WHITE PAPER V2.1, JUNI 2021 - Carbotech AG
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Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Zusammenfassung Um unsere natürlichen Lebensgrundlagen langfristig Was heisst das konkret? Der WWF Schweiz benennt in die- sichern und die Klimakrise bewältigen zu können, müssen sem Papier elf Handlungsfelder, die eine wichtige Rolle spie- sich unsere Gesellschaft und Wirtschaft hin zu einer «Kultur len für den angestrebten Wandel. Erfolgreich umgesetzte der Nachhaltigkeit» und einer «Wirtschaft innerhalb der Beispiele zeigen, dass die vorgeschlagenen Wege realisierbar planetaren Grenzen» entwickeln. Im Vordergrund steht das und praxistauglich sind. Die elf Handlungsfelder sind: Ziel eines «Guten Lebens für alle Menschen». 1 Weltweit Umweltabgaben einführen und umweltschäd- Das vorliegende Papier «Wege zu einer Wirtschaft inner- liche Subventionen abschaffen halb der planetaren Grenzen» zeigt, welche Änderungen auf 2 Langfristig angelegte Governance-Systeme zur Senkung systemischer Ebene dazu beitragen, dass die Menschheit in von Emissionen und Ressourcenverbrauch einführen den kommenden Generationen diesen Pfad gehen kann. 3 Finanzsystem und Kreditwesen auf eine positive Wir- kung für Umwelt und Gesellschaft ausrichten Dieser Pfad lässt sich dreiteilen: Technische Lösungen zur 4 Gerechten Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen Steigerung der Effizienz sind wichtig, sie reichen jedoch schaffen, Ressourcennutzung fair entgelten nicht aus. Dies zeigen die Erfahrungen aus der Vergangen- 5 Den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken und Un- heit und die Limiten, die uns die physikalischen Gesetze set- gleichheiten verringern zen. Es braucht deshalb weitere Massnahmen, die die Nach- 6 Zugang zum Rechtssystem gewähren, Transparenz frage nach ressourcenintensiven Gütern drosseln, seien es schaffen und Korruption bekämpfen veränderte Rahmenbedingungen, seien es individuelle Ver- 7 Global gültige Regeln für eine globalisierte Wirtschaft haltensänderungen. Diese Massnahmen werden aber nur einführen dann Akzeptanz finden, wenn gleichzeitig Lösungen gefun- 8 Infrastrukturen nur soweit notwendig und umwelt- den werden, um unser soziales und gesellschaftliches Ent- freundlich ausbauen wicklungsniveau zu halten, respektive um in Entwicklungs- 9 Unternehmensziele auf Nachhaltigkeit ausrichten und und Schwellenländern zu einem höheren Niveau zu kom- den Wachstumsdruck von Unternehmen nehmen men. 10 Systeme zur sozialen Absicherung wachstumsunabhän- gig ausgestalten 11 Arbeits- und Lebensmodelle weiterentwickeln Zu diesem Papier Mit dem vorliegenden Papier möchte der WWF Schweiz einen Beitrag leisten zur Diskussion über die zukünftige Entwick- lung unserer Gesellschaft angesichts der grossen Herausforderungen, die sich im Umgang mit unserer Umwelt stellen. Dabei bilden wir uns nicht ein zu wissen, «wie man es richtig macht», und wir sind auch nicht in allen der vorgestellten Handlungsfeldern aktiv. Vielmehr möchten wir zum Dialog einladen – unsere Partner, die interessierte Öffentlichkeit, aber auch Kreise, die eine ganz andere Ansicht haben dazu, wie wir unsere Zukunft gestalten sollten. Das Papier hat bewusst die grossen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge im Blick. Die einen mögen die aufgebrachten Vorschläge als zukunftsgerichtet und visionär beurteilen, andere wiederum als utopisch und weltfremd. Aber das Bild und das Ziel einer aus unserer Sicht «idealen Welt» vor Augen helfen dabei, die zentralen Fragen zu stellen und diejenigen Wege zu finden, die langfristig Erfolg versprechen. Klar ist auch: Mit einem Papier ist es nicht getan. Die Umsetzung geschieht Schritt für Schritt im Alltag, vielleicht bereits morgen, vielleicht auch erst in zehn oder noch mehr Jahren. Das ist das, was der WWF schon heute täglich und mit Erfolg tut: Zusammen mit Politik, Wirtschaft und Menschen neue Lösungen für die Umwelt entwickeln, testen und umsetzen. Das Papier sehen wir als lebendes Dokument, das wir von Zeit zu Zeit an die aktuelle gesellschaftliche Diskussion und politische Entwicklung anpassen werden. Text und Redaktion: Ion Karagounis, Franziska Zoller, Elgin Brunner, Myriam Stucki, Thomas Vellacott Illustrationen: Jane Gebel, www.janegebel.ch Erste Version: V2.1, Juni 2021.; Aktuelle Version: V21., Juni 2021 2
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Der Verbrauch von Ressourcen, die Zerstörung von Lebens- Veränderung der Landnutzung, der Eintrag von Phosphor räumen und der Ausstoss von Schadstoffen sind seit der und Stickstoff in die Gewässer oder die Verfügbarkeit von Mitte des 20. Jahrhunderts teilweise exponentiell gestiegen. Wasser zu den kritischen Grössen. Die Klimakrise, die Abholzung der Tropenwälder und die Als Zielrahmen für die zukünftige Wirtschaft dient das Mo- Plünderung der Meere zeigen deutlich: Mit der Art, wie wir dell der Donut-Ökonomie nach Kate Raworth (siehe Figur Menschen heute leben, zerstören wir unsere eigenen Le- nächste Seite, Ring ganz rechts und Q2). Es definiert erstens bensgrundlagen. Mit einer Wirtschaft, die in den letzten einen Mindest-Wohlstand für alle Menschen (Social Foun- Jahrzehnten vorwiegend auf materiellem Wachstum ba- dation, innerer dunkelgrüner Ring). Wohlstand ist hier um- sierte, sind wir an die Grenzen unseres Planeten gekommen. fassend gemeint, dazu zählen auch das Recht auf Bildung Doch in welche Richtung sollen sich Wirtschaft und Gesell- oder demokratische Mitsprache. Zweitens legt es ein Maxi- schaft entwickeln, global gesehen? Was sollen unsere Ziele mum an zulässiger Umweltbelastung fest gemäss dem Kon- sein? Der WWF Schweiz plädiert für «ein gutes Leben für zept der planetaren Grenzen (Ecological Ceiling, dunkelgrü- alle innerhalb der planetaren Grenzen». Gute Ge- ner äusserer Ring). Der hellgrüne Ring zwischen diesen sundheit, persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, die Teil- beiden Sets an Anforderungen ist der Bereich, in dem sich habe am gesellschaftlichen und politischen Leben sowie eine die Wirtschaft entwickeln darf. Die Ziele der Donut-Ökono- erfüllende Arbeit sind für viele Menschen wichtiger als ma- mie entsprechen weitgehend den Sustainable Development terieller Wohlstand – sobald sie ein gewisses Minimum er- Goals SDG (Q13). reicht haben, mit dem sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen Dieser Zielrahmen sagt nichts darüber aus, welche Wege zu können. Die Sustainable Development Goals SDG der Ver- diesen Zielen führen. Die möglichen Wege skizziert der einten Nationen (siehe Q131) haben im Wesentlichen diese WWF in einem dreistufigen Wirtschaftsmodell und Aspekte im