AUF KOSTEN DES VOLKES - Rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt - Europa-Universität Flensburg
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Die Publikation ist entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts „Politiken der Nicht-Nachhaltigkeit (PONN): National-autoritärer Populismus und neue so- ziale Disparitäten als gesellschaftliche Rahmenbedin- gungen einer sozial-ökologischen Transformation“ (Förderkennzeichen 01UV2071 A+B) Auf Kosten des Volkes ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Non Commercial-NoDerivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unter: creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0 Autor:innen: Franziska Humpert, Philipp Kadelke, Christian Möstl, Miriam Schad und Bernd Sommer Unter Mitarbeit von: Lilly Gerlach und Josefa Kny (Text & Lektorat) Grafiken, Layout, Satz und Umschlagsgestaltung: Sarah Heuzeroth Europa-Universität Flensburg / Technische Universität Dortmund 2021 ISBN 978-3-00-069514-8
6 Worum es geht 7 I. Worum es geht Im Januar 2017 trat Donald Trump sein Amt als US-Präsident an und Diesen Fragen geht diese Veröffentlichung nach. Allgemeinverständ- begann unverzüglich damit, den Klima- und Umweltschutz zu schwä- lich fasst sie Ergebnisse des Forschungsvorhabens „Politiken der chen. Er genehmigte den Ausbau umstrittener Ölpipelines, wies neue Nicht-Nachhaltigkeit (PONN): National-autoritärer Populismus und Fördergebiete für fossile Brennstoffe in sensiblen Ökosystemen aus neue soziale Disparitäten als gesellschaftliche Rahmenbedingungen und kürzte der nationalen Umweltbehörde sowie der Klima- und Um- einer sozial-ökologischen Transformation“ zusammen. Die Veröffentli- weltforschung drastisch die Gelder. Im darauffolgenden Sommer kün- chung richtet sich also an ein Publikum jenseits der Fachwissenschaft: digte Trump den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkom- Dies können Politiker:innen auf verschiedenen Ebenen sein, Vertre- men der Vereinten Nationen an. ter:innen aus dem Bereich der politische Bildung, aber auch die viel zi- tierte „interessierte Öffentlichkeit“ aus den unterschiedlichsten Berei- In Deutschland stellt die Alternative für Deutschland (AfD) die Klima- chen der Zivilgesellschaft. Der Fokus der Untersuchung – insbesonde- und Umweltschutzpolitik am lautesten infrage. Entgegen allen seriö- re bei der Auswertung der Daten der Bevölkerungsbefragungen – liegt sen wissenschaftlichen Erkenntnissen leugnet die Partei zum Teil so- auf Deutschland. Bei dem Thema der Veröffentlichung ist es aber auch gar, dass der Klimawandel durch Menschen verursacht ist. Und längst notwendig, den Blick darüber hinaus zu weiten. Denn insbesondere die ist das Thema kein Nebenschauplatz mehr: Bekannte AfD-Politiker:in- Situation in anderen europäischen Ländern und den USA ist Gegen- nen ließen inzwischen verlauten, dass das Klima – nach Euro und Ge- stand einschlägiger Studien zu Rechtspopulismus und Umweltfragen. flüchteten – neuer inhaltlicher Schwerpunkt der Partei werden soll. PONN wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Trump und die AfD sind nur zwei prominente Beispiele. Auch bei Pro- (BMBF) gefördert und von Mitarbeiter:innen der Technischen Univer- testbewegungen gegen Windkraftanlagen, in Debatten um die Klima- sität Dortmund sowie der Europa-Universität Flensburg zwischen Mai bewegung Fridays for Future oder die Förderung von E-Mobilität fin- 2020 und Juni 2021 durchgeführt. den sich solche Initiativen und Argumentationsmuster wieder: Klima- schutz und aktiver Wandel gen Nachhaltigkeit werden als „Elitenpro- Die ausführlichen Forschungsergebnisse wurden unter dem Titel jekt“ gedeutet, das zu Lasten „des Volkes“ geht. „Rechtspopulismus, das Klima und die Umwelt“ im oekom-Verlag ver- öffentlicht. Ist die Ablehnung von Klimaschutz also kennzeichnend für Rechts- populismus heute? Und wenn ja, wieso ist das so? Teilen die Anhän- ger:innen des organisierten Rechtspopulismus und breitere Bevölke- rungsteile die Anti-Klima-Positionen? Und schließlich: Was bedeutet ein Erstarken des Rechtspopulismus für eine sozial-ökologische Trans- formation unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit, deren Grundlage die Einhaltung der Pariser Klimaziele ist?
8 Rechtspopulismus definiert und erklärt 9 II. Rechtspopulismus definiert und erklärt vornehmlich die eigenen Interessen im Auge – und nicht die Interessen der einfachen Leute, des „Volkes“. Populist:innen, egal welcher Pro- fession sie angehören und wie viel sie verdienen, sind davon allerdings ausgenommen. Eine solche Erzählung der gesellschaftlichen Zustände und Zusam- menhänge ist stark vereinfachend und lässt viel Interpretationsspiel- Populismus ist ein schillernder Begriff. Er wird häufig und in ganz ver- raum. Dies erklärt auch die sehr unterschiedlichen Spielarten von Po- schiedenen Zusammenhängen verwendet. Was jeweils gemeint ist, pulismus, die in verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen und kann dabei sehr unterschiedlich sein. unterschiedlichen Ländern zu beobachten sind. In der Regel dockt die klare Unterteilung in „Volk“ und „Elite“ an weitere ideologische Vor- In der Wissenschaft gibt es mehrere Ansätze Populismus zu definie- stellungen über Gesellschaft an. Kommen beispielsweise populisti- ren. Einige Wissenschaftler:innen verstehen Populismus als eine po- sche und nationalistische autoritäre Ideologien zusammen, verschmel- litische Strategie, um Macht zu erlangen. Andere sehen ihn als einen zen sie zu Rechtspopulismus. Das „Volk“ wird dann – insbesondere in Politikstil, bei dem es darum geht, sich besonders „volksnah“ zu ge- der völkischen Tradition, die in Deutschland als stark ausgeprägt gilt – ben. Populismus eindeutig zu definieren ist schwierig. In Anlehnung auch ethnisch definiert. an die Arbeiten von Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser kön- nen sich jedoch viele Wissenschaftler:innen, die zu diesem Thema for- schen, darauf einigen, Populismus als Einstellungsmuster in Form ei- Was ist was am rechten Rand? ner Ideologie zu fassen.1 Unter „Ideologie“ werden hier bestimmte auf- Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus einander bezogene und wertende Vorstellungen über die Gesellschaft und wie sie zu sein hat verstanden. Die drei Begriffe Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rechts- Im Kern dieser Ideologie steht beim Populismus, nach Mudde und Ro- extremismus werden häufig miteinander vermengt oder sogar syno- vira Kaltwasser, die Einteilung der Gesellschaft in zwei Gruppen: das nym verwendet. Sie voneinander abzugrenzen und möglichst trenn- „anständige Volk“ und die „korrupte Elite“. Beide Gruppen werden dabei scharf verwenden zu können, ist jedoch wichtig. Darum möchten wir in sich als Einheit verstanden. uns im Folgenden bemühen. Gleichzeitig ist dies nicht ohne Weiteres Das anständige Volk hat gemäß der populistischen einzulösen, denn beim konkreten Gegenstand handelt es sich vielfach Vorstellungswelt nur einen Volkswillen. Unter- um eine Art moving target, also ein Phänomen, das selbst Veränderun- schiede in Vorlieben oder Meinungen werden gen unterliegt und mal mehr in die eine oder die andere Richtung ten- nicht anerkannt. Entsprechend ist der so- diert. genannte „Volkswille“ der Wille, den Po- Dies zeigt sich zum Beispiel in der aktuellen Debatte darüber, ob die pulist:innen selbst vertreten und als AfD eine rechtspopulistische oder eine rechtsextremistische Partei ist. dessen Sprachrohr sie sich verstehen. Ende Februar 2021 wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfas- Die korrupte Elite ist ebenso klar de- sungsschutz die AfD im Ganzen als einen rechtsextremen „Verdachts- finiert: Danach haben alle etablier- fall“ einstuft. Die begriffliche Auseinandersetzung kann damit hand- ten Politiker:innen, Journalist:in- feste Folgen haben: Der Partei droht unter anderem die Überwachung nen, Wissenschaftler:innen usw. mit nachrichtendienstlichen Mitteln.
