Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen

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Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
Kanton St.Gallen
Amt für Natur, Jagd und Fischerei

Ausbildung zur Steinbockjagd

Alpensteinbock (Capra ibex),

Volkswirtschaftsdepartement
Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
Inhaltsverzeichnis
1.     Verbreitung ............................................................................................................................................... 3
2.     Lebensraum ............................................................................................................................................. 4
3.     Nahrung.................................................................................................................................................... 5
4.     Körpermerkmale....................................................................................................................................... 5
5.     Verhalten .................................................................................................................................................. 9
6.     Fortpflanzung ......................................................................................................................................... 11
7.     Sozialorganisation .................................................................................................................................. 12
8.     Bestandesdynamik ................................................................................................................................. 12
9.     Jagd und Hege ....................................................................................................................................... 14
10.    Schlussbemerkungen ............................................................................................................................ 18
11.    Weiterführende Literatur ........................................................................................................................ 18

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Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
1. Verbreitung

1.1   Ausrottung
Der Steinbock ist ein faszinierender Bewohner unserer Bergwelt. Im Mittelalter war er über weite Teile der
Alpen verbreitet, anfangs des 19. Jahrhunderts aber bereits ausgerottet.

Folgende Gründe waren für die Ausrottung verantwortlich:

1. Steinböcke sind von Natur aus neugierig. Beim Flüchten bringen sie keine grosse Distanz zwischen sich
   und den Feind. Ihrem Sicherheitsbedürfnis entsprechend klettern sie lediglich in Felsen ein. Sie bleiben
   dabei in der Reichweite von Waffen.
2. Die rücksichtslose Jagd auf Steinböcke geschah einerseits wegen des Wildbrets und der Freude an den
   schmucken Trophäen. Anderseits fielen die Tiere auch dem Aberglauben zum Opfer. Den Körperteilen
   des Steinbockes wurden heilende und magische Kräfte nachgesagt.
3. Mit dem Aufkommen von Schusswaffen im 15. Jahrhundert setzte eine unkontrollierte Verfolgung des
   Steinwildes ein. Bereits im 16. Jahrhundert war der Steinbock in den Schweizer Alpen selten geworden
   und in einigen Regionen ausgerottet.

1809 wurde der letzte, freilebende Steinbock der Schweiz in den Walliser Alpen erlegt. Nur am Gran-
Paradiso, im Grenzgebiet zwischen Aostatal und Piemont, überlebten einige Dutzend Tiere.

1.2   Wiederansiedlung
Das Bundesgesetz über die Jagd und den Vogelschutz von 1875 legte erste gesamtschweizerische Mass-
nahmen zum Schutz und zur Wiedereinbürgerung des Steinbocks fest. Darin hiess es, dass „weibliche Tiere
weder gefangen noch geschossen werden dürfen, ebenso wenig Steinböcke, wo und wann immer sich solche
zeigen mögen“.

Am Anfang des letzten Jahrhunderts wurden junge Steinböcke von Italien in die Schweiz geschmuggelt und
im Tierpark Peter und Paul, St. Gallen aufgezogen.
Am 8. Mai 1911 erfolgte im Weisstannental (SG), die erste Aussetzung von fünf Steinböcken aus dem Gehe-
ge des Tierparks Peter und Paul. Es folgten weitere Freilassungen in den Grauen Hörnern, anfänglich mit
Gehegetieren und ab 1938 mit eingefangenen Wildtieren aus besser gedeihenden Kolonien. Heute leben in
den Schweizer Bergen in etwa 60 Kolonien wieder rund 18'000 Steinböcke. Im gesamten Alpenbogen wird
der Bestand auf 40'000 Tiere geschätzt.

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Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
1.3   Das Steinwild im Kanton St. Gallen
Im Kanton St. Gallen gibt es heute fünf Steinwildkolonien:

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                                                          Churfirsten

                                                          Foostock

                                                          Graue Hörner

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 Abbildung 1: Steinwildkolonien im Kanton St. Gallen

Kolonie                Bestand               Gründungsjahr/Erstbesiedlung

Graue Hörner             400                            1911
Alpstein                 180                            1955
Calanda                  100                            1958
Foostock                 350                            1961
Churfirsten              240                            1985

2. Lebensraum
Der Alpensteinbock bewohnt steile, felsige und reich gegliederte Gebiete oberhalb der Waldgrenze zwischen
1'600 und 3'200 m ü. M. Er bevorzugt niederschlagsarmes Klima. Extremen Kältebelastungen hält er ohne
weiteres stand.

Wintereinstände befinden sich bevorzugt in steilen, südexponierten Hängen. Nebst Äsungsflächen ist der
Steinbock auf Windschutz und Unterstände gegen Lawinen angewiesen. Kuppenlagen und abgeblasene Gra-
te erleichtern ihm Fortbewegung und Nahrungssuche. In steilen Lagen rutscht der Schnee schnell ab. So
kann der Steinbock Nahrung frei scharren. Auch obere Waldpartien, die Kampfzonen des Gebirgswaldes, und
Schluchten können seine Bedürfnisse decken, sofern sie Felsen aufweisen.

Im Frühjahr sind Steinböcke gelegentlich in tieferen Lagen anzutreffen, wo sie erste Grünäsung finden. Dazu
steigen sie gebietsweise durch den Bergwald ab.

Im Sommer werden mit Grasbändern durchsetzte Berge besiedelt. Nebst Äsung und Gelegenheit zur Mine-
ralstoffaufnahme braucht der Steinbock in Sommereinständen schattige und kühle Plätze. Er nutzt die Struk-
turvielfalt seines Lebensraumes.

Geissen mit ihren Kitzen haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis als die Böcke und fühlen sich in steilen und
unzugänglichen Gebieten sicher.

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Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
Die höchsten Lagen besiedeln Steinböcke im Spätsommer und Herbst. Bei frühen Wintereinbrüchen werden
die Wintereinstände rasch aufgesucht und auch bei besserem Wetter nur noch zögerlich verlassen.

Steinböcke besiedeln neue Gebiete zaghaft und erst, wenn diese durch Pionierleistungen von Artgenossen
zuvor begangen wurden. Solche Gebietserschliessungen leiten vorwiegend Böcke auf ihren ausgedehnten
Herbstwanderungen ein. Der Lebensraum wird in der Regel entlang von Gebirgszügen ausgedehnt. Tiefe
Täler und Gletschergebiete werden kaum überschritten und bilden somit natürliche Grenzen. Das Scharwild
ist sehr standorttreu. Für die Tiere ist es von Vorteil, die besonders im Winter gefährlichen Berge als „ihr Ge-
biet“ zu kennen.