Fokus, sie sind auch für den WWF massgebend. mit elf Handlungsfeldern. Im vorliegenden Papier «Wege zu einer Wirtschaft in- nerhalb der planetaren Grenzen» beschreibt der WWF Schweiz, wie die Wege zu diesem Ziel aussehen könnten. Drei Schritte und elf Handlungsfelder zur Wirtschaft in den planetaren Grenzen Der Zielrahmen für unsere Wirtschaft: Um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben (respektive Planetare Grenzen und Donut-Ökonomie dorthin zurückzukommen), braucht es drei Schritte (siehe Figur): technische Innovation (Effizienz und Konsis- Der WWF verwendet zwei Konzepte, die das Ziel eines «Gu- tenz), Massnahmen auf der Verhaltensebene (Suffizi- ten Lebens für alle» umschreiben und messbar machen: Das enz) sowie Massnahmen zur Sicherung wichtiger ge- Konzept der planetaren Grenzen und die Donut-Ökonomie. sellschaftlicher Errungenschaften (System-Inno- vation). Das Konzept der planetaren Grenzen (planetary boundaries nach Johan Rockström, Q1) zeigt die Belastungsgrenzen für neun weltweit lebensnotwendige Umweltgüter auf. Werden diese Grenzen langfristig und dauerhaft überschritten, ist ein sicheres Leben auf der Erde nicht mehr möglich. Neben dem Klimawandel/Klimasystem zählen unter anderem die 1Alle mit Q bezeichneten Quellenangaben finden sich im Anhang des Dokuments. 3
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Theorie und Empirie zeigen, dass Massnahmen zur Steige- machen, sondern das System «Mobilität» insgesamt um- rung von Effizienz und Konsistenz nicht genügen, um die weltfreundlicher auszugestalten. planetaren Grenzen einzuhalten (siehe Anhang A1). Es sind Suffizienz: Veränderte politische und finanzielle Rahmen- auch Massnahmen zur Suffizienz notwendig. Dies führt zu bedingungen sowie Anpassungen im persönlichen Verhalten einer Abnahme des Verbrauchs von Energie und Ressour- sollen sicherstellen, dass die erzielten technischen Fort- cen, wirkt gleichzeitig aber auch bremsend auf die wirt- schritte nicht in eine Mehrproduktion umschlagen, sondern schaftliche Entwicklung und das Wachstum (siehe A1). damit tatsächlich eine Stabilisierung respektive Reduktion Es braucht deshalb Lösungen dafür, wie wichtige gesell- des Ressourcenverbrauchs stattfindet. schaftliche Ziele erreicht und bestehende Errun- System-Innovation: Hier geht es darum, unsere gesell- genschaften langfristig stabilisiert werden können, schaftlichen Errungenschaften zu sichern, respektive alle auch in einer Wirtschaft mit wenig oder gar keinem Wachs- Menschen weltweit an ihnen teilhaben zu lassen (Social tum. Situationen ohne Wachstum wird es immer wieder ge- foundation in der Donut-Ökonomie). Sie lassen sich in fol- ben, nicht nur wegen begrenzter Ressourcen. Die Sättigung gende drei Gruppen einteilen: weit entwickelter Volkswirtschaften verringern Wachstum, - Verbesserte soziale Sicherheit: Systeme zur sozialen Ab- Krisensituationen wie während der Corona-Epidemie füh- sicherung, die auch dann funktionieren, wenn die Wirt- ren gar zu wirtschaftlichen Einbrüchen. schaft nur wenig wächst oder stagniert. Massnahmen bei Effizienz und Suffizienz würden grund- - Verbesserte Bildung, Partizipation und Transparenz: sätzlich genügen, um die Umwelt ausreichend zu schützen. Zugang zu Bildung, zu Rechtsprechung und die Mög- Sie werden aber nie Akzeptanz finden, wenn nicht gleichzei- lichkeit, sich an den politischen Entscheidprozessen zu tig Lösungen gefunden werden, um unser Entwicklungsni- beteiligen. Dazu braucht es auch mehr Transparenz. veau zu halten, respektive um in Entwicklungsländern zu ei- - Mehr Gerechtigkeit: Ein weltweit gerechter als heute nem akzeptierten Niveau zu kommen. Deshalb umfasst das verteilter Zugang zu den Ressourcen für alle Menschen vorgestellte Modell auch den dritten, blauen Schritt zur und eine Reduktion der Ungleichheit in Einkommen System-Innovation. und Vermögen. Um was geht es genau bei diesen drei Schritten? Basierend auf den drei Schritten hat der WWF Schweiz elf Handlungsfelder definiert, in denen eine grundsätzliche Technische Innovation braucht es, um die Effizienz zu Weiterentwicklung und Neuorientierung von Wirtschaft steigern und umweltfreundliche Produkte und Produktions- und Gesellschaft notwendig sind (siehe Kapitel 4). verfahren zu entwickeln. Dabei werden in Zukunft ganze so- zio-technische Systeme im Vordergrund stehen. So geht es nicht darum, ein einzelnes Auto noch etwas effizienter zu 4
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Wer heute Umwelt und Natur beansprucht Erfolgreiche Beispiele: Die Einführung der Leistungsabhän- und schädigt, respektive Ressourcen (über)nutzt, tut dies oft gigen Schwerverkehrsabgabe LSVA in der Schweiz hat die gratis oder zu sehr geringen Kosten. In einer freien Markt- Anzahl der Leerfahrten stark verringert, die Einführung von wirtschaft führt dies zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvor- Abgaben auf flüchtige organische Kohlestoffe VOC ihren teilen, weil das Berücksichtigen von Umweltanliegen oft mit Einsatz als Lösungsmittel um rund ein Drittel verringert. höherem Aufwand und damit mit mehr Kosten verbunden Beides hat damit die Umwelt substanziell entlastet. Ein wei- ist. Zudem bleiben die Kosten für die Beseitigung von Um- teres gutes Beispiel ist die Schweizer CO2-Abgabe auf weltschäden oft an der Allgemeinheit hängen. Brennstoffe. Sie liegt zurzeit bei 96 Franken pro Tonne CO2.Die CO2-Emissionen, die beim Heizen und bei indust- Die Lösungsmöglichkeiten: Die Lösung besteht im Wesent- riellen Prozessen entstehen, nahmen seit der Einführung der lichen darin, die Kosten für die Beanspruchung der Umwelt Abgabe jährlich um rund zwei Prozent ab. den Verursachern (einer Person, einer Firma) zu übertragen. Man spricht von einer Internalisierung externer Kosten. Das WWF-Aktivitäten: Der WWF Schweiz setzt sich bei Gesetz- wichtigste Instrument dazu ist die Einführung von Umwelt- gebungsverfahren regelmässig für die Einführung respektive abgaben. Im Vordergrund steht die Belastung von CO2- Erhöhung von Umweltabgaben ein, so plädiert er für eine Emissionen und des Energieverbrauchs; grundsätzlich ist Flugticketabgabe oder für eine Einführung einer CO2-Ab- das Instrument aber überall dort anwendbar, wo uner- gabe auf Treibstoffe analog zu jener auf die Brennstoffe. wünschte externe Kosten vorliegen. Die Einführung ge- Wichtige Fragen: Wie können wir Politik und Bevölkerung schieht idealerweise weltweit und koordiniert, genauso gewinnen, um Abgaben in einer wirklich wirksamen Höhe wichtig und sinnvoll ist es aber auch, wenn einzelne Staaten- einzuführen? gemeinschaften eine Vorreiterrolle übernehmen. Mittels ei- nes Grenzsteuerausgleichs lassen sich mögliche Nachteile