Auf der virtuellen Couch - Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet

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Ludwig Janssen

  Auf der virtuellen Couch
  Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet

   Newsgroups und Mailinglisten sind die am häufigsten genutzten
Formen der Selbsthilfe im Internet. Sie ersetzen oder ergänzen an-
dere »reale« Hilfeangebote im »wirklichen« Leben und haben ähn-
liche Funktionen: sich auszusprechen, jemanden zum Zuhören zu
finden, Trost oder Rat zu finden. Sie bieten ein soziales Netzwerk
mit einigen Besonderheiten: Man kann bis zu einem gewissen Grad
anonym bleiben, sie jederzeit und von jedem Ort aus nutzen. Bei
Newsgroups (auch Diskussionsgruppen oder Foren genannt) han-
delt es sich um eine Art Online-Zeitung, in der jede/r Beiträge ver-
öffentlichen kann. Aus solchen Beiträgen und Antworten darauf er-
geben sich manchmal ausführliche Diskussionsstränge (sog.
Threads). Es besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, dem Verfasser
eines Beitrages auch »privat« eine E-Mail zu schreiben, ohne daß
die gesamte Newsgroup etwas davon erfährt. Weltweit gibt es mehr
als 18.000 Newsgroups. Fans der Lindenstraße finden ihre News-
group ebenso wie potentielle Selbstmörder. Newsgroups haben den
Nachteil, daß alle abgelegten Beiträge gespeichert und beispielsweise
über Dejanews (http://www.dejanews.com) gefunden werden kön-
nen. Katrin Jaeger hat interessante Newsgroups aus den Bereichen
Psychologie und Psychiatrie zusammengestellt (Seite 222) und be-
schreibt in ihrem Beitrag »Im virtuellen Selbsthilfenetz« (Seite 40)
Erfahrungen mir der Newsgroup . Marianne
Kestler stellt in ihrem Beitrag »In der virtuellen Gemeinschaft«
(Seite 53) die deutschsprachigen Newsgroups Psychologie und
Psychiatrie vor.
   Mailinglisten gewähren im Unterschied zu Newsgroups ein ge-
wisses Maß an Schutz. Es handelt sich um »geschlossene« Listen,

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die man abonnieren muß. Alle Abonnenten bekommen alle von
allen Teilnehmern geschriebene Mitteilungen automatisch zuge-
schickt. Winni beschreibt in seinem Beitrag »Virtuelle Selbsthilfe«
seine Erfahrungen mit der Selbsthilfe-Mailingliste Angst, Katrin
Jaeger in ihrem Beitrag »Im virtuellen Selbsthilfenetz« (Seite 40) ihre
Erfahrungen mit der Mailingliste Depression und Peter Weber in
seinem Beitrag »Wer ist Dennis?« seine Erfahrungen mit der Mai-
lingliste Ergotherapie (Seite 90) .

  Internet-Beratung
  Beratung und Therapie im Internet findet häufig in Form des
Austausches von E-Mails statt, seltener werden Chats und IRC-
Channels genutzt, zunehmend aber Fragebogen aus dem klinisch-
psychiatrischen Bereich zur Problembeschreibung und Diagnose.
Beratung in dieser Form kann häufig nicht mehr (aber auch nicht
weniger!) leisten, als gute Tips und Ratschläge zu geben. Ernst zu
nehmende therapeutische Ansätze im Internet stecken noch in den
Anfängen.
  E-Mail-Beratungen werden von Therapeuten und anderen pro-
fessionellen (oder auch nichtprofessionellen) Beratern gegen Bezah-
lung oder kostenlos von gemeinnützigen Einrichtungen, Vereinen
und Verbänden angeboten: Die Ratsuchende formuliert ihr Problem
oder ihre Frage per E-Mail und bekommt per E-Mail eine Antwort,
aus der sich ein längerer Dialog ergeben kann. Bei kommerziellen
Angeboten steht vor der ersten Antwort des Beraters oder Thera-
peuten allerdings die Bezahlung. Sie erfolgt entweder per Überwei-
sung (was die Antwort des Therapeuten verzögert) oder (wie in den
USA üblich) über eine Kreditkarte. Beim einmaligen Austausch von
E-Mails handelt es sich in der Regel um nicht mehr als um gute Rat-
schläge oder um die Vermittlung von zusätzlichen Hilfeangeboten.
Bei regelmäßigen und kontinuierlichen E-Mail-Kontakten kann
durchaus eine Art therapeutische Beziehung entstehen.

