AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg

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AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg
AUF KOSTEN
DES VOLKES
Rechtspopulistische Positionen
    zu Klima und Umwelt
AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg
AUF KOSTEN
DES VOLKES
Rechtspopulistische Positionen
    zu Klima und Umwelt
AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg
Die Publikation ist entstanden im Rahmen des
Forschungsprojekts „Politiken der Nicht-Nachhaltigkeit
(PONN): National-autoritärer Populismus und neue so-
ziale Disparitäten als gesellschaftliche Rahmenbedin-
gungen einer sozial-ökologischen Transformation“
(Förderkennzeichen 01UV2071 A+B)

Auf Kosten des Volkes ist lizenziert unter der Creative
Commons Attribution-Non Commercial-NoDerivs 4.0
Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private
Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine
kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden
Sie unter: creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0

Autor:innen: Franziska Humpert, Philipp Kadelke,
Christian Möstl, Miriam Schad und Bernd Sommer
Unter Mitarbeit von: Lilly Gerlach und
Josefa Kny (Text & Lektorat)
Grafiken, Layout, Satz und Umschlagsgestaltung:
Sarah Heuzeroth

Europa-Universität Flensburg /
Technische Universität Dortmund 2021

ISBN 978-3-00-069514-8
AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg
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                    I. Worum es geht

    Im Januar 2017 trat Donald Trump sein Amt als US-Präsident an und        Diesen Fragen geht diese Veröffentlichung nach. Allgemeinverständ-
    begann unverzüglich damit, den Klima- und Umweltschutz zu schwä-         lich fasst sie Ergebnisse des Forschungsvorhabens „Politiken der
    chen. Er genehmigte den Ausbau umstrittener Ölpipelines, wies neue       Nicht-Nachhaltigkeit (PONN): National-autoritärer Populismus und
    Fördergebiete für fossile Brennstoffe in sensiblen Ökosystemen aus       neue soziale Disparitäten als gesellschaftliche Rahmenbedingungen
    und kürzte der nationalen Umweltbehörde sowie der Klima- und Um-         einer sozial-ökologischen Transformation“ zusammen. Die Veröffentli-
    weltforschung drastisch die Gelder. Im darauffolgenden Sommer kün-       chung richtet sich also an ein Publikum jenseits der Fachwissenschaft:
    digte Trump den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkom-       Dies können Politiker:innen auf verschiedenen Ebenen sein, Vertre-
    men der Vereinten Nationen an.                                           ter:innen aus dem Bereich der politische Bildung, aber auch die viel zi-
                                                                             tierte „interessierte Öffentlichkeit“ aus den unterschiedlichsten Berei-
    In Deutschland stellt die Alternative für Deutschland (AfD) die Klima-   chen der Zivilgesellschaft. Der Fokus der Untersuchung – insbesonde-
    und Umweltschutzpolitik am lautesten infrage. Entgegen allen seriö-      re bei der Auswertung der Daten der Bevölkerungsbefragungen – liegt
    sen wissenschaftlichen Erkenntnissen leugnet die Partei zum Teil so-     auf Deutschland. Bei dem Thema der Veröffentlichung ist es aber auch
    gar, dass der Klimawandel durch Menschen verursacht ist. Und längst      notwendig, den Blick darüber hinaus zu weiten. Denn insbesondere die
    ist das Thema kein Nebenschauplatz mehr: Bekannte AfD-Politiker:in-      Situation in anderen europäischen Ländern und den USA ist Gegen-
    nen ließen inzwischen verlauten, dass das Klima – nach Euro und Ge-      stand einschlägiger Studien zu Rechtspopulismus und Umweltfragen.
    flüchteten – neuer inhaltlicher Schwerpunkt der Partei werden soll.
                                                                             PONN wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
    Trump und die AfD sind nur zwei prominente Beispiele. Auch bei Pro-      (BMBF) gefördert und von Mitarbeiter:innen der Technischen Univer-
    testbewegungen gegen Windkraftanlagen, in Debatten um die Klima-         sität Dortmund sowie der Europa-Universität Flensburg zwischen Mai
    bewegung Fridays for Future oder die Förderung von E-Mobilität fin-      2020 und Juni 2021 durchgeführt.
    den sich solche Initiativen und Argumentationsmuster wieder: Klima-
    schutz und aktiver Wandel gen Nachhaltigkeit werden als „Elitenpro-       Die ausführlichen Forschungsergebnisse wurden unter dem Titel
    jekt“ gedeutet, das zu Lasten „des Volkes“ geht.                         „Rechtspopulismus, das Klima und die Umwelt“ im oekom-Verlag ver-
                                                                              öffentlicht.
    Ist die Ablehnung von Klimaschutz also kennzeichnend für Rechts-
    populismus heute? Und wenn ja, wieso ist das so? Teilen die Anhän-
    ger:innen des organisierten Rechtspopulismus und breitere Bevölke-
    rungsteile die Anti-Klima-Positionen? Und schließlich: Was bedeutet
    ein Erstarken des Rechtspopulismus für eine sozial-ökologische Trans-
    formation unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit, deren Grundlage die
    Einhaltung der Pariser Klimaziele ist?
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                  II. Rechtspopulismus
                   definiert und erklärt                                          vornehmlich die eigenen Interessen im Auge – und nicht die Interessen
                                                                                  der einfachen Leute, des „Volkes“. Populist:innen, egal welcher Pro-
                                                                                  fession sie angehören und wie viel sie verdienen, sind davon allerdings
                                                                                  ausgenommen.
                                                                                  Eine solche Erzählung der gesellschaftlichen Zustände und Zusam-
                                                                                  menhänge ist stark vereinfachend und lässt viel Interpretationsspiel-
    Populismus ist ein schillernder Begriff. Er wird häufig und in ganz ver-      raum. Dies erklärt auch die sehr unterschiedlichen Spielarten von Po-
    schiedenen Zusammenhängen verwendet. Was jeweils gemeint ist,                 pulismus, die in verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen und
    kann dabei sehr unterschiedlich sein.                                         unterschiedlichen Ländern zu beobachten sind. In der Regel dockt die
                                                                                  klare Unterteilung in „Volk“ und „Elite“ an weitere ideologische Vor-
    In der Wissenschaft gibt es mehrere Ansätze Populismus zu definie-            stellungen über Gesellschaft an. Kommen beispielsweise populisti-
    ren. Einige Wissenschaftler:innen verstehen Populismus als eine po-           sche und nationalistische autoritäre Ideologien zusammen, verschmel-
    litische Strategie, um Macht zu erlangen. Andere sehen ihn als einen          zen sie zu Rechtspopulismus. Das „Volk“ wird dann – insbesondere in
    Politikstil, bei dem es darum geht, sich besonders „volksnah“ zu ge-          der völkischen Tradition, die in Deutschland als stark ausgeprägt gilt –
    ben. Populismus eindeutig zu definieren ist schwierig. In Anlehnung           auch ethnisch definiert.
    an die Arbeiten von Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser kön-
    nen sich jedoch viele Wissenschaftler:innen, die zu diesem Thema for-
    schen, darauf einigen, Populismus als Einstellungsmuster in Form ei-                Was ist was am rechten Rand?
    ner Ideologie zu fassen.1 Unter „Ideologie“ werden hier bestimmte auf-              Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus
    einander bezogene und wertende Vorstellungen über die Gesellschaft
    und wie sie zu sein hat verstanden.
                                                                                  Die drei Begriffe Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rechts-
     Im Kern dieser Ideologie steht beim Populismus, nach Mudde und Ro-           extremismus werden häufig miteinander vermengt oder sogar syno-
     vira Kaltwasser, die Einteilung der Gesellschaft in zwei Gruppen: das        nym verwendet. Sie voneinander abzugrenzen und möglichst trenn-
    „anständige Volk“ und die „korrupte Elite“. Beide Gruppen werden dabei        scharf verwenden zu können, ist jedoch wichtig. Darum möchten wir
     in sich als Einheit verstanden.                                              uns im Folgenden bemühen. Gleichzeitig ist dies nicht ohne Weiteres
                    			Das anständige Volk hat gemäß der populistischen           einzulösen, denn beim konkreten Gegenstand handelt es sich vielfach
                            Vorstellungswelt nur einen Volkswillen. Unter-        um eine Art moving target, also ein Phänomen, das selbst Veränderun-
                                schiede in Vorlieben oder Meinungen werden        gen unterliegt und mal mehr in die eine oder die andere Richtung ten-
                                  nicht anerkannt. Entsprechend ist der so-       diert.
                                     genannte „Volkswille“ der Wille, den Po-     Dies zeigt sich zum Beispiel in der aktuellen Debatte darüber, ob die
                                      pulist:innen selbst vertreten und als       AfD eine rechtspopulistische oder eine rechtsextremistische Partei ist.
                                        dessen Sprachrohr sie sich verstehen.     Ende Februar 2021 wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfas-
                                         Die korrupte Elite ist ebenso klar de-   sungsschutz die AfD im Ganzen als einen rechtsextremen „Verdachts-
                                          finiert: Danach haben alle etablier-    fall“ einstuft. Die begriffliche Auseinandersetzung kann damit hand-
                                            ten Politiker:innen, Journalist:in-   feste Folgen haben: Der Partei droht unter anderem die Überwachung
                                              nen, Wissenschaftler:innen usw.     mit nachrichtendienstlichen Mitteln.
10   Was ist was am rechten Rand?                                                                                                               Rechtspopulismus definiert und erklärt   11

      Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus werden durch die Krite-                                        Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen
     rien „Gewaltbereitschaft“ und „Systemfeindlichkeit“ voneinander ab-
     gegrenzt.
                                                                                                        Rechtspopulist:innen sind in fast allen europäischen Parlamenten ver-
     Von Rechtsradikalismus kann gesprochen werden, wenn seine Vertre-                                  treten. In einigen Ländern wie Österreich, Ungarn und Polen waren bzw.
     ter:innen rassistische und nationalistische Einstellungen haben, aber                              sind sie sogar an der Regierung beteiligt oder führen sie an. Die Abbil-
     Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ab-                                 dung 2 (siehe folgende Seite) gibt hierzu einen Überblick für Europa.
     lehnen und auch nicht die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen                              Rechtspopulismus ist also keine politische Randerscheinung, sondern
     Grundordnung (FDGO) fordern. Rechtsradikale sind nach diesem Ver-                                  eine politische Kraft, die sich in Europa und darüber hinaus etabliert
     ständnis also keine gewaltbereiten Neonazis, die sich einen „Führer-                               hat. Wie ist der Aufstieg des Rechtspopulismus verlaufen, und wie
     staat“ wünschen. Dies wiederum ist Teil der Definition von Rechtsex-                               lässt er sich erklären?
     tremismus, der in Deutschland von den Verfassungsschutzbehörden
     als Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung beobach-                                Als erstes „populist movement“ wurde in den 1870er Jahren eine Be-
     tet wird.                                                                                          wegung von Kleinbäuer:innen – sogenannte Yeoman – bezeichnet, die
                                                                                                        in den USA ihren Anfang nahm. Sie setzte sich unter anderem für ge-
                                                                                                        stützte Preise für landwirtschaftliche Produkte und die Einführung von
                                                                                                        Vorwahlen ein. Dabei ging es vor allem darum, die einfachen Leute vor
              „Dünne Ideologie“ des                                                                     den kapitalistischen Eliten und dem freien Markt zu schützen.2
                                                             Rechtsextremismus

               Populismus („Volk
                                          Rechtspopulismus

               vs. Elite“)
                                                                                                        In der europäischen Geschichte des Populismus sind Frankreich in den
                                                             Populistischer

                                                                                                        1950er Jahren und die skandinavischen Länder in den 1970er Jahren
                                                                                                        zentrale Ausgangspunkte. In beiden Fällen bildeten sich populistische
                                                                                                        Parteien aus Protesten gegen die vorherrschende Steuerpolitik. Schon
                              Rechtsradikalismus Rechtsextremismus
                                                                                                        damals war die kennzeichnende populistische Erzählung zu beobach-
                                                                                                        ten, dass die Rechte des „Volkes“ gegenüber dem Staat bzw. der „Elite“
                Verfassungskonformes Spektrum                                                           verteidigt werden müssen.
                     (definiert durch FDGO)                                      „Rechte Ideologie“
                                                                                  (Nationalismus
                                                                                  und Autoritarismus)   Im Laufe der Zeit wurde dieses Narrativ um Nationalismus und Ras-
                                                                                                        sismus ergänzt. Entsprechende rechtspopulistische Parteien entwi-
                                                                                                        ckelten sich in den 1980er und 1990er Jahren in der Schweiz, Österreich,
               Abb 1: Rechtspopulismen | Quelle: Eigene Darstellung
                                                                                                        Belgien und im Norden Italiens.

                                                                                                        In Deutschland hat sich mit der AfD erst 2013 – im europäischen Ver-
     Die AfD ist ein Beispiel für eine Partei, die gegenwärtig zwischen popu-                           gleich also relativ spät – eine rechtspopulistische Partei gebildet, die
     listischem Rechtsradikalismus und populistischem Rechtsextremismus                                 sich etablieren konnte. Seit der Bundestagswahl im Jahr 2017 liegt sie
     zu verorten wäre. Unklar ist bislang noch, ob die rechtsextremistischen                            in den Umfragen relativ stabil über zehn Prozent.
     Strömungen in der Partei dauerhaft die Oberhand gewinnen werden.
12               Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen                                                                                                                       Rechtspopulismus definiert und erklärt                13

                 Abb. 2: Rechtspopulistische Parteien in Europa*
                                                                                                                                                    Estland
                                                                                                                                             Estnische Konservative        17,8 %                 Prozentualer Anteil
                                                                                                                                               Volkspartei (EKRE)          (2019)
                                                                                                                                                                                                        im Parlament
          Dänemark                                           Norwegen                                                                                                                                 (bei der letzten
                                                                                                                                                   Lettland                                         nationalen Wahl)
     Dänische Volkspartei (DF)   8,7 %                   Fortschrittspartei (FrP)   15,2 %
                                 (2019)                                             (2017)                                                   Nationale Vereinigung
                                                                                                                                             „Alles für Lettland!“ –       11,1 %
      Neue Bürgerliche (Nye      2,4 %                                                                                                        „Für Vaterland und           (2019)                                 20
                                                                                    (2019)
         Niederlande                                                                                                                                                                               keine Angabe
                                                                                                                                                 Tschechien
        Partei für die Frei-     10,8 %                        Schweiz
            heit(PVV)            (2021)                                                                                                        Freiheit und direkte        10,6 %
                                                                                                                                                Demokratie (SPD)           (2017)
                                                         Schweizer Volkspartei      25,6 %
       Forum für Demokra-        5,0 %                          (SVP)               (2019)                                                                                                     Regierungsbeteiligung
            tie (FvD)            (2021)                                                                                                            Slowakei
                                                                                                                                                                                                                   Ja
                                                                                                                                                 Unsere Slowakei           8,0 %
       Großbritannien                                                                                                                               (L‘SNS)                (2020)                              Nein
            Reform UK            2,0 %
                                 (2019)                                                                                                           Österreich
                                                                                                                                                Freiheitliche Partei       16,2 %
            Belgien                                                                                                                              Österreichs (FPÖ)         (2019)

       Vlaams Belang (VB)        12,0 %
                                 (2019)                                                                                                             Ungarn
                                                                                                                                             Fidesz in Wahlbündnis        49,3 %
         Luxemburg                                                                                                                            mit Christlich-Demo-         (2018)                   Slowenien
                                                                                                                                             kratischer Volkspartei
       Alternative Demokra-      8,3 %                                                                                                               (KDNP)                                     Slowenische Demokra-      24,9 %
       tische Reformpartei                                                                                                                                                                        tische Partei (SDS)     (2018)
                                 (2018)
              (ADR)                                                                                                                           Bewegung für ein bes-        19,1 %
                                                                                                                                              seres Ungarn (Jobbik)        (2018)
                                                                                                                                                                                                     Kroatien
          Frankreich                                                                                                                                                                              Heimatbewegung          10,9 %
                                                                                                                                                                                                      (DPMŠ)              (2019
       Nationale Versamm-        13,2 %
            lung (RN)            (2017)
                                                                                                                                                                                                  Griechenland
           Spanien                                                                                                                                                                              Griechische Lösung (EL)   3,7 %
                                                                                                                                                                                                                          (2019)
               Vox               15,1 %
                                 (2019)                                                                                                                                                        Goldene Morgenröte (XA)    2,9 %
                                                                                                                                                                                                                          (2019)
           Portugal
              Chega!             1,3 %                                                                                                                                                                Zypern
                                 (2019)                         Italien                                                                                                                          Nationale Volksfront     3,7 %
                                                                  Lega              17,3 %                                                                                                             (ELAM)             (2016)
                                                                                    (2018)

                                                           Brüder Italiens (Fdl)    4,4 %    * Die Übersicht umfasst sowohl radikale als auch extreme Parteien der populistischen Rechten
                                                                                    (2018)   in Europa. Bei einigen Fällen sind die Übergänge auch fließend, so z.B. beim belgischen VB, der
                                                                                             deutschen AfD, dem französischen RN oder der österreichischen FPÖ.
14   Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen                                                                             Rechtspopulismus definiert und erklärt       15

