Besonders schutzbedürftige Geflüchtete Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt - Queer Refugees ...
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Über die Autor*innen Alva Träbert (M.Sc.) Sie ist in der Bochumer LSBTI-Beratungsstelle Rosa Strippe e.V. tätig. Sie leitet dort das NRW -weite Schu- lungsprojekt „LSBT*I* und Flucht“ und berät Geflüchtete in der Regionalberatung. Patrick Dörr (M.A.) Er leitete von 2017 bis 2019 das bundesweite LSVD- Projekt „Queer Refugees Deutschland“. Seit Juli 2019 ist er ehrenamtlich für den LSVD zu den Themen Asyl und Migration tätig. Queer Refugees Deutschland - Ein Projekt des LSVD Lilith Raza (M.Sc.) und Ina Wolf beraten, unterstützen, vernetzen und informieren im Projekt „Queer Refugees Deutschland“ LSBTI-Geflüchtete und Organisationen, die mit LSBTI-Geflüchteten arbeiten. Das bundesweite Projekt des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) wird gefördert von der Beauftrag- ten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Kontakt zum Projekt „Queer Refugees Deutschland“: Webseite: www.queer-refugees.de E-Mail: queer-refugees@lsvd.de 1
Inhalt Über die Autor*innen 1 Inhalt 2 Einleitung 3 Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt 5 Identität und Coming-out 7 LSBTI-feindliche Gewalt und Verfolgung 9 Beratung im Asylverfahren 13 Unterbringung und Gewaltschutz 15 Psychosoziale Beratung 17 Transition und Personenstandsänderung 19 Vernetzung und Empowerment 21 Über diese Broschüre 23 2
Einleitung Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- als auch im Asylverfahren besteht das und intergeschlechtliche (LSBTI) Ge- größte Hindernis jedoch darin, dass sich flüchtete teilen mit allen anderen ge- die Mehrzahl der LSBTI-Geflüchteten flüchteten Menschen eine ganze Reihe nicht als solche zu erkennen geben – sei von Erfahrungen: Sie haben oft Krieg es aus Angst, Scham oder aber, weil sie und Gewalt erfahren, haben bei der nicht wissen, dass ihre sexuelle Orien- Flucht ihr Leben im Herkunftsland – Fa- tierung bzw. geschlechtliche Identität milie, Freund*innen, Partner*innen – zu- von entscheidender Bedeutung für ihr rückgelassen und sich in ein fremdes Asylverfahren oder für ihre Unterbrin- Land begeben, dessen Gesetze und gung sein könnte. Sprache sie noch nicht kennen. Hinzu kommen in der Regel eine ganze Reihe Die vorliegende Broschüre unterstützt spezifischer Erfahrungen, die sie be- Unterkunftsmitarbeitende sowie Bera- sonders vulnerabel machen. Daher gel- ter*innen und ehrenamtliche Mitarbei- ten sie in Deutschland als besonders tende darin, diesen besonderen Heraus- schutzbedürftige Gruppe. Das heißt, forderungen in ihren unterschiedlichen dass Bund, Länder und Kommunen Arbeitskontexten in der Arbeit mit Ge- entsprechend der EU-Aufnahmericht- flüchteten gerecht zu werden. In den linie1 besondere Maßnahmen ergreifen Abschnitten „Sexuelle und geschlechtli- müssen, um sie vor Gewalt vor allem in che Vielfalt“, „Identität und Coming- Sammelunterkünften zu schützen. out“ und „LSBTI-feindliche Gewalt und Gleichzeitig benötigen LSBTI-Geflüch- Verfolgung“ wollen wir hierfür zunächst tete gemäß EU-Verfahrensrichtlinie2 den Blick auf die vielfältigen Hinter- besondere Verfahrensgarantien, um gründe der in Deutschland Schutz su- während des Asylverfahrens ihre Rechte chenden LSBTI-Geflüchteten richten. wahrnehmen und ihre Pflichten erfüllen Die folgenden Abschnitte beschäftigen zu können. Sowohl beim Gewaltschutz sich mit den zentralen Arbeitsfeldern „Beratung im Asylverfahren“, „Unter- 1 Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für bringung und Gewaltschutz“ und „Psy- die Aufnahme von Personen, die internationalen chosoziale Beratung“, beinhalten wich- Schutz beantragen 2 tige Handlungsempfehlungen und Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationa- verweisen auf weitere nützliche Materia- len Schutzes 3