10 Was ist was am rechten Rand? Rechtspopulismus definiert und erklärt 11 Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus werden durch die Krite- Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen rien „Gewaltbereitschaft“ und „Systemfeindlichkeit“ voneinander ab- gegrenzt. Rechtspopulist:innen sind in fast allen europäischen Parlamenten ver- Von Rechtsradikalismus kann gesprochen werden, wenn seine Vertre- treten. In einigen Ländern wie Österreich, Ungarn und Polen waren bzw. ter:innen rassistische und nationalistische Einstellungen haben, aber sind sie sogar an der Regierung beteiligt oder führen sie an. Die Abbil- Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ab- dung 2 (siehe folgende Seite) gibt hierzu einen Überblick für Europa. lehnen und auch nicht die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Rechtspopulismus ist also keine politische Randerscheinung, sondern Grundordnung (FDGO) fordern. Rechtsradikale sind nach diesem Ver- eine politische Kraft, die sich in Europa und darüber hinaus etabliert ständnis also keine gewaltbereiten Neonazis, die sich einen „Führer- hat. Wie ist der Aufstieg des Rechtspopulismus verlaufen, und wie staat“ wünschen. Dies wiederum ist Teil der Definition von Rechtsex- lässt er sich erklären? tremismus, der in Deutschland von den Verfassungsschutzbehörden als Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung beobach- Als erstes „populist movement“ wurde in den 1870er Jahren eine Be- tet wird. wegung von Kleinbäuer:innen – sogenannte Yeoman – bezeichnet, die in den USA ihren Anfang nahm. Sie setzte sich unter anderem für ge- stützte Preise für landwirtschaftliche Produkte und die Einführung von Vorwahlen ein. Dabei ging es vor allem darum, die einfachen Leute vor „Dünne Ideologie“ des den kapitalistischen Eliten und dem freien Markt zu schützen.2 Rechtsextremismus Populismus („Volk Rechtspopulismus vs. Elite“) In der europäischen Geschichte des Populismus sind Frankreich in den Populistischer 1950er Jahren und die skandinavischen Länder in den 1970er Jahren zentrale Ausgangspunkte. In beiden Fällen bildeten sich populistische Parteien aus Protesten gegen die vorherrschende Steuerpolitik. Schon Rechtsradikalismus Rechtsextremismus damals war die kennzeichnende populistische Erzählung zu beobach- ten, dass die Rechte des „Volkes“ gegenüber dem Staat bzw. der „Elite“ Verfassungskonformes Spektrum verteidigt werden müssen. (definiert durch FDGO) „Rechte Ideologie“ (Nationalismus und Autoritarismus) Im Laufe der Zeit wurde dieses Narrativ um Nationalismus und Ras- sismus ergänzt. Entsprechende rechtspopulistische Parteien entwi- ckelten sich in den 1980er und 1990er Jahren in der Schweiz, Österreich, Abb 1: Rechtspopulismen | Quelle: Eigene Darstellung Belgien und im Norden Italiens. In Deutschland hat sich mit der AfD erst 2013 – im europäischen Ver- Die AfD ist ein Beispiel für eine Partei, die gegenwärtig zwischen popu- gleich also relativ spät – eine rechtspopulistische Partei gebildet, die listischem Rechtsradikalismus und populistischem Rechtsextremismus sich etablieren konnte. Seit der Bundestagswahl im Jahr 2017 liegt sie zu verorten wäre. Unklar ist bislang noch, ob die rechtsextremistischen in den Umfragen relativ stabil über zehn Prozent. Strömungen in der Partei dauerhaft die Oberhand gewinnen werden.
12 Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen Rechtspopulismus definiert und erklärt 13 Abb. 2: Rechtspopulistische Parteien in Europa* Estland Estnische Konservative 17,8 % Prozentualer Anteil Volkspartei (EKRE) (2019) im Parlament Dänemark Norwegen (bei der letzten Lettland nationalen Wahl) Dänische Volkspartei (DF) 8,7 % Fortschrittspartei (FrP) 15,2 % (2019) (2017) Nationale Vereinigung „Alles für Lettland!“ – 11,1 % Neue Bürgerliche (Nye 2,4 % „Für Vaterland und (2019) 20 (2019) Niederlande keine Angabe Tschechien Partei für die Frei- 10,8 % Schweiz heit(PVV) (2021) Freiheit und direkte 10,6 % Demokratie (SPD) (2017) Schweizer Volkspartei 25,6 % Forum für Demokra- 5,0 % (SVP) (2019) Regierungsbeteiligung tie (FvD) (2021) Slowakei Ja Unsere Slowakei 8,0 % Großbritannien (L‘SNS) (2020) Nein Reform UK 2,0 % (2019) Österreich Freiheitliche Partei 16,2 % Belgien Österreichs (FPÖ) (2019) Vlaams Belang (VB) 12,0 % (2019) Ungarn Fidesz in Wahlbündnis 49,3 % Luxemburg mit Christlich-Demo- (2018) Slowenien kratischer Volkspartei Alternative Demokra- 8,3 % (KDNP) Slowenische Demokra- 24,9 % tische Reformpartei tische Partei (SDS) (2018) (2018) (ADR) Bewegung für ein bes- 19,1 % seres Ungarn (Jobbik) (2018) Kroatien Frankreich Heimatbewegung 10,9 % (DPMŠ) (2019 Nationale Versamm- 13,2 % lung (RN) (2017) Griechenland Spanien Griechische Lösung (EL) 3,7 % (2019) Vox 15,1 % (2019) Goldene Morgenröte (XA) 2,9 % (2019) Portugal Chega! 1,3 % Zypern (2019) Italien Nationale Volksfront 3,7 % Lega 17,3 % (ELAM) (2016) (2018) Brüder Italiens (Fdl) 4,4 % * Die Übersicht umfasst sowohl radikale als auch extreme Parteien der populistischen Rechten (2018) in Europa. Bei einigen Fällen sind die Übergänge auch fließend, so z.B. beim belgischen VB, der deutschen AfD, dem französischen RN oder der österreichischen FPÖ.
