Multi.kulti.viert - Kulturchannel
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Nr. 6 | Brückengeneration 5 | April·Mai 2018 | Euro 5,50 Österreichische Post AG PZ16Z040851P Amt der Kärntner Landesregierung Abteilung 6 – Unterabteilung Kunst und Kultur Burggasse 8, 9021 Klagenfurt multi.kulti.viert Brü·cke, die = eine Übersetzung www.bruecke.ktn.gv.at
Foto: Ulli Sturm Julia Uranschek: Bombenkopf, 2016. vorort Ein Ratespiel: Wem könnte man wohl folgendes Zitat zuschreiben? „Diejenigen, die hierher kom- men, sind im Allgemeinen von der ignorantesten, dümmsten Sorte ihrer Nation.“ Vielleicht einer populismusanfälligen, jungen Globalisierungsver- liererin angesichts der aktuellen Flüchtlingsströ- me? Oder einem himmelblauen Austro-Staats- mann über die türkische Zuwanderungsgemein- schaft in Wien? Fast. Es stammt aus dem Jahre 1753 und aus dem Munde von Benjamin Frank- lin, einem der Gründerväter der Vereinigten Staaten. Er verschriftlichte die- se schmähliche Einschätzung anlässlich der deutschen Masseneinwanderung. So wie man- che heute Angst und Hatz gegen bestimmte Menschengruppen schüren, wetterte Franklin gegen unsere Vorfahr*innen: „Warum sollte Pennsylvania, gegründet von den Engländern, eine Kolonie der Fremden werden, die in Kürze so zahlreich sein werden, dass sie uns germani- sieren, anstatt dass wir sie anglisieren?“ In Gazetten um die letzte Jahrhundertwende ist nachzulesen, dass speziell die österreichischen Werner Hofmeister: „Krone“ aus der Werkgruppe Einwanderer*innen mit energischen Vorurteilen „Das Gold der Tycoon“, 2017/2018. Foto: Ferdinand Neumüller zu kämpfen hatten. Sie galten als „dirty immi- grants“, als „ungebildete Bauerntölpel“ und Menschen „ohne Kultur & Anstand“.1 Kommt krone uns das aktuell und bekannt vor? Völkerwanderung ist so alt wie die nomadische ... für Donald Trump Menschheit. Von den antiken bis zu den heuti- Die Krone, der gediegene Kranz für Ehre, Würde oder Sieg, ziert das Haupt von Ausge- gen Barbaren ... quer durch die Weltgeschichte zeichneten. Die Krone, ein überaus edler und kostbarer Kopfschmuck, ist die Insignie für winkt und wirkt die Angst, die eigene Kultur – Herrscherwürde, die Prämiierung von Siegern und das Symbol für Unantastbarkeit und und damit auch man selbst – werde von den Unverletzlichkeit. Gekrönt werden die, die auf dem Gipfel stehen, bzw. die Größten: anderen überrannt und abgeschafft. Haben Sie Fürsten, Könige, Kaiser, Päpste. Ihnen wird die Krone aufgesetzt. manchmal auch stille Furcht oder heimliche Befangenheiten, die unreflektiert aufbegehren, Werner Hofmeister stellt eine Krone für den Twitterkönig (oder Twitterkaiser?) vor. als ungewollte Erstgedanken oder -gefühle ... Unübertroffen in der Kunst, die Geschwätzigkeit auf ihre Gipfel zu treiben, verstärkt der vielleicht dann, wenn uns um 11 Uhr nachts ein Twitterkönig unaufhörlich das Echo, das nach dem Echo ruft: „Fake news!“ Der Widerhall junger Afrikaner in einer dunklen, schmalen Vil- in den Echokammern der digitalen Medien potenziert sich durch sich selbst. Das Wort, lacher Altstadtgasse begegnet? Ein kurzes das Zeichen, das Bild wird zum Sinneskitzel vernutzt. Unwohlsein, quasi aus dem Affekt, bevor uns unsere Toleranz wieder zur Räson bringt? Und Das setzt den Verhältnissen die Krone auf! wie erginge es wohl Ihnen und mir, wenn wir uns fern abseits touristisch erschlossener ● Werner Hofmeister Gegenden z.B. allein auf einem Wochenmarkt * 1951 in Klein Sankt Paul, freischaffender Konzeptkünstler und Gründer des Museums für Quellenkultur, www.qnstort.at im Oman wiederfänden? Würde es sich gleich anfühlen, wie am Klagenfurter Benediktiner- markt? Und wenn nicht, wie würde es sich dann Cover: Gernot Fischer-Kondratovitch: Orient Großglocknerrausch, 2014, Acryl auf Kunst-Teppich, anfühlen, und warum ... und wie geht man dann 280 x 380 cm | „Der Teppich vor dem Fernseher, im Wohnzimmer; Bilder aus dem Fernseher, der als aufgeklärtes, tolerantes Menschenkind am weiten Welt – Altes, Digitalisiertes, Fernes, Exotisches, Propagandistisches, Illusionistisches, besten mit diesen Gefühlen um? Heimatliches auf einen Gebrauchsgegenstand gemalt, der somit zu einem Kunstwerk wird ...“ | 1918 ... 1938 ... 2018 ... da stehen wir nun, Gernot Fischer-Kondratovitch, bildender Künstler und Musiker: „Franz from Austria“, geb. 1968 in als kollektiver Tor und sind so gescheit, Villach, studierte Kunst in Caracas/Venezuela, Salzburg (Mozarteum) und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland (Österreich, Kuba, Russland, wie nie zuvor. Gailtaler Zeitbilder 1 Deutschland, Italien ...). Der Künstler lebt und arbeitet in Wien und Villach, ebendort seit 2014 im ● Gabbi Hochsteiner Haus der künstlerischen Begegnung im ehemaligen Atelier von Hans Bischofshausen. Chefredaktion DIE BRÜCKE Foto: Gernot Fischer-Kondratovitch
BRÜCKEN.BOGEN 2 vorort. Gabbi Hochsteiner DIE JUNI-JULI BRÜCKE Eine Krone für Donald Trump. Werner Hofmeister wird u.a. über den Bachmann-Preis 2018 berichten. Nachdem die 4 Werkstättengespräch: Simon Kravagna. Journalismus mit scharf. Gabbi Hochsteiner Informationen dazu am 4. Juni öffentlich bekannt gemacht werden, 6 Crossing the Bridge. Vom Weggehen und Ankommen. Karin Waldner-Petutschnig erscheint DIE BRÜCKE darauf 11 biotop. Ein offener Ort der Forschung. Lukas Hutter rücksichtnehmend ebenfalls erst an diesem Tag. 12 ORIENTierung. Muslimisch leben in Kärnten. Jasmin Donlic 13 welter.skelter. The world is my oyster. Oliver Welter 14 Künstlerisches Minimundus. Die Welt zu Gast im Stadttheater. Sabina Zwitter Grilc 15 artist.in.residence. Perspektivwechsel im ART SPACE stift millstatt. Andrea K. Schlehwein 16 Sehnsucht und Verdacht. Versuch über Fremdes. Reinhard Kacianka 17 Die Opferrolle glaubt uns keiner mehr. Der KSŠŠD. Wolfgang Rössler 18 Gedankliche Grenzüberschreitungen. Ein BRÜCKE-Gespräch mit Elisabeth und Bertram Karl Steiner. Wilhelm Huber 21 kultur.politik. Symposium: Kultur braucht Synergie. Lukas Vejnik 22 kari.cartoon. Heinz Ortner | Astrid Langer 23 Kulturtourismus in den Nockbergen. Teil 1: Die art-lodge. Barbara Wedenigg 24 Philipp Doboczky. Ein Portrait über den, der keines will. Lisa Maria Omelko 25 Who ... is Lili? Zur künstlerischen Arbeit von Judith Lava. David Hebenstreit 26 Henri Matisse – Sebastian Isepp – Werner Berg. Eine Auswahl aktueller Ausstellungen. Sabine Weyrer 28 Lebenssee – zum See(le)nwerk von Walter Pilar. Ein Nachruf. Georg Mitsche 29 Es lebe die Malerei. Peter Krawagna. Alexander Widner 30 edition B kunst.aus.druck. Elisabeth Wedenig. Nora Leitgeb extra.blatt. Kunstdruck „Die fremde Hündin unterm dunklen Mond“ 32 Vergessene KultKärntner*innen. Robert Osler-Toptani. Bernhard Brudermann 33 Die Landler in Siebenbürgen. Marlene Petritsch 34 Ephesos – eine Rückkehr. Antikes zwischen den Fingern. Sabine Ladstätter 35 atom.kraft.akt. Macht Schwerter zu Pflugscharen. Horst Brudermann 36 vorlese.prvo branje. Lilian Faschinger | Cvetka Lipuš 38 buch.tipps. Lesen Sie gefälligst! 40 musik.tipps. Das Beste … steht nicht in den Noten. 