3. Nahrung
Die Äsung der Steinböcke besteht zum Hauptteil aus Gräsern (80 - 90 %). Zudem werden Kräuter, Moose
und Flechten (10 - 15 %) sowie wenig Holzgewächse (2 - 5 %) aufgenommen. Der Steinbock kann wenig
eiweiss- und energiehaltige Äsung gut verwerten. Der Rohfaseranteil ist hoch.

Je nach Jahreszeit und Aufenthaltsort ändert sich die Nahrung des Steinbockes. Er passt sich den vorhande-
nen Futterpflanzen an und findet sich in verschiedensten Pflanzengesellschaften zurecht.

Im Winter äsen Steinböcke genügsam die strohähnlichen, winterharten Seggen. Sie finden unter dem Schnee
immer etwas grüne Nahrung. Zwergsträucher werden häufig genutzt. Bei Gelegenheit werden Zweige und
Triebe von Bäumen und Sträuchern abgeäst.

Im Frühjahr gibt der Schnee die braungrauen Grasbüschel vom Vorjahr frei. Dazwischen spriessen grüne
Triebe. Der Steinbock äst beides. Gerne nimmt er auch Knospen, Blätter und Stängel von Pflanzen tieferer
Lagen sowie Triebe von Sträuchern und Jungbäumen der Waldzone.

Im Frühsommer ergrünen die alpinen Weiden. Frisches Gras und Bergblumen bilden jetzt die Hauptnahrung.
Manchmal werden auch ganze Pflanzen ausgezerrt und samt Wurzeln gefressen. Oft wird ausdauernd in der
offenen Schuttvegetation geäst.

Im Herbst frisst der Steinbock saftige Blätter und Stängel, um Fettreserven für den Winter anzulegen. Ge-
schickt nützt er zum Beispiel Disteln. Aber auch in Schutthalden und an Pionierpflanzenstandorten sucht er
ausdauernd seine Nahrung.

Ganzjährig, aber vor allem zu frischer Grünäsung, wird gerne Salz aufgenommen.

4. Körpermerkmale

4.1   Äussere Erscheinung
Der Alpensteinbock besitzt einen massigen, gedrungenen Körper auf stämmigen Läufen. Der Bock trägt ei-
nen kurzen Kinnbart. Die Geiss ist kleiner und zierlicher gebaut. Die Steingeiss hat zwei Zitzen.

Steingeissen sind mit 4 - 5 Jahren ausgewachsen und erreichen ein Gewicht von rund 30 kg ausgeweidet
(siehe Abb. 2). Bei Böcken steigt das Gewicht bis ins Alter von 7 - 8 Jahren stetig an. Das durchschnittliche
Gewicht ausgewachsener Böcke beträgt 70 kg ausgeweidet (siehe Abb. 3 und 9.5 Ansprechen).

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Körpermasse von Steingeissen

                 160

                 140

                 120
 in kg bzw. cm

                 100

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                 60

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                  Körpergewicht (ausgeweidet)               Körperlänge         Brustumfang         Schulterhöhe        Hornlänge

 Abbildung 2: Körpermasse von Geissen (Quelle: MEILE et al. 2003)

                                               Körpermasse von Steinböcken

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                 140

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 in kg bzw. cm

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                  Körpergewicht (ausgeweidet)               Körperlänge         Brustumfang         Schulterhöhe        Hornlänge

4.2   Gehörn
 Abbildung 3: Körpermasse von Böcken (Quelle: MEILE et al. 2003)

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Das Gehörn ist das auffälligste Merkmal des Steinbockes. Die spitz auslaufenden, säbelförmigen Hörner
wachsen auf Stirnzapfen.
Beim Bock bilden sich an der Vorderkante ab dem zweiten Lebensjahr auffällige Schmuckknoten, in der Re-
gel jedes Jahr zwei, selten drei oder nur einer. Die Ausprägung der Knoten wird ab sechs Jahren geringer. Es
entstehen dann nur noch unregelmässige Wülste, später im fortgeschrittenen Alter nur noch dünne Leisten.
Die Hornbasis ist bei jungen Böcken oval, später ein abgeflachtes Oval und bei alten Böcken eher ein Vier-
eck. Die Hornschläuche erreichen Längen bis über 100 cm.

Steingeissen entwickeln nur geringe Schmuckringe. Ihre Hörner sind deutlich kürzer und feiner. Sie eignen
sich besser als Verteidigungswaffen gegen Raubfeinde als jene der Männchen. Steingeissenhörner sind sel-
ten mehr als 35 cm lang.

Die Hörner wachsen an der Basis nach und werden lebenslang getragen. Der jährliche Wachstumsunter-
bruch zwischen November und März zeichnet sich als eine Einschnürung der Hornschläuche, so genannte
Jahrringe, ab. Sie erlauben eine zuverlässige Altersbestimmung.
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Abbildung 4: Steinbock 7+

                   Jährling

            Kitz
            Kitz             Jährling

Abbildung 5: Steingeiss 8+

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4.3   Gebiss
Kitz bei Geburt           0 Jd 0 Cd 3 Pd
                          3 Jd 1 Cd 3 Pd             = 20 Zähne

Kitz zur Jagdzeit         0 Jd 0 Cd 3 Pd 1 M
                          3 Jd 1 Cd 3 Pd 1 M         = 24 Zähne

Jährling zur Jagdzeit     2 mittlere Schneidezähne gewechselt oder am Wechseln (etwa 15. Monat)
                          M2 durchgebrochen (15. - 18. Monat)
                          5 Backenzähne auf jedem Kieferast, der dritte Prämolar ist dreiteilig

Steinbock 2+              4 Schneidezähne gewechselt oder am Wechseln (28. - 30. Monat)
                          M3 durchgebrochen und die Prämolaren gewechselt oder gerade am Wechseln.
                          Dritter Prämolar als Dauerzahn zweiteilig.
                          6 Backenzähne auf jedem Kieferast. Jd 3 und Cd sind noch Milchzähne.

Steinbock 3+              6 Schneidezähne gewechselt (36. - 40. Monat)
                          Nur noch die Eckschneidezähne (Cd) sind Milchzähne.

Steinbock 4+              8 Schneidezähne gewechselt (C erscheint im 44. - 47. Lebensmonat)
                          Mit 4 Jahren ist das Dauergebiss vollständig.