14 Der Aufstieg der Rechtspopulist:innen Rechtspopulismus definiert und erklärt 15 Doch nicht allein in Europa ist der Aufstieg rechts- Deutliche Unterschiede zeigen Angestellte (2,1 Mio.) populistischer politischer Kräfte zu beobach- sich dafür beim Geschlecht. AfD- Rentner:innen (1,75 Mio.) ten. Ein besonders prominentes Beispiel ist Wähler:innen sind überwiegend Arbeiter:innen (825.000) hier der ehemalige US-Präsident Donald männlich. Je nach Studie wählen Selbstständige (370.000) Trump, der sich als Vertreter des Vol- zwischen zu rund zwei Dritteln Beamte (215.000) kes darstellte und gegen Eliten in den und 80 Prozent Männer die Partei. Arbeitslose (195.000) Medien und der Politik wetterte. Auch in der geografischen Ver- teilung zeigt sich ein Muster: Der Wer wählt Rechtspopulist:innen? Anteil der AfD-Wähler:innen in Ostdeutschland liegt über dem in Westdeutschland. Allerdings Um diese Frage zu beantworten, richten wir den Blick auf Deutschland stellt Ostdeutschland mit rund und konkret auf die AfD als einzige politisch relevante rechtspopulisti- 12,5 Millionen Einwohner:innen sche Partei. Doch obwohl die Frage einfach klingt: Wer genau die Wäh- nur einen Bruchteil der Wähler:in- ler:innen der AfD sind, ist nicht leicht zu beantworten – auch weil sich nenschaft insgesamt. Die west- Abb 3: AfD-Wähler:innenstimmen ihre Wähler:innenschaft seit der Parteigründung verändert hat. deutschen Wähler:innen sind also nach beruflichem Status (Zweit- entscheidend für das gegenwärti- stimmen Bundestagswahl 2017) In ihrer Anfangsphase definierte sich die AfD in erster Linie als Anti- ge Gewicht der Partei. Euro-Partei und konnte so vor allem Wähler:innen aus den oberen Ein- kommensschichten überzeugen. Mittlerweile wählen verglichen mit Die Verbreitung des Rechtspopulismus in der Gesellschaft nur an der dem Bevölkerungsdurchschnitt eher untere Einkommensschichten Parteivorliebe festzumachen, greift allerdings zu kurz. Rechtspopulis- häufiger die Partei. Zudem haben ihre Wähler:innen heute tendenziell tische Einstellungen werden auch in der Auswertung von statistischen einen formal niedrigeren Bildungsabschluss. Repräsentativdaten deutlich. Diese Erhebungen zeigen, dass unge- fähr zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung entsprechende Einstellungen Ob die Wahl der AfD durch den Erwerbsstatus beeinflusst wird, ist vertreten. Eine andere Studie aus dem Jahr 2016 kommt sogar auf ei- schon weniger eindeutig. Zwar wählen arbeitslose Menschen die Par- nen Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung mit klaren und 40 Prozent tei überdurchschnittlich häufig, allerdings sind unter den Wähler:innen mit latent rechtspopulistischen Einstellungen.3 der AfD auch mehr Vollzeitbeschäftigte und vor allem Rentner:inen zu finden (siehe Abbildung 3). Wie lässt sich der Aufstieg erklären? Als Fazit lässt sich festhalten: Die Wähler:innen der AfD kommen aus allen Bevölkerungsgruppen. In prekären Milieus finden Rechtspopu- list:innen zwar eine erhöhte Zustimmung, jedoch stellen diese Gruppen Warum konnte sich der Rechtspopulismus in den letzten Jahrzehnten nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Ohne die Unterstützung aus an- gesellschaftlich so gut etablieren? Dazu gibt es verschiedene Erklä- deren Milieus hätte die Partei nicht ihr derzeitiges politisches Gewicht. rungsansätze. Sie lassen sich in vier Thesen zusammenfassen.
16 Wie lässt sich der Aufstieg erklären? Rechtspopulismus definiert und erklärt 17 Die Ökonomiethese: Unter dieser These lassen sich Erklärungen fas- Begriff der Silent Revolution bekannt, den der US-amerikanischen Po- sen, die den Aufstieg des Rechtspopulismus durch das wachsende Ge- litikwissenschaftler Ronald Inglehart geprägt hat.4 Gesellschaftsgrup- fühl ökonomischer Unsicherheit und die Angst vor einem sozialen Ab- pen, die sich vormals mit ihren Normen und Werten in der Mitte der stieg begründen. Dafür verantwortlich gemacht wird in der Literatur Gesellschaft verortet hätten, empfinden die gesellschaftliche Vielfalt oftmals eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die seit und Komplexität heute zunehmend als verunsichernd. Rechtspopulis- den 1970ern auf dem Vormarsch war. Dabei zieht sich der Staat weit- mus ist aus dieser Sicht eine regressive Revolte, also ein Versuch, die gehend aus der Regulierung der Wirtschaft zurück. Stattdessen be- alte Werteordnung wiederherzustellen und die vermeintliche kulturelle stimmt der Wettbewerb das gesellschaftliche Leben bis hin zur Da- Überlegenheit zu sichern. seinsvorsorge; soziale Sicherungssysteme werden geschwächt. Die pa- rallele Entwicklung der Globalisierung und Modernisierung – durch den Die Kontinuitätsthese: Darunter werden solche Ansätze zusammen- Abbau vormals zentraler Industrien, technologische Neuerungen und gefasst, die aus sozialpsychologischer Sicht genauer betrachten, unter Strukturwandel – lässt die Komplexität der Welt aus der Sicht des:der welchen gesellschaftlichen Bedingungen sich persönlichen Einstellun- Einzelnen enorm anwachsen. Im Zusammenspiel ergibt sich eine zu- gen entwickeln. Sie verweisen darauf, dass menschenfeindliche, rassis- nehmende Verunsicherung bei verschiedenen Gesellschaftsgruppen, tische und rechtsextreme Einstellungen seit vielen Jahrzehnten in der den sogenannten „Modernisierungsverlierer:innen“. Rechtspopulisti- Gesellschaft verbreitet sind. Für rechtspopulistische Politik bilden die- sche Parteien mit ihren vermeintlich einfachen Erklärungen und klaren se einen guten Nährboden. Einteilungen in „gut“ und „böse“ profitieren von diesen Entwicklungen. Die These des politischen Wandels: Einige Erklärungsansätze gehen davon aus, dass vor allem die Veränderung von gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zum Erfolg rechtspopulistischer Par- teien und Bewegungen beiträgt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht werden hier einerseits die Dynamiken von Angebot und Nachfrage im Parteienspektrum untersucht. Andererseits steht die öffentliche Kom- munikation im Fokus, die sich durch soziale Medien maßgeblich verän- dert hat. Für den Aufstieg von Rechtspopulist:innen ist demnach wich- tig, wie sie handeln und mit Veränderungen umgehen. Wie geeint oder Die Kulturthese: Vertreter:innen dieses Ansatzes argumentieren, dass zersplittert tritt das rechte Spektrum auf? Welche Themen setzen sich der Zuspruch zu rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen Rechtspopulist:innen und welche Strategien verfolgen sie, um sich Ge- vor allem gegen eine kulturelle Liberalisierung und Modernisierung hör zu verschaffen? Mit ihrem konkreten Vorgehen gelingt es beispiels- richtet. Lebensmodelle und Gruppen, die lange an den gesellschaftli- weise der AfD deutlich besser als der neonazistischen Nationaldemo- chen Rand gedrückt wurden, gewinnen mittlerweile mehr an Sichtbar- kratischen Partei Deutschlands (NPD), diejenigen als Wähler:innen und keit: Homosexuelle Beziehungen, multikulturelles Zusammenleben Mitstreiter:innen zu mobilisieren, die bereits anschlussfähige Einstel- und veränderte Geschlechterrollen werden weithin anerkannt und zu- lungen haben (siehe Kontinuitätsthese). nehmend auch politisch aufgegriffen. Postmaterielle Werte sind für ei- nige bereits wichtiger als das eigene Haus oder Auto. Auch diese Ent- wicklung seit den 1970er Jahren wird auf neoliberalistische Politik und die beschleunigte Globalisierung zurückgeführt. Sie ist auch unter dem
