Ausbildung zur Steinbockjagd - Kanton St. Gallen
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Kanton St.Gallen Amt für Natur, Jagd und Fischerei Ausbildung zur Steinbockjagd Alpensteinbock (Capra ibex), Volkswirtschaftsdepartement
Inhaltsverzeichnis 1. Verbreitung ............................................................................................................................................... 3 2. Lebensraum ............................................................................................................................................. 4 3. Nahrung.................................................................................................................................................... 5 4. Körpermerkmale....................................................................................................................................... 5 5. Verhalten .................................................................................................................................................. 9 6. Fortpflanzung ......................................................................................................................................... 11 7. Sozialorganisation .................................................................................................................................. 12 8. Bestandesdynamik ................................................................................................................................. 12 9. Jagd und Hege ....................................................................................................................................... 14 10. Schlussbemerkungen ............................................................................................................................ 18 11. Weiterführende Literatur ........................................................................................................................ 18 2
1. Verbreitung 1.1 Ausrottung Der Steinbock ist ein faszinierender Bewohner unserer Bergwelt. Im Mittelalter war er über weite Teile der Alpen verbreitet, anfangs des 19. Jahrhunderts aber bereits ausgerottet. Folgende Gründe waren für die Ausrottung verantwortlich: 1. Steinböcke sind von Natur aus neugierig. Beim Flüchten bringen sie keine grosse Distanz zwischen sich und den Feind. Ihrem Sicherheitsbedürfnis entsprechend klettern sie lediglich in Felsen ein. Sie bleiben dabei in der Reichweite von Waffen. 2. Die rücksichtslose Jagd auf Steinböcke geschah einerseits wegen des Wildbrets und der Freude an den schmucken Trophäen. Anderseits fielen die Tiere auch dem Aberglauben zum Opfer. Den Körperteilen des Steinbockes wurden heilende und magische Kräfte nachgesagt. 3. Mit dem Aufkommen von Schusswaffen im 15. Jahrhundert setzte eine unkontrollierte Verfolgung des Steinwildes ein. Bereits im 16. Jahrhundert war der Steinbock in den Schweizer Alpen selten geworden und in einigen Regionen ausgerottet. 1809 wurde der letzte, freilebende Steinbock der Schweiz in den Walliser Alpen erlegt. Nur am Gran- Paradiso, im Grenzgebiet zwischen Aostatal und Piemont, überlebten einige Dutzend Tiere. 1.2 Wiederansiedlung Das Bundesgesetz über die Jagd und den Vogelschutz von 1875 legte erste gesamtschweizerische Mass- nahmen zum Schutz und zur Wiedereinbürgerung des Steinbocks fest. Darin hiess es, dass „weibliche Tiere weder gefangen noch geschossen werden dürfen, ebenso wenig Steinböcke, wo und wann immer sich solche zeigen mögen“. Am Anfang des letzten Jahrhunderts wurden junge Steinböcke von Italien in die Schweiz geschmuggelt und im Tierpark Peter und Paul, St. Gallen aufgezogen. Am 8. Mai 1911 erfolgte im Weisstannental (SG), die erste Aussetzung von fünf Steinböcken aus dem Gehe- ge des Tierparks Peter und Paul. Es folgten weitere Freilassungen in den Grauen Hörnern, anfänglich mit Gehegetieren und ab 1938 mit eingefangenen Wildtieren aus besser gedeihenden Kolonien. Heute leben in den Schweizer Bergen in etwa 60 Kolonien wieder rund 18'000 Steinböcke. Im gesamten Alpenbogen wird der Bestand auf 40'000 Tiere geschätzt. 3
1.3 Das Steinwild im Kanton St. Gallen Im Kanton St. Gallen gibt es heute fünf Steinwildkolonien: Alpstein Churfirsten Foostock Graue Hörner Calanda Abbildung 1: Steinwildkolonien im Kanton St. Gallen Kolonie Bestand Gründungsjahr/Erstbesiedlung Graue Hörner 400 1911 Alpstein 180 1955 Calanda 100 1958 Foostock 350 1961 Churfirsten 240 1985 2. Lebensraum Der Alpensteinbock bewohnt steile, felsige und reich gegliederte Gebiete oberhalb der Waldgrenze zwischen 1'600 und 3'200 m ü. M. Er bevorzugt niederschlagsarmes Klima. Extremen Kältebelastungen hält er ohne weiteres stand. Wintereinstände befinden sich bevorzugt in steilen, südexponierten Hängen. Nebst Äsungsflächen ist der Steinbock auf Windschutz und Unterstände gegen Lawinen angewiesen. Kuppenlagen und abgeblasene Gra- te erleichtern ihm Fortbewegung und Nahrungssuche. In steilen Lagen rutscht der Schnee schnell ab. So kann der Steinbock Nahrung frei scharren. Auch obere Waldpartien, die Kampfzonen des Gebirgswaldes, und Schluchten können seine Bedürfnisse decken, sofern sie Felsen aufweisen. Im Frühjahr sind Steinböcke gelegentlich in tieferen Lagen anzutreffen, wo sie erste Grünäsung finden. Dazu steigen sie gebietsweise durch den Bergwald ab. Im Sommer werden mit Grasbändern durchsetzte Berge besiedelt. Nebst Äsung und Gelegenheit zur Mine- ralstoffaufnahme braucht der Steinbock in Sommereinständen schattige und kühle Plätze. Er nutzt die Struk- turvielfalt seines Lebensraumes. Geissen mit ihren Kitzen haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis als die Böcke und fühlen sich in steilen und unzugänglichen Gebieten sicher. 4
