ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel

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ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Nr. 10 | Brückengeneration 5 | Dezember 2018 · Jänner 2019 | Euro 5,50
Österreichische Post AG
PZ16Z040851P
Amt der Kärntner Landesregierung
Abteilung 14 – Kunst und Kultur
Burggasse 8, 9021 Klagenfurt

                                       ARTgerechter KONSUM
                                    „Kauf dir was Hübsches, Kleine*r.“
                                   www.bruecke.ktn.gv.at
ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Veronika Suschnig
                                                     Ist das Kunst oder kann das weg?

Gernot Fischer-Kondratovitch: Die Masse hält
das Gleichgewicht. Foto: GFK | bildrecht.at

vorort
Liebe BRÜCKE-Konsument*innen,
ja, der Kapitalismus und sein leibliches Kind
Konsum haben die Welt neu erfunden. Und
dabei haben sie der Zivilisation – nebst der
unzivilisierten Konsument*innen – auch
Errungenschaften eingebracht. Aber wie immer
„macht die Dosis das Gift“.
Um uns herum tobt eine Zeit, in der Produktivi-
tät wichtiger ist als Kreativität. In der 
Information höher gehandelt wird, als Wissen
und Erkenntnis. In der Unterhaltung einen
höheren Stellenwert hat als Haltung. Um uns
lärmt und rauscht eine Welt des vulgären,
tagespolitischen Kleingelds anstelle
menschlicher Großinvestitionen (immaterieller
wie materieller Art), bestimmt von einer
gewissen Kleingeistigkeit und Konsum-
unterwürfigkeit unserer Galionsfiguren. Eine
Zeit des kräftigen Barbarentums. Den
Luxus des Denkens lassen wir verkommen zum
luxusorientierten Konsumdenken. Eine Welt der
Identitätsstiftung durch Haben anstatt durch
das Sein, in der wir mitten im Überfluss einen
permanenten Mangelzustand erleben. Was
nichts anderes ist als ein geschürter Minder-
wert, dessen Ausgleich wir durch Konsum
anstreben: Konsum von Waren die uns schöner,
hipper, liebenswerter machen, bis hin zum Kon-
sum von körperlicher und zwischenmenschli-
cher Nähe. (An dieser Stelle komme ich nicht
umhin, mich eines durch meine Großmutter
weitergegebenen Denksatzes zu erinnern:
„Einem Zufriedenen kann man nichts verkau-
fen.“) Die bedenklichsten Suchtmittel unserer
Zeit sind nicht jene, die das Strafgesetz nennt.     Veronika Suschnig ist BA Kunstpreisträgerin 2018. Die 1989 geborene Künstlerin ist in Klagenfurt
                                                     und Wien aufgewachsen, lebt und arbeitet heute in der Bundeshauptstadt. Sie arbeitet medien-
Wir torkeln und stottern im Kaufrausch. Consu-
                                                     übergreifend zwischen Druckgrafik, Tafelbild und dem dreidimensionalen Raum und schafft damit ein
mere: ‚verbrauchen‘ ist zum „Brauch“             Werk, das Plastik, Malerei, Grafik und Skulptur konzeptuell miteinander verbindet. Vorrangig befassen
geworden – zu einer dingbaren, existen-        sich ihre Arbeiten mit gesellschaftspolitischen Themen und suchen bildliche Rahmen, durch die sie
tiellen Erfordernis. Gesellschaftskritik muss        Verhältnisse von Raum, Mensch und Gesellschaft erforschen kann. Ihre Werke wurden bereits
heute auch Konsumkritik sein.                        international ausgestellt, beispielsweise in London, Berlin, München, Düsseldorf und Chur.
                                                     Das Wien Museum nahm 2018 eine Arbeit in seine Sammlung auf. www.veronikasuschnig.com
In dieser Welt ist Kultur – als Gesamtheit der
von Geist und Ethos beseelten Errungenschaf-         Die Siebdruck-Serie „Ist das Kunst oder kann das weg?“ nimmt sich der oft missglückten
ten eines Individuums wie auch einer Gemein-         Kommunikation zwischen moderner Kunst und ihrer Betrachter*innen an, die bei konzeptioneller Kunst
schaft – jener Bereich, der dem Schlussverkauf       in Ausstellungen oft nicht richtig abgeholt werden. Die Serie entstand 2017, besteht aus sechs Motiven
des „Menschseins“ Einhalt gebietet. DIEse            in einer Edition von je sechs Drucken und ist ab Dezember in der Galerie 3 (Klagenfurt) erhältlich.
BRÜCKE bündelt eine Auswahl künstlerischer
Arbeiten und Positionen rund um das Thema
Konsum. Von Betrachtungen des „Verzehrs von          Cover: Schlaftabletten – Lorenz Friedrich, * 1988 in St. Veit an der Glan, lebt und arbeitet in Wien
Körpern“ bis hin zu einem wortreichen Rund-          und Kärnten. www.lorenzfriedrich.com
gang im KunstMarkt, haben wir uns um          Daumenkino: Lisa Maria Wagner, * 1986, freie Illustratorin, lebt in Villach, arbeitet mit Schere, Papier
                                                     und Pinselstrich u.a. fürs Literaturhaus Graz, a.c.m.e,- und die Stadt Villach (Lesezeichen). Ihre beiden
eine recht erkleckliche Angebotspalette bemüht.      Bilderbücher „Alex und der Mond“ (2016) sowie „Frida, Flii und Mo“ (2018) sind im Luftschacht Verlag
                                                     erschienen.
In diesem Sinne: Konsumieren Sie wohl!
                                                     Das BRÜCKE-Daumenkino und dessen einzelne, bunte Bausteine repräsentieren Menschen in ihrer
                                                     Vielfalt und Verschiedenheit. Trotz der Unterschiede zeigen die Bausteine, die sich ineinander zu etwas
● Gabbi Hochsteiner                                  Neuem fügen, dass es auch für uns Menschen immer Möglichkeiten gibt Gemeinsamkeiten zu finden,
  Chefredaktion DIE BRÜCKE                           gemeinsam Neues entstehen zu lassen.
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BRÜCKEN.BOGEN

                    2 vorort. Gabbi Hochsteiner
                          Ist das Kunst oder kann das weg? Veronika Suschnig                                                                             „Einmal muss das Fest
                                                                                                                                                              ja kommen!“
                               4 Werkstättengespräch: Wolfgang Patscheider. Konsumgut Körper. Gabbi Hochsteiner                                       < aus: Ingeborg Bachmann:
                                                                                                                                                        Lieder von einer Insel >
                                   6 Kärntner Kunst zwischen Kapitalismuskritik und Kommerz. Karin Waldner-Petutschnig
                                      9 denk.mal. Konsum. ART oder artgerecht? Renate Hübner
                                          10 Spiel und Eigentum. Ökonomischer Ethos und Warencharakter von Kunst. Boris Manner
                                            12 Kunst um der Kunst willen. Viktor Rogy. Natalie Deewan. Wolfgang Rössler
                                               13 welter.skelter. Tirili und Tirila ... Oliver Welter
                                                 14 Der Preis der Herrlichkeiten. Gabriele Sturm. Jutta Steininger
                                                   15 Lieber Bernhard! Ein Brief an Bernhard Wolf. Markus Waitschacher
                                                    16 Kunstsammeln in Kärnten: Typen, Zugänge, Entwicklungen. Michael Cerha
                                                     17 buch.tipp. Marko Lipuš: Kratzungen blau. Clara Kaufmann
                                                       18 Eintrittskarten in die Konsumwelt. Banknoten als Geschichtsbuch. Martin Stermitz
                                                        19 kultur.tipp. Die Stadt ohne ... slowenischen Kulturverein Klagenfurt. Sabina Zwitter Grilc
                                                         20 Art.gerechter Stoff? Eine Spurensuche bei Kärntner Textilkünstler*innen. Tanja Peball
                                                          22 „Ich verkaufe Kunst, keine Tapeten.“ BRÜCKE-Gespräch mit Gabriele Wimmer. Wolfgang Rössler
                                                          24 kari.cartoon. Heinz Ortner | Astrid Langer
                                                           25 Krippen.Konsum.Kritik. Die Galerie Muh – mitten am Rand. Andrea Kirchmeir
                                                           26 Laudatio. Die Kulturpreise 2018 des Landes Kärnten. Sabine Ertl
                                                           28 Ware und wahre Worte. Kasperl und Petzi sind gerettet. Bertram Karl Steiner
                                                            29 Die Normalität des Elches. Weitblicke auf einen Musil‘schen Theaterabend. Stefan Ebner
                                                            30 Vom Jazz leben. Der Kärntner Saxophonist Martin Gasser. Gilbert Waldner
                                                           31 Sigrid Friedmann. Ausschnitt aus dem Leben einer Künstlerin. Hannah Salentinig
                                                           32 ON THE ROAD. Aus den 60ern ins Heute. Wohin bewegt sich Kärnten? Teil 2. Eva Reitmann-Omilade
                                                           33 literatur.tipp. Bernhard C. Bünker: Wos ibableibt. Katharina Herzmansky
                                                          34 edition B       kunst.aus.druck. Peter Jellitsch. Nora Leitgeb
                                                          extra.blatt. Data Drawing 52 (Date Palms)
                                                         36 Neuer Film made in Kärnten: TRAMAN. Slobodan Žakula
                                                        37 Viel zu erzählen, wenig Zeit. Marius S. Binder im walraum. Tanja Peball
                                                       38 Donna Anna will nicht heiraten. Mozarts Don Giovanni – Finale II. Georg Horcicka
                                                      40 vorlese.prvo branje. Alois Brandstetter und Delphine Blumenfeld.
                                                    42 buch.tipps. Lesen Sie gefälligst!
                                                   44 musik.tipps. Das Beste ... steht nicht in den Noten.
                                                 45 seite.ohne.namen. Vom yeah zum yay im Kunstraum Lakeside. Michael Herzog
                                               46 horizonte. 12 Seiten Kulturveranstaltungen und Infos.
                                            47 da.schau.her. Baby Pop – Maus aus. Bernhard Wolf. Katharina Herzmansky
                                          49 denk.mal. Denkmalpflege und Nachhaltigkeit. Geraldine Klever
                                      51 kultur.tipp. KLAGENFURT 500. Igor Pucker | Martin Stermitz
                                   53 kinder.kultur.tipp. ARCHITEKTUR_SPIEL_ RAUM_KÄRNTEN. Andrea Kirchmeir
                               57 kultur.tipp. Treffpunkt – Sreččanje. Galerie Šikoronja. Ulli Sturm
                         58 kino & film.tipps.
                    UND Der BRÜCKE-Kulturkalender als Beilage.