Wie können wir einzelne Bevölkerungsgruppen oder Wirt- verringern. schaftsbranchen davon überzeugen, in Abgaben oder in die Abschaffung von Subventionen einzuwilligen, selbst wenn Ebenso wichtig ist die Abschaffung der Subventionierung sie dadurch einen Nachteil erfahren? von Praktiken, die die Umwelt schädigen. So wird etwa die Gewinnung fossiler Energien weltweit mit schätzungsweise Wie können wir Abgaben auf globaler Ebene koordiniert ein- 300 bis 5300 Milliarden Dollar jährlich subventioniert und führen? Welche einflussreichen Länder oder Ländergruppen in der Schweiz fliessen jährlich 40 Milliarden Franken an di- wären bereit, eine Vorreiterrolle zu übernehmen? rekten und indirekten Subventionen, welche die Landschaft, Problem relevant: global und in der Schweiz die Natur und die Biodiversität schädigen (Q15). Unterstützt die Umsetzung folgender SDG (Sustainable Develop- Stand der Umsetzung: Das Problem ist in der Wissenschaft ment Goals der Vereinigten Nationen, siehe Anhang 12): gut verstanden und die Lösungsmöglichkeiten sind in ihren Grundzügen breit akzeptiert. In vielen Staaten gibt es bereits einzelne Formen von Abgaben, sie sind jedoch in der Regel (viel) zu tief, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Um genügend wirksam zu sein, müsste eine CO2-Abgabe rund 200 Franken pro Tonne betragen. Für eine in ihrer Höhe wirksame Einführung fehlt es jedoch meist am politischen Willen und an der Akzeptanz in der Bevölkerung. Eine stu- fenweise Einführung, wie es in der Schweiz geschieht, kann hier Abhilfe schaffen. 5
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Die bestehenden gesetzlichen Vorgaben (Ver- hängige Analyse der Wirksamkeit bestehender Instrumente bote, Gebote) und marktwirtschaftlichen Lenkungssysteme sowie eine Übersicht über Bereiche, wo Grundprinzipien des mit starken Preissignalen reichen nicht aus, um die Ziele ei- Umweltschutzes systematisch missachtet werden (Beispiels- ner Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen zu errei- weise: Wo wird das Verursacherprinzip systematisch ver- chen. Die Einführung neuer oder verschärfter Vorgaben ist letzt und wie könnte man das ändern?). politisch jedoch meist umstritten und im internationalen Erfolgreiche Beispiele: Andere wichtige gesellschaftliche Kontext neigt man zu einer Nivellierung der Anforderungen Bereiche funktionieren bereits heute nach diesem Prinzip. nach unten. Vielerorts werden zudem bereits die bestehen- Zu erwähnen sind die Zentralbanken, die weitgehend poli- den Gesetze nur ungenügend umgesetzt. Die Art, wie die Po- tisch unabhängig für eine Stabilität des Finanzsystems zu litik die grossen Umweltprobleme handhabt – hier Gover- sorgen haben, oder – Schweiz-spezifisch – die Schulden- nance genannt –, muss deshalb weiterentwickelt werden. bremse, die dafür sorgt, dass der Staat über einen Konjunk- Die Lösungsmöglichkeiten: Das Management des sorgsa- turzyklus gesehen nicht mehr Geld ausgibt als er einnimmt, men Umgangs mit der Umwelt und den Ressourcen soll bis unabhängig von politischen Begehrlichkeiten. zu einem gewissen Grad entpolitisiert werden. Wichtige Auf- Im Umweltbereich zu nennen ist das Climate Change Com- gaben verbleiben jedoch bei der Politik: Sie legt die Ziele fest, mittee CCC von Grossbritannien, das die Regierung unab- kontrolliert, ob sie erreicht werden, und fordert notfalls die hängig in Fragen des Klimawandels berät und dem Parla- Einhaltung ein. Ebenso legt die Politik in den Grundzügen ment regelmässig über den Fortschritt bei der Bekämpfung fest, welche Instrumente zur Anwendung kommen sollen (In des Klimawandels berichtet. welchen Bereichen arbeiten wir mit Verboten, in welchen mit Abgaben?). Stand der Umsetzung: Gegenwärtig liegen dem WWF Schweiz hauptsächlich die oben geschilderte Problemana- Die detaillierte Ausgestaltung von Instrumenten und die lyse und die skizzierten Lösungsideen vor. Umsetzung muss stärker als heute auf einer wissens-basier- ten Ebene, langfristig und unabhängig von der Tagespolitik Wichtige Fragen: Welche Ansätze existieren in der Theorie, erfolgen. Grenzwerte oder die Höhe von Umweltabgaben die eine verstärkt wissensbasierte aber trotzdem demokra- sollen langfristig, vorausschaubar und in Abhängigkeit der tisch legitimierte Steuerung des Ressourcenverbrauch er- erforderlichen Wirkung festgelegt werden. Die Auswirkun- möglichen? Wo gibt es bereits Anwendungen und was sind gen von politischen Entscheiden aus allen Poli-tiksektoren die Erfahrungen damit? sollen zudem auf ihre langfristige Wirkung auf die Umwelt Problem relevant: global und in der Schweiz (Jahre, Jahrzehnte) überprüft werden. Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: Als Möglichkeit kämen unabhängige Ressourcenbanken, wissenschaftliche Beratungsgremien oder gesetzlich veran- kerte Ressourcenverbrauchs- und Emissionsbremsen in Frage. Wünschbar wäre auch eine wiederkehrende unab- 6
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Unser Finanzsystem und unser Kreditwesen parenzysteme entwickelt, so von der EU (Green-Taxonomy) ermöglichen das schnelle Bereitstellen, Verschieben und In- und durch weitere internationale Arbeitsgruppen (TCFD, vestieren von Finanzmitteln und sind eine wesentliche Vo- TNFD). Es fehlt jedoch noch an einer breiten Akzeptanz und raussetzung für die Funktionsfähigkeit und das Wachstum methodisch sind viele Fragen offen. Noch kaum diskutiert unserer Wirtschaft. In ihrer heutigen Form sind sie jedoch sind zudem Fragestellungen rund um grundlegende Aspekte mehrheitlich blind gegenüber der Wirkung, die das verscho- unseres Finanzsystems und seinen Auswirkungen auf die bene Geld erzielt. Es kann sowohl für umweltschonende als Umwelt, wie zum Beispiel die Wirkung von Zinsen (speziell auch für umweltschädigende Tätigkeiten eingesetzt werden. im möglicherweise lang anhaltenden Umfeld mit Negativ- Finanzielle Risiken, die aus umweltschädigenden Tätigkei- zinsen), von Finanzmarkt-Instrumenten oder von Finanz- ten hervorgehen, werden zu wenig oder gar nicht berück- unternehmen, die ausserhalb des Bankensystems agieren. sichtigt. Viele Finanzinstitute und institutionelle Anleger se- Ebenfalls unklar ist, wie sich die oft geforderte Einführung hen ihr einziges Ziel nach wie vor darin, ihre Vermögens- von Vollgeld-Systemen auf die Umwelt auswirken würde. werte zu steigern, ohne die Wirkung ihrer Anlagen auf Um- Erfolgreiche Beispiele: Natixis, die Investmentbank der welt und Gesellschaft zu berücksichtigen. französischen Bankengruppe BPCE, hat einen «Green Die Lösungsmöglichkeiten: Es sind Lösungen auf verschie- weighting factor» entwickelt. Der Faktor korrigiert die ana- denen Ebenen möglich: lytisch vorgenommene