     Doch nicht allein in Europa ist der Aufstieg rechts-                        Deutliche Unterschiede zeigen                         Angestellte (2,1 Mio.)
     populistischer politischer Kräfte zu beobach-                               sich dafür beim Geschlecht. AfD-                       Rentner:innen (1,75 Mio.)
     ten. Ein besonders prominentes Beispiel ist                                 Wähler:innen sind überwiegend                         Arbeiter:innen (825.000)
     hier der ehemalige US-Präsident Donald                                      männlich. Je nach Studie wählen                       Selbstständige (370.000)
     Trump, der sich als Vertreter des Vol-                                      zwischen zu rund zwei Dritteln                         Beamte (215.000)
     kes darstellte und gegen Eliten in den                                      und 80 Prozent Männer die Partei.                     Arbeitslose (195.000)
     Medien und der Politik wetterte.
                                                                                 Auch in der geografischen Ver-
                                                                                 teilung zeigt sich ein Muster: Der
            Wer wählt Rechtspopulist:innen?                                      Anteil der AfD-Wähler:innen in
                                                                                 Ostdeutschland liegt über dem
                                                                                 in Westdeutschland. Allerdings
     Um diese Frage zu beantworten, richten wir den Blick auf Deutschland        stellt Ostdeutschland mit rund
     und konkret auf die AfD als einzige politisch relevante rechtspopulisti-    12,5 Millionen Einwohner:innen
     sche Partei. Doch obwohl die Frage einfach klingt: Wer genau die Wäh-       nur einen Bruchteil der Wähler:in-
     ler:innen der AfD sind, ist nicht leicht zu beantworten – auch weil sich    nenschaft insgesamt. Die west-
                                                                                                                               Abb 3: AfD-Wähler:innenstimmen
     ihre Wähler:innenschaft seit der Parteigründung verändert hat.              deutschen Wähler:innen sind also               nach beruflichem Status (Zweit-
                                                                                 entscheidend für das gegenwärti-               stimmen Bundestagswahl 2017)
     In ihrer Anfangsphase definierte sich die AfD in erster Linie als Anti-     ge Gewicht der Partei.
     Euro-Partei und konnte so vor allem Wähler:innen aus den oberen Ein-
     kommensschichten überzeugen. Mittlerweile wählen verglichen mit             Die Verbreitung des Rechtspopulismus in der Gesellschaft nur an der
     dem Bevölkerungsdurchschnitt eher untere Einkommensschichten                Parteivorliebe festzumachen, greift allerdings zu kurz. Rechtspopulis-
     häufiger die Partei. Zudem haben ihre Wähler:innen heute tendenziell        tische Einstellungen werden auch in der Auswertung von statistischen
     einen formal niedrigeren Bildungsabschluss.                                 Repräsentativdaten deutlich. Diese Erhebungen zeigen, dass unge-
                                                                                 fähr zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung entsprechende Einstellungen
     Ob die Wahl der AfD durch den Erwerbsstatus beeinflusst wird, ist           vertreten. Eine andere Studie aus dem Jahr 2016 kommt sogar auf ei-
     schon weniger eindeutig. Zwar wählen arbeitslose Menschen die Par-          nen Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung mit klaren und 40 Prozent
     tei überdurchschnittlich häufig, allerdings sind unter den Wähler:innen     mit latent rechtspopulistischen Einstellungen.3
     der AfD auch mehr Vollzeitbeschäftigte und vor allem Rentner:inen zu
     finden (siehe Abbildung 3).
                                                                                       Wie lässt sich der Aufstieg erklären?
     Als Fazit lässt sich festhalten: Die Wähler:innen der AfD kommen aus
     allen Bevölkerungsgruppen. In prekären Milieus finden Rechtspopu-
     list:innen zwar eine erhöhte Zustimmung, jedoch stellen diese Gruppen       Warum konnte sich der Rechtspopulismus in den letzten Jahrzehnten
     nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Ohne die Unterstützung aus an-          gesellschaftlich so gut etablieren? Dazu gibt es verschiedene Erklä-
     deren Milieus hätte die Partei nicht ihr derzeitiges politisches Gewicht.   rungsansätze. Sie lassen sich in vier Thesen zusammenfassen.
16   Wie lässt sich der Aufstieg erklären?                                                                              Rechtspopulismus definiert und erklärt   17

     Die Ökonomiethese: Unter dieser These lassen sich Erklärungen fas-         Begriff der Silent Revolution bekannt, den der US-amerikanischen Po-
     sen, die den Aufstieg des Rechtspopulismus durch das wachsende Ge-         litikwissenschaftler Ronald Inglehart geprägt hat.4 Gesellschaftsgrup-
     fühl ökonomischer Unsicherheit und die Angst vor einem sozialen Ab-        pen, die sich vormals mit ihren Normen und Werten in der Mitte der
     stieg begründen. Dafür verantwortlich gemacht wird in der Literatur        Gesellschaft verortet hätten, empfinden die gesellschaftliche Vielfalt
     oftmals eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die seit   und Komplexität heute zunehmend als verunsichernd. Rechtspopulis-
     den 1970ern auf dem Vormarsch war. Dabei zieht sich der Staat weit-        mus ist aus dieser Sicht eine regressive Revolte, also ein Versuch, die
     gehend aus der Regulierung der Wirtschaft zurück. Stattdessen be-          alte Werteordnung wiederherzustellen und die vermeintliche kulturelle
     stimmt der Wettbewerb das gesellschaftliche Leben bis hin zur Da-          Überlegenheit zu sichern.
     seinsvorsorge; soziale Sicherungssysteme werden geschwächt. Die pa-
     rallele Entwicklung der Globalisierung und Modernisierung – durch den      Die Kontinuitätsthese: Darunter werden solche Ansätze zusammen-
     Abbau vormals zentraler Industrien, technologische Neuerungen und          gefasst, die aus sozialpsychologischer Sicht genauer betrachten, unter
     Strukturwandel – lässt die Komplexität der Welt aus der Sicht des:der      welchen gesellschaftlichen Bedingungen sich persönlichen Einstellun-
     Einzelnen enorm anwachsen. Im Zusammenspiel ergibt sich eine zu-           gen entwickeln. Sie verweisen darauf, dass menschenfeindliche, rassis-
     nehmende Verunsicherung bei verschiedenen Gesellschaftsgruppen,            tische und rechtsextreme Einstellungen seit vielen Jahrzehnten in der
     den sogenannten „Modernisierungsverlierer:innen“. Rechtspopulisti-         Gesellschaft verbreitet sind. Für rechtspopulistische Politik bilden die-
     sche Parteien mit ihren vermeintlich einfachen Erklärungen und klaren      se einen guten Nährboden.
     Einteilungen in „gut“ und „böse“ profitieren von diesen Entwicklungen.
                                                                                Die These des politischen Wandels: Einige Erklärungsansätze gehen
                                                                                davon aus, dass vor allem die Veränderung von gesellschaftlichen und
                                                                                politischen Rahmenbedingungen zum Erfolg rechtspopulistischer Par-
                                                                                teien und Bewegungen beiträgt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht
                                                                                werden hier einerseits die Dynamiken von Angebot und Nachfrage im
                                                                                Parteienspektrum untersucht. Andererseits steht die öffentliche Kom-
                                                                                munikation im Fokus, die sich durch soziale Medien maßgeblich verän-
                                                                                dert hat. Für den Aufstieg von Rechtspopulist:innen ist demnach wich-
                                                                                tig, wie sie handeln und mit Veränderungen umgehen. Wie geeint oder
     Die Kulturthese: Vertreter:innen dieses Ansatzes argumentieren, dass       zersplittert tritt das rechte Spektrum auf? Welche Themen setzen
     sich der Zuspruch zu rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen          Rechtspopulist:innen und welche Strategien verfolgen sie, um sich Ge-
     vor allem gegen eine kulturelle Liberalisierung und Modernisierung         hör zu verschaffen? Mit ihrem konkreten Vorgehen gelingt es beispiels-
     richtet. Lebensmodelle und Gruppen, die lange an den gesellschaftli-       weise der AfD deutlich besser als der neonazistischen Nationaldemo-
     chen Rand gedrückt wurden, gewinnen mittlerweile mehr an Sichtbar-         kratischen Partei Deutschlands (NPD), diejenigen als Wähler:innen und
     keit: Homosexuelle Beziehungen, multikulturelles Zusammenleben             Mitstreiter:innen zu mobilisieren, die bereits anschlussfähige Einstel-
     und veränderte Geschlechterrollen werden weithin anerkannt und zu-         lungen haben (siehe Kontinuitätsthese).
     nehmend auch politisch aufgegriffen. Postmaterielle Werte sind für ei-
     nige bereits wichtiger als das eigene Haus oder Auto. Auch diese Ent-
     wicklung seit den 1970er Jahren wird auf neoliberalistische Politik und
     die beschleunigte Globalisierung zurückgeführt. Sie ist auch unter dem
18                                                                                                                                                                     Wer denkt was?   19

                                            III. Wer denkt was?
                                 (Rechts-)populistische Einstellungen                                         lung zu der Frage, inwiefern die Befragten meinen, dass wir als Gesell-
                             sowie Umwelt- und Klimawandeleinstellungen                                       schaft auf eine Umweltkatastrophe zusteuern. Die große Mehrheit der
                                          in der Bevölkerung                                                  Bevölkerung hält diese Aussage für zutreffend. Nur sechs Prozent der
                                                                                                              Befragten verneinen sie ausdrücklich.