Die Abnutzung der Dauerschneidezähne und der Backenzähne lässt Rückschlüsse auf das Alter zu. Es gilt
zu beachten, dass der Abschliff wegen unterschiedlichen Zahnhärten bei Böcken geringer ist als bei Geissen.

4.4   Haarkleid und Haarwechsel
Angepasst an den alpinen Lebensraum wechselt der Steinbock sein Haarkleid nur einmal im Jahr. Von April
bis Juni verliert er das Winter- sowie das Sommerhaar des Vorjahres. Gleichzeitig wächst das neue, fahl-
braun-rötlich-graue Sommerkleid. Im Oktober durchwachsen die Woll- und Deckhaare des Winterfells die
Sommerhaare. Geissen und junge Böcke erscheinen nun eher graubraun, reifere Böcke kastanienbraun bis
sehr dunkelfarbig. Die Sonne bleicht das Winterfell zunehmend. Die Haare werden brüchig. Im Frühjahr fällt
das Haar in Büscheln aus oder wird am Boden und an Felskanten abgerieben. Die abgeflachte Schwanzun-
terseite ist wie bei allen echten Ziegenarten nackt.

Verzögerter Haarwechsel deutet auf eine schlechte Körperverfassung hin. Jährlinge, welche als Kitz den Win-
ter nur knapp überlebten, sowie alte Tiere, welche sich mühsam von den Strapazen des Winters erholen,
brauchen am längsten.

Am 1. September bei Beginn der Jagdzeit auf Steinböcke tragen normal entwickelte Tiere das fertige Som-
merkleid.

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Abbildung 6: links Steinbock, rechts Gämse

4.5   Fährten und Losung

4.6   Sinnesorgane und Sinnesleistung
Steinböcke sind Augentiere. Sie sehen vorzüglich. Das Auge mit waagrechtem Pupillenschlitz für breiten
Lichteinfall und die seitliche Lage, ganz aussen am Kopf, lassen fast ein Rundumsehen zu.

Steinböcke hören ausgezeichnet. Auch der Geruchsinn ist gut ausgeprägt, scheint aber mehrheitlich für in-
nerartliche Bedürfnisse genutzt zu werden.

Alle Steinböcke „pfeifen“ bei Gefahr und als Warnung (Nasenlaut). Ebenfalls ist bei ihnen ein eigenartiges
„Schnauben“ oder „Knuffeln“ zu hören.

5. Verhalten

5.1   Fortbewegung
Der Steinbock ist ein Paarhufer. Seine Hufe müssen hohen Anforderungen genügen. So sind Fussmechanik
und Fussaufbau für felsige Unterlagen geschaffen. Zum Abnützen der nachwachsenden Hufränder braucht er
Felsen. Der harte, widerstandsfähige Hufrand gibt ihm vorzüglichen Halt auf kleinsten Felsrippen. Die wei-
chen, stark mit Tastnerven durchzogenen Ballen können feinste Unebenheiten auf glattem Fels wahrnehmen
und Halt finden. Die Afterklauen sind weicher als die Hauptklauen und geben beim Abwärtsklettern zusätzli-
chen Halt. Steinwildhufe sind weniger spreizbar als jene der Gämsen und eignen sich weniger gut zum Ge-
hen auf Schnee.

5.2   Tagesrhythmus
Im Sommer äst Steinwild frühmorgens und abends, in hellen Nächten nachts. Während der Tageshitze sucht
es Schatten und ruht sich wiederkäuend aus. Während den kurzen Wintertagen werden die Tiere spät am
Morgen aktiv. Sie nutzen fast den ganzen Tag zur Nahrungssuche und ruhen wenig. Wenn immer möglich
geniessen sie die wärmende Sonne. Beim Eindunkeln suchen sie Schlafplätze im Schutz der Felsen auf.

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5.3     Sozialverhalten

5.3.1     Rangordnung
Horngrösse und Alter bestimmen die soziale Stellung bei Böcken und Geissen. Diese Ranganzeiger ermögli-
chen voraussagbare Sozialbeziehungen. Sie vermeiden Kämpfe. Bei gleich alten Rivalen funktioniert das
aber nicht.

                                                                        Von Frühling bis Herbst sind in den
                                                                        Bockgruppen ständig Rangord-
                                                                        nungskämpfe zu beobachten. Diese
                                                                        sind stark ritualisiert und führen
                                                                        selten zu Verletzungen. Durch
                                                                        Hornschlagen, Hornschieben, durch
                                                                        Aufrichten und Hornschläge auf das
                                                                        Gehörn des Gegners sowie Körper-
                                                                        schieben in seitlich paralleler Stel-
                                                                        lung werden Kraft und Ausdauer
Abbildung 7: Hornschieben
                                                                        gemessen und die Rangposition
                                                                        unter etwa gleich alten Böcken fest-
gelegt.

Zu heftigen Schlagattacken, welche auch auf den Körper und nicht nur auf das Gehörn eines Rivalen gerich-
tet sind, kommt es nur während der Brunft. Das geschieht beim Übergang von der Gemeinschaftsbrunft zur
Einzelbrunft, wenn Rivalen nicht genügend Distanz zum dominantesten Bock halten. Nur dann sind gefährli-
che, sichelartige Bewegungen mit der Hornspitze gegen den Nebenbuhler zu beobachten.

Geissen behaupten ihren Rang mit kurzen Hornschlagduellen. Sehr oft werden Hornstösse ausgeführt, denen
die Gegnerin auszuweichen vermag. Es sind kurze Streitigkeiten zwischen ähnlich ranghohen Tieren. Die
Rangordnung scheint durch die Gehörngrösse, das Alter und die Erfahrung festzustehen. Es genügt kurzes
Drohen oder Imponieren, da sich die Mitglieder der Geissengruppen kennen. Unterlegene Geissen versuchen
mit langsamem Hin- und Herschwenken des Kopfes die Situation zu beschwichtigen.

Kitze tragen mit ihren noch kaum vorhandenen Hörnchen spielerisch Kämpfe aus. So erlernen sie das rituali-
sierte Verhalten für die häufigen Schaukämpfe im späteren Leben.

