ARTgerechter KONSUM - Kulturchannel
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Nr. 10 | Brückengeneration 5 | Dezember 2018 · Jänner 2019 | Euro 5,50 Österreichische Post AG PZ16Z040851P Amt der Kärntner Landesregierung Abteilung 14 – Kunst und Kultur Burggasse 8, 9021 Klagenfurt ARTgerechter KONSUM „Kauf dir was Hübsches, Kleine*r.“ www.bruecke.ktn.gv.at
Veronika Suschnig Ist das Kunst oder kann das weg? Gernot Fischer-Kondratovitch: Die Masse hält das Gleichgewicht. Foto: GFK | bildrecht.at vorort Liebe BRÜCKE-Konsument*innen, ja, der Kapitalismus und sein leibliches Kind Konsum haben die Welt neu erfunden. Und dabei haben sie der Zivilisation – nebst der unzivilisierten Konsument*innen – auch Errungenschaften eingebracht. Aber wie immer „macht die Dosis das Gift“. Um uns herum tobt eine Zeit, in der Produktivi- tät wichtiger ist als Kreativität. In der Information höher gehandelt wird, als Wissen und Erkenntnis. In der Unterhaltung einen höheren Stellenwert hat als Haltung. Um uns lärmt und rauscht eine Welt des vulgären, tagespolitischen Kleingelds anstelle menschlicher Großinvestitionen (immaterieller wie materieller Art), bestimmt von einer gewissen Kleingeistigkeit und Konsum- unterwürfigkeit unserer Galionsfiguren. Eine Zeit des kräftigen Barbarentums. Den Luxus des Denkens lassen wir verkommen zum luxusorientierten Konsumdenken. Eine Welt der Identitätsstiftung durch Haben anstatt durch das Sein, in der wir mitten im Überfluss einen permanenten Mangelzustand erleben. Was nichts anderes ist als ein geschürter Minder- wert, dessen Ausgleich wir durch Konsum anstreben: Konsum von Waren die uns schöner, hipper, liebenswerter machen, bis hin zum Kon- sum von körperlicher und zwischenmenschli- cher Nähe. (An dieser Stelle komme ich nicht umhin, mich eines durch meine Großmutter weitergegebenen Denksatzes zu erinnern: „Einem Zufriedenen kann man nichts verkau- fen.“) Die bedenklichsten Suchtmittel unserer Zeit sind nicht jene, die das Strafgesetz nennt. Veronika Suschnig ist BA Kunstpreisträgerin 2018. Die 1989 geborene Künstlerin ist in Klagenfurt und Wien aufgewachsen, lebt und arbeitet heute in der Bundeshauptstadt. Sie arbeitet medien- Wir torkeln und stottern im Kaufrausch. Consu- übergreifend zwischen Druckgrafik, Tafelbild und dem dreidimensionalen Raum und schafft damit ein mere: ‚verbrauchen‘ ist zum „Brauch“ Werk, das Plastik, Malerei, Grafik und Skulptur konzeptuell miteinander verbindet. Vorrangig befassen geworden – zu einer dingbaren, existen- sich ihre Arbeiten mit gesellschaftspolitischen Themen und suchen bildliche Rahmen, durch die sie tiellen Erfordernis. Gesellschaftskritik muss Verhältnisse von Raum, Mensch und Gesellschaft erforschen kann. Ihre Werke wurden bereits heute auch Konsumkritik sein. international ausgestellt, beispielsweise in London, Berlin, München, Düsseldorf und Chur. Das Wien Museum nahm 2018 eine Arbeit in seine Sammlung auf. www.veronikasuschnig.com In dieser Welt ist Kultur – als Gesamtheit der von Geist und Ethos beseelten Errungenschaf- Die Siebdruck-Serie „Ist das Kunst oder kann das weg?“ nimmt sich der oft missglückten ten eines Individuums wie auch einer Gemein- Kommunikation zwischen moderner Kunst und ihrer Betrachter*innen an, die bei konzeptioneller Kunst schaft – jener Bereich, der dem Schlussverkauf in Ausstellungen oft nicht richtig abgeholt werden. Die Serie entstand 2017, besteht aus sechs Motiven des „Menschseins“ Einhalt gebietet. DIEse in einer Edition von je sechs Drucken und ist ab Dezember in der Galerie 3 (Klagenfurt) erhältlich. BRÜCKE bündelt eine Auswahl künstlerischer Arbeiten und Positionen rund um das Thema Konsum. Von Betrachtungen des „Verzehrs von Cover: Schlaftabletten – Lorenz Friedrich, * 1988 in St. Veit an der Glan, lebt und arbeitet in Wien Körpern“ bis hin zu einem wortreichen Rund- und Kärnten. www.lorenzfriedrich.com gang im KunstMarkt, haben wir uns um Daumenkino: Lisa Maria Wagner, * 1986, freie Illustratorin, lebt in Villach, arbeitet mit Schere, Papier und Pinselstrich u.a. fürs Literaturhaus Graz, a.c.m.e,- und die Stadt Villach (Lesezeichen). Ihre beiden eine recht erkleckliche Angebotspalette bemüht. Bilderbücher „Alex und der Mond“ (2016) sowie „Frida, Flii und Mo“ (2018) sind im Luftschacht Verlag erschienen. In diesem Sinne: Konsumieren Sie wohl! Das BRÜCKE-Daumenkino und dessen einzelne, bunte Bausteine repräsentieren Menschen in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit. Trotz der Unterschiede zeigen die Bausteine, die sich ineinander zu etwas ● Gabbi Hochsteiner Neuem fügen, dass es auch für uns Menschen immer Möglichkeiten gibt Gemeinsamkeiten zu finden, Chefredaktion DIE BRÜCKE gemeinsam Neues entstehen zu lassen.