Die höchsten Lagen besiedeln Steinböcke im Spätsommer und Herbst. Bei frühen Wintereinbrüchen werden die Wintereinstände rasch aufgesucht und auch bei besserem Wetter nur noch zögerlich verlassen. Steinböcke besiedeln neue Gebiete zaghaft und erst, wenn diese durch Pionierleistungen von Artgenossen zuvor begangen wurden. Solche Gebietserschliessungen leiten vorwiegend Böcke auf ihren ausgedehnten Herbstwanderungen ein. Der Lebensraum wird in der Regel entlang von Gebirgszügen ausgedehnt. Tiefe Täler und Gletschergebiete werden kaum überschritten und bilden somit natürliche Grenzen. Das Scharwild ist sehr standorttreu. Für die Tiere ist es von Vorteil, die besonders im Winter gefährlichen Berge als „ihr Ge- biet“ zu kennen. 3. Nahrung Die Äsung der Steinböcke besteht zum Hauptteil aus Gräsern (80 - 90 %). Zudem werden Kräuter, Moose und Flechten (10 - 15 %) sowie wenig Holzgewächse (2 - 5 %) aufgenommen. Der Steinbock kann wenig eiweiss- und energiehaltige Äsung gut verwerten. Der Rohfaseranteil ist hoch. Je nach Jahreszeit und Aufenthaltsort ändert sich die Nahrung des Steinbockes. Er passt sich den vorhande- nen Futterpflanzen an und findet sich in verschiedensten Pflanzengesellschaften zurecht. Im Winter äsen Steinböcke genügsam die strohähnlichen, winterharten Seggen. Sie finden unter dem Schnee immer etwas grüne Nahrung. Zwergsträucher werden häufig genutzt. Bei Gelegenheit werden Zweige und Triebe von Bäumen und Sträuchern abgeäst. Im Frühjahr gibt der Schnee die braungrauen Grasbüschel vom Vorjahr frei. Dazwischen spriessen grüne Triebe. Der Steinbock äst beides. Gerne nimmt er auch Knospen, Blätter und Stängel von Pflanzen tieferer Lagen sowie Triebe von Sträuchern und Jungbäumen der Waldzone. Im Frühsommer ergrünen die alpinen Weiden. Frisches Gras und Bergblumen bilden jetzt die Hauptnahrung. Manchmal werden auch ganze Pflanzen ausgezerrt und samt Wurzeln gefressen. Oft wird ausdauernd in der offenen Schuttvegetation geäst. Im Herbst frisst der Steinbock saftige Blätter und Stängel, um Fettreserven für den Winter anzulegen. Ge- schickt nützt er zum Beispiel Disteln. Aber auch in Schutthalden und an Pionierpflanzenstandorten sucht er ausdauernd seine Nahrung. Ganzjährig, aber vor allem zu frischer Grünäsung, wird gerne Salz aufgenommen. 4. Körpermerkmale 4.1 Äussere Erscheinung Der Alpensteinbock besitzt einen massigen, gedrungenen Körper auf stämmigen Läufen. Der Bock trägt ei- nen kurzen Kinnbart. Die Geiss ist kleiner und zierlicher gebaut. Die Steingeiss hat zwei Zitzen. Steingeissen sind mit 4 - 5 Jahren ausgewachsen und erreichen ein Gewicht von rund 30 kg ausgeweidet (siehe Abb. 2). Bei Böcken steigt das Gewicht bis ins Alter von 7 - 8 Jahren stetig an. Das durchschnittliche Gewicht ausgewachsener Böcke beträgt 70 kg ausgeweidet (siehe Abb. 3 und 9.5 Ansprechen). 5
Körpermasse von Steingeissen 160 140 120 in kg bzw. cm 100 80 60 40 20 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Alter Körpergewicht (ausgeweidet) Körperlänge Brustumfang Schulterhöhe Hornlänge Abbildung 2: Körpermasse von Geissen (Quelle: MEILE et al. 2003) Körpermasse von Steinböcken 180 160 140 120 in kg bzw. cm 100 80 60 40 20 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Alter Körpergewicht (ausgeweidet) Körperlänge Brustumfang Schulterhöhe Hornlänge 4.2 Gehörn Abbildung 3: Körpermasse von Böcken (Quelle: MEILE et al. 2003) 6
Das Gehörn ist das auffälligste Merkmal des Steinbockes. Die spitz auslaufenden, säbelförmigen Hörner wachsen auf Stirnzapfen. Beim Bock bilden sich an der Vorderkante ab dem zweiten Lebensjahr auffällige Schmuckknoten, in der Re- gel jedes Jahr zwei, selten drei oder nur einer. Die Ausprägung der Knoten wird ab sechs Jahren geringer. Es entstehen dann nur noch unregelmässige Wülste, später im fortgeschrittenen Alter nur noch dünne Leisten. Die Hornbasis ist bei jungen Böcken oval, später ein abgeflachtes Oval und bei alten Böcken eher ein Vier- eck. Die Hornschläuche erreichen Längen bis über 100 cm. Steingeissen entwickeln nur geringe Schmuckringe. Ihre Hörner sind deutlich kürzer und feiner. Sie eignen sich besser als Verteidigungswaffen gegen Raubfeinde als jene der Männchen. Steingeissenhörner sind sel- ten mehr als 35 cm lang. Die Hörner wachsen an der Basis nach und werden lebenslang getragen. Der jährliche Wachstumsunter- bruch zwischen November und März zeichnet sich als eine Einschnürung der Hornschläuche, so genannte Jahrringe, ab. Sie erlauben eine zuverlässige Altersbestimmung. Schmuckknoten Abbildung 4: Steinbock 7+ Jährling Kitz Kitz Jährling Abbildung 5: Steingeiss 8+ 7
