Bestimmungsfaktoren von subjektiver Unsicherheit auf der Firmenebene

 
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DATEN UND PROGNOSEN

Rüdiger Bachmann, Kai Carstensen und Martin Schneider*

Bestimmungsfaktoren von subjektiver
Unsicherheit auf der Firmenebene

Die Beschäftigung mit Unsicherheit gehört zum All-                                                                                                        IN KÜRZE
tag eines jeden Unternehmens. Entscheidungen über
Einstellungen, Investitionen und Preissetzung sind
zum Teil deshalb schwierig, weil zukünftige Nach-                              Schon Ludwig Erhard wusste, dass Wirtschaft zu 50% aus
frage, Kosten, Wettbewerb und Regulierung nicht                                Psychologie besteht. Auch die Ökonomik misst »psychologi-
perfekt vorhergesehen werden können. Der Umgang                                schen« Faktoren wie Erwartungen, Risikoeinstellungen und
mit Unsicherheit ist in den letzten Jahren wohl noch
                                                                               subjektiver Unsicherheit eine wichtige Rolle zu. Um dies nä-
schwieriger geworden: Neben langfristigen Trends
ins Ungewisse wie der Alterung der Bevölkerung und                             her zu analysieren, befragt das ifo Institut seit Anfang 2013 die
der globalen Erwärmung treffen vermehrt große                                  an den ifo Konjunkturumfragen teilnehmenden Firmen des
konjunkturelle Schocks auf die deutsche Wirtschaft                             Verarbeitenden Gewerbes nach Zukunftsszenarien für ihren
wie die Finanzkrise 2008/2009, die Eurokrise und die                           Umsatz im nächsten Quartal und leitet daraus verschiedene
Covid-19-Pandemie.                                                             Erwartungsgrößen ab. Eine dieser Größen – der Unterschied
     Während die Wirtschaftstheorie die Entstehung
                                                                               zwischen dem Umsatzwachstum im besten und im schlech-
und die Auswirkungen von (subjektiver) Unsicher-
heit auf Unternehmensentscheidungen schon lange                                testen Fall – lässt sich als Maß der subjektiven unternehme-
untersucht hat, steckt deren Messung noch in den                               rischen Unsicherheit interpretieren. In diesem Beitrag stellen
Kinderschuhen. Tatsächlich gab es bis vor kurzem                               wir dieses Maß vor und diskutieren seine Bestimmungsfak-
kaum Evidenz, wie Firmen z.B. die zukünftige Nach-                             toren. Es zeigt sich, dass Unsicherheit in Zeiten des Wan-
frage prognostizieren, wie viel Unsicherheit sie da-                           dels zunimmt, selbst wenn dieser Wandel erwartet wurde.
bei wahrnehmen und wie sie mit dieser Unsicher-
heit umgehen, denn diese Ansichten über die Zukunft
wurden nicht systematisch erhoben und lassen sich                              Das ifo Institut hat daher Anfang 2013 ein zusätz-
nur schwer aus »harten« Daten wie Umsätzen oder                           liches Umfragemodul für das Verarbeitende Gewerbe
Investitionen ableiten. Die schon seit 1949 vom ifo In-                   entwickelt, um mehr über die Erwartungen und die
