Artenporträt Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus) - Steckbrief

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Artenporträt
    Borneo-Orang-Utan
    (Pongo pygmaeus)
    Steckbrief
    Systematische Einordnung
    Der Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus) gehört zur Familie der Menschen-
    affen und zur Ordnung der Primaten. Gemeinsam mit den Gibbons und den
    Meerkatzenverwandten bilden die Menschenaffen die Gruppe der Altweltaffen.
    Die Alt- und Neuweltaffen sind die beiden Verwandtschaftsgruppen der Affen,
    die wiederum zusammen mit den Koboldmakis die Unterordnung der Trocken-
    nasenaffen bilden. Die Trockennasenaffen gehören neben den Feuchtnasenaffen
    zur Säugetierordnung der Primaten.
    Die Familie der Menschenaffen gliedert sich heute in vier Gattungen mit sieben
    Arten: Borneo-Orang-Utan, Sumatra-Orang-Utan, Östlicher Gorilla, Westlicher
    Gorilla, Bonobo, Schimpanse und Mensch. Dabei entwickeln sich die Orang-
    Utans seit etwa zehn bis 16 Millionen Jahren getrennt von den afrikanischen
    Menschenaffen. Beide Orang-Utan-Arten gehören zur selben Gattung und sind
    unter den Menschenaffen am nächsten miteinander verwandt. Die geografische
    Trennung der beiden Orang-Utan-Arten erfolgte vermutlich vor rund 1,1 bis 1,5
    Millionen Jahren. Obwohl es einige grundlegende Unterschiede zwischen ihnen
    gibt, sehen sie sich äußerlich noch sehr ähnlich. Bis vor einigen Jahren galten
    die Borneo- und Sumatra-Orang-Utans deshalb noch als zwei Unterarten.
    Bei den Borneo-Orang-Utans werden drei Unterarten unterschieden: Nordwest-
    licher Borneo-Orang-Utan (P. p. pygmaeus), Nordöstlicher Borneo-Orang-Utan
    (P. p. morio) und Südwestlicher Borneo-Orang-Utan (P. p. wurmbii), die sich
    schätzungsweise seit ca. 176.000 Jahren getrennt voneinander entwickeln.

    Merkmale
    Orang-Utans sind die größten Baumbewohner im ganzen Tierreich. Die Kopf-
    Rumpflänge beträgt bei männlichen Borneo-Orang-Utans 96 bis 97 Zentimeter
    und bei weiblichen 72 bis 85 Zentimeter. Die zur Seite ausgestreckten Arme ha-
    ben eine Spannweite von bis zu 2,2 Meter. Männchen legen lebenslang an Ge-
    wicht zu und können im höheren Alter bis zu 100 Kilogramm wiegen. Weibchen
    bringen hingegen nur 30 bis 45 Kilogramm auf die Waage.
    Orang-Utans besitzen einen großen Kopf mit hervorspringender Mundpartie,
    und einen kräftigen Körper. Ebenso wie bei allen Menschenaffen außer den
    Menschen, sind die Arme länger als die Beine, bei Orang-Utans eineinhalb Mal
    so lang. Im aufrechten Stand reichen die Hände bis an die Knöchel. Im Gegen-
    satz zu den muskulösen Armen, ist die Muskulatur der Beine relativ schwach
    ausgebildet.

1   Hintergrund
Das lange, strähnige Haarkleid der Orang-Utans leuchtet orangerot bis rot-
    braun. Gesicht, Ohren, Handflächen und Fußsohlen sind dunkelgrau oder dun-
    kelbraun. In jungen Jahren ist das Gesicht der Orang-Utans rosafarben und
    dunkelt mit zunehmendem Alter nach. Helle Augenringe umrahmen die dunk-
    len Augen der Orang-Utans.
    Den langen Fingern steht ein kurzer Daumen gegenüber. Wie bei den meisten
    Affen sind die Großzehen der Füße analog zu unserem Daumen opponierbar.
    Aus diesem Grund funktionieren die Füße als sogenannte Greiffüße. Bei Orang-
    Utans sehen die Füße mit ihren langen Zehen und der kurzen gegenüberstehen-
    den Großzehe ihren Händen zum Verwechseln ähnlich.