18 Wer denkt was? 19 III. Wer denkt was? (Rechts-)populistische Einstellungen lung zu der Frage, inwiefern die Befragten meinen, dass wir als Gesell- sowie Umwelt- und Klimawandeleinstellungen schaft auf eine Umweltkatastrophe zusteuern. Die große Mehrheit der in der Bevölkerung Bevölkerung hält diese Aussage für zutreffend. Nur sechs Prozent der Befragten verneinen sie ausdrücklich. Grundsätzlich kann die deutsche Bevölkerung als umwelt- und klima- wandelsensibel beschrieben werden: Betrachtet man die Daten des Inwiefern Menschen mit rechtspopulistischen Einstellungen auch The- European Social Survey 2016 für Deutschland, bezweifeln nur vier Pro- men des Umwelt- und Klimaschutzes ablehnen, ist bislang wenig er- zent der Befragten, dass es den Klimawandel überhaupt gibt. Lediglich forscht. Im Folgenden werden einige ausgewählte empirische Befunde fünf Prozent führen ihn auf rein natürliche Prozesse zurück. Die von für Deutschland vorgestellt, die auf Basis großer Bevölkerungsumfra- Rechtspopulist:innen teils lautstark vorgetragene Leugnung des men- gen gewonnen wurden.5 schengemachten Klimawandels (siehe Kapitel 4) spielt in der Gesamt- bevölkerung bislang kaum eine Rolle. Die Einigkeit wird jedoch brüchig, wenn es um konkrete politische Maßnahmen zur Bewältigung des Kli- Umwelt- und Klimawandeleinstellungen – mawandels geht. Das betrifft beispielsweise Fragen zur Energiewende Einigkeit (nur) auf den ersten Blick oder zur Zahlungsbereitschaft: Bin ich bereit höhere Steuern auf fos- sile Energieträger zu bezahlen? Können erneuerbare Energien ausrei- chen, um den Energiebedarf zu decken? Hier weichen die Meinungen Die Einstellungen der Bevölke- teils deutlich voneinander ab. „Wenn alles so weiter geht wie rung zu Umwelt und Klimawan- bisher, steuern wir auf eine große del werden auf der Grundlage Umweltkatastrophe zu.“ ganz unterschiedlicher Fragen ge- Populistische Einstellungen – gegen „die da oben“ Stimme (voll und ganz) zu messen: Welches Naturverständ- Weder noch nis habe ich? Mache ich mir Sor- Stimme (überhaupt) nicht zu gen um die Umwelt? Würde ich Um die Einstellungen zum Rechtspopulismus in der Bevölkerung ge- selbst Geld für den Umweltschutz nauer zu analysieren, wird in Anlehnung an die Definition aus Kapitel 2 ausgeben und wenn ja, wie viel? unterschieden zwischen einer vertikalen Differenzierungslinie popu- 6% Wie stehe ich zur Energiewende? listischer Einstellungen – „anständiges Volk“ gegen „korrupte Elite“ – 13 % Und welchen Handlungsbedarf und einer horizontalen Differenzierungslinie rechter Thematiken wie sehe ich mit Blick auf den Klima- Migration und Nationalismus.6 81 % wandel? Zu diesen Fragen wer- den für die statistische Erhebung Populistische Einstellungen können unterschiedlich gemessen werden, einzelne Aussagen – sogenannte zum Beispiel ob Befragte der Ansicht sind, dass Politiker:innen nur an Items – ausgewertet, zu denen den Wähler:innenstimmen „der Leute“ interessiert sind, nicht aber an Abb 4: Einstellungen zur sich die Befragten positionieren deren tatsächlicher Meinung. Aber auch Themen wie mehr direkte De- ökologischen Krise sollen. Abbildung 4 zeigt auf Ba- mokratie, Vertrauen in die Regierung oder ob sich die Parteien heutzu- sis des GESIS Panels die Vertei- tage überhaupt noch unterscheiden sind Bestandteil der Untersuchung. GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.897. Daten gewichtet. Die originäre 5-stufige Antwortskala wurde reskaliert.
20 Populistische Einstellungen – gegen „die da oben“ Wer denkt was? 21 „Politiker kümmern sich nicht dar- Das dargestellte Beispiel macht zu einem schlechteren Ort. Die „Wird Deutschland durch Einwan- um, was Leute wie ich denken.“ deutlich, dass kritische Haltun- Mehrheit ist in dieser Frage un- derer zu einem schlechteren oder gen gegenüber Politiker:innen schlüssig. Die Größe der Bevöl- besseren Ort zum Leben?“ Lehne (tendenziell) ab durchaus verbreitet sind: 58 Pro- kerungsteile, die dem Rechtspo- Weder noch zent der Befragten geben an, dass pulismus zuneigt, unterscheidet (Tendenziell) schlechterer Ort Stimme (tendenziell) zu sich Politiker:innen ihrer Meinung sich allerdings auch je nach dem, Weder noch nach nicht darum kümmern, was wie sie gemessen wird. (Tendenziell) besserer Ort Leute wie sie denken. Grundsätz- 58 % 23 % lich sind populistische Einstellun- gen keine Randerscheinung, son- Umwelt, Klima und 27 % 24 % dern gesellschaftlich relevant und Migration – die 19 % durchaus verbreitet. So schätzt Bedeutung wächst etwa das Populismusbarome- 49 % ter der Bertelsmann Stiftung für das Jahr 2019, dass drei von zehn Die nachstehende Abbildung 7 Wahlberechtigten populistische zeigt, wie sich die Besorgtheit um Abb 5: Unzufriedenheit mit Politiker:innen* Einstellungen teilen.7 Diese Zahl die Themen Umweltschutz, Kli- Abb 6: Entwicklungen zur ging in 2020 leicht zurück.8 mawandelfolgen und Zuwande- Zuwanderung rung im Zeitverlauf von 2009 bis 2019 verändert hat. GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.886. Daten gewichtet. Die originäre Rechtspopulistische Einstellungen breit verankert 11-stufige Antwortskala wurde reskaliert. Bezogen auf die horizontale Differenzierungslinie zu rechten Thema- Bevölkerungsanteil mit großen Sorgen nach Themenfeldern tiken wurden ebenfalls verschiedene Merkmale genauer betrachtet. Einbezogen wurde zum Beispiel, wie die Befragten sich zu Migration, Flucht und Asyl oder dem Islam positionieren. Daraus lassen sich na- 50 % 49 % 46 % tivistische Einstellungen ableiten, bei denen die Abgrenzung von ver- Klimafolgen meintlich Fremden zentral ist – „wir“ gegen „die“.9 Auch Einschätzun- Umweltfolgen gen zur EU – als Indikator für nationalistische Tendenzen – oder Fragen 29 % Zuwanderung 27 % 27 % zu Gleichstellung der Geschlechter flossen in die Analyse ein. 25 % 21 % Die nachstehende Grafik (Abbildung 6) zum GESIS Panel macht deut- lich, dass rechte Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verankert Abb 7: Entwicklungen im Zeitverlauf sind: Nur ein Viertel aller Befragten erachtet Einwanderer:innen als ei- 2008 2011 2014 2017 2021 ne Bereicherung für die Gesellschaft. Demgegenüber steht ein weiteres Viertel, das der Meinung ist, Einwanderer:innen machen Deutschland * GESIS Panel 2019, Fallzahl = 4.897. Daten gewichtet. Die originäre 5-stufige Antwortskala wurde reskaliert. SOEP v.36. Die Fallzahl variiert je nach Welle zwischen 19.000 und 27.000 Personen. Daten gewichtet.