                                                                                                              Grundsätzlich kann die deutsche Bevölkerung als umwelt- und klima-
                                                                                                              wandelsensibel beschrieben werden: Betrachtet man die Daten des
                    Inwiefern Menschen mit rechtspopulistischen Einstellungen auch The-                       European Social Survey 2016 für Deutschland, bezweifeln nur vier Pro-
                    men des Umwelt- und Klimaschutzes ablehnen, ist bislang wenig er-                         zent der Befragten, dass es den Klimawandel überhaupt gibt. Lediglich
                    forscht. Im Folgenden werden einige ausgewählte empirische Befunde                        fünf Prozent führen ihn auf rein natürliche Prozesse zurück. Die von
                    für Deutschland vorgestellt, die auf Basis großer Bevölkerungsumfra-                      Rechtspopulist:innen teils lautstark vorgetragene Leugnung des men-
                    gen gewonnen wurden.5                                                                     schengemachten Klimawandels (siehe Kapitel 4) spielt in der Gesamt-
                                                                                                              bevölkerung bislang kaum eine Rolle. Die Einigkeit wird jedoch brüchig,
                                                                                                              wenn es um konkrete politische Maßnahmen zur Bewältigung des Kli-
                              Umwelt- und Klimawandeleinstellungen –                                          mawandels geht. Das betrifft beispielsweise Fragen zur Energiewende
                              Einigkeit (nur) auf den ersten Blick                                            oder zur Zahlungsbereitschaft: Bin ich bereit höhere Steuern auf fos-
                                                                                                              sile Energieträger zu bezahlen? Können erneuerbare Energien ausrei-
                                                                                                              chen, um den Energiebedarf zu decken? Hier weichen die Meinungen
                                                                          Die Einstellungen der Bevölke-      teils deutlich voneinander ab.
               „Wenn alles so weiter geht wie                             rung zu Umwelt und Klimawan-
               bisher, steuern wir auf eine große
                                                                          del werden auf der Grundlage
               Umweltkatastrophe zu.“
                                                                          ganz unterschiedlicher Fragen ge-         Populistische Einstellungen – gegen „die da oben“
                 Stimme (voll und ganz) zu                                messen: Welches Naturverständ-
                 Weder noch                                               nis habe ich? Mache ich mir Sor-
                 Stimme (überhaupt) nicht zu                              gen um die Umwelt? Würde ich        Um die Einstellungen zum Rechtspopulismus in der Bevölkerung ge-
                                                                          selbst Geld für den Umweltschutz    nauer zu analysieren, wird in Anlehnung an die Definition aus Kapitel 2
                                                                          ausgeben und wenn ja, wie viel?     unterschieden zwischen einer vertikalen Differenzierungslinie popu-
                                 6%
                                                                          Wie stehe ich zur Energiewende?     listischer Einstellungen – „anständiges Volk“ gegen „korrupte Elite“ –
                         13 %
                                                                          Und welchen Handlungsbedarf         und einer horizontalen Differenzierungslinie rechter Thematiken wie
                                                                          sehe ich mit Blick auf den Klima-   Migration und Nationalismus.6
                       81 %
                                                                          wandel? Zu diesen Fragen wer-
                                                                          den für die statistische Erhebung   Populistische Einstellungen können unterschiedlich gemessen werden,
                                                                          einzelne Aussagen – sogenannte      zum Beispiel ob Befragte der Ansicht sind, dass Politiker:innen nur an
                                                                          Items – ausgewertet, zu denen       den Wähler:innenstimmen „der Leute“ interessiert sind, nicht aber an
               Abb 4: Einstellungen zur                                   sich die Befragten positionieren    deren tatsächlicher Meinung. Aber auch Themen wie mehr direkte De-
               ökologischen Krise                                         sollen. Abbildung 4 zeigt auf Ba-   mokratie, Vertrauen in die Regierung oder ob sich die Parteien heutzu-
                                                                          sis des GESIS Panels die Vertei-    tage überhaupt noch unterscheiden sind Bestandteil der Untersuchung.
     GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.897. Daten gewichtet. Die originäre
     5-stufige Antwortskala wurde reskaliert.
20                  Populistische Einstellungen – gegen „die da oben“                                                                                                                                                      Wer denkt was?                          21

               „Politiker kümmern sich nicht dar-                               Das dargestellte Beispiel macht               zu einem schlechteren Ort. Die                                           „Wird Deutschland durch Einwan-
               um, was Leute wie ich denken.“                                   deutlich, dass kritische Haltun-              Mehrheit ist in dieser Frage un-                                         derer zu einem schlechteren oder
                                                                                gen gegenüber Politiker:innen                 schlüssig. Die Größe der Bevöl-                                          besseren Ort zum Leben?“
                      Lehne (tendenziell) ab                                    durchaus verbreitet sind: 58 Pro-             kerungsteile, die dem Rechtspo-
                      Weder noch                                                zent der Befragten geben an, dass             pulismus zuneigt, unterscheidet                                               (Tendenziell) schlechterer Ort
                      Stimme (tendenziell) zu                                   sich Politiker:innen ihrer Meinung            sich allerdings auch je nach dem,                                             Weder noch
                                                                                nach nicht darum kümmern, was                 wie sie gemessen wird.                                                        (Tendenziell) besserer Ort
                                                                                Leute wie sie denken. Grundsätz-
                          58 %             23 %                                 lich sind populistische Einstellun-
                                                                                gen keine Randerscheinung, son-                        Umwelt, Klima und
                                                                                                                                                                                                                   27 %              24 %
                                                                                dern gesellschaftlich relevant und                     Migration – die
                                               19 %                             durchaus verbreitet. So schätzt                        Bedeutung wächst
                                                                                etwa das Populismusbarome-
                                                                                                                                                                                                                                      49 %
                                                                                ter der Bertelsmann Stiftung für
                                                                                das Jahr 2019, dass drei von zehn             Die nachstehende Abbildung 7
                                                                                Wahlberechtigten populistische                zeigt, wie sich die Besorgtheit um
               Abb 5: Unzufriedenheit
               mit Politiker:innen*                                             Einstellungen teilen.7 Diese Zahl             die Themen Umweltschutz, Kli-
                                                                                                                                                                                                       Abb 6: Entwicklungen zur
                                                                                ging in 2020 leicht zurück.8                  mawandelfolgen und Zuwande-                                              Zuwanderung
                                                                                                                              rung im Zeitverlauf von 2009 bis
                                                                                                                              2019 verändert hat.
                                                                                                                                                                                              GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.886. Daten gewichtet. Die originäre
                              Rechtspopulistische Einstellungen breit verankert                                                                                                               11-stufige Antwortskala wurde reskaliert.

                    Bezogen auf die horizontale Differenzierungslinie zu rechten Thema-
                                                                                                                              Bevölkerungsanteil mit großen Sorgen nach Themenfeldern
                    tiken wurden ebenfalls verschiedene Merkmale genauer betrachtet.
                    Einbezogen wurde zum Beispiel, wie die Befragten sich zu Migration,
                    Flucht und Asyl oder dem Islam positionieren. Daraus lassen sich na-                              50 %                                                                                      49 %
                                                                                                                                                                                                                46 %
                    tivistische Einstellungen ableiten, bei denen die Abgrenzung von ver-                                                                                                                                              Klimafolgen
                    meintlich Fremden zentral ist – „wir“ gegen „die“.9 Auch Einschätzun-                                                                                                                                              Umweltfolgen
                    gen zur EU – als Indikator für nationalistische Tendenzen – oder Fragen                                   29 %                                                                                                     Zuwanderung
                                                                                                                              27 %                                                                              27 %
                    zu Gleichstellung der Geschlechter flossen in die Analyse ein.                                    25 %
                                                                                                                              21 %

