HZG aktuell - Herzzentrum Göttingen
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HZG aktuell BioVAT-HF-DZHK20-Studie Das Magazin des Herzzentrums Pflaster fürs Herz 1| 2021 der Universitätsmedizin Göttingen Seite 14 Neue diagnostische Möglichkeit bei Start der diastolischer Herzinsuffizienz geriatrischen Station 5023 Echtzeit-MRT statt Die Lehre des Alterns Seite 20 Herzkatheter Seite 26
3 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Ausgabe des HZGaktuell haben wir für Sie Neuigkeiten und Wissenswertes aus dem Herzzentrum Göttingen zusammengestellt: Durch die Zulassung des Herzpflasters könnte die Ver- sorgung von Patient*innen mit schwerer Herzinsuffi- zienz bald revolutioniert werden. Nach 25 Jahren For- schung ist das aus Stammzellen hergestellte Gewebe für die klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20-Studie zu- gelassen worden. Das Herzpflaster soll das geschädig- te Herz beim Schlagen unterstützen und die Herzwand verstärken. Damit könnte zukünftig die Implantation von mechanischen Herzunterstützungssystemen oder seltenen Spenderherzen verzögert oder gar komplett ersetzt werden. Wie das Herzpflaster hergestellt wird und welche Geschichte hinter der Entwicklung steht, lesen Sie ab Seite 14. Im Namen des Herzzentrums Eine kurze Geschichte über ihren Aufenthalt in der Uni- versitätsmedizin Göttingen hat auch Renate Hilke auf Seite 20 zu erzählen. Nach einer COVID-19-Infektion Ihr Prof. Dr. Gerd Hasenfuß war sie unter den ersten Patient*innen auf der neuen Direktor der Klinik für Kardiologie und geriatrischen Station 5023. Auf dieser werden fortan Pneumologie und Vorsitzender des Herzzentrums der Universitätsmedizin ältere Menschen von einem multiprofessionellen Team Göttingen in einer speziell auf die Bedürfnisse ausgerichteten Umgebung behandelt. Etwa 62 Prozent der Senior*in- nen in Deutschland sind wegen zweier oder mehr chro- nischer Erkrankungen in ärztlicher Behandlung – sie sind „multimorbid“. Die Therapie der Multimorbidität ist besonders herausfordernd, insbesondere wenn so- wohl psychische als auch körperliche Erkrankungen auftreten. Aktuelles aus dem Herzzentrum 4 Dieser Herausforderung stellen sich nun Expert*innen der ESCAPE-Studie, die am 1. April gestartet ist und Revival eines etablierten Verfahrens 8 aus dem Herzzentrum koordiniert wird. Das Ziel ist, die bestmögliche Versorgungsstrategie für mehrfach erkrankte Menschen bei bestmöglicher Lebensqualität Das Herz studieren 9 herauszufinden (ab Seite 25). Pflaster fürs Herz 14 In einer weiteren Studie haben Kolleg*innen einen neuen Weg für die Diagnose der diastolischen Herz- insuffizienz erprobt. Bei Betroffenen mit Verdacht auf Rehazentrum Lippoldsberg: Bewegung der Zukunft 19 eine versteifte Herzkammer könnte bald die Echtzeit- MRT-Technologie das diagnostische Verfahren der Wahl werden und eine invasive Herzkatheteruntersuchung Die Lehre des Alterns 20 vermeiden. Die Zuverlässigkeit wurde in einer DZHK- Studie bereits bewiesen und soll zeitnah mit einer grö- ßeren Kohorte in mehreren Studienzentren geprüft Neue Behandlungspfade 25 werden (mehr auf Seite 26). Die gewonnenen Erkennt- nisse wurden bereits mit dem Karl-Ludwig-Neuhaus- Forschungspreis ausgezeichnet. Echtzeit-MRT statt Herzkatheter 26 Das und noch viel mehr lesen Sie im neuen HZGaktuell. Veranstaltungen 30
4 News Aktuelles aus dem Herzzentrum Schutz nach Herzinfarkt Jedes Jahr erleiden rund 220.000 Menschen einen Herzinfarkt, 50.000 Patient*innen sterben daran. Bei einem Herzinfarkt wird das Herzmuskelgewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt (Hypoxie). Ursache ist der akute Verschluss eines Herzkranzge- fäßes. Je mehr Zeit ohne Behandlung vergeht, desto mehr Herzmuskelzellen sterben. Um den Schaden für das Herz durch einen Herzinfarkt einzugrenzen, ist es besonders wichtig, die Herzdurchblutung zeitnah wie- Ein schwaches Herz ist schlecht fürs Hirn derherzustellen. Allerdings kann die Wiederherstellung des unterbrochenen Blutflusses (Reperfusion) die Zel- len des Herzmuskels zusätzlich schädigen, wenn die Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodege- Sauerstoffversorgung im Gewebe schlagartig ansteigt. nerative Erkrankungen, der Universitätsmedizin Göttin- Die Folge ist ein sogenannter Reoxygenierungsschaden. gen und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf- Forschung finden Hinweise auf gestörte Genaktivität Herzforscher*innen aus dem Herzzentrum Göttingen im Gehirn infolge von Herzproblemen. Ein Team um unter der Leitung von Dr. Malte Tiburcy, Institut für Prof. Dr. André Fischer, Forschungsgruppenleiter am Pharmakologie und Toxikologie, haben nun einen Weg DZNE-Standort Göttingen und Professor an der Klinik entdeckt, wie sich die unerwünschte Schädigung der für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG, und Prof. Herzzellen nach einer Wiederherstellung des Blutflus- Dr. Karl Toischer, Klinik für Kardiologie und Pneumolo- ses vermindern ließe. In einem humanen, präklinischen gie der UMG, hat Hinweise auf gestörte Genaktivität im Modell von Herzmuskulatur, die durch Sauerstoffman- Gehirn infolge von Herzproblemen gefunden. gel und erhöhte Sauerstoffversorgung (Reoxygenie- rung) geschädigt wurde, haben sie untersucht, welchen Herzprobleme haben eine gestörte Genaktivität in der Effekt die Gabe der Substanz Roxadustat hat. Der Wirk- Gedächtniszentrale des Gehirns zur Folge, woraus sich stoff ist bekannt dafür, dass er den zellinternen Sauer- kognitive Einbußen entwickeln. Die Forschenden kom- stoffsensor stabilisiert, den Hypoxia Inducible Factor, men zu dieser Einschätzung auf der Grundlage von La- kurz HIF. In den Untersuchungen zeigte sich, dass eine borstudien. Sie sind der Ansicht, damit eine mögliche kurzzeitige Gabe von Roxadustat im Anschluss an die Ursache für das erhöhte Demenzrisiko bei Menschen Hypoxie einen schützenden Effekt im Hinblick auf einen mit Herzproblemen gefunden zu haben. Bei Mäusen Reoxygenierungsschaden hat. Zusätzlich verbesserte milderte ein die Genaktivität beeinflussendes Medika- sich die Fähigkeit des Herzmuskels, sich aktiv zusam- ment die geistigen Ausfallerscheinungen. In diesen menzuziehen, deutlich. Die Forschungsergebnisse sind Ergebnissen sehen die beteiligten Fachleute mögliche veröffentlicht in der kardiologischen Fachzeitschrift Ansatzpunkte für Therapien. Die Studiendaten sind im „Circulation“. Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“ veröffentlicht.