41 seite.ohne.namen. Zwei Kärntner in Wien. Barbara Schurz und Hosea Rotschiller. Michael Herzog 42 horizonte. 12 Seiten Kulturveranstaltungen und Infos. 43 da.schau.her. Edgar Knoop. Magdalena Felice 45 denk.mal. Klagenfurts jüdischer Friedhof. Geraldine Klever 47 kultur.tipp. Auftaktveranstaltung zur Landesausstellung. Barbara Wedenigg 49 kinder.kulturtipp. Hut, Mut und Musil. Andrea Kirchmeir 53 kultur.werkstatt. Holzmonumente. 54 kino & film.tipps. UND Der BRÜCKE-Kulturkalender als Beilage. Ein Augenblick Brücke* Drei Stühle Pigmentprint, 2013 125 x 160 cm ● Konrad Strutz geb. 1979 in Lippitzbach/Ruden, ist bildender Künstler und Lehrender an der Universität für angewandte Kunst Wien. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Verbindung von Fotografie und Skulptur. Eigens konstruierte Objekte, Räume und Apparaturen erzeugen Abbildungen jenseits gewohnter Bildhierarchien. www.konradstrutz.com Foto: Konrad Strutz Aktuelle Ausstellungsbeteiligung: Understanding Art & Research | DSA Gallery Dunedin, NZ | 12. April – 11. Mai * Fotoserie nach einer Idee von Stefanie Grüssl. DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18 3
Werkstättengespräch „Journalismus mit scharf“ Simon Kravagna, der Gründer des Multikulti-Magazins biber, über wunde Migrationspunkte, Befreiungsschläge und die Hoffnung, dass unsere Debatte um die „Willkommenskultur“ in 300 Jahren auch nur ein kleiner Wikipedia-Eintrag sein wird. Zu Beginn ein kleiner zoo- auf unsere Zeit und ihre Migrations-Themen ablegende, lesbische Austro-Türkin, über logischer Streifzug zu den und Antithemen zurückblickt ... was könnte den heimlichen „Abtreibungs-Tourismus“ Verhaltensweisen des Bibers: dieser Jemand wohl darüber sagen? zwischen Polen und Wien, über Sex im Islam „Die Reviergrenzen werden mit Ich habe gerade nachgeschaut. Vor 300 und die „Sure der Leidenschaft“ und es dem sogenannten Bibergeil, einem Jahren, im Jahr 1718, wurde der Venezi- war das erste Heft in Österreich, das eine öligen Sekret aus einer Drüse im Afterbe- anisch-Österreichische Türkenkrieg Burkini-Trägerin auf dem Cover abgedruckt reich, markiert und gegen Eindringlinge beendet. Wer erinnert sich daran noch? hat. – Dieser zutiefst gesellschaftspolitische verteidigt.“ [Wikipedia] – Lassen sich In 300 Jahren wird unsere Debatte um die „Journalismus mit scharf“ erklimmt die Parallelen zu humanoiden Säugetieren „Willkommenskultur“ auch nur ein kleiner Scoville-Skala. Dieses Tabus und Bruch- herstellen? Wikipedia-Eintrag sein. Aber wenn wir stellen der Gesellschaft ausloten und über- Nur die Österreicher*innen assoziieren wahnsinnig viel Glück haben, dann hat winden macht Sie auch zu einem Brücken- „biber“ mit dem sympathischen Nagetier. sich die enorme globale Kluft zwischen bauer. Wo stoßen das biber und die Auf Türkisch steht „biber“ für „Pfefferoni, Arm und Reich im Jahr 2318 völlig journalistische Arbeit an Grenzen? scharfe Paprika“ und im Serbokroatischen geschlossen, die Kriege sind auf der gan- Jetzt bin ich gerade klüger geworden, weil für „Pfeffer“ oder „etwas Scharfes“. Wir zen Welt beendet und Syrer*innen, ich herausgefunden habe, dass die Scovil- haben bei der Magazin-Gründung einen Iraker*innen und Afghan*innen kommen le-Skala eine Skala zur Abschätzung der Namen gewählt, der in mehreren Zielgrup- mit viel Geld nach Kärnten, um am Nass- Schärfe von Früchten der Paprikapflanze pen funktioniert. Wenn ich aber in einem feld zu Snowboarden oder im Wörthersee ist. Danke BRÜCKE! Artikel lese, dass Biber wieder die trans- zu planschen. Wir wiederum gehen fried- Unsere Story „Sex im Islam: Die Sure sibirische Eisenbahn lahm gelegt haben, lich am Hindukusch wandern oder genie- der Leidenschaft“ hat uns nicht nur viel dann muss ich oft schmunzeln und denke ßen einen Çay in einer Bar in Damaskus. Lob, sondern auch den Einbau einer teuren mir: „Wow – was wir alles machen!“ Sicherheitstür eingebracht, weil wir ernst- Mit dem biber haben Sie im raschelnden haft von Salafist*innen und Islamist*innen Sind Multikulti-Gesellschaften in erster Linie Wiener Blätterwald ein Pionierprojekt ver- bedroht wurden. Das war nicht wirklich eine anzustrebende Bereicherung oder eher wirklicht: Österreichs erstes Magazin mit angenehm. Es stellt sich nach solchen das Ergebnis wahrgenommener, solidari- einer jungen Multikulti-Redaktion, die über Erlebnissen schon die Frage, wie weit man scher Verantwortung? und aus den multiethnischen Gemeinschaften journalistisch geht und welche Folgen Migration bringt nicht nur Vielfalt und in unserem Land berichtet. Welche Aufgaben man in Kauf nimmt. Grundsätzlich ist Bereicherung, sondern auch jede Menge und Funktionen hat die Zeitschrift? Ist biber unser „Journalismus mit scharf“ aber an Konflikten und Problemen. Es gibt hier auch ein Integrationsprojekt? sicher nicht durch kleine, radikalisierte kein „gut“ oder „schlecht“. Die Frage ist, Wir selbst haben uns nie als Integra- Gruppen bedroht, sondern durch die tur- ob in einer Gesellschaft die Folgen von tionsprojekt verstanden, sondern als bokapitalistische Digitalisierung und Flucht und Migration unterm Strich als neues Medienprojekt für „Neue Öster- Dominanz von Facebook, Google und Co, bereichernd oder als belastend empfunden reicher*innen“. Ich glaube, dies wird auch die immer mehr Werbegelder absorbieren werden. In New York wird dies wohl in der Medienbranche so gesehen. Tat- und damit unsere ökonomische Basis anders gesehen als in anderen Städten sächlich leisten wir aber auch konkrete unterlaufen. Also bitte: Unser „Zahl-soviel- der Welt. Ich lebe und erlebe mit unserem Integrationsarbeit weil wir nicht nur über du-willst-Abo“ bestellen! multiethnischen Team Migration klar als die Welt schreiben, sondern diese auch Bereicherung und wir machen gemeinsam verbessern wollen. Wir schicken etwa Wer sind die interessantesten Kritiker*innen etwas Innovatives im Medienbereich dar- unsere Redakteur*innen viele Wochen im und was haben diese zu sagen? aus. Ich billige aber Menschen zu, dies in Jahr in Wiener Brennpunktschulen, um Momentan sind die Kritiker*innen eher ihrem jeweiligen Lebensumfeld auch jungen Migrantenkids zu vermitteln, dass leise. Ich glaube, dies hat damit zu tun, anders zu sehen. Derzeit ist die skeptische sie eine Zukunft in Österreich haben. Seit dass wir recht oft journalistische Preise bis abwehrende Haltung klar dominant. der Flüchtlingskrise geben wir auch mehr- gewinnen und vielleicht wirklich mehr Die Mehrheit der Bevölkerung sieht vor monatige Qualifizierungskurse für Asyl- echten Journalismus machen als früher. allem Probleme und hohe Kosten. Das ist berechtigte aus dem Medien- und Kom- Früher waren wir lockerer aber sicher aber eigentlich nichts Neues. Selten wur- munikationsbereich. auch deutlich weniger reflektiert in den Einwanderungswellen nur positiv Sprache und Covergestaltung. gesehen – auch nicht in klassischen Sie legen die nach den Innenverhältnissen Einwanderungsländern wie den USA. suchenden Finger auf alle nur ertastbaren biber bemächtigt sich der Alltagssprach- wunden Punkte, die wohl auch die wesent- Kulturen, reizt die Grenzen der politischen Als Bestandsaufnahme unserer Kultur: Wenn ein Jemand aus Reportageformat über eine Hadsch nach Tschuschen, Jugos und Kanaken schreibt dem Jahr 2318 auf unseren Breitengrad, Mekka oder über eine ihr Kopftuch ... womit wir auch bei der guten, alten Moral 4 DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18