stitut erfragten Geschäftserwartungen lassen zwar                         Unsicherheit von Firmen zu lernen.2 Auf Basis dieser
wichtige Rückschlüsse auf die Gesamtwirtschaft zu                         Daten haben wir in einem Arbeitspapier wichtige Cha-
– nicht ohne Grund ist das ifo Geschäftsklima der                         rakteristika und Bestimmungsfaktoren unternehme-
wichtigste Frühindikator für die deutsche Wirtschaft                      rischer Unsicherheit mit ökonometrischen Methoden
–, für die genaue Analyse unternehmerischen Han-                          herausgearbeitet (Bachmann et al. 2021). Im Folgen-
delns ist die Abfrage auf einer 3-Punkt-Skala jedoch                      den stellen wir die erhobenen Fragen und wesentliche
nicht fein genug, und über die unternehmerische Un-                       Ergebnisse kurz vor.
sicherheit sagen die Geschäftserwartungen direkt nur
wenig aus.1                                                               DER FRAGEBOGEN DES IFO INSTITUTS
     Dabei ist Unsicherheit eine wichtige Determi-
nante unternehmerischer Entscheidungen, insbe-                            Für diesen Beitrag verwenden wir im Wesentlichen die
sondere wenn diese nicht einfach reversibel sind.                         in Abbildung 1 angegebenen beiden Zusatzfragen, die
So hängt die Rentabilität eines Investitionsprojekts                      viermal pro Jahr jeweils im ersten Monat eines Quar-
von vielen Unbekannten ab, nicht zuletzt von den                          tals gestellt werden. Die erste Frage eruiert retrospek-
vielfach ungewissen politischen Rahmenbedingen                            tiv die Umsatzveränderung im gerade abgelaufenen
der Zukunft – man denke nur an die Entwicklung der                        Quartal gegenüber dem Vorquartal. Die zweite Frage
Strompreise in den kommenden Jahren. Für Einstel-                         erhebt das im Mittel erwartete Umsatzwachstum im
lungen oder Entlassungen von Personal gelten ähn-                         gerade begonnenen Quartal zusammen mit zwei Sze-
liche Überlegungen.                                                       narien: dem »bestmöglichen Fall« und dem »schlech-
* Prof. Dr. Rüdiger Bachmann ist Professor für VWL an der Universi-
                                                                          testmöglichen Fall«. Daneben haben die Firmen die
ty of Notre Dame, Prof. Dr. Kai Carstensen ist Professor für Ökonome-     Möglichkeit, Anmerkungen als Freitext einzugeben,
trie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, und Prof. Dr. Mar-
tin Schneider ist Professor für VWL an der Stanford University.
1                                                                         2
    Bachmann et al. (2013) leiten aus den langjährigen Befragungen           Seit 2019 befragt das ifo Institut auch den Handel und die Dienst-
des ifo Instituts Proxy-Variablen für Unsicherheit ab, mit denen sie      leister nach ihrer Unsicherheit. In diesem Beitrag konzentrieren wir
die Bedeutung von Unsicherheit auf Firmenebene diskutieren. Die           uns aber auf das Verarbeitende Gewerbe, um die längere Zeitdimen-
Genauigkeit solcher Proxy-Variablen ist aber weitgehend ungeklärt.        sion nutzen zu können.