BRÜCKEN.BOGEN 2 vorort. Gabbi Hochsteiner Ist das Kunst oder kann das weg? Veronika Suschnig „Einmal muss das Fest ja kommen!“ 4 Werkstättengespräch: Wolfgang Patscheider. Konsumgut Körper. Gabbi Hochsteiner < aus: Ingeborg Bachmann: Lieder von einer Insel > 6 Kärntner Kunst zwischen Kapitalismuskritik und Kommerz. Karin Waldner-Petutschnig 9 denk.mal. Konsum. ART oder artgerecht? Renate Hübner 10 Spiel und Eigentum. Ökonomischer Ethos und Warencharakter von Kunst. Boris Manner 12 Kunst um der Kunst willen. Viktor Rogy. Natalie Deewan. Wolfgang Rössler 13 welter.skelter. Tirili und Tirila ... Oliver Welter 14 Der Preis der Herrlichkeiten. Gabriele Sturm. Jutta Steininger 15 Lieber Bernhard! Ein Brief an Bernhard Wolf. Markus Waitschacher 16 Kunstsammeln in Kärnten: Typen, Zugänge, Entwicklungen. Michael Cerha 17 buch.tipp. Marko Lipuš: Kratzungen blau. Clara Kaufmann 18 Eintrittskarten in die Konsumwelt. Banknoten als Geschichtsbuch. Martin Stermitz 19 kultur.tipp. Die Stadt ohne ... slowenischen Kulturverein Klagenfurt. Sabina Zwitter Grilc 20 Art.gerechter Stoff? Eine Spurensuche bei Kärntner Textilkünstler*innen. Tanja Peball 22 „Ich verkaufe Kunst, keine Tapeten.“ BRÜCKE-Gespräch mit Gabriele Wimmer. Wolfgang Rössler 24 kari.cartoon. Heinz Ortner | Astrid Langer 25 Krippen.Konsum.Kritik. Die Galerie Muh – mitten am Rand. Andrea Kirchmeir 26 Laudatio. Die Kulturpreise 2018 des Landes Kärnten. Sabine Ertl 28 Ware und wahre Worte. Kasperl und Petzi sind gerettet. Bertram Karl Steiner 29 Die Normalität des Elches. Weitblicke auf einen Musil‘schen Theaterabend. Stefan Ebner 30 Vom Jazz leben. Der Kärntner Saxophonist Martin Gasser. Gilbert Waldner 31 Sigrid Friedmann. Ausschnitt aus dem Leben einer Künstlerin. Hannah Salentinig 32 ON THE ROAD. Aus den 60ern ins Heute. Wohin bewegt sich Kärnten? Teil 2. Eva Reitmann-Omilade 33 literatur.tipp. Bernhard C. Bünker: Wos ibableibt. Katharina Herzmansky 34 edition B kunst.aus.druck. Peter Jellitsch. Nora Leitgeb extra.blatt. Data Drawing 52 (Date Palms) 36 Neuer Film made in Kärnten: TRAMAN. Slobodan Žakula 37 Viel zu erzählen, wenig Zeit. Marius S. Binder im walraum. Tanja Peball 38 Donna Anna will nicht heiraten. Mozarts Don Giovanni – Finale II. Georg Horcicka 40 vorlese.prvo branje. Alois Brandstetter und Delphine Blumenfeld. 42 buch.tipps. Lesen Sie gefälligst! 44 musik.tipps. Das Beste ... steht nicht in den Noten. 45 seite.ohne.namen. Vom yeah zum yay im Kunstraum Lakeside. Michael Herzog 46 horizonte. 12 Seiten Kulturveranstaltungen und Infos. 47 da.schau.her. Baby Pop – Maus aus. Bernhard Wolf. Katharina Herzmansky 49 denk.mal. Denkmalpflege und Nachhaltigkeit. Geraldine Klever 51 kultur.tipp. KLAGENFURT 500. Igor Pucker | Martin Stermitz 53 kinder.kultur.tipp. ARCHITEKTUR_SPIEL_ RAUM_KÄRNTEN. Andrea Kirchmeir 57 kultur.tipp. Treffpunkt – Sreččanje. Galerie Šikoronja. Ulli Sturm 58 kino & film.tipps. UND Der BRÜCKE-Kulturkalender als Beilage. Ein Augenblick Brücke Parallelleben Serie, 2016 ● Luca Mikitz * 1990, lebt und arbeitet in Wien und St. Margarethen bei Bleiburg, Student Bildende Kunst – Fotografie. „Das geöffnete Fenster zeigt den Übergang zwischen Innen und Außen, zwischen Privatem und Öffentlichem. In einer Art performativen Aktes habe ich diese Grenze zum Privaten aufgehoben, die bisher unbekannten Personen bekommen ein Profil, welches in Form des gezeigten Wohnraumes dargestellt wird. Die Bilder ermöglichen den Betrachter*innen, Foto: Luca Mikitz Vermutungen über das Leben in den gezeigten Räumen anzustellen.“ www.lucamikitz.com
Werkstättengespräch Konsumgut Körper Eine Gesprächsreise an die Ränder der Gesellschaft mit dem Rotlicht-Kriminalisten Wolfgang Patscheider. Im Diskurs über Prostitution prallen Mama, was du machst?“. Von den 80 werber*innen frei – Schuh- „Kriminalisierung versus Liberalisie- anwesenden Damen hat keine „ja“ gesagt. putzen zum Beispiel. Da fällt rung“ als harte Fronten aufeinander. leider auch die Prostitution Amnesty International etwa ist für eine Prostitution gehört lange schon zu unse- hinein. Das ist ein Österreich-Spezifikum. Legalisierung, der Papst oder Alice rer Kulturgeschichte und ist trotzdem Meiner Meinung nach hat der Gesetzgeber Schwarzer lehnen diese strikt ab ... was eine Randkultur – am Rande der Lega- dabei gar nicht an die Prostitution gedacht. spricht für ein Verbot, was dagegen? lität, am Rande der Gesellschaft. Einer- Derzeit kommen Frauen gezielt von Für ein Verbot spricht meiner Meinung seits wird sie verachtet, andererseits in Nigeria und China zu uns, um sich zu nach gar nichts. Umso stärker wir den hohem Maße konsumiert ... prostituieren. Im Falle der Nigerianerinnen Sexdienstleisterinnen geregelte Arbeits- Ja, Doppelmoral in Reinkultur! reden wir von „den Frauen mit den toten bedingungen, Rechte und Pflichten einräu- Augen“. Sie schleppen sich durch die men, umso kleiner werden die Machtaus- Wie kommen Männer und Frauen in die Wüste, dann die oft traumatische Reise übungsmöglichkeiten der oft kriminellen Prostitution? Was sind Motive? am Boot und wenn sie schließlich hier Zuhälter. Und es geht natürlich auch um Ich frage die Frauen immer wieder sind, müssen sie eine horrende Summe die Wertschätzung der Frau, die diesen danach. Viele Rumäninnen erzählen, dass abarbeiten, bevor sie als frei gelten. Noch schwierigen Job macht – sie soll sich nicht sie mit 17 in der Diskothek Frauen sehen, zuhause unterschreibt die flüchtende Frau genieren und verstecken müssen. die sich offensichtlich etwas leisten kön- einen Betrag (30.000 – 40.000 Euro), von Die Praxis zeigt auch, überall dort, wo nen, hören, wie sie dazu gekommen sind dem sie nicht einmal weiß, wieviel das ist. Prostitution verboten ist, ist sie besonders und möchten das auch machen. Die Wirk- Daran arbeitet sie sich oft zehn Jahre lang präsent – aber eben in der Illegalität und lichkeit ist dann oft so: Die Mädchen ab. Das gleiche Problem haben wir mit somit Schutzlosigkeit. Der Straßenstrich kommen mit 18 Jahren mit nichts zu uns chinesischen Staatsbürgerinnen, die z.B. in Rom oder Mailand zum Beispiel ist eine und wenn sie Mitte Zwanzig sind und angeblich aufgrund der streng verfolgten Katastrophe für die Frauen. Wir wollen, heimfahren, haben sie wieder nichts. Meist Kinderpolitik um Asyl ansuchen und dann dass die Sexdienstleisterin legal in einem bringen ihre „erlebnisorientierten Freun- bei uns in Laufhäusern arbeiten. Bei Kon- registrierten Bordell arbeiten kann. Wir de“ [vulgo Zuhälter] ihren Verdienst durch. trollen frage ich diese Mädchen etwa, wollen, dass ihr Beruf ein normaler Job Ich hab es ganz selten erlebt, dass Frauen welche Leistungen sie denn anbieten. „Was sein kann. Ein harter Job, aber ein Job. ihr Geld gut angelegt haben. auf der Türe steht“, sagen sie dann. Auf Wir bieten den Frauen auch immer meine Frage, was denn dort stehe, wird Es ist eine sehr moralinhaltige Diskus- wieder an, dass wir ihnen gemeinsam mit schnell klar, dass sie ahnungslos sind. Das sion. Milliarden Menschen setzen tag- Opferschutzvereinen helfen, bei uns ande- ist tragisch. Auf dieses Problem machen täglich ihre Zeit, ihren Körper und Geist re Arbeit zu finden. Viele wollen aber für wir jetzt aufmerksam. Ziel ist es, dieses ein, um Geld zu verdienen. Macht es das vergleichsweise kleine Geld nicht z.B. bei einer zukünftigen Gesetzesbearbeitung einen Unterschied, ob sich jemand in putzen gehen. zu beheben. der Sozialarbeit oder auf dem Bau abar- beitet oder eben für sexuelle Handlungen Die Frauen wissen also worauf sie sich Welche Arten der Prostitution gibt es zur Verfügung stellt? Ist Sexarbeit ein einlassen und entscheiden sich bewusst hierzulande? Job wie viele andere? dafür? Die Sexarbeiter*innen sind grundsätz- Sicher einer der härtesten. Ich habe Ja. Das ist nicht mehr so, wie es mal lich