lien für die Arbeit mit LSBTI- standsänderung“. LSBTI-Geflüchtete Geflüchteten. Hier stehen vor allem sind nicht nur wie alle anderen Geflüch- Maßnahmen im Fokus, mit denen Un- teten auch eine Minderheit in Deutsch- terkunftsmitarbeitende und Beratende land, sondern gleichzeitig eine Minder- dazu beitragen können, dass LSBTI- heit unter ihren eigenen Landsleuten. Geflüchtete das Vertrauen finden, sich Daher ist es für sie besonders wichtig, mit ihren Anliegen an sie zu wenden. sich mit anderen LSBTI-Geflüchteten Viele transgeschlechtliche Geflüchtete auszutauschen und Netzwerke zu bil- möchten hierbei erfahren, wie sie – sei den. Den Organisationen der LSBTI- es während oder nach dem Asylverfah- Community und der LSBTI-Geflüchteten ren – eine Transition (Geschlechtsan- selbst widmet sich daher das abschlie- gleichung) beginnen bzw. fortsetzen ßende Kapitel „Vernetzung und Em- können. Diesem Thema widmet sich der powerment“. Abschnitt „Transition und Personen- Foto: Marta Branco, pexels.com 4
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Das Kürzel LSBTI wird so oder so ähn- empfinden jedoch, dass das ihnen bei lich neben dem Wort queer benutzt, um der Geburt zugewiesene Geschlecht auf ein ganzes Spektrum von Identitäten zu sie nicht oder nicht ausschließlich zu- beschreiben. Allen diesen Identitäten ist trifft. Viele trans*Personen empfinden gemein, dass sie in der ein oder anderen vielmehr Teile ihres Körpers als fremd. Form nicht in traditionelle, binäre Vor- Andere hingegen finden ihre Körper stellungen von Geschlechtlichkeit pas- passend, empfinden sich jedoch entge- sen. Es gibt unterschiedliche Erhebun- gen der gesellschaftlichen Erwartung gen und Schätzungen zum Anteil dieser nicht als Mann oder als Frau. Die Viel- Gruppen an der Gesamtbevölkerung. So zahl der Begriffe (wie transgender, wurde ermittelt, dass sich 7,4 % der transsexuell, nicht-binär) trägt der sehr Deutschen als lesbisch, schwul, bisexu- großen Vielfalt dieser geschlechtlichen ell oder transgeschlechtlich bezeichnen. Identitäten Rechnung. Der Anteil derer, die faktisch nicht aus- schließlich heterosexuell lieben, ist Intergeschlechtliche Personen unter- sogar noch höher. Lesbische, schwule scheiden sich von anderen Menschen und bisexuelle Personen begehren nicht zunächst durch ihre biologischen Ge- oder nicht ausschließlich „das“ andere schlechtsausprägungen. So gibt es Men- Geschlecht, haben also andere sexuelle schen, die bereits aus genetischer Sicht Orientierungen als die Mehrheitsgesell- weder männlich noch weiblich sind. Bei schaft. Der Begriff „homosexuell“ für anderen Personen sind es körperliche Schwule und Lesben findet in Deutsch- Ausprägungen, die nicht unserem Bild land seit einiger Zeit kaum noch Ver- von Frauen und Männern entsprechen. wendung. Viele Personen wissen hierbei gar nicht, dass sie intergeschlechtlich sind. Auch In der Regel wird Menschen bei der in Deutschland werden immer noch, Geburt anhand ihrer körperlichen zum großen Leidwesen der Betroffenen, Merkmale das Geschlecht männlich medizinisch nicht notwendige Operati- oder weiblich zugewiesen. Die meisten onen an Kindern durchgeführt, nur Menschen erachten diese Zuweisung im damit sie den Vorstellungen der Mehr- weiteren Verlauf ihres Lebens als zutref- heitsgesellschaft entsprechen. Seit An- fend. Transgeschlechtliche Personen fang 2019 hat auch Deutschland auf- 5
grund eines Beschlusses des Verfas- The Genderbread Person sungsgerichts anerkannt, dass es mehr Die Geschlechtliche Identität (Gender Geschlechter als nur Frau und Mann gibt Identity), der Geschlechtsausdruck und den dritten Geschlechtseintrag „di- (Gender Expression), das biologische vers“ eingeführt. Geschlecht (Biological Sex) und die sexuelle Orientierung (Sexual Orientati- Mehr Information zu Begriffen und on) bewegen sich allesamt auf einem Identitäten finden sich beispielsweise im Spektrum. Das bedeutet, dass diese Glossar von „Anders & Gleich“: Kategorien nicht binär zu verstehen www.aug.nrw/glossar bzw. zu denken sind, sondern vielfältig ausgelebt werden können. Abb: The Genderbread Person, abgeleitet vom engl. Wort ‚Gingerbread‘ (dt.: Lebkuchen). 6