5.3.2     Brunftverhalten
Die Brunft gliedert sich in verschiedene Phasen. Im Oktober gehen die Böcke in kleinen Trupps auf Wander-
schaft und erkunden auch die entferntesten Geissengruppen der Population. Nachher treffen sie sich kurz in
Vorbrunfteinständen wieder und suchen dann die Geissenrudel auf. Im November interessieren sie sich auf-
fällig für die Geissen. Dabei sind differenzierte Werbesequenzen zu beobachten. Die eigentliche Brunft ist im
Dezember und Januar. Nun werben Böcke in der Gemeinschaftsbrunftphase um die Geissen. Wird eine
Geiss paarungsbereit, hält sich nur noch der dominanteste Bock im Einzelbrunftverhalten bei ihr auf. Sämtli-
che Rivalen werden auf Distanz gehalten. In dieser Phase verschafft sich der beschlagende Bock durch hefti-
ge Attacken gegen Rivalen Respekt. Nach dem Beschlag „bewacht“ der dominante Bock die immer noch
paarungswillige Geiss etwa 24 Stunden. Die Hauptbeschlagszeit ist Ende Dezember/Anfang Januar.

Böcke regeln ihre Beziehungen gegenüber Rivalen durch Drohen, Hornschlagen, Kämpfen und Abwehr-
schlagen. Zudem haben Gehörn, Fellfarbe, Schwanzhochklappen sowie Geruch und Beharnen der Vorder-
läufe gegenüber Rivalen Signalwirkung.

                                                                                                           10
Das Werbeverhalten gegenüber Weibchen
                                                                     besteht aus folgenden Elementen:
                                                                     Geruch, Fellfarbe, Brunftmeckern, Schwanz
                                                                     hochklappen, Folgen, Kontrolle von Nässstel-
                                                                     len, Flehmen, Kopfrotieren, Laufschlagen,
                                                                     Ausschachteln der Brunftrute, Masturbieren,
                                                                     Normalhaltung, Streckhaltung, Gehörnabsen-
                                                                     ken, Beharnen von Brust und Vorderläufen,
                                                                     Zungenflippern, Annähern und Berühren der
                                                                     Flanken mit den Vorderlaufinnenseiten, Be-
                                                                     winden und Belecken des Genitalbereiches
                                                                     der Geiss, Aufreitversuche und schliesslich
Abbildung 8: Der Steinbock hebt das Haupt und flehmt mit hochgezo-   Beschlag im Hochöstrus, hernach Bewachung.
gener Oberlippe. Dabei züngelt er sichtbar mit dem Lecker
                                                            Umworbene Geissen reagieren mit Abwehr-
schlagen, Harnen, Ausweichen, Normalhaltung, Wechseln, Schwänzeln, Zurückschauen (nicht um den Bock
zu sehen, sondern als Aufforderung) und paarungsbereit Stehenbleiben bei Aufreitversuchen des Bockes und
schliesslich mehrfacher Duldung des Beschlages.

Von Böcken ist während der Brunft zeitweise ein auffälliges, gepresstes Meckern (Brunftmeckern) zu hören.

6. Fortpflanzung

6.1   Entwicklung
Das Steinbockkitz kommt sehend zur Welt. Nach wenigen Minuten steht es auf seinen wackligen Beinen und
schon nach Stunden kann es seiner Mutter ein wenig folgen. Mit anderthalb bis zwei Jahren wird das Tier
geschlechtsreif. Geissen setzen mit 3 - 5, selten schon mit 2 Jahren ihr erstes Kitz. Sie sind bis ins hohe Alter
fortpflanzungsfähig. Böcke wachsen langsamer und beteiligen sich erst später erfolgreich an der Fortpflan-
zung. Mit 10 - 12 Jahren erreicht der Bock den Höhepunkt seiner körperlichen Entwicklung. Dann setzt lang-
sam, wenige Jahre später sehr rasch der Rückgang seiner Kräfte ein. Böcke werden selten über 15, Geissen
hingegen durchaus über 20 Jahre alt.

6.2   Trächtigkeit und Kitzaufzucht
Nach einer Tragzeit von 164 - 170 Tagen (etwa 24 Wochen) kommen ein, selten zwei Kitze auf die Welt. Die
Setzzeit liegt im Juni. Frühgeburten und Tragzeitverlängerungen sind möglich. Steinkitze wiegen bei der Ge-
burt 2 bis knapp 3 kg. Im Verhältnis zum Gewicht des Muttertieres sind Steinkitze bei der Geburt etwas klei-
ner und leichter als beispielsweise Gämskitze. Es ist für sie wichtig, sofort stehen zu können, um das Gesäu-
ge der Mutter zu erreichen. Beim Ablecken der Fruchthülle hilft ihm die Mutter, indem sie das Kitz mit der
Nase stupst. Neugeborene Kitze sind von auffallend heller Farbe. Anfänglich lässt die Steingeiss das Kitz an
geschützter Stätte zurück, während sie in der Nähe äst. Schon nach wenigen Tagen folgen die Kitze der Mut-
ter. Führende Geissen finden sich dann wieder zu Rudeln zusammen. Kitz und Geiss bauen eine enge Mut-
ter-Kind-Beziehung auf. Kitze haben einen ausgeprägten Spielsinn und üben sich geschickt im Klettern und
Springen. Oft beklettern sie recht übermütig das ruhende Muttertier. Die Hörnchen beginnen wenige Wochen
nach der Geburt auf den sich bildenden Hornfortsätzen des Schädels zu wachsen.

Kitze meckern, sobald sie sich verlassen fühlen. Geissen meckern, wenn sie ihr Kitz suchen oder manchmal
ganz unterdrückt (nasaler Laut), wenn sie mit ihm Kontakt halten.

Das Gesäuge der trächtigen Geiss schwillt einige Tage vor der Geburt merklich an. Es ist im Sommerhaar gut
zu sehen. Die freien Höfe um die beiden Zitzen sind bei genauem Hinsehen auch im Winterhaar sichtbar.

                                                                                                               11
7. Sozialorganisation
Steinböcke verteidigen keine Territorien. Wäh-
rend der Brunft leben sie in gemischt-
geschlechtlichen Verbänden. Im Frühling
sammeln sich die Böcke zu grösseren Rudeln
und besiedeln die tiefsten Lagen. Gemeinsam
ziehen sie beständig den ausapernden Som-
mereinständen zu. Auch die Geissen und das
Jungwild stehen im Frühling zuerst in tiefen
Lagen. Die Geissen steigen im Gelände
schneller und zielstrebiger an. Die nahende
Geburt leitet sie. Dafür brauchen sie sichere
Rückzugsgebiete. Die letztjährigen Kitze und
die Begleittiere werden zurückgelassen. Es
kommt vor, dass kleine Gruppen mit Jährlin-
gen und anderen Jungtieren ohne Geissen
unterwegs sind. Diese Gruppen kehren oft
wieder zu den Winterhabitaten zurück. Offen-
bar gibt es ihnen Sicherheit, sich in bekann-
tem Gebiet aufzuhalten. Die zunehmende
Wärme zwingt sie zum Anstieg in die kühleren
Höhen, wo die Gruppen wieder mit den Mut-
tertieren und dem neuen Nachwuchs zusam-
mentreffen und grosse Scharwildrudel bilden.