Österreichische Post AG; MZ 09Z038106 M; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien Simon Kravagna, geb. 1971, aufgewachsen in S DI C T 01 MIT SCHARF E ER W H I O 7/1 Krumpendorf, Sohn des Ehepaares IN O N 8 T O L 2 NEWCOMER Dorli und Peter Krawagna | Studium der Politikwissenschaft, Jus und Volkswirtschaft in www.dasbiber.at Wien und Los Angeles | gegenwärtig Wahlwiener DIE LETZTEN mit Kärntner Migrationshintergrund | Gründer ÖSTERREICHER AFGHANINNEN und Chefredakteur des Magazins biber, einem ÜBER TABUS ZU DICK FÜR Vor- und Wegbereiter in der österreichischen + DIE LIEBE Medienlandschaft: Die seit 2006 erscheinende, N WI N transkulturelle Zeitschrift mit Kultcharakter GE RA F E RA wird mittlerweile 7 Mal pro Jahr in einer Auflage CA MO T S IC E T K von 85.000 Stück in erster Linie von und für BETEN & Migrant*innen der zweiten und dritten Genera- tion herausgegeben – und genauso für Öster- SAUFEN reicher*innen, die sich dafür interessieren, wie jene leben und denken. biber wurde 2011 zum ZWISCHEN GLAUBE UND VERSUCHUNG besten Gratismagazin des Landes gekürt, mittlerweile gibt es auch das „Zahl-soviel- du-willst-Abo“. Was im Deutschen den „König P.b.b., Verlagspostamt 1070, Vetragsnummer 09Z038106 M www.dasbiber.at APRIL 2016 der Pelztiere“ bezeichnet, heißt im Türkischen „Pfefferoni/scharfe Paprika“ und im Serbo- kroatischen „Pfeffer“ oder „etwas Scharfes“. www.dasbiber.at Foto: Marko Mestrovic + HÄUPL TEILT AUS + GRISS IN ZAHLEN + TRANSFRAU AUS SYRIEN / MIT SCHARF / 1 angekommen wären ... bei der richtigen und Wie herausfordernd ist es, den Mittelweg Was macht Migration mit unseren Lebens- der falschen ... und ihren Apostel*innen auszubalancieren zwischen diskriminieren- welten? Was bringen die Menschen aus ihren – wie geht‘s Ihnen damit? den Brett-vorm-Kopf-Ideologien und der Kulturen mit in unser Alltagsleben? Was Wir haben Begriffe wie „Tschusch“ und Kehrseite, auf der jede Kritik an anderen hat bereits Selbstverständlichkeit, Akzeptanz „Jugos“ in der Gründer-Zeit von biber Kulturen, auch wenn diese Vollverschleie- und positive Emotion erlangt? Ich denke verwendet. Es war sozusagen die selbst- rung und Genitalverstümmelung postulie- z.B. an Kebab-Läden, die zumeist nicht mehr bestimmte und selbstbewusste Rückerobe- ren, rassistisch und rechts ist? als „fremd“ empfunden werden ... rung von diskriminierenden Begriffen Es ist sicher eine interessante Frage, Unsere bosnischen Mitarbeiter*innen durch unsere Jung-Redakteur*innen und wie universal Menschenrechte westlich- sind immer entsetzt, wenn die syrischen Autor*innen mit ex-jugoslawischem oder demokratischer Prägung sind. Klar ist Kolleg*innen sie als „echte“ Öster- türkischem Background. Dafür haben wir aber, dass sie hier bei uns in Europa reicher*innen sehen. So schnell wird man viel Kritik einstecken müssen. Es war gelten und nicht kulturell relativierbar von den Neuankömmlingen austrifiziert. aber, glaube ich, eine wichtige Art von sind. Ich halte sogar das Burka-Verbot für Das ganz Fremde lässt das nicht ganz so Befreiungsschlag, der mal Luft gemacht symbolisch wichtig und das Verbot von Fremde plötzlich heimisch erscheinen. und rassistischen Begriffen ihre verlet- Genitalverstümmelung sowieso. Die poli- Wer weiß, wer nach den Syrer*innen oder zende Wirkung genommen hat. tische Linke hat in den letzten Jahren den Afghan*innen zu uns kommen wird? Die Fehler gemacht, sich vor lauter Fokussie- Einflüsse sind dann oft gar nicht mehr Ertappen Sie sich selbst ab und an dabei, rung auf Minderheiten und deren – oft wirklich sichtbar, sie zählen plötzlich ganz ein Vorurteil gegenüber „jemandem oder durchaus berechtigte – Anliegen das selbstverständlich zur Alltagskultur. etwas Fremdem“ zu haben? große Bild aus den Augen zu verlieren Trotzdem ist es immer legitim zu fragen: Ja, das Problem ist ja, dass Vorurteile und irgendwie das Gespür für viele Men- Bringt die kulturelle Vielfalt auch eine sich auch manchmal bewahrheiten. Ich schen zu verlieren. Jetzt müssen wir mit Bereicherung mit oder nur Konflikte? Gera- möchte nur ein kleines Beispiel nennen: den Folgen leben: Die politische Rechte de in Kärnten gibt es unglaublich viele Wenn wir mit Kolleg*innen aus dem räumt fast in ganz Europa bei den Wahlen zivilgesellschaftliche Initiativen, die um arabischen Raum arbeiten, dann wissen ab. Gleichzeitig gibt es auch Fortschritte: die Integration von Flüchtlingen kämpfen wir, dass diese ein anderes Gefühl von Offener Rassismus ist allgemein politisch – auch in meinem Heimatort Krumpendorf. Deadlines, Zeit und Terminen haben. geächtet. Meistens ist das jedenfalls so. Aber eben (Wie) Hat Sie Ihre Kärntner Herkunft nicht immer. Und so habe ich es mir Dürfte die FPÖ ihre substanziellen D iskurse geprägt? antrainiert, bei Treffen mit unseren syri- wie „Mehr Mut für unser Wiener Blut“ oder Offenbar sehr, weil es mich immer stört, schen Kolleg*innen automatisch 30 Minu- „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ im wenn mein großer Sohn sagt, dass er ten zu spät zu kommen, damit ich mich biber inserieren? Wiener ist. Aber natürlich, er ist ja in Wien nicht ärgere, weil ich auf alle warten muss. Je blöder der Spruch, desto teurer das aufgewachsen und macht nur Urlaub bei Und was passiert? Die Kolleg*innen kom- Inserat. Allerdings wollte die FPÖ noch Freunden. men extra 30 Minuten früher, weil sie ja nie bei uns inserieren. ● Gabbi Hochsteiner wissen, dass die Österreicher*innen DIE BRÜCKE pünktlich sind. DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18 5
Crossing the Bridge Ein Flüchtling aus Syrien, der sich beim Reinhardt- Seminar bewirbt: Mohamad Kay Al Kassar. Foto: Al Kassar Johannes A. Umlauft lebt als Komponist und Produzent in Los Angeles. Foto: Umlauft Vom Weggehen und Ankommen. Die Kärntner Videokünstlerin Maria Petschnig lebt im Big Apple. Foto: Petschnig Künstler*innen schlagen Brücken. Sie heit hinter sich: Zwei Restaurants und Werbung tätig, obwohl er überqueren die Grenzen im Kopf. Eine einen Supermarkt besaß die Familie in eigentlich zuerst Biologie Grenzregion wie Kärnten hat da viel zu Damaskus, bevor alles in Schutt und Asche in Wien studiert hatte. „In erzählen. Der äußerste Rand des deutschen gebombt wurde. Der Vater floh mit den die Welt aufzubrechen, war Sprachraums ist reich an Künstler*innen, beiden Söhnen, die Mutter blieb bei ihren in erster Linie sehr spannend, deren Werke weit mehr als regionale Eltern, will nachkommen, wie so viele lustig und ein Privileg“, erinnert er sich. Bedeutung haben. Spätestens seit dem Frauen im Kriegsgebiet. Ein Jahr vor Der Schritt in die USA fiel ihm durch ein Bachmannpreis für Maja Haderlaps Roman Mohamads Matura war