Identität und Coming-out Das „Coming-out“ ist für viele LSBTI- theken, CSDs3 oder die sozialen Medien. Personen ein lebenslanger, komplexer Gerade junge Menschen sind oft beson- Prozess, in dem sie ihre sexuelle Orien- ders verletzlich, in Bezug auf ihre Iden- tierung bzw. geschlechtliche Identität tität verunsichert und benötigen daher in sich selbst vergegenwärtigen (inneres dieser Lebensphase Ermutigung und Coming-out) und ihrer Umwelt mitteilen Hilfe. Viele verheimlichen ihre Identität (äußeres Coming-out). Zahlreiche For- aus Angst vor Ablehnung, Diskriminie- schungen belegen, dass ein erfolgreiches rung und Gewalt. Studien zeigen, dass Coming-out positive Auswirkungen auf für junge LSBTI-Personen ein um ein das allgemeine Wohlbefinden sowie die Vielfaches erhöhtes Risiko besteht, körperliche und psychische Gesundheit einen Suizidversuch zu unternehmen, hat. Inwiefern ein äußeres Coming-out als für gleichaltrige Nicht-LSBTI- erfolgt, hängt von vielen Faktoren ab. Personen. Auch in Deutschland erfährt Gerade hier sind die Unterstützung durch die Mehrheit LSBTI-Jugendlicher nach Freund*innen, die Existenz positiver dem Coming-out gegenüber den Eltern Vorbilder und Akzeptanz in der Familie zunächst Ablehnung. Langfristig kann entscheidend. In einer weiterhin sehr die Geheimhaltung der Identität sowohl heteronormativen Umgebung ist die die physische als auch die psychische Arbeit spezialisierter Beratungsstellen Gesundheit massiv beeinträchtigen. enorm wichtig. Sichere Räume, in denen Nicht wenige Jugendliche haben in die- sich LSBTI-Personen angstfrei austau- ser Situation mit selbstverletzendem schen und ihre sexuelle Orientierung Verhalten, Essstörungen oder Sucht zu bzw. geschlechtliche Identität leben kämpfen. Somit stellt das Coming-out können, ohne der Gefahr eines Fremd- auch in Deutschland trotz maßgeblicher Outings oder verbaler wie physischer rechtlicher und gesellschaftlicher Ver- Gewalt ausgesetzt zu sein, vereinfachen besserungen der letzten Jahre für viele diesen für viele sehr schweren Schritt LSBTI-Jugendliche weiterhin eine echte eines Coming-out enorm. Diese sicheren Herausforderung dar. Räume können sensibilisierte Jugend- treffs sein, aber auch einfach LSBTI- Treffpunkte wie Bars, Kneipen, Disko- 3 Christopher Street Day: Feierliche Demonstration für die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minder- heiten. 7
Für LSBTI-Geflüchtete ist diese Heraus- sexuellen und geschlechtlichen Minder- forderung aus verschiedenen Gründen heiten – vielfach werden sie von der noch einmal größer. Zunächst einmal Mehrheitsgesellschaft und vom Staat als sind die mit dem Kürzel LSBTI bezeich- kriminell, sündhaft und krank aufge- neten Identitäten – ebenso wie das Kon- fasst. Mit diesen Vorstellungen wachsen zept eines Coming-out – zumindest auch Jugendliche auf, die sich später ursprünglich westliche Vorstellungen. selbst als LSBTI begreifen. Ihnen fällt es Vielen Geflüchteten fällt es daher umso schwerer, ein positives Selbstbild schwer, im Asylverfahren oder in der zu entwickeln, welches sie dann ihrer Unterkunft ihre Identität in der gefor- Umwelt überhaupt mitteilen könnten. derten Weise zu benennen – zumal es in Viele LSBTI-Geflüchtete haben darüber einigen Sprachen die entsprechenden hinaus am eigenen Leib oder in ihrem Begrifflichkeiten nicht gibt. Zudem ist Umfeld erlebt, welche Gefahren ein die rechtliche und gesellschaftliche (freiwilliges oder unfreiwilliges) Co- Haltung in den meisten Herkunftslän- ming-out mit sich bringen kann. dern eindeutig ablehnend gegenüber Foto: Francesco Ungaro, pexels.com 8