                                                                                                                  Ein Augenblick Brücke
                                                                                                                  Parallelleben
                                                                                                                  Serie, 2016

                                                                                                                  ● Luca Mikitz
                                                                                                                  * 1990, lebt und arbeitet in Wien und St. Margarethen bei
                                                                                                                  Bleiburg, Student Bildende Kunst – Fotografie. „Das geöffnete
                                                                                                                  Fenster zeigt den Übergang zwischen Innen und Außen,
                                                                                                                  zwischen Privatem und Öffentlichem. In einer Art
                                                                                                                  performativen Aktes habe ich diese Grenze zum Privaten
                                                                                                                  aufgehoben, die bisher unbekannten Personen bekommen ein
                                                                                                                  Profil, welches in Form des gezeigten Wohnraumes dargestellt
                                                                                                                  wird. Die Bilder ermöglichen den Betrachter*innen,
Foto: Luca Mikitz

                                                                                                                  Vermutungen über das Leben in den gezeigten Räumen
                                                                                                                  anzustellen.“ www.lucamikitz.com
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Werkstättengespräch

Konsumgut Körper
Eine Gesprächsreise an die Ränder der Gesellschaft
mit dem Rotlicht-Kriminalisten Wolfgang Patscheider.

         Im Diskurs über Prostitution prallen           Mama, was du machst?“. Von den 80             werber*innen frei – Schuh-
         „Kriminalisierung versus Liberalisie-          anwesenden Damen hat keine „ja“ gesagt.       putzen zum Beispiel. Da fällt
         rung“ als harte Fronten aufeinander.                                                         leider auch die Prostitution
         Amnesty International etwa ist für eine        Prostitution gehört lange schon zu unse-      hinein. Das ist ein Österreich-Spezifikum.
         Legalisierung, der Papst oder Alice            rer Kulturgeschichte und ist trotzdem         Meiner Meinung nach hat der Gesetzgeber
         Schwarzer lehnen diese strikt ab ... was       eine Randkultur – am Rande der Lega-          dabei gar nicht an die Prostitution gedacht.
         spricht für ein Verbot, was dagegen?           lität, am Rande der Gesellschaft. Einer-        Derzeit kommen Frauen gezielt von
           Für ein Verbot spricht meiner Meinung        seits wird sie verachtet, andererseits in     Nigeria und China zu uns, um sich zu
         nach gar nichts. Umso stärker wir den          hohem Maße konsumiert ...                     prostituieren. Im Falle der Nigerianerinnen
         Sexdienstleisterinnen geregelte Arbeits-          Ja, Doppelmoral in Reinkultur!             reden wir von „den Frauen mit den toten
         bedingungen, Rechte und Pflichten einräu-                                                    Augen“. Sie schleppen sich durch die
         men, umso kleiner werden die Machtaus-         Wie kommen Männer und Frauen in die           Wüste, dann die oft traumatische Reise
         übungsmöglichkeiten der oft kriminellen        Prostitution? Was sind Motive?                am Boot und wenn sie schließlich hier
         Zuhälter. Und es geht natürlich auch um           Ich frage die Frauen immer wieder          sind, müssen sie eine horrende Summe
         die Wertschätzung der Frau, die diesen         danach. Viele Rumäninnen erzählen, dass       abarbeiten, bevor sie als frei gelten. Noch
         schwierigen Job macht – sie soll sich nicht    sie mit 17 in der Diskothek Frauen sehen,     zuhause unterschreibt die flüchtende Frau
         genieren und verstecken müssen.                die sich offensichtlich etwas leisten kön-    einen Betrag (30.000 – 40.000 Euro), von
           Die Praxis zeigt auch, überall dort, wo      nen, hören, wie sie dazu gekommen sind        dem sie nicht einmal weiß, wieviel das ist.
         Prostitution verboten ist, ist sie besonders   und möchten das auch machen. Die Wirk-        Daran arbeitet sie sich oft zehn Jahre lang
         präsent – aber eben in der Illegalität und     lichkeit ist dann oft so: Die Mädchen         ab. Das gleiche Problem haben wir mit
         somit Schutzlosigkeit. Der Straßenstrich       kommen mit 18 Jahren mit nichts zu uns        chinesischen Staatsbürgerinnen, die z.B.
         in Rom oder Mailand zum Beispiel ist eine      und wenn sie Mitte Zwanzig sind und           angeblich aufgrund der streng verfolgten
         Katastrophe für die Frauen. Wir wollen,        heimfahren, haben sie wieder nichts. Meist    Kinderpolitik um Asyl ansuchen und dann
         dass die Sexdienstleisterin legal in einem     bringen ihre „erlebnisorientierten Freun-     bei uns in Laufhäusern arbeiten. Bei Kon-
         registrierten Bordell arbeiten kann. Wir       de“ [vulgo Zuhälter] ihren Verdienst durch.   trollen frage ich diese Mädchen etwa,
         wollen, dass ihr Beruf ein normaler Job        Ich hab es ganz selten erlebt, dass Frauen    welche Leistungen sie denn anbieten. „Was
         sein kann. Ein harter Job, aber ein Job.       ihr Geld gut angelegt haben.                  auf der Türe steht“, sagen sie dann. Auf
                                                           Wir bieten den Frauen auch immer           meine Frage, was denn dort stehe, wird
         Es ist eine sehr moralinhaltige Diskus-        wieder an, dass wir ihnen gemeinsam mit       schnell klar, dass sie ahnungslos sind. Das
         sion. Milliarden Menschen setzen tag-          Opferschutzvereinen helfen, bei uns ande-     ist tragisch. Auf dieses Problem machen
         täglich ihre Zeit, ihren Körper und Geist      re Arbeit zu finden. Viele wollen aber für    wir jetzt aufmerksam. Ziel ist es, dieses
         ein, um Geld zu verdienen. Macht es            das vergleichsweise kleine Geld nicht z.B.    bei einer zukünftigen Gesetzesbearbeitung
         einen Unterschied, ob sich jemand in           putzen gehen.                                 zu beheben.
         der Sozialarbeit oder auf dem Bau abar-
         beitet oder eben für sexuelle Handlungen       Die Frauen wissen also worauf sie sich        Welche Arten der Prostitution gibt es
         zur Verfügung stellt? Ist Sexarbeit ein        einlassen und entscheiden sich bewusst        hierzulande?
         Job wie viele andere?                          dafür?                                           Die Sexarbeiter*innen sind grundsätz-
           Sicher einer der härtesten. Ich habe            Ja. Das ist nicht mehr so, wie es mal      lich selbstständige Unternehmerinnen,
         noch nie in meiner 25jährigen Tätigkeit        war. Dank all der Kommunikationsmög-          die frei und für sich arbeiten. Das tun sie
         im Rotlicht von einer Frau gehört, dass        lichkeiten wissen die meisten Frauen ganz     in verschiedenen, behördlich genehmigten
         das ein feiner Job ist, den sie gern macht.    genau, worum es geht und entscheiden          Etablissements.
         Noch nie.                                      sich auch dafür. Natürlich oft unter fal-        Das klassische Bordell ist Anlaufstel-
                                                        schen, schöngefärbten Vorstellungen.          le für „den Kärntner“. Es hat einen Bar-
         Ist Prostitution ein Spiegel unserer                                                         betrieb sowie Zimmervermietung. Der
         Gesellschaft und Kultur?                       Wer sind die „typischen“ Sexarbeiter-         Kunde trinkt meist etwas mit der Sex-
            Es ist auch ein Ansatz darüber zu dis-      *innen? Betrifft es erstrangig soziale        dienstleisterin, sie erhält eine Provision
         kutieren, ob wir als Gesellschaft die Pro-     Randgruppen?                                  darauf und wenn’s aufs Zimmer geht,
         stitution überhaupt (noch) notwendig             Ich will niemanden stigmatisieren. Aber     gehört die Hälfte der Einnahmen ihr und
         haben. Darüber kann und muss man               ja. Es ist meist so. Ich hab auch schon       die Hälfte dem Bordellbetreiber.
         nachdenken. Meiner Meinung nach wer-           Studentinnen oder Juristinnen getroffen,         Laufhäuser, die in Kärnten relativ gut
         den wir sie nur leider – solange es arme       aber viele sind bildungsfern, können nicht    gehen, sind ohne Barbetrieb. Die Frau
         Länder gibt – nicht abstellen können,          Lesen und Schreiben. Wir hatten Fälle, da     mietet dort ein Zimmer, macht auf der
         sondern verschieben sie nur in die Illega-     wussten die Mädchen nicht mal in wel-         Türe Werbung für ihre Angebotspalette
         lität und vergrößern so die Probleme.          chem Land sie überhaupt sind.                 und die männliche Kundschaft klopft bei
                                                                                                      Interesse an. Die Vorteile für die Frau
         Wie erleben Sie den Stellenwert der            Sexarbeit ist für Asylwerber*innen eine       sind, dass sie keinen Alkohol konsumieren
         Sexarbeit in unserer Gesellschaft?             der wenigen legalen und leicht zugäng-        muss und die Einnahmen zur Gänze ihr
           Leider tief unten. Ein Beispiel von innen:   lichen Erwerbstätigkeiten ...                 gehören. Sie bezahlt nur die Zimmermie-
         Bei einer unserer Kontrollen in den Bor-          Ja. Das Gesetz gibt bestimmte Tätigkei-    te, die allerdings auch nicht wenig ist (ca.
         dellen fragten wir die Frauen: „Weiß deine     ten aus dem „freien Gewerbe“ für Asyl-        100 Euro am Tag).