    Bei adulten Männchen werden zwei verschiedene morphologischen Typen un-
    terschieden. Zunächst ähneln jüngere adulte Männchen den Weibchen im Aus-
    sehen sowie in Körpergröße und Gewicht noch sehr. Sie werden in der Fach-
    sprache als sogenannte „Männchen ohne Wangenwülste“ („unflanged males“)
    bezeichnet. Erst in einer zweiten Phase des Erwachsenenalters prägen sie ge-
    schlechtsspezifische sekundäre Geschlechtsmerkmale wie vor allem die typi-
    schen Wangenwülste aus, nach denen die sogenannten „Männchen mit Wan-
    genwülsten“ („flanged males“) benannt sind. Außerdem legen Männchen mit
    Wangenwülsten so deutlich an Körpermasse zu, dass sie manchmal mehr als das
    doppelte Körpergewicht wie das eines Weibchens erreichen. Weitere sekundäre
    Geschlechtsmerkmale der Männchen sind ein ausgeprägter, herabhängender
    Kehlsack, der ihnen ein ordentliches „Doppelkinn“ verpasst, sowie ein Bart.
    Männchen-Dimorphismus existiert zwar ebenso bei anderen Arten wie bei-
    spielsweise Grünen Meerkatzen oder Mandrillen, ist aber bei Orang-Utans in
    sofern einzigartig, als dass die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerk-
    male bei ihnen irreversibel ist.
    Orang-Utans sind wahre Kletterkünstler. Sie hangeln durchs Geäst und benut-
    zen unter anderem Lianen als Schwingseile zur Fortbewegung. Allerdings müs-
    sen sie aufgrund ihrer großen Körpermasse vorsichtig sein. Wenn sie sich nicht
    bedroht fühlen, bewegen sie sich im Vergleich zu kleineren Affen langsam im
    Kronendach fort und testen immer wieder, ob ein Ast stabil genug ist. Wenn sie
    sich doch mal am Boden aufhalten, laufen sie im Vierfüßlergang. Aufrechtes
    Gehen und Stehen fällt Orang-Utans im Gegensatz zu den afrikanischen Men-
    schenaffen hingegen schwer. Wasser meiden sie in der Regel und durchqueren
    nur selten einen maximal brusttiefen Fluss oder ein Gewässer. Jungtiere plan-
    schen gerne.
    Im Vergleich zu den nah verwandten Sumatra-Orang-Utans sind Borneo-Orang-
    Utans etwas kräftiger und stämmiger gebaut, dunkler gefärbt und haben ein
    zotteligeres Fell. Die Wangenwülste der Borneo-Orang-Utans stehen zu den Sei-
    ten ab und sind mit feinem rotbraunen Haarflaum bedeckt, während die der
    Sumatra-Orang-Utans nach hinten anliegen und mit feinen weißen Härchen
    bewachsen sind. Außerdem tragen Borneo-Orang-Utan-Männchen einen kur-
    zen, dunklen Bart, Sumatra-Orang-Utans hingegen einen langen, hellen Bart.
    Nur bei Borneo-Orang-Utans bleiben die hellen Augenringe bis ins Erwachse-
    nenalter bestehen.
    Die drei Borneo-Orang-Utan-Unterarten sind äußerlich kaum zu unterscheiden.
    Dabei haben die Nordöstlichen Borneo-Orang-Utans die kleinste Körpergröße
    und die Südwestlichen die größte.

2   Hintergrund
Lebensweise
    Orang-Utans leben im Unterschied zu den afrikanischen Menschenaffen nicht in
    Gruppen sondern mehr oder weniger als Einzelgänger. Bei den Männchen wer-
    den dominante und nachrangige Männchen unterschieden. Dominant sind die-
    jenigen adulten Männchen mit Wangenwülsten. Sie besetzen typischerweise ein
    Revier, das sich mit den Streifgebieten von ca. drei bis vier Weibchen überlappt.