LSBTI-feindliche Gewalt und Verfolgung Nicht alle LSBTI-Geflüchteten sind der Verfolgung dar. Gleichgeschlechtli- aufgrund ihrer sexuellen Orientierung che Paare können in diesen Ländern oder geschlechtlichen Identität nach nicht offen leben und werden massiv Deutschland geflohen. Viele wurden, diskriminiert. Die Gründung einer Fa- wie andere Geflüchtete auch, Opfer von milie ist nicht möglich. Nichtstaatlicher Krieg und Vertreibung. Jedoch gibt es Gewalt stehen LSBTI-Personen hier auch viele Personen, die aufgrund ihrer ohne staatlichen Schutz oft wehrlos sexuellen Orientierung oder geschlecht- gegenüber. Nicht nur schwule, lesbische lichen Identität verfolgt wurden. Ver- und bisexuelle, sondern auch transge- gleicht man die Flüchtlingsstatistiken schlechtliche Personen werden Opfer aus den letzten Jahren mit der rechtli- dieser homophoben Gesetze. Hinzu chen Situation in den Herkunftsländern, kommt, dass transgeschlechtlichen Per- so sieht man: Die weit überwiegende sonen in vielen Ländern der Wechsel Mehrzahl aller Geflüchteten in Deutsch- von Geschlechtseintrag und Namen land kommen aus einem der ca. 70 Län- sowie die Durchführung geschlechtsan- der, in denen einvernehmliche homose- gleichender Maßnahmen per Gesetz xuelle Handlungen unter Erwachsenen – verwehrt bleiben. ähnlich wie noch in der Bundesrepublik bis 1969 – mit mehrjährigen Haftstrafen Die Verfolgung geht nicht immer nur geahndet werden. In vielen dieser Län- vom Staat aus. Viele LSBTI-Geflüchtete der steht darauf sogar die Todesstrafe. berichten, dass sie vor ihrer eigenen Familie geflüchtet sind. In vielen Ge- Der Staat ist in diesen Ländern nicht sellschaften gilt schwul, lesbisch oder Schützer, sondern Verfolger. So fahndet trans* sein mehrheitlich als Sünde, als beispielsweise der ägyptische Staat in Schande oder gar als Krankheit. Die Dating-Apps systematisch nach LSBTI- Formen, die die LSBTI-feindliche Ge- Personen, wobei sich das Strafmaß auf walt annehmen kann, sind dabei sehr mehrere Jahre belaufen kann. Selbst vielfältig und reichen von Beleidigungen wenn die Lage von Land zu Land variiert bis hin zu Mord. Schwule und lesbische und diese Gesetze in manchen Staaten Geflüchtete berichten, dass die Familie seltener zur Anwendung kommen als in sie zwingen wollte, heterosexuell zu anderen, so stellen sie doch eine Form heiraten. Besonders lesbische Frauen 9
werden oft Opfer von Vergewaltigun- Die International Lesbian, Gay, Bisexu- gen, mit denen sie von ihrer Homosexu- al, Trans and Intersex Association alität „geheilt“ werden sollten. Vielen (ILGA) erstellt regelmäßig einen Bericht trans*Personen werden durch die Fami- zur Lage von LSBTI-Personen in der lie oder durch ihre Partner*in notwendi- Welt: www.ilga.org ge Medikamente vorenthalten. Die nachfolgende Karte „Gesetze zur Der Lesben- und Schwulenverband in sexuellen Orientierung in der Welt“ Deutschland (LSVD) verfasst auf Anfra- finden Sie auf der Internetseite von ge Begleitschreiben zur Lage von ILGA in einem größeren Format: LSBTI-Personen für das jeweilige Her- www.queer-refugees.de/wp-content/uploa kunftsland. Diese können sowohl im ds/2019/08/ilga-karte-2019-deutsch.pdf Asylverfahren als auch im Falle einer Klage genutzt werden. Anfragen können gerichtet werden an: E-Mail: asylrecht@lsvd.de 10
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Beratung im Asylverfahren LSBTI-Geflüchtete können – wenn ihnen Beratungsstellen allen Geflüchteten bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland gegenüber ihre Offenheit für LSBTI- Verfolgung aufgrund ihrer LSBTI- Themen vermitteln. Hierzu sollten sie Zugehörigkeit droht – einen internatio- über Poster Sichtbarkeit für das Thema nalen Schutzstatus erhalten. Hierbei herstellen. Beratende sollten zusätzlich müssen LSBTI-Geflüchtete sowohl diese systematisch in jedem Erstgespräch über Zugehörigkeit als auch die Verfol- die Relevanz der sexuellen Orientierung gungswahrscheinlichkeit glaubhaft ma- bzw. geschlechtlichen Identität für das