglich ist Unterhaltungsfernsehen ist eine Beob- die Empörung zurückwiesen. Zuschauer das Verhältnis von Scham und Beschä- achtungsapparatur von Sozialverhalten griffen auf eine verinnerlichte Hierar- mung bei TV-Formaten in zweierlei Hin- – gerade im Reality-Bereich. Die Klagen chie von Werten zurück, die sie mit den sicht zu hinterfragen. Ist die Beschä- über Hass- und Mobbingkulturen, die Beschimpfungsorgien kontrastiv ver- mung oder die Scham über die sichtbare längst über die sozialen Netzwerke hin gleichen konnten (siehe z. B. Grimm Beschämung die Norm? Die benannten ausreichen, werden zu wohlfeilen Platti 2001). Das Publikum durchschaue also Formate spielten mit unseren Grenzen tüden, wenn nicht auch die Beschämungs die inszenatorischen Fallstricke. Ähnli- und ermöglichten es, dass wir uns in in- formate letztlich als ein Resonanzboden che Diskussionen folgten, als die Scrip- 28 tv diskurs 96
TITEL ted-Reality-Formate auf den Markt ka- wiederholt präsentiert und danach für Literatur: Deuerling, T.: Zwischen Eskapismus und Eskalation. men. Es ist müßig, die alten diskursiven die Social-Media-Belustigung veröffent- TV-Trends im New Normal. In: tv diskurs, Ausgabe 94, Schlachten erneut auszufechten. Eher ist licht wurde. Natürlich ironisch geframt, 4/2020, S. 78 – 81. Abrufbar unter: https://tvdiskurs.de (letzter Zugriff: 13.03.2021) zu fragen, welche Voraussetzungen sich doch das Video wird bleiben. Keine gro- Grimm, J.: A-Moral, Anti-Moral, zügellose Moral. änderten, weshalb heutzutage eine an- ße Sache, aber es ist wie bei den e ndlosen Zu normativen Aspekten von Daily Talks. In: tv diskurs, Ausgabe 17, 3/2001, S. 50 – 57. Abrufbar unter: dere Bewertung zum Tragen kommen Satire-darf-alles-Diskursen, die oft Alibi https://fsf.de (letzter Zugriff: 14.02.2021) könnte. Der Siegeszug eskalierender charakter haben: Wir haben’s euch ja Hallenberger, G.: Guilty Pleasure. In: tv diskurs, Ausgabe 95, 1/2021, S. 66 – 67. Abrufbar unter: Dramaturgien im Lichte der Aufmerk- gesagt – aber trotzdem gezeigt. Und https://tvdiskurs.de (letzter Zugriff: 14.02.2021) samkeitsökonomie ist offensichtlich, natürlich sollte man auch die Kirche im Krämer, C.: Menschenwürde und Reality TV. Ein Widerspruch? Baden-Baden 2020 aber die Wahrnehmung diskriminieren- Dorf lassen. Die ProSieben-Premium Mantel, U.: TV-Hits 2020: Die meistgesehenen der und beschämender Inszenierungen gesichter Joko und Klaas liefern, was von Sendungen des Jahres. In: DWDL.de, 28.12.2020. Abrufbar unter: https://www.dwdl.de (letzter Zugriff: ist sensibler geworden. Die Disposition ihnen erwartet wird. Keine Biederkeit. 15.03.2021) heutiger Medienkulturen ist also eine Wie fasste es Klaas am Ende der Show Quinn, R. A.: Scham und Beschämung. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik (Teil 17). In: andere. Soziale Netzwerke und Plattfor- vom 5. Dezember 2020 kokett zusam- Communicatio Socialis, 3/2019/52, S. 356 – 361 men sind in Teilen leider auch Arenen men: „Unsere Kernkompetenz ist Ekel Struch, M.: PuP, ein (neues) Format sorgt für (neue) Aufregung. Warum eigentlich?. In: FSF Blog, der Niedertracht. Nicht nur diese Er- und Scham.