                    Die nachstehende Grafik (Abbildung 6) zum GESIS Panel macht deut-
                    lich, dass rechte Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verankert                                                                                                                                       Abb 7: Entwicklungen
                                                                                                                                                                                                                                 im Zeitverlauf
                    sind: Nur ein Viertel aller Befragten erachtet Einwanderer:innen als ei-
                                                                                                                             2008		              2011			              2014			               2017			               2021
                    ne Bereicherung für die Gesellschaft. Demgegenüber steht ein weiteres
                    Viertel, das der Meinung ist, Einwanderer:innen machen Deutschland

     * GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.897. Daten gewichtet. Die originäre 5-stufige Antwortskala wurde reskaliert.            SOEP v.36. Die Fallzahl variiert je nach Welle zwischen 19.000 und 27.000 Personen. Daten gewichtet.
22   Die Phänomene im Zusammenspiel                                                                                                                                          Wer denkt was?          23

     Betrachtet man auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels, wie
     die Bevölkerung Umweltschutz und Klimawandelfolgen in diesen zehn        „Das größte Problem in Deutschland sind die Politiker.“
     Jahren bewertet, wird deutlich: Die Sorgen nehmen zu. Auch die Be-
     denken beim Thema Zuwanderung wachsen tendenziell. Besonders                            Die sogenannte Energiewende
                                                                                                                                              28
     groß waren sie in den Jahren 2015 und 2016 als Reaktion auf die stei-                       schadet mehr als sie nutzt
     genden Zahlen von Asylsuchenden in Deutschland. Die Furcht vor Kli-
                                                                                             Die Energiewende zerstört den
     mawandelfolgen und mangelndem Umweltschutz steigt dagegen seit                          Industriestandort Deutschland
                                                                                                                                              26
     2017 im Trend besonders an. Im Jahr 2019 äußerte fast jede zweite Per-
     son hier große Sorgen. Als mögliche Gründe für den Anstieg lassen sich    Wir machen uns zu viele Sorgen über die                        23
                                                                                Zukunft der Umwelt und zu wenig um
     etwa zunehmende Extremwetterereignisse oder der Erfolg von Fridays           Preise und Arbeitsplätze heutzutage.
     for Future nennen. Durch die Bewegung erreichte das Thema eine brei-
     te Öffentlichkeit.
                                                                              Abb. 8: Zusammenhang zwischen populistischer Haltung
                                                                              und Umwelt- und Klimawandelaspekten

           Die Phänomene im Zusammenspiel
                                                                              GESIS Panel 2017. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 3.400 und 4.000 Personen. Daten gewichtet.
                                                                              Korrelationskoeffizient: Pearsons r. Je höher die Werte auf einem Spektrum von 0 bis 1, desto stärker ist der Zusam-
                                                                              menhang zwischen den Einstellungen
     Welche Zusammenhänge gibt es zwischen (rechts-)populistischen
     Haltungen und Umwelt- und Klimawandeleinstellungen? Und wie las-
     sen sie sich darstellen?                                                 Balken zeigt: Je eher eine Person der Auffassung ist, dass Politiker:in-
                                                                              nen das größte Problem in Deutschland sind, desto eher wird auch die
     Zunächst werden die Beziehungen zwischen populistischen Einstellun-      Energiewende als schädlich eingeschätzt. Allerdings zeigt ein Wert von
     gen (vertikale Differenzierungslinie) und Umwelt- sowie Klimawandel-     0,28, dass es sich hierbei um eine Tendenz handelt, nicht um einen ex-
     einstellungen betrachtet. Obwohl die Messung des Populismus in An-       trem starken Zusammenhang.
     betracht der Frageformulierungen in den bestehenden Datensätzen li-
     mitiert ist, gibt es aufschlussreiche Hinweise auf vorhandene Verbin-    Dies ist ein Indiz dafür, dass der Energiewende eine Schlüsselfunktion
     dungslinien.                                                             als vermeintlichem Elitenprojekt zukommt. Populistische Erzählungen
                                                                              von der „korrupten Elite“ können hier erfolgreich andocken (siehe Ka-
     Die nachfolgende Abbildung zeigt ausgewählte Variablenpaare und          pitel 4).
     ihre Zusammenhangsstärke. Beträgt der Wert 0 besteht kein Zusam-
     menhang; beträgt er 1, ist der Zusammenhang extrem stark. Dabei          Was sich auch beobachten lässt: immer wenn umweltrelevante Fra-
     können Werte ab 0,3 als substanziell interpretiert werden, Werte ab      gen mit sozialen Themen verknüpft werden, kommen populistische
     0,4 als starke Beziehungen.                                              Ansichten besonders stark zum Vorschein. Auf dieser Basis lässt sich
                                                                              vermuten, dass gerade die Angst vor möglichen oder drohenden sozi-
     Die Beispielvariable „Das größte Problem in Deutschland sind Politi-     alen Benachteiligungen geeignet ist, um gegen Nachhaltigkeitspolitik
     ker“ macht verglichen mit anderen Populismus-Variablen eine starke       zu mobilisieren.
     Beziehung deutlich, zum Beispiel zum Thema Energiewende. Der obere
24   Die Phänomene im Zusammenspiel                                                                                                                                                                                     Wer denkt was?          25

     Aus statistischer Sicht erweisen sich Variablen des Rechtspopulismus                                                „Ist allgemein gesehen die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union
     als einflussreicher als rein populistische Merkmale. Das bedeutet, dass                                             Ihrer Meinung nach eine schlechte Sache?“
     sich mit Blick auf die rechte Aufladung populistischer Einstellungen
     und Umwelt- sowie Klimawandeleinstellungen stärkere Zusammen-                                                                      Die sogenannte „Umweltkrise“
                                                                                                                                                                                         31
                                                                                                                                                wird stark übertrieben
     hänge zeigen. Die Tabelle veranschaulicht zum Beispiel: Menschen, die
     Geflüchtete als eine Bedrohung der in Deutschland geltenden Werte                                                               Akzeptabel, Abstriche von Ihrem
     einschätzen, sind auch deutlich häufiger der Ansicht, dass die Energie-                                                             Lebensstandard zu machen,                       24
                                                                                                                                        um die Umwelt zu schützen?
     wende den Industriestandort Deutschland zerstört. Oder: Finden die
     Befragten, dass Einwanderer:innen den Ort, an dem man lebt, zu ei-                                                      Große Kraftwerke sind für eine sichere
                                                                                                                                                                                         21
     nem schlechteren Ort machen, ist auch ihre Bereitschaft gering, höhere                                                          Stromversorgung unerlässlich
     Preise für den Umweltschutz zu zahlen.
                                                                                                                         Abb. 9: Zusammenhang zwischen EU-Skeptizismus
     Tabelle 1: Ausgewählte Zusammenhänge nativistischer                                                                 und Umwelt- und Klimawandelaspekten
     Haltungen und Umwelt- u. Klimawandeleinstellungen

                                                                                                  Zusammen-              GESIS Panel 2019. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 4.800 und 4.900 Personen. Daten gewichtet.
            Nativismus-Merkmal                          Klimawandel-Merkmal                                              Korrelationskoeffizient: Pearsons r. Je höher die Werte auf einem Spektrum von 0 bis 1, desto stärker ist der Zusam-
                                                                                                  hangsstärke            menhang zwischen den Einstellungen
      Flüchtlinge stellen eine
                                                  Die Energiewende zerstört den
      Bedrohung für die Werte                                                                           0,40
                                                  Industriestandort Deutschland.
      in Deutschland dar.                                                                                                Insgesamt macht die Datenauswertung deutlich, dass Umwelt- und
      Wird Deutschland durch                                                                                             Klimawandeleinstellungen durchaus von (rechts-)populistischen Ein-
      Einwanderer zu einem                         Keine Bereitschaft für höhere                                         stellungen geprägt sind. Dabei sind die Verbindungslinien zwischen
                                                                                                        0,32
      schlechteren oder                            Preise für Umweltschutz.
      besseren Ort zum Leben?                                                                                            rechten Einstellungen und Umwelt- und Klimawandeleinstellungen
                                                                                                                         stärker als jene zu populistischen Einstellungen. Mit anderen Wor-
      Flüchtlinge stellen eine Be-                Die erneuerbaren Energien sind
      drohung für den Wohlstand                   nicht ausreichend, um ein                             0,29             ten: Das „Rechte“ am Rechtspopulismus und weniger der Populis-
      in Deutschland dar.                         Industrieland zu versorgen.                                            mus scheint in einem Zusammenhang mit der Ablehnung von Umwelt-
                                                                                                                         und Klimaschutz zu stehen. Das macht nicht gleich alle Befragten mit
     GESIS Panel 2019. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 4.800 und 4.900 Personen. Daten gewichtet.
     Korrelationskoeffizient: Pearsons r.
                                                                                                                         (rechts-)populistischen Einstellungen auch zu Klimawandelskepti-
                                                                                                                         ker:innen – wie das Beispiel am Anfang dieses Kapitels zeigen konnte.
                                                                                                                         Die Ansichten, die bestimmte Bevölkerungsgruppen teilen, sind also
     Neben migrationsbezogenen Einstellungen ist mit Blick auf die Um-                                                   nicht deckungsgleich mit dem, was rechtspopulistische Akteur:innen
     welt- und Klimawandeleinstellungen auch entscheidend, wie die EU                                                    bzw. Politiker:innen vertreten.
     bewertet wird. Die folgende Abbildung lässt erkennen: Wer findet,
     dass Deutschlands Mitgliedschaft in der EU eine schlechte Sache ist,
     hält auch die Umweltkrise für eher übertrieben. Entsprechende Perso-
     nen sind auch weniger bereit, den eigenen Lebensstandard anzupas-
     sen, um die Umwelt zu schützen.
26                                                                                                          Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen   27