Bewertung von Anlagen um den Grad der Nachhaltigkeit, den die bewertete Anlage erreicht. - Flächendeckende Einführung von ESG-Kriterien (En- Es sind Korrekturen von –24% bis +50% möglich. Blackrock vironmental Social Governance) bei der Kreditvergabe verbindet die Zinshöhe für Kredite mit Zielen zur Nachhal- und der Risikoprüfung von Anlagen. Damit wird der Ri- tigkeit und Diversität. sikobegriff, der sich heute hauptsächlich auf betriebs- wirtschaftliche Aspekte und die Marktsituation be- WWF-Aktivitäten: Mit Beurteilungen von Finanzinstituten schränkt, wesentlich ausgedehnt und berücksichtigt und mit politischer Arbeit setzt sich der WWF dafür ein, dass auch die gesellschaftliche Relevanz einer Firmentätig- die Finanzwirtschaft die Umweltauswirkungen ihrer Tätig- keit. Die Zinshöhe kann dabei differenziert erfolgen, ab- keiten in ihre Risikobeurteilungen integriert. Er entwickelt hängig vom Grad des Risikos, das eingegangen wird. Instrumente, mit denen sich der Einfluss der Finanzflüsse - Erhöhung von gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkapi- auf Klima und Biodiversität besser messen lässt und steht im talquoten, welche auf einer Risikobeurteilung der Um- Dialog mit wichtigen Finanzakteuren. weltbelastungen basieren, die ein Unternehmen verur- Wichtige Fragen: Wie können Finanzinstitute und Anleger sacht. Damit wird es aufwändiger und weniger lohnend, davon überzeugt werden, dass sie mit ihrer Anlagepolitik für die Umwelt riskante und schädliche Geschäfte zu tä- eine entscheidende Mitverantwortung tragen dafür, was mit tigen. Höhere Eigenkapitalquoten führen grundsätzlich unserer Umwelt passiert? zu einem sorgfältigeren Geschäftsgebaren, was sich ent- schleunigend und damit ressourcenschonend auswirkt. Problem relevant: global und in der Schweiz - Beide Ansätze bedingen eine konsequente Offenlegung Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: von Nachhaltigkeitsrisiken. Stand der Umsetzung: Die Sensibilität für die Wirkung von Geldflüssen auf die Umwelt hat in den letzten Jahren zuge- nommen, entsprechend sind auch Anlageinstrumente ge- schaffen worden, die ESG-Kriterien berücksichtigen. Zudem werden zurzeit verschiedene Bewertungs- und Trans- 7
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Ein signifikanter Anteil der Menschen welt- Förderung von Mädchen und Frauen oder der Ausbau der weit ist nach wie vor von Armut betroffen und hat keinen ge- Mitsprachemöglichkeiten. nügenden und geregelten Zugang zu lebensnotwendigen Damit das gelingen kann, braucht es ein Staatswesen und Ressourcen (Wasser, Grundnahrungsmittel, Abwasserent- eine politische Kultur, die das Wohl ihrer Bürgerinnen und sorgung, Energie). Zudem fehlt diesen Menschen der Zu- Bürger ins Zentrum stellen und die soziale Durchlässigkeit gang zu weiteren elementaren gesellschaftlichen Einrichtun- fördern. Dieses Staatsverständnis fehlt jedoch in vielen au- gen wie dem Gesundheitswesen, den Sozialwerken oder der tokratisch regierten Ländern und in Ländern, in denen Fa- Bildung. milienclans eine wichtige Rolle spielen. Auch in Demokra- Die Anzahl Menschen, die von absoluter Armut betroffen ist, tien mit schwach ausgebildeten Institutionen sind die hat zwar im Laufe der letzten Jahrzehnte prozentual und ab- Voraussetzungen dafür mangelhaft. solut gesehen kontinuierlich abgenommen. Nicht zuletzt we- Bezüglich Übernutzung der natürlichen Ressourcen durch gen der Corona-Krise sind die Prognosen bezüglich Armuts- Unternehmen ist sicherzustellen, dass die Vergabe von Kon- entwicklung zurzeit aber eher pessimistisch. zessionen nach rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt und dass Konsequenz aus der Armut ist, dass die Beschaffung von le- die Unternehmen die lokalen Gemeinschaften und den Kon- bensnotwendigen Rohstoffen und Gütern oft illegal und mit zessionsgeber fair entschädigen für die Nutzungsrechte. umweltschädigenden Techniken erfolgt (zum Beispiel die Erfolgreiche Beispiele: Die weltweit tätige Organisation Abholzung von Wäldern). Die Ursachen für die Armut sind Barefoot College fördert die Ausbildung von Frauen, die in vielfältig; meist fehlt es an elementaren Voraussetzungen, besonders armen Regionen leben. Gelehrt werden Techni- dass sich die Menschen selbstbestimmt versorgen und ent- ken, mit denen sich der Alltag nachhaltiger ausgestalten wickeln können: kein Zugang zur Bildung, mangelnde Mit- lässt. sprache und Missachtung der Menschenrechte. Dahinter steht in den meisten Fällen ein grobes Staatsversagen. WWF-Aktivitäten: Im Rahmen seiner Projekte zur Förde- rung von erneuerbaren Energien setzt sich der WWF dafür Fehlende gesetzliche Regelungen oder die fehlende Durch- ein, dass arme Bevölkerungsschichten Zugang zu Energie setzung haben zudem zur Folge, dass einzelne, oft mächtige und anderen lebensnotwendigen Ressourcen erhalten, bei- Unternehmen Zugriff zu Rohstoffen oder zu Landflächen er- spielsweise in Madagaskar, Tansania und Uganda. halten, ohne dass sie die lokale Bevölkerung oder das Staats- wesen angemessen entschädigen. Oft beschaffen diese Fir- Problem relevant: vor allem in Ländern des Globalen Südens. men und die dahinterstehenden Länder Rohstoffe, die in Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: ihren eigenen Ländern knapp sind (Beispiel China). Die Lösungsmöglichkeiten: Vordergründig stehen die über Jahrzehnte bewährten klassischen Mittel der Armutsbe- kämpfung zur Verfügung wie eine verbesserte Bildung, die 8
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Weltweit besteht nach wie vor eine grosse Un- Die Lösungsmöglichkeiten: Unabhängig von der politischen gleichheit an Chancen, sich als Individuum oder als Gemein- Grundeinstellung muss über mehr Verteilgerechtigkeit schaft weiterzuentwickeln. Je grösser die Ungleichheiten nachgedacht werden, global und in einzelnen Ländern. sind – zwischen Individuen, aber auch zwischen Gruppen, Selbst wirtschaftsliberal eingestellte Kreise erachten das Regionen oder gar Ländern – desto stärker ist der gesell- grosse und steigende Ungleichgewicht zunehmend als Ri- schaftliche Zusammenhalt gefährdet und desto schwieriger siko für die bestehende Wirtschaftsordnung. Auf staatlicher wird es, für die grossen Herausforderungen unserer Zeit Ebene liegen Lösungen in einer Anpassung von Steuersyste- (Klimakrise, Ernährungssicherung, Migration) Lösungen zu men (progressive Steuern, höhere Vermögens- und Unter- finden, die für alle tragbar sind. nehmenssteuern) und das Verhindern von Umgehungsmög- lichkeiten bei der Besteuerung. Ebenfalls zentral ist, wie die Besonders ausgeprägt sind die Ungleichheiten bezüglich des internationale Handelspolitik und Handelsverträge ausge- materiellen