selbstständige Unternehmerinnen, noch nie in meiner 25jährigen Tätigkeit war. Dank all der Kommunikationsmög- die frei und für sich arbeiten. Das tun sie im Rotlicht von einer Frau gehört, dass lichkeiten wissen die meisten Frauen ganz in verschiedenen, behördlich genehmigten das ein feiner Job ist, den sie gern macht. genau, worum es geht und entscheiden Etablissements. Noch nie. sich auch dafür. Natürlich oft unter fal- Das klassische Bordell ist Anlaufstel- schen, schöngefärbten Vorstellungen. le für „den Kärntner“. Es hat einen Bar- Ist Prostitution ein Spiegel unserer betrieb sowie Zimmervermietung. Der Gesellschaft und Kultur? Wer sind die „typischen“ Sexarbeiter- Kunde trinkt meist etwas mit der Sex- Es ist auch ein Ansatz darüber zu dis- *innen? Betrifft es erstrangig soziale dienstleisterin, sie erhält eine Provision kutieren, ob wir als Gesellschaft die Pro- Randgruppen? darauf und wenn’s aufs Zimmer geht, stitution überhaupt (noch) notwendig Ich will niemanden stigmatisieren. Aber gehört die Hälfte der Einnahmen ihr und haben. Darüber kann und muss man ja. Es ist meist so. Ich hab auch schon die Hälfte dem Bordellbetreiber. nachdenken. Meiner Meinung nach wer- Studentinnen oder Juristinnen getroffen, Laufhäuser, die in Kärnten relativ gut den wir sie nur leider – solange es arme aber viele sind bildungsfern, können nicht gehen, sind ohne Barbetrieb. Die Frau Länder gibt – nicht abstellen können, Lesen und Schreiben. Wir hatten Fälle, da mietet dort ein Zimmer, macht auf der sondern verschieben sie nur in die Illega- wussten die Mädchen nicht mal in wel- Türe Werbung für ihre Angebotspalette lität und vergrößern so die Probleme. chem Land sie überhaupt sind. und die männliche Kundschaft klopft bei Interesse an. Die Vorteile für die Frau Wie erleben Sie den Stellenwert der Sexarbeit ist für Asylwerber*innen eine sind, dass sie keinen Alkohol konsumieren Sexarbeit in unserer Gesellschaft? der wenigen legalen und leicht zugäng- muss und die Einnahmen zur Gänze ihr Leider tief unten. Ein Beispiel von innen: lichen Erwerbstätigkeiten ... gehören. Sie bezahlt nur die Zimmermie- Bei einer unserer Kontrollen in den Bor- Ja. Das Gesetz gibt bestimmte Tätigkei- te, die allerdings auch nicht wenig ist (ca. dellen fragten wir die Frauen: „Weiß deine ten aus dem „freien Gewerbe“ für Asyl- 100 Euro am Tag). 4 DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Werner Hofmeister: SEX | aus der Werkgruppe „Das Gold der Tycoon“, 2012 [Aus Rücksichtnahme auf die verdeckten Ermittlungstätigkeiten unseres Gesprächspartners wird kein Konterfei von ihm abgedruckt.] Foto: Werner Hofmeister In den Saunaclubs wie z.B. in Villach, Wie sieht das Verhältnis zwischen Sex- Was sind die berührenden Momente? bezahlen sowohl der Kunde als auch die arbeiterin und Zuhälter aus? Die Schicksale von Kindern in der Sexdienstleisterinnen Eintritt (etwa 80 Leider ist der klassische Zuhälter oft den Schlepperszene oder von misshandelten – 100 Euro), Essen und Getränke sind Suchtgiften zugeneigt. Die Frau entschei- und ausgebeuteten Frauen sind sehr kostenlos und was die Sexdienstleisterin det sich für den „Zuhälter“, weil dieser in ergreifend. Berührend ist es auch, wenn dort erwirtschaftet, gehört zur Gänze ihr. der Rolle des Freundes und Partners auf- man jemanden trifft, den man vor ein paar In diesen Großbordellen arbeiten bis zu tritt. Diese Männer sind jung, schauen gut Monaten oder Jahren aufgegriffen hat und 80 Sexdienstleisterinnen, die zu 95% aus aus, sind nett zu den Frauen. Sie gaukeln der Asyl bekommen hat, zur Schule geht, Rumänien kommen. Das ist der Sprach- den Mädchen vor, sie seien z.B. „Autohänd- Deutsch spricht und sich gut entwickelt. verbindung geschuldet, denn die Rumä- ler“, in Wirklichkeit lassen sie sich von Das sind die schönen Seiten. ninnen können sich mit den Italienern den Frauen finanzieren. Sie reden davon, unterhalten, die 95% der Saunaclub-Kund- dass sie irgendwann gemeinsam in Rumä- Wie viele Prostituierte arbeiten in Kärnten? schaft ausmachen. Wir haben dort schon nien ein Haus bauen und eine Familie Aktuell etwa 350 registrierte und geschätzt ganze italienische Fußballmannschaften gründen – es ist ganz, ganz selten, dass 150 illegale Sexdienstleisterinnen. angetroffen, die es an diesem Tag nicht es dazu auch tatsächlich kommt. Wie viele registrierte Freudenhäuser gibt es? mehr auf den Fußballplatz geschafft haben 24 Etablissements. Das sind verhältnismäßig ... [schmunzelt] ... das ist das Leben. Wer sind die Bordellbetreiber*innen? wenige. Wir sind kein Bordell-Land und das Im Falle der Großbetriebe sind es haupt- werden wir auch nie sein. Welche Verbesserungen brauchen un- sächlich Geschäftsleute aus dem deutsch- Wie ist das Verhältnis der Männer & sere Gesetzeslage und die daraus resul- sprachigen Raum, die ihr Geld auf diese Frauen unter den Sexarbeiter*innen? tierenden Arbeitsbedingungen in der Weise anlegen wollen. Kleinere Häuser Ich weiß von keinen männlichen Sexarbeitern Prostitution? werden teils von Frauen betrieben, die in Kärnten. Was es gibt sind – oft aus Südame- Seit 2012 ist wieder einiges zugunsten selbst Sexdienstleisterinnen waren. Gera- rika – Männer, die sich zu Frauen haben der Rechtssicherheit der Sexdienstleister- de mit diesen kleinen Betrieben haben wir umwandeln lassen und sich bei uns in den *innen geschehen – z.B. haben sie erst gar keine Probleme. Bordell ist nicht gleich Laufhäusern anbieten. Dieses Angebot wird viel seitdem Anspruch auf eine gesetzliche Bordell: Wir achten darauf, dass wir mit konsumiert, weil es eine Art Tabu ist. Diese Pflichtversicherung. Bei der nächsten den Etablissements ständig in Kontakt Frauen haben auch oft die traurigen Augen. Novellierung des Kärntner Prostitutions- stehen und präsent sind – auch als gesetzes möchten wir weitere Punkte Ansprechpartner für die Frauen. Kärntens älteste Sexarbeiterin? Ich habe unlängst eine Dame in einem Lauf- einbringen. Zum Beispiel bedenken wir haus getroffen, die ist knapp 70. Ich habe sie die Altersbeschränkung, die bei 18 Jahren Bitte erzählen Sie uns von der Rotlicht- gefragt, welche Kundschaften zu ihr kommen liegt. Immer wieder hören wir von Frauen, gruppe des Kärntner Landeskriminal- und sie sagte, Leute die reden wollen oder dass sie mit 21 Jahren und etwas mehr amtes, die Sie seit etlichen Jahren leiten. ganz junge Burschen. Reife vielleicht nicht mehr in das Geschäft Wir sind ein Team von aktuell sieben eingestiegen wären. Darum diskutieren speziell ausgebildeten Leuten, vier Frauen Ein Hochrechnungsbeispiel: wir die Anhebung. und drei Männer. Unsere Einheit ist im An einem Abend arbeiten in einem Kärntner Landeskriminalamt für Menschenhandel Großbordell ca. 80 Sexdienstleisterinnen und Wie steht es um das sexuelle Selbstbe- und Schlepperei zuständig. Ein Segment absolvieren 500 Männerbesuche á im Schnitt 100 Euro. Das macht 50.000 Euro Umsatz. stimmungsrecht der Sexarbeiter*innen? darin ist der Rotlichtbereich. Das Vertrau- Wer bestimmt z.B. über Preise und Arten en, das uns von den Sexarbeiterinnen Und noch ein kulturabhängiges Detail: der sexuellen Dienstleitung? entgegengebracht wird, ist groß. Wir wol- Der Österreicher nimmt pro Bordellbesuch Sie selbst. Sie haben oft vor, nur ausge- len ein verlässlicher Partner sein – ansons- eine Dienstleistung in Anspruch, der Italiener wählte Leistungen anzubieten, merken ten würden sich die Frauen niemals mit mit gewissen Hilfsmitteln zwei bis drei. dann aber, dass sie damit kein Geld ver- ihren Problemen und Informationen an dienen können und müssen andere Diens- uns wenden. Es ist ein harter Job mit oft ● Gabbi Hochsteiner te offerieren. Dieser Wettbewerbsdruck sehr fordernden Einsätzen. Aber Chefredaktion DIE BRÜCKE ist gerade in den großen Häusern hoch. ich gehe gerne arbeiten, es ist sinnerfüllt.