das, und schon zuvor absolviertes Schüler-Austausch-Jahr „Engel des Vergessens“ ist die zweispra- damals war ihm klar, dass er Schauspieler in Mississippi relativ leicht, auch wenn chige Gegend an der Südgrenze der Alpen- werden will. Erfahrungen mit dem Schul- es für Umlauft danach mühsam war, die republik als literarischer Schauplatz im theater und die Unterstützung eines diversen Arbeitsgenehmigungen zu Blickpunkt der internationalen Öffentlich- berühmten syrischen Schauspielers, hat- bekommen. „Nicht ohne ein bisserl Stolz“, keit. Aber auch schon Peter Handke hat ten ihn ermutigt. Die Flucht führte sie verweist der Musiker, der inzwischen ein darüber geschrieben. Er berichtet gleich über Traiskirchen schließlich nach Steu- Film-Musik-Zertifikat aus Los Angeles in in mehreren Büchern vom Unterwegs-Sein erberg bei Feldkirchen, „ghost city“, wie der Tasche hat, auf seine Green-Card: in der Region diesseits und jenseits der er sich heute erinnert: „Am Berg, da gab „Demnach bin ich ein ‚alien of extraordi- Berge, der Grenze, die dadurch Eingang es nichts, absolut nichts!“ Also lernte er nary ability’“, schmunzelt der Exil-Kärnt- in die Weltliteratur gefunden hat. Kiki via Internet und YouTube Deutsch, denn ner, für den vor allem der Verkehr in der Kogelnik und Werner Berg, Christine Englisch zu sprechen würden sich in US-Metropole „gewöhnungsbedürftig“ Lavant und Florjan Lipuš, Anton von Kärnten nur wenige trauen. Ermutigt und war. Zuhause fühlt er sich dort, wo Men- Webern und Hugo Wolf, Martin Kušej und unterstützt wurde er schließlich von einer schen sind, die für ihn wichtig sind: Johann Kresnik – sie alle lebten in Kärn- Berufsberaterin und einer ehrenamtlichen „Heimat ist mehr als ein Ort.“ Familie und ten, im Lavanttal, Jauntal, Rosental. Wur- Deutschlehrerin, was ihn zu seinem ersten Freunde verbinden ihn aber immer noch den hier geboren oder sind zugezogen. Bühnen-Engagement in Villach brachte. mit Kärnten: „Der See is’ a Wahnsinn, und Und heute? Auch heute ziehen „Heimweh hat man nur, wenn man allei- ein Bier auf der Straße oder im Park trin- Künstler*innen nach Kärnten. Manche ne ist“, meint Mohamad schließlich leise, ken zu dürfen ist eine Freiheit, die nicht kommen gezwungenermaßen als Flücht- an seine Mutter denke er täglich. Und wichtig, aber doch ganz lustig ist.“ linge, andere der Liebe wegen. Einheimi- schon erzählt er wieder eifrig, dass er jetzt schen Kunstschaffenden wird hingegen Shakespeares „Romeo und Julia“ auf „Wenn man einen Traum hat, muss man das Land oft zu eng, sind die Möglichkei- Deutsch zu lesen versuche, auf Arabisch ihn festhalten und ihm folgen, egal, was ten zu begrenzt. Sie gehen in die Welt habe er das schon fünfmal getan – „geht die anderen sagen“, erinnert sich die hinaus, leben ihren Traum – und bleiben alles ganz easy!“ Was die Zukunft bringen Video- und Performance-Künstlerin Maria der alten Heimat doch meist verbunden. wird? Zuerst einmal eine weitere Zusam- Petschnig an die „große Herausforderung Folgende Biographie-Beispiele erzählen menarbeit mit dem Villacher Kellertheater, nach New York auszuwandern“. Seit 2003 vom Weggehen und Ankommen, wollen bei dem er mittlerweile als Regieassistent lebt und arbeitet die in Maria Saal aufge- ermutigen und anregen, sich mit Kultur für eine Produktion mit Michael Kuglitsch wachsene 40-jährige Kärntnerin, die an – vertrauter und fremder – auseinander- angestellt wurde. Außerdem hat er sich der Akademie der bildenden Künste in zusetzen. Natürlich ohne Anspruch auf zur Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt- Wien Malerei studiert hatte, im Big App- Vollständigkeit. Seminar und drei weiteren Schauspiel- le. Schon während des Studiums verbrach- schulen angemeldet. Sein großer Traum? te sie bereits mehrere Monate im Ausland, „Österreich super! Neun Bundesländer!“, „Das ist kein Traum, das ist ein Ziel“, etwa in London und Paris – „sehr prägen- grinst er auf die Frage, ob wir Englisch korrigiert die Frohnatur ernsthaft und in de, produktive Phasen“. Sich aktiv auf sprechen können – um dann in beinahe perfektem Deutsch, „Hollywood, das wäre neue Erfahrungen einlassen sollten auch fließendem Deutsch seine Geschichte zu ein Traum!“ die Betrachter von Petschnigs Arbeiten erzählen: Mohamad Kay Al Kassar, – experimentelle Videos und Installatio- 19-jähriger Flüchtling aus Damaskus, In Hollywood, genauer gesagt in Los nen, die sich teils phantasievoll, teils mittlerweile Asylberechtigter und Schau- Angeles, bereits gelandet ist hingegen der verstörend mit Voyeurismus, Privatsphä- spieler. „Österreich super, neun Bundes- Kärntner Komponist und Produzent re und Erinnerung befassen. Was für die länder!“, ist der einzige deutsche Satz, den Johannes A. Umlauft. Mehr als 40 Wer- vielfach Ausgezeichnete (2007 Förde- er in Peter Turrinis jüngstem Theaterstück bejingles in Europa und den USA tragen rungspreis für Bildende Kunst des Landes „Fremdenzimmer“ stereotyp zu wieder- seine musikalische Handschrift – von Kärnten, 2014 Staatsstipendium für Medi- holen hat – in einem Pingpong-Spiel der Mömax und Manner bis zu Vöslauer, en und Videokunst u.a.m.) ihre alte Heimat Sprachlosigkeit eines müde gewordenem Darbo und einem Spot für die Spenden- bedeutet? Abgesehen davon, dass sie von Paares. Die „neuebühnevillach“ ist buch- aktion „Licht ins Dunkel“ ist Umlaufts Brooklyn aus regelmäßig ihren Vater in stäblich zur neuen Heimat für den opti- Musik in heimischen Wohnzimmern all- Maria Saal besucht und Kärnten für den mistischen jungen Syrer geworden. Dabei gegenwärtig. Seit rund zehn Jahren ist der schönsten Teil Österreichs hält, sind es hat er eine traumatisierende Vergangen- gebürtige Klagenfurter bereits in der vor allem „die vielen hervorragenden 6 DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18
Ute Gfrerer, stimmstarker Gesangsexport Kärntens, ist auf den internationalen Bühnen daheim und lebt in den USA. Foto: Gfrerer Die russische Schauspielerin Yulia Izmaylova ist mit ihrem Mann Felix Strasser der Theaterverein "Vada". Foto: Vada Andrea Vilhena aus Himmelberg lebt und arbeitet heute in Lissabon. Foto: eSeL.at Künstler*innen, die dieses Land hervor- de zwischen Kalifornien und Kärnten“ deren Heimatstadt „doppelt so viele Men- gebracht hat“, die Petschnig an ihr Her- machten ihr anfangs zu schaffen, doch schen wie in ganz Österreich leben“. kunftsland binden. „Sie hatten und haben wenn einmal so etwas wie Heimweh zu Neben dem Russisch- und Slowenisch- für mich durchaus Vorbildfunktion!“ spüren war, „bin ich mit dem Radl her- Studium an der Klagenfurter Universität, umgefahren und habe Kärntnerlieder vor wollte sie vor allem „sehen, ob man in In Boston, nicht weit von New York ent- mich hin gesungen.“ Lachender Nachsatz Kärnten von Kunst leben kann“. Leicht ist fernt, lebt die aus Spittal stammende der 53-Jährigen: „Aber eigentlich bin ich es nicht, weiß Yulia Ismaylova heute. Und Sängerin Ute Gfrerer mit ihrer Familie. gar kein Heimwehtyp!