Wohlstands (verfügbare Einkommen und Ver- staltet werden. mögen), sowohl im Vergleich verschiedener Regionen der Welt als auch innerhalb einzelner Länder. Dies kann aus drei Voraussetzung dafür sind Staatswesen und Politiker:innen, Gründen zu einer übermässigen und nicht ökologischen die das Wohlergehen ihrer Bürger:innen ins Zentrum stel- Nutzung der Umweltressourcen führen: len, und nicht den eigenen Macht- und Vermögenserhalt. - Menschen mit überdurchschnittlichem Vermögen oder Erfolgreiche Beispiele: Mit einer auf Armutsfürsorge basie- Einkommen beanspruchen überdurchschnittlich viele renden Sozialpolitik und einer entwicklungsorientierten Ressourcen. So zeigte eine Studie von Oxfam im Jahr Wirtschaftspolitik gelang es dem brasilianischen Präsiden- 2020, dass die zehn reichsten Prozent der Menschen für ten Lula da Silva in den Jahren 2003 bis 2011, die extreme die Hälfte aller CO2-Emissionen verantwortlich sind. Armut und den Hunger spürbar zu verringern und Brasilien - Arme Menschen nutzen zwar weniger Ressourcen, aber zu einer Regionalmacht zu entwickeln. Gleichzeitig konnte lokal kann dies trotzdem zu grossen Schäden an der die Entwaldungsrate im Amazonas massiv gesenkt werden. Umwelt führen. So ist beispielsweise die Waldbede- Problem relevant: global. ckung von Madagaskar von 28% in den 1950er Jahren Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: indirekt alle mit auf heute 17% geschrumpft, unter anderem, weil die Umwelt-Bezug sowie Menschen das Holz zum Kochen und Heizen brauchen. - Wirtschaftlich arme und schwache Regionen und Län- der lassen oft eine übermässige Nutzung ihrer natürli- chen Ressourcen durch fremde Unternehmen oder Staaten zu, um zu Einnahmen zu gelangen. Dadurch werden ihre Lebensgrundlagen nach und nach zerstört. 9
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: In demokratisch wenig entwickelten Ländern wie es in den demokratisch regierten Ländern etabliert ist werden viele Projekte, welche Ressourcen der Allgemeinheit und wie es beispielsweise durch die allgemeine Erklärung beanspruchen und die Umwelt schädigen, unter Ausschluss der Menschenrechte gestützt wird. der Öffentlichkeit und von Direktbetroffenen (lokale Bevöl- Erfolgreiche Beispiele: 2001 trat die Aarhus-Konvention in kerung, Landbesitzer) lanciert und umgesetzt. Zudem fehlt Kraft. Sie garantiert Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu es vielerorts an Möglichkeiten, über den Rechtsweg die Ein- umweltrelevanten Informationen, den Einbezug in umwelt- haltung von Umweltgesetzgebungen einzufordern, respek- relevante Entscheidverfahren und den Rechtsweg. 46 Staa- tive es ist für einzelne Personen zu riskant, den Rechtsweg ten, darunter die Schweiz, sind der Konvention beigetreten. zu beschreiten. Korruption verschärft diese Probleme. WWF-Aktivitäten: Der WWF hat für seine Programme Die Lösungsmöglichkeiten: Zur Lösung müssen in vielen Social Policies sowie ein Environmental and Social Safe- Ländern mehr Mitwirkungsmöglichkeiten sowie verlässli- guard Framework (ESSF) entwickelt und alle Angestellten che und unabhängige Rechtssysteme geschaffen werden. darin geschult. Es soll sicherstellen, dass auch der WWF die Der lokalen Bevölkerung sowie zivilgesellschaftlichen Orga- Rechte der von WWF-Projekten betroffenen Menschen ach- nisationen, die sich für den Umweltschutz und die Rechte tet und diese an den Projekten und ihren Massnahmen teil- der betroffenen Bevölkerung einsetzen, ist der bedingungs- haben lässt. lose Zugang zum Rechtsweg zu gewähren. Wo noch nicht existent, ist der Rechtsweg einzuführen. Die Gewaltentren- Wichtige Fragen: Menschen, die in demokratisch und nach nung zwischen Politik und Rechtswesen ist zu vollziehen. rechtsstaatlichen Prinzipien geführten Ländern leben, hal- Zusätzlich braucht es mehr Transparenz in staatlichen und ten diese Systeme für die beste Lösung. Das wird aber lange privaten Vorhaben, bei denen natürliche Ressourcen genutzt nicht überall so gesehen. Wie kann die Diskussion über ge- respektive die Umwelt beeinträchtigt werden kann, ebenso eignete Staats- und Rechtsformen in Ländern und Kulturen ist Korruption zu bekämpfen. geführt werden, die einen komplett anderen Erfahrungshin- tergrund haben? Und wie können Menschen und Institutio- Stand der Umsetzung: Das Wissen, die Prozesse und die In- nen, die über unverhältnismässig viel Macht verfügen, dazu strumente rund um funktionsfähige Rechtssysteme, zur gebracht werden, ihre Macht mit anderen zu teilen? Schaffung von Transparenz und zur Bekämpfung von Kor- ruption sind grundsätzlich vorhanden und funktionieren. Problem relevant: vor allem in Staaten mit nicht-demokratischen Die Umsetzung ist jedoch weltweit sehr unterschiedlich fort- Regierungssystemen geschritten. Voraussetzung für die Umsetzung ist ein Ver- Unterstützt die Umsetzung folgender SDG ständnis für demokratische Prozesse und ein Rechtssystem, sowie alle umweltbezogenen SDG 10
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Gesetze zum Schutz der Umwelt und der Res- Bei den Handelsabkommen gibt es Anzeichen dafür, dass die sourcen sind national unterschiedlich ausgestaltet. In der Aufnahme von ökologischen Kriterien salonfähig wird. Im Regel sind sie in den wirtschaftlich weiter entwickelten Län- Wirtschafts-Partnerschafts-Abkommen zwischen den dern strenger als in den übrigen Ländern. In der globalisier- EFTA-Staaten und Indonesien sind erstmals überhaupt um- ten Wirtschaft hat dies zur Folge, dass die Gewinnung von weltrelevante Bestimmungen aufgenommen worden (Die Ressourcen und die Produktion von umweltbelastenden Gü- EFTA-Staaten dürfen nur Palmöl einführen, das Minimal- tern oft in Ländern mit einer schwächeren Gesetzgebung standards bezüglich Nachhaltigkeit erfüllt). Die Schweiz hat stattfindet, weil dies billiger ist. Bemühungen, Gesetze inter- dem Abkommen im März 2021 zugestimmt. national zu harmonisieren, resultieren oft darin, dass sich die niedrigsten Anforderungsstufen durchsetzen. Ebenso sind verschiedene europäische Staaten daran, ihre multinational agierenden Firmen rechtlich verbindlich in Die Lösungsmöglichkeiten: Mögliche Lösungen liegen bei die Pflicht zu nehmen: Deutschland hat im Februar 2021 ei- internationalen Umweltabkommen, aber auch bei bilatera- nem Lieferkettengesetz zugestimmt. Die Schweiz hat nach len und multilateralen Handelsabkommen. Weltweit ver- der Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative eine bindliche Umweltabkommen unter dem Dach der Vereinten Berichterstattungspflicht für grosse Unternehmen einge- Nationen lassen sich heute kaum in der notwendigen führt, die in der vorliegenden Form allerdings wenig Wir- Strenge abschliessen, da sie