4.3 Gebiss Kitz bei Geburt 0 Jd 0 Cd 3 Pd 3 Jd 1 Cd 3 Pd = 20 Zähne Kitz zur Jagdzeit 0 Jd 0 Cd 3 Pd 1 M 3 Jd 1 Cd 3 Pd 1 M = 24 Zähne Jährling zur Jagdzeit 2 mittlere Schneidezähne gewechselt oder am Wechseln (etwa 15. Monat) M2 durchgebrochen (15. - 18. Monat) 5 Backenzähne auf jedem Kieferast, der dritte Prämolar ist dreiteilig Steinbock 2+ 4 Schneidezähne gewechselt oder am Wechseln (28. - 30. Monat) M3 durchgebrochen und die Prämolaren gewechselt oder gerade am Wechseln. Dritter Prämolar als Dauerzahn zweiteilig. 6 Backenzähne auf jedem Kieferast. Jd 3 und Cd sind noch Milchzähne. Steinbock 3+ 6 Schneidezähne gewechselt (36. - 40. Monat) Nur noch die Eckschneidezähne (Cd) sind Milchzähne. Steinbock 4+ 8 Schneidezähne gewechselt (C erscheint im 44. - 47. Lebensmonat) Mit 4 Jahren ist das Dauergebiss vollständig. Die Abnutzung der Dauerschneidezähne und der Backenzähne lässt Rückschlüsse auf das Alter zu. Es gilt zu beachten, dass der Abschliff wegen unterschiedlichen Zahnhärten bei Böcken geringer ist als bei Geissen. 4.4 Haarkleid und Haarwechsel Angepasst an den alpinen Lebensraum wechselt der Steinbock sein Haarkleid nur einmal im Jahr. Von April bis Juni verliert er das Winter- sowie das Sommerhaar des Vorjahres. Gleichzeitig wächst das neue, fahl- braun-rötlich-graue Sommerkleid. Im Oktober durchwachsen die Woll- und Deckhaare des Winterfells die Sommerhaare. Geissen und junge Böcke erscheinen nun eher graubraun, reifere Böcke kastanienbraun bis sehr dunkelfarbig. Die Sonne bleicht das Winterfell zunehmend. Die Haare werden brüchig. Im Frühjahr fällt das Haar in Büscheln aus oder wird am Boden und an Felskanten abgerieben. Die abgeflachte Schwanzun- terseite ist wie bei allen echten Ziegenarten nackt. Verzögerter Haarwechsel deutet auf eine schlechte Körperverfassung hin. Jährlinge, welche als Kitz den Win- ter nur knapp überlebten, sowie alte Tiere, welche sich mühsam von den Strapazen des Winters erholen, brauchen am längsten. Am 1. September bei Beginn der Jagdzeit auf Steinböcke tragen normal entwickelte Tiere das fertige Som- merkleid. 8
Abbildung 6: links Steinbock, rechts Gämse 4.5 Fährten und Losung 4.6 Sinnesorgane und Sinnesleistung Steinböcke sind Augentiere. Sie sehen vorzüglich. Das Auge mit waagrechtem Pupillenschlitz für breiten Lichteinfall und die seitliche Lage, ganz aussen am Kopf, lassen fast ein Rundumsehen zu. Steinböcke hören ausgezeichnet. Auch der Geruchsinn ist gut ausgeprägt, scheint aber mehrheitlich für in- nerartliche Bedürfnisse genutzt zu werden. Alle Steinböcke „pfeifen“ bei Gefahr und als Warnung (Nasenlaut). Ebenfalls ist bei ihnen ein eigenartiges „Schnauben“ oder „Knuffeln“ zu hören. 5. Verhalten 5.1 Fortbewegung Der Steinbock ist ein Paarhufer. Seine Hufe müssen hohen Anforderungen genügen. So sind Fussmechanik und Fussaufbau für felsige Unterlagen geschaffen. Zum Abnützen der nachwachsenden Hufränder braucht er Felsen. Der harte, widerstandsfähige Hufrand gibt ihm vorzüglichen Halt auf kleinsten Felsrippen. Die wei- chen, stark mit Tastnerven durchzogenen Ballen können feinste Unebenheiten auf glattem Fels wahrnehmen und Halt finden. Die Afterklauen sind weicher als die Hauptklauen und geben beim Abwärtsklettern zusätzli- chen Halt. Steinwildhufe sind weniger spreizbar als jene der Gämsen und eignen sich weniger gut zum Ge- hen auf Schnee. 5.2 Tagesrhythmus Im Sommer äst Steinwild frühmorgens und abends, in hellen Nächten nachts. Während der Tageshitze sucht es Schatten und ruht sich wiederkäuend aus. Während den kurzen Wintertagen werden die Tiere spät am Morgen aktiv. Sie nutzen fast den ganzen Tag zur Nahrungssuche und ruhen wenig. Wenn immer möglich geniessen sie die wärmende Sonne. Beim Eindunkeln suchen sie Schlafplätze im Schutz der Felsen auf. 9
5.3 Sozialverhalten 5.3.1 Rangordnung Horngrösse und Alter bestimmen die soziale Stellung bei Böcken und Geissen. Diese Ranganzeiger ermögli- chen voraussagbare Sozialbeziehungen. Sie vermeiden Kämpfe. Bei gleich alten Rivalen funktioniert das aber nicht. Von Frühling bis Herbst sind in den Bockgruppen ständig Rangord- nungskämpfe zu beobachten. Diese sind stark ritualisiert und führen selten zu Verletzungen. Durch Hornschlagen, Hornschieben, durch Aufrichten und Hornschläge auf das Gehörn des Gegners sowie Körper- schieben in seitlich paralleler Stel- lung werden Kraft und Ausdauer Abbildung 7: Hornschieben gemessen und die Rangposition unter etwa gleich alten Böcken fest- gelegt. Zu heftigen Schlagattacken, welche auch auf den Körper und nicht nur auf das Gehörn eines Rivalen gerich- tet sind, kommt es nur während der Brunft. Das geschieht beim Übergang von der Gemeinschaftsbrunft zur Einzelbrunft, wenn Rivalen nicht genügend Distanz zum dominantesten Bock halten. Nur dann sind gefährli- che, sichelartige Bewegungen mit der Hornspitze gegen den Nebenbuhler zu beobachten. Geissen behaupten ihren Rang mit kurzen Hornschlagduellen. Sehr oft werden Hornstösse ausgeführt, denen die Gegnerin auszuweichen vermag. Es sind kurze Streitigkeiten zwischen ähnlich ranghohen Tieren. Die Rangordnung scheint durch die Gehörngrösse, das Alter und die Erfahrung festzustehen. Es genügt kurzes Drohen oder Imponieren, da sich die Mitglieder der Geissengruppen kennen. Unterlegene Geissen versuchen mit langsamem Hin- und Herschwenken des Kopfes die Situation zu beschwichtigen. Kitze tragen mit ihren noch kaum vorhandenen Hörnchen spielerisch Kämpfe aus. So erlernen sie das rituali- sierte Verhalten für die häufigen Schaukämpfe im späteren Leben. 