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Kommerzielle Beratungsangebote
   Kommerzielle E-Mail-Beratungsangebote sind in den USA weit
verbreitet. Sie werden in der Regel von Psychologinnen oder The-
rapeuten neben ihren herkömmlichen Therapien angeboten. Ihre
Seriosität weisen sie dadurch nach, daß sie ihren beruflichen Wer-
degang aufzeigen, Diplome und Zertifikate veröffentlichen oder
Publikationen und Referenzen auflisten.
   Die individuelle Beratung bei Dr. Tracy Cabot (http://www.
loveadvice.com) kostet 39,95 Dollar, die per Kreditkarte überwie-
sen werden. Eine Antwort auf das formulierte Problem wird inner-
halb von zwei Tagen versprochen und ist nicht länger als 200 Wor-
te. Sie bietet neben der Beratung per E-Mail auch andere Beratungs-
formen an. Wer beispielsweise eine Stunde am Telefon mit ihr spre-
chen möchte, zahlt dafür 150 Dollar. Wer die Beratung per E-Mail
nicht bezahlen kann, muß nicht auf den Rat von Dr. Tracy verzich-
ten. In diesem Fall bekommt der Ratsuchende keine individuelle
Antwort, sondern wird auf die Kolumne von Dr. Tracy verwiesen.
Dort hat sie immer wieder gestellte Fragen beantwortet.
   Dr. Judith Schwambach (http://members.aol.com/drjudith77),
ihre Klienten nennen sie einfach Dr. Judith, öffnet ihren E-Mail-
Briefkasten an sechs Tagen in der Woche zweimal täglich und ga-
rantiert eine Antwort innerhalb von 24 Stunden. In ihrer Online-
Klinik bietet sie Beratung und Hilfe u.a. bei Angststörungen, De-
pressionen, Streß, sexuellen Problemen, Eßstörungen und Drogen-
problemen an. Problemschilderung und Frage können unbegrenzt
lang sein, die Antwort per E-Mail kostet 35 Dollar. Sie wirbt da-
mit, daß sie gerngesehene Expertin in Talkshows und Gesprächs-
runden ist und die Tageszeitung US Today ihre Website mit einem
»Hot Site Award« ausgezeichnet hat.
   Leonhard Holmes (http://www.netpsych.com/holmes) berech-
net seine Kosten für die Antwort auf eine Frage nach dem zeitli-
chen Aufwand. Für jede Antwortminute zahlt der Ratsuchende 1,50
Dollar. Die Zeit, die Leonhard Holmes für die Antwort aufwen-
den soll, kann vom Ratsuchenden allerdings auch begrenzt werden.