                                                                                            ifo Schnelldienst   6 / 2021   74. Jahrgang   16. Juni 2021   57
DATEN UND PROGNOSEN

                                   Abb. 1
                                   Zusatzfragen zu Erwartungen und Unsicherheit vom April 2014

                                   Quelle: ifo Institut.

Abb. 2                                                                                                                     rechnet. Eine Spanne von null charakterisiert dage-
Bedeutung von Funktionsbereichen                                                                                           gen das Fehlen von Unsicherheit. All dies bezieht sich
                                                                                                                           auf den aktuellen Quartalsumsatz – unsere Analyse
                            Sehr bedeutend oder bedeutend                   Weniger bedeutend oder unbedeutend
                                                                                                                           greift also nur diesen, eher kurzfristigen Aspekt der
      Finanzen/                                                                                                            komplexen Unternehmensplanung auf.
      Controlling                                                                                                               Der Vorteil unserer Unsicherheitsdefinition ist
                                                                                                                           zum einen, dass die Spanne zwischen den Szenarien
 Marketing/
Marktforschung                                                                                                             eine einfache Skala hat, denn sie wird in Prozent-
                                                                                                                           punkten Wachstumsdifferenz gemessen. Zum ande-
     Produktion                                                                                                            ren lassen sich die Umsatzerwartungen bezüglich
                                                                                                                           des aktuellen Quartals mit dem drei Monate später
                                                                                                                           erhobenen Ergebnis vergleichen. Von besonderem
         Vertrieb
                                                                                                                           Interesse ist dabei der sogenannte Erwartungsfehler,
                                                                                                                           d.h. die Differenz zwischen der realisierten und der im
                    0                 20                    40                 60               80              100 %
Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018.                                                             © ifo Institut   Mittel erwarteten Umsatzänderung. Einfache Theorien
                                                                                                                           der Erwartungsbildung postulieren nämlich, dass die
                                  was sich als sehr hilfreich herausgestellt hat, um die                                   subjektive Unsicherheit zu Beginn eines Quartals von
                                  Angaben richtig einzuordnen. Beispielsweise erläu-                                       der Größe des Erwartungsfehlers, letztlich also der
                                  tern die Firmen ungewöhnlich große Zuwachsraten                                          Umsatzüberraschung, des Vorquartals abhängt.
                                  mit Kommentaren wie »Fakturierung eines großen
                                  Auftrags«.                                                                               CHARAKTERISTIKA DER BETRIEBLICHEN
                                      Als Maß der subjektiven Unsicherheit verwenden                                       ERWARTUNGEN UND SZENARIENPLANUNG
                                  wir den Abstand zwischen der erwarteten Umsatz­
                                  änderung im bestmöglichen und schlechtestmögli-                                          Vor einer Analyse der Antworten auf die in Abbildung 1
                                  chen Fall, im Folgenden Spanne genannt. Eine große                                       dargestellten Fragen wollten wir verstehen, wie die
                                  Spanne entspricht hoher subjektiver Unsicherheit,                                        Firmen bei der Beantwortung vorgehen und welche
                                  denn sie reflektiert ein breites Intervall an möglichen                                  Informationen sie dabei nutzen. Zu diesem Zweck hat
                                  Umsatzergebnissen, mit denen das Unternehmen                                             das ifo Institut im Herbst 2018 eine einmalige Son-
                                                                                                                           derumfrage durchgeführt, die in diesem Abschnitt
Abb. 3                                                                                                                     vorgestellt wird.
Bedeutung von externen Faktoren für die Umsatzerwartungen                                                                       Abbildung 2 zeigt, welche innerbetrieblichen
                            Sehr bedeutend oder bedeutend                   Weniger bedeutend oder unbedeutend             Funktionsbereiche die für die Erstellung von Umsatz­
                                                                                                                           erwartungen notwendigen Informationen bereitstel-
 Außenwirtschaftliches Umfeld
                                                                                                                           len. Es zeigt sich, dass vor allem der Vertrieb wich-
                                                                                                                           tig ist: 97% der befragten Firmen geben an, dass die
Entwicklung der Wettbewerber                                                                                               Einschätzungen des Vertriebs sehr bedeutend oder
                                                                                                                           bedeutend sind. Mit Blick auf die Produktion sagen
 Wirtschaftspolitisches Umfeld                                                                                             dies noch 74% der Firmen, während die Bereiche Mar-
                                                                                                                           keting/Marktforschung und Finanzen/Controlling für
   Konjunkturelle Entwicklung
                                                                                                                           die Mehrheit der Firmen eine etwas weniger tragende
          Branchenentwicklung
                                                                                                                           Rolle spielen.
                                                                                                                                Welche betriebsexternen Faktoren beeinflussen
                                     0               20                40            60              80         100 %      die Umsatzerwartungen? Sehr bedeutend oder bedeu-
Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018.                                                             © ifo Institut   tend sind nach Angabe von über 80% der befragten