Im Spätsommer und Herbst sind die höchsten
Lagen erreicht. Junge Böcke der Klassen 2+
und 3+ pendeln zwischen den Bockgruppen
und dem Scharwild hin und her. Sie sind in
beiden Verbänden anzutreffen. Böcke unter-
stehen nicht der gleichen Bedrohungssituation
wie Geissen in der Sorge um ihre Kitze, wes-
halb sie durchaus auch zugänglichere und
weniger exponierte Habitate besiedeln. Die        Abbildung 9: Bei der Abwehr von Feinden - Steingeissen schützen
                                                  ihre Kitze sehr aufmerksam
reinen Bockgruppen teilen sich im Oktober
auf und gehen in kleinen Trupps oder als Ein-
zelgänger auf den Vorbrunftwanderungen weit im Gebiet herum. Im November kommen sie rechtzeitig vor
der Brunft in die Nähe der Weibchen. Beim Abklingen des Brunftbetriebes verlassen die alten Böcke die
Geissengruppen zuerst. Ihnen folgen reife und mittelalte Böcke. Nur die jüngeren verbleiben den ganzen Win-
ter bei den Geissen. Diese Trennungen sind aber nicht immer sehr deutlich, weil die begrenzten Winterhabi-
tate und die Schneelagen dies nicht überall zulassen.

8. Bestandesdynamik

8.1   Bestandesstruktur und Zuwachsrate
Jeder Tierbestand wächst durch Geburten sowie Zuwanderungen und schrumpft durch Todesfälle sowie Ab-
wanderungen. Diese Entwicklung heisst Populationsdynamik.

Tierpopulationen nehmen bei guten Lebensraumverhältnissen (Raum, Nahrung usw.) zu. Wenn die Lebens-
grundlagen nicht genügen, stagniert die Population. Bei Übernutzung der Habitate gehen die Bestände zu-
rück oder brechen sogar zusammen.

                                                                                                               12
Untersuchungen in freier Wildbahn zeigten, dass gegen 90 % aller geschlechtsreifen Steingeissen trächtig
werden. Die Geburtenrate liegt etwas tiefer. Die Grösse der Neugeborenensterblichkeit ist unbekannt. Kitze
haben auch im Sommer eine höhere Sterblichkeit als die übrigen Tiere des Bestandes. Frei lebende, natürlich
strukturierte Steinbockpopulationen weisen einen Nachwuchsanteil (Kitze) von etwa 25 % auf. Von diesem
Nachwuchs sterben im Winter 30 - 50 %. Im Normalfall gehen 2 - 7 % der subadulten und adulten Tiere als
Fallwild ab. Somit liegt die Zuwachsrate einer Steinwildkolonie meist unter 15 %.

Ein Steinbockbestand von 100 Tieren (ohne Kitze) weist ungefähr nachstehende Alterspyramide auf:

                                               21+
                                               20+
                                               19+
                                               18+
                                               17+
                                               16+        Altersklasse 10 %
                                               15+
                                               14+
                                               13+
                                               12+
                                               11+
                                               10+
                                                9+
                                                8+                  obere Mittelklasse 35
                                                7+                  %
                                                6+
                                                5+
                                                4+                     untere Mittelklasse 30 %
                                                3+
                                                2+
                                                                              Jugendklasse 25 %
                                                1+
                                              Kitze

  15               10               5                 0            5                 10           15
                                Geissen                         Böcke
                                53%                             47%
Abbildung 10: Alterspyramide beim Steinwild

Nachwuchsleistung eines Steinwildbestandes von 100 Tieren               = 25 Kitze
Zuwachserfolg (bei 40 % Kitzmortalität im Winter)                       = 15 Tiere
Fallwildanteil ohne Kitzmortalität (Annahme)                            = 3 Tiere
Folglich realer Zuwachs                                                 = 12 Tiere

8.2    Wildkrankheiten
Als häufigste Krankheiten kommen beim Steinwild Lungenentzündung, Gämsblindheit, Moderhinke, Lippen-
grind und Gämsräude vor. Steinböcke sind Träger von Innen- und Aussenparasiten.

In verschiedenen Steinwildpopulationen des Kantons St. Gallen tritt die Moderhinke vermehrt auf. Diese äus-
serst schmerzhafte und tödlich verlaufende Krankheit zeigt sich durch ungenügend abgenutzte Hufe und ver-
faultes Sohlen- und Ballenhorn. Betroffen sind hauptsächlich Böcke der oberen Mittelklasse und der Alters-
klasse.

Die Widerstandskraft gegen Krankheiten und Belastungen sowie die körperliche Leistungsfähigkeit hängt vom
sozialen Wohlbefinden, der Ernährung und vom Wetter ab. Erbliche Veranlagung, Stoffwechselstörungen,
Unfälle sowie Zahn- und Gelenkabnutzungen können zu gesundheitlichen Problemen führen. Den Tieren fehlt
dann die Widerstandskraft gegen Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten.

                                                                                                         13
8.3   Verletzungen und Unfälle
Das Steinwild lebt in einem gefährlichen Lebensraum mit grossen Verletzungsgefahren. Lawinen, Abstürze,
Steinschlag, Ertrinken in zugefrorenen Bergseen und Schussverletzungen gelten nebst der Jagd als häufigste
Todesursachen.

8.4   Prädation
Ausser dem Steinadler, welcher Kitze und schwache Jährlinge erbeuten kann, hat das Steinwild bei uns keine
Feinde. Es ist denkbar, dass es einem Luchs oder Fuchs in seltenen Fällen gelingen kann, ein Jungtier zu
reissen.

9. Jagd und Hege

9.1   Gesetzliche Grundlagen
Der Steinbock erhielt im Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel
vom 20. Juni 1986 (JSG) einen Sonderstatus. Er ist gemäss Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 eine geschützte Tierart.