    Die jüngeren adulten Männchen ohne Wangenwülste sind nachrangig, weniger
    sesshaft und streifen weiträumiger umher. Während dominante Männchen
    nachrangigen Männchen normalerweise das Durchstreifen ihres Revieres zuge-
    stehen, verteidigen sie es streng gegen andere dominante Männchen. Die Re-
    viermarkierung erfolgt durch regelmäßiges lautes Rufen, die sogenannten „long
    calls“, mit denen dominante Männchen Geschlechtsgenossen abschrecken und
    Weibchen auf sich aufmerksam machen. Die Rufe dauern etwa ein bis zwei Mi-
    nuten an, wobei die Geschwindigkeit und die Dauer des Rufs Informationen
    über die Vitalität des Absenders enthalten. Dominante Männchen rufen ca. zwei
    bis vier Mal täglich. In Regionen mit einer hohen Orang-Utan-Dichte rufen sie
    häufiger als in Regionen mit einer geringeren Dichte. Nachrangige Männchen
    rufen hingegen nicht und bleiben lieber unbemerkt. Normalerweise gehen sich
    die Männchen aus dem Weg. Wenn es aber doch einmal zu einer Begegnung, vor
    allem zwischen dominanten Männchen kommt, verhalten sie sich aggressiv. Es
    wird angenommen, dass dominante Männchen die Entwicklung von nachrangi-
    gen Männchen psychoneuroendokrinologisch unterdrücken. Allerdings ist die-
    ser Mechanismus noch nicht vollständig verstanden. Die Reviere der dominan-
    ten Männchen besitzen eine Größe von einigen Hundert Hektar.
    Männchen und Weibchen kommen nur zur Paarung zusammen und verbringen
    dann wenige Tage miteinander. Die Weibchen sind typischerweise in Begleitung
    von bis zu zwei Jungtieren verschiedenen Alters. Wenn die jungen Orang-Utans
    ihre Mütter in der Adoleszenz verlassen, bilden sie manchmal vorübergehend
    kleine Gruppen mit anderen Adoleszenten. Außerdem verbringen zumeist mit-
    einander verwandte Weibchen gelegentlich einige Tage gemeinsam und gehen
    dann wieder jede ihre eigenen Wege. Des Weiteren kann es vorkommen, dass
    Adoleszente für ein paar Tage die Nähe eines älteren Männchens oder Weib-
    chens suchen. Borneo-Orang-Utans sind insgesamt weniger sozial als Sumatra-
    Orang-Utans. Es ist anzunehmen, dass dies damit in Zusammenhang steht, dass
    die Wälder auf Borneo für die Orang-Utans weniger nahrhaft sind als die Wäl-
    der auf Sumatra und die Nahrungskonkurrenz zwischen Borneo-Orang-Utans
    dadurch größer ist. Die Dichte der Borneo-Orang-Utans beträgt ein bis drei In-
    dividuen pro Quadratkilometer.
    Orang-Utans sind tagaktiv. Sie verbringen ihre meiste Zeit in den Bäumen und
    halten sich nur selten am Boden auf. Jeden Abend bauen sie sich ein neues
    Schlafnest in den Ästen. Dafür benötigen sie in der Regel weniger als zehn Mi-
    nuten. Während sich Sumatra-Orang-Utans häufig zudem ein Nest für den Mit-
    tagschlaf errichten, ist dies bei Borneo-Orang-Utans seltener. Die Weibchen
    legen auf der täglichen Suche nach Nahrung und Schlafplätzen weitere Strecken
    zurück als Borneo-Orang-Utan-Männchen mit Wangenwülsten. Jüngere Männ-
    chen ohne Wangenwülste bewegen sich jedoch am weitesten fort. Vor allem in
    degradierten Wäldern bewegen sich massige Männchen zuweilen auch am Bo-
    den fort. Da es auf Borneo im Unterschied zu Sumatra keine Tiger gibt, ist die
    Gefahr am Boden dort auch geringer.