22 Die Phänomene im Zusammenspiel Wer denkt was? 23 Betrachtet man auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels, wie die Bevölkerung Umweltschutz und Klimawandelfolgen in diesen zehn „Das größte Problem in Deutschland sind die Politiker.“ Jahren bewertet, wird deutlich: Die Sorgen nehmen zu. Auch die Be- denken beim Thema Zuwanderung wachsen tendenziell. Besonders Die sogenannte Energiewende 28 groß waren sie in den Jahren 2015 und 2016 als Reaktion auf die stei- schadet mehr als sie nutzt genden Zahlen von Asylsuchenden in Deutschland. Die Furcht vor Kli- Die Energiewende zerstört den mawandelfolgen und mangelndem Umweltschutz steigt dagegen seit Industriestandort Deutschland 26 2017 im Trend besonders an. Im Jahr 2019 äußerte fast jede zweite Per- son hier große Sorgen. Als mögliche Gründe für den Anstieg lassen sich Wir machen uns zu viele Sorgen über die 23 Zukunft der Umwelt und zu wenig um etwa zunehmende Extremwetterereignisse oder der Erfolg von Fridays Preise und Arbeitsplätze heutzutage. for Future nennen. Durch die Bewegung erreichte das Thema eine brei- te Öffentlichkeit. Abb. 8: Zusammenhang zwischen populistischer Haltung und Umwelt- und Klimawandelaspekten Die Phänomene im Zusammenspiel GESIS Panel 2017. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 3.400 und 4.000 Personen. Daten gewichtet. Korrelationskoeffizient: Pearsons r. Je höher die Werte auf einem Spektrum von 0 bis 1, desto stärker ist der Zusam- menhang zwischen den Einstellungen Welche Zusammenhänge gibt es zwischen (rechts-)populistischen Haltungen und Umwelt- und Klimawandeleinstellungen? Und wie las- sen sie sich darstellen? Balken zeigt: Je eher eine Person der Auffassung ist, dass Politiker:in- nen das größte Problem in Deutschland sind, desto eher wird auch die Zunächst werden die Beziehungen zwischen populistischen Einstellun- Energiewende als schädlich eingeschätzt. Allerdings zeigt ein Wert von gen (vertikale Differenzierungslinie) und Umwelt- sowie Klimawandel- 0,28, dass es sich hierbei um eine Tendenz handelt, nicht um einen ex- einstellungen betrachtet. Obwohl die Messung des Populismus in An- trem starken Zusammenhang. betracht der Frageformulierungen in den bestehenden Datensätzen li- mitiert ist, gibt es aufschlussreiche Hinweise auf vorhandene Verbin- Dies ist ein Indiz dafür, dass der Energiewende eine Schlüsselfunktion dungslinien. als vermeintlichem Elitenprojekt zukommt. Populistische Erzählungen von der „korrupten Elite“ können hier erfolgreich andocken (siehe Ka- Die nachfolgende Abbildung zeigt ausgewählte Variablenpaare und pitel 4). ihre Zusammenhangsstärke. Beträgt der Wert 0 besteht kein Zusam- menhang; beträgt er 1, ist der Zusammenhang extrem stark. Dabei Was sich auch beobachten lässt: immer wenn umweltrelevante Fra- können Werte ab 0,3 als substanziell interpretiert werden, Werte ab gen mit sozialen Themen verknüpft werden, kommen populistische 0,4 als starke Beziehungen. Ansichten besonders stark zum Vorschein. Auf dieser Basis lässt sich vermuten, dass gerade die Angst vor möglichen oder drohenden sozi- Die Beispielvariable „Das größte Problem in Deutschland sind Politi- alen Benachteiligungen geeignet ist, um gegen Nachhaltigkeitspolitik ker“ macht verglichen mit anderen Populismus-Variablen eine starke zu mobilisieren. Beziehung deutlich, zum Beispiel zum Thema Energiewende. Der obere
24 Die Phänomene im Zusammenspiel Wer denkt was? 25 Aus statistischer Sicht erweisen sich Variablen des Rechtspopulismus „Ist allgemein gesehen die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union als einflussreicher als rein populistische Merkmale. Das bedeutet, dass Ihrer Meinung nach eine schlechte Sache?“ sich mit Blick auf die rechte Aufladung populistischer Einstellungen und Umwelt- sowie Klimawandeleinstellungen stärkere Zusammen- Die sogenannte „Umweltkrise“ 31 wird stark übertrieben hänge zeigen. Die Tabelle veranschaulicht zum Beispiel: Menschen, die Geflüchtete als eine Bedrohung der in Deutschland geltenden Werte Akzeptabel, Abstriche von Ihrem einschätzen, sind auch deutlich häufiger der Ansicht, dass die Energie- Lebensstandard zu machen, 24 um die Umwelt zu schützen? wende den Industriestandort Deutschland zerstört. Oder: Finden die Befragten, dass Einwanderer:innen den Ort, an dem man lebt, zu ei- Große Kraftwerke sind für eine sichere 21 nem schlechteren Ort machen, ist auch ihre Bereitschaft gering, höhere Stromversorgung unerlässlich Preise für den Umweltschutz zu zahlen. Abb. 9: Zusammenhang zwischen EU-Skeptizismus Tabelle 1: Ausgewählte Zusammenhänge nativistischer und Umwelt- und Klimawandelaspekten Haltungen und Umwelt- u. Klimawandeleinstellungen Zusammen- GESIS Panel 2019. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 4.800 und 4.900 Personen. Daten gewichtet. Nativismus-Merkmal Klimawandel-Merkmal Korrelationskoeffizient: Pearsons r. Je höher die Werte auf einem Spektrum von 0 bis 1, desto stärker ist der Zusam- hangsstärke menhang zwischen den Einstellungen Flüchtlinge stellen eine Die Energiewende zerstört den Bedrohung für die Werte 0,40 Industriestandort Deutschland. in Deutschland dar. Insgesamt macht die Datenauswertung deutlich, dass Umwelt- und Wird Deutschland durch Klimawandeleinstellungen durchaus von (rechts-)populistischen Ein- Einwanderer zu einem Keine Bereitschaft für höhere stellungen geprägt sind. Dabei sind die Verbindungslinien zwischen 0,32 schlechteren oder Preise für Umweltschutz. besseren Ort zum Leben? rechten Einstellungen und Umwelt- und Klimawandeleinstellungen stärker als jene zu populistischen Einstellungen. Mit anderen Wor- Flüchtlinge stellen eine Be- Die erneuerbaren Energien sind drohung für den Wohlstand nicht ausreichend, um ein 0,29 ten: Das „Rechte“ am Rechtspopulismus und weniger der Populis- in Deutschland dar. Industrieland zu versorgen. mus scheint in einem Zusammenhang mit der Ablehnung von Umwelt- und Klimaschutz zu stehen. Das macht nicht gleich alle Befragten mit GESIS Panel 2019. Die Fallzahl variiert je nach Variablenpaar zwischen 4.800 und 4.900 Personen. Daten gewichtet. Korrelationskoeffizient: Pearsons r. (rechts-)populistischen Einstellungen auch zu Klimawandelskepti- ker:innen – wie das Beispiel am Anfang dieses Kapitels zeigen konnte. Die Ansichten, die bestimmte Bevölkerungsgruppen teilen, sind also Neben migrationsbezogenen Einstellungen ist mit Blick auf die Um- nicht deckungsgleich mit dem, was rechtspopulistische Akteur:innen welt- und Klimawandeleinstellungen auch entscheidend, wie die EU bzw. Politiker:innen vertreten. bewertet wird. Die folgende Abbildung lässt erkennen: Wer findet, dass Deutschlands Mitgliedschaft in der EU eine schlechte Sache ist, hält auch die Umweltkrise für eher übertrieben. Entsprechende Perso- nen sind auch weniger bereit, den eigenen Lebensstandard anzupas- sen, um die Umwelt zu schützen.