Kreditkarten, die verwesen, von Ernst Logar: „Sustainable Transformation“. Foto: E. Logar Barocke Installation von Ines Doujak beim „steirischen herbst“: Ökonomie der Verzweiflung. Foto: steirischer herbst/Liz Eve Kunst zwischen Kapitalismuskritik und Kommerz Wenn Kunst über die Konsumgesellschaft nachdenkt. Ein Rundblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Kunst und Markt, wie passt das zusam- ihren ursprünglichen Zustand – das kann sich nie ausgehen. men? Zum Beispiel durch Ironie, hinter- über und wird zum Ausgangs- Massenware ist das größere sinnigen Witz oder brachiale Bilder, wie punkt für neues, ökologisches Problem. Inzwischen sind genug etwa die Schredder-Aktion des anonymen Wachstum. Auch mit seiner Labels angeprangert worden“, britischen Street-art-Künstlers Banksy Teilnahme als einziger Österreicher empört sich Doujak im Gespräch. Heu- illustriert: Sein „Girl with Balloon“ ist ja am Ausstellungsprojekt „Post Colonial er nahm die documenta-Teilnehmerin von unmittelbar nach dem Zuschlag des Auk- Flagship-Store“, das Arbeiten von 16 2012 am „steirischen herbst“ mit ihrer tionators von Sothebys um 1,2 Millionen Künstler*innen in einer Warenwelt- barocken Installation „Ökonomie der Ver- Euro durch einen eingebauten Mechanis- Camouflage zeigte, hielt er der Konsum- zweiflung“ teil, wo sie von der Verzweif- mus per Fernbedienung geschreddert gesellschaft einen Spiegel vor. Die Schau lung als Wirtschaftskraft erzählt, die worden. Ob clevere Marketing-Aktion oder im Wiener Museumsquartier 2014 setzte Menschen als billige Ware in Umlauf plakative Kritik am pervertierten Kunst- sich mit den Strukturen und Methoden bringt, von den „schockierenden Bildern markt – die weltweite Aufmerksamkeit eines neuen, ökonomischen Kolonialismus der Opfer, die für unseren Konsum auf- war ihm sicher. in der Welt auseinander: Was vor 100 bereitet werden“. Jahren der Kolonialwarenhandel war, ist Mit einer Apparatur zum Schreddern von heute der globale Flagshipstore. „Konsumfaschismus“ ist eine neue, ver- Geldscheinen beteiligte sich der Kärntner borgene Form des Terrorismus, meint der Künstler Ernst Logar bereits 2015 an der Ökonomischer Kolonialismus und die aus Bleiburg stammende Brachial-Regis- Vienna Art Week und hinterfragte damit Ausbeutung in Billiglohnländern beschäf- seur und -Choreograph Johann Kresnik, die schöne, neue Warenwelt ebenso wie tigt in unterschiedlichster Form viele der an der Volksbühne Berlin vor drei mit seinen Kreditkartenrohlingen aus Kärntner Künstler*innen. So auch Ines Jahren die in der Kritik als „Supermarkt- biologischem Kunststoff („Sustainable Doujak, eine gelernte Tischlerin und schocker“ bezeichnete Produktion „Die Transformation“), die er in Kooperation Absolventin der Angewandten in Wien, 120 Tage von Sodom“ nach Marquis de mit einem Kunststofftechniker herstellt. die sich in ihren Performances und Ins- Sade herausbrachte. Ihm zur Seite: Der Künstler führt in diesem Symbol für tallationen u.a. mit der Beziehung zwi- Gottfried Helnwein als Bühnenbildner unser heutiges Wirtschafts- und Werte- schen Stoff, Kleidung und Kolonialismus (dem im vergangenen Jahr ja die Jahres- system Ökonomie und Ökologie zusam- auseinandersetzt [s. BRÜCKE-Seiten ausstellung im Werner-Berg-Museum in men, da die Karte nach ihrer Verwendung 20-21]: „Je billiger ein Kleidungsstück ist, Bleiburg gewidmet war). Der bot der einem natürlichen Verwesungsprozess desto mehr Leute zahlen dafür, zum Teil vorgeführten Konsumgesellschaft mit überlassen werden kann. So geht sie in mit dem Leben. Ein T-Shirt um 10 Euro einem gigantischen Bühnenbild aus meter- 6 DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Schweineköpfe von Johann Kresnik in der Ausstellung „Das andere Land“ im MMKK. Foto: Museum Moderne Kunst Kärnten Catrin Bolt beim Aufbau ihrer Bananenschachtel-Skulptur in Feldkirchen. Foto: H. Bacher Melitta Moschiks „storage“. Foto: M. Moschik | Werner Hofmeister: „Meine Quelle“. Foto: K. Waldner hohen Regalen und übergroßen Packungen – eine dreiteilige Installation, die die sen Sinn) sind damit gemeint, sondern den drastischen Rahmen – Schockästhetik, Ressource Wasser als existenziellen Aspekt vor allem der umfangreiche Quelle-Ver- die auf geteilte Meinungen stieß. des Lebens thematisiert. Auch „Store sandhaus-Katalog mit seiner Warenwelt, Systems“ (2005) beschäftigt sich mit Ord- der in seiner ursprünglichen Form längst Verpackungen, Regale, Kartons werden nungssystemen wie Großverpackungen, vom Internet und seinen Vertriebswegen dank ihrer Symbolhaftigkeit gerne künst- Euro-Paletten und Ähnliches, „lässt Zweck- abgelöst worden ist. Im Museum für Quel- lerisch genutzt. So etwa auch von Catrin formen zu Ikonen werden, deren Pikto- lenkultur, das Hofmeister im seit 2004 Bolt, die kürzlich im MMKK mit ihren gramme die neuen Zeichensysteme der gepachteten Lachnitzhof in Klein St. Paul Fotoarbeiten von Plastiklandschaften zu Konsumgesellschaft definieren“. Die Kon- betreibt, findet sich neben einem sehens- sehen war und Anfang des Jahres in Feld- zeptkünstlerin setzt sich in reduzierter werten Skulpturenpark und einem Dialog kirchen. Parallel zu einer Ausstellung im Formensprache und geprägt von einer mit Kärntner Künstlern auch das Kunst- Amthof baute sie dort vor dem örtlichen technologischen Ästhetik mit Alltagskul- haus, eine begehbare Skulptur aus Eisen- Billa leere Bananenkisten übereinander tur, Wahrnehmung und Wirklichkeit, blech, die den Zeichensatz des Künstlers auf, stapelte das Verpackungsmaterial, Denk-, Sprach- und Verhaltensmustern veranschaulicht. das für unseren Konsum rund um die Welt auseinander. Moschik, die Mathematik gegangen war, zu bunten Gebäuden. Die und Physik studiert hat, bezieht in ihre Die Kommerzialisierung sämtlicher Völkermarkterin, Absolventin der Wiener Arbeiten häufig naturwissenschaftliche Lebensbereiche nimmt sich auch gerne Akademie der bildenden Künste und und soziologische Themenfelder mit ein. das rührige Universitätskulturzentrum Trägerin des renommierten Otto-Mauer- UNIKUM mit mehrdeutigen Wortspielen Preises, machte damit den alltäglichen Piktogramme, Zeichen, Kürzel bilden auch und Inszenierungen zum Thema. Das Supermarkt, den man im Vorbeigehen oft das künstlerische Vokabular für Werner Kaufhaus ist dabei oft Ziel der Begehrlich- gar nicht mehr bewusst wahrnimmt, Hofmeister, der mit Melitta Moschik 1998 keiten. Wenn Sonderangebote und Schluss- wieder sichtbar. das Kunstprojekt „Kärntner Ansichten – verkäufe locken, floriert das Geschäft. Und eine andere Landesausstellung“ in der so ganz nebenbei wird auch die Kritik an Die in Graz lebende Villacherin Melitta Heft bei Hüttenberg initiiert hatte. Zent- den politischen Verhältnissen mit einge- Moschik schuf gleich ganze Werkserien rales Zeichen ist für den Künstler aus packt. 1999, als Jörg Haider zum zweiten zum Thema Lagerung und Speicherung Klein St. Paul der Buchstabe Q, der für Mal Landeshauptmann in Kärnten wurde, von Produkten. Zuletzt in Kärnten zu sehen Quelle steht. Nicht nur verschiedene hatte die „Erste Kärntner Kurzschluss- waren 2011 etwa ihre Paletten mit Mine- Quellen für Wahrnehmung und Wirklich- handlung“ in der Klagenfurter 10.-Oktober- ralwasserflaschen im MMKK in Klagenfurt keit (Geschichtsquelle, Quelle im religiö- Straße Hochkonjunktur. Besonders erfolg-