News 5 Neue Studienergebnisse Mobiles Rhythmuspflaster kann Vorhofflimmern erkennen Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung, von der über 30 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Durch den unregelmäßigen Herzschlag kann das Blut in den Vorhöfen verklumpen. Gelangen solche Gerinn- sel ins Gehirn und verschließen Gefäße, entsteht ein Schlaganfall. Bei älteren Menschen ist Vorhofflimmern eine der wichtigsten Ursachen für einen Schlaganfall. Häufig macht Vorhofflimmern keine Beschwerden und ist deshalb nur schwer zu erkennen. In der multizentri- schen, randomisierten Studie mit dem Namen SCREEN- AF wurde ein Rhythmuspflaster untersucht, das jeden Herzschlag aufzeichnet und stummes Vorhofflimmern aufspüren kann. An der Studie nahmen 856 Personen aus 48 Hausarztpraxen im Zeitraum von 2015 bis 2019 teil. Die Teilnehmer*innen waren 75 Jahre oder älter und hatten einen hohen Blutdruck, aber kein bekanntes Vorhofflimmern. Die Hälfte der Teilnehmer*innen erhielt das Rhythmus- pflaster, das zweimal für jeweils zwei Wochen auf die Brust aufgeklebt wurde. Die andere Hälfte erhielt die 87. Jahrestagung der DGK medizinische Standardversorgung. In das Rhythmus- Drei UMG-Kardiologen sind Stellvertreter pflaster ist eine EKG-Aufzeichnungseinheit integriert, die den Herzschlag für zwei Wochen durchgehend auf- zeichnet. Das Pflaster wurde nach zwei Wochen abge- Im Rahmen der 87. Jahrestagung der Deutschen Ge- nommen und zur Auswertung eingeschickt. Alle Teil- sellschaft für Kardiologie (DGK) wurden drei Kardio- nehmer*innen wurden sechs Monate lang beobachtet. logen des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göt- Die Studie ergab, dass das Rhythmuspflaster von den tingen zu stellvertretenden Arbeitsgruppen-Sprechern Teilnehmer*innen gut vertragen und Vorhofflimmern gewählt. Der Kongress fand vom 7. bis 10. April 2021 zehnmal häufiger erkannt wurde. In der Rhythmus- online statt. pflastergruppe wurde bei 23 Teilnehmer*innen Vor- hofflimmern festgestellt, in der Kontrollgruppe nur bei Prof. Dr. Dr. Stephan von Haehling, Oberarzt der Klinik zweien. Von den Patient*innen mit Vorhofflimmern er- für Kardiologie der UMG, übernimmt die Stellvertre- hielten 75 Prozent ein blutverdünnendes Medikament tung der Arbeitsgruppe Chronische Herzinsuffzienz, zum Schutz vor Schlaganfällen. PD Dr. Uwe Raaz, Studienarzt der Klinik für Kardiologie und Pneumologie, wurde zum stellvertretenden Spre- „Die Vorhofflimmerepisoden, die wir gefunden haben, cher der Arbeitsgruppe Aortenerkrankungen gewählt waren meist mehrere Stunden lang. Blutverdünner sind und Prof. Dr. Andreas Schuster, Geschäftsführender allgemein bei Vorhofflimmerpatienten sehr effektive Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Pneumologie, Medikamente und können das Schlaganfallrisiko um zum Stellvertreter der Arbeitsgruppe Magnetresonanz- fast 70 Prozent senken. Allerdings ist für die von uns verfahren in der Kardiologie. identifizierten Patienten die bestmögliche Therapie noch nicht ausreichend untersucht“, sagt Co-Studien- Zweck der DGK-Arbeitsgruppen ist die Förderung der leiter Prof. Dr. Rolf Wachter vom Herzzentrum der Uni- Erforschung des Herzens, des Gefäßsystems und des versitätsmedizin Göttingen und vom Deutschen Zen- Blutkreislaufs sowie die Förderung der Verhütung und trum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Standort der Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Krankheiten auf Göttingen. Seit 2019 ist er in der Kardiologie am Uni- dem speziellen Gebiet der Arbeitsgruppe. versitätsklinikum der Universität Leipzig tätig.
6 News Einblick in den Klinikalltag Spenden für die Kinderherzklinik Neuer Imagefilm der Kinderherzklinik Große Spenden für kleine Herzen Seit Februar hat die Kinderherzklinik der UMG einen Mehrere Spenden erhielten die Kinderherzklinik der Uni- neuen Imagefilm. Das ca. dreiminütige Video gibt einen versitätsmedizin Göttingen und der Elternverein GEKKO Einblick in die verschiedenen Fachbereiche der Kinder- (Göttinger Eltern kardiologischer Kinder Kontaktgruppe — herzklinik — von der Ambulanz für herzkranke Kinder, Herzkind e. V.) für die kleinen Herzpatient*innen. Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herz- fehlern über MRT und Herzkatheterlabor bis zur Ope- Eine Spende in Höhe von 2.500 Euro stammt von Chris- ration und Spieletherapie auf der Station. toph Sander aus Göttingen. In seiner Kindheit war San- der selbst Herzpatient. „Ich kenne den oft belastenden Das Video können Sie sich auf der Homepage der Kin- Krankenhausalltag und die Zeit auf der Station. Die derherzklinik ansehen: www.kinderherzklinik.de Spende war mir eine Herzensangelegenheit“, sagte Herr Sander bei der Spendenübergabe. Die Spende soll für die Konzeption und den Druck eines speziell für die Kinderherzklinik ausgelegten Wimmelbuchs genutzt werden. Die Spenden von Dr. Eckhard Coring aus Hardegsen und dem Herzpatienten Andreas Blome aus Hamburg Herausragende Klinik für Herzkinder in Höhe von insgesamt 1.500 Euro wurden für die An- schaffung neuer Musikinstrumente zusammengelegt. Die Kinderherzklinik der Universitätsmedizin Göt- Angelika König, Musiktherapeutin in der Kinderherzkli- tingen gehört deutschlandweit zu den herausra- nik, nahm die Spende entgegen: „Mit den neuen Instru- genden Kliniken für Herzoperationen bei Kindern. menten habe ich die Möglichkeit, eine anregende Musik- Dies ist das Ergebnis einer Recherche von Klinik therapie für unsere kleinen und großen Patient*innen Kompass – einem Informationsportal für Pati- anzubieten. Darüber freue ich mich sehr.“ ent*innen in deutscher und englischer Sprache. Prof. Dr. Thomas Paul, Direktor der Klinik für Pädiatri- Weitere Informationen: sche Kardiologie, Intensivmedizin und Neonatologie, er- klinikkompass.com/die-besten-kinderherzzentren- gänzt: „Wir bedanken uns ganz herzlich für die großzügi- in-deutschland/ gen Spenden. Diese ermöglichen es uns, den stationären Alltag der Herzkinder bunter zu gestalten. Das ist in der oft schweren Zeit für die Kinder und Eltern sehr wichtig.“
News 7 Ein Herz für Kinder 17-jähriger Syrer in der Kinderherzklinik behandelt Wenn das Herz aus dem Takt gerät und zu schnell, zu chierte seine in Deutschland lebende Schwester, Dua langsam oder unregelmäßig schlägt, wird von einer Abbas, nach Hilfsangeboten und stieß auf die Initiative Herzrhythmusstörung gesprochen. An dieser Herz- „Ein Herz für Kinder – Bild hilft e. V.