Geniessen Sie Gauguins "Der Markt", ohne an Börsen denken zu müssen.

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Geniessen Sie Gauguins "Der Markt", ohne an Börsen denken zu müssen.
Das Kulturmagazin – Du 808 – Juli /August 2010
          Geniessen Sie Gauguins «Der Markt»,
          ohne an Börsen denken zu müssen.                                                                                                                                                                                   Montreux Jazz Festival
                                                                                                                                                                                                                                     Die Emotionsmaschine

                                                                                                                                                           Das Kulturmagazin – Nr. 808 – Juli /August 2010
                                                                                                                                                             Montreux Jazz Festival – Die Emotionsmaschine

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Geniessen Sie Gauguins "Der Markt", ohne an Börsen denken zu müssen.
Inhalt

                                                I. Thema

                         Der Sammler und sein Festival – Christian Rentsch                                «Ich hasse dieses Spiel» – Gespräch mit Claude Nobs
                12      Seit 1967 gibt es das Gesamtkunstwerk Montreux Jazz Festival – ein
                bunter Mix aus Pop, Jazz, Blues und World Music. Das grösste und spektakulärste
                                                                                                  22        Er ist kontaktfreudig und charmant und hat nach 43 Jahren inmitten
                                                                                                  der besten Musiker der Welt viele Anekdoten auf Lager. Er ist aber auch bissig
                Sommerfestival der Schweiz war aber stets auch eine Fabrik für hochkarätige       und streitbar und immer schwer zu packen. Claude Nobs, der 74-jährige Festival-
                Ton- und Fernsehaufnahmen. Dank Claude Nobs, dem Mitbegründer und                 leiter von Montreux, hat uns ein unüblich offenes und nachdenkliches Gespräch
                langjährigen Festivalleiter.                                                      gewährt über die Veränderungen im Musikgeschäft und in seinem Leben.

                         I.
                         Festivalgeschichte – Christian Rentsch                                          Jamie Lidell im Gespräch mit Adrian Schräder
                12       Archiv der Rhythmen                                                      56     «Quincy Jones nahm mich in den Schwitzkasten»
                                                                                                         Er kommt im Morgenrock auf die Bühne, wo er den Soul in
                         Gespräch mit Claude Nobs – Jean-Martin Büttner, Christian Rentsch               einen neuen Morgen führt. Mit seiner Improvisationsgabe
                 22      «Ich mache das Spiel mit, aber ich hasse es auch»                               und dem Willen, sich nie zu wiederholen, hält der Engländer
                                                                                                         Jamie Lidell den Geist von Montreux am Leben.
                         Festivalszene – Ane Hebeisen
                 32      Wo die Musik zu Hause ist                                                       Portfolio – Matthias Willi
                         Es wird viel geschimpft über das Montreux Jazz Festival:                 60     Nach der Landung
                         zu wenig Jazz, zu viel Fest. Tatsächlich befindet sich der                      Der Basler Fotograf Matthias Willi hält Musiker unmittelbar
                         Anlass in einer Art Midlife-Crisis. Doch wie gefährdet ist                      nach Konzertende fest. Im Zwischenreich von Rausch, Ein-
                         der «Mythos Montreux»? Ein Blick hinter die Kulissen                            samkeit und Erschöpfung, im Niemandsland hinter der
                         zeigt: Das Herz der Musik schlägt weiterhin am Genfersee.                       Bühne, wo sie ihre professionelle Maske sinken lassen, entste-
                                                                                                         hen sehr persönliche Offenbarungen.
                         Herbie Hancock im Gespräch mit Albert Kuhn
                42       «Montreux ist mein Lieblingsfestival»                                           Nachwuchswettbewerb – Adrian Schräder
                         Keiner ist so häufig in Montreux aufgetreten wie der vielfach            68     Besser als Norah Jones, besser als Jamie Cullum
                         ausgezeichnete Pianist und Komponist Herbie Hancock.                            Musik von Welt zu Gast in der Provinz: Die Gewinner des
                         Er hat den Jazz erneuert, indem er ihn mit anderen Stilen                       Nachwuchswettbewerbs von Montreux trafen sich im Januar
                         verwob. Dasselbe Konzept, den Kulturaustausch, sieht er                         2010 zu Aufnahmen im Toggenburg. Zwischen geräuchertem
                         für die Zukunft der Musik – und der Welt.                                       Fisch und Individualistentum zeigte sich viel junges Talent.

                         Lori Immi im Gespräch mit Adrian Schräder
                48       «Der Kampf wird härter»
                         Lori Immi ist seit 1994 Programmleiterin der Miles
                         Davis Hall am Montreux Jazz Festival. Sie stellt fest:
                         Das Publikum zahlt gerne einen Aufpreis, wenn es
                         dafür mehr erwarten darf. Gleichzeitig liegt im ständig
                         wachsenden Festivalbusiness die Latte immer höher.