5.3.2 Brunftverhalten Die Brunft gliedert sich in verschiedene Phasen. Im Oktober gehen die Böcke in kleinen Trupps auf Wander- schaft und erkunden auch die entferntesten Geissengruppen der Population. Nachher treffen sie sich kurz in Vorbrunfteinständen wieder und suchen dann die Geissenrudel auf. Im November interessieren sie sich auf- fällig für die Geissen. Dabei sind differenzierte Werbesequenzen zu beobachten. Die eigentliche Brunft ist im Dezember und Januar. Nun werben Böcke in der Gemeinschaftsbrunftphase um die Geissen. Wird eine Geiss paarungsbereit, hält sich nur noch der dominanteste Bock im Einzelbrunftverhalten bei ihr auf. Sämtli- che Rivalen werden auf Distanz gehalten. In dieser Phase verschafft sich der beschlagende Bock durch hefti- ge Attacken gegen Rivalen Respekt. Nach dem Beschlag „bewacht“ der dominante Bock die immer noch paarungswillige Geiss etwa 24 Stunden. Die Hauptbeschlagszeit ist Ende Dezember/Anfang Januar. Böcke regeln ihre Beziehungen gegenüber Rivalen durch Drohen, Hornschlagen, Kämpfen und Abwehr- schlagen. Zudem haben Gehörn, Fellfarbe, Schwanzhochklappen sowie Geruch und Beharnen der Vorder- läufe gegenüber Rivalen Signalwirkung. 10
Das Werbeverhalten gegenüber Weibchen besteht aus folgenden Elementen: Geruch, Fellfarbe, Brunftmeckern, Schwanz hochklappen, Folgen, Kontrolle von Nässstel- len, Flehmen, Kopfrotieren, Laufschlagen, Ausschachteln der Brunftrute, Masturbieren, Normalhaltung, Streckhaltung, Gehörnabsen- ken, Beharnen von Brust und Vorderläufen, Zungenflippern, Annähern und Berühren der Flanken mit den Vorderlaufinnenseiten, Be- winden und Belecken des Genitalbereiches der Geiss, Aufreitversuche und schliesslich Abbildung 8: Der Steinbock hebt das Haupt und flehmt mit hochgezo- Beschlag im Hochöstrus, hernach Bewachung. gener Oberlippe. Dabei züngelt er sichtbar mit dem Lecker Umworbene Geissen reagieren mit Abwehr- schlagen, Harnen, Ausweichen, Normalhaltung, Wechseln, Schwänzeln, Zurückschauen (nicht um den Bock zu sehen, sondern als Aufforderung) und paarungsbereit Stehenbleiben bei Aufreitversuchen des Bockes und schliesslich mehrfacher Duldung des Beschlages. Von Böcken ist während der Brunft zeitweise ein auffälliges, gepresstes Meckern (Brunftmeckern) zu hören. 6. Fortpflanzung 6.1 Entwicklung Das Steinbockkitz kommt sehend zur Welt. Nach wenigen Minuten steht es auf seinen wackligen Beinen und schon nach Stunden kann es seiner Mutter ein wenig folgen. Mit anderthalb bis zwei Jahren wird das Tier geschlechtsreif. Geissen setzen mit 3 - 5, selten schon mit 2 Jahren ihr erstes Kitz. Sie sind bis ins hohe Alter fortpflanzungsfähig. Böcke wachsen langsamer und beteiligen sich erst später erfolgreich an der Fortpflan- zung. Mit 10 - 12 Jahren erreicht der Bock den Höhepunkt seiner körperlichen Entwicklung. Dann setzt lang- sam, wenige Jahre später sehr rasch der Rückgang seiner Kräfte ein. Böcke werden selten über 15, Geissen hingegen durchaus über 20 Jahre alt. 6.2 Trächtigkeit und Kitzaufzucht Nach einer Tragzeit von 164 - 170 Tagen (etwa 24 Wochen) kommen ein, selten zwei Kitze auf die Welt. Die Setzzeit liegt im Juni. Frühgeburten und Tragzeitverlängerungen sind möglich. Steinkitze wiegen bei der Ge- burt 2 bis knapp 3 kg. Im Verhältnis zum Gewicht des Muttertieres sind Steinkitze bei der Geburt etwas klei- ner und leichter als beispielsweise Gämskitze. Es ist für sie wichtig, sofort stehen zu können, um das Gesäu- ge der Mutter zu erreichen. Beim Ablecken der Fruchthülle hilft ihm die Mutter, indem sie das Kitz mit der Nase stupst. Neugeborene Kitze sind von auffallend heller Farbe. Anfänglich lässt die Steingeiss das Kitz an geschützter Stätte zurück, während sie in der Nähe äst. Schon nach wenigen Tagen folgen die Kitze der Mut- ter. Führende Geissen finden sich dann wieder zu Rudeln zusammen. Kitz und Geiss bauen eine enge Mut- ter-Kind-Beziehung auf. Kitze haben einen ausgeprägten Spielsinn und üben sich geschickt im Klettern und Springen. Oft beklettern sie recht übermütig das ruhende Muttertier. Die Hörnchen beginnen wenige Wochen nach der Geburt auf den sich bildenden Hornfortsätzen des Schädels zu wachsen. Kitze meckern, sobald sie sich verlassen fühlen. Geissen meckern, wenn sie ihr Kitz suchen oder manchmal ganz unterdrückt (nasaler Laut), wenn sie mit ihm Kontakt halten. Das Gesäuge der trächtigen Geiss schwillt einige Tage vor der Geburt merklich an. Es ist im Sommerhaar gut zu sehen. Die freien Höfe um die beiden Zitzen sind bei genauem Hinsehen auch im Winterhaar sichtbar. 11
