Baustein 2e "Gewalt gegen Kinder und Jugendliche: Vertiefung und Prävention" - DPSG
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Modul 2 Baustein 2e „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche: Vertiefung und Prävention” Es ist das Grundanliegen der DPSG, Kinder und Gehorsam des Kindes Erwachsenen gegenüber kön- Stand 12.04.2017 Jugendliche zu schützen und zu stärken und ihnen nen problematische Ausgangslagen bilden. Auch so die Möglichkeit zu geben, sich zu selbstbewuss- geschlossene Strukturen, die von Angst vor Aus- ten Persönlichkeiten zu entwickeln. Wir möchten schluss oder Strafe geprägt sind, stellen ein hohes also eine Kultur in unserem Verband leben, die Risiko für Kinder dar, über längere Zeit unentdeckt deutlich macht, dass für Gewalt bei uns kein Platz Opfer einer Gewalttat zu werden. ist. Rechtliche Situation Um das gewährleisten zu können, müssen Leiterin- Rechtliche Grundlagen nen und Leiter natürlich in der Lage sein, Gefahren- Bereits in Baustein 2d wurde zwischen Grenzverlet- situationen und Gewalt auch als solche erkennen zu zungen, sexuellen Übergriffen und strafrechtlich können und wissen, wie sie sich und die Kinder und relevanten Formen sexualisierter Gewalt gespro- Jugendlichen davor schützen können. Außerdem chen. Welche Verhalten strafrechtlich gemäß §§174 müssen sie Kindern und Jugendlichen die Möglich- ff. des Strafgesetzbuches relevant sind, wird im Fol- keit geben, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und genden genauer erläutert. sie auch zu äußern. Per Definition sind strafrechtlich relevante Formen Hintergründe sexualisierter Gewalt Straftaten gegen die sexuelle Prävention Selbstbestimmung. Dabei unterscheidet das Straf- gesetzbuch vier Schutzaltersgrenzen: Kinder unter 14 Jahren, Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren, Hintergründe Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren und Volljäh- rige ab 18 Jahren. Ursachen von Gewalt Rechtliche Situation Der Schutz von Kindern unter 14 Jahren (§§176, Rechtliche Grundlagen 176a, 176b StGB) Verfahrensablauf Sexuelle Kontakte zwischen einem Kind und einer Täterinnen- und Tätertypen Person ab 14 Jahren sind grundsätzlich nicht Das Leitbild der DPSG gegen sexualisierte erlaubt. Alle sexuellen Handlungen an oder vor Gewalt einem Kind unter 14 Jahren gelten als Missbrauch und sind verboten. Ursachen von Gewalt Prinzipiell kann jedes Kind und jede und jeder Sexuelle Kontakte zwischen Kindern sind nicht Jugendliche Opfer von Gewalt werden. Dennoch strafbar, da Kinder (also Personen bis 14 Jahre) nicht gibt es bestimmte Risikofaktoren, die, wenn einige strafmündig sind. Auch wenn sie nicht strafbar davon zusammenkommen, eine stärkere Belas- gemäß Strafgesetzbuch sind, sollten sexuelle Hand- tungssituation schaffen. Die Wahrscheinlichkeit, lungen zwischen Kindern dennoch sofort unterbun- dass Kinder und Jugendliche nicht sicher aufwach- den werden. sen, steigt, wenn bestimmte familiäre, persönliche, soziale oder materielle Gegebenheiten auf ungüns- Der Schutz von Jugendlichen unter 16 bzw. tige Weise zusammenspielen. unter 18 Jahren (§§180 Abs. 1, 182 StGB) Mit oder vor Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jah- Der Mangel an Zuwendung und schwierige persön- ren sind sexuelle Handlungen dann verboten, wenn liche Lebensverhältnisse können durchaus als Risi- die oder der Jugendliche zur Erziehung, Betreuung kofaktoren für Gewalttaten gelten, gaukeln Täterin- in der Lebensführung oder zur Ausbildung anver- nen oder Täter oft darauf ab, vermeintlich genau traut ist. Ob es sich bei Leiterinnen und Leitern um diese Bedürfnisse zu stillen. Auch eine mangelhafte Aufsichtspersonen handelt, denen die Jugendli- Sexualaufklärung oder grundsätzlich erwarteter chen zur Erziehung, Betreuung in der 83