        IV. Was Rechtspopulist:innen                                   ANFEINDUNGEN GEGEN GRETA THUNBERG

         zu Klima und Umwelt sagen                                     Statt zur Schule zu gehen, setzte           nicht nachzukommen. Sowohl der
                                                                       sich die damals 15-jährige Schülerin        damalige US-amerikanische Prä-
                                                                       Greta Thunberg an einem Freitag im          sident Donald Trump als auch sein
                                                                       Sommer 2018 mit einem Banner vor            russischer Gegenpart Wladimir Putin
                                                                       das schwedische Parlament. Darauf           äußerten sich daraufhin öffentlich
                                                                       stand: Schulstreik für das Klima. Was       abwertend zu ihrer Person. Damit
                                                                       als einsamer Protest begann, wurde          sind die beiden Präsidenten bei Wei-
     Welche Positionen beziehen rechtspopulistische Partei-            innerhalb eines Jahres unter dem Na-        tem nicht allein.
     en und Medien zu Themen des Klima- und Umweltschut-               men Fridays For Future zu einer glo-
     zes? Diese Frage steht nachfolgend im Zentrum.                    balen Bewegung. Das Thema Klima-            In Deutschland bezieht die AfD im-
                                                                       wandel eroberte so die politische Ta-       mer wieder gegen Thunberg und Fri-
                                                                       gesordnung und etablierte sich fest         days For Future Stellung. Viele Mit-
                                                                       im öffentlichen Diskurs.                    glieder der Partei schrecken vor per-
          Menschengemachter Klimawandel?                                                                           sönlichen Beleidigungen nicht zurück
          Gibt’s ja wohl nicht!                                        Als Gesicht der Jugendbewegung Fri-         – bis hin zu menschenfeindlichen
                                                                       days for Future steht Thunberg für          Aussagen in Bezug auf Thunbergs
                                                                       Argumente, die auf wissenschaft-            mentale Gesundheit. Wahlweise wird
     Vertreter:innen rechtspopulistischer Parteien                     lichen Erkenntnissen gründen. Sie           sie als Opfer oder Feindbild stilisiert.
     in Europa und den USA äußern sich überwie-                        appelliert vor allem an Personen in         Ihr Asperger-Autismus wird zum An-
     gend skeptisch gegenüber der Wissenschaft                         Machtpositionen, die Pariser Klima-         lass, um sie als „geistig krankes, be-
     und ihren Erkenntnissen. Das gilt auch in                         ziele einzuhalten. Die große Welle an       hindertes Mädchen“10 zu diffamie-
     Bezug auf den Klimawandel. Sie zweifeln                           Aufmerksamkeit für Thunberg und             ren und daraus einen Mangel an Ur-
     zum Beispiel an, dass es einen menschli-                          die Ziele der jungen Bewegung wer-          teilsfähigkeit abzuleiten.11 Zugleich
                                                                       den jedoch nicht nur mit Begeiste-          wird eine Verschwörungserzählung
     chen Einfluss auf das Klima gebe oder dass
                                                                       rung aufgenommen. Sexistische und           verbreitet, die Thunberg als PR-Ma-
     etwas gegen eine globale Erwärmung getan                          (alters-)diskriminierende Äußerun-          rionette inszeniert. Ihr rasanter Auf-
     werden könne. So schreibt die AfD in ihrem Bundestags-            gen sowie hasserfüllte Anfeindungen         stieg sei Teil einer „PR-Kampagne für
     wahlprogramm von 2017:                                            sind Teil des Diskurses – besonders in      die linksgrün indoktrinierten, naiven
                                                                       den sozialen Medien.                        jungen Menschen rund um die Welt“.
           „Die Aussagen des Weltklimarats (IPCC), dass Klima-         Ein Beispiel für das Ausmaß an Auf-         Diese Kampagne solle den finanzi-
           änderungen vorwiegend menschengemacht seien, sind           merksamkeit, das die junge Aktivis-         ellen Interessen ihres „extremisti-
           wissenschaftlich nicht gesichert. Sie basieren allein auf   tin erhält, folgte auf ihre eindring-       schen Elternhauses“12 und denen ei-
           Rechenmodellen, die weder das vergangene noch das           liche „How dare you“-Ansprache im           nes schwedischen Unternehmers die-
           aktuelle Klima korrekt beschreiben können. Schon vor        September 2019 auf dem UN-Klima-            nen.13 Das Recherchezentrum Correc-
                                                                       gipfel. Darin warf sie führenden Poli-      tiv hat die Vorwürfe überprüft und
           der Industrialisierung gab es Warm- und Kaltperioden,
                                                                       tiker:innen vor, ihrer Verantwortung        konnte keine Belege für eine syste-
           die sich nicht durch die zugehörige CO2-Konzentration
                                                                       in Hinblick auf den Klimawandel             matische PR-Kampagne finden.14
           der Luft erklären lassen.“
28   Die Energiewende – eine „Verspargelung der Landschaft“                                              Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen   29

     Auch AfD-Politiker:innen äußern sich immer wieder öffentlich zu          Die Konflikte um die Energiewende spitzen sich besonders auf loka-
     diesem Thema. Alexander Gauland beispielsweise bezweifelt eine           ler Ebene zu, wenn es beispielsweise um den Ausbau von Wind-
     menschlich verursachte Erderwärmung und spricht stattdessen von ei-      kraftanlagen geht. AfD-Politiker:innen sprechen hier gern von
     ner „politisch motivierte[n] Panikmache“.15                              einer „Verspargelung der Landschaft“, die Gefahren für Men-
                                                                              schen sowie Tier- und Naturschutz mit sich bringe.18 Die Konflik-
     Um die eigenen Aussagen wissenschaftlich zu untermauern, beruft          te vor Ort tragen neben der AfD auch das bereits erwähnte Euro-
     sich die AfD häufig auf Studien des Europäischen Instituts für Klima &   päische Institut für Klima & Energie (EIKE) sowie die Bundesinitiative
     Energie (EIKE). Bei EIKE handelt es sich allerdings nicht um eine wis-   Vernunftkraft aus, die sich laut Selbstbezeichnung für eine „vernünfti-
     senschaftliche Forschungseinrichtung, sondern um einen politischen       ge Energiepolitik“ einsetzt. Die – mittlerweile gut vernetzten – Wind-
     Interessenverband, der den menschengemachten Klimawandel                 kraftgegner:innen-Gruppen und -Initativen konnten bereits einige Pro-
     systematisch leugnet.                                                    jekte für neue Windkraftanlagen verhindern. Auf der einschlägigen In-
                                                                              ternetplattform windwahn.com findet sich eine Auflistung der Bürger-
     Die AfD bestreitet den menschengemachten Klimawandel und                 initiativen gegen Windkraft – derzeit sind es über 1000.19
     lehnt entsprechend jegliche Klimaschutzpolitiken ab. Auf inter-
     nationaler Ebene will die Partei beispielsweise einen Austritt aus       Nicht alle rechtspopulistischen Parteien in Europa setzten sich gegen
     dem Pariser Klimaschutzabkommen durchsetzen. Sie stellt sich             eine Energiewende ein. Unterstützen sie aber den Ausbau erneuerba-
     gegen alle EU-Maßnahmen, die eine Reduktion der CO2-Emissio-             rer Energien, steht nicht der Klimaschutz im Vordergrund, sondern eine
     nen mit Klimaschutz begründen. Der ehemalige AfD-Vorsitzende             Unabhängigkeit von „ausländischen“ Energieträgern.
     und programmatische Vordenker der neuen Rechten Alexander
     Gauland verkündete sogar: „Die Kritik an der sogenannten Kli-
     maschutzpolitik ist nach dem Euro und der Zuwanderung das                      Braunkohle? Ja, bitte!
     dritte große Thema für die AfD.“16 Auch Wissenschaftler:in-
     nen halten fest, dass „der Populismus in Deutschland das
     Handlungsfeld Energie- und Klimapolitik seit 2019 für                    Viele rechtspopulistische Parteien in Europa, darunter auch die AfD,
     sich als zentrale Kampfarena entdeckt“17 hat.                            wollen weiter auf fossile Energieträger setzen. Vor allem an der Ver-
                                                                              stromung von Braunkohle will die AfD festhalten.
                                                                              In ihrem Europawahlprogramm aus dem Jahr 2019 schreibt sie:
            Die Energiewende –
            eine „Verspargelung der Landschaft“                                     „Braunkohle ist der einzige kostengünstige und lang-
                                                                                    fristig verfügbare inländische Energieträger von Bedeu-
                                                                                    tung. Die EU und die Bundesregierung bereiten mit Hil-
     Die Energiewende ist ein besonders beliebtes Ziel rechtspopu-                  fe der CO2-Zertifikate-Politik und über eine Besetzung
     listischer Kritik. Die AfD möchte den Ausbau erneuerbarer Ener-                der deutschen Kohlekommission mit Fachfremden und
     gien in Deutschland verhindern und das Erneuerbare-Energien-                   grünen Ideologen den Kohleausstieg vor. Nach dem Ab-
     Gesetz (EEG) abschaffen. Sie positioniert sich gegen E-Mobilität               schalten der Kernkraftwerke wäre dies das Ende einer
     und setzt weiterhin auf Autos mit Verbrennungsmotor.                           sozial orientierten und wettbewerbsfähigen Energiever-
                                                                                    sorgung in Deutschland.“
30   Naturschutz von rechts                                                                                        Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen   31