“. Sie bewarb sich störung können sowohl Erwachsene als auch Kinder mit Ahmeds Krankengeschichte um eine Förderung und Jugendliche erkranken. Bei einem von hundert an- und erhielt die Zusage: Die Hilfsorganisation finanziert sonsten herzgesunden Kindern lassen sich Rhythmus- die gesamte Behandlung in der Kinderherzklinik der störungen nachweisen. Ein junger Betroffener ist auch Universitätsmedizin Göttingen. Nach einigen bürokra- Ahmed Abbas aus Damaskus in Syrien. Seit 2013 litt der tischen Hürden aufgrund der Corona-Pandemie konnte 17-Jährige an anfallsartigen Herzrhythmusstörungen, Ahmed am 21. Dezember 2020 nach Deutschland ein- die bei ihm Herzrasen, Schwindel und Unwohlsein aus- reisen und wenige Tage später in der Kinderherzklinik gelöst haben. In seiner Heimat wurden Ahmed Medika- der UMG aufgenommen werden. Seine anfallsartigen mente verschrieben, eine Untersuchung auf die genaue Beschwerden wurden im Herzkatheterlabor durch PD Ursache seiner Herzanfälle war nicht möglich. Dr. Ulrich Krause, Oberarzt in der Kinderherzklinik der UMG, untersucht und behandelt. Herzrhythmusstörungen werden durch eine Fehlfunk- tion der elektrischen Impulsgeber und/oder der elek- „Bei Ahmed wurde eine sogenannte Kryoablation, eine trischen Leitungsbahnen des Herzens verursacht, Vereisung der auslösenden Stelle im Herzen, durchge- wodurch das Herz unregelmäßig schlägt und die Herz- führt. Der minimalinvasive Eingriff lief komplikationslos aktion ineffektiv wird. Der Taktgeber des Herzens ist und mit optimalem Ergebnis“, sagt Dr. Krause. Ahmeds der sogenannte Sinusknoten, ein kleiner elektrisch ak- Herzrhythmusstörungen sind geheilt, die Medikamen- tiver Bereich im Herzmuskelgewebe des rechten Herz- teneinnahme ist zukünftig nicht mehr nötig. Ahmed vorhofs. Von diesem Bereich breiten sich regelmäßig wird den Erfolg seiner Behandlung weiterhin kontrol- elektrische Impulse über die Vorhofmuskulatur zum lieren und nach Möglichkeit einmal im Jahr Kontroll- AV-Knoten aus, der die Erregung über spezifische Reiz- untersuchungen in seiner Heimat durchführen lassen leitungsbahnen in die Kammermuskulatur des Herzens müssen. „Die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv ist aber sendet. Bei einigen Patient*innen werden die Impuls- sehr gering“, sagt Dr. Krause weiter. wellen jedoch nicht richtig weitergeleitet oder es tre- ten zusätzliche krankhafte Erregungsherde auf, die zu „Ich habe mich hier in der Klinik sehr gut aufgehoben Arrhythmien führen – so auch bei Ahmed. Um ihm eine gefühlt. Alle waren sehr freundlich“, übersetzt Dua Ab- angemessene Behandlung zu ermöglichen, recher- bas für ihren Bruder.
8 Myokardperfusionsszintigrafie Revival eines etablierten Verfahrens In der Klinik für Nuklearmedizin der Universitätsmedi- Das funktionelle bildgebende Verfahren liefert ergän- zin Göttingen steht seit Anfang März 2021 eine hoch- zende Informationen zur morphologischen Bildge- moderne Untersuchungseinheit auf dem neuesten bung, wie zum Beispiel der koronaren CT-Angiografie Stand der Technik zur Verfügung. Diese wird im Rah- (CTA). Die Myokardperfusionsszintigrafie wird haupt- men der Diagnostik von Durchblutungsstörungen im sächlich zum Ausschluss einer koronaren Herzerkran- Herzen (nichtinvasive kardiale Ischämiediagnostik) ge- kung (KHK) sowie zur Beurteilung einer bekannten nutzt. Die renovierten Räumlichkeiten und die moderne KHK eingesetzt. technische Ausstattung lösen die Vorgängereinheit ab. Prof. Dr. Jan Bucerius, Direktor der Klinik für Nuk- Die sogenannte Myokardperfusionsszintigrafie ist ein learmedizin: „Wir freuen uns alle sehr, unseren Pati- etabliertes nuklearmedizinisches Untersuchungsver- ent*innen diese nun hochmoderne und in renovierten fahren, das, nach Injektion eines schwach radioaktiven Räumlichkeiten untergebrachte Untersuchungseinheit Botenstoffes, die Durchblutung des Myokards unter anbieten zu können, und möchten uns in diesem Zu- „Stress“, ausgelöst durch Belastung auf dem Ergome- sammenhang beim Vorstand der UMG für die Unter- ter oder durch Medikamentengabe, sowie unter Ruhe- stützung, aber nicht zuletzt auch bei dem Gebäude- bedingungen bildlich darstellt und miteinander ver- management der UMG, namentlich Herrn Klaus Fricke gleicht. Auf diese Weise können schlecht durchblutete und Herrn Matthias Kleiner mit ihrem Team, für die Herzmuskelareale identifiziert werden. Planung und Umsetzung ganz herzlich bedanken!“ „Unsere Herzbildgebung wurde durch diese neue Untersuchungseinheit maßgeb- lich erweitert. Dank der modernen technischen Ausstattung können wir die KHK bei unseren Patient*innen künftig noch zuverlässiger erkennen und therapieren. Darüber freue ich mich sehr.“ Prof. Dr. Gerd Hasenfuß
9 Masterstudiengang Cardiovascular Science Das Herz studieren Der Masterstudiengang Cardiovascular Science (kurz: Aspekten bietet, die für das Verständnis translationaler CVS) verleiht den international anerkannten Abschluss Forschungsfragen unerlässlich sind. Ein wesentliches „Master of Science“ (M.Sc.) und startet jedes Jahr im Merkmal dieses Programms liegt in seinem hohen An- Oktober mit maximal 25 Studierenden. Der Studiengang teil an individueller praktischer Ausbildung, die es den ist ein konsekutiver englischsprachiger Vollzeit-Studien- Studierenden ermöglicht, experimentelle Erfahrungen gang, der internationale Studierende in allen Aspekten und Einblicke in verschiedene Forschungsfragen zu ge- der Herz-Kreislauf-Wissenschaften ausbildet. winnen. Erreicht wird dies durch seinen modularen Aufbau, Nach Abschluss der Masterarbeit sind die Absolvent*innen der Studierenden mit naturwissenschaftlichem Hinter- für ihre zukünftige Karriere im Bereich der Herz-Kreislauf- grund eine breite Ausbildung nicht nur in den relevan- Wissenschaften in Wissenschaft und Industrie, aber auch ten Grundlagen, sondern auch in modernen klinischen in vertrauten Berufsfeldern bestens qualifiziert.
10 Der Studiengang ist in seiner Form einmalig in Deutsch- land. Thematisch ähnliche Studiengänge gibt es aktuell nur in den Niederlanden und Großbritannien. Der Stu- diengang hier in Göttingen besticht vor allem durch seinen starken praktischen Bezug in Form von drei je achtwöchigen Laborrotationen und einer sechsmonati- gen Masterarbeit. Das ist für die Studierenden, die zum großen Teil eine Promotion anschließen, natürlich die beste Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Karriere. Wir haben vier (ehemalige) CVS-Studierende gefragt, warum sie sich für den Studiengang entschieden ha- ben, wie es ihnen gefallen hat und was sie nun beruflich machen. Koordinatorin Dr. Christina Würtz 3 Fragen an: Absolventin Mai Phan 1. Was hast du vorher ge- macht und wieso hast du dich für diesen Masterstudi- engang entschieden? Ich habe als Mikrobiologin für ein Lebensmittelunter- nehmen in den USA gearbeitet. Der Job wurde gut be- zahlt, aber ich fühlte mich irgendwie unruhig und unin- spiriert. Durch den Tipp eines Freundes bin ich auf das M.-Sc.-Programm Cardiovascular Science gestoßen und hatte ein sehr schönes Auswahlgespräch mit Prof. Dr. Susanne Lutz und Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke, und ein paar Monate später saß ich im Flugzeug nach Deutsch- land! 2. Was hat dir im Studiengang am besten gefallen? Wo soll ich überhaupt anfangen? Die Forschungsumge- bung in Göttingen, die Fähigkeiten, die ich erlernt habe, die unglaublich unterstützenden Professor*innen und die Programmkoordination, der wissenschaftliche Fo- kus auf das Thema, die Möglichkeiten, die sich mir da- nach boten, und die Freunde fürs Leben, die ich dort gefunden habe. 3. Wo bist du jetzt und was machst du da? Ich mache meinen PhD am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Für mein Projekt defi- niere ich, wie die Genomorganisation in 3D-Domänen mit konservierten regulatorischen Landschaften an Schlüsselloci wie Nkx2-5, Tbx5 etc. während der Herz- entwicklung zusammenhängt.