Modul 2 Lebensführung oder zur Ausbildung anvertraut tinnen und Beamte der jeweiligen Fachdienststelle sind, wird von Richtern unterschiedlich einge- befragen das Kind, die Jugendliche oder den schätzt. Doch auch wenn Leiterinnen oder Leiter Jugendlichen. In einigen Polizeibehörden gibt es zu nach dem Gesetz nicht zwingend als Aufsichts- diesem Zweck auch sogenannte Kinderanhörungs- personen definiert werden, gilt zu bedenken: zimmer. Das sind kindgerecht gestaltete Räumlich- Leiterinnen und Leiter der DPSG haben einen keiten, in denen die Befragung in Bild und Ton auf- klaren Erziehungsauftrag und Verantwortung genommen und damit später dokumentiert werden für die Jugendlichen. Bei sexuellen Handlungen kann. Das ist sehr wichtig, um das Zustandekom- zwischen Leiterin oder Leiter und Jugendlicher men der „Kinderaussagen” nachvollziehbar zu oder Jugendlichem herrscht immer ein machen und den Vorwurf einer Beeinflussung von Ungleichgewicht! Vornherein auszuschließen. Wenn die erste Anhö- Ebenso sind sexuelle Handlungen mit Jugendli- rung durch die Fachdienststelle der Polizei sehr aus- chen zwischen 14 und 16 Jahren strafbar, wenn führlich und professionell ist, ist dies hilfreich für dabei eine über 21-jährige Person wissentlich das weitere Strafverfahren. Eine weitere Verneh- die fehlende Fähigkeit der oder des Jugendli- mung des Kindes, der oder des Jugendlichen im chen zur Selbstbestimmung ausnutzt. Gerichtsverfahren ist jedoch in der Regel erforderlich. Sexuelle Handlungen mit Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren sind strafbar, wenn die oder der Ablauf eines Strafverfahrens Jugendliche schutzbefohlen ist oder im Rahmen Die polizeiliche Ermittlungsakte wird an die örtlich eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeord- zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Diese net ist und diese Abhängigkeit missbraucht wird. entscheidet als „Herrin des Ermittlungsverfahrens” Sexuelle Handlungen mit oder vor Jugendlichen über das weitere Vorgehen, zum Beispiel Verfahren- zwischen 14 und 18 Jahren sind strafbar, wenn seinstellung oder Klageerhebung bei Amts- und dabei eine Zwangslage ausgenutzt oder Entgelt Landgericht. Falls das Verfahren eingestellt wird, geleistet wird. wird das den Geschädigten mitgeteilt und es gibt die Möglichkeit der Beschwerde. Wenn in einem Fall Verfahrensablauf Klage erhoben wird, folgt nach einem unterschied- Strafanzeige erstatten lich großen Zeitraum eine Hauptverhandlung. Diese Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendli- Wartezeit, in der der Prozess zwar bevorsteht, aber chen ist eine Straftat. Grundsätzlich kann jede und noch nicht angefangen hat, ist für das Kind, die jeder Anzeige erstatten, die oder der Kenntnis von Jugendliche, den Jugendlichen sehr belastend. Des- dem sexuellen Missbrauch eines Kindes oder wegen ist es wichtig, sie oder ihn auf die Gerichts- Jugendlichen hat. Die Anzeige kann schriftlich oder verhandlung gut vorzubereiten und während der mündlich erfolgen und ist an keine bestimmte Form gesamten Zeit des Verfahrens zu begleiten. In eini- gebunden. Sie muss grundsätzlich bei jeder