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                                            II. Horizonte                                                                 III. Sélection

                          «Ich wollte die Grimms rausholen aus dem 19. Jahrhundert»                        Ausstellungstipp, Theatertipp
                74        – Gespräch mit Günter Grass über sein neues Buch
                Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm ist das Standardwerk der deutschen
                                                                                                114        Voyeurismus ist älter als Google Street View, YouTube und Handy-
                                                                                                kameras. Die spannende Ausstellung zum Phänomen findet in der Londoner Tate
                Sprache schlechthin. In seinem neuen Buch Grimms Wörter greift Günter Grass     Modern statt: Exposed. Voyeurism, Surveillance and the Camera. Martin Heckmanns
                dessen Entstehungsgeschichte auf und macht zugleich eine Liebeserklärung – an   und Rebekka Kricheldorf begeben sich auf Geschichts- und Geschichtensuche in
                die Sprache, die Literatur und die Leser.                                       Ostdeutschland – dem Zentrum der deutschsprachigen Dramatik.

                         II.                                                                    III.
                         Günter Grass im Gespräch mit Thomas David                              110 Urs Stahels Sichtweisen: Luigi Ghirri
                74       «Die Geschichte der Grimms ist auch eine politische
                         Geschichte»                                                            112 Raffinierter leben mit Ludwig Hasler
                                                                                                114 Bice Curigers Ausstellungstipps
                         Vorabdruck – Günter Grass
                                                                                                116 Fotobuch: «The Ruins of Detroit»
                82       Der Engel, die Ehe, das Ende
                         Die Brüder Grimm und der Buchstabe E: Du präsentiert in                118 Stefan Zweifels Literaturtipps
                         einem exklusiven Auszug aus Günter Grass’ neuen Buch.                  120 Filmtipp: Martin Walder über «Romans d‘ados»
                                                                                                121 Theatertipp von John von Düffel
                         Kunst – Brigitte Ulmer
                88       Leuchtturm im Niemandsland                                             122 Jazztipp: Steve Tibbetts
                         Wie kommt Aarau zu einem der engagiertesten Kunsthäuser                123 Klassiktipps ⁄ Poptipps
                         der Schweiz? Das anstehende Jubiläum von Kunstverein                   124 Opernhaus Zürich: Die Szenografin Penelope Wehrli im
                         und Kunsthaus ermöglicht spannende Einblicke.
                                                                                                       Dialog mit Kurator Detlev Schneider
                         Madeleine Schuppli im Gespräch mit Brigitte Ulmer                      126 Migros-Kulturprozent: Der Dirigent John Eliot Gardiner
                92       «Schweizer Kunst entsteht in globalen Zusammenhängen»                  130 Vorschau «Du» 809: Dayanita Singh
                         Die Direktorin des Aargauer Kunsthauses, Madeleine
                         Schuppli, hat ihre «Nationalgalerie der Schweiz» spürbar
                         verjüngt. Das Haus steht nun vielen Künstlern offen.                   –
                                                                                                3      Editorial
                         Kunst – Felicity Lunn
                98       Gestern wird es besser                                                 8      Impressum und Bildnachweis
                         Eine Gruppenausstellung mit nationalen und internationalen             66     Back-Issues und Abonnementkarte
                         Künstlern ums Thema der Erinnerung und deren Bedeu-
                         tung für die Zukunft.

                         Musik – Albert Kuhn
                104 Die Speerspitze der Evolution
                    Die Plastic Art Foundation ist vielleicht das ungewöhnlichste
                    musikalische Unternehmen der Schweiz: Es plant einen Auf-
                    stand der Musik zur Umwälzung der Gesellschaft.

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Geniessen Sie Gauguins "Der Markt", ohne an Börsen denken zu müssen.
I. Die Instanz – Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch im Gespräch mit Claude Nobs

               «Ich mache das Spiel mit, aber ich hasse es auch»
               Warum Claude Nobs nach 43 Jahren aufhört, sein Jazzfestival zu leiten. Warum er nichts von den Aufnahme-
               geräten hält, mit denen er die Konzerte von Montreux einfängt. Warum ihn das Musikgeschäft zunehmend
               beelendet, obwohl er die Arbeit mit der Musik über alles liebt.

               Claude Nobs im Gespräch mit Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch
               Porträts Philippe Dudouit