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Seine Professionalität und Seriosität belegt er mit seiner Disserta-
tionsurkunde, die er eingescannt und veröffentlicht hat.
   Wie seriös und erfolgreich solche Angebote sind, ist auf den
Internet-Seiten nur schwer erkennbar. Die Berater und Therapeu-
ten selbst geben keine Informationen über die Zahl der Anfragen
und den Erfolg ihrer Beratung. Wichtige Indizien für die Beurtei-
lung von Seriosität und Qualität sind Informationen über den be-
ruflichen Werdegang. Indizien können auch die auf manchen
Homepages veröffentlichten Informationen und Tips (z.B. über
Diagnosen oder Krankheitsbilder) sein oder die in manchen Fällen
veröffentlichten Antworten auf von Ratsuchenden gestellte Fragen.
Sie lassen zumindest erste Rückschlüsse auf den therapeutischen
Ansatz und die Seriosität zu.
   David I. Sommers hat seine Mental Health Cyber-Clinik (http:
//nicom.com/~davids/pageone.html) ausdrücklich als Erkun-
dungsfeld eingerichtet. Einige seiner Erkundungsergebnisse: 2,5%
aller Besucher seiner Homepage haben das E-Mail-Beratungsange-
bot genutzt, 25% schrieben mehr als eine E-Mail, 70% hatten Er-
fahrungen mit »realen« Therapien und 50% waren aktuell in einer
solchen Therapie. David I. Sommers weist allerdings ausdrücklich
darauf hin, daß die Zahlen nicht wissenschaftlich erhoben wurden
und deshalb auch nicht repräsentativ sind. Im übrigen hat er seine
Beratung via E-Mail vorerst wegen diverser Probleme und Sorgen
eingestellt. Er nennt u.a. die Erfolgskontrolle der Beratung, Fragen
der Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten und Probleme mit der
Gebührengestaltung.
   Auf das Problem der Datensicherheit weisen auch Klaus Mayer,
Corinna Bethge und Heiko Linn bei ihrer deutschsprachigen Psy-
chologischen Beratung Online hin (http://home.t-online.de/home/
psychologische_beratung/). Denn für das Verschlüsseln der Daten
sind die angebotenen Formularfelder nicht geeignet. Klaus Mayer
ist Diplompsychologe mit Ausbildung in personenzentrierter Ge-
sprächstherapie und kognitiver Verhaltenstherapie, Corinna Bethge
ist ebenfalls Diplompsychologin mit Ausbildung in klienten-
zentrierter Gesprächspsychotherapie, systemischer Familienthe-

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rapie und kognitiver Verhaltenstherapie, und Heiko Linn ist cand.
psych.

  Abb. 1: Homepage P sy
                     sycc holo
                   Psy        gisc
                          hologisc he Beratung online
                               gische

   Ihr Beratungsangebot richtet sich an Menschen in schwierigen
Lebenssituationen wie zum Beispiel Beziehungsprobleme, Streß im
Beruf, Trennung, Arbeitsplatzverlust oder andere psychische Be-
lastungen. Sie sehen die psychologische Beratung via E-Mail nach
einem Jahr Beratungserfahrung eher skeptisch, weil viele zwischen-
menschliche, nonverbale Informationen verlorengehen und der
Aufwand, um die für eine sinnvolle und qualifizierte Beratung not-
wendigen Informationen einzuholen, unverhältnismäßig hoch ist:
Der Ratsuchende bekommt eine unspezifische und weniger auf sein
konkretes Problem zugeschnittene Beratung, als dies im Gespräch
der Fall wäre. Zwar wird es eine psychologische Beratung von ih-
nen auch weiterhin geben, allerdings mit einem veränderten Kon-
zept: Sie werden verstärkt Fragebogen aus dem klinisch-psychia-
trischen Bereich einsetzen, um so eine fundierte Grundlage für eine
Beratung zu schaffen. Außerdem stellen sie spezifische psycholo-

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gische Inhalte ins Netz, ein Nichtrauchertraining und ein Streß-
managementprogramm.
  Ein ähnliches Konzept verfolgt Dipl.-Psych. Dr. Eugen Sonder-
mann aus Düsseldorf mit »Psychologie-Online« (http://www.psy-
online.de). Er bietet Informationen zu den Stichworten Verkehrs-
psychologie, Wirtschaftspsychologie und Psychotherapie. Fragen
zur Psychotherapie und zu anderen psychologischen Gebieten be-
antwortet er für 45 DM. Auf einer DIN-A4-Seite soll das Anliegen
formuliert werden. Folgende Stichworte sollen bei der Beschreibung
des Problems berücksichtigt werden: Alter, Geschlecht, evtl. frü-
here Diagnosen, evtl. frühere Therapieerfahrungen, Lebensumstän-
de, berufliche Situation, kurze Zusammenfassung des Problems,
Erläuterung des Problems. Spätestens nach einer Woche bekommt
der Ratsuchende eine ausführliche Antwort. Dr. Sondermann bie-
tet ebenfalls eine telefonische Beratung an, für die 40 DM pro 15
Minuten berechnet werden.