11 3 Fragen an: Absolventin Louisa Habich 1. Was hast du vorher ge- krankung, zu entwickeln. Während des Masters ist man macht und wieso hast du sowohl mit Ärzt*innen, Biolog*innen, Chemiker*innen dich für diesen Masterstudien- als auch mit Physiker*innen in Kontakt getreten und hat gang entschieden? gesehen, dass diese alle verschiedene Herangehens- weisen zur Lösung eines Problems haben, die sich aber Bevor ich nach Göttingen gekommen bin, um hier mei- gut ergänzen können. Da steht auf der einen Seite der nen Master in CVS zu machen, habe ich meinen Bache- Arzt, dessen Patient an hypertropher Kardiomyopathie lor in Bielefeld in Molekularbiologie gemacht. Während leidet, und auf der anderen Seite vielleicht der Physiker meines 5. Bachelorsemesters habe ich einen Auslands- der versucht, die Bildgebung für diese Erkrankungen im aufenthalt an der UC San Diego unter der Leitung von MRT zu verbessern. Dies wird von Anfang an im Master- Dr. Stephan Lange im Bereich Herzforschung absol- studiengang CVS gezeigt und gefördert. viert, da ich medizinische Forschung schon immer als sehr faszinierend empfand. Während dieser Zeit habe Anderseits war es für mich immer wichtig, dass im Mas- ich am hypoplastischen Linksherzsyndrom geforscht ter gezeigt wird, wofür ich Mechanismen, Methoden und wir haben zusammen mit einem Kinderkardiologen oder Theorien lerne. Bereits in den Vorlesungen wur- der Universität vor Ort versucht, eine Therapie für die- den zum Beispiel Erkenntnisse bei Stammzelltherapien se Erkrankung auf Grundlage von microRNAs zu ent- für Erkrankungen thematisiert, die dann auch noch in wickeln. Hierzu haben wir in einem Mausmodell für die- den verschiedenen Praktika gefestigt werden konnten. se Erkrankung verschiedene Signaltransduktionswege Allgemein empfand ich die freie Wahl der Praktika und analysiert, um zu verstehen, inwiefern sich unsere Be- der möglichen Themenbereiche für die Masterarbeit handlung auf mögliche „Patient*innen“ auswirken würde. als sehr hilfreich und schön. So konnte man die Prakti- ka nach seinen persönlichen Präferenzen eher medizi- Schon während meines Auslandsaufenthalts war für nisch, biologisch, chemisch oder physikalisch orientiert mich klar, dass ich im Anschluss gerne weiter medizi- wählen, was dazu führte, dass man viel motivierter da- nische Forschung machen und nach Möglichkeit ger- bei war. ne auch in der Herzforschung bleiben würde, weshalb ich mich entschied, mich nach Masterprogrammen in 3. Wo bist du jetzt und was machst du da? diesem Bereich umzusehen. Hierbei bin ich dann auf den Masterstudiengang CVS aufmerksam geworden Im Anschluss an meine Masterarbeit habe ich meine na- und dachte mir, dass dieser genau die Aspekte kombi- turwissenschaftliche Doktorarbeit am Herzforschungs- niert, nach denen ich mich umgeschaut habe – näm- zentrum in der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie unter lich mein Interesse an Herzforschung und die Nähe zur der Leitung von Dr. George Kensah im August 2019 an- Forschung. gefangen. In unserem Labor arbeiten wir mit induzier- ten pluripotenten Stammzellen, die wir dann zu Kardio- 2. Was hat dir im Studiengang am besten gefallen? myozyten differenzieren, um diese dann in 2D oder 3D zur Krankheitsmodellierung von RASopathien zu nut- An meinem Master haben mir zen. RASopathien manifestieren sich typischerweise verschiedene Aspekte sehr gut unter anderem in angeborenen Herzdefekten, oft als gefallen, aber insbesondere hypertrophe Kardiomyopathie. Um mögliche Therapien der Aspekt der interdisziplinä- für diese Erkrankungen zu schaffen, versuchen wir mit- ren Forschung sowie die Nähe hilfe von biochemischen, physiologischen und weiteren zur Forschung kamen nicht zu Ansätzen diese Erkrankungen besser zu verstehen. kurz. Der Masterstudiengang CVS ist sehr forschungsnah In meiner Doktorarbeit beschäftige ich mich vor allem und interdisziplinär orientiert, mit der Genomeditierung dieser Linien, um auf der ei- was man sowohl in den Vor- nen Seite Reporterzelllinien herzustellen, mit denen wir lesungen als auch in den Prak- den Phänotyp genauer analysieren können, und auf der tika vermittelt bekommt. Man anderen Seite Genkorrekturen, die als isogene Kontrol- lernt von Anfang an, dass man len genutzt werden. Im Moment beschäftige ich mich in der Forschung gemeinsam vor allem mit den Unterschieden zwischen unseren Re- vorgehen muss, um ein ge- porterzelllinien und unseren Mutterzelllinien, da diese meinsames Ziel, wie zum Bei- einige (elektro-)physiologische Veränderungen zeigen, spiel eine Behandlung einer Er- die wir besser verstehen wollen.
12 3 Fragen an: Absolvent Eric Schoger 1. Was hast du vorher gemacht und wieso hast du Forschungsergebnisse sind herausragende Wesenszü- dich für diesen Masterstudiengang entschieden? ge des Programms. Außerdem durfte ich Kommilitonen aus aller Welt kennenlernen, mit denen ich über das Ich habe im Studiengang Molekulare Medizin in Göttin- Studium hinaus in Kontakt bin und die ich gerne an die- gen meinen Bachelorabschluss gemacht und habe dabei ser Stelle grüßen möchte! festgestellt, dass mich die Grundlagenforschung im Be- reich der kardiovaskulären Medizin fasziniert. Den initia- Ein persönliches Highlight war für mich die Gelegen- len Funken dafür gab mir eine Laborrotation am Institut heit, meine Masterarbeit in den USA im Labor von Dr. für Pharmakologie und Toxikologie an der UMG. Der da- Eric Olson anzufertigen. mals neu gegründete Masterstu- diengang Cardiovascular Science war daher eine optimale Fortset- 3. Wo bist du jetzt und was machst du da? zung meines Studiums, um dieses Interesse am Standort Göttingen Ich bin Doktorand am Institut für Pharmakologie und mit starkem Fokus auf das Verste- Toxikologie an der UMG in der Arbeitsgruppe von Dr. hen und Behandeln von Herz-Kreis- Laura Zelarayán. Dort beschäftige ich mich mit der lauf-Erkrankungen zu formen. Kontrolle über die Genexpression in Kardiomyozyten. Dazu verwenden wir CRISPR-basierte Methoden in 2. Was hat dir im Studiengang Mausmodellen und in humanen stammzellbasierten am besten gefallen? Anwendungen. Mit programmierbaren Transkriptions- faktoren regulieren wir gezielt die Expression von Ge- Der praktische Anteil und das nen, die im Verlauf der Herzinsuffizienz transkriptionell Kennenlernen von Forschungs- herunterreguliert werden. Wir arbeiten unter der Hypo- gruppen während des Programms, these, dass wir so diese Prozesse grundlegend lenken gepaart mit der Vermittlung von können, um einen weiteren Verlust von Herzmuskel- fundiertem Grundlagenwissen bis zellen zu verhindern oder sogar regenerative Genpro- hin zu Diskussionen über aktuelle gramme zu aktivieren.