               Schon bald wird das Gespräch erstmals unterbrochen. Dass das                             Ja, aber: Bekamst du nie das Gefühl, das Festival werde zu gross,
               nie lange dauert bei ihm, weiss jeder, der Claude Nobs interviewt hat.                   und du könntest es nicht mehr kontrollieren?
               Entweder kommt ein Anruf von irgendwo auf der Welt, oder einer                           Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Man vergisst gerne, dass ich
               seiner Angestellten bringt etwas oder holt etwas oder muss etwas                         schon damals parallel zum Festival Konzerte organisierte mit Grup-
               wissen. Oder es ist Nobs selber, dem gerade etwas einfällt, das                          pen wie Chicago, Transit Authority, Pink Floyd oder den Rolling
               er zeigen möchte, dann springt er auf und ist weg. Wir hatten uns                        Stones, die haben schon 1964 in Montreux gespielt. Santana kam
               vorgenommen, ihn für einmal von seinen permanenten Floskeln                              1970, dann gab es Musik aus Afrika und dann aus Brasilien. Das
               und Anekdoten wegzubringen, mit denen er sich vor unangenehmen                           alles wirkte sich auch auf die Dauer des Jazzfestivals aus. Aber jetzt,
               Fragen rettet; wir wollten etwas anderes hören als die von ihm                           nach 44 Jahren, hat das Festival mit seinen sechzehn Tagen eine
               immer wieder neu zusammengesetzten Geschichten und Aufregun-                             Dimension erreicht, das ich sagen muss: Es ist verrückt.
               gen, die er jeweils serviert, wenn wieder eine neue Ausgabe seines
               Festivals ansteht. Wie schwer es ist, diesen Mann zu packen, der                         Fragen wir nochmals anders: Hattest du nie den Eindruck, du
               mit allen per Du und trotzdem kaum zu fassen ist, das zeigt schon                        würdest von der Maschine verschlungen, die du in Gang gesetzt
               unsere erste Frage: Wir brauchten mehrere Anläufe, bis er sie be-                        hattest?
               antwortete – auf seine Art und widersprüchlich. Das geht dann so:                        Nein. Was mich geschafft hat, waren meine beiden Herzattacken.
                                                                                                        Die erste Warnung kam vor vier Jahren, da hätte ich schon sagen
               Claude, schon Mitte der 1970er-Jahre war von dir zu hören,                               können, ich höre jetzt auf. Aber meine eigenen Leute haben mich
               du hättest nie die Absicht gehabt, das Jazzfestival in Montreux                          gedrängt, weiterzumachen. Vor Kurzem hatte ich wieder Probleme
               so gross werden zu lassen.                                                               mit dem Herzen, eine Komplikation nach einem Eingriff. Da
               Das stimmt. Ich wundere mich noch heute, dass es so sehr gewach-                         dachte ich: Ich bin jetzt 74 und mache das seit 43 Jahren; ich werde
               sen ist. Am Anfang dauerte es nur drei Tage, am wichtigsten war                          von nun an nicht nur langsamer vorgehen, sondern mich auf ganz
               dabei der Wettbewerb, der junge Musiker bekannt machen sollte.                           bestimmte Sachen konzentrieren. Also etwa auf Grossprojekte wie
               1967 konnte ich mir mit meinem Budget nur gerade eine amerika-                           damals die Sache mit Miles Davis und Quincy Jones. Ich werde die-
               nische Gruppe leisten, das waren Keith Jarrett und Charles Lloyd.                        ses Jahr auch die Konzerte nicht mehr selber ansagen, oder nur
               Im Jahr darauf war es ähnlich. Damals war Montreux der Ort, wo                           noch einige. Einerseits ist das körperlich zu anstrengend für mich
               man den europäischen Jazz entdecken konnte. Und schon damals                             geworden, anderseits müsste ich die halbe Nacht aufbleiben, um
               begann ich damit, alles aufzunehmen, damals noch fürs Radio …                            den Musikern nach dem letzten Konzert zu danken. Das werde ich
                                                                                                        also delegieren. Ich war ja nie ein professioneller Ansager, ich habe
               Wieso wurde das Festival trotzdem immer grösser? Hast du das                             auch schon Fehler gemacht und die Falschen angesagt.
               gewollt oder ist es einfach passiert?
               Das kam einfach so. Das finanzielle Problem löste ich, indem ich                         Und dann geht plötzlich die Musik los. Das Gespräch findet in
               den europäischen Radiostationen sagte, ich überlasse euch die                            einem von Nobs’ Chalets statt, hoch über dem Genfersee, in einem
               Aufnahmen umsonst, dafür zahlt ihr die Spesen der Musiker, wie                           der unzähligen Zimmer, die mit Lampen, in Vitrinen aufgereihten
               Flüge, Hotel und Gagen. Dazu kam, dass ich schon ab 1969 da-                             Modelleisenbahnen, mit Motorrädern, Musikanlagen, Fernseh-
               mit begann, auch Rockgruppen einzuladen. Die erste war Ten                               geräten und Plakaten vollgestellt sind. Und plötzlich beginnt auf
               Years After, ich dachte, das sei eine Bluesband. Sie spielte so laut,                    einem der Bildschirme Prince zu spielen, eine Aufnahme vom
               dass es einen Skandal gab; die Leute sagten, der Nobs sei verrückt                       letzten Jahr. Das passt gut zu einem Konzertveranstalter, der die
               geworden.                                                                                Musik immer schon auf ihre Reproduktion und Vervielfältigung