  Kostenlose E-Mail-Beratung
  Vergleicht man die kommerziellen Beratungsangebote im Internet
mit denen von gemeinnützigen Einrichtungen stellt sich die Frage:
Warum dafür bezahlen? Denn sie unterscheiden sich kaum – soweit
die kommerziellen Angebote seriös sind. Beratungsangebote bei-
spielsweise der Telefonseelsorge oder von Pro Familia lassen allein
schon durch die Träger vermuten, daß es sich hierbei um ernsthafte
und seriöse Beratungen handelt. Bei kommerziellen Anbietern ist
dies im Zweifelsfall erst nach der Beratung erkennbar.
  Zwei nichtkommerzielle Beratungsangebote im Internet werden
an anderer Stelle dieses Buches ausführlich vorgestellt, das der Ka-
tholischen Telefonseelsorge von Frank Christl (Seite 101) und das
von Pro Familia von Arno Schöppe (Seite 117). Darüber hinaus gibt
es zwei weitere erwähnenswerte Beratungsprojekte dieser Art.
  Anfang 1996 startete das E-Mail-Beratungsprojekt des Vereins
Womail und der österreichischen Gesellschaft für Familienplanung
mit Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für
Jugend und Familie (http://www2.telecom.at/femwien/welcome.

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html). Es handelt sich um ein Angebot für Jugendliche zu den The-
men Sexualität, Partnerschaft und Verhütung. Die Dialoge umfas-
sen vor allem Themenbereiche wie Liebeskummer, Partner-
beziehungen und Sexualaufklärung. Kürzere und meist einmalige
Beratungen finden zu Fragen der Verhütung, zu Aids und zu me-
dizinischen Fragen statt. Was die E-Mail-Beratungsstelle nicht lei-
sten kann und will, ist eine umfassende Beratung. Bei komplexen
Anliegen werden die jugendlichen Ratsuchenden an die anonyme
Telefonberatung »Herzklopfen« der Österreichischen Gesellschaft
für Familienplanung verwiesen.

  Abb. 2: Das P rojekt Interapie der U
              Projekt                 niv
                                     Univ ersitä
                                          ersitätt Amster
                                      niversitä           dam
                                                   Amsterdam

  Das Projekt Interapie (http://info.psy.uva.nl/tango/interapie) der
Universität Amsterdam wurde von Psychologen mit psychisch kran-
ken Studenten getestet. Ausgangspunkt der Überlegungen für die-
ses Angebot war ein Schreibtherapie-Projekt, das in eine persönli-
che Behandlung bei einem Therapeuten eingebunden war. Nun soll
herausgefunden werden, ob diese Art der Therapie auch ohne den
unmittelbaren Kontakt nur per E-Mail möglich ist: Die Klienten

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schreiben fünf Wochen lang zweimal in der Woche auf, was sie quält,
der Therapeut antwortet und stellt unterschiedliche Aufgaben, bei-
spielsweise die eigenen Ängste näher zu beschreiben. Die Klienten
müssen vor der eigentlichen Schreibtherapie einen ausführlichen
Fragebogen ausfüllen.