“ Nicht erst seit Männer 04.06.2020. Abrufbar unter: https://blog.fsf.de (letzter kenntnis beeinflusst die Bewertung sol- welten wissen wir, dass sie viel mehr zu Zugriff: 14.02.2021) VPRT: Freiwillige Verhaltensgrundsätze der im VPRT cher Formate. Anders gesagt: Es kann bieten haben. zusammengeschlossenen privaten Fernsehveranstalter nicht egal sein, ob Mobbing sanktionslos zu Talkshows im Tagesprogramm vom 30. Juni 1998 (Code of Conduct). In: tv diskurs, Ausgabe 6, 3/1998, aufgewertet und belohnt wird oder Neoliberale Bruchstellen S. 90 – 91 nicht. Letztlich muss es darum gehen, einem antisozialen Verhalten den Er- Scham ist ein virulentes Gesellschafts- folgsnimbus zu nehmen. thema und Schadenfreude eine Ursub stanz des Unterhaltungsbedürfnisses. Ob Erschöpfte Dramaturgien Verstehen Sie Spaß? oder Pannenclip shows: Wer den Schaden hat, braucht für Warum setzen viele Reality-Spiel-Forma- den Spott nicht zu sorgen. Aber schaden, te exzessiv auf den Mix aus Sentimenta- um für Spott zu sorgen, ist der falsche lität und Beschämungslust? Erstaunlich, Weg. Es sei daran erinnert, dass auch bei dass immer noch das Schlachtross Ich bin diesen Formaten eine affektive Verknüp- ein Star – Holt mich hier raus!, wenn auch fung von Unterhaltung und Information in mutierter Form, am Start ist. Es hat über die soziale Realität mitspielt. Sicht- sein Publikum, aber erschöpfte Drama- bar wird die neoliberale Grundierung turgien bedürfen der Grenzüberschrei- unserer Gesellschaft, in der Status und tung. Daher besteht der Zwang in Spiel- Stärke – oder besser Rücksichtslosigkeit und Reality-Formaten zur Eskalation. – eine zentrale Rolle einnehmen. So Tanja Deuerling wies erst kürzlich dar- fügen sich all die „Sommerhäuser“ und auf hin, dass Realityshows bei kommer- „Palmenpromis“ letztlich in ein Gesamt- ziellen Anbietern immer noch als das bild ein, das viel weiter gefasst werden Erfolg versprechende Genre gehandelt muss und nur bedingt im Jugendme- werden, und prognostizierte „zwangs- dienschutz bearbeitet werden kann. Die läufig“ noch mehr Krawall, um wahrge- flotte, reflexhafte Forderung, Kinder und nommen zu werden (Deuerling 2020, Jugendliche von diesen Formaten eher S. 79). Das gilt übrigens nicht nur für die fernzuhalten, ist durchaus nachvollzieh- Reality-Flaggschiffe. bar, aber eine Sisyphosarbeit mit wenig Spuren dessen sind auch bei den an- Aussicht auf Erfolg. Wir werden mit den gesagten Großmeistern der aberwitzigen kompetitiv ausgerichteten Grenzaus- Challenges zu finden: Joko und Klaas. dehnungen leben müssen, sie repräsen- Deren Spielszenarien in Das Duell um die tieren spielartig Sozialmuster, an denen Welt kokettieren bei aller Sympathie und zivilisatorische Bruchstellen sicht- und Raffinesse ebenfalls mit dem Prinzip der diskutierbar werden. Unproblematisch Dr. Uwe Breitenborn ist hauptamtlicher Prüfer bei Beschämung. Ein Beispiel dafür bot die sind sie deswegen noch lange nicht, vor der Freiwilligen Selbst Vanessa-Mai-Challenge in der Folge vom allem angesichts ihrer innewohnenden kontrolle Fernsehen (FSF), Dozent, Autor und 5. Dezember 2020, als sie sich auf hoher Beschämungsdynamik. Bildungsreferent bei der See übergeben musste und das Video Medienwerkstatt Potsdam. 2 | 2021 | 25. Jg. 29
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