“ auch „dieses Klammern an Folklore Die heute international gefeierte Sopra- schockt“ die 33-Jährige seit ihrer Ankunft nistin, die auch an Opernhäusern in „Kein Heimwehtyp“ ist nach eigenen in der „Alpen-Adria-Region“, die bis auf Deutschland und Österreich heimisch ist, Worten auch die Russin Yulia Izmaylova. wenige Ausnahmen nicht gelebt werde, arbeitete mit Dirigenten wie Nikolaus „Wenn ich Sehnsucht habe, dann nach sondern vor allem ein Slogan für den Harnoncourt, Franz Welser-Möst oder meinen Eltern“, erzählt die aus Moskau Tourismus sei. Mit ihrem Theaterverein Thomas Hengelbrook zusammen. In den stammende Schauspielerin, Regisseurin „Vada“ versuchen Izmaylova und Strasser letzten Jahren hat sich Ute Gfrerer vor und Theatermacherin. Seit 2007 lebt sie Bühnenkunst auf kleinstem Raum, aber allem als Interpretin von Kurt-Weill-Lie- mit ihrem Mann Felix Strasser, dem flächendeckend für ganz Kärnten zu dern einen Namen gemacht. „Ich fahre Kärntner Gründer des Ensembles „Vada“, machen: „Vada“ betreibt das Kremlhof- demnächst nach New York, wo ich ein in Österreich. Dabei hatte sie noch in theater Villach (das offiziell kleinste The- verschollenes Kurt-Weill-Lied aufnehmen Russland Österreich „nur aus der Musik ater der Welt), das Jugendstiltheater Kla- werde, das unlängst in Berlin entdeckt gekannt“ – und war positiv überrascht. genfurt/Celovec und veranstaltet das wurde“, plaudert sie am Telefon während Alles erschien ihr entspannter, toleranter: internationale Festival „Mono bene“. Unter sie mit ihrem Hund in einem Bostoner „Kärnten war für mich Europa.“ Zuvor war dem Titel „Theater für den Hergottswinkel“ Park spazieren geht. Hier lebt sie mit sie von der Uni in Moskau geflogen, weil werden auch Privataufführungen mit ihrem aus Deutschland stammenden Mann sie ein Interview gegeben hatte, in dem „Hauszustellung“ angeboten. Am 25. April und der 12-jährigen Tochter. Und von hier sie für Toleranz gegenüber sexuellen startet eine Kooperation mit dem Theater aus startet sie jedes Jahr zum Familien- Minderheiten eingetreten war. Nach den KuKuKK in Form einer Science-Fiction- Urlaub am Millstätter See. Gleich nach Worten des Dekans: „So eine wie Sie darf Theaterserie, Anfang September findet die der Matura hatte es die junge Sängerin unsere Kinder nicht erziehen“, hatte sie nächste Vada-Premiere „Offeah!“ im Quel- der Liebe wegen in die USA verschlagen. ihr Russisch-Studium niedergelegt, sich lenmuseum in Klein St. Paul statt, und im Als sie später dann beschloss, in Los mit Jonglieren und Artistik ihr Geld ver- Oktober ist die 33-jährige Schauspielerin Angeles zu studieren, fiel ihr der Abschied dient und war drei Monate alleine in erstmals in einem slowenisch-sprachigen von Kärnten doch nicht so leicht: Als am Indien unterwegs gewesen. Dann folgte Stück bei Alenka Hain im k&k St. Johann Bahnhof in Spittal die gesamte Verwandt- der große geographische und gesellschaft- im Rosental/Šentjanž v Rožu engagiert. schaft und Gfrerers Chor-Kolleg*innen liche Sprung nach Kärnten: Mit Felix von den „12 Stimmen aus Gmünd“ zur Strasser und ihren bald zwei kleinen Einen Kulturschock der positiven Art Verabschiedung auftauchten, „da habe ich Kindern lebten die „Vadaisten“ fünf Jahre erfuhr hingegen die fast gleichaltrige schon ein paar Tränen vergossen.“ Vor in Radnig bei Hermagor – „donnernde Kärntner Künstlerin Andrea Vilhena (36), allem die „riesigen Mentalitätsunterschie- Leere“ herrschte dort für die Russin, in die ebenfalls mit Ehemann und zwei Kin- 8 DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18
Der Maler Alex Amann pendelt mit seiner Familie zwischen Paris und Nötsch. Foto: Neumüller Elektronische Musik ist die Leidenschaft von Matthias Erian, der derzeit in Berlin lebt. Foto: KK dern nicht in ihrer Heimat lebt. Nach der Winter“, erzählt die mit einem Kunstpreis Mutter vor zwei Jahren adaptierte er das Ausbildung an einer Schule für zeitgenös- der Bank Austria ausgezeichnete Künst- Elternhaus und malt seine sinnlichen sischen Schmuck in Florenz, einem Ger- lerin. Auch die, so wie ihr kleiner Bruder, Stillleben und Landschaften in Öl jetzt manistik-Studium in Wien und Klagenfurt zweisprachig aufwachsende Tochter kann wieder öfter hier. (Bis Anfang April sind sowie einem Anthropologie-Studium in schon Schifahren: „Nächstes Mal sind wir seine Arbeiten in der Wiener Galerie London, lebt sie heute – in Portugal. zu Ostern in Kärnten. Hoffentlich liegt da Lehner, ab Juni ist eine Ausstellung in Eigentlich sei sie ja seit 12 Jahren ständig noch Schnee!“ Nizza zu sehen.) Ob er, Alex Amann, in der Welt unterwegs, erzählt die Tochter wieder ein Einheimischer geworden ist? der kunst-affinen Unternehmerfamilie Im Haus Winkler Jerabek in Himmelberg „Nein, Einheimischer bin ich auch nicht“, Winkler-Jerabek in Himmelberg. „Nicht, hat auch schon der Maler Alex Amann meint der Künstler abschließend nach- weil ich von daheim weg, sondern weil ausgestellt. So wie in der Galerie 3 und denklich. ich etwas anderes kennenlernen wollte“, im MMKK in Klagenfurt, in Galerien und begründet Andrea Vilhena ihre Reiselust, Museen in Paris, Nizza, und, und, und ... Sich als Ausländer zu fühlen, hat der die sie schon zu Schulzeiten mit einem Der aus Bleiberg-Nötsch stammende Musiker Matthias Erian hautnah erlebt. Austauschjahr in Australien ausgelebt hat. Künstler fasste durch seine Internatszeit Und er empfiehlt es jedem: „Als ich in Nur der Schulpflicht der Tochter sei das im Theresianum früh in Wien Fuß, auch Seoul vor zehn Jahren in der U-Bahn stand, Sesshaft-Werden in der Heimat ihres wenn es ihm damals schwerfiel, von war ich der Exot. Die Augen der Koreaner Mannes, in Lissabon, geschuldet. Ihn, Kärnten wegzufahren: „Ich habe im Zug verfolgten mich, sei es aus Interesse oder einen Schmuckkünstler und Uniprofessor, immer geweint, aber bei St. Veit hat der aus Abneigung. Egal warum, es ist unan- hatte sie in Italien kennengelernt. Was Schmerz schon nachgelassen.“ Heute ist genehm.“ Mittlerweile lebt der Bruder des die Künstlerin, die mit gebrauchten Stof- das Wegfahren kein Problem mehr – das Jazz-Saxophonisten Michael Erian mit fen Skulpturen rund um das Thema weib- Zurückkommen aber (anders als in der seiner südkoreanischen Lebensgefährtin, liche Identität entstehen lässt, am südli- Haider-Zeit) auch nicht. Nach 22 Jahren der Tänzerin Howool Baek, seit sechs chen Lebensgefühl schätzt? „Ich liebe die in Wien, wo der rebellische Sohn aus einer Jahren in Berlin. Sein Weg zur elektroni- Offenheit im Alltag in Portugal, die Men- Familientischlerei an der Akademie der schen Musik begann mit einem Tontech- schen reden sofort miteinander, sind bildenden Künste bei Anton Lehmden und nik-Lehrgang am Klagenfurter Konserva- zugänglicher. Da gibt es eine Entspannt- Bruno Gironcoli studierte, lebt er inzwi- torium, dem ein ELAK-Studium von heit im Leben, die bei uns fehlt.