chen. LSBTI-Geflüchtete haben jedoch Asylverfahren informieren. Vielen meist ihr Leben lang diskret gelebt, in LSBTI-Geflüchteten fehlen die Worte, der Regel aus Angst vor Gewalt und um ihre Hintergründe während der An- Diskriminierung, oder aber aus Scham hörung zu schildern. Es ist daher be- vor ihrer eigenen sexuellen Orientierung sonders wichtig, mit ihnen das Sprechen bzw. geschlechtlichen Identität. Sich über ihre Orientierung bzw. Identität den BAMF-Mitarbeitenden gegenüber sowie über das Erlebte zu üben. Häufig zu outen und intime Details zu berichten stellt das BAMF jedoch die LSBTI- fällt vielen von ihnen äußerst schwer – Zugehörigkeit der geflüchteten Perso- zumal in Anwesenheit einer Sprachmitt- nen an sich in Zweifel. Neben der Situa- lung aus dem eigenen Kulturkreis. Da- tion im Herkunftsland ist es daher rat- her hat sich Deutschland in der Auf- sam, dass Antragsteller*innen auch ihr nahmerichtlinie verpflichtet, LSBTI- Leben als LSBTI-Person in Deutschland Antragsteller*innen besondere Verfah- nachweisen. So nehmen viele LSBTI- rensgarantien zu gewähren. Hierzu Geflüchtete an CSD-Veranstaltungen gehört, dass LSBTI-Personen im Vor- teil, besuchen zielgruppenspezifische feld der Anhörungen beantragen Gruppenangebote oder nehmen Bera- können, dass diese durch „Sonderbeauf- tungsangebote von LSBTI-Organisatio- tragte für geschlechtsspezifische Ver- nen wahr. folgung“ durchgeführt werden. LSBTI-Geflüchtete, deren Asylverfah- Damit sich diejenigen Geflüchteten, die ren bereits mit negativem Ergebnis LSBTI sind, als solche in der Beratung abgeschlossen ist, weil sie sich während zu erkennen geben, ist es wichtig, dass des Verfahrens nicht geoutet haben, 13
können ein Folgeverfahren beantragen. konkreten Verfolgungswahrscheinlich- Das Bundesverfassungsgericht hat in keit muss somit im Asylfolgeverfahren seinem Beschluss von 4. Dezember 2019 erfolgen und darf nicht in die Entschei- die Rechte der Antragsteller*innen in dung über die Zulässigkeit des Folgean- diesen Fällen gestärkt. Hier heißt es, trags verlagert werden. dass solche Anträge auf ein Folgever- fahren nur dann als unzulässig abge- Zur weiteren Lektüre: lehnt werden dürfen, wenn „das Vor- Patrick Dörr und Alva Träbert: bringen des Antragstellers zwar „LSBTI*-Geflüchtete im Asylverfahren“ glaubhaft und substantiiert, jedoch von Asylmagazin 10-11/2019, S. 352 ff.: vornherein nach jeder vertretbaren Be- www.asyl.net/asylmagazin/inhalt trachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung beziehungsweise zur Rechtsprechungsdatenbank und Asyl- Zuerkennung internationalen Schutzes rechtsratgeber des LSVD: zu verhelfen“. Eine Beurteilung der www.lsvd.de/de/recht/ratgeber/asylrecht Foto: Queer Refugees Deutschland 14
Unterbringung und Gewalt- schutz Durch die EU-Aufnahmerichtlinie wurde che und verbale Gewalt gegen LSBTI- Deutschland verpflichtet, im Bereich der Personen ebenso verboten ist wie ge- Unterbringung Maßnahmen zum Schutz genüber allen anderen Personen. Dies besonders schutzbedürftiger (Englisch: sollte zum einen über mehrsprachige vulnerable) Geflüchteter zu ergreifen. Poster und Informationsmaterialen ge- Zwar führt die Richtlinie LSBTI- schehen. Gleichzeitig sollten in Unter- Geflüchtete in der nicht abschließenden künften diese Themen systematisch in Auflistung besonderer Schutzbedarfe den Erstgesprächen angesprochen wer- nicht explizit auf, die „Mindeststan- den und explizit in den Hausordnungen dards zum Schutz geflüchteter Men- und Leitbildern erwähnt werden. schen in Flüchtlingsunterkünften“, her- ausgegeben vom Bundesministerium für Der erste Annex der „Mindeststandards Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Schutz geflüchteter Menschen in und von Unicef, definieren sie jedoch Flüchtlingsunterkünften“ widmet sich klar als besonders schutzbedürftige ausführlich der „Umsetzung der Min- Gruppe. Grund hierfür sind die teils deststandards