4   DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Werner Hofmeister:
                        SEX | aus der Werkgruppe
                      „Das Gold der Tycoon“, 2012
                     [Aus Rücksichtnahme auf die
               verdeckten Ermittlungstätigkeiten
                 unseres Gesprächspartners wird
              kein Konterfei von ihm abgedruckt.]
                               Foto: Werner Hofmeister

    In den Saunaclubs wie z.B. in Villach,               Wie sieht das Verhältnis zwischen Sex-          Was sind die berührenden Momente?
bezahlen sowohl der Kunde als auch die                   arbeiterin und Zuhälter aus?                      Die Schicksale von Kindern in der
Sexdienstleisterinnen Eintritt (etwa 80                     Leider ist der klassische Zuhälter oft den   Schlepperszene oder von misshandelten
– 100 Euro), Essen und Getränke sind                     Suchtgiften zugeneigt. Die Frau entschei-       und ausgebeuteten Frauen sind sehr
kostenlos und was die Sexdienstleisterin                 det sich für den „Zuhälter“, weil dieser in     ergreifend. Berührend ist es auch, wenn
dort erwirtschaftet, gehört zur Gänze ihr.               der Rolle des Freundes und Partners auf-        man jemanden trifft, den man vor ein paar
In diesen Großbordellen arbeiten bis zu                  tritt. Diese Männer sind jung, schauen gut      Monaten oder Jahren aufgegriffen hat und
80 Sexdienstleisterinnen, die zu 95% aus                 aus, sind nett zu den Frauen. Sie gaukeln       der Asyl bekommen hat, zur Schule geht,
Rumänien kommen. Das ist der Sprach-                     den Mädchen vor, sie seien z.B. „Autohänd-      Deutsch spricht und sich gut entwickelt.
verbindung geschuldet, denn die Rumä-                    ler“, in Wirklichkeit lassen sie sich von       Das sind die schönen Seiten.
ninnen können sich mit den Italienern                    den Frauen finanzieren. Sie reden davon,
unterhalten, die 95% der Saunaclub-Kund-                 dass sie irgendwann gemeinsam in Rumä-            Wie viele Prostituierte arbeiten in Kärnten?
schaft ausmachen. Wir haben dort schon                   nien ein Haus bauen und eine Familie              Aktuell etwa 350 registrierte und geschätzt
ganze italienische Fußballmannschaften                   gründen – es ist ganz, ganz selten, dass          150 illegale Sexdienstleisterinnen.
angetroffen, die es an diesem Tag nicht                  es dazu auch tatsächlich kommt.                   Wie viele registrierte Freudenhäuser gibt es?
mehr auf den Fußballplatz geschafft haben                                                                  24 Etablissements. Das sind verhältnismäßig
... [schmunzelt] ... das ist das Leben.                  Wer sind die Bordellbetreiber*innen?              wenige. Wir sind kein Bordell-Land und das
                                                           Im Falle der Großbetriebe sind es haupt-        werden wir auch nie sein.
Welche Verbesserungen brauchen un-                       sächlich Geschäftsleute aus dem deutsch-
                                                                                                           Wie ist das Verhältnis der Männer &
sere Gesetzeslage und die daraus resul-                  sprachigen Raum, die ihr Geld auf diese
                                                                                                           Frauen unter den Sexarbeiter*innen?
tierenden Arbeitsbedingungen in der                      Weise anlegen wollen. Kleinere Häuser
                                                                                                           Ich weiß von keinen männlichen Sexarbeitern
Prostitution?                                            werden teils von Frauen betrieben, die
                                                                                                           in Kärnten. Was es gibt sind – oft aus Südame-
   Seit 2012 ist wieder einiges zugunsten                selbst Sexdienstleisterinnen waren. Gera-
                                                                                                           rika – Männer, die sich zu Frauen haben
der Rechtssicherheit der Sexdienstleister-               de mit diesen kleinen Betrieben haben wir         umwandeln lassen und sich bei uns in den
*innen geschehen – z.B. haben sie erst                   gar keine Probleme. Bordell ist nicht gleich      Laufhäusern anbieten. Dieses Angebot wird viel
seitdem Anspruch auf eine gesetzliche                    Bordell: Wir achten darauf, dass wir mit          konsumiert, weil es eine Art Tabu ist. Diese
Pflichtversicherung. Bei der nächsten                    den Etablissements ständig in Kontakt             Frauen haben auch oft die traurigen Augen.
Novellierung des Kärntner Prostitutions-                 stehen und präsent sind – auch als
gesetzes möchten wir weitere Punkte                      Ansprechpartner für die Frauen.                   Kärntens älteste Sexarbeiterin?
                                                                                                           Ich habe unlängst eine Dame in einem Lauf-
einbringen. Zum Beispiel bedenken wir
                                                                                                           haus getroffen, die ist knapp 70. Ich habe sie
die Altersbeschränkung, die bei 18 Jahren                Bitte erzählen Sie uns von der Rotlicht-
                                                                                                           gefragt, welche Kundschaften zu ihr kommen
liegt. Immer wieder hören wir von Frauen,                gruppe des Kärntner Landeskriminal-
                                                                                                           und sie sagte, Leute die reden wollen oder
dass sie mit 21 Jahren und etwas mehr                    amtes, die Sie seit etlichen Jahren leiten.
                                                                                                           ganz junge Burschen.
Reife vielleicht nicht mehr in das Geschäft                Wir sind ein Team von aktuell sieben
eingestiegen wären. Darum diskutieren                    speziell ausgebildeten Leuten, vier Frauen        Ein Hochrechnungsbeispiel:
wir die Anhebung.                                        und drei Männer. Unsere Einheit ist im            An einem Abend arbeiten in einem Kärntner
                                                         Landeskriminalamt für Menschenhandel              Großbordell ca. 80 Sexdienstleisterinnen und
Wie steht es um das sexuelle Selbstbe-                   und Schlepperei zuständig. Ein Segment            absolvieren 500 Männerbesuche á im Schnitt
                                                                                                           100 Euro. Das macht 50.000 Euro Umsatz.
stimmungsrecht der Sexarbeiter*innen?                    darin ist der Rotlichtbereich. Das Vertrau-
Wer bestimmt z.B. über Preise und Arten                  en, das uns von den Sexarbeiterinnen              Und noch ein kulturabhängiges Detail:
der sexuellen Dienstleitung?                             entgegengebracht wird, ist groß. Wir wol-         Der Österreicher nimmt pro Bordellbesuch
  Sie selbst. Sie haben oft vor, nur ausge-              len ein verlässlicher Partner sein – ansons-      eine Dienstleistung in Anspruch, der Italiener
wählte Leistungen anzubieten, merken                     ten würden sich die Frauen niemals mit            mit gewissen Hilfsmitteln zwei bis drei.
dann aber, dass sie damit kein Geld ver-                 ihren Problemen und Informationen an
dienen können und müssen andere Diens-                   uns wenden. Es ist ein harter Job mit oft         ● Gabbi Hochsteiner
te offerieren. Dieser Wettbewerbsdruck                   sehr fordernden Einsätzen. Aber            Chefredaktion DIE BRÜCKE