“ Um an schen seit rund 30 Jahren in Paris. Computermusik und Elektronik Media an der portugiesischen Kommunikationsfreu- „Anfangs habe ich in Paris überhaupt der Universität für Musik und darstellen- de teilhaben zu können, braucht es aller- nichts verstanden, am wenigsten, wenn de Kunst in Wien folgte. Von Wien aus dings auch Sprachkenntnisse. „Die Spra- die Pariser gesprochen haben“, erinnert ging es dann hinaus in die Welt. „Schwie- che zu können ist das Wichtigste“, meint er sich an die ersten Wochen in Frank- rigkeiten mit fremden Kulturen liegen die junge Kärntnerin und stimmt so mit reich, wo er auch seine Frau kennenlern- meist in uns selbst. Wir haben Vorurteile, praktisch allen hier porträtierten te. Längst pendelt Amann mit ihr und dem die uns Angst machen können. Setzt man Künstler*innen überein. Heimweh ist für 14-jährigen Sohn zwischen den Welten. sich damit auseinander, sind sie aber meist die Himmelbergerin zwar kein großes Vorerst kam er vor allem in den Sommer- nicht mehr erkennbar“, resümiert der in Thema, aber doch gelegentlich vorhanden: monaten, um die Familie zu besuchen Gurk aufgewachsene Kärntner. Als Mit- „Ich brauche jedes Jahr ein paar Wochen nach Nötsch. Doch nach dem Tod der initiator eines Festivals für neue Musik DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18 9
Lukas Zuschlag, Primo Ballerino an der Oper in Laibach, in der Titelrolle der Ballettversion von "Doktor Schiwago". Foto: KK Oleksii Kysilenko aus der Ukraine hat als Architekt in Kärnten eine neue Heimat gefunden. Foto: Kysilenko Lebt seit zwei Jahren in Schweden, war davor 15 Jahre in New York: die Kärntner Künstlerin Heidrun Holzfeind. Foto: Holzfeind Die Isländerin Ellen Freydis Martin vermisste vor allem das Meer. Foto: krummi records/Schmalzl Jiang Shuo & Wu Shaoxiang leben und arbeiten seit fast 30 Jahren in Kärnten und China. Foto: KK („New adits“) ist er regelmäßig in Kärnten eineinhalb Stunden daheim! Die Nähe zum Kärnten schätzen gelernt. Also entschloss und natürlich auch, um seine Familie zu Zuhause war mir immer total wichtig!“ er sich nach Abschluss seines Diplomstu- sehen. „Zu meiner Zeit sah ich hier zu Auch wenn die Slowen*innen großteils diums in Kiew für ein Masterstudium an wenige Möglichkeiten für mich. Aber ich sehr gut Deutsch und Englisch sprechen, der FH Spittal. Der 30-jährige Architekt hoffe, dass sich das für junge, interessier- lernte der junge Tänzer gleich zu Beginn aus der Ukraine erinnert sich noch gut an te Menschen inzwischen geändert hat!“ seines Engagements „vor allem durch´s das Ankommen mit seiner Frau in Kärnten: Zuhören und Mitreden“ die slowenische „Zu Hause haben wir keine Berge, und es Im Ausland aber dennoch fast daheim Sprache. Mentalitätsmäßig sei die Umstel- war so kalt. Aber die Landschaft hier ist lebt der Tänzer und Choreograph Lukas lung kaum spürbar gewesen, da sich toll!“ Auch er kämpfte zu Beginn mit Zuschlag. Der 32-jährige Feldkirchner ist Kärntner*innen und Slowen*innen sehr Sprachschwierigkeiten – sie konnten kein Primo Ballerino an der Staatsoper in ähnlich seien. Im Mai geht´s dann nach Deutsch, „die Kärntner können wenig Ljubljana und war erst kürzlich mit Russland. Im Kreml-Theater in Moskau Englisch“. Mittlerweile sind er und seine „Schwanensee“ im Stadttheater Klagenfurt tanzt er die Titelrolle in einer Ballettver- Familie (dazu zählen noch zwei Töchter zu Gast. Die länderübergreifende Koope- sion von „Doktor Schiwago“ – „eine große mit zwei und vier Jahren) voll integriert. ration der beiden Theater war mit auf Ehre“, freut sich Florian Zuschlag auf die Ein Architekturstipendium des Landes seine Initiative entstanden und freut ihn neue Herausforderung. Kärnten 2017 half dabei. Derzeit arbeitet sehr. Wenn er nicht gerade bei Gastspie- Oleksii Kysilenko für das Architekturbüro len unterwegs ist, fährt Zuschlag fast jedes Durch ein Auslandssemester in seiner Frediani-Gasser in Klagenfurt und widmet Wochenende nach Hause. „Ich bin ja in Studentenzeit hatte Oleksii Kysilenko sich hier dem Thema, das ihn am meisten 10 DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18
interessiert: der Stadt und dem öffentli- schmunzelt die 53-Jährige im Gespräch. chen Raum. „Klagenfurt ist eine Stadt der „Hier hat Familie eine Chance, ich durfte kurzen Wege, hier ist vieles zu Fuß bei den Kindern sein, ohne schief ange- erreichbar“, schwärmt der Architekt von schaut zu werden“, erinnert sie sich an seiner neuen Heimat. Dank Digitalisie- die Kärntner Anfangsjahre ihrer Patch- rung, Skype u.ä. lässt sich auch das work-Familie. Sieben Jahre habe es gedau- gelegentliche Heimweh nach Verwandten ert, „bis ich mich getraut habe, ich selbst biotop discussion. Foto: Jacob Almagro und Freunden in der Ukraine leichter zu sein.“ In dieser Zeit habe sie aber auch ertragen. Eine eigene ukrainische Com- den Stellenwert von echten Freunden munity in Kärnten pflegt die junge Fami- kennengelernt. Mittlerweile ist ihr lie nicht: „Wir wollen das gar nicht, es ist doch wichtig, sich zu integrieren!“ ursprünglich „lyrischer Sopran ein biss- chen dramatischer geworden“ und zu den biotop Solos in der Kirche und den privaten Unsentimental ist das Verhältnis der Gesangsstunden, die Ellen Freydis Martin Kultivieren von Dissens bildenden Künstlerin Heidrun Holzfeind gab, hat sich noch ihr Engagement in einer Gibt es das was wir die Welt zu nennen pflegen zu ihrer Heimat Kärnten. „Für mich hat eigenen Band gesellt: „Krummi und die überhaupt? Wäre es nicht besser von vielen der Begriff Heimat keine Bedeutung“, Alpenvögel“ nennt sich das fünfköpfige Weltbildern zu sprechen? Ich für meinen Teil wehrt die 46-jährige Videokünstlerin ab, Ensemble (nach dem isländischen Wort kenne zumindest zwei. Nämlich jenes, das die nach eigenen Worten sehr froh war, für „Rabe“), das mit groovigen Versionen meiner unmittelbaren Wahrnehmung entspringt und allerlei Stimmungen unterworfen ist, und Kärnten bzw. Lienz, wo sie das Gymnasi- isländischer Musik aufspielt (zu hören am jenes, über das ich mich mit vielen Menschen, um besuchte, zu verlassen. Vor allem der 16. Juni im Villacher Kulturhofkeller). mit denen ich in Kontakt komme, einigen kann. Schritt nach Wien – zum Studium an der Oft stimmt der Abgleich dieser Bilder. Manch- Akademie der bildenden Künste – sei Vom anderen Ende der Welt stammt das mal gibt ein genauer Blick auf diese beiden „unglaublich befreiend“ gewesen. Aber chinesische Künstlerpaar Jiang Shuo & meiner Weltbilder aber Unstimmigkeiten zu auch die Zeit in New York (1997 – 2011) Wu Shaoxiang. Doch wie Ellen Freydis erkennen. Dann gilt es Dialoge zu führen, denn will die in Kötschach-Mauthen aufgewach- Martin hatten auch die beiden Chinesen dies bedeutet an einer gemeinsamen Perspek- sene Kärntnerin nicht missen. „Künstle- zuerst vor allem mit der Sprache zu kämp- tive auf die Welt zu zimmern. risches Arbeiten und Forschen in einem fen. Als sie 1989 nach dem Aufstand am Seit gut einem Jahr arbeite ich mit rund 30 neuen Umfeld und das Reisen sind sehr Pekinger Tian’anmen-Platz nach Kärnten jungen Kolleg*innen daran, in Kärnten einen wichtig für mich!