26 Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen 27 IV. Was Rechtspopulist:innen ANFEINDUNGEN GEGEN GRETA THUNBERG zu Klima und Umwelt sagen Statt zur Schule zu gehen, setzte nicht nachzukommen. Sowohl der sich die damals 15-jährige Schülerin damalige US-amerikanische Prä- Greta Thunberg an einem Freitag im sident Donald Trump als auch sein Sommer 2018 mit einem Banner vor russischer Gegenpart Wladimir Putin das schwedische Parlament. Darauf äußerten sich daraufhin öffentlich stand: Schulstreik für das Klima. Was abwertend zu ihrer Person. Damit als einsamer Protest begann, wurde sind die beiden Präsidenten bei Wei- Welche Positionen beziehen rechtspopulistische Partei- innerhalb eines Jahres unter dem Na- tem nicht allein. en und Medien zu Themen des Klima- und Umweltschut- men Fridays For Future zu einer glo- zes? Diese Frage steht nachfolgend im Zentrum. balen Bewegung. Das Thema Klima- In Deutschland bezieht die AfD im- wandel eroberte so die politische Ta- mer wieder gegen Thunberg und Fri- gesordnung und etablierte sich fest days For Future Stellung. Viele Mit- im öffentlichen Diskurs. glieder der Partei schrecken vor per- Menschengemachter Klimawandel? sönlichen Beleidigungen nicht zurück Gibt’s ja wohl nicht! Als Gesicht der Jugendbewegung Fri- – bis hin zu menschenfeindlichen days for Future steht Thunberg für Aussagen in Bezug auf Thunbergs Argumente, die auf wissenschaft- mentale Gesundheit. Wahlweise wird Vertreter:innen rechtspopulistischer Parteien lichen Erkenntnissen gründen. Sie sie als Opfer oder Feindbild stilisiert. in Europa und den USA äußern sich überwie- appelliert vor allem an Personen in Ihr Asperger-Autismus wird zum An- gend skeptisch gegenüber der Wissenschaft Machtpositionen, die Pariser Klima- lass, um sie als „geistig krankes, be- und ihren Erkenntnissen. Das gilt auch in ziele einzuhalten. Die große Welle an hindertes Mädchen“10 zu diffamie- Bezug auf den Klimawandel. Sie zweifeln Aufmerksamkeit für Thunberg und ren und daraus einen Mangel an Ur- zum Beispiel an, dass es einen menschli- die Ziele der jungen Bewegung wer- teilsfähigkeit abzuleiten.11 Zugleich den jedoch nicht nur mit Begeiste- wird eine Verschwörungserzählung chen Einfluss auf das Klima gebe oder dass rung aufgenommen. Sexistische und verbreitet, die Thunberg als PR-Ma- etwas gegen eine globale Erwärmung getan (alters-)diskriminierende Äußerun- rionette inszeniert. Ihr rasanter Auf- werden könne. So schreibt die AfD in ihrem Bundestags- gen sowie hasserfüllte Anfeindungen stieg sei Teil einer „PR-Kampagne für wahlprogramm von 2017: sind Teil des Diskurses – besonders in die linksgrün indoktrinierten, naiven den sozialen Medien. jungen Menschen rund um die Welt“. „Die Aussagen des Weltklimarats (IPCC), dass Klima- Ein Beispiel für das Ausmaß an Auf- Diese Kampagne solle den finanzi- änderungen vorwiegend menschengemacht seien, sind merksamkeit, das die junge Aktivis- ellen Interessen ihres „extremisti- wissenschaftlich nicht gesichert. Sie basieren allein auf tin erhält, folgte auf ihre eindring- schen Elternhauses“12 und denen ei- Rechenmodellen, die weder das vergangene noch das liche „How dare you“-Ansprache im nes schwedischen Unternehmers die- aktuelle Klima korrekt beschreiben können. Schon vor September 2019 auf dem UN-Klima- nen.13 Das Recherchezentrum Correc- gipfel. Darin warf sie führenden Poli- tiv hat die Vorwürfe überprüft und der Industrialisierung gab es Warm- und Kaltperioden, tiker:innen vor, ihrer Verantwortung konnte keine Belege für eine syste- die sich nicht durch die zugehörige CO2-Konzentration in Hinblick auf den Klimawandel matische PR-Kampagne finden.14 der Luft erklären lassen.“
28 Die Energiewende – eine „Verspargelung der Landschaft“ Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen 29 Auch AfD-Politiker:innen äußern sich immer wieder öffentlich zu Die Konflikte um die Energiewende spitzen sich besonders auf loka- diesem Thema. Alexander Gauland beispielsweise bezweifelt eine ler Ebene zu, wenn es beispielsweise um den Ausbau von Wind- menschlich verursachte Erderwärmung und spricht stattdessen von ei- kraftanlagen geht. AfD-Politiker:innen sprechen hier gern von ner „politisch motivierte[n] Panikmache“.15 einer „Verspargelung der Landschaft“, die Gefahren für Men- schen sowie Tier- und Naturschutz mit sich bringe.18 Die Konflik- Um die eigenen Aussagen wissenschaftlich zu untermauern, beruft te vor Ort tragen neben der AfD auch das bereits erwähnte Euro- sich die AfD häufig auf Studien des Europäischen Instituts für Klima & päische Institut für Klima & Energie (EIKE) sowie die Bundesinitiative Energie (EIKE). Bei EIKE handelt es sich allerdings nicht um eine wis- Vernunftkraft aus, die sich laut Selbstbezeichnung für eine „vernünfti- senschaftliche Forschungseinrichtung, sondern um einen politischen ge Energiepolitik“ einsetzt. Die – mittlerweile gut vernetzten – Wind- Interessenverband, der den menschengemachten Klimawandel kraftgegner:innen-Gruppen und -Initativen konnten bereits einige Pro- systematisch leugnet. jekte für neue Windkraftanlagen verhindern. Auf der einschlägigen In- ternetplattform windwahn.com findet sich eine Auflistung der Bürger- Die AfD bestreitet den menschengemachten Klimawandel und initiativen gegen Windkraft – derzeit sind es über 1000.19 lehnt entsprechend jegliche Klimaschutzpolitiken ab. Auf inter- nationaler Ebene will die Partei beispielsweise einen Austritt aus Nicht alle rechtspopulistischen Parteien in Europa setzten sich gegen dem Pariser Klimaschutzabkommen durchsetzen. Sie stellt sich eine Energiewende ein. Unterstützen sie aber den Ausbau erneuerba- gegen alle EU-Maßnahmen, die eine Reduktion der CO2-Emissio- rer Energien, steht nicht der Klimaschutz im Vordergrund, sondern eine nen mit Klimaschutz begründen. Der ehemalige AfD-Vorsitzende Unabhängigkeit von „ausländischen“ Energieträgern. und programmatische Vordenker der neuen Rechten Alexander Gauland verkündete sogar: „Die Kritik an der sogenannten Kli- maschutzpolitik ist nach dem Euro und der Zuwanderung das Braunkohle? Ja, bitte! dritte große Thema für die AfD.“16 Auch Wissenschaftler:in- nen halten fest, dass „der Populismus in Deutschland das Handlungsfeld Energie- und Klimapolitik seit 2019 für Viele rechtspopulistische Parteien in Europa, darunter auch die AfD, sich als zentrale Kampfarena entdeckt“17 hat. wollen weiter auf fossile Energieträger setzen. Vor allem an der Ver- stromung von Braunkohle will die AfD festhalten. In ihrem Europawahlprogramm aus dem Jahr 2019 schreibt sie: Die Energiewende – eine „Verspargelung der Landschaft“ „Braunkohle ist der einzige kostengünstige und lang- fristig verfügbare inländische Energieträger von Bedeu- tung. Die EU und die Bundesregierung bereiten mit Hil- Die Energiewende ist ein besonders beliebtes Ziel rechtspopu- fe der CO2-Zertifikate-Politik und über eine Besetzung listischer Kritik. Die AfD möchte den Ausbau erneuerbarer Ener- der deutschen Kohlekommission mit Fachfremden und gien in Deutschland verhindern und das Erneuerbare-Energien- grünen Ideologen den Kohleausstieg vor. Nach dem Ab- Gesetz (EEG) abschaffen. Sie positioniert sich gegen E-Mobilität schalten der Kernkraftwerke wäre dies das Ende einer und setzt weiterhin auf Autos mit Verbrennungsmotor. sozial orientierten und wettbewerbsfähigen Energiever- sorgung in Deutschland.“