    Ebenso wie andere Menschenaffen benutzen Orang-Utans Werkzeuge. Ihr
    Werkzeuggebrauch ist jedoch wesentlich weniger komplex und umfangreich als
3   Hintergrund
bei anderen Menschenaffen. Sie verwenden vor allem Äste und Blätter im Rah-
    men von Auseinandersetzungen mit Artgenossen sowie zum Nestbau. Des Wei-
    teren wurden bei Borneo-Orang-Utans einzelne Werkzeuggebräuche im Zu-
    sammenhang mit der Nahrungsbeschaffung beobachtet wie beispielsweise der
    Fischfang mit einem Stock als Speer oder die Verwendung von Blättern als eine
    Art Handschuhe beim Öffnen von stacheligen Früchten.

    Fortpflanzung
    Borneo-Orang-Utan-Männchen werden etwa mit 14 Jahren geschlechtsreif.
    Weibchen bekommen ihren ersten Nachwuchs im Alter von rund 15 Jahren.
    Obwohl sowohl dominante Männchen mit Wangenwülsten als auch nachrangige
    Männchen ohne Wangenwülste Nachwuchs zeugen, stammen die meisten Jung-
    tiere von den dominanten Männchen. Bei der Partnerwahl entscheiden vor al-
    lem die Weibchen. Männchen mit Wangenwülsten werben mit lauten Rufen und
    warten dann mehr oder weniger, dass ein interessiertes Weibchen zu ihnen
    kommt. Da die Weibchen allerdings durch ihre geringere Körpermasse wesent-
    lich agiler sind, können sie Begegnungen mit dem dominanten Männchen auch
    vermeiden. Die meisten Paarungen zwischen Weibchen und Männchen mit
    Wangenwülsten werden von den Weibchen initiiert und erfolgen freiwillig.
    Männchen und Weibchen verbringen dann einige Tage miteinander und paaren
    sich in dieser Zeit immer wieder. Männchen ohne Wangenwülste sind hingegen
    häufiger übergriffig. Sie sind leichter und wendiger und schaffen es einem un-
    willigen Weibchen nachzujagen und es zu fangen. Die Sexualität der Orang-
    Utans umfasst unterschiedliche Stellungen beim Geschlechtsverkehr, darunter
    sowohl dorso-ventraler als gelegentlich auch ventro-ventraler Sex.
    Nach einer Tragzeit von acht bis neun Monaten gebären die Weibchen zumeist
    ein einzelnes Junges. Zwillinge sind selten. Die Nabelschnur beißt das Weibchen
    mit den Zähnen durch und verspeist die Plazenta. Orang-Utan-Kinder sind sehr
    stark von der Fürsorge ihrer Mütter abhängig und werden bis zu vier Jahre lang
    gesäugt. Der Bauch eines neugeborenen Orang-Utans ist zunächst noch kaum
    behaart. Das Gesicht erscheint in der ersten Zeit grau-bläulich. Im ersten Le-
    bensjahr tragen die Weibchen ihren Nachwuchs am Bauch, danach bis zur Mut-
    termilchentwöhnung auf dem Rücken.
    Wenn die Mütter nach etwa sechs bis acht Jahren ihren nächsten Nachwuchs
    bekommen, werden die älteren Geschwister zunehmend unabhängig. Im Alter
    von ca. sieben bis acht Jahren verlassen die jungen Borneo-Orang-Utans ihre
    Mütter und ziehen von da an alleine umher. Dabei bleiben die jungen Weibchen
    typischerweise mehr oder weniger in der Nachbarschaft ihrer Mütter, während
    junge Männchen weiter fort ziehen. Insgesamt ziehen Borneo-Orang-Utan-
    Weibchen in ihrem Leben etwa vier bis fünf Kinder groß. Die Lebenserwartung
    von Borneo-Orang-Utans beträgt rund 40 Jahre.

    Geografische Verbreitung
    Orang-Utans sind die einzigen Menschenaffen in Asien. Vor 20.000 Jahren be-
    wohnten sie noch weite Teile Südostasiens und waren vom Himalaya und Süd-
    china im Norden bis nach Java im Süden verbreitet. Heute sind sie nur noch auf
    Borneo und Sumatra zu finden.