ist gerade in den großen Häusern hoch.                   ich gehe gerne arbeiten, es ist sinnerfüllt.
ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Kreditkarten, die verwesen, von Ernst Logar: „Sustainable Transformation“. Foto: E. Logar
                                                                                              Barocke Installation von Ines Doujak beim „steirischen herbst“:
                                                                                                          Ökonomie der Verzweiflung. Foto: steirischer herbst/Liz Eve

         Kunst zwischen
         Kapitalismuskritik und Kommerz
         Wenn Kunst über die Konsumgesellschaft nachdenkt.
         Ein Rundblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

         Kunst und Markt, wie passt das zusam-          ihren ursprünglichen Zustand                                     – das kann sich nie ausgehen.
         men? Zum Beispiel durch Ironie, hinter-        über und wird zum Ausgangs-                                      Massenware ist das größere
         sinnigen Witz oder brachiale Bilder, wie       punkt für neues, ökologisches                                   Problem. Inzwischen sind genug
         etwa die Schredder-Aktion des anonymen         Wachstum. Auch mit seiner                                     Labels angeprangert worden“,
         britischen Street-art-Künstlers Banksy         Teilnahme als einziger Österreicher                      empört sich Doujak im Gespräch. Heu-
         illustriert: Sein „Girl with Balloon“ ist ja   am Ausstellungsprojekt „Post Colonial                 er nahm die documenta-Teilnehmerin von
         unmittelbar nach dem Zuschlag des Auk-         Flagship-Store“, das Arbeiten von 16                  2012 am „steirischen herbst“ mit ihrer
         tionators von Sothebys um 1,2 Millionen        Künstler*innen in einer Warenwelt-                    barocken Installation „Ökonomie der Ver-
         Euro durch einen eingebauten Mechanis-         Camouflage zeigte, hielt er der Konsum-               zweiflung“ teil, wo sie von der Verzweif-
         mus per Fernbedienung geschreddert             gesellschaft einen Spiegel vor. Die Schau             lung als Wirtschaftskraft erzählt, die
         worden. Ob clevere Marketing-Aktion oder       im Wiener Museumsquartier 2014 setzte                 Menschen als billige Ware in Umlauf
         plakative Kritik am pervertierten Kunst-       sich mit den Strukturen und Methoden                  bringt, von den „schockierenden Bildern
         markt – die weltweite Aufmerksamkeit           eines neuen, ökonomischen Kolonialismus               der Opfer, die für unseren Konsum auf-
         war ihm sicher.                                in der Welt auseinander: Was vor 100                  bereitet werden“.
                                                        Jahren der Kolonialwarenhandel war, ist
         Mit einer Apparatur zum Schreddern von         heute der globale Flagshipstore.                      „Konsumfaschismus“ ist eine neue, ver-
         Geldscheinen beteiligte sich der Kärntner                                                            borgene Form des Terrorismus, meint der
         Künstler Ernst Logar bereits 2015 an der       Ökonomischer Kolonialismus und die                    aus Bleiburg stammende Brachial-Regis-
         Vienna Art Week und hinterfragte damit         Ausbeutung in Billiglohnländern beschäf-              seur und -Choreograph Johann Kresnik,
         die schöne, neue Warenwelt ebenso wie          tigt in unterschiedlichster Form viele                der an der Volksbühne Berlin vor drei
         mit seinen Kreditkartenrohlingen aus           Kärntner Künstler*innen. So auch Ines                 Jahren die in der Kritik als „Supermarkt-
         biologischem Kunststoff („Sustainable          Doujak, eine gelernte Tischlerin und                  schocker“ bezeichnete Produktion „Die
         Transformation“), die er in Kooperation        Absolventin der Angewandten in Wien,                  120 Tage von Sodom“ nach Marquis de
         mit einem Kunststofftechniker herstellt.       die sich in ihren Performances und Ins-               Sade herausbrachte. Ihm zur Seite:
         Der Künstler führt in diesem Symbol für        tallationen u.a. mit der Beziehung zwi-               Gottfried Helnwein als Bühnenbildner
         unser heutiges Wirtschafts- und Werte-         schen Stoff, Kleidung und Kolonialismus               (dem im vergangenen Jahr ja die Jahres-
         system Ökonomie und Ökologie zusam-            auseinandersetzt [s. BRÜCKE-Seiten                    ausstellung im Werner-Berg-Museum in
         men, da die Karte nach ihrer Verwendung        20-21]: „Je billiger ein Kleidungsstück ist,          Bleiburg gewidmet war). Der bot der
         einem natürlichen Verwesungsprozess            desto mehr Leute zahlen dafür, zum Teil               vorgeführten Konsumgesellschaft mit
         überlassen werden kann. So geht sie in         mit dem Leben. Ein T-Shirt um 10 Euro                 einem gigantischen Bühnenbild aus meter-

6   DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Schweineköpfe von Johann Kresnik in der Ausstellung „Das andere Land“ im MMKK. Foto: Museum Moderne Kunst Kärnten
                                                                Catrin Bolt beim Aufbau ihrer Bananenschachtel-Skulptur in Feldkirchen. Foto: H. Bacher
                                                          Melitta Moschiks „storage“. Foto: M. Moschik | Werner Hofmeister: „Meine Quelle“. Foto: K. Waldner

hohen Regalen und übergroßen Packungen        – eine dreiteilige Installation, die die                 sen Sinn) sind damit gemeint, sondern
den drastischen Rahmen – Schockästhetik,      Ressource Wasser als existenziellen Aspekt               vor allem der umfangreiche Quelle-Ver-
die auf geteilte Meinungen stieß.             des Lebens thematisiert. Auch „Store                     sandhaus-Katalog mit seiner Warenwelt,
                                              Systems“ (2005) beschäftigt sich mit Ord-                der in seiner ursprünglichen Form längst
Verpackungen, Regale, Kartons werden          nungssystemen wie Großverpackungen,                      vom Internet und seinen Vertriebswegen
dank ihrer Symbolhaftigkeit gerne künst-      Euro-Paletten und Ähnliches, „lässt Zweck-               abgelöst worden ist. Im Museum für Quel-
lerisch genutzt. So etwa auch von Catrin      formen zu Ikonen werden, deren Pikto-                    lenkultur, das Hofmeister im seit 2004
Bolt, die kürzlich im MMKK mit ihren          gramme die neuen Zeichensysteme der                      gepachteten Lachnitzhof in Klein St. Paul
Fotoarbeiten von Plastiklandschaften zu       Konsumgesellschaft definieren“. Die Kon-                 betreibt, findet sich neben einem sehens-
sehen war und Anfang des Jahres in Feld-      zeptkünstlerin setzt sich in reduzierter                 werten Skulpturenpark und einem Dialog
kirchen. Parallel zu einer Ausstellung im     Formensprache und geprägt von einer                      mit Kärntner Künstlern auch das Kunst-
Amthof baute sie dort vor dem örtlichen       technologischen Ästhetik mit Alltagskul-                 haus, eine begehbare Skulptur aus Eisen-
Billa leere Bananenkisten übereinander        tur, Wahrnehmung und Wirklichkeit,                       blech, die den Zeichensatz des Künstlers
auf, stapelte das Verpackungsmaterial,        Denk-, Sprach- und Verhaltensmustern                     veranschaulicht.
das für unseren Konsum rund um die Welt       auseinander. Moschik, die Mathematik
gegangen war, zu bunten Gebäuden. Die         und Physik studiert hat, bezieht in ihre                 Die Kommerzialisierung sämtlicher
Völkermarkterin, Absolventin der Wiener       Arbeiten häufig naturwissenschaftliche                   Lebensbereiche nimmt sich auch gerne
Akademie der bildenden Künste und             und soziologische Themenfelder mit ein.                  das rührige Universitätskulturzentrum
Trägerin des renommierten Otto-Mauer-                                                                  UNIKUM mit mehrdeutigen Wortspielen
Preises, machte damit den alltäglichen        Piktogramme, Zeichen, Kürzel bilden auch                 und Inszenierungen zum Thema. Das
Supermarkt, den man im Vorbeigehen oft        das künstlerische Vokabular für Werner                   Kaufhaus ist dabei oft Ziel der Begehrlich-
gar nicht mehr bewusst wahrnimmt,             Hofmeister, der mit Melitta Moschik 1998                 keiten. Wenn Sonderangebote und Schluss-
wieder sichtbar.                              das Kunstprojekt „Kärntner Ansichten –                   verkäufe locken, floriert das Geschäft. Und
                                              eine andere Landesausstellung“ in der                    so ganz nebenbei wird auch die Kritik an
Die in Graz lebende Villacherin Melitta       Heft bei Hüttenberg initiiert hatte. Zent-               den politischen Verhältnissen mit einge-
Moschik schuf gleich ganze Werkserien         rales Zeichen ist für den Künstler aus                   packt. 1999, als Jörg Haider zum zweiten
zum Thema Lagerung und Speicherung            Klein St. Paul der Buchstabe Q, der für                  Mal Landeshauptmann in Kärnten wurde,
von Produkten. Zuletzt in Kärnten zu sehen    Quelle steht. Nicht nur verschiedene                     hatte die „Erste Kärntner Kurzschluss-
waren 2011 etwa ihre Paletten mit Mine-       Quellen für Wahrnehmung und Wirklich-                    handlung“ in der Klagenfurter 10.-Oktober-
ralwasserflaschen im MMKK in Klagenfurt       keit (Geschichtsquelle, Quelle im religiö-               Straße Hochkonjunktur. Besonders erfolg-
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Richard Klammers Stadt aus Getränkekisten war beim UNIKUM-Rundweg „Stadt unter“ in Klagenfurt ebenso zu sehen wie Uwe Bressniks Schallplatte.
         Fotos: UNIKUM/Maurer | K. Waldner | Gernot Fischer-Kondratovitchs "American Dream". Foto: G. Fischer-Kondratovitch/bildrecht.at