für LSBTI* Geflüchtete“ massiven Gewalt- und Diskriminie- und enthält eine Reihe von Maßnahmen rungserfahrungen, die LSBTI-Ge- zum Schutz LSBTI-Geflüchteter in flüchtete regelmäßig in Sammelunter- Sammelunterkünften, von denen hier künften machen. Diese können – wenn nur einige genannt werden sollen. Mit die sexuelle Orientierung bzw. ge- Bezug auf LSBTI-Geflüchtete, die in der schlechtliche Identität in der Unterkunft Unterkunft Gewalterfahrungen gemacht bekannt wird – von Beleidigungen bis haben, heißt es beispielsweise: „Den hin zu Morddrohungen reichen. LSBTI* Geflüchteten ist unverzüglich ein Einzelzimmer anzubieten.“ Zur Qualifi- Die Mehrzahl der LSBTI-Geflüchteten kation der Mitarbeitenden führen die entscheidet sich auch vor dem Hinter- Mindeststandards aus: „Alle Personen, grund dieser Gewalt dazu, in der Unter- die in der Unterkunft tätig sind, vom kunft möglichst unsichtbar zu bleiben. Leitungspersonal über die Sprachmitt- Umso wichtiger ist es daher, alle Ge- ler_innen und Ehrenamtlichen bis hin flüchteten und Mitarbeitenden explizit zum Sicherheitspersonal, sollten für die darüber zu informieren, dass körperli- Belange von LSBTI* Geflüchteten sensi- 15
bilisiert werden.“ Mit Blick auf die ein- Zur weiteren Lektüre: richtungsinterne Organisation wird Alva Träbert und Patrick Dörr: gefordert: „In der Einrichtung ist eine „LSBTI*-Geflüchtete und Gewaltschutz“ festangestellte Person für die Belange Asylmagazin 10-11/2019, S. 344 ff.: von LSBTI* Personen zuständig.“ Die www.asyl.net/asylmagazin/inhalt Mindeststandards sind eine gute Grund- lage zum Schutz Geflüchteter vor Mindeststandards zum Schutz geflüch- LSBTI-feindlicher Gewalt in Unterkünf- teter Menschen in Flüchtlingsunterkünf- ten. Daneben verfügt die Mehrzahl der ten: Bundesländer über Gewaltschutzkon- www.gewaltschutz-gu.de/schutz-von-lsbti- zepte, in denen verbindliche Vorgaben gefluechteten zum Gewaltschutz gemacht werden. Diese Landesgewaltschutzkonzepte sind jedoch mit Bezug auf LSBTI in der Re- gel deutlich weniger umfassend. Foto: Queer Refugees Deutschland 16
Psychosoziale Beratung Während des Asylverfahrens und der Psychosoziale Beratung durch Einrich- Unterbringung in Sammelunterkünften, tungen, die auf sexuelle und geschlecht- aber auch danach, spielt der Zugang zu liche Vielfalt spezialisiert sind, kann bedarfsgerechter psychosozialer Unter- LSBTI-Geflüchtete bei ihrem Coming- stützung und Beratung für LSBTI- out-Prozess begleiten und unterstützen. Geflüchtete eine zentrale Rolle. Es gibt Raum, im Kontext der Identitäts- findung konkrete Fragen zu stellen und Für psychosoziale Beratungseinrichtun- Sorgen zu äußern. Hier können gemein- gen in der Geflüchtetenhilfe lohnt sich sam Strategien entwickelt werden, mit- eine umfassende Sensibilisierung und hilfe derer sich die geflüchtete Person Fortbildung zur Lebensrealität und den im Freundeskreis, in der Unterkunft Bedarfen Geflüchteter, bei deren oder in anderen Beratungskontexten Fluchterfahrung die sexuelle Orientie- öffnen und anvertrauen kann. Häufig rung bzw. geschlechtliche Identität eine haben die Berater*innen eine Lotsen- Rolle spielt. Hierzu zählt auch die Sen- funktion und können LSBTI-Geflüch- sibilisierung der eingesetzten Sprach- teten den Zugang zu geeigneten Grup- mittler*innen, die je nach sprachlichem penangeboten oder Community-Anbin- und kulturellem Kontext in der Lage dung vermitteln. sein sollten, positiv oder zumindest neutral konnotierte Begrifflichkeiten zu Eine besondere Bedeutung kommt der nutzen, mitunter aber auch westliche psychosozialen Beratung in der Praxis Identitätskonzepte bildhaft zu um- dann zu, wenn sie eine Brücke zur the- schreiben, um sie für die geflüchtete rapeutischen Regelversorgung darstellt. Person zugänglich zu machen und eine Die Mehrzahl der LSBTI-Geflüchteten weitergehende Verständigung zu ermög- hat geschlechtsspezifische homo- oder lichen. Erst dadurch kann das nötige transfeindliche Gewalt erlebt, die häufig Vertrauen aufgebaut werden, damit sich durch Mitglieder des eigenen Familien- die geflüchtete Person als LSBTI zu kreises verübt wurde. Vielen ist auch erkennen geben und ihre Schutzrechte sexualisierte Gewalt wiederfahren – dies geltend machen kann. gilt auch und gerade für männliche Ge- flüchtete. In einem sicheren Rahmen erstmals über das Erlebte zu sprechen, 17