    Borneo-Orang-Utans kommen ausschließlich auf der Insel Borneo vor. Ihre
    Verbreitung umfasst die beiden malaysischen Bundesstaaten Sabah und Sara-
    wak sowie die vier indonesischen Provinzen Nordkalimantan, Ostkalimantan,
    Zentralkalimantan und Westkalimantan. In Südkalimantan und im Sultanat
4   Hintergrund
Brunei sind sie hingegen nicht zu finden. Dabei handelt es sich in Sabah, Nord-
    kalimantan und Ostkalimantan um Nordöstliche Borneo-Orang-Utan, in Sara-
    wak um Nordwestliche Borneo-Orang-Utans und in Zentralkalimantan um
    Südwestliche Borneo-Orang-Utans. In Westkalimantan kommen sowohl Nord-
    westliche als auch Südwestliche Borneo-Orang-Utans vor.
    Das Verbreitungsgebiet der Borneo-Orang-Utans ist heute insgesamt stark
    fragmentiert und sie kommen inselweit nur noch in kleinen, teilweise voneinan-
    der isolierten Beständen vor.

    Lebensraum
    Borneo-Orang-Utans leben in Tieflandregenwäldern, Auenwäldern, Sumpfwäl-
    dern, Torfmoorwäldern, sogenannten Dipterocarp-Wäldern, die zum Großteil
    aus Bäumen der Familie der Flügelfruchtgewächsen (Dipterocarpaceae) beste-
    hen sowie in Sekundärwäldern und degradierten Wäldern in Höhenlagen von
    bis zu 500 Metern. Gelegentlich kommen sie aber auch in Bergwäldern in Hö-
    henlagen von bis zu 1.500 Metern vor. Dabei bewohnen sie sowohl entlegene
    Waldgebiete als auch kleine und plantagennahe Waldstücke. Da es in den über-
    schwemmungsreichen Tiefländern deutlich mehr Früchte zum Fressen für die
    Orang-Utans gibt als in den trockeneren Dipterocarp-Wäldern, bevorzugen sie
    diese Lebensräume. Rund 40 Prozent des Gesamtbestandes der Borneo-Orang-
    Utans leben in den Torfmoorwäldern.

    Ernährungsweise
    Borneo-Orang-Utans ernähren sich ebenso wie Sumatra-Orang-Utans fast aus-
    schließlich pflanzlich. Am liebsten fressen sie Früchte. Hinzu kommen Samen,
    Kräuter, Wurzeln, Blätter, Blüten, Innenrinde, Pflanzenmark und Erde. Ihr
    Nahrungsspektrum umfasst insgesamt mehr als 200 Pflanzenarten. Während
    sie außerdem regelmäßig Wirbellose wie Ameisen, Termiten und Raupen zu sich
    nehmen, stehen kleine Wirbeltiere nur sehr selten auf ihrem Speiseplan. Die
    Ernährungsweise der Borneo-Orang-Utans ist deutlich geprägt von der klimati-
    schen Wechselhaftigkeit auf der Insel sowohl während des Jahres als auch über
    die Jahre. Der Anteil von Früchten in ihrer Nahrung macht je nach Jahreszeit
    und Jahr zwischen 16 und 99 Prozent aus.
    In manchen Jahren ist Borneo vom pazifischen Wetterphänomen El Niño be-
    troffen. Die sogenannten El Niño-Jahre bringen der Insel große Trockenheit und
    Nahrungsknappheit für die Borneo-Orang-Utans. In den Dipterocarp-Wäldern
    gibt es im Zusammenhang mit dem El Niño-Klimaphänomen eine zyklische
    Fruchtbildung in sogenannten Mastjahren. Nur etwa alle zwei bis zehn Jahre
    blühen alle Flügelfruchtgewächse gleichzeitig und produzieren nahrhafte Sa-
    men. Zwischen den Mastjahren bilden sie dafür so gut wie keine aus. In den
    Dipterocarp-Wäldern finden die Orang-Utans also entweder viel oder kaum
    Nahrung. In nahrungsreichen Zeiten nehmen Borneo-Orang-Utans übermäßig
    viel Nahrung zu sich. Dadurch bauen sie Fettreserven auf, von denen sie in
    Hungerszeiten zehren können.