30 Naturschutz von rechts Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen 31 In der Lausitz, in der Braunkohle abgebaut wird, ist die AfD besonders aktiv und erhält auch hohe Zustimmungswerte. Die Partei präsentiert sich hier als die Partei, die sich um die Menschen vor Ort kümmert und RECHTE ÖKO-SIEDLER:INNEN ihre Sorgen ernst nimmt. Neben der Braunkohle befürwortet die AfD Dass Naturschutz und rechte bzw. fremdung“ durch Zuwanderung be- auch die besonders umwelt- rechtsextreme Ideologie gut zusam- vorstehe, die zum sogenannten „gro- schädliche Fördermethode mengehen können, zeigt sich auch in ßen Austausch“ führe.25 Davor müsse des Hydraulic Fracturing der Szene der völkischen Siedler:in- die eigene „Heimat“ und „Identität“ nen. Sie beziehen Höfe und sogar geschützt werden. Die Aufrechterhal- („Fracking“) und die ganze Dörfer, betreiben ökologische tung traditioneller Siedlungsformen, Weiternutzung von Landwirtschaft und pflegen nationa- altdeutscher Namen und der Wie- Atomenergie. listisches Brauchtum. Die völkische derbelebung von Sagen, Mythen und Bewegung denkt die Bereiche Natur,- Traditionen sind dafür die Mittel der Heimat-, Tier- und Volksschutz schon Wahl. seit dem 19. Jahrhundert eng zusam- men, wie die Autor:innen des Bu- Auch wenn es grundsätzlich wichtig ches „Völkische Landnahme“, Andrea ist, Rechtspopulist:innen von rechts- Naturschutz von rechts Röpke und Andreas Speit, ausfüh- extremen, völkischen Siedler:innen ren.24 Ihre Anhänger:innen glauben, abzugrenzen, gibt es teilweise perso- dass dem deutschen Volk eine „Über- nelle und ideologische Verbindungen. Obwohl sie den Klimawandel bestreiten und Klimaschutzpolitiken ab- lehnen, setzen sich einige rechtspopulistische Parteien in Europa für den Naturschutz ein.20 Naturschutz hängt hier allerdings meist mit ei- ner rechten Heimatideologie zusammen: Die Identität der Bevölkerung Dass sich rechte Parteien für den Naturschutz einsetzen, ist nicht un- wird mit der heimischen Natur verknüpft, die es als nationales Erbe zu gewöhnlich und lässt sich historisch weit zurückverfolgen. Bereits in bewahren gelte. der Zeit des Nationalsozialismus wurde Naturschutz mit rechter Ideo- logie verbunden. Das erste deutsche Naturschutzgesetz, das soge- Auch die AfD setzt sich laut ihres umweltpolitischen Sprechers Karsten nannte Reichsnaturschutzgesetz, wurde 1935 von NS-Führungskader Hilse für „ehrlichen Umwelt- und Naturschutz“ ein.21 Als ein Beispiel Hermann Göring auf den Weg gebracht. machen die Konflikte um die Energiewende deutlich, dass auch hier eine nationalistisch aufgeladene Heimatideologie betrieben wird. So würden Windräder eine „Heimatbedrohung“ darstellen, die das Land- Klimapolitik – die Abzocke der kleinen Leute schaftsbild sowie den deutschen Wald zerstörten und Vögel in Gefahr brächten.22 Naturschutz wird damit Bestandteil einer „konservativen, bewahrenden Politik“, mit der die AfD neue Wähler:innen gewinnen Klima- und Umweltschutzpolitik verstärkt soziale Ungleichheit und möchte, wie der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski festhält.23 In belastet die „einfachen Leute“ übermäßig – mit diesem Argument leh- manchen Bundesländern setzt sich die Partei auch für den Tierschutz – nen Rechtspopulist:innen sie grundsätzlich ab, ohne dabei auf die in- zum Beispiel gegen Tiertransporte – und gegen Gentechnik ein. haltlichen Gestaltungsspielräume einzugehen. Vor allem wenn es um
32 „Elitenprojekt“ Klimapolitik Was Rechtspopulist:innen zu Klima und Umwelt sagen 33 die Energiewende geht, behauptet die AfD, dass öko- „sachadäquat und demokratisch“ gegenüber – fundiert durch die Posi- nomisch schlechter gestellte Bevölkerungsteile noch tionen eigener Expert:innen.31 mehr benachteiligt werden und die gegenwärtige Energiepolitik zu einer „Umverteilung von unten nach oben“ führe.26 Die EU als Klimaschützerin Rechtspopulist:innen geben außerdem an, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen aus Die Ablehnung des Euro und der Europäische Union (EU) waren ein Sorge um die individuelle Freiheit abzulehnen. Hauptthema in den Anfangsjahren der AfD. Klima- und Umwelt- Das Europäische Institut für Klima & Energie (EI- schutzpolitik sind ein wichtiges Aufgabengebiet der EU. Mittlerwei- KE) verkündet auf seiner Website beispielsweise: „Nicht das Klima le stellen sie sogar einen der am weitesten entwickelten Bereiche der ist bedroht, sondern unsere Freiheit!“ Freiheit ist ein zentraler Begriff EU-Politik dar. So ist es nicht verwunderlich, dass die AfD jegliche um- für viele rechtspopulistische Parteien. Einige führen das Wort sogar im welt- und klimapolitischen Regulierungen durch die EU ablehnt. Ei- Namen – etwa die Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden, die ne Untersuchung des Abstimmungsverhaltens der AfD-Mitglieder im Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) oder die tschechische Partei Frei- Europäischen Parlament konnte zeigen, dass diese zwischen 2014 heit und direkte Demokratie (SPD). und 2018 gegen jeden einzelnen Antrag zum Thema Klimaschutz ge- stimmt hatten.32 „Elitenprojekt“ Klimapolitik Insgesamt betrachten viele rechtspopulistische Parteien die EU kritisch. Sie wollen die Gesetzgebung in den Händen ihrer je- weiligen Nationalstaaten belassen. So fordert die AfD in ih- Rechtspopulist:innen rahmen Klima- und Umweltschutzpolitik als et- rem Programm für die Bundestagswahl 2021 sogar den „De- was, das sich gegen das „Volk“ und die „einfachen Leute“ richtet. Ent- xit“, den EU-Austritt Deutschlands nach britischem Vorbild. sprechende Maßnahmen werden als ein Projekt der „Elite“ dargestellt, In dieser Logik werden auch Beschlüsse zum Klimaschutz auf die alleine davon profitieren würde. Hier wird das zentrale Element des EU-Ebene als eine weitere Einmischung Brüssels in die nationale Populismus deutlich: die Gegenüberstellung von „Volk“ und „Elite“. So Selbstbestimmung verstanden.33 wird die Energiewende gern als „kulturelles Elitenprojekt“27 oder „als Projekt abgehobener urbaner Eliten“28 bezeichnet. In rechten Kreisen Klimaschutzmaßnahmen, die durch die EU erlassen werden, gelten wird Klimaschutz auch gern als „neue Religion“ seiner Unterstützer:in- als Gefahr für die Souveränität und Unabhängigkeit der Nationalstaa- nen dargestellt.29 Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse spricht von Kli- ten. Zusätzlich werden sie als eine wirtschaftliche Bedrohung für die maschutz als einer „Ersatz-Religion“.30 Mitgliedsstaaten dargestellt. Rechtspopulist:innen argumentieren: Steuern, Abgaben und Subventionen führen dazu, dass sich Einkom- Insgesamt bieten Klima- und Umweltschutzpolitiken eine passende men verringern. Dies schädige wiederum die nationale Wirtschaft, Zielscheibe für rechtspopulistische Kritik, da sie auf wissenschaftli- denn der Wettbewerb zwischen den Staaten werde dadurch beein- chen Erkenntnissen beruhen und oft nur Expert:innen in der Lage sind, flusst und verzerrt. ihre langfristigen Wirkungen einzuordnen. Die AfD stellt diesem Ex- pert:innenwissen den vermeintlich „gesunden Menschenverstand“ als