7. Sozialorganisation Steinböcke verteidigen keine Territorien. Wäh- rend der Brunft leben sie in gemischt- geschlechtlichen Verbänden. Im Frühling sammeln sich die Böcke zu grösseren Rudeln und besiedeln die tiefsten Lagen. Gemeinsam ziehen sie beständig den ausapernden Som- mereinständen zu. Auch die Geissen und das Jungwild stehen im Frühling zuerst in tiefen Lagen. Die Geissen steigen im Gelände schneller und zielstrebiger an. Die nahende Geburt leitet sie. Dafür brauchen sie sichere Rückzugsgebiete. Die letztjährigen Kitze und die Begleittiere werden zurückgelassen. Es kommt vor, dass kleine Gruppen mit Jährlin- gen und anderen Jungtieren ohne Geissen unterwegs sind. Diese Gruppen kehren oft wieder zu den Winterhabitaten zurück. Offen- bar gibt es ihnen Sicherheit, sich in bekann- tem Gebiet aufzuhalten. Die zunehmende Wärme zwingt sie zum Anstieg in die kühleren Höhen, wo die Gruppen wieder mit den Mut- tertieren und dem neuen Nachwuchs zusam- mentreffen und grosse Scharwildrudel bilden. Im Spätsommer und Herbst sind die höchsten Lagen erreicht. Junge Böcke der Klassen 2+ und 3+ pendeln zwischen den Bockgruppen und dem Scharwild hin und her. Sie sind in beiden Verbänden anzutreffen. Böcke unter- stehen nicht der gleichen Bedrohungssituation wie Geissen in der Sorge um ihre Kitze, wes- halb sie durchaus auch zugänglichere und weniger exponierte Habitate besiedeln. Die Abbildung 9: Bei der Abwehr von Feinden - Steingeissen schützen ihre Kitze sehr aufmerksam reinen Bockgruppen teilen sich im Oktober auf und gehen in kleinen Trupps oder als Ein- zelgänger auf den Vorbrunftwanderungen weit im Gebiet herum. Im November kommen sie rechtzeitig vor der Brunft in die Nähe der Weibchen. Beim Abklingen des Brunftbetriebes verlassen die alten Böcke die Geissengruppen zuerst. Ihnen folgen reife und mittelalte Böcke. Nur die jüngeren verbleiben den ganzen Win- ter bei den Geissen. Diese Trennungen sind aber nicht immer sehr deutlich, weil die begrenzten Winterhabi- tate und die Schneelagen dies nicht überall zulassen. 8. Bestandesdynamik 8.1 Bestandesstruktur und Zuwachsrate Jeder Tierbestand wächst durch Geburten sowie Zuwanderungen und schrumpft durch Todesfälle sowie Ab- wanderungen. Diese Entwicklung heisst Populationsdynamik. Tierpopulationen nehmen bei guten Lebensraumverhältnissen (Raum, Nahrung usw.) zu. Wenn die Lebens- grundlagen nicht genügen, stagniert die Population. Bei Übernutzung der Habitate gehen die Bestände zu- rück oder brechen sogar zusammen. 12
Untersuchungen in freier Wildbahn zeigten, dass gegen 90 % aller geschlechtsreifen Steingeissen trächtig werden. Die Geburtenrate liegt etwas tiefer. Die Grösse der Neugeborenensterblichkeit ist unbekannt. Kitze haben auch im Sommer eine höhere Sterblichkeit als die übrigen Tiere des Bestandes. Frei lebende, natürlich strukturierte Steinbockpopulationen weisen einen Nachwuchsanteil (Kitze) von etwa 25 % auf. Von diesem Nachwuchs sterben im Winter 30 - 50 %. Im Normalfall gehen 2 - 7 % der subadulten und adulten Tiere als Fallwild ab. Somit liegt die Zuwachsrate einer Steinwildkolonie meist unter 15 %. Ein Steinbockbestand von 100 Tieren (ohne Kitze) weist ungefähr nachstehende Alterspyramide auf: 21+ 20+ 19+ 18+ 17+ 16+ Altersklasse 10 % 15+ 14+ 13+ 12+ 11+ 10+ 9+ 8+ obere Mittelklasse 35 7+ % 6+ 5+ 4+ untere Mittelklasse 30 % 3+ 2+ Jugendklasse 25 % 1+ Kitze 15 10 5 0 5 10 15 Geissen Böcke 53% 47% Abbildung 10: Alterspyramide beim Steinwild Nachwuchsleistung eines Steinwildbestandes von 100 Tieren = 25 Kitze Zuwachserfolg (bei 40 % Kitzmortalität im Winter) = 15 Tiere Fallwildanteil ohne Kitzmortalität (Annahme) = 3 Tiere Folglich realer Zuwachs = 12 Tiere 8.2 Wildkrankheiten Als häufigste Krankheiten kommen beim Steinwild Lungenentzündung, Gämsblindheit, Moderhinke, Lippen- grind und Gämsräude vor. Steinböcke sind Träger von Innen- und Aussenparasiten. In verschiedenen Steinwildpopulationen des Kantons St. Gallen tritt die Moderhinke vermehrt auf. Diese äus- serst schmerzhafte und tödlich verlaufende Krankheit zeigt sich durch ungenügend abgenutzte Hufe und ver- faultes Sohlen- und Ballenhorn. Betroffen sind hauptsächlich Böcke der oberen Mittelklasse und der Alters- klasse. Die Widerstandskraft gegen Krankheiten und Belastungen sowie die körperliche Leistungsfähigkeit hängt vom sozialen Wohlbefinden, der Ernährung und vom Wetter ab. Erbliche Veranlagung, Stoffwechselstörungen, Unfälle sowie Zahn- und Gelenkabnutzungen können zu gesundheitlichen Problemen führen. Den Tieren fehlt dann die Widerstandskraft gegen Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten. 13