    Bestandsgröße und Gefährdungsstatus
    Orang-Utans zu zählen ist aufgrund der Beschaffenheit ihres Lebensraumes und
    ihrer Art der Lebensweise ein schwieriges Unterfangen. Deshalb beruhen die
    Bestandszahlen auf Hochrechnungen und Schätzungen. Auf jeden Fall ist der
    Bestand der Borneo-Orang-Utan in den letzten Jahrzehnten dramatisch einge-
    brochen. Die Weltnaturschutzunion IUCN berichtet vom Verschwinden von
5   Hintergrund
rund 60 Prozent der Orang-Utans auf Borneo im Zeitraum zwischen den Jahren
    1950 und 2010. Für den Zeitraum zwischen den Jahren 2010 und 2025 ist unter
    den derzeitigen Umständen ein Verlust von weiteren 22 Prozent prognostiziert,
    wenn sich nichts ändert. Im Jahr 2016 schätzte der WWF den Gesamtbestand
    der Borneo-Orang-Utans auf etwa 54.000 Tiere.
    Die Unterart der Südwestlichen Borneo-Orang-Utans (P. p. wurmbii) ist dabei
    derzeit zahlenmäßig noch am besten aufgestellt. Experten gehen aktuell von
    rund 38.000 Südwestlichen Borneo-Orang-Utans aus, die heute in 17 größeren
    Teilpopulationen aufgeteilt sind und größtenteils außerhalb von Schutzgebieten
    leben. Der Sebangau-Nationalpark beherbergt eine der größten Teilpopulatio-
    nen. Trotzdem haben Zentral- und Westkalimantan in den letzten 40 Jahren
    insgesamt mehr als 50 Prozent des Gesamtbestandes der Südwestlichen Unter-
    art verloren.
    Der Bestand der Unterart der Nordöstlichen Borneo-Orang-Utan (P. p. morio)
    wird im Bericht „Orangutan Population and Habitat Viability Assessment“ von
    2017 auf weniger als 15.000 Tiere geschätzt, die genau wie die Südwestlichen
    Borneo-Orang-Utans in 17 größeren Teilpopulation verteilt leben. Rund 80 Pro-
    zent der Nordöstlichen Borneo-Orang-Utans sind aktuell in Schutzgebieten zu
    hause.
    Von den Nordwestlichen Borneo-Orang-Utans (P. p. pygmaeus) gibt es nur
    noch rund 4.500 Individuen, größtenteils aufgeteilt auf drei größere und fünf
    kleinere Teilpopulationen.
    An verschiedenen Orten auf der Insel werden regelmäßig Orang-Utans, die in
    Wildtierauffangstationen vorbereitet werden, ausgewildert. Dabei ist es schon
    vorgekommen, dass Individuen einer Unterart in das Verbreitungsgebiet einer
    anderen Unterart entlassen wurden. Dadurch ist es über die Jahre zur geneti-
    schen Vermischung von Unterarten gekommen. Hybridisierungen könnten sich
    negativ auf die Überlebensfähigkeit der Populationen auswirken. Auf Grund der
    aktuellen Entwicklungen (siehe Kapitel Bedrohungsfaktoren) wird es außerdem
    immer schwieriger geeigneten Lebensraum zum Auswildern zu finden.
    Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN gelten Borneo-Orang-
    Utans als vom Aussterben bedroht. Im Washingtoner Artenschutzübereinkom-
    men CITES sind sie im Anhang I gelistet. Jeder internationale kommerzielle
    Handel ist somit verboten. Auch in ihren beiden Verbreitungsländern Malaysia
    und Indonesien stehen Borneo-Orang-Utans nach nationalem Recht unter
    Schutz.

    Bedrohungsfaktoren
    Die größten Bedrohungen für die Borneo-Orang-Utans stellen heutzutage Le-
    bensraumverlust, Wilderei, Mensch-Wildtier-Konflikte, Waldbrände und die
    Folgen des Klimawandels dar. Durch die niedrige Reproduktionsrate, die lange
    Phase der Abhängigkeit der Jungtiere von ihren Müttern und die späte Ge-
    schlechtsreife können Orang-Utans ebenso wie andere Menschenaffen Be-
    standsverluste nur schwer ausgleichen.