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Du 808 – Juli /August 2010

               hin aufführen lässt. Claude Nobs steht auf und führt uns in ein                      Ich hasse diese neue Generation von Agenten und Buchhaltern.
               anderes Zimmer; es ist eine Bar mit allen nur erdenklichen alkoholi-                 Früher hatte ich mit Musikern und Managern zu tun, aber nie mit
               schen Getränken. Wir kommen nochmals auf die Grenzen des                             den Buchhaltern. Das ist auch einer der Gründe, warum ich in ab-
               Wachstums zu sprechen.                                                               sehbarer Zeit aufhören möchte. Der Aufwand wird immer grösser,
                                                                                                    um ein einmaliges, spezielles Projekt in Montreux zu organisieren.
               Nicht nur das Festival wurde immer grösser, auch die Produktions-
               bedingungen und das gesamte Musikgeschäft änderten sich. Es                          Er ruft einen Angestellen herein und bestellt etwas zu essen.
               wurde alles grösser, aufwendiger, fremder und kälter.                                Später verlangt er eine Jacke, dann wieder will er eine seltene Platte
               Ja, natürlich. Wenn ich etwa an das Konzert von Aretha Franklin                      haben, die er uns zeigen möchte. Sein Umgangston mit den
               denke, das war 1971, auf dieser kleinen Cabaret-Bühne im alten                       eigenen Leuten ist ungeduldig und gereizt, es scheint ihm nichts
               Casino, ohne Monitoren – ja, das war wunderbar.                                      auszumachen, sie vor uns blosszustellen. Claude Nobs, das sagen
                                                                                                    viele, die mit ihm gearbeitet haben, ist ein schwieriger Chef,
               Auch die Aufzeichnung der Konzerte sah damals anders aus.                            der von seinem Personal unbedingte Loyalität und permanente
               Da gab es minutenlange Einstellungen ohne jeden Schnitt, man                         Bereitschaft erwartet. Wenn er etwas will, haben alle zu rennen. In
               spürt etwas von der Atmosphäre, den Gefühlen des Moments.                            unserem Gespräch ändert sich aber der Ton: Die Antworten kommen
               Das war tatsächlich viel besser. Später kam dann diese blöde, von                    nicht mehr ganz so schnell. Obwohl es ihm spürbar schwer fällt,
               MTV diktierte Mode mit den schnellen, hastigen Schnitten auf.                        Zweifel zuzugeben, hat man doch das Gefühl, er lasse mehr von
               Das will ich nicht mehr haben; es verkauft sich auch nicht, denn es                  sich selber zu.
               ermüdet die Leute.
                                                                                                    Wir haben das Gefühl, du seist nachdenklicher und selbstkritischer
               Auch das erste Konzert von Miles Davis war noch ganz anders                          geworden, seit du zweimal am Tod vorbeigegangen bist.
               geschnitten.                                                                         Ja, ich sehe das Leben mittlerweile völlig anders. Ich war vorher viel
               Ja, diese Aufzeichnung hat mich übrigens eine sehr teure Uhr ge-                     materialistischer, habe zum Beispiel sehr viele Dinge gesammelt.
               kostet, damit Miles das Fernsehen überhaupt zuliess. Wir hatten                      Das steht zwar alles noch bei mir herum, aber es interessiert mich
               sogar backstage eine Kamera aufgestellt, weil wir nicht wussten, ob                  nicht mehr. Ich versuche ein etwas ruhigeres Leben zu leben, viel
               Miles dem Publikum wieder einmal den Rücken zukehren würde.                          öfter halt hier oben in den Bergen zu sein, mit meinen zwei Berner
               Auf den Aufnahmen kann man gut sehen, wie Miles seine Gruppe                         Sennenhunden. Dabei habe ich keine bestimmte Philosophie, we-
               führt, nämlich wie ein klassischer Dirigent.                                         der christlich noch buddhistisch. Ich bin Atheist. Ich hatte nie eine
                                                                                                    Leidenschaft für radikale Ansichten. Ich war immer Materialist,
               Mit dem Festival und den Preisen hat sich auch das Publikum                          aber nie in dem Sinn, dass ich einfach möglichst viel Geld auf der
               verändert. Heute muss es Hunderte von Franken Eintritt bezahlen,                     Bank haben möchte. Gut, ich kann mir viel leisten, aber das heisst
               ein Abend in Montreux kostet mit Zug und Hotel schnell                               für mich vor allem: als Sammler.
               einmal fünfhundert Franken.
               Aber das junge Publikum bekommt mit dem Montreux Jazz Café                           Ist es beim Sammeln nicht so, dass es einen nur so lange reizt, bis
               und den Nachmittagskonzerten ausserhalb des Kongresshauses heu-                      man etwas Gesuchtes hat, aber kaum mehr richtig Freude macht,
               te doppelt so viel Musik zu hören – und zwar gratis und teilweise auf                wenn man es endlich besitzt?
               einem sehr hohen Niveau. Trotz der Preise kommen übrigens immer                      Ja, genau. Das Gute bei mir ist, dass ich keinen Platz mehr habe.
               noch Leute, die schon in den allerersten Jahren in Montreux dabei
               waren. Die kommen mit ihren Kindern und Enkeln. Die Kinder                           Das sagst du doch schon seit Jahren.
               stehen unten im Saal, die Eltern sitzen oben – ausser wenn Deep                      Nein, ich habe viel verschenkt. Was ich heute noch kaufe, sind LPs.
               Purple spielen, dann stehen die Eltern mit ihren Kindern vorne.                      Zum Beispiel eine Blue-Note-Jazzplatte mit einem Cover von Andy
                                                                                                    Warhol – von ihm unterschrieben.
               Das mag vereinzelt vorkommen. Aber stört es dich nicht, dass
               du heute vorwiegend ein Publikum bedienst, das weniger wegen                         Wir wissen von dir, dass du zwar Musiker liebst und Musik
               der Musik als vielmehr wegen des Events nach Montreux kommt?                         sowieso, dass du aber in all den Jahren noch nie ein Montreux-
               Ja, das stimmt. – Ich ha das nüd welle, ich ha müesse!                               Konzert live im Saal miterlebt hast.
                                                                                                    Das stimmt, ich schaue am Anfang, ob alles gut läuft, dann bin ich
               Es wird in diesem Geschäft alles zunehmend globalisiert und                          hinter der Bühne. Für mich ist ein Konzert dann ein Erfolg, wenn
               firmenmässig organisiert. Grosse Firmen wie Live Nation kaufen                       die Musiker und das Publikum glücklich sind. Wenn es das kleinste
               ganze Tourneen ein und treiben dann die Preise hoch, um ihre                         Problem gibt, bin ich schuld und damit verantwortlich. So ist das!
               Investitionen wieder hereinzuspielen.                                                Wenn ein Problem auftaucht, ist es wichtig, dass Claude am richtigen