  Psychologische Tests und Selbstdiagnosen
  So beliebt wie Selbstdiagnosen, psychologische Tests und Frage-
bogen im wirklichen Leben sind, sind sie es auch im Internet. Für
eine ernsthafte Diagnostik wie bei dem Internet-Projekt an der
Universität Amsterdam oder von der Psychologischen Beratung
Online werden sie bisher selten genutzt. Seriöse Tests und Frage-
bogen im Internet können Ratsuchende über ihren Zustand aufklä-
ren und dem Berater Hintergrundwissen vermitteln.
  Dr. John Grohol bietet auf seiner Mental Health Page (http://
www.grohol.com) solch einen Fragebogen beispielsweise zu De-
pressionen oder Manien an. Er weist allerdings ausdrücklich dar-
auf hin, daß die Auswertung eine Diagnose nicht ersetzen kann. Auf
einer Skala von 0 bis 5 können 18 Fragen auf dem Fragebogen zur
Depression beantwortet werden, zum Beispiel: »Ich sehe hoffnungs-
voll in die Zukunft« oder »Beim Schreiben kann ich mich nur schwer
konzentrieren«. Der Fragebogen kann nach seiner Überzeugung für
die Entscheidung, ob man einen Therapeuten aufsuchen soll – und
zur Vorbereitung auf den Besuch – durchaus nützlich sein.
  Auf der Homepage der New Yorker Behörde für Psychiatrie
können Patienten eine Depressionsskala und andere Screening-Tests
ausfüllen (http://www.med.nyu.edu/Psych/public.html). Das Er-
gebnis wird umgehend mitgeteilt, ebenso werden weiterführende
Empfehlungen gegeben.
  Ein Experiment zum Thema Angst und Präsenz in virtuellen
Umgebungen wurde im Frühsommer 1996 an der Weimarer Bau-
haus-Universität durchgeführt. Den Rahmen für die Untersuchung
bildete das Seminar »Neuere Empirische Ergebnisse der Klinischen
Psychologie«. Unter anderem wurde dort ein Fragebogen zur Selbst-
beschreibung entwickelt, der im Internet ausgefüllt werden kann.

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Im ersten Teil müssen Situationen, die mit Höhe zu tun haben, be-
wertet werden; im zweiten Teil wird abgefragt, wie sehr bestimmte
Angstsituationen vermieden werden.

  Abb. 3: IRC-Channels im Dalnet
          IRC-Channels

  Live-Chats und IRC-Channels
  Im Unterschied zu der zeitversetzten Kommunikation via E-Mail
bieten einige Einrichtungen (z.B. die katholische Telefonseelsorge
Köln) und Therapeuten (z.B. Dr. Grohol in den USA) Live-Chats
an. Diese haben den Vorteil, daß man in Echtzeit miteinander kom-
munizieren kann. Man kann mit allen Anwesenden gleichzeitig
»sprechen« oder Zwiegespräche mit einzelnen Teilnehmern führen,
Therapeuten und/oder andere Ratsuchende können unmittelbar auf
Fragen und Äußerungen eingehen: Man tippt einen Text ein, der in
Sekunden bei allen Teilnehmern auf dem Bildschirm zu sehen ist.
Die Katholische Telefonseelsorge im Internet bietet solch einen
Chat an drei Abende in der Woche für jeweils vier Stunden an. In
der Regel finden dort längere Zweiergespräche statt. Chats werden
im Unterschied zu E-Mails von Menschen genutzt, die unter gro-

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ßem Druck stehen und schnelle und direkte Hilfe benötigen. Man-
che Mailingliste nutzt den Chat zu ähnlichen Zwecken, wie Katrin
Jaeger in ihrem Beitrag (Seite 40) beschreibt.
  Eine besondere Variante von Chats sind IRCs (Internet Relay
Chat). Es gibt unterschiedliche IRC-Netze. Die wichtigsten sind
das DALNet (http://www.dal.net), das EfNet (http://www.rothen
burg.de/gotisches-haus/irc/server.html) und das UnderNet (http:
//www.undernet.org). Sie bieten öffentliche Räume (das DAL-Net
beispielsweise ca. 5.000) zu vielen Themen an, in denen ständig
»Konferenzen« stattfinden, die in der Regel von fünf bis 15 Perso-
nen besucht werden. Häufig wechselnde Besucher stehen allerdings
in dem Verdacht, solche Channels (die oft mit Kneipen verglichen
werden) nur für oberflächliche Kontakte zu nutzen. Dies mag auch
der Grund dafür sein, das nur sehr wenige Selbsthilfegruppen die-
se Form der Kommunikation nutzen. Andererseits sind in manchen
Channels auch Stammgäste zu finden, die durchaus einen intensi-
ven und engen Austausch pflegen. Selbsthilfe-IRC-Channels gibt
es beispielsweise zu den Themen Autismus oder Hepatitis. Die
Anonymen Alkoholiker bieten eine Reihe von offenen Sitzungen
oder regelmäßige stattfindende und moderierte Gruppengespräche
an.