13 3 Fragen an: Studentin Vera Söder 1. Was hast du vorher ge- Am spannendsten fand ich persönlich meine Laborro- macht und wieso hast du tation im Bereich „Translationale Stammzellforschung“ dich für diesen Masterstudien- bei PD Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke, wo ich zum Beispiel gang entschieden? die CRISPR/CAS9-Methode lernen konnte. Außerdem aber war ich super glücklich über den internationalen Ich habe mein allgemeines Biologiestudium an der Goe- Austausch mit meinen Mitstudierenden, die aus Län- the-Uni in Frankfurt absolviert. Während des Studiums dern der ganzen Welt kommen. habe ich gemerkt, dass es mich primär zum Beispiel in die Genetik oder Molekularbiologie zieht. Bei all den 3. Wo bist du jetzt und was machst du da? spannenden Themen und Fragen stolperte ich aber im- mer wieder über die folgenden: Wie ist das beim Men- Über meine Laborrotation bei Katrin hatte ich die Mög- schen? Und wie kann Forschung dem Menschen helfen? lichkeit, mit einem Labor in New York in Kontakt zu tre- Deshalb war für mich recht schnell klar, dass ich mich ten. Ich bin unglaublich dankbar über diesen Kontakt, mehr in der biomedizinischen Richtung spezialisieren der es mir nach langer Planung nun tatsächlich ermög- möchte. Ich bin super dankbar, im Master Cardiovas- licht hat, meine Masterarbeit in New York zu absolvie- cular Science in Göttingen über Fragestellungen, aber ren! Mitten im Januar-Lockdown in Deutschland durfte auch Fortschritte unserer Zeit im Fokus auf unser Herz ich mich also auf den spannenden Weg nach New York und zugrunde liegende Krankheiten zu lernen. City machen. Nachdem die Pandemie New York City im März sehr stark getroffen hatte, kehrt nun gerade so et- 2. Was hat dir im Studiengang am besten gefallen? was wie ein bisschen Normalität ein, was bestimmt auch viel mit dem enormen Impffortschritt zu tun hat. Ich möchte ganz ehrlich sein: Die Schnelligkeit und Vielfalt im biomedizinischen Bereich sind groß und das Anders als in Deutschland haben die Geschäfte und Res- Studium ist anstrengend. Gerade wenn man, wie ich, taurants geöffnet. Ich arbeite in einem Labor im Mount- Lücken im medizinischen Bereich zu füllen hat, die der Sinai-Krankenhaus, das im Norden der Upper East Side allgemeine Biologiebachelor einfach nicht deckte. Nach- direkt neben dem Central Park gelegen ist. Mein Projekt dem diese Hürde aber geschafft war, war es für mich su- steht noch nicht komplett fest, zum einen aber arbei- per spannend, ganz nah am aktuellen Forschungsstand te ich an einem Krankheitsmodell in aus Stammzellen von den Expert*in- differenzierten Herzmuskelzellen, um den Einfluss einer nen in Göttingen zu VLCAD-Mutation auf den kardialen Metabolismus zu lernen. Wir hörten erforschen. Zum anderen schaue ich in ein Projekt zur eine Fülle von Vor- Entwicklung und Spezialisierung der Purkinje Fibers im lesungen aus den Herz hinein. Über diese für mich einmalige Möglichkeit, ve rsc h i e d e n ste n hier in New York zu arbeiten, bin ich nicht nur unglaub- Blickwinkeln der lich glücklich, sondern auch sehr dankbar dafür. Zwar Herz-Kreislauf-Wis- ist der Laboralltag (wie überall) auch mal anstrengend, senschaften, die ein wenn ich dann aber an den Wochenenden New York er- solides Wissen auf- kunde, kann ich es manchmal gar nicht glauben, dass bauten. dieser Traum wirklich wahr geworden ist. Aktuelle Informationen zum Studiengang Cardiovascular Science erhalten Sie auf der Homepage der Universitätsmedizin Göttingen: umg.eu/studium-lehre/studieren-an-der-umg/studiengaenge/ cardiovascular-science/ oder bei Facebook: www.facebook.com/cvsmaster/
14 BioVAT-HF-DZHK20-Studie Pflaster fürs Herz Pflaster werden üblicherweise für die Versorgung kleiner Wunden genutzt. Meistens sollen sie das Eindringen von Schmutz oder das Austrocknen der Verletzung verhindern. In diesem Zusammenhang klingt ein Herzpflaster zunächst skurril – wie kann ein Pflaster ein Herz schützen? Etwa 60 Millionen Menschen weltweit leiden an einer durch verschiedene Krankheiten angegriffen werden, Herzmuskelschwäche, allein in Deutschland sind etwa die das Herzmuskelgewebe schwächen und Herzmus- vier Millionen Menschen betroffen. Jährlich kommen kelzellen absterben lassen. Aktuelle Therapien können 300.000 neue Krankheitsfälle hinzu. Das Herz kann das Herz zwar in seiner Funktion unterstützen, die ab-
15 gestorbenen Zellen aber weder reaktivieren noch die de von Göttinger Forscher*innen unter der Leitung von Neubildung anregen. An dieser Stelle kommt das Kon- Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Direktor des zept des Herzpflasters ins Spiel: Warum nicht intaktes Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Univer- Herzgewebe auf die betroffene Stelle aufkleben? sitätsmedizin Göttingen, entwickelt. Die Forschungs- arbeiten, die zur Überführung der Methode vom Labor Hinter dieser Überlegung stecken 25 Jahre Forschung in die klinische Anwendung an Patient*innen nötig und präklinische Entwicklung. Anfang dieses Jahres waren, wurden wesentlich am Deutschen Zentrum für wurde das Herzpflaster für die klinische Studie BioVAT- Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Standort Göttingen, HF-DZHK20 zugelassen. Das taktierende Gewebe wur- durchgeführt.