    Für den Lebensraumverlust sind vor allem der Holzeinschlag und die Umwand-
    lung von natürlichem Orang-Utan-Lebensraum in landwirtschaftlich genutzte
    Flächen, auf denen vor allem Ölpalmen und Kautschuk angebaut wird, verant-
    wortlich. Schon in den frühen 1950er Jahren begann auf Borneo der industrielle
    Holzeinschlag. Seit den späten 1960er Jahren wurde auf der Insel im großen Stil

6   Hintergrund
abgeholzt. Im Jahr 1973 war Borneo noch zu drei Vierteln mit Wald bedeckt. Zu
    dieser Zeit betrug das Verbreitungsgebiet der Borneo-Orang-Utans vermutlich
    noch rund 250.000 Quadratkilometer. Bis zum Jahre 2005 war Borneo Brenn-
    punkt der illegalen Abholzung durch die Holzmafia. Im Zeitraum zwischen 1973
    und 2010 sind 39 Prozent der Wälder auf Borneo verloren gegangen und damit
    knapp 100.000 Quadratkilometer Orang-Utan-Lebensraum. Dabei wurde sogar
    in Schutzgebieten und Pufferzonen abgeholzt. Sowohl der industrielle Holzein-
    schlag als auch die industrielle Landwirtschaft gehen einher mit der Schaffung
    von Infrastruktur, der Zerschneidung des Verbreitungsgebietes durch Ver-
    kehrswege, der Verstärkung der Buschfleischproblematik (siehe unten) sowie
    der Zunahme von Mensch-Wildtier-Konflikten (siehe unten).
    Neben dem Lebensraumverlust stellt die Wilderei derzeit einer der Hauptgrün-
    de für die Abnahme der Orang-Utan-Bestände auf Borneo dar. Neuere Untersu-
    chungen zeigen, dass jedes Jahr einige Tausend Borneo-Orang-Utans Opfer von
    Wilderei werden. Obwohl Orang-Utans ebenso wie alle anderen Menschenaffen
    unter Schutz stehen, werden auch sie als sogenanntes Buschfleisch gejagt und
    verspeist. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Wilderer meist nicht gezielt
    auf Orang-Utan-Jagd gehen, sondern dass sie opportunistisch jagen, was zu
    finden ist. Durch die Erschließung des zuvor abgelegenen Lebensraumes der
    Borneo-Orang-Utans wird Wilderern der Zugang erleichtert.
    Obwohl auch der Lebendtierhandel verboten ist, gibt es außerdem einen regen
    Schwarzmarkt für lebende Menschenaffen, die illegal als exotische Haustiere
    verkauft werden oder in der Unterhaltungsindustrie wie private Zoos, Zirkusse
    und Freizeitparks landen. Vor allem Jungtiere sind Touristenattraktionen und
    beliebte Accessoires bei Fotosessions. Wenn Orang-Utan-Babys gefangen wer-
    den sollen, beschützen ihre Mütter sie mit ihrem eigenen Leben. Einer Studie
    der Organisation GRASP aus dem Jahr 2015 zur Folge sind im Zeitraum zwi-
    schen 2005 und 2011 über 1.800 für den Handel gefangene Menschenaffen, da-
    runter 1.019 Orang-Utans gefunden worden. Das ist aber nur die Spitze des Eis-
    bergs. Experten gehen davon aus, dass der Verlust durch den Lebendtierhandel
    tatsächlich mehr als 22.000 Menschenaffen in diesem Zeitraum in Afrika und
    Asien und durchschnittlich 528 Orang-Utans pro Jahr beträgt. Dabei existiert
    ein komplexes länder- und kontinentübergreifendes Netz aus Wilderen,
    Schmugglern und Händlern. Der Großteil der Orang-Utans verbleibt in Malaysia
    und Indonesien, nur etwa 15 Prozent werden international, vor allem nach Thai-
    land, Singapur und Taiwan geschmuggelt. Zumeist werden die Orang-Utans
    zunächst mit Fischerbooten oder Frachtern in die nächst gelegenen Küstenstäd-
    te gebracht und von dort gegebenenfalls nach Jakarta und Singapur verschifft.