8.3 Verletzungen und Unfälle Das Steinwild lebt in einem gefährlichen Lebensraum mit grossen Verletzungsgefahren. Lawinen, Abstürze, Steinschlag, Ertrinken in zugefrorenen Bergseen und Schussverletzungen gelten nebst der Jagd als häufigste Todesursachen. 8.4 Prädation Ausser dem Steinadler, welcher Kitze und schwache Jährlinge erbeuten kann, hat das Steinwild bei uns keine Feinde. Es ist denkbar, dass es einem Luchs oder Fuchs in seltenen Fällen gelingen kann, ein Jungtier zu reissen. 9. Jagd und Hege 9.1 Gesetzliche Grundlagen Der Steinbock erhielt im Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel vom 20. Juni 1986 (JSG) einen Sonderstatus. Er ist gemäss Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 eine geschützte Tierart. JSG Art. 7 Abs. 3 regelt die Bejagungsmöglichkeit: Steinböcke können zur Regulierung der Bestände zwischen dem 1. September und dem 30. November gejagt werden. Die Kantone unterbreiten jährlich dem Departement eine Abschussplanung zur Genehmigung. Am 30. April 1990 erliess der Bundesrat die Verordnung über die Regulierung von Steinbockbeständen (VRS, "Steinbockverordnung"). Sie regelt Bestandeserfassung, Jagdplanung, Abschussberechtigung und Ab- schusskontrolle. Der Kanton St. Gallen teilt im Rahmen dieser Vorgaben den Revieren Abschusskontingente zu. 9.2 Allgemeine Voraussetzungen für die Steinwildjagd Die Steinböcke haben wie alle Wildtiere Anrecht auf artgerechte und ungestörte Lebensweise. Bund, Kantone sowie Naturschutzorganisationen bemühen sich, dies sicherzustellen. Auch die Jägerschaft ist gefordert, ge- gen Störungen und Übernutzungen der Lebensräume unserer wildlebenden Tiere einzutreten. Die Bejagung trägt dazu bei, gesunde und den Lebensräumen angepasste Steinbock-Bestände zu erhalten. Sie soll regulierend eingreifen, wenn dies notwendig erscheint. Natürliche Strukturen - im Bewusstsein, dass die Natur stets die zum Überleben günstigsten Strukturen schafft - gelten als Ziel. Das Wohl der Tierart und nicht die Bedürfnisse der Jäger müssen im Vordergrund stehen. Die Jagd nimmt Rücksicht auf Lebensge- meinschaft, Art, Population, Tiergruppe, Begleittiere und das Einzeltier. So ist die Jagd tiergerecht und findet Verständnis in der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit beobachtet das Tun der Jägerschaft sehr kritisch. 9.3 Abschussplanung Um eine Population (siehe 8.1 Bestandesstruktur und Zuwachsrate) zu stabilisieren und natürliche Strukturen zu erhalten, können höchstens 12 Prozent erlegt werden (=Zuwachs abschöpfen). Gesamthaft müssen mehr weibliche Tiere entnommen werden. Der Grund liegt bei der höheren Mortalitätsrate, der langsameren Ent- wicklung und der geringeren Lebenserwartung der männlichen Tiere. Somit würde sich längerfristig der Ab- schuss im GV von 1:1 negativ auf die Sozial- und Altersstruktur der Böcke sowie das GV im Bestand auswir- ken. Kitze und führende Geissen sind geschützt. 14
Mit den Zielen, Bestand stabilisieren, Alters- und Sozialstruktur erhalten sowie Nachwuchsleistung erhalten, ergäbe sich folgender Abschussplan: - Altersklasse: 2 Geissen, 2 Böcke - untere Mittelklasse: 1 Geiss, 1 Bock - Jugendklasse: 3 weibliche und 3 männliche Tiere Sehr wichtig ist, dass in einem Steinwildbestand immer genügend reife Böcke leben. Auf Trophäen ausge- richtete Jagd zerstört die soziale Organisation der Tiere. 9.4 Anforderungen an den Jäger Die Steinwildjagd stellt hohe Anforderungen an den Jäger. Es werden Fachwissen, körperliche Leistungsfä- higkeit, Ausdauer, Beharrlichkeit, gutes Ansprechvermögen und sicheres Schiessen vorausgesetzt. Der Jäger sollte den Einfluss seines Tuns aus Sicht der Tiere beurteilen können. Oberstes Ziel ist, jagdliche Eingriffe rücksichtsvoll und im Sinne der Steinbockpopulation zu tätigen. Bei der Steinwildjagd im Kanton St. Gallen muss zwingend ein Revierpächter mitgehen, welcher die spezielle Ausbildung für Steinwildjäger einmal besucht hat. Die Steinbockverordnung verlangt das. Weiter verpflichtet sich der Jäger, den Abschuss von Steinwild am gleichen Tag dem zuständigen Wildhüter zu melden und das erlegte Tier spätestens am Folgetag vorzuweisen. Von allen erlegten Tieren werden Geschlecht, Alter, Ge- wicht, Körpermasse, Abschussort und Abschusszeit erhoben. Diese Masse zeigen Veränderungen in Konditi- on und Konstitution der Tiere und erlauben, die Ziele der Jagdplanung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. 9.5 Ansprechen Die Hegejagd auf Steinböcke beginnt mit der Abschussplanung. Die Ab- schüsse werden in Alters- und Geschlechterklassen zugeteilt. Also muss der Jäger frei gegebene Tiere ansprechen können. Die folgenden Merk- male beschreiben Tiere anfangs Oktober. Die Masse sind durchschnittli- che Werte und dienen als Vergleich zwischen den verschiedenen Alters- gruppen. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen von den geschilder- ten Regeln. Kitze Risthöhe unter 60 cm; Körperlänge weniger als 90 cm; Hornlänge weniger als 10 cm; Kopfform von vorne gesehen gleichseitiges Dreieck; dunkle Bauchseitenlinien wenig ausgeprägt und nicht durchgehend; Fell hell (fahl); wirkt wollig; folgen Muttertier oder anderen Rudelmitgliedern ausge- prägt; beklettern Muttertiere; häufiger Körperkon- takt; grosser Spieltrieb; neugierig; unerfahren; tiefste Rangstellung; Hörnchen bei weiblichen Kit- zen meist leicht einwärts gedreht; jene von Bock- kitzen stärker gerillt; sichere Zuordnung beim Näs- sen möglich. Abbildung 11: Merkblatt Steinwild - Amt für Jagd und Fischerei Grau- bünden Jährlinge weiblich Risthöhe unter 68 cm; Körperlänge bis 110 cm; Hornlänge bis etwa 15 cm; gut sichtbare Ein- wärtskrümmungen der Hörnchen; Gesicht länger als bei Kitzen; Körper wirkt schlank; nicht ausgewachsen; oft heller als Adulttiere; Bauchbegrenzungslinie durchgehend; neugierig; gelegentliches Spielen mit Kitzen; niedrige Rangstellung; nur gegen Kitze dominant; warnen wegen Unerfahrenheit als Erste; erwachsene Rudelmitglieder beachten Warnung kaum. Junge Geissen Risthöhe über 70 cm; Körperlänge über 120 cm; schlanker Körper; noch nicht ausge- wachsen, jugendliches Aussehen; niedrige Rangposition im Rudel; regelrechte Mitläu- ferinnen; gute Verhärung; meist nicht führend; Keulenfleck sichtbar. 15