“ Holzfeind, die sich nur kamen, sprachen sie kein Deutsch und offenen Ort namens Biotop zu schaffen. Hier noch durch ihre Familie mit Kärnten nur wenig Englisch. Ihr Sohn war damals soll Forschung stattfinden und neue Zugänge verbunden fühlt, beschäftigt sich seit drei Jahre alt. Der Auftrag der Stadt Kla- zur oft so fern anmutenden Welt der Wissen- vielen Jahren u.a. damit, wie modernisti- genfurt für eine Skulptur im Europapark schaft geschaffen werden. Als sche Architektur im Alltag funktioniert. hatte Wu nach Kärnten geführt, wo er bald Wissenschaftler*innen und Designer*innen Architektonische und soziale Utopien, durch Künstlerfreunde wie die „Bluesbrea- zimmern wir gewissermaßen von Berufs wegen Geschichte und Identität sind die Themen kers“ (die er als erste westliche Band für Weltbilder. Wissenschaft zu betreiben oder ein ihrer Arbeit. Seit zwei Jahren lebt sie nun eine Tournee nach China gebracht hatte), Problem zu lösen bedeutet das Spiel mit kon- in Umea in Schweden, zwischendurch Bernd Svetnik und Harry Jeschofnig unter- kurrierenden Ideen zu kultivieren, und dabei den Dialog stets aufrechtzuerhalten. verbrachte sie auch drei Monate als Artist stützt wurde. In den ersten Jahren über- Nur so lassen sich Erkenntnisse über die Welt in Residence in Tokio. Neue kulturelle deckte die Begeisterung über die neue gewinnen, die jenseits des Subjektiven Bestand Eindrücke dürften ihr also so bald nicht Heimat das Heimweh: „Es ist so sauber haben. Vielfalt der Sichtweisen ist in unserer ausgehen! und sicher, man fühlt sich nicht bedroht, Arbeit mehr als bloße Bereicherung, sie ist eine eigene Meinung ist möglich!“, Notwendigkeit, auch wenn das mitunter Die Abwesenheit des Meeres war für die schwärmt Wu heute noch. Inzwischen unbequem ist. Isländerin Ellen Freydis Martin bei ihrer haben sich die Beziehungen zur alten Alle Mitglieder des Projekts haben jahrelang an Ankunft in Kärnten vor 25 Jahren das Heimat wieder entspannt: Als Professor Forschungsstätten in Europa gearbeitet, und Erschreckendste. Aber auch alles andere an einer Kunstakademie ist Wu regelmä- wollen nun nach Kärnten zurückkehren, um hier war neu – die Täler waren so eng, die ßig für ein halbes Jahr in China, wo die auf offene Art und Weise Forschung zu betrei- Berge so nahe – und die Sprache war so beiden auch einen zweiten Wohnsitz ben. Offen, das bedeutet für uns vor allem fremd. Sich so schnell wie möglich Deutsch haben. Ausstellungen mit den Münzskulp- Grenzen zwischen Disziplinen aufzubrechen, anzueignen, um die Menschen kennen zu turen Wus und den ironischen Bildern die Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft lernen, war das vorrangige Ziel der Sän- Jiangs finden sowohl in Europa als auch und der Kunst zu stärken, und Bürger*innen gerin und Kirchenmusikerin, die von in Asien statt. „Aber eigentlich kann man aktiv in unsere Forschungsarbeiten einzube Island mit ihrem österreichischen Mann unsere Situation damals gar nicht mit den ziehen. Durch das Zusammentreffen diverser nach Villach zog, wo eine Stelle als Regi- Flüchtlingen heute vergleichen“, winkt Sichtweisen erwarten wir uns eine Stärkung onalkantor und Organist auf ihn wartete. Weltenbürger Wu zum Abschluss des jenes Dialogs, der für das Zimmern gemein Sie, die einen amerikanischen Vater hat Gespräches bescheiden ab. samer Blickwinkel unerlässlich ist. und die skandinavische Offenheit gewöhnt ● Karin Waldner-Petutschnig ● Lukas Hutter wurde 1987 in Villach geboren, studierte Chemie in Graz und war, ist zuerst einmal „erschrocken über (53) ist freie Kulturjournalistin in Klagenfurt. Neben absolvierte anschließend sein Doktorat in Systembiologie an ihrer fast 30-jährigen Tätigkeit bei der „Kleinen Zeitung“, die konservative Mentalität hier“. Die leitete sie 12 Jahre den Carinthia-Verlag und drei Jahre der University of Oxford. Seit einigen Jahren arbeitet er an einem Projekt namens Biotop* (biotop.co/de), das es sich Frauenrechte in Island seien viel weiter, das Museum Liaunig. zum Ziel gesetzt hat, ein interdisziplinäres, offenes For- Veränderungen kämen in Österreich erst schungszentrum in Villach aufzubauen. Er lebt und arbeitet seit Anfang 2017 wieder in Kärnten. www.biotop.co 30 bis 50 Jahre später an. „Doch zu mei- nem Erstaunen habe ich begonnen, dieses altmodische Österreich zu lieben“, DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18 11
Fotos: Jasmin Donlic „Wer Gott liebt, hat keine Religion außer Gott.“ – Rumi, persischer Dichter und islamischer Mystiker im 13. Jh. ORIENTierung Muslimisch leben in Kärnten. „Ja, aber ich habe mehrere Identitäten. zu verorten, im gesamtgesellschaftlichen „Meine Eltern haben sich vor Das heißt, eine Identität schließt die andere Kontext zu analysieren und von da aus geraumer Zeit dieses Sammelsurium nicht aus. Ich fühle mich gleichzeitig als Österreicher und als Bosnier. Als auch als Muslim, als Europäer, neue und differenzierte Erkenntnisse zu an Balkan-Kanälen einrichten lassen als Kosmopolit.“ gewinnen. in ihrem Haushalt. Und es ist interes- Die Basis dazu sind Interviews mit santerweise so, dass sie verstärkt Jugendlichen, die in Österreich geboren bosnische Sender schauen. Wenn sie Die gesellschaftliche Situati- bzw. aufgewachsen und deren Eltern oder dann in Bosnien sind, ist der Bedarf on der muslimischen Bevöl- Großeltern nach Österreich eingewandert da, deutsches Fernsehen zu schauen.“ kerung in Kärnten und sind. Ich machte mich auf die Suche nach Österreich wird tendenziell den Identitätsbildungsprozessen und hat- „Der Mix aus beiden Kulturen vereint als kulturell problematisch te die Chance, in Kärnten lebende Musli- sich in mir und je nachdem, was interpretiert und insofern als minnen und Muslime dazu zu befragen, eher benötigt wird, in welcher Umge- eher negativ wahrgenommen. auf welche Art und Weisen sie ihr Alltags- bung man sich gerade befindet, wird Im öffentlichen Diskurs werden leben gestalten, welche Sprachen sie in dann eher das eine oder das andere Musliminnen und Muslime nicht als welchen Lebensbereichen sprechen, wel- abgerufen.“ Expertinnen und Experten ihres Alltags che Speisen sie essen und welche Musik betrachtet, sondern programmatisch zu sie hören, wie sie sich kleiden, aus welchen „Was ich an Westeuropa ändern wür- passiven Opfern ihrer Lebensbedingungen Kulturkreisen ihre Freunde kommen, wie de ... vielleicht weniger Konsum. Wir vor Ort degradiert. Diese Perspektive ist ihre Eltern mit Kultur umgehen, wie sie alle – unabhängig davon ob Muslime nicht nur entindividualisierend, sondern Heimat definieren, wie es sich anfühlt, oder Nichtmuslime – wir alle die in versperrt auch den Blick auf die vielfälti- wenn im Herkunftsland ihrer Eltern das Europa leben, konsumieren sehr viel. gen Lebensweisen, Alltagsstrategien und Morgengebet des Imam ertönt, wie sie die Wir sind egoistischer geworden.“ Zukunftsvisionen und wirkt auf diese österreichische und auch die Herkunfts- Weise als erkenntnistheoretische Sperre. kultur ihrer Eltern und den Islam prakti- „In der Familie sprechen wir Bosnisch. Als selbst in Bosnien geborener und in zieren etc. Als Querschnitt möchte ich Ab und zu mit den Kindern, wenn Kärnten aufgewachsener und lebender einige Gedanken und Aussagen meiner notwendig, auch Deutsch, weil die junger Mensch muslimischen Glaubens Gesprächspartner*innen wiedergeben: sprechen besser Deutsch als finde ich mich immer wieder damit kon- Bosnisch.