   MUDs
   MUDs (Multi User Dungeons/Dimensions = Mehrpersonen-
spiel) sind ursprünglich als virtuelle Rollenspiele entstanden, wer-
den heute aber auch als Lernumgebungen oder für die wissenschaft-
liche Kommunikation genutzt. Im Unterschied zu Chats und IRCs
erweitern sie die Kommunikationsmöglichkeiten durch eine dau-
erhafte virtuelle Umgebung und durch Rollen, die jeder Mitspieler
individuell schaffen und ausfüllen kann. Manche Teilnehmer brin-
gen sehr viel Zeit auf, solche Phantasierollen zu schaffen, und be-
wegen sich nicht selten über Monate oder Jahre in diesen Rollen im
Internet. Eine Besonderheit von MUDs liegt darin, daß alle Teil-
nehmer aktiv in das Spielgeschehen, das über die Tastatur des Com-
puters gesteuert wird, eingreifen können. Sie können die Umgebung

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mitgestalten, ihre eigene Rolle weiterentwickeln oder anderen Mit-
spielern Aufgaben stellen.
   Bisher werden solche virtuellen Umgebungen kaum für therapeu-
tische Zwecke genutzt, obwohl sie auf die Bedürfnisse und Wün-
sche jeder Zielgruppe ausgerichtet werden können. So ist es durch-
aus denkbar, daß solche virtuellen Umgebungen als Lern- oder
Übungsfeld geschaffen werden, wo beispielsweise soziale Kompe-
tenz erworben werden kann.

  Abb. 4: Analy se vvon
          Analyse    on Stimmungen mensc hlic
                                   menschlic  her Gesic
                                         hlicher        hter
                                                  Gesichter

  Netztherapie
  Über diese bereits praktizierten Nutzungsmöglichkeiten hinaus
gibt es einige durchaus ernst zu nehmende Ansätze, das Internet für
spezielle »Netztherapie« zu nutzen. Wissenschaftler in Washing-
ton testen beispielsweise das »therapeutische« Virtual-Reality-Sy-
stem Spiderworld (http://hitl.washington.edu/projects/therapeutic/
exposure.html), mit deren Hilfe Menschen von ihrer Spinnenphobie
befreit werden sollen. Ausgerüstet mit einem Datenhelm und Da-
tenhandschuhen werden sie mit »virtuellen« Spinnen konfrontiert,

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an die sie sich Schritt für Schritt »gewöhnen« sollen. In einem an-
deren Projekt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ar-
beiten Wissenschaftler an einem Programm, das Stimmungen von
menschlichen Gesichtern ablesen kann (http://condor.depaul.edu/
~elliott/papers/aied97/aied97. html). Die Gesichter (zum Beispiel
ängstliche, erstaunte oder erschreckte) werden mit einer Kamera
eingefangen und mit Mustern, die Schauspieler eingespielt haben,
verglichen. Die Genauigkeit der Analyse soll bei diesen recht gro-
ben Mustern bei 98 Prozent liegen. Die Wissenschaftler um Pro-
fessor Irfan Essan denken bereits darüber nach, den Computer auch
mit Informationen beispielsweise über Stoffwechsel, Blutdruck oder
Muskelanspannung zu füttern, um wirklichkeitsgetreue Gefühls-
modelle abbilden zu können. Amerikanische und englische Verhal-
tenstherapeuten arbeiten an einem Programm, mit dem Menschen,
die unter Kontrollzwang leiden, über das Internet geholfen werden
soll. Der Klient gibt in das Computerprogramm BTStep seine Kon-
trollgänge und was er getan hat ein und bekommt den nächsten
Selbsthilfeschritt empfohlen.