16 Die Idee des Herzpflasters umstritten, sodass Zimmermann vor diesem Hinter- grund einen Ansatz mit adulten Stammzellen erprobte; Die Überlegungen zum Herzpflaster begannen im Jahr zunächst ohne Erfolg. Als schließlich im Jahr 2007 die 1995, als Professor Zimmermann seine Promotion im induzierten pluripotenten Stammzellen aus dem Men- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf antrat. Noch schen eingeführt wurden, öffnete sich die Tür für die weit von der eigentlichen Anwendung an Patient*innen Umsetzung des entwickelten Herzpflasteransatzes in entfernt, war es Zimmermanns Aufgabe, künstliches der Klinik – abseits des ethischen Dilemmas um die em- Herzgewebe aus Herzmuskelzellen der Ratte für die bryonale Stammzellforschung. Erforschung von Gentherapieverfahren zu entwickeln. Kurz darauf gelang der erste Meilenstein: Die Herzmus- Herstellung kelzellen der Ratte bildeten ein dreidimensionales Ge- webe, das wie ein gesundes Herz schlug. Die sogenann- Aus Nabelschnurblut wurden durch „Reprogramming“ ten „engineered heart muscle“ waren der Beweis, dass – nach dem von Medizin-Nobelpreis-Träger Shinya Ya- sich funktionierende Herzmuskeln im Labor herstellen manaka entwickelten Verfahren – im Auftrag der ameri- lassen. „Seither hat mich die Idee nicht losgelassen, kanischen Gesundheitsbehörde induzierte pluripotente das Verfahren in die Klinik zu bringen“, sagt Professor Stammzellen gewonnen. Diese werden an der Univer- Zimmermann. Für die Anwendung an Patient*innen sitätsmedizin Göttingen zu Herzmuskel- und Bindege- mussten daher menschliche Stammzellen her. webszellen entwickelt und mit Kollagen in Gussformen gemäß einem von Professor Zimmermann entwickelten Im Jahr 2002 konnten Professor Zimmermann und is- Verfahren in nahezu jeder beliebigen Größe vermengt. raelische Kooperationspartner erstmals humane emb- Um die Reifung der Herzpflaster zu unterstützen, wer- ryonale Stammzellen entwickeln und deren Eignung für den sie mechanisch stimuliert. Nach einem dreimona- die Herstellung von Herzmuskelgewebe zeigen. Doch tigen Herstellungsprozess in zertifizierten Reinräumen der Weg in die klinische Anwendung in Deutschland der Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Göt- blieb gesetzlich versperrt. Der Einsatz von embryona- tingen werden die Herzpflaster für die Implantation len Stammzellen war in Gesellschaft und Politik stark freigegeben. In einer minimalinvasiven Operation wer-
17 Nabelschnurblut Reprogrammierung „Durchbrüche im Bereich der Stamm- zellforschung erlauben es uns heute, menschliche Herzmuskelzellen in großer Stammzellen Menge sowie klinischer Qualität herzustellen.“ Das Ausgangsmaterial zur Herstellung der Herzpflaster ist aus Nabel- schnurblut. Durch Reprogrammierung wurden Nabelschnurblutzellen Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann zu sogenannten induzierten pluripotenten Zellen umgewandelt. Herzmuskelzellen Bindegewebs- zellen Kollagen Herzpflaster Aus den Stammzellen werden in den Reinräumen der UMG-Transfu- sionsmedizin Herzmuskelzellen und Bindegewebszellen hergestellt. den sie dann auf das pumpschwache Herz aufgenäht. Durch Vermengung mit Kollagen in Gussformen werden dann Herz- Nach einem Krankenhausaufenthalt von zwei Wochen pflaster hergestellt. Der Prozess dauert drei Monate. werden die Studienpatient*innen entlassen und im Rahmen ambulanter Folgetermine nachuntersucht. Ein Abstoßen des Pflasters durch den Körper sollen Medi- kamente verhindern, die das Immunsystem herunter- regeln, sogenannte Immunsuppresiva. Erkenntnisse zur Wirksamkeit Herzpflaster- Die kleinste aktuell klinisch getestete Dosis besteht stapelung aus fünf Herzpflastern, das heißt 200 Millionen Zellen; eine Dosis, die in präklinischen Untersuchungen einen Durch Stapelung einzelner Herzpflaster werden die zu implantieren- deutlichen therapeutischen Effekt gezeigt hat. Die Do- den Herzmuskelgewebe für die Reparatur des Herzens direkt vor sis kann im Rahmen der aktuell laufenden klinischen Implantation angefertigt. Prüfung auf 20 Herzpflaster aus 800 Millionen Zellen erhöht werden. Der Einsatz in der Universitätsmedizin Göttingen sowie in den Kliniken in Bad Oeynhausen und Lübeck basiert auf Erkenntnissen, die in Göttingen am Deutschen Primatenzentrum mit Rhesusaffen ge- sammelt wurden. Die Testungen zeigten, dass eine me- Herzunterstützung chanische Verbindung zwischen Herzpflaster und Emp- durch Herzpflaster fängerherz entsteht und das aufgenähte Herzpflaster Die Herzpflaster werden in einer minimalinvasiven Operation direkt durch neu einwachsende Blutgefäße versorgt wird. Das auf das pumpschwache Herz aufgenäht. Nach einem Krankenhaus- Gewebe unterstützt das geschädigte Herz beim Schla- aufenthalt von zwei Wochen werden die Studienpatient*innen ent- gen, sodass wieder ausreichend Blut durch den Kreis- lassen und im Rahmen ambulanter Folgetermine nachuntersucht.
18 lauf gepumpt wird. Zusätzlich verstärkt es die zum Bei- tern gerade Patienten mit schwerer Herzmuskelschwä- spiel durch einen Herzinfarkt geschwächte Herzwand che eine neue Behandlungsmöglichkeit bieten“, betont und reduziert deren Belastung. „Auch die Beobach- Dr. Ahmad Fawad Jebran, stellvertretender Leiter der tung, dass es nach Implantation zu keinen Herzrhyth- klinischen Prüfung und Oberarzt der Klinik für Herz-, musstörungen kommt, war wegweisend für den nun kli- Thorax- und Gefäßchirurgie an der UMG. nischen Einsatz“, erklärt Professor Zimmermann. Die Versuchsreihen wurden in Kooperation mit der Klinik Bei nur ungefähr 300 Patient*innen, die im Jahr eine für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der UMG unter Herzspende erhalten können, und vor dem Hintergrund Leitung von Prof. Dr. Ingo Kutschka und der Universität der großen Anzahl an Patient*innen mit einer fortge- zu Lübeck unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Ems- schrittenen Herzmuskelschwäche geht Zimmermann minger durchgeführt. von zahlreichen potenziellen Kandidat*innen für die Studie aus. Mit zunächst 18 Patient*innen soll die wir- Ausblick kungsvolle Dosis der aufgebrachten Herzzellen geprüft werden. In einer zweiten Phase geht es dann darum, alle Die Erwartungen der Beteiligten sind groß – und op- Ergebnisse der Behandlung von 53 Patient*innen zu timistisch. „Gelingt es, mit einem Implantat aus einer bündeln. Rekrutiert werden die Studienpatient*innen großen Anzahl von Herzmuskelzellen die Herzfunktion an der UMG, am Universitätsklinikum Schleswig-Hol- zu verbessern, wäre das eine völlig neue Therapie- stein, Campus Lübeck, sowie am Herz- und Diabetes- möglichkeit“, betont Prof. Dr. Tim Seidler, Leiter der zentrum NRW des Universitätsklinikums der Ruhr-Uni- klinischen Prüfung, leitender Oberarzt und stellvertre- versität Bochum in Bad Oeynhausen. 