Richard Klammers Stadt aus Getränkekisten war beim UNIKUM-Rundweg „Stadt unter“ in Klagenfurt ebenso zu sehen wie Uwe Bressniks Schallplatte. Fotos: UNIKUM/Maurer | K. Waldner | Gernot Fischer-Kondratovitchs "American Dream". Foto: G. Fischer-Kondratovitch/bildrecht.at reich waren die subversiven Aktionen Angebot des Benediktinermarktes mit gruppe Hochobir“ wie die Zwillingsbrüder »Haček (k)lebt« und die »Buhštabenzupe«. einem Sortiment geistig anregender Nah- Heiko und Uwe Bressnik, die man auch Der Supermarkt für kärntenkritische rung zu ergänzen“, erinnern sich die immer wieder bei UNIKUM-Aktionen erle- Kunstobjekte – von „Alles ist käuflich“ beiden UNIKUM-Macher Gerhard Pilgram ben kann. Mit seinen künstlerisch gestal- bis „Zweifel als Saatgut“ – wandte sich und Emil Krištof, die seit mehr als 30 teten Buch- und Plattencovers reiht sich (nicht nur, aber auch) an „LAUFKUND- Jahren als kulturelle Nahversorger im Uwe Bressnik durchaus in die ästhetische SCHAFT. Sie ist die wichtigste Zielgruppe Land tätig sind. Feilgeboten wurden in Inszenierung der Warenwelt ein – selbst der Kurzschluss-Handlung. Neugierige, den Stoffwechselstuben „Produkte zur wenn immer ein Schuss Ironie dabei ist. die auf die Lockangebote im Schaufenster Förderung des kulturellen Stoffwechsels“ Die lässt sich auch bei den Arbeiten des ansprechen, sind willkommen. Auch sol- – essbare Kunst, die die Kundschaft ein- Villachers Gernot Fischer-Kondratovitch che, die ihren Unmut oder ihre Feindse- lädt, „sich zu laben, zu gustieren und sich schwer übersehen: Mensch, Masse und ligkeit preisgeben. Denn die Kurzschluss- mit Vorräten an „eat art“ einzudecken.“ Konsum sind wiederkehrende Elemente Handlung versteht sich (auch) als Ort der Von Bella Ban über Cornelius Kolig bis seiner Malerei, maßloser Konsum wird Auseinandersetzung über das Wesen der Inge Vavra reichte die Palette der Zulie- als Freizeitbeschäftigung der Masse Kunst und über ihre Freiheit. Gesucht ferer. Auch die vorher bereits erwähnten gezeigt, in der das Individuum untergehen wird nach Antworten, ob und wie sich Kärntner Künstler Werner Hofmeister und muss. Aber auch als Aktionist konnte man Kunst im nicht-elitären öffentlichen Raum Ernst Logar steuerten Genüssliches bei. Fischer-Kondratovich unlängst erleben: verwirklichen lässt und welche Möglich- Bei der UNIKUM-Produktion „Flugschau/ keiten sie als Mittel politischer Einmi- Ebenso wie zwei weitere langjährige Mit- Pro Zraku“ im vergangenen Oktober am schung haben könnte“, (Gerhard Pilgram). arbeiter im Delikatess-Laden des UNIKUM: verwaisten Klagenfurter Flughafen, war Eine andere Einladung zum Konsumieren Richard Klammer, der nicht nur Trom- er einer jener Künstler*innen, die leer von Kunst war die Errichtung einer „Stoff- pete spielt und lateinamerikanische Fave- stehende Geschäftsflächen wieder zum wechselstube“ durch das UNIKUM 2007 las malt, sondern 2017 beim Kunstprojekt Leben erweckten. Was andernorts zu viel am Klagenfurter Benediktinermarkt und „Stadt unter“ auch eine konsumkritische ist, fehlte hier: Konsummöglichkeiten, am Alpe-Adria-Keramikmarkt in Villach. Arbeit direkt beim Radweg am Klagenfur- verlockende Schaufenster, Angebot und Die beiden Märkte ziehen Bürger*innen ter Lendkanal beisteuerte: Dort bildeten Nachfrage. Lust auf Shopping kann also aller sozialen Schichten an und machten bunte, leere Getränkekisten ein Hochhaus durchaus auch belebend sein. den jeweiligen Ort zum „melting pot“ der der künstlerischen Art – Mahnmal, Skulp- Stadt. „Die Aktion Stoffwechselstube war tur und Installation in einem. Klammer Im Geldregen ließ sich der Kärntner der Versuch, das vielfältige kulinarische ist ebenso Mitglied bei der „Kunstsport- Aktionskünstler Julius Deutschbauer 8 DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Christian Leitna: Essen ist fertig. Foto: Christian Leitna kultur.tipp ART oder artgerecht? Der Diskurs über nachhaltige Konsumformen füllt Bibliotheken bzw. Festplatten. Er bewegt sich im Wesentlichen zwischen drei Schwer- punkten: den Ansätzen des Maßhaltens, der sozial und ökologisch begründeten Konsumkri- tik und schließlich den Diskursen über alternati- ve Konsumformen. Letztere gehen häufig auf zivilgesellschaftliche Initiativen zurück, die Julius Deutschbauer im Geldregen und Ina Loitzls Videostill aus der Animation „money is beautiful“, dem „Kapitalismus“ und der Abhängigkeit von beide bei einer Ausstellung im Salzburger Traklhaus. Fotos: Traklhaus | I. Loitzl „Märkten“ etwas entgegensetzen wollen. Was davon ist artgerecht? Der Verzicht ist dem Menschen vertraut, war es doch entwicklungsgeschichtlich betrachtet über- lebensnotwendig, gut mit Mangel umzugehen. Die Kritik, also die Fähigkeiten zum Bestehen- den, zu Routinen und Verhältnissen in Differenz zu treten, ist noch viel mehr Wesensmerkmal des Menschen und unterscheidet ihn von ande- ren Säugetieren. Die Alternativen schließlich ver- weisen auf das spezifische Potenzial des Men- schen als „erster Freigelassener der Natur“ [J. G. Herder] immer wieder neu anzufangen, Welt und Gesellschaft zu verändern. Doch ist das „Ande- re“, das „Neue“, immer auch schon das Bessere im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung? kürzlich für eine Ausstellung im Salzbur- flächen von Waren und Gegenständen, die Do-it-yourself, kollaborativer Konsum, Repair- ger Traklhaus ablichten: „Schilling, Mark, die Welt in ein Davor und ein Dahinter Cafés heben die für die Industrialisierung typi- Dollar, Euro und ... Geld in der Kunst“ trennen. Verpackungskünstler Christo sche Trennung von Konsum und Produktion auf. nannte sich die Schau, bei der auch die hatte 1963 einen Supermarkt-Einkaufs- Der Gebrauchswert eines Gutes wird wichtiger