Mittelalte Geissen Risthöhe gegen 80 cm; Körperlänge über 130 cm; ausgewachsen; ausgeglichene Erscheinung; keine Alterszeichen; weniger gut konditioniert, weil mehrheitlich laktie- rend; gute Rangposition; bestimmend; dominant gegenüber jedem Jährlingsbock; gut und zeitig verfärbt. Alte Geissen Unharmonische Gesamterscheinung; Widerrist und Kreuz hervortretend; leicht hän- gender Rücken; extrem runde Bauchlinie; eingefallene Keulen; breites Fressmaul; oft Einziehen des Gehörns an den Spitzen; manchmal deutliche „Verjüngung“ der Horn- basis; weniger glattes Fell; während des ganzen Sommers Reste von Winterhaaren am Nacken und Hinterkopf; nicht mehr ganz zurückgebildetes Gesäuge auch bei Galtgeissen; zunehmendes Grauwerden am Kopf; wirken kraushaarig; beim Äsen und Wiederkäuen teilweise Zahnprobleme; langsame Bewegungen; halten sich gerne im hinteren Teil einer ziehenden Gruppe auf. Jährlinge männlich Risthöhe unter 70 cm; Körperlänge etwa 110 cm; leicht kräftiger als weibliche Jährlin- ge; nicht ausgewachsen; Hornbasis stärker als bei Geissen; Beginn Knotenbildung; meist ein flacher und ein erster richtiger Schmuckknoten; wenn nicht ausgebildet, im Haar oder an gewölbter Stirn sichtbar; dominieren nur Kitze und andere Jährlinge; pu- bertieren und zeigen dies durch Schwanzhochklappen besonders in der Vorbrunftpha- se in der Nähe von Weibchen an; Bauchbegrenzungslinie durchgehend; Penis und Hodensack sichtbar; schlecht entwickelte Tiere werden gelegentlich mit Geissen ver- wechselt; sichere Zuordnung beim Nässen möglich. Junge Böcke bis 3+ Zweijährige gleich gross wie ausgewachsene Geissen; Dreijährige wenig grösser und kräftiger; beide dominieren jede Geiss ausser während Brunft; am Gehörn gut erkenn- bar; Knotenbildung lässt Grobeinteilung zu; Jahrringe für genaue Altersbestimmung; halten sich sowohl im Scharwild wie in Bockgruppen auf; bilden gerne Trupps von jun- gen Böcken; besteigen sich abwechselnd in sexueller Absicht; wirken selbstsicher; warnen aus Unerfahrenheit; heller Bauch und weisse Laufzeichnung wie Geissen; kein Bockbart. Mittelalte Böcke Gehörnmerkmale und besonders Jahresschub beachten; bei gesunden Tieren bis Alter 8+ immer über 7 cm; gute Knotenausbildung bis zur Stirn; Jahrringe ermöglichen genaue Altersbestimmung; kräftige Erscheinung; Laufzeichnungen verschwinden ab 6+ zunehmend; mit 8+ körperlich ausgewachsen; Sozialstellung im Rudel ihrem Alter entsprechend; nie in bester Rangposition, wenn reifere Böcke anwesend; kämpfen oft und ausdauernd; haben immer Bockbart. Reife Böcke Ausgewachsen; Risthöhe über 90 cm; Körperlänge etwa 165 cm; über 10 Jahre alt; wirken sehr massig; ebenmässiger, kräftiger Körper; Hauptgewicht deutlich auf den Vorderläufen; dominant; Knoten etwas abgerieben; letzte Knotenbildungen nicht mehr ausgeprägt; letzte Jahresschübe unter 4 cm; bilden nur noch Hornleisten oder unre- gelmässige Wülste; selbstsicher; erfahren; gelegentlich recht misstrauisch; dunkle Winterfellfärbung; Reste von hellen Laufzeichnungen; dunkle, kraushaarige Bauchun- terseite. Alte Böcke Widerrist und Kreuz hervorstehend; Rückenlinie leicht hängend; Flanken und Keulen nicht mehr so muskulös; Kopf etwas tiefer getragen; runde Bauchlinie; während des ganzen Sommers Winterhaare vom letzten Jahr am Nacken und auf der Stirn; verzö- gerter Haarwechsel; nicht mehr schön kastanienbraun; eher graubraun und manchmal fleckig durch hellere und dunklere Fellpartien; gelegentlich Gebissprobleme; langsa- me, träge Bewegungen; folgen Bockrudeln nicht immer oder auf Distanz; Schmuck- knoten als kleinste Wülstchen gebildet; darüber liegende Knoten stark abgenutzt; mehrere geringe Jahresschübe bis etwa 2 cm sichtbar; kämpfen selten; behaupten sich durch Imponierverhalten gegen die meisten Artgenossen. 16
9.6 Jagd 9.6.1 Zur Ausrüstung Der Steinwildjäger muss seine Ausrüstung den Verhältnissen im Gebirge anpassen. Ein guter Feldstecher und ein Spektiv sind absolut notwendig. Die Waffe muss tadellos eingeschossen sein und der Jäger muss die besonderen Bedingungen beim Schiessen im Hochgebirge kennen. Steilschüsse aufwärts und abwärts ver- langen zusätzliche Überlegungen zum Zielpunkt und zum Auftreffwinkel am Tier. Der Abtransport der Beute und dazu notwendiges Material müssen geplant werden. Manchmal braucht es helfende Jagdkameraden. Helikoptertransporte sind untersagt. 