Polizei- gen Städten gibt es daher Zeugenbegleitpro- dienststelle oder der Staatsanwaltschaft entgegen- gramme. Auch Beratungsstellen bieten hier profes- genommen werden. Die Strafverfolgungsbehörden sionelle Hilfe. haben die Pflicht, sobald sie vom Verdacht einer strafbaren Handlung erfahren, den Sachverhalt zu Anzeigepflicht erforschen (= Strafverfolgungszwang). Sexuelle Für Leiterinnen und Leiter herrscht keine Anzeige- Straftaten gegen Kinder und pflicht. Wenn ein Kind, eine Jugendliche oder ein Jugendlicher sich anvertraut oder die Leiterin oder Jugendliche können zu einem großen Teil noch der Leiter eine Situation beobachtet hat, sollte der nach mehreren Jahren angezeigt werden. Die Ver- erste Schritt keinesfalls der Gang zu Polizei oder jährung bei Verfahren wegen sexuellem Missbrauch Staatsanwaltschaft sein. Denn ist erst einmal Straf- an Kindern ruht bis 10 Jahre nach Vollendung des anzeige gestellt, muss die Polizei ermitteln. 18. Lebensjahres des Opfers. Ermittlungen können für Kinder und Jugendliche äußerst belastend sein und nicht immer kommt es Polizeiliche Vernehmung des Kindes oder anschließend tatsächlich zu einem Gerichtsverfah- Jugendlichen ren geschweige denn zu einem Schuldspruch. In vielen Fällen sexuellen Missbrauchs sind die Daher ist unbedingt zu empfehlen, eine Fachbera- Angaben des Kindes oder der oder des Jugendli- tungsstelle aufzusuchen und gemeinsam mit dieser chen zunächst einmal die zentralen Beweise. Aus zu entscheiden, wie weiter vorgegangen wird. diesem Grund kommt der Anhörung des Kindes oder der oder des Jugendlichen durch die Polizei Quelle: http://www.hinsehen-handeln-helfen.de/ eine hohe Bedeutung zu. Speziell geschulte Beam- besonnenhandeln/vorgericht.asp 84
Modul 2 Täterinnen- und Tätertypen Langfristige Planung des Missbrauchs In Deutschland kam es 2010 zu 16.000 angezeigten Sexualisierte Gewalt ist in den seltensten Fällen eine Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern zwi- spontane Tat, es geht zumeist eine Phase mit sexu- schen 2 bis 14 Jahren. Allerdings gehen Fachleute ellen Gewaltfantasien voraus. Täterinnen und Täter davon aus, dass die tatsächliche Anzahl weitaus planen den Missbrauch systematisch und langfris- höher liegt, dass sich viele betroffene Kinder mögli- tig, suchen sich ihre Opfer gezielt aus und rechtfer- cherweise nicht anvertrauen oder aber dass die tigen und entschuldigen die Tat vor sich selber. Anzeige unterlassen wird, beispielsweise um das Kind zu schützen. Etwa 50% der Täterinnen und Suche nach möglichen Opfern und günstigen Täter kommen aus dem Bekanntenkreis der Familie, Voraussetzungen etwa 25% sind direkte Verwandte und nur 25% Jedes Kind, jede und jeder Jugendliche kann Opfer wirklich Fremde. Sind Täterinnen und Täter über von Gewalt werden. Doch es gibt gewisse Faktoren einen längeren Zeitraum aktiv, sind sie meist Mehr- und Eigenschaften, die Kinder und Jugendliche für fachtäterinnen und -täter und machen mehrere Kin- Täterinnen und Täter zu potentiellen „einfacheren“ der oder Jugendliche zu ihren Opfern. Opfern machen. Dazu gehört Schüchternheit, Ängstlichkeit und Unsicherheit sowie ein geringes Oft ist man gerne geneigt, Täterinnen und Täter Selbstwertgefühl. Kinder und Jugendliche, denen sexualisierter Gewalttaten genau dort zu vermuten, es zu Hause an Liebe und Zuwendung fehlt, sehnen wo man selber nicht aktiv ist oder sie doch zumin- sich nach Personen, die ihnen das geben, was sie dest als derartig andersartig