kann zur psychischen Stabilisierung beitragen und dabei helfen, das Risiko einer Traumafolgestörung langfristig zu reduzieren. In psychosozialen Bera- tungszentren für Geflüchtete und Fol- teropfer, wie es sie bundesweit gibt, können Geflüchtete dahingehend schon während ihres Asylverfahrens aufgefan- gen werden. Die Fachkräfte dort – und in anderen psychosozialen Beratungs- stellen – können später maßgeblich dabei unterstützen, ein geeignetes An- gebot für eine langfristige, LSBTI- sensible Psychotherapie zu finden. 18
Transition und Personenstandsänderung Die relevanten rechtlichen Vorgaben zur aus als passend, jedoch lehnen sie die Änderung des Vornamens und zur Fest- von der Gesellschaft gemachten Ge- stellung der Geschlechtszugehörigkeit schlechtszuschreibungen für sich als finden sich in Deutschland im Trans- falsch ab. sexuellengesetz. Dieses Gesetz steht hierbei aufgrund der in ihm verankerten Die Möglichkeiten, das eigene Erschei- hohen Hürden für die Selbstbestimmung nungsbild dem empfundenen oder wah- der betroffenen Personen in der öffent- ren Geschlecht anzugleichen, sind in der lichen Kritik und sollte daher eigentlich Regel in den Herkunftsländern, während bereits 2019 überarbeitet werden. Über- der Flucht und während des Asylverfah- dies kommt in dem Gesetz eine recht rens in Deutschland sehr begrenzt: Ein- beschränkte Sicht auf Transsexualität fache Maßnahmen reichen beispielswei- zum Ausdruck: Transsexuell – um im se vom Anpassen der Frisur und der Sprachgebrauch des Gesetzes zu blei- Kleidung bis hin zum Anpassen der ben – sind Personen, die das ihnen bei Stimme, Mimik und Gestik. Viele der Geburt zugewiesene Geschlecht trans*Männer binden sich – oft unter (zum Beispiel weiblich) ablehnen und großen Schmerzen – ihren Oberkörper „das andere“, von ihnen als richtig emp- ab. Eine systematische Hormontherapie fundene soziale Geschlecht (zum Bei- oder operative Eingriffe standen nur den spiel männlich) annehmen möchten. wenigsten LSBTI-Geflüchteten zur Ver- Dabei gibt es auch viele trans*Personen, fügung. Folge ist, dass transgeschlecht- die sich keinem dieser beiden Ge- liche Geflüchtete in der Regel viel eher schlechter eindeutig zugehörig fühlen. als solche zu erkennen sind. Auch dies Die dritte Option „divers“ jedoch hat trägt zur besonders starken Gefährdung der Gesetzgeber Anfang 2019 nur Per- von trans*Personen in Sammelunter- sonen mit varianten Geschlechtsent- künften bei. wicklungen eingeführt. Tatsächlich empfindet nur ein Teil der trans*Per- Für Personen im Asylverfahren ist es sonen ihren eigenen Körper als fremd deutlich schwerer, die gegebenenfalls und strebt daher eine körperliche An- notwendige medizinische und psycho- gleichung an. Viele trans*Personen logische Versorgung zu erhalten, als es empfinden ihren eigenen Körper durch- das beispielsweise für Menschen ist, die 19
sich nicht im Asylverfahren befinden. Besonders eine bereits – eventuell durch die geflüchtete Person selbst und ohne ärztliche Aufsicht – organisierte Hor- montherapie nicht fortzusetzen ist sehr gefährlich. Transgeschlechtliche Perso- nen sollten in diesen Fällen versuchen, ihre bisherige Hormoneinnahme zu belegen und auf die medizinische Not- wendigkeit der Fortführung bestehen. Viele transgeschlechtliche Geflüchtete möchten ebenfalls ihren Personenstand (Vorname und Geschlechtseintrag) än- dern sowie geschlechtsangleichende operative Eingriffe durchführen lassen. Hierfür sind jedoch eine langwierige therapeutische Begleitung sowie umfas- sende psychologische Gutachten erfor- derlich. Für die meisten transge- schlechtlichen Geflüchteten stellt dies – auch nach Erhalt eines internationalen Schutzstatus – allein aufgrund sprachli- cher Voraussetzungen über viele Jahre ein kaum überwindbares Hindernis dar. Ausführliche Informationen finden sich unter: www.queer-refugees.de/trans 20