Kärntner*innen Titanilla Eisenhart, wagen in goldene Folie gehüllt, ein Jahr als sein Tauschwert. Auch Sharing-Systeme, Michael Kos, Gudrun Kampl und Ina später neutrale Ladenfronten ausgestellt Talentetauschkreise, Kleiderkreisel usf. basieren Loitzl dabei waren. Letztere faltete etwa – das Nachdenken über Konsumwahn und auf diesen Prinzipien. Es wird deutlich, dass Kon- Geldscheine zu Papierfliegern und Sternen Massenästhetik ist kein Phänomen der sum weit über das Kaufen von Gütern hinaus- und karikierte damit böse und witzig das Gegenwart, scheint in der Vorweihnachts- geht – er umfasst auch das Nutzen, das Reparie- Träumen vom großen Gewinn. zeit mit ihrem kollektiven Kaufrausch ren, die Wartung, das Teilen und Tauschen. Dies Dass Kunst und Kommerz durchaus auch aber jedes Jahr aufs Neue nötig. Einer deutet auf eine Sehnsucht, der – vielleicht nicht ein fruchtbares Teamwork bilden können, Kunstszene, die Kunst zur Ware und das artgerechten – Anonymität industriekapitalisti- zeigte eine mittlerweile legendäre Werbe- Verständnis davon auf Konsum reduziert scher Marktformen etwas entgegenzusetzen. Konsum als ART – als Kunst denken? kampagne der Schuhfirma Humanic in hat, gebührt wohl eine so verwirrende Viele dieser alternativen Konsumformen gehen den 1970er Jahren: Von Roland Goeschl Aktion wie Banksys Schredder-Attacke. auf Praktiken früherer Zeiten zurück, gelten inte- und Richard Kriesche (beide in der Samm- Genaues Hin-sehen und Nach-denken ressanterweise dennoch aus verschiedenen lung Liaunig zu sehen) über H. C. Artmann, könnte die Irritation mildern. Oder ein Gründen als „modern“. Dies kann an der digita- Anselm Glück bis Otto M. Zykan und Axel Besuch im nächsten Museums-Shop. len Unterstützung liegen, ohne welche diese Corti wirkte die Crème de la Crème der ● Karin Waldner-Petutschnig Praktiken heute kaum denkbar wären. Die Digi- heimischen Avantgarde in den rund 50 (53) ist freie Kulturjournalistin in Klagenfurt. Neben ihrer talisierung trägt dazu bei, dass lokale Initiativen fast 30-jährigen Tätigkeit bei der „Kleinen Zeitung“, leite- TV-Werbespots mit, die Schuhe verkauf- te sie 12 Jahre den Carinthia-Verlag und drei Jahre das aus kleinen Nischen wachsen können. Sie beför- ten, aber Kunst zeigten. Museum Liaunig. dert also das Mehr und das Schneller – dies Es geht aber auch profaner: Wer sieht sie steht wiederum einer nachhaltigen Entwicklung beim Stichwort „Konsum“ nicht vor sich, entgegen. Vielleicht ist nachhaltiger Konsum die junge Audrey Hepburn mit sehnsüch- dann artgerecht wenn er die Anonymität des tigem Blick vor den Schaufenstern von Massenkonsums überwinden hilft und zur Ent- Tiffany‘s, die berühmten Campbell‘s Sup- schleunigung des Alltags beiträgt. pendosen von Andy Warhol, Daniel Spoer- ● Renate Hübner ris überquellende Esstische oder Marcel * 1963 in Zürich, studierte Wirtschaft und Sport in Wien, seit 2005 an der Universität Klagenfurt, Forschungs- Duchamps Schaufenster – Projektions- schwerpunkt: Nachhaltigkeit konkret
Spiel und Eigentum Über ökonomischen Ethos und den Warencharakter von Kunst. Konsumieren ist das Einfachste und nissen. Die Vorstellung, dass “mündige” Entzug. Verzehr und Ver- Nächste, das es gibt. „Wie am ersten Tag Konsument*innen durch persönliche, brauch sind die beiden seiner Erscheinung auf der Erdbühne, muss ethische oder rationale Kaufentscheidun- zentralen Begriffe des der Mensch noch jeden Tag konsumieren, gen dieses totale und totalitäre Konsu- Konsums. Wobei der Ver- bevor und während er produziert.” (Karl mieren steuern und dadurch humaner zehr die physiologische Marx, Das Kapital) Das aus dem Lateini- machen sollen, sind Gespenster die in Dimension desselben meint. schen entlehnte consumere bedeutet hier den Mauern der ökonomischen und gesell- Durch die Aufnahme von Nah- den allgemeinen menschlichen Verbrauch schaftlichen Machtverhältnisse gefangen rung und Flüssigkeit werden diese auf- und Verzehr. Marx unterscheidet in der bleiben. genommen und zum Verschwinden Folge zwischen einem notwendigen Kon- Für die Unternehmerin, den Unterneh- gebracht. Der Konsum von Luxusgütern sum und dem Luxus-Konsum. Wobei der mer sind immer die anderen die Konsu- wie Schmuck oder anderer Wertgegen- erste Gegenstände wie Nahrungsmittel ment*innen. Dagegen sind für ihn Marx stände lässt dieselben zwar materiell und auch den Tabak begreift, die vom folgend die eigenen Arbeiter*innen und intakt, aber auch diese werden durch den physiologischen Standpunkt aus notwen- Angestellten Produktionsmittel, die dem Kaufakt durch eine Person angeeignet. dig sind. Dagegen sind Luxus-Konsuma- Gesetz der Gewinnmaximierung unter- In beiden Fällen wird das Objekt der tionsmittel Waren, die nur gegen veraus- worfen sind. Diese daraus resultierende Allgemeinheit, dem Gebrauch durch ande- gabten Mehrwert umgesetzt werden und Logik einer Ökonomie des Sparens gilt re, entzogen. Dieser allgemeine Gebrauch daher genuin dem Arbeiter und der Arbei- aber nicht nur für privatwirtschaftliche ist der Gegenspieler des Verbrauchens terin nicht zukommen können. Vor dieser Unternehmen, sondern hat sich in fast und der Vernutzung. Folie lässt sich die Debatte über das allen Bereichen gesellschaftlicher Orga- Agamben folgend kann man sagen, dass Zurschaustellen von Luxusgütern, wie nisationen durchgesetzt. Universitäten, dieser “private” Entzug der in der Unmög- teuren Uhren und Sportwägen, durch Museen und Theater, die ihren Mitarbeiter- lichkeit des Benutzens durch die anderen Politiker*innen nuancierter lesen. Sym- *innen zum Beispiel nur den gesetzlich mündet, seinen topischen Ort im Museum bolisieren diese Konsumgegenstände ja garantierten Mindestlohn zahlen, folgen gefunden hat. Die Musealisierung der eine Klassenzugehörigkeit die jenseits der dem Ethos dieser Ökonomie. Gleichzeitig Gegenstände ist das Leitbild, die Kompli- Arbeiterklasse angesiedelt ist. sollen sie hohe Besucher*innenzahlen, zin und gleichzeitig sakrale Bestätigung und im besten Fall Investitionen von der Konsumgesellschaft. Der Begriff Muse- Mauern & Machtverhältnisse. Der Kon- privaten Gönner*innen generieren. Gelei- um meint aber hier “keinen physisch sum und dessen Repräsentation sind nicht tet werden diese Häuser häufig von determinierten Ort oder Raum, sondern eine unschuldig. Die Idee eines “reinen”, wert- Kulturmanager*innen. Hier zeigt sich, abgesonderte Dimension, in die verlegt wird, freien Verbrauchs beliebiger Gegenstän- dass die oder der kapitalistische Ma- was einst als wahr oder entscheidend