                «Ich wundere mich noch heute, wie sehr das Festival gewachsen ist. Es hat eine Dimension erreicht, da muss ich sagen: Es ist verrückt»: Claude Nobs, Mai 2010.    25

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Oben links: Nobs als kleiner Bub. «Ich kümmerte mich nicht um die Schule oder
                                        Hausaufgaben. Das hörte sich alles unnötig an, ich dachte, ich könne das Wichtige
                                        selber lernen, einfach indem ich mein Leben lebte und tat, was mir gefiel.»
                                        Oben rechts: Nobs’ Identitätskarte.
                                        Unten: «Allmählich verstand ich, wie es in der menschengemachten Welt läuft
                                        und erkannte, dass ich mich anstrengen muss.» Nobs in jungen Jahren, ein Networker
                                        par excellence. (Overlay: Seine Plattenliste)

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Oben: Freunde der ersten Stunde. Ahmet Ertegün, Gründer von Atlantic Records,
                                        und Claude Nobs.
                                        Unten rechts: Claude Nobs (M.) mit Kabarettist Emil Steinberger (r.) und
                                        Keith Haring (l.), der nicht nur das Montreux-Plakat gezeichnet hat, sondern
                                        auch Nobs’ T-Shirt bemalt.
                                        Unten links: Claude Nobs bekocht David Bowie.

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I. Die Instanz – Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch im Gespräch mit Claude Nobs

               Partner und Freunde: In den 1990er-Jahren teilte sich Claude Nobs die Leitung des Festivals für einige Zeit mit dem Musiker, Komponisten und Produzenten Quincy Jones.

               Ort ist und nicht irgendwo im Saal. Das ist der einzige Grund, weshalb                   schon Eric Clapton, wir brauchen keinen anderen weissen Blues-
               ich hinter der Bühne dieses kleine Büro mit den Bildschirmen habe.                       gitarristen.» Das klingt zynisch, hat aber viel mit dem Musik-
               Wenn irgendwo irgendetwas passiert, kann ich reagieren und bin da.                       business zu tun. Was mich an diesem Geschäft von Anfang an
               Ich sehe mir andere Konzerte an, zum Beispiel im Hallenstadion …                         ebenfalls faszinierte: Wie das genau mit der Bezahlung lief. Man
                                                                                                        darf nicht vergessen, dass die Plattenfirmen früher praktisch keine
               Wie lange bleibst du jeweils?                                                            Tantiemen auszahlten – bestenfalls gab es für den Komponisten
               Nicht sehr lange (lacht). Aber es gab Konzerte, die ich ganz gesehen                     fünfzig Dollar und ein Dankeschön, oder dann das Angebot: Ich
               habe, weil sie so grossartig waren, wie dasjenige zum 25. Geburts-                       gebe dir nochmals fünfzig, aber dann nennst du mich als Mit-
               tag der «Rock’n’Roll Hall of Fame» in New York. Da hat mich Paul                         komponisten deines Liedes. Atlantic Records, die Firma der Ge-
               Simon bei der Hand genommen und mich, neben der Bühne, zu                                brüder Ertegün, hat ihren Aufstieg dem schwarzen Jazz und
               Bruce Springsteen gestellt. Da stand ich mit all meinen Kollegen                         Rhythm’n’Blues zu verdanken. Doch als die Firma im New Yorker
               und den Musikern.                                                                        Madison Square Garden ihren 40. Geburtstag feierte, trat kein ein-
                                                                                                        ziger schwarzer Musiker auf. Weder Aretha Franklin noch Ray
               Genau genommen bist du, der du aus der Hotelbranche kommst,                              Charles wollten dort spielen, weil die Firma sie um dermassen viel
               ein Gastgeber geblieben.                                                                 Geld betrogen hatte.
               Absolut. Ich heisse die Leute willkommen, bewirte sie, stelle ihnen
               das Haus zur Verfügung; seit meiner letzten Herzgeschichte etwas                         Atlantic wurde später von Warner gekauft.
               weniger. Dennoch kann ich mein Leben mit einem Wort beschrei-                            Ja, aber sie behielten Nesuhi Ertegün als Kadermitglied fürs Inter-
               ben: Glück. Das hatte ich von Anfang an, als ich in New York mit                         nationale – er brachte eben mehr Geld als die anderen. Sie haben
               Nesuhi und dann mit Ahmed Ertegün ins Gespräch kam.                                      ihm auch ein Label gegeben, East West Records, das aber nur eine
                                                                                                        oder zwei Platten herausbrachte. Er war ja schon damals krank.
               Sie teilten deine Liebe zur schwarzen Musik.
               Ahmet Ertegün, der Produzent, war ein sehr gebildeter und lusti-                         War es nicht auch so, dass Warner ⁄ Atlantic ihre Stars auf dem
               ger Mensch, konnte aber auch zynisch reagieren. Als ich ihm Stevie                       Abstieg ihrer Karriere noch in Montreux platzieren konnten und
               Ray Vaughan empfahl, fragte er: «Ist er weiss? – Ach so. Wir haben                       das Festival dadurch etwas vom amerikanischen Glamour