JSG Art. 7 Abs. 3 regelt die Bejagungsmöglichkeit:

      Steinböcke können zur Regulierung der Bestände zwischen dem 1. September und dem
      30. November gejagt werden. Die Kantone unterbreiten jährlich dem Departement eine
      Abschussplanung zur Genehmigung.

Am 30. April 1990 erliess der Bundesrat die Verordnung über die Regulierung von Steinbockbeständen (VRS,
"Steinbockverordnung"). Sie regelt Bestandeserfassung, Jagdplanung, Abschussberechtigung und Ab-
schusskontrolle. Der Kanton St. Gallen teilt im Rahmen dieser Vorgaben den Revieren Abschusskontingente
zu.

9.2   Allgemeine Voraussetzungen für die Steinwildjagd
Die Steinböcke haben wie alle Wildtiere Anrecht auf artgerechte und ungestörte Lebensweise. Bund, Kantone
sowie Naturschutzorganisationen bemühen sich, dies sicherzustellen. Auch die Jägerschaft ist gefordert, ge-
gen Störungen und Übernutzungen der Lebensräume unserer wildlebenden Tiere einzutreten.

Die Bejagung trägt dazu bei, gesunde und den Lebensräumen angepasste Steinbock-Bestände zu erhalten.
Sie soll regulierend eingreifen, wenn dies notwendig erscheint. Natürliche Strukturen - im Bewusstsein, dass
die Natur stets die zum Überleben günstigsten Strukturen schafft - gelten als Ziel. Das Wohl der Tierart und
nicht die Bedürfnisse der Jäger müssen im Vordergrund stehen. Die Jagd nimmt Rücksicht auf Lebensge-
meinschaft, Art, Population, Tiergruppe, Begleittiere und das Einzeltier. So ist die Jagd tiergerecht und findet
Verständnis in der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit beobachtet das Tun der Jägerschaft sehr kritisch.

9.3   Abschussplanung
Um eine Population (siehe 8.1 Bestandesstruktur und Zuwachsrate) zu stabilisieren und natürliche Strukturen
zu erhalten, können höchstens 12 Prozent erlegt werden (=Zuwachs abschöpfen). Gesamthaft müssen mehr
weibliche Tiere entnommen werden. Der Grund liegt bei der höheren Mortalitätsrate, der langsameren Ent-
wicklung und der geringeren Lebenserwartung der männlichen Tiere. Somit würde sich längerfristig der Ab-
schuss im GV von 1:1 negativ auf die Sozial- und Altersstruktur der Böcke sowie das GV im Bestand auswir-
ken. Kitze und führende Geissen sind geschützt.

                                                                                                              14
Mit den Zielen, Bestand stabilisieren, Alters- und Sozialstruktur erhalten sowie Nachwuchsleistung erhalten,
ergäbe sich folgender Abschussplan:

-   Altersklasse:          2 Geissen, 2 Böcke
-   untere Mittelklasse:   1 Geiss, 1 Bock
-   Jugendklasse:          3 weibliche und 3 männliche Tiere

Sehr wichtig ist, dass in einem Steinwildbestand immer genügend reife Böcke leben. Auf Trophäen ausge-
richtete Jagd zerstört die soziale Organisation der Tiere.

9.4     Anforderungen an den Jäger
Die Steinwildjagd stellt hohe Anforderungen an den Jäger. Es werden Fachwissen, körperliche Leistungsfä-
higkeit, Ausdauer, Beharrlichkeit, gutes Ansprechvermögen und sicheres Schiessen vorausgesetzt. Der Jäger
sollte den Einfluss seines Tuns aus Sicht der Tiere beurteilen können. Oberstes Ziel ist, jagdliche Eingriffe
rücksichtsvoll und im Sinne der Steinbockpopulation zu tätigen.

Bei der Steinwildjagd im Kanton St. Gallen muss zwingend ein Revierpächter mitgehen, welcher die spezielle
Ausbildung für Steinwildjäger einmal besucht hat. Die Steinbockverordnung verlangt das. Weiter verpflichtet
sich der Jäger, den Abschuss von Steinwild am gleichen Tag dem zuständigen Wildhüter zu melden und das
erlegte Tier spätestens am Folgetag vorzuweisen. Von allen erlegten Tieren werden Geschlecht, Alter, Ge-
wicht, Körpermasse, Abschussort und Abschusszeit erhoben. Diese Masse zeigen Veränderungen in Konditi-
on und Konstitution der Tiere und erlauben, die Ziele der Jagdplanung zu überprüfen und gegebenenfalls
anzupassen.

9.5     Ansprechen
Die Hegejagd auf Steinböcke beginnt mit der Abschussplanung. Die Ab-
schüsse werden in Alters- und Geschlechterklassen zugeteilt. Also muss
der Jäger frei gegebene Tiere ansprechen können. Die folgenden Merk-
male beschreiben Tiere anfangs Oktober. Die Masse sind durchschnittli-
che Werte und dienen als Vergleich zwischen den verschiedenen Alters-
gruppen. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen von den geschilder-
ten Regeln.

Kitze                  Risthöhe unter 60 cm; Körperlänge weniger als
                       90 cm; Hornlänge weniger als 10 cm; Kopfform
                       von vorne gesehen gleichseitiges Dreieck; dunkle
                       Bauchseitenlinien wenig ausgeprägt und nicht
                       durchgehend; Fell hell (fahl); wirkt wollig; folgen
                       Muttertier oder anderen Rudelmitgliedern ausge-
                       prägt; beklettern Muttertiere; häufiger Körperkon-
                       takt; grosser Spieltrieb; neugierig; unerfahren;
                       tiefste Rangstellung; Hörnchen bei weiblichen Kit-
                       zen meist leicht einwärts gedreht; jene von Bock-
                       kitzen stärker gerillt; sichere Zuordnung beim Näs-
                       sen möglich.                                        Abbildung 11: Merkblatt Steinwild -
                                                                              Amt für Jagd und Fischerei Grau-
                                                                              bünden
Jährlinge weiblich     Risthöhe unter 68 cm; Körperlänge bis 110 cm;
                       Hornlänge bis etwa 15 cm; gut sichtbare Ein-
                       wärtskrümmungen der Hörnchen; Gesicht länger
                       als bei Kitzen; Körper wirkt schlank; nicht ausgewachsen; oft heller als Adulttiere;
                       Bauchbegrenzungslinie durchgehend; neugierig; gelegentliches Spielen mit Kitzen;
                       niedrige Rangstellung; nur gegen Kitze dominant; warnen wegen Unerfahrenheit als
                       Erste; erwachsene Rudelmitglieder beachten Warnung kaum.