emp- de entspricht nicht der gesellschaftlichen nager*in zum universalen Organisator funden wurde.” (Giorgio Agamben, Profa- Realität und deren Produktionsverhält- geworden ist. nierungen) Begreift man das Museum 10 DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Installation des französischen Künstlers Invader in London. Foto: Boris Manner Nahtstellen zwischen dem öffentlichen und privaten Raum in Klagenfurt. Foto: Gerhard Maurer auch als den ausgezeichneten Ort, an dem stand heftiger Debatten. Wolfgang Ullrich dem allgemeinen Gebrauch zur Verfügung Kunst sichtbar wird, so scheint es, dass diagnostizierte kürzlich in seinem Essay stehen, werden von Künstler*innen als die Hoffnung, dass gerade “die Kunst” in “Deko und Diskurs” ein Schisma in der Gestaltungsfolien für ihre Werke verwen- der Lage sein soll, das Prinzip von Konsum bildenden Kunst. Diese sei bereits in zwei det. Graffity-Künstler*innen bemalen und kritisch zu befragen und gar zu dekonst- unversöhnliche Bereiche auseinanderge- signieren U-Bahnzüge und Hausmauern. ruieren, vergeblich ist. fallen: „Auf der einen Seite Celebrity Culture, Der französische Künstler “Invader” appli- Doch das Museum ist, auch wenn es Markt, visuelle Unterhaltung, auf der ande- ziert seit 1998 seine Mosaike weltweit im manchmal den Anschein erweckt, nicht ren eine Idee von Kunst als Politik und öffentlichen Raum. Diese Eingriffe finden der einzige Ort an dem Kunst stattfinden Engagement, die nicht ganz frei ist von an einer Nahtstelle statt, an der sich der und erscheinen kann. Künstler*innen einem Übermaß an Moralismus und Wider- Konflikt zwischen dem allgemein Zugäng- haben immer wieder den Konflikt der sprüchen.” (Wolfgang Ullrich, Deko und lichen und dem durch Kauf entzogenen Konsum- und Gebrauchsdimension ihrer Diskurs) Folgt man diesem Argument, so Gegenstand zeigt. Graffity-Künstler*innen Werke reflektiert und sichtbar gemacht. hätte dies für die Betrachter*innen gra- werden häufig wegen Sachbeschädigung Franz West hat zum Beispiel ganze Grup- vierende Folgen. Der angemessene und oder Verunreinigung zur Verantwortung pen von Sofas hergestellt, unter anderem “artgerechte” Umgang mit Kunst wäre a gezogen. Das scheinbar Öffentliche zeigt auch eine Variation der Couch von Sig- priori unmöglich. Die Betrachter*innen sich dadurch als längst schon privatisiert mund Freud, die von den Ausstellungs- müssten in einem ersten Schritt klären, und dem Gebrauch entzogen. Durch diese besucher*innen ausdrücklich benutzt welchem der beiden Bereiche das in Fra- Strategien befragen Künstler*innen werden sollten. Genau dieser Umstand ge stehende Werk angehört um danach gleichzeitig den Status der eigenen Werke führte jedoch bei Präsentation derselben adäquat reagierend vollziehen oder kon- und den Status der Gegenstände im öffent- im musealen Rahmen immer wieder zu sumieren zu können. Kunstmagazine, lichen Raum. Durch deren Interventionen Problemen, da in diesem Kontext ja gera- Ausstellungshäuser oder Museen versu- geben sie das uns durch Privation Entzo- de die Unmöglichkeit des Wohnens und chen zwar immer noch die bereits getrenn- gene in einem spielerischen Akt zu einem Benutzens ausgestellt wird. Die Distanz ten Bereiche gemeinsam vor- und auszu- symbolischen Gebrauch zurück. der Besucher*innen zu den ausgestellten stellen, aber die Frage nach der ange- ● Boris Manner Werken ist in der Regel eine conditio sine messenen Einstellung der Rezipient- geboren in Völkermarkt, studierte Philosophie in Wien. Ausbildung im Kulturmanagement an der damaligen qua non. *innen zum jeweiligen konkreten Werk Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Kuratierte wird dadurch für diese nicht beantwortet. Ausstellungen in Moskau, Venedig, Istanbul für die Stella Art Foundation/Moskau. Unterrichtet seit 2001 an der Deko und Diskurs. Die Frage, ob der Universität für angewandte Kunst in Wien. Zweck des Kunstwerkes sich in seinem Nahtstellen. Der Status und die Funktion Warencharakter erfüllt und dadurch zu von Kunst entscheiden sich vielleicht an einem beliebigen und austauschbaren einer anderen Stelle. Plätze, Straßen und Gegenstand wird, ist immer wieder Gegen- Fassaden von Gebäuden, die scheinbar
Kunst um der Kunst willen Der 2004 verstorbene Dadaist Viktor Rogy war einer der letzten Künstler*innen, die sich dem Gedanken an die Verwertbarkeit ihrer Kunst konsequent entsagten. Kunst ohne Konsum ist heute schwer denkbar. Aber es gibt Nischen. Picknick bei Viktor. Als sich ten, als lebten sie nicht in einem System, der Straße kreuzbrave Bürgersleute durch vor ein paar Jahren im Juli das Kunstschaffenden gegen ein paar die Glasfront spähten, um zu sehen, wer Viktor Rogys Geburtstag zum 90. kleine Zugeständnisse an Mode und Mehr- denn ein Lokal besucht, an dessen Außen- Mal jährte, lud Bella Ban Freunde an sein heitsgeschmack geräumige Spielräume front ein Familienfoto von Kanzler und Grab in Arnoldstein. Primus Sitter und und materielles Auskommen verspricht. Minister*innen klebt, mit aufgemalten Richie Klammer geigten auf, dazu gab es L’art pour l’art? Hitlerbärten. reichlich zu Essen und zu Trinken. „Pick- Was von Rogy nicht bleibt: Eine sicht- nick bei Viktor“ nannte Ban die Sause für Kunst lässt sich im 21. Jahrhundert ohne bare Würdigung des Künstlers, der es ihren 2004 verstorbenen Lebensgefährten. Kapitalismus kaum denken – mögen die immerhin einst auf die Seite eins der New Die Künstlerin ist überzeugt: Wäre Rogy Kunstschaffenden ihn noch so verteufeln York Times geschafft hat. Nicht einmal noch am Leben gewesen, hätte er den und ihre Werke trotzig schreddern. Kapi- einen Wikipedia-Artikel gibt es über den Trubel gewiss abgelehnt. „Aber gefreut talismuskritik ist vom Kapitalismus ein- Ausnahmekünstler, der nicht nur aber hätte er sich trotzdem.