         reich waren die subversiven Aktionen              Angebot des Benediktinermarktes mit                gruppe Hochobir“ wie die Zwillingsbrüder
         »Haček (k)lebt« und die »Buhštabenzupe«.          einem Sortiment geistig anregender Nah-            Heiko und Uwe Bressnik, die man auch
         Der Supermarkt für kärntenkritische               rung zu ergänzen“, erinnern sich die               immer wieder bei UNIKUM-Aktionen erle-
         Kunstobjekte – von „Alles ist käuflich“           beiden UNIKUM-Macher Gerhard Pilgram               ben kann. Mit seinen künstlerisch gestal-
         bis „Zweifel als Saatgut“ – wandte sich           und Emil Krištof, die seit mehr als 30             teten Buch- und Plattencovers reiht sich
         (nicht nur, aber auch) an „LAUFKUND-              Jahren als kulturelle Nahversorger im              Uwe Bressnik durchaus in die ästhetische
         SCHAFT. Sie ist die wichtigste Zielgruppe         Land tätig sind. Feilgeboten wurden in             Inszenierung der Warenwelt ein – selbst
         der Kurzschluss-Handlung. Neugierige,             den Stoffwechselstuben „Produkte zur               wenn immer ein Schuss Ironie dabei ist.
         die auf die Lockangebote im Schaufenster          Förderung des kulturellen Stoffwechsels“           Die lässt sich auch bei den Arbeiten des
         ansprechen, sind willkommen. Auch sol-            – essbare Kunst, die die Kundschaft ein-           Villachers Gernot Fischer-Kondratovitch
         che, die ihren Unmut oder ihre Feindse-           lädt, „sich zu laben, zu gustieren und sich        schwer übersehen: Mensch, Masse und
         ligkeit preisgeben. Denn die Kurzschluss-         mit Vorräten an „eat art“ einzudecken.“            Konsum sind wiederkehrende Elemente
         Handlung versteht sich (auch) als Ort der         Von Bella Ban über Cornelius Kolig bis             seiner Malerei, maßloser Konsum wird
         Auseinandersetzung über das Wesen der             Inge Vavra reichte die Palette der Zulie-          als Freizeitbeschäftigung der Masse
         Kunst und über ihre Freiheit. Gesucht             ferer. Auch die vorher bereits erwähnten           gezeigt, in der das Individuum untergehen
         wird nach Antworten, ob und wie sich              Kärntner Künstler Werner Hofmeister und            muss. Aber auch als Aktionist konnte man
         Kunst im nicht-elitären öffentlichen Raum         Ernst Logar steuerten Genüssliches bei.            Fischer-Kondratovich unlängst erleben:
         verwirklichen lässt und welche Möglich-                                                              Bei der UNIKUM-Produktion „Flugschau/
         keiten sie als Mittel politischer Einmi-          Ebenso wie zwei weitere langjährige Mit-           Pro Zraku“ im vergangenen Oktober am
         schung haben könnte“, (Gerhard Pilgram).          arbeiter im Delikatess-Laden des UNIKUM:           verwaisten Klagenfurter Flughafen, war
         Eine andere Einladung zum Konsumieren             Richard Klammer, der nicht nur Trom-               er einer jener Künstler*innen, die leer
         von Kunst war die Errichtung einer „Stoff-        pete spielt und lateinamerikanische Fave-          stehende Geschäftsflächen wieder zum
         wechselstube“ durch das UNIKUM 2007               las malt, sondern 2017 beim Kunstprojekt           Leben erweckten. Was andernorts zu viel
         am Klagenfurter Benediktinermarkt und             „Stadt unter“ auch eine konsumkritische            ist, fehlte hier: Konsummöglichkeiten,
         am Alpe-Adria-Keramikmarkt in Villach.            Arbeit direkt beim Radweg am Klagenfur-            verlockende Schaufenster, Angebot und
         Die beiden Märkte ziehen Bürger*innen             ter Lendkanal beisteuerte: Dort bildeten           Nachfrage. Lust auf Shopping kann also
         aller sozialen Schichten an und machten           bunte, leere Getränkekisten ein Hochhaus           durchaus auch belebend sein.
         den jeweiligen Ort zum „melting pot“ der          der künstlerischen Art – Mahnmal, Skulp-
         Stadt. „Die Aktion Stoffwechselstube war          tur und Installation in einem. Klammer             Im Geldregen ließ sich der Kärntner
         der Versuch, das vielfältige kulinarische         ist ebenso Mitglied bei der „Kunstsport-           Aktionskünstler Julius Deutschbauer

8   DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
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Christian Leitna: Essen ist fertig. Foto: Christian Leitna