     In der Lausitz, in der Braunkohle abgebaut wird, ist die AfD besonders
     aktiv und erhält auch hohe Zustimmungswerte. Die Partei präsentiert
     sich hier als die Partei, die sich um die Menschen vor Ort kümmert und     RECHTE ÖKO-SIEDLER:INNEN
                                         ihre Sorgen ernst nimmt. Neben der
                                            Braunkohle befürwortet die AfD      Dass Naturschutz und rechte bzw.          fremdung“ durch Zuwanderung be-
                                               auch die besonders umwelt-       rechtsextreme Ideologie gut zusam-        vorstehe, die zum sogenannten „gro-
                                                  schädliche Fördermethode      mengehen können, zeigt sich auch in       ßen Austausch“ führe.25 Davor müsse
                                                     des Hydraulic Fracturing   der Szene der völkischen Siedler:in-      die eigene „Heimat“ und „Identität“
                                                                                nen. Sie beziehen Höfe und sogar          geschützt werden. Die Aufrechterhal-
                                                        („Fracking“) und die
                                                                                ganze Dörfer, betreiben ökologische       tung traditioneller Siedlungsformen,
                                                           Weiternutzung von
                                                                                Landwirtschaft und pflegen nationa-       altdeutscher Namen und der Wie-
                                                              Atomenergie.      listisches Brauchtum. Die völkische       derbelebung von Sagen, Mythen und
                                                                                Bewegung denkt die Bereiche Natur,-       Traditionen sind dafür die Mittel der
                                                                                Heimat-, Tier- und Volksschutz schon      Wahl.
                                                                                seit dem 19. Jahrhundert eng zusam-
                                                                                men, wie die Autor:innen des Bu-          Auch wenn es grundsätzlich wichtig
                                                                                ches „Völkische Landnahme“, Andrea        ist, Rechtspopulist:innen von rechts-
            Naturschutz von rechts                                              Röpke und Andreas Speit, ausfüh-          extremen, völkischen Siedler:innen
                                                                                ren.24 Ihre Anhänger:innen glauben,       abzugrenzen, gibt es teilweise perso-
                                                                                dass dem deutschen Volk eine „Über-       nelle und ideologische Verbindungen.
     Obwohl sie den Klimawandel bestreiten und Klimaschutzpolitiken ab-
     lehnen, setzen sich einige rechtspopulistische Parteien in Europa für
     den Naturschutz ein.20 Naturschutz hängt hier allerdings meist mit ei-
     ner rechten Heimatideologie zusammen: Die Identität der Bevölkerung                Dass sich rechte Parteien für den Naturschutz einsetzen, ist nicht un-
     wird mit der heimischen Natur verknüpft, die es als nationales Erbe zu             gewöhnlich und lässt sich historisch weit zurückverfolgen. Bereits in
     bewahren gelte.                                                                    der Zeit des Nationalsozialismus wurde Naturschutz mit rechter Ideo-
                                                                                        logie verbunden. Das erste deutsche Naturschutzgesetz, das soge-
     Auch die AfD setzt sich laut ihres umweltpolitischen Sprechers Karsten             nannte Reichsnaturschutzgesetz, wurde 1935 von NS-Führungskader
     Hilse für „ehrlichen Umwelt- und Naturschutz“ ein.21 Als ein Beispiel              Hermann Göring auf den Weg gebracht.
     machen die Konflikte um die Energiewende deutlich, dass auch hier
     eine nationalistisch aufgeladene Heimatideologie betrieben wird. So
     würden Windräder eine „Heimatbedrohung“ darstellen, die das Land-                        Klimapolitik – die Abzocke der kleinen Leute
     schaftsbild sowie den deutschen Wald zerstörten und Vögel in Gefahr
     brächten.22 Naturschutz wird damit Bestandteil einer „konservativen,
     bewahrenden Politik“, mit der die AfD neue Wähler:innen gewinnen                   Klima- und Umweltschutzpolitik verstärkt soziale Ungleichheit und
     möchte, wie der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski festhält.23 In              belastet die „einfachen Leute“ übermäßig – mit diesem Argument leh-
     manchen Bundesländern setzt sich die Partei auch für den Tierschutz –              nen Rechtspopulist:innen sie grundsätzlich ab, ohne dabei auf die in-
     zum Beispiel gegen Tiertransporte – und gegen Gentechnik ein.                      haltlichen Gestaltungsspielräume einzugehen. Vor allem wenn es um
32   „Elitenprojekt“ Klimapolitik                                                                           Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen   33

                      die Energiewende geht, behauptet die AfD, dass öko-        „sachadäquat und demokratisch“ gegenüber – fundiert durch die Posi-
                         nomisch schlechter gestellte Bevölkerungsteile noch     tionen eigener Expert:innen.31
                           mehr benachteiligt werden und die gegenwärtige
                             Energiepolitik zu einer „Umverteilung von unten
                                nach oben“ führe.26                                    Die EU als Klimaschützerin

                                  Rechtspopulist:innen geben außerdem an,
                                Klima- und Umweltschutzmaßnahmen aus             Die Ablehnung des Euro und der Europäische Union (EU) waren ein
                            Sorge um die individuelle Freiheit abzulehnen.       Hauptthema in den Anfangsjahren der AfD. Klima- und Umwelt-
                         Das Europäische Institut für Klima & Energie (EI-       schutzpolitik sind ein wichtiges Aufgabengebiet der EU. Mittlerwei-
         KE) verkündet auf seiner Website beispielsweise: „Nicht das Klima       le stellen sie sogar einen der am weitesten entwickelten Bereiche der
     ist bedroht, sondern unsere Freiheit!“ Freiheit ist ein zentraler Begriff   EU-Politik dar. So ist es nicht verwunderlich, dass die AfD jegliche um-
     für viele rechtspopulistische Parteien. Einige führen das Wort sogar im     welt- und klimapolitischen Regulierungen durch die EU ablehnt. Ei-
     Namen – etwa die Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden, die     ne Untersuchung des Abstimmungsverhaltens der AfD-Mitglieder im
     Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) oder die tschechische Partei Frei-   Europäischen Parlament konnte zeigen, dass diese zwischen 2014
     heit und direkte Demokratie (SPD).                                          und 2018 gegen jeden einzelnen Antrag zum Thema Klimaschutz ge-
                                                                                 stimmt hatten.32