   Nutzer von Internet-Beratung
   Gerne wird über Sinn und Nutzen von Beratungs- und Therapie-
angeboten im Internet diskutiert; nicht selten ohne Kenntnis der
Projekte und ihrer Erfahrungen, die sich nicht als Ersatz für »rea-
le« Beratungen und Therapien verstehen, sondern die ein niedrig-
schwelliges Angebot bieten, das nicht selten als Einstieg in andere
Beratungs- und therapeutische Angebote genutzt wird. Offensicht-
lich gibt es für solche Angebote ein Klientel, das mit traditionellen
Beratungs- und Therapieangeboten nicht erreicht wird. Folgende
Nutzergruppen sind zu nennen:
   - Ratsuchende, die sich herkömmliche Beratung und/oder
     Therapie nicht leisten können.
   - Ratsuchende, die ein gewisses Maß an Distanz herkömm-
     lichen Therapeuten und Therapien gegenüber wahren
     möchten.

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- Ratsuchende, in deren unmittelbarem Umfeld keine Selbst-
     hilfegruppe oder kein Therapeut zu finden ist.
   - Ratsuchende, die wegen ihrer körperlichen Behinderung
     herkömmliche Angebote nicht nutzen können oder wollen.
   - Ratsuchende, die sich vor einer realen Beratung oder Thera-
     pie über diese informieren wollen.
   Es sei deshalb davor gewarnt, solche Ansätze von vornherein
abzulehnen, auch wenn modische Kurzzeittherapien Heilung und
Hilfe auch im Internet versprechen. Denn in der Regel sind Akti-
vitäten im Internet – ob es sich nun um Spiele, Lektüre oder eben
Beratung handelt – nicht Ersatz, sondern Ergänzung traditioneller
Kommunikationsformen. Ebensowenig wie die Telefonseelsorge
herkömmliche Therapien ersetzt hat, wird Beratung und Therapie
im Internet sie ersetzen. Sinnvoller als die vorschnelle Ablehnung
ist es, sich mit den Erfahrungen von Projekten auseinanderzuset-
zen und darüber nachzudenken, welche spezifischen Möglichkei-
ten Beratung und Therapie im Internet (insbesondere zukünftig)
bieten können.

   Ist Therapie im Internet möglich?
   Experten sind sich einig, daß eine Therapie ausschließlich im
Internet nicht möglich ist. Dazu gehört der persönliche Kontakt:
Man muß miteinander sprechen, sich sehen und eine enge Bezie-
hung zwischen Ratsuchenden und Therapeuten aufbauen. Kommu-
nikation im Internet ist (bisher noch) »reduziert« auf den Austausch
von schriftlichen Mitteilungen. Hinzu kommt, daß Gefühle nur er-
satzweise (z.B. mit Hilfe von Emoticons) formuliert werden kön-
nen, es durch die zeitliche Verzögerung zu Interpretations-
problemen kommen kann, die Datensicherheit nicht gewährleistet
ist und es keine gesicherten Erkenntnisse gibt, ob durch diese Art
der Kommunikation zutreffende Diagnosen und erfolgreiche »The-
rapien« möglich sind. In der Regel nutzen Ratsuchende allerdings
nicht nur die Kommunikation im Internet, sondern auch »reale«
Selbsthilfegruppen oder die »persönliche« Hilfe von Therapeuten.
Das Internet bietet allerdings Informationen und eine erste Hilfe