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Du 808 – Juli /August 2010

               Nobs als Entertainer. Legendär sind seine Jamsession-Auftritte mit Mundharmonika bei Konzertende tief in der Nacht. Links: Ansage eines Reggae-Konzerts, oben: auf
               den Schultern des Hip-Hoppers Wyclef Jean, unten: Nobs mit Sängerin Etta James.

               abbekam? Oder anders gefragt: Dass sich die Gebrüder Ertegün                       Künstlern in unterschiedliche Formate umzukopieren und welt-
               dank Montreux eine Bedeutung bewahrten, die sie sonst nicht                        weit zu vertreiben. Damit habe ich damals sehr viel Geld verdient.
               mehr gehabt hätten?
               Das stimmt. Sie schickten tatsächlich einige Künstler, die ihren                   Bist du eigentlich noch bei Warner angestellt ?
               künstlerischen Höhepunkt überschritten hatten. Oder die gar nicht                  Nein, seit meiner Pensionierung mit 65 bin ich nicht mehr dabei.
               erst so gut gewesen waren. Oder die schwierig geworden waren                       Ich bekam keine Vollpension und keinen goldenen Fallschirm. Da-
               und absurde Ansprüche stellten. Wie etwa Nina Simone.                              für haben sie mir das Kopierstudio geschenkt und gesagt, ich könne
                                                                                                  für sie arbeiten, solange ich wolle. Ausserdem habe ich noch die
               Immerhin hatte die vorher als Künstlerin etwas geleistet.                          weltweit grösste Sammlung an Konzertaufnahmen: 4000 Stunden.
               Ja, aber irgendwann muss man im Leben doch vorankommen und                         Zum Glück haben wir von Anfang an alles aufgenommen, dadurch
               darf nicht nur an sich selber denken. Ich fand ihre Launen und                     sind einige historische Dokumentationen entstanden.
               Forderungen absurd.
                                                                                                  Man hört, dass viele Musiker, die bei dir zu Gast sind, selber
               Und doch hast du immer weitergemacht.                                              Aufnahmen von Montreux-Konzerten sehen wollen.
               Aber habt ihr gewusst, dass ich 1973 Montreux fast verlassen hätte?                Meistens sitzen wir hier im Chalet, trinken etwas und reden. Dann
               Ich bekam ein Angebot von Ahmet Ertegün. Ich wäre für Künstler                     kommt das Gespräch auf irgendeinen Musiker, von dem ich eine
               und neue Technologie verantwortlich gewesen.                                       Aufnahme habe, und die schauen wir uns dann gemeinsam an.
                                                                                                  Nicht nur von den bekannten Künstlern, sondern auch ausgefallene
               Warum bist du trotzdem geblieben?                                                  Sachen wie etwa die legendäre Jamsession von Ray Charles, bei der
               Weil die Herausforderung des Jazzfestivals grösser war. Ich konnte                 er mit Dizzy Gillespie und Kenny Burrell zusammen gespielt hat.
               ja auch von Montreux aus in die Welt reisen – nicht zuletzt wegen
               meiner Arbeit mit Warner Brothers. Als noch Vinylplatten ver-                      Das Verführerische an Claude Nobs ist nicht nur sein Charme,
               kauft wurden, waren die Margen enorm, entsprechend hoch waren                      mit dem er seine Ungeduld gekonnt überspielt, sondern dass er so
               unsere Budgets, Geld spielte keine Rolle. Ausserdem liess mir War-                 vieles zu erzählen hat, weil er viel erlebt hat. Wie er zum Beispiel
               ner völlig freie Hand. Ich begann damit, Videoaufnahmen von                        den notorisch missmutigen und berechnenden Chuck Berry zu-