                                                                                                                       kultur.tipp
                                                                                                                       ART oder artgerecht?
                                                                                                                       Der Diskurs über nachhaltige Konsumformen
                                                                                                                       füllt Bibliotheken bzw. Festplatten. Er bewegt
                                                                                                                       sich im Wesentlichen zwischen drei Schwer-
                                                                                                                       punkten: den Ansätzen des Maßhaltens, der
                                                                                                                       sozial und ökologisch begründeten Konsumkri-
                                                                                                                       tik und schließlich den Diskursen über alternati-
                                                                                                                       ve Konsumformen. Letztere gehen häufig auf
                                                                                                                       zivilgesellschaftliche Initiativen zurück, die
Julius Deutschbauer im Geldregen und Ina Loitzls Videostill aus der Animation „money is beautiful“,
                                                                                                                       dem „Kapitalismus“ und der Abhängigkeit von
beide bei einer Ausstellung im Salzburger Traklhaus. Fotos: Traklhaus | I. Loitzl
                                                                                                                       „Märkten“ etwas entgegensetzen wollen.
                                                                                                                       Was davon ist artgerecht?
                                                                                                                       Der Verzicht ist dem Menschen vertraut, war es
                                                                                                                       doch entwicklungsgeschichtlich betrachtet über-
                                                                                                                       lebensnotwendig, gut mit Mangel umzugehen.
                                                                                                                       Die Kritik, also die Fähigkeiten zum Bestehen-
                                                                                                                       den, zu Routinen und Verhältnissen in Differenz
                                                                                                                       zu treten, ist noch viel mehr Wesensmerkmal
                                                                                                                       des Menschen und unterscheidet ihn von ande-
                                                                                                                       ren Säugetieren. Die Alternativen schließlich ver-
                                                                                                                       weisen auf das spezifische Potenzial des Men-
                                                                                                                       schen als „erster Freigelassener der Natur“ [J. G.
                                                                                                                       Herder] immer wieder neu anzufangen, Welt und
                                                                                                                       Gesellschaft zu verändern. Doch ist das „Ande-
                                                                                                                       re“, das „Neue“, immer auch schon das Bessere
                                                                                                                       im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung?
kürzlich für eine Ausstellung im Salzbur-            flächen von Waren und Gegenständen, die                           Do-it-yourself, kollaborativer Konsum, Repair-
ger Traklhaus ablichten: „Schilling, Mark,           die Welt in ein Davor und ein Dahinter                            Cafés heben die für die Industrialisierung typi-
Dollar, Euro und ... Geld in der Kunst“              trennen. Verpackungskünstler Christo                              sche Trennung von Konsum und Produktion auf.
nannte sich die Schau, bei der auch die              hatte 1963 einen Supermarkt-Einkaufs-                             Der Gebrauchswert eines Gutes wird wichtiger
Kärntner*innen Titanilla Eisenhart,                  wagen in goldene Folie gehüllt, ein Jahr                          als sein Tauschwert. Auch Sharing-Systeme,
Michael Kos, Gudrun Kampl und Ina                    später neutrale Ladenfronten ausgestellt                          Talentetauschkreise, Kleiderkreisel usf. basieren
Loitzl dabei waren. Letztere faltete etwa            – das Nachdenken über Konsumwahn und                              auf diesen Prinzipien. Es wird deutlich, dass Kon-
Geldscheine zu Papierfliegern und Sternen            Massenästhetik ist kein Phänomen der                              sum weit über das Kaufen von Gütern hinaus-
und karikierte damit böse und witzig das             Gegenwart, scheint in der Vorweihnachts-                          geht – er umfasst auch das Nutzen, das Reparie-
Träumen vom großen Gewinn.                           zeit mit ihrem kollektiven Kaufrausch                             ren, die Wartung, das Teilen und Tauschen. Dies
Dass Kunst und Kommerz durchaus auch                 aber jedes Jahr aufs Neue nötig. Einer                            deutet auf eine Sehnsucht, der – vielleicht nicht
ein fruchtbares Teamwork bilden können,              Kunstszene, die Kunst zur Ware und das                            artgerechten – Anonymität industriekapitalisti-
zeigte eine mittlerweile legendäre Werbe-            Verständnis davon auf Konsum reduziert                            scher Marktformen etwas entgegenzusetzen.
                                                                                                                       Konsum als ART – als Kunst denken?
kampagne der Schuhfirma Humanic in                   hat, gebührt wohl eine so verwirrende
                                                                                                                       Viele dieser alternativen Konsumformen gehen
den 1970er Jahren: Von Roland Goeschl                Aktion wie Banksys Schredder-Attacke.
                                                                                                                       auf Praktiken früherer Zeiten zurück, gelten inte-
und Richard Kriesche (beide in der Samm-             Genaues Hin-sehen und Nach-denken
                                                                                                                       ressanterweise dennoch aus verschiedenen
lung Liaunig zu sehen) über H. C. Artmann,           könnte die Irritation mildern. Oder ein
                                                                                                                       Gründen als „modern“. Dies kann an der digita-
Anselm Glück bis Otto M. Zykan und Axel              Besuch im nächsten Museums-Shop.                                  len Unterstützung liegen, ohne welche diese
Corti wirkte die Crème de la Crème der                  ● Karin Waldner-Petutschnig                                    Praktiken heute kaum denkbar wären. Die Digi-
heimischen Avantgarde in den rund 50                    (53) ist freie Kulturjournalistin in Klagenfurt. Neben ihrer
                                                                                                                       talisierung trägt dazu bei, dass lokale Initiativen
                                                        fast 30-jährigen Tätigkeit bei der „Kleinen Zeitung“, leite-
TV-Werbespots mit, die Schuhe verkauf-                  te sie 12 Jahre den Carinthia-Verlag und drei Jahre das        aus kleinen Nischen wachsen können. Sie beför-
ten, aber Kunst zeigten.                                Museum Liaunig.
                                                                                                                       dert also das Mehr und das Schneller – dies
Es geht aber auch profaner: Wer sieht sie                                                                              steht wiederum einer nachhaltigen Entwicklung
beim Stichwort „Konsum“ nicht vor sich,                                                                                entgegen. Vielleicht ist nachhaltiger Konsum
die junge Audrey Hepburn mit sehnsüch-                                                                                 dann artgerecht wenn er die Anonymität des
tigem Blick vor den Schaufenstern von                                                                                  Massenkonsums überwinden hilft und zur Ent-
Tiffany‘s, die berühmten Campbell‘s Sup-                                                                               schleunigung des Alltags beiträgt.
pendosen von Andy Warhol, Daniel Spoer-                                                                                ● Renate Hübner
ris überquellende Esstische oder Marcel                                                                                  * 1963 in Zürich, studierte Wirtschaft und Sport in Wien,
                                                                                                                         seit 2005 an der Universität Klagenfurt, Forschungs-
Duchamps Schaufenster – Projektions-                                                                                     schwerpunkt: Nachhaltigkeit konkret
ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
Spiel und Eigentum
Über ökonomischen Ethos und den Warencharakter von Kunst.

         Konsumieren ist das Einfachste und           nissen. Die Vorstellung, dass “mündige”      Entzug. Verzehr und Ver-
         Nächste, das es gibt. „Wie am ersten Tag     Konsument*innen durch persönliche,           brauch sind die beiden
         seiner Erscheinung auf der Erdbühne, muss    ethische oder rationale Kaufentscheidun-     zentralen Begriffe des
         der Mensch noch jeden Tag konsumieren,       gen dieses totale und totalitäre Konsu-      Konsums. Wobei der Ver-
         bevor und während er produziert.” (Karl      mieren steuern und dadurch humaner           zehr die physiologische
         Marx, Das Kapital) Das aus dem Lateini-      machen sollen, sind Gespenster die in        Dimension desselben meint.
         schen entlehnte consumere bedeutet hier      den Mauern der ökonomischen und gesell-      Durch die Aufnahme von Nah-
         den allgemeinen menschlichen Verbrauch       schaftlichen Machtverhältnisse gefangen      rung und Flüssigkeit werden diese auf-
         und Verzehr. Marx unterscheidet in der       bleiben.                                     genommen und zum Verschwinden
         Folge zwischen einem notwendigen Kon-          Für die Unternehmerin, den Unterneh-       gebracht. Der Konsum von Luxusgütern
         sum und dem Luxus-Konsum. Wobei der          mer sind immer die anderen die Konsu-        wie Schmuck oder anderer Wertgegen-
         erste Gegenstände wie Nahrungsmittel         ment*innen. Dagegen sind für ihn Marx        stände lässt dieselben zwar materiell
         und auch den Tabak begreift, die vom         folgend die eigenen Arbeiter*innen und       intakt, aber auch diese werden durch den
         physiologischen Standpunkt aus notwen-       Angestellten Produktionsmittel, die dem      Kaufakt durch eine Person angeeignet.
         dig sind. Dagegen sind Luxus-Konsuma-        Gesetz der Gewinnmaximierung unter-          In beiden Fällen wird das Objekt der
         tionsmittel Waren, die nur gegen veraus-     worfen sind. Diese daraus resultierende      Allgemeinheit, dem Gebrauch durch ande-
         gabten Mehrwert umgesetzt werden und         Logik einer Ökonomie des Sparens gilt        re, entzogen. Dieser allgemeine Gebrauch
         daher genuin dem Arbeiter und der Arbei-     aber nicht nur für privatwirtschaftliche     ist der Gegenspieler des Verbrauchens
         terin nicht zukommen können. Vor dieser      Unternehmen, sondern hat sich in fast        und der Vernutzung.
         Folie lässt sich die Debatte über das        allen Bereichen gesellschaftlicher Orga-        Agamben folgend kann man sagen, dass
         Zurschaustellen von Luxusgütern, wie         nisationen durchgesetzt. Universitäten,      dieser “private” Entzug der in der Unmög-
         teuren Uhren und Sportwägen, durch           Museen und Theater, die ihren Mitarbeiter-   lichkeit des Benutzens durch die anderen
         Politiker*innen nuancierter lesen. Sym-      *innen zum Beispiel nur den gesetzlich       mündet, seinen topischen Ort im Museum
         bolisieren diese Konsumgegenstände ja        garantierten Mindestlohn zahlen, folgen      gefunden hat. Die Musealisierung der
         eine Klassenzugehörigkeit die jenseits der   dem Ethos dieser Ökonomie. Gleichzeitig      Gegenstände ist das Leitbild, die Kompli-
         Arbeiterklasse angesiedelt ist.              sollen sie hohe Besucher*innenzahlen,        zin und gleichzeitig sakrale Bestätigung
                                                      und im besten Fall Investitionen von         der Konsumgesellschaft. Der Begriff Muse-
         Mauern & Machtverhältnisse. Der Kon-         privaten Gönner*innen generieren. Gelei-     um meint aber hier “keinen physisch
         sum und dessen Repräsentation sind nicht     tet werden diese Häuser häufig von           determinierten Ort oder Raum, sondern eine
         unschuldig. Die Idee eines “reinen”, wert-   Kulturmanager*innen. Hier zeigt sich,        abgesonderte Dimension, in die verlegt wird,
         freien Verbrauchs beliebiger Gegenstän-      dass die oder der kapitalistische Ma-        was einst als wahr oder entscheidend emp-
         de entspricht nicht der gesellschaftlichen   nager*in zum universalen Organisator         funden wurde.” (Giorgio Agamben, Profa-
         Realität und deren Produktionsverhält-       geworden ist.                                nierungen) Begreift man das Museum