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bei psychischen Problemen. Außerdem bietet die schriftliche Kom-
munikation (nicht nur) im Internet auch Vorteile gegenüber ande-
ren Formen der Kommunikation:
  - Ratsuchende können den Grad der Intensität der Kommuni-
     kation selbst bestimmen.
  - Die Barrieren bei sozialen Ängsten sind geringer.
  - Geschrieben kann man leichter mehr von sich preisgeben.
  - Die Kommunikation erfolgt vorurteilsfrei und gleichberech-
     tigt, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sozialer Situati-
     on oder Behinderung.
  - Durch die schriftliche Kommunikation können wichtige Vor-
     aussetzungen auch für tragfähige persönliche Freundschaften
     geschaffen werden.
  - Kommunikation im Internet bietet spielerische Elemente.
  Über einen längeren E-Mail-Kontakt ist es möglich, zu einer
gemeinsamen Problembeschreibung zwischen Ratsuchendem und
Berater zu kommen, gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu entwik-
keln und letztendlich auch eine enge Beziehung aufzubauen. Das
zeigen die Erfahrungen von Mailinglisten und E-Mail-Beratungs-
angeboten im Internet.
  Nicola Döring beschreibt in ihrem Aufsatz »Selbsthilfe, Beratung
und Therapie im Internet« aber auch einige interessante Parallelen
verschiedener therapeutischer Ansätze zu Erfahrungen von Bera-
tung und Therapie im Internet. Parallelen zur klientenzentrierten
Gesprächstherapie sieht sie in der ausführlichen schriftlichen Form
der Kommunikation, wenn Klienten ungestört ihre Sichtweise for-
mulieren können und die Therapeutin ermutigendes Feedback gibt,
Fragen und Denkanstöße einstreut. »Hier kann die selbstheilende
Wirkung des Tagebuchs mit einer therapeutischen Unterstützung
kombiniert werden.«
  Auch zu kreativen Therapien stellt sie Verbindungen her, weil
Menschen im E-Mail-Austausch gezwungen sind, Texte, eigene
Werke zu schreiben. »Eine distanzierte Haltung den eigenen Äuße-
rungen gegenüber wird dadurch möglich.«

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Parallelen zur Verhaltenstherapie sieht sie vor allem in der Inter-
aktion und Kommunikation in Mailinglisten, Newsgroups, IRC-
Channels und MUDs, die dem Verhaltenstraining dienen. »So wäre
es zum Beispiel möglich, daß sich Therapeutin und Klientin auf
einen öffentlichen IRC-Channel begeben, damit die Klientin dort
übt, auf andere Menschen zuzugehen, Ängste und ungünstige
Deutungsmuster abzubauen etc.« Solche Bewegungen können »ver-
deckt« oder offen erfolgen und – die technischen Möglichkeiten
vorausgesetzt – auch aufgezeichnet werden.
   Und schließlich können Therapeutinnen »neben der therapeu-
tisch begleiteten Konfrontation mit alltäglichen Kommunika-
tionsszenarien im Netz ... auch virtuelle Treffpunkte und Umwelten
schaffen, die den Bedürfnissen der Klienten entgegenkommen, etwa
indem sie besonders spielerisch, bedrohlich, phantasievoll oder
realitätsnah gestaltet sind und therapierelevante Themen aufgrei-
fen.«

  Literatur
SUSANNE ABERER (1997): E-Mail-Beratung für Jugendliche,
  Projektbericht, Wien
NICOLA DÖRING (1998): Selbsthilfe, Beratung und Therapie im
  Internet, in B. Batinic: Internet für Psychologen, Hogrefe,
  2. Auflage, Göttingen
BERND HENDRICKS (1998): Gefühlskarussell Cybercouch,
  »Internet Professionell« 5/98
KAY MÜLGES (1997): Auf der virtuellen Couch, Psychologische
  Angebote im Internet, »Frankfurter Rundschau« vom
  22.12.1997
UTE WATERMANN (1998): Auf der Couch im Internet, »Die Zeit«
  vom 16. April 1998

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