                                                                                                                                                                               29

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I. Die Instanz – Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch im Gespräch mit Claude Nobs

               friedenstellte: Nobs wusste, dass Berry gerne fischt, also hat er ihm                    sieren sie mich überhaupt nicht. Das Visuelle ist für mich höchstens
               ein Boot organisiert und gleich noch ein paar Fische dazugelegt,                         ein Gewürz, das man beimengen kann oder auch nicht. Ich bin da
               die Berry dann als seine Beute vorzeigen konnte. Oder wie er mit                         sehr altmodisch. Früher hörte ich die alten 78er-Platten von Duke
               Paul Simon hoch über Montreux vor dem Chalet sass und langsam                            Ellington – das war auch mein Übername, als ich sehr jung war –,
               unruhig wurde, weil das Konzert bald beginnen sollte. Und                                die wurden analog mit einem Mikrofon aufgenommen, das klingt
               Simon ihm andeutete, er wolle erst noch dem Sonnenuntergang                              für mich nach Magie. Ich höre auch etwas schlechter als früher, weil
               zusehen – weshalb das Konzert eine Stunde später begann. Und                             ich an einem milden Tinnitus leide. Aber es stört nicht, wenn ich
               wie enttäuscht er von Sly Stone war, den er in den 1960ern in                            nicht daran denke.
               New York gesehen hatte und den er verehrt. Wie dieser dann völlig
               zugedröhnt auf die Bühne wankte und diese bereits nach zwanzig                           Du propagierst also ein Medium, das dich gar nicht interessiert?
               Minuten wieder verliess. «If you don’t like it, too bad», rief Nobs                      Die Technik fasziniert mich durchaus, ich habe ja auch einen Hang zu
               darauf dem tief enttäuschten Publikum zu. «Das war», kommentiert                         Gadgets aller Art. Und ich glaube an das Medium als Form der Kom-
               er heute, «mein grösster Fehler, das hätte ich nie machen dürfen.»                       munikation, auch an das Internet. Aber ich möchte selber nicht auf
               Dann wieder erzählt er von den Abenden in der Künstlerkolonie                            diese Weise Musik erleben; ich will sie nicht sehen, ich will sie hören.
               Woodstock in Upstate New York, als er bei Albert Grossman wohnte,
               damals Manager von Bob Dylan, Janis Joplin und The Band.                                 Du sagst, du wolltest aufhören. Aber du hattest immer grosse
               Und wie dort ein gewisser Jimi Hendrix aufkreuzte. So reihen sich                        Mühe, loszulassen und Verantwortung zu delegieren. Könnte
               Erinnerungen und Anekdoten aneinander, und man muss auf-                                 das damit zu tun haben, dass du dir alles selber aufgebaut hast,
               passen, ihnen nicht zu erliegen. Denn das ist nur die eine Seite von                     und dass du denkst, ohne dich geht nichts?
               Claude Nobs, sozusagen die romantische. Dabei hat gerade er                              Nein, überhaupt nicht. Mir ist es egal, ein Bäckerssohn zu sein, der
               auch die andere Seite erlebt, das Showbusiness als tönende Rechen-                       als Koch begonnen hat. Ich habe einen Ehrendoktortitel der
               maschine, als Kartell, zu dem er selber auch gehört.                                     Lausanner ETH, habe aber nie studiert. Es stimmt, dass ich in den
                                                                                                        1980er-Jahren glaubte, einen Nachfolger gefunden zu haben,
               Das Musikgeschäft ist gleichermassen rücksichtslos und                                   Emmanuel Gétaz. Der ist dann im Streit gegangen, weil er fand,
               heuchlerisch. Wie hast du das erlebt?                                                    ich liesse ihn nicht arbeiten. Vermutlich tragen wir beide eine
               Natürlich ist dieses Geschäft heuchlerisch. Die Leute sagen dir nie                      Mitschuld daran. Allerdings muss ich auch sagen, dass Emmanuel,
               direkt, was sie von dir halten. Ich spiele das Spiel mit, aber ich hasse                 der die Miles Davis Hall programmierte, dabei fast jedes Jahr ein
               es auch. Deshalb gehe ich auch immer weniger an offizielle Anlässe                       Defizit von einer Million Franken machte. Ich glich das damals mit
               und Partys.                                                                              den Profiten aus dem Auditorium Stravinski aus, aber fand dann
                                                                                                        doch, man könne so nicht weitermachen. Wir haben uns längst
               Einerseits bist du von der Musik begeistert, zugleich trittst du                         wieder versöhnt, er will jetzt sogar einen Film über mich machen.
               als knallharter Manager auf.                                                             Es stimmt, dass ich bis heute keinen offiziellen Nachfolger präsen-
               Ich kann mit vielen Leuten den grössten Krach bekommen, aber                             tieren kann. Aber es gibt mehrere Leute in meinem Team, die
               das geht bei mir schnell vorbei, denn ich bin nicht nachtragend.                         meine Arbeit kennen und sehr gut weiterführen könnten.
               Meistens erinnere ich mich nicht einmal an den letzten Streit, den
               ich mit jemandem hatte. Es gibt Leute, die mich absichtlich sehr                         Eine Stunde war uns zugestanden, es wurden vier daraus. Danach
               verletzt haben, aber das ist mir egal. Auch ich verliere oft die Be-                     ist zwar noch lange nicht alles beantwortet, aber vieles gefragt.
               herrschung, das hat vor allem mit der langen Dauer des Festivals zu                      Claude Nobs stellt sicher, dass jemand uns zum Bahnhof fährt, er
               tun: dass ich irgendwann gegen die Müdigkeit ankämpfe.                                   will nichts davon wissen, dass wir ein Taxi rufen. Er bringt uns zur
                                                                                                        Tür, verabschiedet sich, dreht sich um und geht gebückt in sein
               Es gibt noch einen anderen, zentralen Widerspruch bei dir,                               Haus zurück – allein. <
               von dem wir bereits gesprochen haben: Du liebst die
               Musik, schaust die Konzerte aber nur auf Video an. Warum
               hast du die Aufnahme lieber als das Konzert?
               Es stimmt, dass ich bei mir zu Hause überall Bildschirme aufge-                          Claude Nobs, geboren 1936, ist Mitbegründer und seit 43 Jahren Leiter des
               stellt habe. Aber ich muss euch etwas gestehen: Ich höre die Musik                       Montreux Jazz Festival. 1973 wurde Nobs Schweizer Direktor der Plattenfirma
               nur, ich schaue nicht zu. Am liebsten höre ich Musik ohne Bild.                          Warner Music Group. Im April 2010 teilte Nobs mit, dass er die operative
                                                                                                        Leitung des Montreux Jazz Festival an seinen Nachfolger Mathieu Jaton abtritt,
               Und am liebsten höre ich noch LPs auf exzellenten Plattenspielern.                       die strategische Leitung aber beibehält.
               Ich höre dann die Musik und lese vielleicht die Liner Notes auf der
                                                                                                        Philippe Dudouit, geboren 1977, erhielt als Fotograf verschiedene Auszeich-
               Plattenhülle. Ich habe zwar DVD, Bluray und all die anderen neuen                        nungen, darunter den Kiefer Hablitzel Kunstpreis. Dudouit ist zweifacher Gewinner
               Technologien öffentlich immer verteidigt. Aber im Grunde interes-                        eines World-Press-Photo-Awards.