“ frontiert. Das war Anstoß für mich, dieses „Als Kärntner selbst kann man schwer Feld wissenschaftlich zu beleuchten. definieren, was ein Kärntner ist, weil „Wenn ich in Bosnien bin und der Mittels der nun in Buchform erschei- durch die geschichtliche Bewegung, Imam ertönt mit seinem Morgengebet, nenden empirischen Forschungsarbeit bin wie sie sich hier in Kärnten abgespielt ist es ungewohnt. Nicht unangenehm ich der Frage nachgegangen, wie sich die hat, gibt es den typischen Kärntner ja ... eher neutral. So wie hier die Lebenswelten und religiösen Alltagspra- nicht. Jeder Kärntner hat ja irgendwo Glockentürme erklingen.“ xen von Musliminnen und Muslimen in seine Wurzeln, die außerhalb von Kärnten und im Alpen-Adria-Raum tat- Kärnten liegen. ... Also von dem her „Wir sind schon seit Jahrhunderten sächlich gestalten. Ziel dabei ist es auch, sind wir alle Kärntner, mehr oder gewohnt mit verschiedenen Nationali- die jeweilige biographische und gesell- weniger, die hier wohnen.“ täten, Konfessionen oder ethnischen schaftliche Relevanz ihres sozialen Gruppen zu leben. Für uns ist das Umfelds und ihres Aktionsradius für die „Ja natürlich haben unsere Kinder ganz normal, wir sind aufgewachsen Betroffenen sichtbar zu machen, adäquat christliche Freunde.“ zwischen Moscheen und Kirchen.“ 12 DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18
Foto: Ferdinand Neumüller Patrick Pilsl alias Martin Dean: Globus. welter.skelter The world is my oyster Die Welt ist meine Auster Auf einem Markt in Colombo habe ich, gänzlich unwissend, so viel scharfes Zeug in mich hin- eingeschaufelt, dass ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Die Singhalesen dankten es mir und hielten sich vor Lachen die Bäuche. In Dublin soff ich mit den Iren und wet- terte gegen die Engländer. Man dankte mir mit noch mehr dunklem Bier. In Liverpool hingegen trank und schimpfte ich mit den Engländern gegen alles, was nicht von ihrer Insel kommt. Ich wurde mit innigen Umarmungen bedankt. „Ich bin als Muslimin geboren, ich bin zur Familie bzw. einer kulturellen Glau- In Marseille trieb ich mich am Hafen herum so auf die Welt gekommen, ich bin bensgruppe spielt eine wichtige Rolle. und war mit den Nutten, den Strichern und den auch stolz, dass ich es bin. Aber ich Religion wird vor allem in schwierigen Freiern. Unzählige wilde Erzählungen waren mir übertreibe es nicht, ich übertreibe Lebenssituationen als Ressource genutzt. Dank und Lohn. In Rio holte ich mir, direkt aus generell mit nichts im Leben. Ich weiß Die Relevanz der religiösen Alltagspraxen der nächstbesten Favela, eigenhändig das wei- ße Gift, nur um im sündigen Lapa die Nächte was ich bin, doch ich respektiere auch wird evident, wenn die jungen Menschen durchtanzen zu können. Man dankte mir mit jeden anderen.“ Identitätsbewusstsein, stabile Religions- göttlichen, zuckenden Leibern. Im koreanischen zugehörigkeit und vor allem Selbstveror- Jecheon hielt ich den örtlichen Bürgermeister „Ich liebe das Gebet. Für mich ist das tung in der differenzierten Gesellschaft für den Kaiser des Landes und teilte ihm dies Gebet eine Erholung. Ein Gespräch zu schaffen wollen. Aus der individuellen Be- auch mit. Tränen der Freude für diesen Irrtum Gott. Das Gebet macht mich stabil. deutungsdimension wird eine neue Lebens- waren des Bürgermeisters Dank an mich. In Wenn ich bete, habe ich weniger Sor- welt geschaffen, in der verschiedenste Brooklyn forderte ich einen völlig durchgeknall- gen, dann habe ich Vertrauen zu Gott. religiöse Praktiken neu interpretiert, kom- ten Ex-GI, wie ich erst später erfahren sollte, Natürlich muss ich vorher die Gebets- biniert und ausgeübt werden können. zum Faustkampf heraus. Dass er mich dann waschung vornehmen. Das Wasser ist Als Conclusio möchte ich festhalten, doch nicht totschlug und ich noch am Leben gleichzeitig eine Erfrischung für den dass es für das Alltagsleben beider Seiten bin, das ist mir Dank genug. Auf den Stiegen Menschen. Nach dem Gebet fühle ich entscheidend ist, generalisierende Bilder des Wiener Burgtheaters hatte ich ein kurzes, mich sehr wohl. Viel freudiger, viel von „den Migrant*innen“ oder „den aber herrliches Stelldichein. Der schelmische offener.“ Muslim*innen“ genauso wie von „den Blick des porträtierten Oskar Werner an der Kärntner*innen“ aufzuweiten und die Wand im Foyer galt mir in diesem beglücken- „Was ich strikt ablehne, sind Sprach- Menschen individuell mit einer jeweils den Moment als Dank für meine Verwegenheit. Mischungen ... dass deutsche Wörter für sich stehenden Geschichte und diffe- Und in Hermagor und Umgebung sollte ich mit bosnifiziert oder bosnische Wörter ein- renzierten Identitäten zu betrachten und den Bauern das Vieh hüten, das Gras wenden gedeutscht werden. Das verdirbt die ihnen auch so zu begegnen. und die Ernte einbringen. Der Dank der Männer und Frauen, der bestand aus Speck, Brot, Sprachkultur.“ ● Jasmin Donlic * 1990, stammt aus Bosnien und Herzegowina und Schnaps und Liedern, so schön und so traurig ist Universitätsassistent am Institut für Erziehungs wie nichts anderes sonst. Zusammenfassend zeigt es sich, dass wissenschaft und Bildungsforschung, Abteilung für Inter- es für die jungen, in zweiter oder dritter kulturelle Bildung. Forschungsschwerpunkte: inter-/ transkulturelle Bildung im Kontext von Migration und Epilog: Generation in Kärnten lebenden Menschen Inklusion, Mehrsprachigkeit an Schulen, Jugendliche Die Welt kann einem ganz schön übel mitspielen, keine umfassend gültige Norm gibt, son- Identitätsbildung in regionalen transnationalen Räumen. oder Hank? – Ja, Mann. – Und dennoch macht dern verschiedenartigste Alltagspraktiken. Jasmin Donlic (Hg.): man immer weiter, verstehst du? – Bin ja nicht Diese berühren sich im Alltag und treffen Muslimisch leben dämlich. – Aber weißt du auch, warum man aufeinander, werden von den Betroffenen Religiöse Praxis und Lebens- weltgestaltung in Kärnten – immer weitermacht, ich meine, warum man sich auch sehr wachsam reflektiert. Das Ergeb- eine empirische Studie. immer wieder aus dem Scheißbett quält, Tag für nis sind das individuelle Aushandeln von Drava Verlag, Mai 2018 Tag ...? – Keine Ahnung, Mann. – Na, weil die Identitäten und verschiedenste hybride ca. 100 Seiten | 12,95 Euro Welt halt doch n’ geiler Ort ist, oder etwa nicht? ISBN 978-3-85435-854-1 Lebensentwürfe. Junge Migrantinnen und – Doch, Mann. Und wie! Migranten verorten sich in der Gesellschaft neu und setzen ihre Alltagspraxis aus DIE BRÜCKE VERLOST ● Oliver Welter unterschiedlichen Aspekten individuell 3 Exemplare Musiker, Schauspieler und Autor. Geboren in Klagenfurt, lebt in Klagenfurt und Innsbruck, stirbt vermutlich in Klagenfurt zusammen. Die gefühlte Zugehörigkeit Für Infos zur Verlosung siehe bitte Seite 38. oder Innsbruck oder gar nicht. DIE BRÜCKE Nr. 6 | Brückengeneration 5 – April/Mai 18 13
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