9.6.2 Verhalten vor dem Schuss Bereits auf grosse Distanz soll Steinwild grob angesprochen werden, ob sich ein zugeteiltes Tier im Verband befindet. So können unnötige Annäherungen und Störungen vermieden werden. Steinböcke sind in der Regel vertraut und lassen den Jäger auf Schussdistanz herankommen. Beim Angehen der Tiere darf der Jäger durchaus gesehen werden. Es ist aber wichtig, dass er nicht als Gefahr scheint, son- dern einfach toleriert wird. Der Jäger soll sich beim Annähern mit den Sinnen und Instinkten des Wildes aus- einander setzen. Oder einfacher gesagt, er soll sich in die Rolle der Tiere versetzen und das Verhalten des Menschen beurteilen. Eigentliche Pirsch mit Anschleichen des Wildes ist nur in deckungsreichem und unübersichtlichem Gebiet möglich. Für das Ansprechen, natürlich mit guter Optik, soll sich der Jäger Zeit nehmen. Vor allem zu Geschlecht, Al- ter, führend oder nicht, Gesundheit und Gewicht muss er sich ein abschliessendes Bild verschaffen können. Der Jäger soll sein Interesse für ein bestimmtes Tier oder eine Gruppe nicht zeigen. Die Wildtiere merken bald, dass die Annäherung ihnen gilt und werden misstrauisch. Es ist die Kunst des Jagens, aufmerksam gewordenes Steinwild durch Pausen oder vermeintliches Desinteresse zu beruhigen. Steinwild soll nie gedrückt oder getrieben werden, weil dadurch der Mensch viel zu offensichtlich als Gefahr erkannt wird. 9.6.3 Der Abschuss Das ausgewählte Tier muss frei und möglichst quer zur Schussrichtung stehen. Es ist darauf zu achten, dass der Ausschuss keine Begleittiere gefährdet und einen einwandfreien Kugelfang findet. Auf wegziehende oder gar flüchtende Tiere einer Gruppe zu schiessen, bestätigt den Tieren die Richtig- keit der Flucht. Die Tiere machen dabei Erfahrungen, welche künftige Jagden wesentlich erschweren kön- nen. Der Schuss muss dem Tier aus einer guten Stellung angetragen werden. Das Zeichnen des beschossenen Tieres ist genau zu beobachten. Sofort nachladen. Steinwild gilt als „harte“ Wildart. Auch gute Treffer be- wirken nicht immer ein sofortiges Hinfallen. Fällt ein Tier im Feuer, so ist immer an eine lähmende, aber Abbildung 12: Freude über einen gelungenen Abschuss nicht tötende Wirkung des Schusses zu denken, was einen zweiten Schuss erfordern würde. 9.6.4 Verhalten nach dem Schuss Nach dem Schuss heisst es warten, selbst wenn das beschossene Tier nicht mehr sichtbar ist. Die Reaktion der Begleittiere ist mit einzubeziehen. Oft, besonders beim Abschuss von rangniedrigen Tieren, reagieren Begleittiere kaum. Nach kurzer Verwunderung äsen oder ruhen sie weiter. Es gilt, weiter Geduld zu üben. Irgendwann verziehen sich die Tiere, weil sich eines ungewöhnlich verhält, sich nicht mehr bewegt, vielleicht 17
anders riecht oder wegrutscht. Die Steinböcke sollen keinen Zusammenhang zwischen Mensch und Schuss sowie dem Verlust eines Gruppenmitgliedes sehen. Steinböcke dürfen durch die Jagd nicht zu Fluchttieren werden. Bei Gefahr klettern sie in Felsen ein und ent- ziehen sich so der Bedrohung. Rücksichtslose Abschüsse bewirken, dass Gebiete gefährlich erscheinen und die Tiere diese meiden. Das müsste als grosse Störung gewertet werden. Gleiches gilt auch für offensichtli- che Verhaltensänderungen, verursacht durch schlechte Erfahrungen mit der Jagd. Steinwild verhält sich bei Abschüssen eines Rudelmitgliedes unterschiedlich, je nachdem ob sie auf einem Wechsel, einer Austrittsfläche oder in einem Rückzugsgebiet erfolgen. In Rückzugsgebieten reagieren die Tiere besonders empfindlich. Nachsuchen auf Steinwild sind wegen des Geländes schwierig. Deshalb kommen dafür nur fähige, gelände- taugliche Jäger und Hunde in Frage. Selbstverständlich gelten die Grundsätze der Nachsuche. Kurz zum Aufbrechen, Transportieren und Lagern: Das tote Tier ist nun ein Lebensmittel und dementspre- chend zu behandeln. Die Fleischhygiene muss gewährleistet werden. Zudem sind Aufbrüche nie im Bereich von Wegen oder im Wasser zurückzulassen. 10. Schlussbemerkungen Diese Ausführungen ergänzen den Ausbildungsvortrag für Steinwildjäger. Das Amt für Jagd und Fischerei bemüht sich, das Interesse der Jäger an dieser Tierart zu fördern. Die Beobachtungen der Wildhüter zum Verhalten der Steinböcke geben wir gerne weiter und hoffen, den Wissensstand der Jäger zu bereichern. Dies soll motivieren, die Tiere selbst genau zu beobachten und zu studieren. Für eine vertiefte Weiterbildung steht umfangreiche Fachliteratur zur Verfügung. 11. Weiterführende Literatur - Aeschbacher & Arnold (1973/74): Das Brunftverhalten des Alpensteinbockes. - Bächler E. (1919): Die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in den Schweizeralpen. - Giacometti M. (1991): Beitrag zur Ansiedlungsdynamik und aktuellen Verbreitung des Alpensteinbockes im Alpenraum. - Giacometti M. (1988): Zur Bewirtschaftung der Steinbockbestände. - Lüps P. (1995): Der Steinbock. - Meile P., Giacometti M., Ratti P. (2003): Der Steinbock. - Müller F. (1985): Das Alpensteinwild, wildbiologische Informationen für den Jäger. - Ratti P. und Habermehl K-H. (1977): Untersuchungen zur Altersschätzung und Altersbestimmung beim Alpensteinbock. - Ratti P. (1978) Zur Hege des Steinwildes im Kanton Graubünden. - Riedi F. (2001). Veränderungen von Fluchtverhalten und Raumnutzung des Alpensteinbockes. Amt für Natur, Jagd und Fischerei, 8. Mai 2021 Urs Büchler Kant. Wildhüter 18
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