            „Elitenprojekt“ Klimapolitik                                         Insgesamt betrachten viele rechtspopulistische Parteien die EU
                                                                                 kritisch. Sie wollen die Gesetzgebung in den Händen ihrer je-
                                                                                 weiligen Nationalstaaten belassen. So fordert die AfD in ih-
     Rechtspopulist:innen rahmen Klima- und Umweltschutzpolitik als et-          rem Programm für die Bundestagswahl 2021 sogar den „De-
     was, das sich gegen das „Volk“ und die „einfachen Leute“ richtet. Ent-      xit“, den EU-Austritt Deutschlands nach britischem Vorbild.
     sprechende Maßnahmen werden als ein Projekt der „Elite“ dargestellt,        In dieser Logik werden auch Beschlüsse zum Klimaschutz auf
     die alleine davon profitieren würde. Hier wird das zentrale Element des     EU-Ebene als eine weitere Einmischung Brüssels in die nationale
     Populismus deutlich: die Gegenüberstellung von „Volk“ und „Elite“. So       Selbstbestimmung verstanden.33
     wird die Energiewende gern als „kulturelles Elitenprojekt“27 oder „als
     Projekt abgehobener urbaner Eliten“28 bezeichnet. In rechten Kreisen        Klimaschutzmaßnahmen, die durch die EU erlassen werden, gelten
     wird Klimaschutz auch gern als „neue Religion“ seiner Unterstützer:in-      als Gefahr für die Souveränität und Unabhängigkeit der Nationalstaa-
     nen dargestellt.29 Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse spricht von Kli-       ten. Zusätzlich werden sie als eine wirtschaftliche Bedrohung für die
     maschutz als einer „Ersatz-Religion“.30                                     Mitgliedsstaaten dargestellt. Rechtspopulist:innen argumentieren:
                                                                                 Steuern, Abgaben und Subventionen führen dazu, dass sich Einkom-
     Insgesamt bieten Klima- und Umweltschutzpolitiken eine passende             men verringern. Dies schädige wiederum die nationale Wirtschaft,
     Zielscheibe für rechtspopulistische Kritik, da sie auf wissenschaftli-      denn der Wettbewerb zwischen den Staaten werde dadurch beein-
     chen Erkenntnissen beruhen und oft nur Expert:innen in der Lage sind,       flusst und verzerrt.
     ihre langfristigen Wirkungen einzuordnen. Die AfD stellt diesem Ex-
     pert:innenwissen den vermeintlich „gesunden Menschenverstand“ als
34                                                                                              Was dagegen? Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen   35

                     V. Was dagegen?
        Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen

     Im vorigen Kapitel wurde deutlich, dass rechtspopulistische Parteien
     und Initiativen den menschengemachten Klimawandel offensiv be-
     streiten und Maßnahmen, um Klima und Umwelt zu schützen, weitge-
     hend ablehnen. Auch in der Bevölkerung findet man diese Positionen
     bei bestimmten Gruppen wieder. Was aber treibt Rechtspopulist:innen
     dazu an? Welche Erklärungen lassen sich dafür finden? Bestehende
     Ansätze nehmen ganz unterschiedliche Gründe in den Fokus.
                                                                                    Fokus: Eine Strategie verfolgen

           Fokus: Ideologie und Parteivorliebe
                                                                              Den Klimawandel zu leugnen sowie Klima- und Umweltschutzpolitik
                                                                              abzulehnen, kann auch als eine bewusst gewählte politische Strate-
     Mit welcher Partei jemand sympathisiert, ist einer der wichtigsten       gie von Rechtspopulist:innen verstanden werden. Während das Thema
     Gründe, um zu erklären, welche Einstellung zu Umwelt- und Klimafra-      Klima in Politik und Medien immer wichtiger wird, versucht die AfD ge-
     gen er oder sie hat. Im rechten Parteien- und Wähler:innenspektrum       zielt Menschen anzusprechen, die sich eher skeptisch zeigen oder klar
     sind Zweifel am Klimawandel und eine Ablehnung von Klima- und Um-        dagegen positionieren. So entwickelt die Partei gezielt ein Alleinstel-
     weltschutzpolitik besonders verbreitet. Andersherum glauben Wäh-         lungsmerkmal. Entsprechend kann auch die Ablehnung der Energie-
     ler:innen rechter Parteien deutlich seltener an den menschengemach-      wende als ein taktisches Manöver gedeutet werden, denn damit grenzt
     ten Klimawandel. Sie sind auch weniger bereit, entsprechende Politik-    sich die AfD von den etablierten Parteien ab.36
     maßnahmen zu unterstützen. Beides zeigt eine Analyse von Umfrage-
     daten im Vergleich von 25 EU-Ländern aus dem Eurobarometer.34 Vor        Sich bewusst von etablierten Parteien zu distanzieren, kann für
     allem der Nationalismus gilt als der Bestandteil rechtspopulistischer    Rechtspopulist:innen manchmal sogar bedeuten, für Natur- bzw. Um-
     Einstellungen, der eine ablehnende Haltung gegenüber Klima- und          weltschutz zu stimmen. Dies veranschaulicht das Glyphosat-Verbot in
     Umweltschutzpolitik besonders prägt.                                     Österreich: Im Jahr 2019 unterstützte die rechtspopulistische FPÖ ei-
                                                                              nen Antrag der Sozialdemokrat:innen (SPÖ), in dem es um ein landes-
     Auch aus rein populistischen Einstellungen lässt sich eine Anti-Klima-   weites Verbot von Glyphosat ging. Die Partei konnte damit ihr Profil
     Position ableiten – und zwar sogar unabhängig von der Parteivorliebe.    schärfen: sich gegen den politischen Mainstream und für die Bewah-
     Das konnten umfassende Analysen von Umfragedaten aus den USA             rung der Natur einsetzen und dafür auch vor restriktiven Mitteln wie
     und Großbritannien zeigen.35 Auch wenn sie unterschiedlich gewich-       Verboten nicht zurückschrecken. Zugleich stellte sie sich gegen ihren
     tet werden: Alle Ansätze eint, dass sie Elemente rechtspopulistischer    Koalitionspartner ÖVP und versuchte durch die ökologische Positionie-
     Ideologie als Erklärung heranziehen.                                     rung, neue Wähler:innen für sich zu gewinnen.37
36   Fokus: „Transformationsverlierer:innen“ ein Angebot machen                                      Was dagegen? Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen   37

            Fokus: „Transformationsverlierer:innen“                                zurückweist, stellt sich damit gewissermaßen auch gegen vermeint-
            ein Angebot machen                                                     lich kosmopolitische Projekte wie den Kampf gegen die globale Erwär-
                                                                                   mung.

                  Rechtspopulist:innen gehen auf bestimmte Wähler:in-              Aus feministischer Sicht verknüpft der Ansatz der Petro-Masculinity
                  nengruppen ein, wenn sie Politiken des Klima- und Um-            das Festhalten an fossilen Energieträgern durch rechtspopulistische
                   weltschutzes ablehnen. Gerade für diejenigen, die in fos-       Parteien und Initiativen mit einem gesellschaftlich verankerten patri-
                   silen Industrien arbeiten, kann die Aussicht auf eine öko-      archalen Macht- und Herrschaftssystem, an dem nicht gerüttelt wer-
                    logische Transformation bedrohlich wirken. Sie sehen ih-       den soll und das mit einer spezifischen Lebensführung in Zusammen-
                    re Arbeitsplätze und ihren Lebensstandard in Gefahr und        hang steht.39 Andere Untersuchungen stellen einen statistischen Zu-
                     stehen klima- und umweltpolitischen Maßnahmen des-            sammenhang zwischen Männlichkeit und dem Bestreiten des Klima-
                      halb oft skeptisch gegenüber. Bei diesem Erklärungsan-       wandels fest, den sogenannten White-Male-Effect (auf Deutsch: Wei-
                     satz bleibt allerdings offen, inwiefern es sich für rechts-   ßer-Mann-Effekt).40
                   populistische Parteien lohnt, eine bestimmte Agenda für
                  einen nur sehr begrenzten Personenkreis zu verfolgen. Die        Schließlich lässt sich die Nicht-Anerkennung des Klima-
                 Unterstützung von Arbeiter:innen aus Industrie und Berg-          wandels und der damit einhergehenden Notwen-
                bau oder Gegner:innen der Energiewende allein reicht nicht,        digkeit zu handeln, auch als Verteidigung be-
               um Wahlen zu gewinnen.                                              stehender Privilegien deuten. Aus dieser
                                                                                   Sicht spiegelt der Aufstieg rechtspo-
                                                                                   pulistischer Parteien besonders
                                                                                   deutlich den Wunsch, den Sta-
                                                                                   tus quo zu bewahren. Die AfD
                                                                                   kann so als Vertreterin einer Al-
                                                                                   lianz mit einem zentralen Ver-
                                                                                   sprechen gesehen werden: „Wir
                                                                                   sorgen dafür, dass sich nichts
            Fokus: Den Status quo bewahren                                         ändert.“41

     An den Themen Klima- und Umweltschutz scheiden sich die Geister.
     Zum Teil wird argumentiert, dass sie eine neue kulturelle Konfliktlinie
     bilden, an der verschiedene Lebensmodelle und Werthaltungen aufei-
     nanderprallen.38 Auf der einen Seite finden sich Rechtspopulist:innen,
     auf der anderen Seite stehen, nach dieser Lesart, Kosmopolit:innen
     mit ihren postmateriellen und liberalen Werten. Diese Werte lehnen
     die Ersten grundlegend ab. Wer also den wissenschaftlichen Konsens
     zum Klimawandel und die entsprechenden politischen Maßnahmen
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