zu beschreiben, dass Zuhause vermissen. Sind Kinder und Jugendliche man wohl kaum mit ihnen zu tun habe. In diesem mit traditionellen Erziehungsvorstellungen in der recht menschlichen Verhalten liegt ein Grundprob- Familie wie z.B. dem Verlangen von unbedingtem lem für die Betroffenen: Wenn viele wegschauen Gehorsam gegenüber Erwachsenen aufgewachsen, und nicht glauben wollen, was sie vielleicht mitbe- haben sie nicht gelernt, sich Erwachsenen gegen- kommen, sehen oder fühlen, dann ist es schwer, über zu widersetzen. Hilfe und Unterstützung zu erfahren. Gerade im Bereich sexualisierter Gewalt tauchen oft immer Sexualisierte Annäherung wieder Mythen zu den Persönlichkeiten der Täterin- Die Täterin oder der Täter setzt an den Schwächen nen und Täter auf, die es zu entkräften gilt: Keines- und Bedürfnissen des Kindes, der oder des Jugend- wegs sind Täterinnen und Täter überwiegend psy- lichen an und baut zum Teil eine enge freundschaft- chisch krank oder pädophil veranlagt, auch Alkohol liche Beziehung zu ihr oder ihm auf. Die Gespräche und Drogen und sexueller Frust spielen kaum eine drehen sich um sexuelle Themen wie den eigenen Rolle. Auch dass ausschließlich Männer zu Tätern Vorerfahrungen, sexueller Vorlieben oder auch Neu- werden, ist falsch. gierde. Durch scheinbar zufällige, unverfängliche Berührungen (kleinen Grenzverletzungen) gewöhnt All solche Mythen nutzen vor allen Dingen Täterin- die Täterin oder der Täter das Kind, die Jugendliche nen und Tätern, denn sexualisierte Gewalt wird im oder den Jugendlichen an Körperkontakt, was beim eigenen Umfeld nicht erwartet, Betroffenen oftmals Kind oder der oder dem Jugendlichen zu Zweifel an nicht geglaubt oder Hinweise nicht ernst seiner Wahrnehmung führt. genommen. Langfristige Aufrechterhaltung des Zugangs 1.4 Täterinnen- und Täterstrategien zum Kind Täterinnen und Täter gehen zwar vielfältig, aber fast Die Täterin oder der Täter spricht massive Drohun- immer strategisch vor, was ein Aufdecken der gen aus, um das Opfer zum Schweigen zu bringen. Gewalttat zusätzlich erschwert: Sie oder er droht beispielsweise mit Konsequenzen für die Familie, mit der Tötung des Haustieres, mit „Das Ziel der Täterstrategien ist einerseits, an das körperlicher Gewalt oder spricht gar Morddrohun- Opfer zu gelangen, es gefügig zu machen und jeden gen aus. Der Missbrauch wird zum gemeinsamen Widerstand wirkungslos werden zu lassen bzw. auszu- Geheimnis erklärt und die Täterin oder der Täter schalten, andererseits durch Geheimhaltung, Schuld- droht mit dem Aufkündigen der Freundschaft. Es zuweisungen und Drohungen als Täter/in unentdeckt/ kann auch zum tatsächlichen Einsatz körperlicher unbestraft zu bleiben und dadurch das kriminelle Ver- Gewalt kommen. halten beliebig fortsetzen zu können.“ Stützung und Nutzung der „Täterlobby“ Die folgenden Schritte geben einen Überblick, wel- Die Täterin oder der Täter stützt sich auf die Perso- che Strategien nach Studien des Deutschen nen und Institutionen, die dazu beitragen, sexuali- Jugendinstituts (2001) Täterinnen und Täter nutzen: sierte Gewalt nicht als Straftat zu bewerten, 85