“ Es sei ja auch gepreist und steigert den Verkaufswert. auch deshalb eine Ausnahme war, weil er nicht so, dass der wortgewaltige Dadaist Auch Kunst wird konsumiert. sich dem Verwertbarkeitsdenken, das der und Bildhauer sozusagen sui generis gegen Kapitalismus in die Kunst grätscht, kon- Anerkennung und Wohlstand gewesen In seinen letzten Lebensjahren lebten Rogy sequent entsagt hat. wäre; Annehmlichkeiten eines Künstler- und Ban auf zwei Zimmern in einem lebens, die außer Rogy keiner in seiner kleinen Gartenhäuschen, das Maria Lass- All you can. Wohl aber gibt es Nischen Liga gegen Lebensende hin entbehren nig gehörte. Einer der wirkmächtigsten für Kunstschaffende, die sich dem Gesetz musste. „Er hätte damit kein Problem Künstler des Landes starb bettelarm. Was von Angebot und Nachfrage zumindest gehabt“, sagt Ban. Es wäre ihm bloß er seiner Gefährtin Bella Ban hinterließ, ansatzweise widersetzen. Dazu gehört wesensfremd gewesen, sich für „Reich- war ein so umfangreiches Werk, dass sie zum Beispiel ein Herzensprojekt der dumm“ zu erniedrigen. Und wäre es nur heute noch damit zu tun hat, es zu sortie- Kärntner Autorin Natalie Deewan. Wie die Erniedrigung, ein paar Minuten lang ren: Plastiken, Installationen, Fotos, hun- Ban und Rogy ist auch sie Lokalbetreibe- den Mund zu halten, wenn wieder ein derte Zettel mit Rogy-Gedanken. Zudem rin. Vor 13 Jahren gründete sie den Wie- „falscher Mensch“ zu dozieren anhob. bleiben mündliche Erzählungen von dem ner Deewan, ein kleines Restaurant unweit Dummerweise erwiesen sich die Falschen alten Mann mit Hut, Dreiteiler und Char- der Hauptbibliothek, das keine Preise oft als die Wichtigen. „Viktor war ein lie-Chaplin-Bärtchen, der im längst ver- kennt. „All you can eat, pay as you wish“, Donnerwetter. Er hat viele vergrault, die wichenen Klagenfurter Café OM mit gro- lautet das Deewan-Prinzip. Heißt: Gäste ihn hätten pushen können“, sagt Ban. ßer Geste Rotwein in Gläsern ohne Stiel bedienen sich nach Herzenslust am Buffet Damit gehörte er zu den aussterbenden kredenzte und in heiligem Zorn auf die und zahlen dafür, was es ihnen wert ist Exemplaren seiner Zunft, die sich verhal- Politik schimpfte, während draußen auf – oder was sie dafür zahlen können. Auf 12 DIE BRÜCKE Nr. 10 | Brückengeneration 5
Gernot Fischer-Kondratovitch: Installation | 3D-Figur, Gold, Pelz, Tierpräparate, 2015. Foto: GFK|bildrecht.at Natalie Deewan. Foto: Elln Riedinger | Bella Ban & Victor Rogy. Foto: Astrid Bartl welter.skelter Bella Ban – Portrait Viktor Rogy, Bronze, 1989 od. 88. Foto: Bella Ban Tirili und Tirila ... ... Weihnachten ist wieder da. Die Glöckchen bimmeln, die Blockflöten werden gespielt und froh stimmende Lieder gesungen. Der wohlige Duft von selbst gebackenen Keksen – freilich nach einem Geheimrezept der lieben Oma, die, wenn sie nicht schon unter der Erde liegt, im Schaukelstuhl wippend dem emsigen Treiben im festlich geschmückten Hause beiwohnt – sowie der süßliche Geruch von gebratenen Äpfeln legen sich über das friedliche Land. Mit roten Bäckchen vergnügen sich die Kinder im Schnee. Sie johlen und jauchzen vor lauter Glück. Da spielt es auch keine Rolle, wenn einer mal mit der Rodel in einen Baum kracht und sich dabei einen offenen Oberschenkel- bruch zuzieht. Sei’s drum. Der Vater ist zur Abwechslung daheim, während die Mutter, einem göttlichen Wunder gleich, von Migräne die Idee kam die Künstlerin gemeinsam das auszubalancieren.“ Am Ende versucht und Trübsal verschont bleibt. So schön. Alles. mit ihrem Kompanion Afzaal Deewan, sie wie die meisten, sich selbst treu zu Doch noch weiß keiner, ob dieser schönste aller damals Asylwerber aus Pakistan. „Wir bleiben. Die Autorin und Restaurantbesit- Tage später einmal als Sieg oder Niederlage wollten Arbeitsplätze für Asylwerber*innen zerin hat dazu eine gewitzte Strategie verbucht werden kann. Denn die gleich folgen- schaffen, die in Österreich keinen regulä- gefunden. de, unvermeidliche Bescherung erweist sich ein- ren Job annehmen können“, sagt Deewan. mal mehr als härteste Schlacht im Kampf der Und zugleich ein Angebot schaffen, das Diese Gewitztheit im Umgang mit den Klassen, und das Fest der Liebe als erneuter kein gewöhnliches Angebot ist. „Wer Umständen haben Rogy und Ban nicht Siegeszug eines alles niederwalzenden Kapita- überhaupt kein Geld hat, ist halt herzlich aufgebracht. Das Café OM musste nach lismus. Die Blockflöten werden ja nur gespielt, eingeladen“, sagt Deewan. Andere zahlen allerhand behördlicher Beschwernisse weil es den Kindern von idiotischen Lehrer- dafür mehr, am Ende rentiert sich das schon vor etlichen Jahren seine Pforten *innen aufgetragen wurde, und die Lieder nur Geschäft und alle können davon leben. schließen, heute residiert dort ein Friseur- gesungen, weil es der lieben Oma so gefällt. Überhaupt kann den kleinen Rackern im Grunde Afzaal Deewan wollte sich von der salon. Ban bereitet für kommendes Jahr der ganze Schmus mit Weihnachtsbaum und Marktwirtschaft westlicher Prägung nicht eine Rogy-Ausstellung vor, 15 Jahre nach blöden Äpfeln gestohlen bleiben. Nur die harten verrückt machen lassen. Lieber hielt er seinem Tod soll der Künstler die Anerken- Fakten entscheiden über Sieg oder Niederlage: es so wie in seiner Heimat Pakistan, wo nung bekommen, die ihm zeitlebens ver- Habe ich bekommen, was ich mir gewünscht er einst als Fernsehtechniker arbeitete. wehrt blieb – was er mit Würde trug. habe, oder nicht? Weihnachten ohne entspre- Wenn seine Leistung eigentlich 4000 Einmal, erzählt Ban, seien die beiden in chendes Kleingeld ist im besten Fall sehr bitter. Rupien wert war, seine Kund*innen aber eine Nachmittagsvorstellung von „Laurel Die Augen der Kinder werden nicht leuchten, nur 2000 hatten, nahm er eben, was sie und Hardy“ ins Kino gegangen. Beide der Vater wird sehr bald schon zum Schnaps ihm geben konnten. hatten sich in Schale geworfen und saßen greifen, die Mutter wieder über Kopfweh klagen, in der ersten Reihe vor der Leinwand. Als die Oma in ihrem Schaukelstuhl verstummen Natalie Deewan würde mit ihrem Projekt Rogy mit Popcorn raschelte, rügte ihn und überhaupt wird eine weitere Schlacht im gerne eine Diskussion über ein seine Frau: „Pscht.“ Dann raschelte Ban harten Kampf ums Kapital verloren sein. bedingungsloses Grundeinkommen und Rogy wurde ernst: „Pscht.“ Schließlich Es soll aber, da und dort, Menschen geben, die anstoßen, sie will ein Statement in die blickten sie sich um und erkannten, dass das heilige Fest ganz ohne Hamsterkäufe bei Welt setzen. Wie Rogy macht sie keinen sie sie einzigen im Kino waren. Sie genüg- Amazon, H&M oder Swarovski begehen. Ich Unterschied zwischen Kunst und Leben. ten einander. weiß nicht, ob das stimmt, aber alleine der Am Ende ist alles eins. Wenn die Autorin ● Wolfgang Rössler Gedanke daran hat etwas Tröstliches. eine Lesung hält, dann am liebsten in 38, aus Steindorf am Ossiacher See, lebt in Wien, ● Oliver Welter ist Korrespondent der NZZ am Sonntag. Musiker, Schauspieler und Autor. Geboren in Klagenfurt, ihrem eigenen Lokal. Ist sie dann Künst- lebt in Klagenfurt und Innsbruck, stirbt vermutlich in lerin? Oder Unternehmerin? „Ich versuche, Klagenfurt oder Innsbruck oder gar nicht.
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