Junge Geissen          Risthöhe über 70 cm; Körperlänge über 120 cm; schlanker Körper; noch nicht ausge-
                       wachsen, jugendliches Aussehen; niedrige Rangposition im Rudel; regelrechte Mitläu-
                       ferinnen; gute Verhärung; meist nicht führend; Keulenfleck sichtbar.

                                                                                                                 15
Mittelalte Geissen   Risthöhe gegen 80 cm; Körperlänge über 130 cm; ausgewachsen; ausgeglichene
                     Erscheinung; keine Alterszeichen; weniger gut konditioniert, weil mehrheitlich laktie-
                     rend; gute Rangposition; bestimmend; dominant gegenüber jedem Jährlingsbock; gut
                     und zeitig verfärbt.

Alte Geissen         Unharmonische Gesamterscheinung; Widerrist und Kreuz hervortretend; leicht hän-
                     gender Rücken; extrem runde Bauchlinie; eingefallene Keulen; breites Fressmaul; oft
                     Einziehen des Gehörns an den Spitzen; manchmal deutliche „Verjüngung“ der Horn-
                     basis; weniger glattes Fell; während des ganzen Sommers Reste von Winterhaaren
                     am Nacken und Hinterkopf; nicht mehr ganz zurückgebildetes Gesäuge auch bei
                     Galtgeissen; zunehmendes Grauwerden am Kopf; wirken kraushaarig; beim Äsen und
                     Wiederkäuen teilweise Zahnprobleme; langsame Bewegungen; halten sich gerne im
                     hinteren Teil einer ziehenden Gruppe auf.

Jährlinge männlich   Risthöhe unter 70 cm; Körperlänge etwa 110 cm; leicht kräftiger als weibliche Jährlin-
                     ge; nicht ausgewachsen; Hornbasis stärker als bei Geissen; Beginn Knotenbildung;
                     meist ein flacher und ein erster richtiger Schmuckknoten; wenn nicht ausgebildet, im
                     Haar oder an gewölbter Stirn sichtbar; dominieren nur Kitze und andere Jährlinge; pu-
                     bertieren und zeigen dies durch Schwanzhochklappen besonders in der Vorbrunftpha-
                     se in der Nähe von Weibchen an; Bauchbegrenzungslinie durchgehend; Penis und
                     Hodensack sichtbar; schlecht entwickelte Tiere werden gelegentlich mit Geissen ver-
                     wechselt; sichere Zuordnung beim Nässen möglich.

Junge Böcke bis 3+ Zweijährige gleich gross wie ausgewachsene Geissen; Dreijährige wenig grösser und
                   kräftiger; beide dominieren jede Geiss ausser während Brunft; am Gehörn gut erkenn-
                   bar; Knotenbildung lässt Grobeinteilung zu; Jahrringe für genaue Altersbestimmung;
                   halten sich sowohl im Scharwild wie in Bockgruppen auf; bilden gerne Trupps von jun-
                   gen Böcken; besteigen sich abwechselnd in sexueller Absicht; wirken selbstsicher;
                   warnen aus Unerfahrenheit; heller Bauch und weisse Laufzeichnung wie Geissen;
                   kein Bockbart.

Mittelalte Böcke     Gehörnmerkmale und besonders Jahresschub beachten; bei gesunden Tieren bis
                     Alter 8+ immer über 7 cm; gute Knotenausbildung bis zur Stirn; Jahrringe ermöglichen
                     genaue Altersbestimmung; kräftige Erscheinung; Laufzeichnungen verschwinden ab
                     6+ zunehmend; mit 8+ körperlich ausgewachsen; Sozialstellung im Rudel ihrem Alter
                     entsprechend; nie in bester Rangposition, wenn reifere Böcke anwesend; kämpfen oft
                     und ausdauernd; haben immer Bockbart.

Reife Böcke          Ausgewachsen; Risthöhe über 90 cm; Körperlänge etwa 165 cm; über 10 Jahre alt;
                     wirken sehr massig; ebenmässiger, kräftiger Körper; Hauptgewicht deutlich auf den
                     Vorderläufen; dominant; Knoten etwas abgerieben; letzte Knotenbildungen nicht mehr
                     ausgeprägt; letzte Jahresschübe unter 4 cm; bilden nur noch Hornleisten oder unre-
                     gelmässige Wülste; selbstsicher; erfahren; gelegentlich recht misstrauisch; dunkle
                     Winterfellfärbung; Reste von hellen Laufzeichnungen; dunkle, kraushaarige Bauchun-
                     terseite.

Alte Böcke           Widerrist und Kreuz hervorstehend; Rückenlinie leicht hängend; Flanken und Keulen
                     nicht mehr so muskulös; Kopf etwas tiefer getragen; runde Bauchlinie; während des
                     ganzen Sommers Winterhaare vom letzten Jahr am Nacken und auf der Stirn; verzö-
                     gerter Haarwechsel; nicht mehr schön kastanienbraun; eher graubraun und manchmal
                     fleckig durch hellere und dunklere Fellpartien; gelegentlich Gebissprobleme; langsa-
                     me, träge Bewegungen; folgen Bockrudeln nicht immer oder auf Distanz; Schmuck-
                     knoten als kleinste Wülstchen gebildet; darüber liegende Knoten stark abgenutzt;
                     mehrere geringe Jahresschübe bis etwa 2 cm sichtbar; kämpfen selten; behaupten
                     sich durch Imponierverhalten gegen die meisten Artgenossen.

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9.6     Jagd

9.6.1    Zur Ausrüstung
Der Steinwildjäger muss seine Ausrüstung den Verhältnissen im Gebirge anpassen. Ein guter Feldstecher
und ein Spektiv sind absolut notwendig. Die Waffe muss tadellos eingeschossen sein und der Jäger muss die
besonderen Bedingungen beim Schiessen im Hochgebirge kennen. Steilschüsse aufwärts und abwärts ver-
langen zusätzliche Überlegungen zum Zielpunkt und zum Auftreffwinkel am Tier. Der Abtransport der Beute
und dazu notwendiges Material müssen geplant werden. Manchmal braucht es helfende Jagdkameraden.
Helikoptertransporte sind untersagt.

9.6.2    Verhalten vor dem Schuss
Bereits auf grosse Distanz soll Steinwild grob angesprochen werden, ob sich ein zugeteiltes Tier im Verband
befindet. So können unnötige Annäherungen und Störungen vermieden werden.