in den zentralen Elementen Ei- kung verspricht. nigkeit unter allen Staaten benötigen (Beispiel Klimaabkom- men). Ein möglicher Ausweg liegt darin, dass sich eine ge- WWF-Aktivitäten: Das WWF-Netzwerk bringt sich mit nügend hohe Anzahl relevanter Akteure auf freiwilliger Fachdelegationen in die internationalen Verhandlungen ein Basis zu strengen Anforderungen durchringt und als Bei- und hat verschiedene international anerkannte Mindest- spiel vorangeht (coalition of the willing). Zudem sollen öko- Standards initiiert und mitentwickelt (so für Palmöl, Soja) logische und soziale Mindeststandards in internationale oder FSC. Er tritt dafür ein, dass diese entsprechend neuer Handelsabkommen aufgenommen werden, respektive Ab- Anforderungen weiterentwickelt werden. kommen sind so auszugestalten, dass Handelseinschrän- Wichtige Fragen: Wie kann sichergestellt werden, dass kungen aus ökologischen und sozialen Gründen möglich Staaten oder Unternehmen, die bereit sind, als Vorreiter sind. Dies betrifft insbesondere das WTO-Regelwerk. Global fortschrittliche Regelungen einzuführen, wirtschaftlich agierende Firmen sollen zudem global verantwortlich ge- nicht benachteiligt werden? Wie kann verhindert werden, macht werden mit global geltenden Standards und Haft- dass Standards zu schwach ausfallen, damit sie von allen pflichten. Akteuren akzeptiert werden? Stand der Umsetzung und erfolgreiche Beispiele: Es gibt Problem relevant: global und in der Schweiz Beispiele, wo international gültige Regeln zum Erfolg ge- Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: führt haben (Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozon- indirekt die meisten SDG Schicht, Basler Konvention zur grenzüberschreitenden Ent- sorgung von Sonderabfällen), aber auch solche, wo es nur ungenügende Fortschritte gibt (Klimaabkommen, Abkom- men zur biologischen Vielfalt). 11
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Gute Infrastrukturen für Mobilität sowie für - Die lokale und von den Bauten betroffene Bevölkerung die Ver- und Entsorgung mit Energie, Wasser und weiteren muss in die Entscheidungsprozesse einbezogen und ihre Ressourcen sind eine der grundlegenden Voraussetzungen, fundamentalen Rechte müssen gewährleisten werden. dank derer sich Regionen und Länder entwickeln. Im Gegen- Indigenen Völkern ist das Recht auf eine frei, frühzeitig zug führen gerade grosse physische Infrastrukturbauten zu und informiert getroffene Zustimmung (free, prior and einer massiven Zerstörung und Zerschneidung von natürli- informed consent FPIC) zu gewähren. chen Lebensräumen. Zwangsumsiedlungen oder der er- Stand der Umsetzung und erfolgreiche Beispiele: Verschie- schwerte Zugang zu Weideflächen und Wald können drama- dene Initiativen unterstützen die ökologisch rücksichtsvolle tische Folgen haben für die lokale Bevölkerung. Was in Erstellung von Infrastrukturausbauten, so zum Beispiel der Europa und in Nordamerika im 19. und 20. Jahrhunderts- Sure-Standard für nachhaltige und widerstandsfähige Infra- bereits geschah, passiert zurzeit in Afrika, Asien und Latein- strukturen oder das Green Belt and Road Initiative Center, amerika. das die Entwicklung der neuen Seidenstrasse ökologischer Speziell schwierig bei Infrastrukturbauten: Sie sind auf eine ausgestalten will. Der Schutz von No-Go-Areas erfolgt punk- lange Lebensdauer ausgelegt (oftmals 50 bis 100 Jahre). Das tuell, durch gesetzliche Vorgaben einzelner Länder, durch kann den Umstieg auf neue Technologien behindern, weil privatwirtschaftliche Standards oder durch erfolgreiche Pro- der vorzeitige Rückbau bestehender Infrastrukturen mit ei- teste der Zivilgesellschaft. nem grossen Wertverlust verbunden wäre. Beispiel: Der WWF-Aktivitäten: Der WWF beteiligte sich unter anderem Ausstieg aus der Erdgasversorgung hinterlässt nicht mehr an der Entwicklung des Sure-Standards; mit dem Bericht benötigte Pipelines. «Ein Netz für die Biodiversität» hat er aufgezeigt, wie die Die Lösungsmöglichkeiten: Beim Neubau von Infrastruktu- Biodiversität bei Infrastrukturbauten in der Schweiz besser ren sollen folgende Kriterien zur Anwendung kommen: geschützt werden kann. - Nur wirklich notwendige Infrastrukturbauten erstellen Wichtige Fragen: Welche Arten von Infrastrukturen sind und diese massvoll dimensionieren; Zentrale gegen de- grundsätzlich wünschbar und welche Alternativen es gibt, zentrale Lösungen abwägen (dezentrale Energieversor- um dieselben Bedürfnisse mit wesentlich weniger Ressour- gungssysteme sind in der Regel ökologischer); Alterna- cen zu stillen? Die Digitalisierung könnte viel Gutes bewir- tiven prüfen (Telearbeit statt neuer Strassen) ken. Vollständig digital gesteuertes Fahren beispielsweise - In ökologisch besonders wertvollen Gebieten und kann den Flächenbedarf für Strassen massiv reduzieren, da Schutzgebieten soll auf Infrastrukturbauten verzichtet die Sicherheitsabstände verringert werden können. werden (No-Go-Areas) Problem relevant: insbesondere in Schwellen- und Entwicklungs- - Während des Baus negative Auswirkungen auf Lebens- länder, da es dort noch wesentlich weniger Infrastruktur gibt räume, Biodiversität und Klima minimieren Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: - Beim Bau verloren gegangene Flächen renaturieren oder andernorts kompensieren. - Infrastrukturen zur Gewinnung oder zum Transport von nicht zukunftsfähigen Materialien oder Technolo- gien sollen nicht mehr gebaut werden. Dies betrifft ins- besondere die fossilen Energieträger. 12
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Ziel und Verhalten der meisten Unternehmen Risiko, das von einem Unternehmen für Klima und Bio- sind darauf ausgerichtet, zu expandieren. Dies betrifft insbe- diversität ausgeht, desto höher wäre die Eigenkapital- sondere börsenkotierte Firmen, da sie unter dem Druck ste- quote. Denkbar sind auch Regelungen zur Ausgestal- hen, für ihre Shareholder eine möglichst hohe Rendite abzu- tung von Entlohnungssystemen. werfen. Der Druck durch die Konkurrenz ruft ebenfalls nach Stand der Umsetzung: Grundsätzlich steigt das Bewusstsein Expansion. Damit tragen die Unternehmen zum Wachstum bei den Unternehmen, dass sie mehr als heute dazu beitra- und zur Mehrbelastung der Umwelt bei. Besonders heikel: gen müssen, die Wirtschaft in Richtung planetare Grenzen Effizienzsteigerungen in der Produktion führen in der Regel zu bewegen. Viele verlassen sie sich jedoch nach wie vor auf zu einer Ausweitung der Produktion, was den Anstrengun- Massnahmen zur Effizienzsteigerung. Hingegen ist es gen zum Schutz von Umwelt und Ressourcen mehr oder schwierig, mit Unternehmen eine Diskussion zu führen über minder zuwiderläuft (siehe A1.2) eine Neuausrichtung