Vernetzung und Empowerment Besonders für geflüchtete LSBTI- tionen zum nächstliegenden Angebot für Personen ist die Vernetzung mit anderen LSBTI-Geflüchtete in ihrer Einrichtung LSBTI-Geflüchteten häufig besonders sichtbar machen und in mehreren Spra- wichtig. Innerhalb der Unterkünfte ist chen aushängen. Die enge Vernetzung dies kaum möglich. Umso wichtiger ist mit LSBTI-Organisationen stellt einen daher in der Regel die Anbindung an entscheidenden Aspekt bei der Feststel- Gruppenangebote für LSBTI-Geflüch- lung des besonderen Schutzbedarfes tete, wie es sie in einer ganzen Reihe LSBTI bei Geflüchteten dar. großer Städte in Deutschland gibt. Hier fühlen sie sich verstanden, können sozi- Richtig ist, dass LSBTI-Geflüchtete ale Kontakte knüpfen und sich in einem aufgrund LSBTI-feindlicher und rassis- sicheren Raum zu den unterschiedlichs- tischer Einstellungen sowohl in der ten Themen austauschen. deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch in der Geflüchteten-Community in Ebenso wichtig ist der Kontakt zur besonderem Maße als vulnerabel ange- LSBTI-Community der sogenannten sehen werden müssen. Gleichzeitig Mehrheitsgesellschaft, auch wenn – wie bringen sie – wie alle Geflüchteten – eine in der restlichen Gesellschaft – Rassis- Reihe von Stärken, Erfahrungen und mus leider in der Community ebenfalls Talenten mit, mit denen sie sich in die ein Problem darstellt. Umso mehr leis- Gesellschaft einbringen möchten. Eini- ten LSBTI-Beratungsstellen und ehren- ge der geflüchteten Personen waren amtliche Initiativen einen entscheiden- bereits in ihren Heimatländern als Akti- den Beitrag dazu, dass geflüchtete vist*innen im Kampf für die Menschen- LSBTI-Personen in Deutschland an- rechte von LSBTI-Personen aktiv. Diese kommen. Denn LSBTI-Geflüchteten Aspekte mehr in den Blick zu nehmen, fehlen zunächst die Deutschkenntnisse ist das Ziel einer Reihe selbstorganisier- sowie das Wissen im Umgang mit Be- ter LSBTI-Gruppen. Bundesweit stellt hörden. So zögern viele LSBTI- das LSVD-Projekt „Queer Refugees Geflüchtete, sich mit ihren Anliegen Deutschland“ eine Vernetzung zwischen direkt an Stellen der Mehrheitsgesell- geflüchteten LSBTI-Aktivist*innen her schaft zu wenden. Unterkünfte und und stärkt sie darin, selbst für ihre Rech- Beratungsstellen sollten daher Informa- te einzutreten. 21
Kontaktdaten zu spezialisierten Grup- pen- und Beratungsangeboten für LSBTI-Geflüchtete in ganz Deutschland finden sich unter: www.queer-refugees.de/anlaufstellen Foto: Queer Refugees Deutschland, Sechstes bundesweites Vernetzungstreffen von geflüchteten LSBTI- Aktivisten*innen in Köln, Mai 2019 22
Über diese Broschüre Die Mitarbeiterinnen des Projektes „EvA –Empowerment vulnerabler Personen im Asylverfahren“ und die Mitarbei- ter*innen des LSVD-Projekts „Queer Refugees Deutschland“ und der Rosa Strippe freuen sich, Ihnen diese Broschü- re zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Flucht zu präsentieren. Sie richtet sich an alle Menschen, die mit LSBTI Geflüchteten arbeiten oder anderweitig Interesse an dem Thema haben. Projektleitung Daniela Bröhl Sachgebietsleiterin Integration, Migration und Flucht Daniela.Broehl@diakonie-duesseldorf.de www.diakonie-duesseldorf.de Projektkoordination Sarah Wolff Sachgebiet Integration, Migration und Flucht Sarah.Wolff@diakonie-duesseldorf.de Dieses Projekt wird aus Mitteln des Asyl-, Migrations- www.diakonie-duesseldorf.de und Integrationsfonds kofinanziert In Kooperation mit: 23
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