34 Was dagegen? Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen 35 V. Was dagegen? Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen Im vorigen Kapitel wurde deutlich, dass rechtspopulistische Parteien und Initiativen den menschengemachten Klimawandel offensiv be- streiten und Maßnahmen, um Klima und Umwelt zu schützen, weitge- hend ablehnen. Auch in der Bevölkerung findet man diese Positionen bei bestimmten Gruppen wieder. Was aber treibt Rechtspopulist:innen dazu an? Welche Erklärungen lassen sich dafür finden? Bestehende Ansätze nehmen ganz unterschiedliche Gründe in den Fokus. Fokus: Eine Strategie verfolgen Fokus: Ideologie und Parteivorliebe Den Klimawandel zu leugnen sowie Klima- und Umweltschutzpolitik abzulehnen, kann auch als eine bewusst gewählte politische Strate- Mit welcher Partei jemand sympathisiert, ist einer der wichtigsten gie von Rechtspopulist:innen verstanden werden. Während das Thema Gründe, um zu erklären, welche Einstellung zu Umwelt- und Klimafra- Klima in Politik und Medien immer wichtiger wird, versucht die AfD ge- gen er oder sie hat. Im rechten Parteien- und Wähler:innenspektrum zielt Menschen anzusprechen, die sich eher skeptisch zeigen oder klar sind Zweifel am Klimawandel und eine Ablehnung von Klima- und Um- dagegen positionieren. So entwickelt die Partei gezielt ein Alleinstel- weltschutzpolitik besonders verbreitet. Andersherum glauben Wäh- lungsmerkmal. Entsprechend kann auch die Ablehnung der Energie- ler:innen rechter Parteien deutlich seltener an den menschengemach- wende als ein taktisches Manöver gedeutet werden, denn damit grenzt ten Klimawandel. Sie sind auch weniger bereit, entsprechende Politik- sich die AfD von den etablierten Parteien ab.36 maßnahmen zu unterstützen. Beides zeigt eine Analyse von Umfrage- daten im Vergleich von 25 EU-Ländern aus dem Eurobarometer.34 Vor Sich bewusst von etablierten Parteien zu distanzieren, kann für allem der Nationalismus gilt als der Bestandteil rechtspopulistischer Rechtspopulist:innen manchmal sogar bedeuten, für Natur- bzw. Um- Einstellungen, der eine ablehnende Haltung gegenüber Klima- und weltschutz zu stimmen. Dies veranschaulicht das Glyphosat-Verbot in Umweltschutzpolitik besonders prägt. Österreich: Im Jahr 2019 unterstützte die rechtspopulistische FPÖ ei- nen Antrag der Sozialdemokrat:innen (SPÖ), in dem es um ein landes- Auch aus rein populistischen Einstellungen lässt sich eine Anti-Klima- weites Verbot von Glyphosat ging. Die Partei konnte damit ihr Profil Position ableiten – und zwar sogar unabhängig von der Parteivorliebe. schärfen: sich gegen den politischen Mainstream und für die Bewah- Das konnten umfassende Analysen von Umfragedaten aus den USA rung der Natur einsetzen und dafür auch vor restriktiven Mitteln wie und Großbritannien zeigen.35 Auch wenn sie unterschiedlich gewich- Verboten nicht zurückschrecken. Zugleich stellte sie sich gegen ihren tet werden: Alle Ansätze eint, dass sie Elemente rechtspopulistischer Koalitionspartner ÖVP und versuchte durch die ökologische Positionie- Ideologie als Erklärung heranziehen. rung, neue Wähler:innen für sich zu gewinnen.37
36 Fokus: „Transformationsverlierer:innen“ ein Angebot machen Was dagegen? Wieso Rechtspopulist:innen Klimapolitik ablehnen 37 Fokus: „Transformationsverlierer:innen“ zurückweist, stellt sich damit gewissermaßen auch gegen vermeint- ein Angebot machen lich kosmopolitische Projekte wie den Kampf gegen die globale Erwär- mung. Rechtspopulist:innen gehen auf bestimmte Wähler:in- Aus feministischer Sicht verknüpft der Ansatz der Petro-Masculinity nengruppen ein, wenn sie Politiken des Klima- und Um- das Festhalten an fossilen Energieträgern durch rechtspopulistische weltschutzes ablehnen. Gerade für diejenigen, die in fos- Parteien und Initiativen mit einem gesellschaftlich verankerten patri- silen Industrien arbeiten, kann die Aussicht auf eine öko- archalen Macht- und Herrschaftssystem, an dem nicht gerüttelt wer- logische Transformation bedrohlich wirken. Sie sehen ih- den soll und das mit einer spezifischen Lebensführung in Zusammen- re Arbeitsplätze und ihren Lebensstandard in Gefahr und hang steht.39 Andere Untersuchungen stellen einen statistischen Zu- stehen klima- und umweltpolitischen Maßnahmen des- sammenhang zwischen Männlichkeit und dem Bestreiten des Klima- halb oft skeptisch gegenüber. Bei diesem Erklärungsan- wandels fest, den sogenannten White-Male-Effect (auf Deutsch: Wei- satz bleibt allerdings offen, inwiefern es sich für rechts- ßer-Mann-Effekt).40 populistische Parteien lohnt, eine bestimmte Agenda für einen nur sehr begrenzten Personenkreis zu verfolgen. Die Schließlich lässt sich die Nicht-Anerkennung des Klima- Unterstützung von Arbeiter:innen aus Industrie und Berg- wandels und der damit einhergehenden Notwen- bau oder Gegner:innen der Energiewende allein reicht nicht, digkeit zu handeln, auch als Verteidigung be- um Wahlen zu gewinnen. stehender Privilegien deuten. Aus dieser Sicht spiegelt der Aufstieg rechtspo- pulistischer Parteien besonders deutlich den Wunsch, den Sta- tus quo zu bewahren. Die AfD kann so als Vertreterin einer Al- lianz mit einem zentralen Ver- sprechen gesehen werden: „Wir sorgen dafür, dass sich nichts Fokus: Den Status quo bewahren ändert.“41 An den Themen Klima- und Umweltschutz scheiden sich die Geister. Zum Teil wird argumentiert, dass sie eine neue kulturelle Konfliktlinie bilden, an der verschiedene Lebensmodelle und Werthaltungen aufei- nanderprallen.38 Auf der einen Seite finden sich Rechtspopulist:innen, auf der anderen Seite stehen, nach dieser Lesart, Kosmopolit:innen mit ihren postmateriellen und liberalen Werten. Diese Werte lehnen die Ersten grundlegend ab. Wer also den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel und die entsprechenden politischen Maßnahmen
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