der Geschäftsziele oder einen bewuss- Die Lösungsmöglichkeiten: Grundsätzlich gibt es drei Stoss- ten Verzicht auf Umsatz. richtungen, um diese Entwicklungen zu bremsen: Erfolgreiche Beispiele: Viele Unternehmen setzen heute - Unternehmensinterne Massnahmen: Ein Unternehmen ganz auf ökologisch und sozial hergestellte Ausgangsstoffe ist grundsätzlich frei, seine Unternehmensziele und Ge- und Produkte (so die Alnatura-Supermärkte oder der Klei- schäftsmodelle verstärkt auf die Einhaltung der plane- derversand Hessnatur), andere bieten umfassende Repara- taren Grenzen auszurichten und gegenüber Ertragszie- tur- und Rücknahmeservices an, obwohl das den Absatz ver- len gleich oder höher zu gewichten. Hilfreich kann es ringert (Outdoorprodukte-Hersteller Patagonia). sein, eine für diese Ziele geeignete Gesellschaftsform zu WWF-Aktivitäten: Der WWF Schweiz entwickelt seine Zu- wählen (z.B. Genossenschaft statt AG). Weiter kann sich sammenarbeit mit grossen Unternehmen ständig weiter mit ein Unternehmen auf eine auf langfristige Ziele ausge- dem Ziel, die Ambitionen bezüglich nachhaltiger Entwick- richtete Berichterstattung abzustützen (statt einem lung stetig zu steigern. Der Einsatz von Science based Tar- Quartals-Reporting) und die Vergütungssysteme für gets-Ansätzen oder die Unterstützung zur Entwicklung ihre Angestellten anpassen. Zudem kann es in seiner neuer Geschäftsmodelle zählen dazu. Buchhaltung freiwillig externe Umweltkosten mitbe- rücksichtigen und ihnen einen Preis geben. Wichtige Fragen: Welche Faktoren lösen den Wachstums- - Kriterien zur Finanzierung: Kredit erteilende Instituti- druck auf Unternehmen aus? onen können für eine Kreditvergabe die Einhaltung ge- Kann sich ein Unternehmen aus eigener Kraft dem Wachs- wisser ökologischer oder sozialer Kriterien einfordern tumsdruck entziehen, oder braucht es zwingend geänderte (ESG-Kriterien) oder einen Risikozuschlag für potenzi- gesetzliche Rahmenbedingungen dazu? ell umweltschädliche Geschäftsmodelle erheben. Über verschiedene Instrumente des Impact Investment kön- Wie kann sich ein Unternehmen in einem kompetitiven Um- nen Investoren ausschliesslich Unternehmen finanzie- feld dem Wachstumsdruck entziehen? Was gewinnt ein Un- ren, die sich nachhaltigen Zielen verpflichten. ternehmen, wenn es sich dem Wachstumsdruck entzieht? - Gesetzliche Rahmenbedingungen: Veränderte Rahmen- Problem relevant: global und in der Schweiz bedingungen können ebenfalls bewirken, dass das Er- Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: indirekt die meisten zielen eines möglichst grossen und kurzfristigen Ge- SDG, vor allem jene mit Umweltbezug winns nicht mehr den alleinigen Unternehmenszweck bildet. Erreichen lässt sich dies zum Beispiel über Vor- schriften, die die Einhaltung von ESG-Kriterien einfor- dert, oder über Eigenkapitalvorschriften. Je grösser das 13
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem in den Industriestaaten: Die Aufrechterhal- Die Lösungsmöglichkeiten: Hier kommen die Handlungs- tung eines immer höheren Wohlstandes, eine immer höhere felder 4 und 5 wieder ins Spiel: Es gilt, den Zugang zu lebens- Lebenserwartung, Fortschritte in der Medizin und die Zu- notwendigen Ressourcen zu gewährleisten und Ungleichhei- nahme der Bevölkerungszahlen führen dazu, dass die Aus- ten innerhalb der Länder und den Weltregionen abzubauen. gaben für die Sozialsysteme (Altersvorsorge, Gesundheits- Nur so wird es möglich sein, genügend Mittel bereitzustel- wesen, Sozialhilfen etc.) in den weit entwickelten Ländern len, und den Menschen im globalen Süden eine würdige Ent- laufend zunehmen. Um die dazu nötigten Mittel bereitstel- wicklung zu ermöglichen. Dazu braucht es fairere Preise für len zu können, muss die Wirtschaft im heutigen System ste- die Produkte, die wir aus den Entwicklungsländern bezie- tig wachsen. hen, und in ihnen selbst eine politische Kultur und ein Staatswesen, die das Wohl der Bevölkerung in den Vorder- Wenn aber der Kuchen nicht mehr wächst und die Vertei- grund stellen. lung einigermassen gerecht ausfallen soll, liegt es auf der Hand, dass sich jene, die überdurchschnittlich gut abgesi- Als weitere Lösung wird diskutiert, bedingungslose Grund- chert sind, mit weniger begnügen müssen. Eine Rückstufung einkommen einzuführen, vor allem für Menschen, die in oder nur schon eine bescheidene Umverteilung auf grund- grosser Armut leben. Die Idee dahinter: Wegen des Bevölke- sätzlich hohem Niveau wird aber kaum akzeptiert. Das zei- rungswachstums und der technologischen Entwicklung wird gen gerade die Diskussionen um die Umwandlungssätze bei es in Zukunft zu viele Menschen für zu wenig Arbeit auf der den Pensionsgeldern oder um das AHV-Rentenalter in der Welt geben. Vor allem für Bevölkerungsschichten oder Län- Schweiz. der, die schon heute von Armut betroffen sind, ist die Gefahr gross, dass die Armut zum Dauerzustand wird. Die Lösungsmöglichkeiten: Diskutiert werden Ansätze in Form von nicht-monetären Leistungen, um die Ansprüche Erfolgreiche Beispiele: Die amerikanische Non-Profit-Orga- erfüllen zu können. Ein Beispiel sind Zeitguthaben bei der nisation GiveDirectly unterstützt rund 21'000 Personen in Altersvorsorge: Für gemeinwirtschaftliche Leistungen, die verschiedenen kenianischen Dörfern mit einem monatli- eine Person im Laufe ihres Lebens gratis erbringt, erhält sie chen bedingungslosen Grundeinkommen von etwas mehr eine entsprechende Betreuungsleistung. Zu fragen ist auch, als 20 Franken. Im Rahmen einer weltweiten Studie sollen auf welcher Basis Rentenansprüche und Versicherungsleis- die Wirkungen untersucht werden. tungen berechnet werden sollen. Heute basieren sie haupt- Stand der Umsetzung: In kleinerem Rahmen finden bereits sächlich auf dem erzielten Erwerbseinkommen. Das benach- viele Tests statt. Um aus den oft ideologisch gefärbten Dis- teiligt die nicht oder kaum erwerbstätigen Personen. kussionen herauszukommen, müssen diese Test in den Erfolgreiche Beispiele: Das Modell «Betreuungsleistungen nächsten Jahren ausgeweitet werden. gegen Zeitguthaben» wird in der Schweiz schon in gut 30 Problem relevant: global und in der Schweiz Orten getestet und umgesetzt durch die Stiftungen KISS Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: (fondation-kiss.ch) und Zeitvorsorge (www.zeitvor- sowie indirekt jene mit Umwelt-Bezug sorge.ch). Das Problem in den Ländern des globalen Südens: Ganz an- ders ist die Ausgangslage in den Ländern des globalen Sü- dens. Hier geht es darum, zunächst überhaupt eine grundle- gende soziale Sicherung einzuführen. 14