Modul 2 sie zu verharmlosen oder zu rechtfertigen, und die traumatischen Folgen für die Opfer zu leugnen. Das bedeutet für uns auch, die eigenen Grenzen Sie oder er baut also nicht nur gezielt eine Bezie- wahrzunehmen und benennen zu können und sen- hung zum Kind, zur oder zum Jugendlichen auf, sibel zu sein für die Grenzen der Anderen sowie vor sondern auch zu den Personen in dessen Umge- Grenzverletzungen nicht die Augen zu bung. Sie oder er manipuliert gezielt Eltern oder verschließen. Freundinnen und Freunde und schafft Vertrauen, damit diese Personen später die Täterin oder den Täter schützen, weil sie ihr oder ihm mehr Glauben schenken als der oder dem Jugendlichen. Das Leitbild der DPSG gegen sexualisierte Gewalt Auf Basis der Prinzipien der Weltpfadfinderbewe- gung orientiert sich die DPSG am Gesetz der Pfad- finderinnen und Pfadfinder. Es beschreibt Regeln, an die sich alle Mitglieder des Verbandes aus eige- ner Überzeugung halten. Das Leitbild gegen sexua- lisierte Gewalt leitet sich aus diesem Gesetz ab. Als Pfadfinderin, als Pfadfinder… … bin ich höflich und helfe da, wo es notwendig ist. Das bedeutet für uns auch, denen zu helfen, die sexuell bedrängt oder missbraucht werden, und, wenn erforderlich, selbst Hilfe in Anspruch zu neh- men, etwa von einer Person unseres Vertrauens oder einer außenstehenden Fachkraft. …b egegne ich allen Menschen mit Respekt und habe alle Pfadfinder und Pfadfinderinnen als Geschwister. Das bedeutet für uns auch, keinesfalls die Grenzen, welche Andere uns setzen, zu überschreiten, die Intimsphäre der Anderen zu achten, und keine geis- tige, körperliche und rollenmäßige Überlegenheit …m ache ich nichts halb und gebe auch in Schwierig- auszunutzen. keiten nicht auf. Das bedeutet für uns auch, einer Vermutung nach- zugehen, selbst wenn es unangenehm ist, und dabei kompetente Unterstützung von außen einzuholen. …g ehe ich zuversichtlich und mit wachen Augen durch die Welt. 86
Modul 2 Teil der schützenswerten Natur zu begreifen, des- sen Bedürfnis nach Intimität zu wahren und nichts zuzulassen, was diesen schädigen könnte. … e ntwickle ich eine eigene Meinung und stehe für diese ein. Das bedeutet für uns auch, im Umgang mit sexuali- sierter Gewalt nicht pauschal die Auffassung von anderen zu übernehmen, sondern sich von Fall zu Fall kritisch ein eigenes Urteil zu bilden und dabei … s tehe ich zu meiner Herkunft und zu meinem weder zu verharmlosen noch zu übertreiben. Glauben. Das bedeutet für uns auch, die Wertvorstellungen anderer sowie der eigenen Kulturen und Glaubens- richtungen hinsichtlich ihrer und unserer Sexualität zu achten und sich damit auseinanderzusetzen. 1 Enders, Ursula: Grenzen achten, KiWi, 2012 2 Poli- zeiliche Kriminalstatistik 2010 3 Heiliger, Anita: Täterstrategien bei sexuellem Miss- brauch und Ansätze der Prävention. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 56/57, 2001, S. 71 … sage ich, was ich denke und tue, was ich sage. Prävention Das bedeutet für uns auch, im zwischenmenschli- Definition chen Kontext, im Verband und in der Öffentlichkeit Prävention begegnet uns in unserem Alltag an vie- konsequent gegen sexualisierte Gewalt len Stellen. Sei es der Bereich der Gesundheitsprä- vorzugehen. vention, Suchtprävention oder auch Gewaltpräven- tion. So viele verschiedene Präventionsbegriffe es gibt, so viele verschiedene wissenschaftliche Defini- tionen gibt es. Im Bereich der Prävention sexuali- sierter Gewalt hat sich der Präventionsbegriff des Psychiaters Gerald Caplan etabliert. Dieser unter- scheidet drei Arten der Prävention: die primäre, die sekundäre und die tertiäre Prävention. Primäre Prävention ist gleichzusetzen mit Vorbeu- gen. Wenn im Allgemeinen über Prävention gespro- chen wird, ist in der Regel primäre Prävention gemeint. Primärprävention hat das Ziel, sexuali- sierte Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen. Sekundäre Prävention setzt da an, wo grenzverlet- … lebe ich einfach und umweltbewusst. zendes Verhalten bereits aufgetreten ist, kann also als Intervention verstanden werden. Ziel ist hierbei, Das bedeutet für uns auch, unseren Körper als wiederholte Grenzverletzungen zu verhindern bzw. Schlimmerem vorzubeugen. 87