10   DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Installation des französischen Künstlers
                                                         Invader in London. Foto: Boris Manner
                                                         Nahtstellen zwischen dem öffentlichen und
                                                         privaten Raum in Klagenfurt. Foto: Gerhard Maurer

auch als den ausgezeichneten Ort, an dem     stand heftiger Debatten. Wolfgang Ullrich               dem allgemeinen Gebrauch zur Verfügung
Kunst sichtbar wird, so scheint es, dass     diagnostizierte kürzlich in seinem Essay                stehen, werden von Künstler*innen als
die Hoffnung, dass gerade “die Kunst” in     “Deko und Diskurs” ein Schisma in der                   Gestaltungsfolien für ihre Werke verwen-
der Lage sein soll, das Prinzip von Konsum   bildenden Kunst. Diese sei bereits in zwei              det. Graffity-Künstler*innen bemalen und
kritisch zu befragen und gar zu dekonst-     unversöhnliche Bereiche auseinanderge-                  signieren U-Bahnzüge und Hausmauern.
ruieren, vergeblich ist.                     fallen: „Auf der einen Seite Celebrity Culture,         Der französische Künstler “Invader” appli-
  Doch das Museum ist, auch wenn es          Markt, visuelle Unterhaltung, auf der ande-             ziert seit 1998 seine Mosaike weltweit im
manchmal den Anschein erweckt, nicht         ren eine Idee von Kunst als Politik und                 öffentlichen Raum. Diese Eingriffe finden
der einzige Ort an dem Kunst stattfinden     Engagement, die nicht ganz frei ist von                 an einer Nahtstelle statt, an der sich der
und erscheinen kann. Künstler*innen          einem Übermaß an Moralismus und Wider-                  Konflikt zwischen dem allgemein Zugäng-
haben immer wieder den Konflikt der          sprüchen.” (Wolfgang Ullrich, Deko und                  lichen und dem durch Kauf entzogenen
Konsum- und Gebrauchsdimension ihrer         Diskurs) Folgt man diesem Argument, so                  Gegenstand zeigt. Graffity-Künstler*innen
Werke reflektiert und sichtbar gemacht.      hätte dies für die Betrachter*innen gra-                werden häufig wegen Sachbeschädigung
Franz West hat zum Beispiel ganze Grup-      vierende Folgen. Der angemessene und                    oder Verunreinigung zur Verantwortung
pen von Sofas hergestellt, unter anderem     “artgerechte” Umgang mit Kunst wäre a                   gezogen. Das scheinbar Öffentliche zeigt
auch eine Variation der Couch von Sig-       priori unmöglich. Die Betrachter*innen                  sich dadurch als längst schon privatisiert
mund Freud, die von den Ausstellungs-        müssten in einem ersten Schritt klären,                 und dem Gebrauch entzogen. Durch diese
besucher*innen ausdrücklich benutzt          welchem der beiden Bereiche das in Fra-                 Strategien befragen Künstler*innen
werden sollten. Genau dieser Umstand         ge stehende Werk angehört um danach                     gleichzeitig den Status der eigenen Werke
führte jedoch bei Präsentation derselben     adäquat reagierend vollziehen oder kon-                 und den Status der Gegenstände im öffent-
im musealen Rahmen immer wieder zu           sumieren zu können. Kunstmagazine,                      lichen Raum. Durch deren Interventionen
Problemen, da in diesem Kontext ja gera-     Ausstellungshäuser oder Museen versu-                   geben sie das uns durch Privation Entzo-
de die Unmöglichkeit des Wohnens und         chen zwar immer noch die bereits getrenn-               gene in einem spielerischen Akt zu einem
Benutzens ausgestellt wird. Die Distanz      ten Bereiche gemeinsam vor- und auszu-                  symbolischen Gebrauch zurück.
der Besucher*innen zu den ausgestellten      stellen, aber die Frage nach der ange-                     ● Boris Manner
Werken ist in der Regel eine conditio sine   messenen Einstellung der Rezipient-                        geboren in Völkermarkt, studierte Philosophie in Wien.
                                                                                                        Ausbildung im Kulturmanagement an der damaligen
qua non.                                     *innen zum jeweiligen konkreten Werk                       Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Kuratierte
                                             wird dadurch für diese nicht beantwortet.                  Ausstellungen in Moskau, Venedig, Istanbul für die Stella
                                                                                                        Art Foundation/Moskau. Unterrichtet seit 2001 an der
Deko und Diskurs. Die Frage, ob der                                                                     Universität für angewandte Kunst in Wien.
Zweck des Kunstwerkes sich in seinem         Nahtstellen. Der Status und die Funktion
Warencharakter erfüllt und dadurch zu        von Kunst entscheiden sich vielleicht an
einem beliebigen und austauschbaren          einer anderen Stelle. Plätze, Straßen und
Gegenstand wird, ist immer wieder Gegen-     Fassaden von Gebäuden, die scheinbar
Kunst um der Kunst willen
Der 2004 verstorbene Dadaist Viktor Rogy war einer der letzten Künstler*innen,
die sich dem Gedanken an die Verwertbarkeit ihrer Kunst konsequent entsagten.
Kunst ohne Konsum ist heute schwer denkbar. Aber es gibt Nischen.

                       Picknick bei Viktor. Als sich   ten, als lebten sie nicht in einem System,    der Straße kreuzbrave Bürgersleute durch
                      vor ein paar Jahren im Juli      das Kunstschaffenden gegen ein paar           die Glasfront spähten, um zu sehen, wer
                   Viktor Rogys Geburtstag zum 90.     kleine Zugeständnisse an Mode und Mehr-       denn ein Lokal besucht, an dessen Außen-
         Mal jährte, lud Bella Ban Freunde an sein     heitsgeschmack geräumige Spielräume           front ein Familienfoto von Kanzler und
         Grab in Arnoldstein. Primus Sitter und        und materielles Auskommen verspricht.         Minister*innen klebt, mit aufgemalten
         Richie Klammer geigten auf, dazu gab es       L’art pour l’art?                             Hitlerbärten.
         reichlich zu Essen und zu Trinken. „Pick-                                                     Was von Rogy nicht bleibt: Eine sicht-
         nick bei Viktor“ nannte Ban die Sause für     Kunst lässt sich im 21. Jahrhundert ohne      bare Würdigung des Künstlers, der es
         ihren 2004 verstorbenen Lebensgefährten.      Kapitalismus kaum denken – mögen die          immerhin einst auf die Seite eins der New
         Die Künstlerin ist überzeugt: Wäre Rogy       Kunstschaffenden ihn noch so verteufeln       York Times geschafft hat. Nicht einmal
         noch am Leben gewesen, hätte er den           und ihre Werke trotzig schreddern. Kapi-      einen Wikipedia-Artikel gibt es über den
         Trubel gewiss abgelehnt. „Aber gefreut        talismuskritik ist vom Kapitalismus ein-      Ausnahmekünstler, der nicht nur aber
         hätte er sich trotzdem.“ Es sei ja auch       gepreist und steigert den Verkaufswert.       auch deshalb eine Ausnahme war, weil er
         nicht so, dass der wortgewaltige Dadaist      Auch Kunst wird konsumiert.                   sich dem Verwertbarkeitsdenken, das der
         und Bildhauer sozusagen sui generis gegen                                                   Kapitalismus in die Kunst grätscht, kon-
         Anerkennung und Wohlstand gewesen             In seinen letzten Lebensjahren lebten Rogy    sequent entsagt hat.
         wäre; Annehmlichkeiten eines Künstler-        und Ban auf zwei Zimmern in einem
         lebens, die außer Rogy keiner in seiner       kleinen Gartenhäuschen, das Maria Lass-       All you can. Wohl aber gibt es Nischen
         Liga gegen Lebensende hin entbehren           nig gehörte. Einer der wirkmächtigsten        für Kunstschaffende, die sich dem Gesetz
         musste. „Er hätte damit kein Problem          Künstler des Landes starb bettelarm. Was      von Angebot und Nachfrage zumindest
         gehabt“, sagt Ban. Es wäre ihm bloß           er seiner Gefährtin Bella Ban hinterließ,     ansatzweise widersetzen. Dazu gehört
         wesensfremd gewesen, sich für „Reich-         war ein so umfangreiches Werk, dass sie       zum Beispiel ein Herzensprojekt der
         dumm“ zu erniedrigen. Und wäre es nur         heute noch damit zu tun hat, es zu sortie-    Kärntner Autorin Natalie Deewan. Wie
         die Erniedrigung, ein paar Minuten lang       ren: Plastiken, Installationen, Fotos, hun-   Ban und Rogy ist auch sie Lokalbetreibe-
         den Mund zu halten, wenn wieder ein           derte Zettel mit Rogy-Gedanken. Zudem         rin. Vor 13 Jahren gründete sie den Wie-
         „falscher Mensch“ zu dozieren anhob.          bleiben mündliche Erzählungen von dem         ner Deewan, ein kleines Restaurant unweit
         Dummerweise erwiesen sich die Falschen        alten Mann mit Hut, Dreiteiler und Char-      der Hauptbibliothek, das keine Preise
         oft als die Wichtigen. „Viktor war ein        lie-Chaplin-Bärtchen, der im längst ver-      kennt. „All you can eat, pay as you wish“,
         Donnerwetter. Er hat viele vergrault, die     wichenen Klagenfurter Café OM mit gro-        lautet das Deewan-Prinzip. Heißt: Gäste
         ihn hätten pushen können“, sagt Ban.          ßer Geste Rotwein in Gläsern ohne Stiel       bedienen sich nach Herzenslust am Buffet
           Damit gehörte er zu den aussterbenden       kredenzte und in heiligem Zorn auf die        und zahlen dafür, was es ihnen wert ist
         Exemplaren seiner Zunft, die sich verhal-     Politik schimpfte, während draußen auf        – oder was sie dafür zahlen können. Auf