2024 sollen diese tender Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumo- Ergebnisse vorliegen. Läuft alles nach Plan, könnte logie der UMG. Für die Studie werden nun zunächst Pa- dann die klinische Behandlung beantragt werden und tient*innen mit einer schweren Herzmuskelschwäche den Patient*innen eine neue Therapieoption zur Ver- berücksichtigt. Langfristig ist es das Ziel, die Implan- fügung stehen. tation von mechanischen Herzunterstützungssystemen sowie die Herztransplantation durch eine frühzeitige „Die Studie BioVAT-HF-DZHK20 ist ein Resultat der Herzpflasterimplantation zu verzögern oder gar kom- hervorragenden langjährigen Zusammenarbeit im plett zu ersetzen. Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen. Die tatsächliche Translation solcher innovativer Therapie- „Patient*innen mit schwerer Herzmuskelschwäche verfahren in die Klinik kann und wird auch in Zukunft bleibt häufig nur die Herztransplantation. Vor dem nur über eine strukturierte interdisziplinäre Zusam- Hintergrund des Mangels an Spenderorganen und der menarbeit möglich sein“, ergänzt Prof. Dr. Gerd Hasen- kontinuierlichen Zunahme der Patient*innen mit Herz- fuß, Vorsitzender des Herzzentrums und Direktor der muskelschwäche kann die Implantation von Herzpflas- Klinik für Kardiologie und Pneumologie an der UMG. Weitere Informationen: Tel. 0551 39-65781 | E-Mail biovat.info@med.uni-goettingen.de | biovat.dzhk.de gefördert durch: in Zusammenarbeit mit:
19 Klinik- und Rehabilitationszentrum Lippoldsberg Bewegung der Zukunft Philipp Niemeyer ist Leiter der medizinischen Trainingstherapie und des e.Motion – Zentrum für Prävention und Sporttherapie am Klinik- und Rehabilitationszentrum Lippoldsberg. Wir sprachen mit ihm über die moderne Sport- und Trainingstherapie von kardiologischen Patient*in- nen und die neuen Möglichkeiten der digitalisierten Therapie. Herr Niemeyer, Sie und Ihr Team sind bei der Behand- ses sein. Natürlich wird die Digitalisierung auch die The- lung kardiologischer Rehabilitationspatient*innen rapieprozesse in unserer Klinik beeinflussen. Kamerasys- zum Beispiel nach Herzklappeneingriffen beteiligt. teme, Virtual-Reality-Brillen, digitalisierte Ausdauer- und Vor welchen Herausforderungen steht dabei heute die Krafttrainingsmaschinen – wir werden und dürfen nicht moderne Sport- und Trainingstherapie? stehen bleiben. Gesteuert werden diese Geräte natürlich auch weiterhin von echten Therapeut*innen. Ich sehe die Ich denke, die größte Herausforderung bei der Arbeit mit Maschinen als große Hilfe für die Therapeut*innen, die Patient*innen in diesem Rehabilitationsstadium ist es, sich wieder auf den eigentlichen Kern ihrer Arbeit kon- die Belastung richtig zu managen und sowohl den Trai- zentrieren können: mit den Patient*innen gemeinsam die ningsumfang als auch die Intensität richtig zu dosieren. Therapieziele definieren und am Erreichen dieser arbei- Hierfür ist eine umfangreiche therapeutische Eingangs- ten. Ich denke, das Patienten-Therapeuten-Verhältnis diagnostik der Patient*innen notwendig, um zum einen wird durch die Digitalisierung sogar gestärkt. die Belastungszonen einschätzen zu können und zum anderen den Therapieverlauf über die Zeit nachvollzie- Das klingt auch nach neuen Perspektiven für die For- hen zu können. Unsere digitalen Trainingsgeräte verein- schung im Bereich der Therapie? fachen uns die Messung der Leistungsfähigkeit insbeson- dere bei Alltagsbewegungen wie Treppensteigen oder Ja, wirklich. Aktuell beteiligt sich das Klinik- und Rehabili- beim Zurücklegen größerer Gehstrecken. tationszentrum Lippoldsberg in Kooperation mit der UMG an einer Studie zur „Prähabilitation“ von Patient*innen Haben die älteren Patient*innen, die von der UMG nach Herzklappeneingriffen. Es soll untersucht werden, und anderen Kliniken nach zum Teil großen Eingriffen ob Maßnahmen der Rehabilitation vor dem operativen von Ihnen weiterbehandelt werden, nicht besondere Eingriff am Herzen die Langzeitergebnisse verbessern Schwierigkeiten mit dem Training? könnten. Ein weiteres Projekt ist die Teilnahme am Fort- Natürlich ist es wichtig, den Therapieplan bewusst an die schrittshub, bei dem in einer mehrjährigen Studie Daten eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Patient*innen an- aus ambulanter und stationärer Behandlung mit den zupassen. Durch das gezielte und dosierte Training nimmt Daten der Rehabilitation verknüpft und ausgewertet wer- Bilder: Mathias Voelzke die Belastungsfähigkeit jedoch sukzessive zu, sodass die den sollen. Patient*innen wiederum auch eine hohe Selbstwirksam- keit erfahren. Die Eigenmotivation spielt zusätzlich eine Herr Niemeyer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch entscheidende Rolle und wir nehmen deutlich wahr, dass und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in Ihrem auch die älteren Patient*innen mit spielerischen Anima- Zentrum. tionen an den Trainingsgeräten leichter zu motivieren sind. Hierdurch erfahren sie höhere Belastungsreize, ohne dass sie überhaupt merken, dass sie eigentlich ge- rade in der Therapie sind. Spätestens wenn man ihnen ihre Fortschritte am Bildschirm aufzeigen kann, spürt man auch den Stolz und die Freude der Patient*innen. Die Digitalisierung scheint in der heutigen und künf- tigen Rehabilitation eine immer wichtigere Rolle ein- zunehmen. Wird hierdurch die Beziehung zwischen Therapeut*in und Patient*in zu stark technisiert und vielleicht irgendwann ganz abgeschafft? Die therapeutische Arbeit steht vor denselben Verände- rungen wie unser gesamtes Leben. Schon heute können Sie von zu Hause mit Ihrem digitalen Trainingsfahrrad an weltweiten Meisterschaften teilnehmen oder zu Hause in Ihrem Wohnzimmer online Teil eines digitalen Yoga-Kur-
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21 Start der geriatrischen Station 5023 Lehre des Alterns Renate Hilke war nach einer COVID-19-Infektion unter den ersten Patient*innen der neuen Station 5023. Wir sprachen am Tag vor ihrer Entlassung mit ihr. Renate Hilke wohnt in Pforzheim. Eigentlich möchte die 87-Jährige nur die Weihnachtsfeiertage 2020 mit ihrem Mann bei ihrer Tochter und deren Familie in Göt- tingen verbringen. Doch die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass sie bleiben muss. Am 6. Januar 2021 wird Renate Hilke über die Notaufnahme stationär in der Universitätsmedizin Göttingen aufgenommen. Sie und weitere Familienmitglieder haben sich mit dem Corona- virus infiziert. Für Frau Hilke war klar: „Ich wollte keine lebensverlängernden Maßnahmen, ich bin alt genug und habe mein Leben sehr genossen.