Modul 2 Tertiäre Prävention ist gleichbedeutend mit Rehabili- Stimme und gesundem Selbstvertrauen können tation und zielt vor allem darauf ab, Spätfolgen bei Opfer sexualisierter Gewalt werden. Wenn ein Kind, Kindern und Jugendlichen, die Opfer sexualisierter eine Jugendliche oder ein Jugendlicher Opfer von Gewalt geworden sind, zu vermindern.17 sexualisierter Gewalt geworden ist, trägt niemals sie oder er selbst die Schuld. Die Verantwortung dafür In der DPSG gehen wir von einem ganzheitlichen liegt immer bei den Erwachsenen. Präventionsbegriff aus und verstehen auch Inter- vention und Rehabilitation als Teile der Prävention. Damit Kinder und Jugendliche sicher und frei auf- Dennoch folgen wir bei den Begrifflichkeiten der wachsen können, müssen Leiterinnen und Leiter Umgangssprache. ihnen auch die entsprechenden Freiräume schaffen. Wenn im Folgenden also von Prävention gespro- So ist ein Ziel des Bausteins, Leiterinnen und Leitern chen wird, ist damit die Primärprävention gemeint. Handwerkszeug mitzugeben, damit sie Kinder und Jugendliche dazu befähigen, die eigenen Grenzen Prävention mit Kindern und zu erkennen und sie entsprechend auch zu äußern. Jugendlichen Weiter müssen Leiterinnen und Leiter in der Lage Neben der strukturellen Verankerung von Präven- sein, Gewalt und potentiell gefährliche Situationen tion in beispielsweise der Ausbildung von Leiterin- als solche erkennen zu können. So können sie sol- nen und Leitern, gibt es gezielte Präventionsan- che Situationen bestenfalls verhindern oder zumin- sätze, die Kinder und Jugendliche dabei dest angemessen reagieren. unterstützen sollen, sich besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Dabei gibt es acht Regeln, die Kinder und Jugendli- che gemeinsam mit den Leiterinnen und Leitern in den Gruppenstunden lernen sollen. 1. Mein Körper gehört mir! 2. Ich kann mich auf meine Gefühle verlassen und ihnen vertrauen! 3. Es gibt gute, schlechte und komische Berührungen! 4. Ich darf „Nein“ sagen! 5. Es gibt gute und schlechte Geheimnisse! 6. Ich darf Hilfe holen und darüber sprechen, auch wenn es mir ausdrücklich verboten wurde! 7. Kein Erwachsener hat das Recht, Kindern Angst zu machen!18 8. Ich bin nicht schuld! Leiterinnen und Leiter sollten Kinder und Jugendli- che dazu ermutigen, ihre eigenen Gefühle und auch Grenzen wahrzunehmen und diese zu äußern. Damit sich die Kinder und Jugendlichen ernst genommen fühlen, ist es wichtig, dass die Leiterin- nen und Leiter die Interessen, Bedürfnisse und Grenzen der Kinder respektieren und auf diese ein- gehen. So werden Kinder und Jugendliche darin unterstützt, sich zu selbstbewussten Persönlichkei- ten zu entwickeln. Doch auch Kinder und Jugendliche mit lauter 17 Marquardt-Mau, Brunhilde: Prävention in der Schule. In. Bange, Dirk / Körner, Wilhelm (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Göttingen u. a. 2002, S. 439. 18 Bange, Dirk: Prävention mit Kindern. In: Bange, Dirk / Körner, Wilhelm (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Göttingen u. a. 2002, S. 447 – 448. 88
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