Steinböcke sind in der Regel vertraut und lassen den Jäger auf Schussdistanz herankommen. Beim Angehen
der Tiere darf der Jäger durchaus gesehen werden. Es ist aber wichtig, dass er nicht als Gefahr scheint, son-
dern einfach toleriert wird. Der Jäger soll sich beim Annähern mit den Sinnen und Instinkten des Wildes aus-
einander setzen. Oder einfacher gesagt, er soll sich in die Rolle der Tiere versetzen und das Verhalten des
Menschen beurteilen.

Eigentliche Pirsch mit Anschleichen des Wildes ist nur in deckungsreichem und unübersichtlichem Gebiet
möglich.
Für das Ansprechen, natürlich mit guter Optik, soll sich der Jäger Zeit nehmen. Vor allem zu Geschlecht, Al-
ter, führend oder nicht, Gesundheit und Gewicht muss er sich ein abschliessendes Bild verschaffen können.

Der Jäger soll sein Interesse für ein bestimmtes Tier oder eine Gruppe nicht zeigen. Die Wildtiere merken
bald, dass die Annäherung ihnen gilt und werden misstrauisch. Es ist die Kunst des Jagens, aufmerksam
gewordenes Steinwild durch Pausen oder vermeintliches Desinteresse zu beruhigen.

Steinwild soll nie gedrückt oder getrieben werden, weil dadurch der Mensch viel zu offensichtlich als Gefahr
erkannt wird.

9.6.3    Der Abschuss
Das ausgewählte Tier muss frei und möglichst quer zur
Schussrichtung stehen. Es ist darauf zu achten, dass
der Ausschuss keine Begleittiere gefährdet und einen
einwandfreien Kugelfang findet.

Auf wegziehende oder gar flüchtende Tiere einer
Gruppe zu schiessen, bestätigt den Tieren die Richtig-
keit der Flucht. Die Tiere machen dabei Erfahrungen,
welche künftige Jagden wesentlich erschweren kön-
nen.

Der Schuss muss dem Tier aus einer guten Stellung
angetragen werden. Das Zeichnen des beschossenen
Tieres ist genau zu beobachten. Sofort nachladen.
Steinwild gilt als „harte“ Wildart. Auch gute Treffer be-
wirken nicht immer ein sofortiges Hinfallen. Fällt ein
Tier im Feuer, so ist immer an eine lähmende, aber          Abbildung 12: Freude über einen gelungenen Abschuss
nicht tötende Wirkung des Schusses zu denken, was
einen zweiten Schuss erfordern würde.

9.6.4    Verhalten nach dem Schuss
Nach dem Schuss heisst es warten, selbst wenn das beschossene Tier nicht mehr sichtbar ist. Die Reaktion
der Begleittiere ist mit einzubeziehen. Oft, besonders beim Abschuss von rangniedrigen Tieren, reagieren
Begleittiere kaum. Nach kurzer Verwunderung äsen oder ruhen sie weiter. Es gilt, weiter Geduld zu üben.
Irgendwann verziehen sich die Tiere, weil sich eines ungewöhnlich verhält, sich nicht mehr bewegt, vielleicht

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anders riecht oder wegrutscht. Die Steinböcke sollen keinen Zusammenhang zwischen Mensch und Schuss
sowie dem Verlust eines Gruppenmitgliedes sehen.

Steinböcke dürfen durch die Jagd nicht zu Fluchttieren werden. Bei Gefahr klettern sie in Felsen ein und ent-
ziehen sich so der Bedrohung. Rücksichtslose Abschüsse bewirken, dass Gebiete gefährlich erscheinen und
die Tiere diese meiden. Das müsste als grosse Störung gewertet werden. Gleiches gilt auch für offensichtli-
che Verhaltensänderungen, verursacht durch schlechte Erfahrungen mit der Jagd.

Steinwild verhält sich bei Abschüssen eines Rudelmitgliedes unterschiedlich, je nachdem ob sie auf einem
Wechsel, einer Austrittsfläche oder in einem Rückzugsgebiet erfolgen. In Rückzugsgebieten reagieren die
Tiere besonders empfindlich.

Nachsuchen auf Steinwild sind wegen des Geländes schwierig. Deshalb kommen dafür nur fähige, gelände-
taugliche Jäger und Hunde in Frage. Selbstverständlich gelten die Grundsätze der Nachsuche.

Kurz zum Aufbrechen, Transportieren und Lagern: Das tote Tier ist nun ein Lebensmittel und dementspre-
chend zu behandeln. Die Fleischhygiene muss gewährleistet werden. Zudem sind Aufbrüche nie im Bereich
von Wegen oder im Wasser zurückzulassen.

10. Schlussbemerkungen
Diese Ausführungen ergänzen den Ausbildungsvortrag für Steinwildjäger. Das Amt für Jagd und Fischerei
bemüht sich, das Interesse der Jäger an dieser Tierart zu fördern. Die Beobachtungen der Wildhüter zum
Verhalten der Steinböcke geben wir gerne weiter und hoffen, den Wissensstand der Jäger zu bereichern.
Dies soll motivieren, die Tiere selbst genau zu beobachten und zu studieren. Für eine vertiefte Weiterbildung
steht umfangreiche Fachliteratur zur Verfügung.

11. Weiterführende Literatur
-   Aeschbacher & Arnold (1973/74): Das Brunftverhalten des Alpensteinbockes.
-   Bächler E. (1919): Die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in den Schweizeralpen.
-   Giacometti M. (1991): Beitrag zur Ansiedlungsdynamik und aktuellen Verbreitung des Alpensteinbockes
    im Alpenraum.
-   Giacometti M. (1988): Zur Bewirtschaftung der Steinbockbestände.
-   Lüps P. (1995): Der Steinbock.
-   Meile P., Giacometti M., Ratti P. (2003): Der Steinbock.
-   Müller F. (1985): Das Alpensteinwild, wildbiologische Informationen für den Jäger.
-   Ratti P. und Habermehl K-H. (1977): Untersuchungen zur Altersschätzung und Altersbestimmung beim
    Alpensteinbock.
-   Ratti P. (1978) Zur Hege des Steinwildes im Kanton Graubünden.
-   Riedi F. (2001). Veränderungen von Fluchtverhalten und Raumnutzung des Alpensteinbockes.

Amt für Natur, Jagd und Fischerei, 8. Mai 2021

Urs Büchler
Kant. Wildhüter

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