    Der Schmuggel nach Thailand, Taiwan oder in andere Länder erfolgt häufig per
    Flugzeug. Im Jahr 2004 wurden in Bangkok beispielsweise 115 Orang-Utans in
    einem Vergnügungspark entdeckt, von denen angenommen wird, dass sie direkt
    aus der Wildnis Borneos und Sumatras stammen. Beschlagnahmte Tiere landen
    typischerweise in Wildtierauffangstationen. Die Social Media entwickeln sich
    immer mehr zu einem wichtigen Medium für den illegalen Handel.
    Das Vordringen der Menschen in das Verbreitungsgebiet der Orang-Utans führt
    zunehmend zu sogenannten Mensch-Wildtier-Konflikten. Wenn die Orang-
    Utans Hunger haben, suchen sie häufig auch auf nahegelegenen Feldern und
    Plantagen nach Nahrung wie zum Beispiel Durian (Zibetfrucht). Um die Ernte
    zu schützen, zur Vergeltung ebenso wie aus Angst vor Begegnungen werden die
    Orang-Utans häufig getötet.

7   Hintergrund
Alle paar Jahre kosten zudem Brände vielen Orang-Utans das Leben und zerstö-
    ren ihren Lebensraum. Wenn die Wälder Borneos durch Brandrodung in land-
    wirtschaftlich nutzbare Flächen umgewandelt werden sollen, geraten die Feuer
    vor allem in der Trockenzeit manchmal außer Kontrolle. In El Niño-Jahren (sie-
    he Kapitel Ernährung) nehmen die Waldbrände regelmäßig katastrophale Aus-
    maße an. Vor allem in Torfmoorwälder sind die Brände unkontrollierbar, da sich
    das Feuer unterirdisch durch die dicken Torfschichten weiterfrisst und irgendwo
    wieder an die Oberfläche tritt. Die Austrocknung der Torfmoore durch Entwäs-
    serungsgräben verstärkt die Brandgefahr. Im Nationalpark Kutai in Ostkaliman-
    tan schädigten beispielsweise Feuer in den Jahren 1983 und 1998 rund 90 Pro-
    zent der Wälder. Während dort in den 1970er Jahren noch ca. 4.000 Orang-
    Utans lebten, beheimatete der Nationalpark Kutai nach den Bränden nur noch
    etwa 600 Tiere. In Südkalimantan brannten in den Jahren 1997 und 1998 mehr
    als 4.000 Quadratkilometer Torfmoorwälder nieder. In der Folge reduzierte sich
    der Bestand der Orang-Utans dort um ca. 8.000 Tiere. Mittlerweile ist Brandro-
    dung verboten.
    Eine weitere Bedrohung für die Borneo-Orang-Utans stellen die Folgen des Kli-
    mawandels dar. Modellen der Klimafolgenforschung zufolge besteht die Gefahr,
    dass ein Großteil des Verbreitungsgebietes der Borneo-Orang-Utans in Zukunft
    ihren speziellen Ansprüchen an einen geeigneten Lebensraum nicht mehr ent-
    sprechen wird. Eine Prognose besagt, dass die Borneo-Orang-Utans bis zum
    Jahr 2080 69 bis 80 Prozent ihres Verbreitungsgebietes im Vergleich zu dessen
    Größe im Jahr 2010 durch den Klimawandel verloren haben werden.

    Der Orang-Utan-Schutz ist seit Jahrzehnten ein großes Thema für den WWF.
    Orang-Utans gehören ebenso wie Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Eisbären,
    Nashörner, Elefanten, Große Pandas und weitere Arten zu den Flaggschiffarten
    des World Wide Fund for Nature. Der WWF ist weltweit in zahlreichen Projek-
    ten zum Schutz und zur Erforschung bedrohter Arten aktiv und hat bereits viel
    erreicht. Weitere Informationen über die Projektarbeit finden sich unter:
    www.wwf.de/themen-projekte/bedrohte-tier-und-pflanzenarten

8   Hintergrund
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