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Du 808 – Juli /August 2010

               Anekdoten II.
                      Zu den spektakulärsten Auftritten von Claude Nobs gehörte 1989 eine Pressekonferenz in Luzern, wo Verkehrsdirektor
                      Kurt H. Illi hoffnungsfroh die mögliche Verlegung des Montreux Jazz Festival nach Luzern und Nobs ebenso hoffnungsfroh
               den möglichen Verbleib in Montreux andeuteten. Ihre Hoffnungen beruhten darauf, dass Nobs nach Ende des 23. Festivals
               dem Verkehrsverein Montreux, damals Träger des Festivals, seine Kündigung einreichte.
                        Seit Jahren lagen sich Claude Nobs und Jean Bischofsberger, der Pächter des Casinos, in den Haaren. Bischofsberger
               warf dem Festivalleiter vor, sein «Hippie-Publikum» mit den Schlafsäcken würde die Blumenrabatten verunzieren und mit Alkohol-
               und Haschischschwaden die Kundschaft vertreiben; Nobs konterte, das Casino hintertreibe den fröhlichen Festivalbetrieb, unter anderem
               mit einem «Essen so teuer wie bei Girardet und so schlecht wie bei der Armee». Das Fass zum Überlaufen brachte eine Lautsprecher-
               durchsage mitten im Konzert, die das Publikum nervte und eine Schallplattenaufnahme des Konzerts zunichte machte. Parallel
               dazu hatte die Casino-Besitzerin, das Hotel Montreux Palace, in dem seit Jahren die Musiker logierten, einem der Stars «Garantien»
               abverlangt. Als dieser den Empfangschef bat, doch bitte Claude Nobs zu kontaktieren, entgegnete man, ein Monsieur Nobs sei hier völlig
               unbekannt. Als Nobs den Mann zur Rede stellte, maulte dieser, er solle «seine Zulus» woanders unterbringen. Daraufhin forderte
               Nobs grundlegende Veränderungen der Festivalbedingungen. Er bekam vom Hotelchef Alfred Frei nicht bloss eine abschlägige Antwort,
               man beschied ihm auch, das Montreux Palace sei
               in keiner Weise auf die Festivalkundschaft angewiesen.
                        Nachdem der Luzerner Verkehrsdirektor
               Nobs anbot, das Festival zu zügeln, ging plötzlich alles
               ganz schnell: Jean Bischofsberger musste seine Stelle
               im Casino räumen, die Hippies durften wieder in den
               Rabatten übernachten und die Konditionen im Casino
               wurden den Wünschen des Festivals angepasst. Eine
               Lautsprecherdurchsage während eines Konzerts hat es
               nie mehr gegeben. (cr)

                                      Keith Jarrett war mit dem
                                      zur Verfügung stehenden Flügel
                              unzufrieden und verlangte – drei Stunden
                              vor dem Konzert – einen Grand Concert
                              Steinway. Den gab es nur am Konserva-
                              torium in Lausanne. Das Backstage-Team
                              schaffte es, den Flügel vor dem Konzert
                              nach Montreux zu bringen. Keith Jarrett
                              setzte sich daran und meinte lapidar:
                               «This one sounds not as good as the other,
                              so I play on the first one.» (pw)

                                        Am Boden, aber nie erledigt: Claude Nobs,
                                             der Mann auch für schwierige Fälle.

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