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Das Problem: Personen, die über überdurchschnittlich viel Eine wichtige Rolle spielen dabei die Arbeitgeber: Sie müs- Geld verfügen (durch Arbeitseinkommen oder Vermögen), sen offener werden gegenüber Teilzeitarbeit, insbesondere belasten die Umwelt überdurchschnittlich (siehe Hand- gegenüber Kadermitarbeitenden und in Berufen, wo dies lungsfeld 5). Gleichzeitig leiden immer mehr Menschen in noch sehr unüblich ist. weit entwickelten Volkswirtschaften unter dem zunehmen- Eine Umlagerung der Steuerlast im Sinne einer ökologi- den Druck, dem sie bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind (sowohl schen Steuerreform («Energie statt Einkommen besteu- zeitlich als auch bezüglich inhaltlicher Anforderungen) und ern») könnte zudem die Steuerlast für Personen mit sehr entsprechende psychische Erkrankungen nehmen zu. Hinzu niedrigem Lohn erheblich senken. kommen weitere Krankheiten, die für weit entwickelte Zivi- lisationen typisch sind, wie Herz- und Kreislauferkrankun- Stand der Umsetzung: Die als wünschenswert beschriebene gen oder Diabetes. Entwicklung ist teilweise schon im Gange. Die pro beschäf- tigte Person erbrachte Arbeitszeit hat in der Schweiz in den Zudem öffnet sich die Schere zwischen Menschen, die viel – letzten zwanzig Jahren stetig abgenommen, von rund 1600 oder zu viel – Arbeit haben und solchen, die überhaupt keine Arbeitsstunden jährlich 1998 auf rund 1460 Stunden im Arbeit haben, und es gibt eine Reihe von Berufen, bei denen Jahr 2018. Vermehrte Teilzeitarbeit, auch bei Männern, und selbst ein 100-%-Pensum kaum für den Lebensunterhalt längere Ferien sind dafür verantwortlich. ausreicht. Dazu zählen unter anderem das Gastgewerbe, der Detailhandel sowie Pflege- und Reinigungsberufe. Wichtige Fragen: Wie können wir Politik und Unternehmen dazu bringen, die Frage nach zukünftigen Arbeitsmodellen Die nach wie vor ungleiche Verteilung von Rollen und Auf- jenseits bestehender Ideologien zu diskutieren und mögliche gaben zwischen Männern und Frauen akzentuieren die be- Lösungen vorbehaltslos zu testen? schriebenen Probleme. Wie können das Prestige und die Akzeptanz für Teilzeitar- Die Lösungsmöglichkeiten: Die Art, wie die Menschen in beit und nicht entlohnte Arbeit gesteigert werden? weit entwickelten Volkswirtschaften arbeiten und wie Arbeit entlohnt wird, wird sich in den kommenden Jahrzehnten Mit welchen Mechanismen können in Niedriglohnbranchen grundsätzlich ändern müssen. Zwei Ziele sollten dabei im existenzsichernde Löhne garantiert werden? Vordergrund stehen: erstens allen Menschen ein existenzsi- Wäre es richtig, für gänzlich unbezahlte Tätigkeiten wie cherndes Einkommen zu gewährleisten und zweitens die ne- Hausarbeit Löhne zu entrichten? Und welche Rolle könnte gativen Auswirkungen auf die Umwelt von (zu viel) Arbeit zu ein bedingungsloses Grundeinkommen spielen? verringern. Weniger entlohnte Arbeit zu erbringen und sich dem Stress teilweise entziehen, ist eine mögliche Alternative Problem relevant: vor allem in den gut entwickelten Ländern und für Menschen, die über genug Einkommen verfügen, um ih- Menschen mit überdurchschnittlichen Löhnen. In Entwicklungs- ren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die gewonnene Zeit kann und Schwellenländern geht es darum, überhaupt existenzsichernde für gemeinwirtschaftliche und ehrenamtliche Engagements Einkommensmöglichkeiten zu schaffen (siehe Handlungsfelder 4, eingesetzt werden, die nicht marktfähig sind. 5 und 10). Unterstützt die Umsetzung folgender SDG: sowie indirekt jene mit Umweltbezug 15
Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – WWF-Whitepaper V2.1, Juni 2021 Wichtige Faktoren zur Umsetzung wirtschaftlichen Systeme – Fördermittel sollen auch da- für eingesetzt werden. Bestehende Wirtschaftssysteme und Regulierungen basie- - Mehr kooperieren zur Lösung globaler Prob- ren auf Normen und Werten, die sich im Laufe der Jahrhun- leme derte herausgebildet haben. Während der rasanten wirt- Wettbewerb, Konkurrenzdenken und der Patentschutz schaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten haben können Innovationen fördern, zugleich verhindern sie sie sich stark in die Richtung einer «Kultur des Wachstums» oft, dass optimale ökologische Lösungen realisiert, res- bewegt, fast alle Lebensbereiche sind heute stark ökonomi- pektive dass vorhandene Lösungen flächendenkend ein- siert. geführt werden. Wo es komplexe Probleme zu lösen gilt Wünschenswert für die Zukunft ist eine «Kultur der Nach- oder Tempo gefragt ist, geht es nicht ohne Kooperatio- haltigkeit» (Q12). Ohne sie wird das Verständnis für die im nen. Vorkapitel aufgeführten Handlungsfelder fehlen. Eine «Kul- - Erfolg ist mehr als ein hohes BIP – die gesell- tur der Nachhaltigkeit» kann man jedoch nicht verordnen, schaftliche Entwicklung umfassend beurteilen sie wird sich nach und nach entwickeln müssen. Einige wich- Die Beurteilung, ob sich ein Land in einem guten oder tige Aspekte auf dem Weg zu diesem Wandel sind: schlechten Zustand befindet, wird oft ausschliesslich - Mit Bildung und Kommunikation den Werte- auf das Bruttoinlandprodukt BIP abgestützt. Das BIP wandel unterstützen misst jedoch nur die wirtschaftliche Leistung. Hilfrei- Was macht uns zufrieden und glücklich? Was macht ein cher wäre es, einen Indikator zu wählen, mit dem die «gutes Leben» aus? Gute Gesundheit, Familie und Entwicklung umfassender beurteilt wird – neben der Freunde oder eine erfüllende Arbeit steht für viele Men- wirtschaftlichen Wertschöpfung zählen dazu das Wohl- schen im Vordergrund. Das Einkommen spielt eine un- ergehen der Menschen, deren Entwicklungschancen so- tergeordnete Rolle, mindestens ab einem gewissen Ein- wie der Zustand der Umwelt. Um diese sinnvoll messen kommensniveau, mit dem sich die Grundbedürfnisse zu können, müssen auch entsprechende Ziele festgelegt stillen lassen. Bildung und Kommunikation bieten hier werden, so wie es beispielsweise die Sustainable Develo- gute Möglichkeiten, unser Wertesystem zu reflektieren pment Goals (SDG) tun. und weiterzuentwickeln. - Digitalisierung - Innovationsförderung auf soziale und systemi- Die Digitalisierung wird die Wirtschaft und unser Leben sche Vorhaben ausweiten in den kommenden Jahrzehnten stark prägen. Sie kann Spricht man heute von Innovation und Innovationsför- sich sowohl positiv als auch negativ auf die Umwelt aus- derung, so denken die meisten Menschen an die techni- wirken. Sie muss gezielt so genutzt werden, dass die sche Entwicklung, an neue Produkte und an effizientere Umweltressourcen entlastet werden und dass sie zu po- Produktionsprozesse. Genauso wichtig ist aber auch die sitiven gesellschaftlichen Entwicklungen beiträgt. Weiterentwicklung unserer sozialen und 16
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