12   DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Gernot Fischer-Kondratovitch: Installation | 3D-Figur,
                                                                                                                      Gold, Pelz, Tierpräparate, 2015. Foto: GFK|bildrecht.at

Natalie Deewan. Foto: Elln Riedinger | Bella Ban & Victor Rogy. Foto: Astrid Bartl
                                                                                                                      welter.skelter
Bella Ban – Portrait Viktor Rogy, Bronze, 1989 od. 88. Foto: Bella Ban
                                                                                                                      Tirili und Tirila ...
                                                                                                                      ... Weihnachten ist wieder da. Die Glöckchen
                                                                                                                      bimmeln, die Blockflöten werden gespielt und
                                                                                                                      froh stimmende Lieder gesungen. Der wohlige
                                                                                                                      Duft von selbst gebackenen Keksen – freilich
                                                                                                                      nach einem Geheimrezept der lieben Oma, die,
                                                                                                                      wenn sie nicht schon unter der Erde liegt, im
                                                                                                                      Schaukelstuhl wippend dem emsigen Treiben
                                                                                                                      im festlich geschmückten Hause beiwohnt –
                                                                                                                      sowie der süßliche Geruch von gebratenen
                                                                                                                      Äpfeln legen sich über das friedliche Land. Mit
                                                                                                                      roten Bäckchen vergnügen sich die Kinder im
                                                                                                                      Schnee. Sie johlen und jauchzen vor lauter
                                                                                                                      Glück. Da spielt es auch keine Rolle, wenn
                                                                                                                      einer mal mit der Rodel in einen Baum kracht
                                                                                                                      und sich dabei einen offenen Oberschenkel-
                                                                                                                      bruch zuzieht. Sei’s drum. Der Vater ist zur
                                                                                                                      Abwechslung daheim, während die Mutter,
                                                                                                                      einem göttlichen Wunder gleich, von Migräne
die Idee kam die Künstlerin gemeinsam                          das auszubalancieren.“ Am Ende versucht                und Trübsal verschont bleibt. So schön. Alles.
mit ihrem Kompanion Afzaal Deewan,                             sie wie die meisten, sich selbst treu zu               Doch noch weiß keiner, ob dieser schönste aller
damals Asylwerber aus Pakistan. „Wir                           bleiben. Die Autorin und Restaurantbesit-              Tage später einmal als Sieg oder Niederlage
wollten Arbeitsplätze für Asylwerber*innen                     zerin hat dazu eine gewitzte Strategie                 verbucht werden kann. Denn die gleich folgen-
schaffen, die in Österreich keinen regulä-                     gefunden.                                              de, unvermeidliche Bescherung erweist sich ein-
ren Job annehmen können“, sagt Deewan.                                                                                mal mehr als härteste Schlacht im Kampf der
Und zugleich ein Angebot schaffen, das                         Diese Gewitztheit im Umgang mit den                    Klassen, und das Fest der Liebe als erneuter
kein gewöhnliches Angebot ist. „Wer                            Umständen haben Rogy und Ban nicht                     Siegeszug eines alles niederwalzenden Kapita-
überhaupt kein Geld hat, ist halt herzlich                     aufgebracht. Das Café OM musste nach                   lismus. Die Blockflöten werden ja nur gespielt,
eingeladen“, sagt Deewan. Andere zahlen                        allerhand behördlicher Beschwernisse                   weil es den Kindern von idiotischen Lehrer-
dafür mehr, am Ende rentiert sich das                          schon vor etlichen Jahren seine Pforten                *innen aufgetragen wurde, und die Lieder nur
Geschäft und alle können davon leben.                          schließen, heute residiert dort ein Friseur-           gesungen, weil es der lieben Oma so gefällt.
                                                                                                                      Überhaupt kann den kleinen Rackern im Grunde
  Afzaal Deewan wollte sich von der                            salon. Ban bereitet für kommendes Jahr
                                                                                                                      der ganze Schmus mit Weihnachtsbaum und
Marktwirtschaft westlicher Prägung nicht                       eine Rogy-Ausstellung vor, 15 Jahre nach
                                                                                                                      blöden Äpfeln gestohlen bleiben. Nur die harten
verrückt machen lassen. Lieber hielt er                        seinem Tod soll der Künstler die Anerken-
                                                                                                                      Fakten entscheiden über Sieg oder Niederlage:
es so wie in seiner Heimat Pakistan, wo                        nung bekommen, die ihm zeitlebens ver-
                                                                                                                      Habe ich bekommen, was ich mir gewünscht
er einst als Fernsehtechniker arbeitete.                       wehrt blieb – was er mit Würde trug.                   habe, oder nicht? Weihnachten ohne entspre-
Wenn seine Leistung eigentlich 4000                            Einmal, erzählt Ban, seien die beiden in               chendes Kleingeld ist im besten Fall sehr bitter.
Rupien wert war, seine Kund*innen aber                         eine Nachmittagsvorstellung von „Laurel                Die Augen der Kinder werden nicht leuchten,
nur 2000 hatten, nahm er eben, was sie                         und Hardy“ ins Kino gegangen. Beide                    der Vater wird sehr bald schon zum Schnaps
ihm geben konnten.                                             hatten sich in Schale geworfen und saßen               greifen, die Mutter wieder über Kopfweh klagen,
                                                               in der ersten Reihe vor der Leinwand. Als              die Oma in ihrem Schaukelstuhl verstummen
Natalie Deewan würde mit ihrem Projekt                         Rogy mit Popcorn raschelte, rügte ihn                  und überhaupt wird eine weitere Schlacht im
gerne eine Diskussion über ein                                 seine Frau: „Pscht.“ Dann raschelte Ban                harten Kampf ums Kapital verloren sein.
bedingungsloses       Grundeinkommen                           und Rogy wurde ernst: „Pscht.“ Schließlich             Es soll aber, da und dort, Menschen geben, die
anstoßen, sie will ein Statement in die                        blickten sie sich um und erkannten, dass               das heilige Fest ganz ohne Hamsterkäufe bei
Welt setzen. Wie Rogy macht sie keinen                         sie sie einzigen im Kino waren. Sie genüg-             Amazon, H&M oder Swarovski begehen. Ich
Unterschied zwischen Kunst und Leben.                          ten einander.                                          weiß nicht, ob das stimmt, aber alleine der
Am Ende ist alles eins. Wenn die Autorin                          ● Wolfgang Rössler                                  Gedanke daran hat etwas Tröstliches.
eine Lesung hält, dann am liebsten in                             38, aus Steindorf am Ossiacher See, lebt in Wien,   ● Oliver Welter
                                                                  ist Korrespondent der NZZ am Sonntag.                 Musiker, Schauspieler und Autor. Geboren in Klagenfurt,
ihrem eigenen Lokal. Ist sie dann Künst-                                                                                lebt in Klagenfurt und Innsbruck, stirbt vermutlich in
lerin? Oder Unternehmerin? „Ich versuche,                                                                               Klagenfurt oder Innsbruck oder gar nicht.
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