“ Doch es kommt anders: Nach einigen Tagen auf der COVID-19-Inten- siv-station erholt sich die alte Dame und kann auf die COVID-19-Normalstation verlegt werden. „Diese Krankheit ist so schlimm, ich war machtlos und wollte nicht mehr leben. Doch das Schlimmste war, dass mich niemand besuchen konnte und niemand meine Hand gehalten hat“, erinnert sie sich. Ende Januar ist Renate Hilke nicht mehr infektiös und kann auf die geriatrische Station 5023 verlegt werden. Hier wird sie von einem Team empfangen, das erst we- nige Tage zuvor die stationäre geriatrische Versorgung in der UMG begonnen hatte. Die Station betreut zu die- sem Zeitpunkt acht Betten, alle Räumlichkeiten sind frisch renoviert und auf die Bedürfnisse von älteren Patient*innen ausgelegt. „Auf der Station habe ich mich wie zu Hause gefühlt. Es war immer jemand für mich da. Per Videotelefonie konnte ich sogar endlich meine Familie wiedersehen. Sie können sich nicht vorstellen, was das bedeutet“, freut sich die Rentnerin. Täglich trainiert sie mit Physio- und Ergotherapeut*innen. Sie lernt wieder laufen, Treppen steigen und hält sich mit Hockergymnastik fit. Beson- ders begeistert ist sie von den neuropsychologischen Testungen, bei denen sie Rechenaufgaben erledigen und Zeichnungen anfertigen muss. „Hier kommt keine Langeweile auf. Das hat mir sehr geholfen, wieder auf die Beine zu kommen.“ Am Tag vor ihrer Entlassung übt Frau Hilke mit der Physiotherapeutin Annika Pinne das Treppensteigen, damit das zu Hause wieder alleine klappt. „Ich freue mich auf zu Hause, mein Mann wartet auf mich. Trotzdem habe ich Respekt davor und hoffe, dass wir zurechtkommen. Doch ich gehe nicht, ohne dem gesamten geriatrischen Team zu danken. Ärzt*in- nen und Pflegekräfte – alle top!“
22 Im Interview mit Prof. Dr. Christine von Arnim, Leiterin der Abteilung Geriatrie Seit Juli 2019 leitet Prof. Dr. Christine von Arnim die neu gegründete Abteilung für Geriatrie an der Universi- tätsmedizin Göttingen und forscht in enger Zusammen- arbeit mit dem Herzzentrum Göttingen zu Erkrankun- gen des Alters. Im Januar 2021 startete die geriatrische Station 5023. Wir wollten wissen, was das Besondere an der Geriatrie ist und wem das Team helfen kann. Was bedeutet Geriatrie? Geriatrie ist die Lehre von den Krankheiten alternder Menschen. Es handelt sich um eine „Spezialdisziplin“, die sich mit körperlichen, geistigen, funktionalen und sozialen Aspekten in der Versorgung von akuten und chronischen Krankheiten befasst. Hinzu kommen – und dies ist uns besonders wichtig – auch die Gesundheit im Alter, die Rehabilitation und Prävention im Sinne von „erfolgreichem Altern“. Denn unsere Lebensspan- ne wird immer länger. Derzeit ist bereits einer von fünf Menschen in Deutschland über 65 Jahre alt. Die „Baby- boomer“-Jahrgänge kommen erst noch – in zehn Jah- ren ist bereits jeder Dritte über 65 Jahre alt. Im Jahr 2060 wird es etwa genauso viele über 80-Jährige ge- ben wie unter 20-Jährige. Auch wenn die moderne Me- dizin viele Erkrankungen heilen oder verzögern kann, nehmen die Erkrankungen mit steigendem Alter natur- gemäß zu. Die UMG hat diese Aspekte als sehr wichtig erachtet und deshalb beschlossen, zum Wohle der Patient*innen eine neue Abteilung zu gründen. Bei welchen Problemen hilft die Geriatrie weiter? Mit den Erkrankungen, die im Laufe eines Lebens zu- sammenkommen, auch Multimorbidität genannt, ge- hen oft Beeinträchtigungen einher, die viele Ursachen haben können, zum Beispiel Gangstörungen und Stür- ze, Schwindel, Blasenstörungen und verzögerte Wund- heilung. Oft führt dies zu Gebrechlichkeit im Alter. Unser Schwerpunkt ist die Behandlung von Beeinträch- tigungen der geistigen Leistungsfähigkeit, wie sie im Rahmen von Demenzerkrankungen oder als akuter Verwirrtheitszustand nach einer Operation, das soge- nannte Delir, auftreten können. Die Anforderungen an „Wir möchten Patient*innen dabei die Medizin sind in der Regel komplexer Natur und er- fordern einen ganzheitlichen Ansatz und eine gute Ver- helfen, möglichst gesund ein hohes netzung. Diese bieten wir nun neu in Göttingen. Lebensalter bei hoher Lebensquali- Im interdisziplinären Team finden wir eine individuelle tät zu erreichen.“ Lösung für die Prävention oder Rehabilitation unserer Prof. Dr. Christine von Arnim Patient*innen.
23 Welche Ziele und Visionen haben Sie für die Abtei- und die Forschungsergebnisse in Behandlungskonzep- lung Geriatrie in Göttingen? te für Patient*innen umzusetzen. Wir möchten wis- senschaftliche Evidenz schaffen und prüfen, inwieweit Das Besondere ist die gesamtheitliche Betrachtung neue Technologien zu einer verbesserten Versorgung an der UMG. Dabei ist das medizinische Netzwerk von bei älteren Menschen führen. großem Vorteil. Unser Ziel ist die Erforschung grund- legender Mechanismen, die zur Entstehung von alters- abhängigen Erkrankungen an Herz und Hirn beitragen. Welche Forschungsschwerpunkte haben Sie? Wir suchen nach Mechanismen, die übergreifende Ich bin ausgebildete Neurologin und Geriaterin. Als Ge- Schädigungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. riaterin verstehe ich mich als Netzwerkerin zwischen Demenz erklären. In Registern und Kohorten soll der den Disziplinen und auch Professionen. Meine For- Zusammenhang von Alter, Herzerkrankungen – ins- schungsschwerpunkte sind kognitive Beeinträchtigun- besondere Herzinsuffizienz – und die Auswirkungen gen im Alter von der Alzheimer-Demenz bis zu akuten auf Alltagsfunktionalität und Lebensqualität erfasst Verwirrtheitszuständen, zum Beispiel nach Operatio- werden. Hierdurch sollen Risikofaktoren, Prädiktoren/ nen. Mir liegt als Rehabilitationsmedizinerin auch der Signaturen und Biomarker gefunden werden, die Prä- ganzheitliche Aspekt bei der Patientenbehandlung am vention ermöglichen. Das übergeordnete Ziel ist es, Herzen. Denn die Versorgung umfasst mehr als nur rein Interventionen und klinische Studien durchzuführen medizinisches Handeln.
24 i Abteilung für Geriatrie Die Abteilung Geriatrie wurde 2019 an der UMG gegründet und ist im Heart & Brain Center Göttin- gen sowie als aktives Mitglied im Herzzentrum Göt- tingen verankert. Weiterhin arbeiten wir in enger Kooperation mit der Klinik für Neurologie und der Klinik für Kardiologie und Pneumologie. Eine Förde- rung erfolgt durch die Robert Bosch Stiftung GmbH. Räumlichkeiten 12 Betten im Bettenhaus 2 2-Bett-Zimmer Großer Aufenthalts- und Therapieraum Multiprofessionelles Team Neurologische und kardiologische Expertise Kardiologie: Oberarzt Dr. Chebbok Neurologie: Oberarzt Prof. Sommer Aktivierend-therapeutische Pflegekräfte Physiotherapeut*innen Ergotherapeut*innen Logopäd*innen Neuropsycholog*innen Sozialdienst Ernährungsberater*innen Therapiemöglichkeiten Individuell angepasst: Einzel- und Klein- gruppentherapien Physiotherapie Sturzprophylaxe, Kraft- und Ausdauer- training, Geräte: MOTOmed und NuStep, Atemgymnastik, physikalische Therapie, Lymphdrainage Ergotherapie Förderung von Selbstständigkeit im Alltag: alltagspraktisches Training, Wasch- und Anziehtraining, Förderung der Senso- motorik, Aktivierung kognitiver Fähigkeiten Neuropsychologie Diagnostik und Therapie von kognitiver und emotionaler Beeinträchtigung, neuro- psychologische Testdiagnostik, Biografie- arbeit, kognitive Stimulation, digital unter- stützte Trainingstherapie Logopädie Diagnostik und Therapie von Schluck- und Sprachstörungen Sozialdienst Vermittlung von weiterführenden Behand- lungen, Antragstellung Leistungen aus der Pflegeversicherung, Vermittlung von Kurzzeit-/ Tagespflege, allgemeine Beratung in Sozial- fragen, Familienkonferenzen
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