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DATEN UND PROGNOSEN

Unternehmen die konjunkturelle und die Branchen­           Abb. 4
entwicklung (vgl. Abb. 3). Mehr als die Hälfte der Un-     Bedeutung von internen Faktoren für die Umsatzerwartungen
ternehmen berücksichtigt darüber hinaus das außen-
                                                                                        Sehr bedeutend oder bedeutend              Weniger bedeutend oder unbedeutend
wirtschaftliche und das wirtschaftspolitische Umfeld
sowie die Entwicklung der Wettbewerber.                          Für das laufende Quartal erwartete
     In die Umsatzerwartungen fließen aber auch be-        Fertigstellungen/Auslieferungen von Projekten,
                                                              die vor Quartalsbeginn gestartet wurden.
triebsinterne Informationen ein (vgl. Abb. 4). Dabei
spielen die für das laufende Quartal erwarteten Be-
stellungen eine zentrale Rolle – 91% der Unterneh-                      Auftragsbestand am Quartalsbeginn
men halten sie für sehr bedeutend oder bedeutend.
Zur Erinnerung: die Zusatzfragen zu Erwartungen und
                                                                    Erwartete Neuaufträge/-bestellungen im
Unsicherheit werden immer im ersten Monat eines                                laufenden Quartal
Quartals gestellt, weshalb die Auftragseingänge die-
ses Quartals zum Zeitpunkt der Beantwortung noch                                                                    0         20        40      60       80         100 %
weitgehend unbekannt sind. Für die große Mehrheit          Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018.                                                      © ifo Institut
von 82% der Firmen ist aber auch der bekannte Auf-
tragsbestand am Quartalsbeginn von Bedeutung. Alles        Abb. 5
in allem zeigt sich, dass die befragten Unternehmen        Methodische Basis der Erwartungen im bestmöglichen und schlechtestmöglichen Fall
eine Vielzahl von Informationen zu einer Umsatzer-
                                                                                    Sehr bedeutend oder bedeutend              Weniger bedeutend oder unbedeutend
wartung verdichten.
     Von besonderem Interesse für eine zuverlässige
Messung subjektiver Unsicherheit als Spanne zwischen       Statistische
dem Umsatzwachstum im bestmöglichen und schlech-             Analyse
testmöglichen Fall ist die Frage, wie diese Fälle in der
betrieblichen Praxis ermittelt werden. Hier ergibt die
Sonderumfrage, dass 80% der Unternehmen dies auf
                                                             Szenario-
Basis einer regelmäßigen quantitativen Umsatzpla-             analyse
nung tun, also im Rahmen eines Routineverfahrens
und insbesondere nicht allein für die Umfrage. Von
diesen Unternehmen bezeichnen 64% eine Szena-                             0                 20                 40                  60               80              100 %
rioanalyse um eine Basisprognose herum als sehr            Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018.                                                      © ifo Institut
bedeutend oder bedeutend, während 52% die Rele-
vanz einer statistischen Analyse betonen (vgl. Abb. 5).    dass sie vorsichtiger in ihrer Herangehensweise an
Dies zeigt, dass sich die Unternehmen intensiv mit         die Planung unter Unsicherheit wird. Dies könnte sie
Zukunftsszenarien auseinandersetzen und hoch in-           dazu veranlassen, Szenarien zu ändern, selbst wenn
formiert antworten.                                        sie die Unsicherheit selbst unverändert wahrnimmt.
     Inhaltlich dominieren zwei Aspekte die Ermitt-
lung des bestmöglichen und schlechtestmöglichen            DESKRIPTIVE ANALYSE SUBJEKTIVER
Falls und damit auch der subjektiven Unsicherheit.         UNTERNEHMERISCHER UNSICHERHEIT
Fast alle Unternehmen stellen dafür aktuelle Über-
legungen unabhängig von der Vergangenheit an (vgl.         In diesem Abschnitt stellen wir einige deskriptive Er-
Abb. 6). Von hoher Relevanz ist zudem die Risikoein-       gebnisse unserer Analyse vor, die ein gutes Grund-
stellung des Unternehmens, die in 76% der Antworten        verständnis der erhobenen Daten ermöglichen. Wir
als mindestens bedeutend eingeordnet wird. Diese
Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, als unsere         Abb. 6

Prämisse ist, dass Unternehmen, die sich mehr Sor-         Determinanten der bestmöglichen und schlechtestmöglichen Fälle
gen um die Zukunft machen, positive und negative                                  Sehr bedeutend oder bedeutend                Weniger bedeutend oder unbedeutend
Szenarien weiter auseinander liegen lassen und daher
                                                              Umsatzveränderungen, die weiter als zwei
eine höhere Spanne aufweisen. Prinzipiell kann da-
                                                                        Jahre zurückliegen
her eine Änderung der Spanne entweder eine verän-
                                                             Umsatzveränderungen, die wir bei unseren
derte Wahrnehmung der Unsicherheit oder veränderte                 Wettbewerbern beobachten
Einstellung gegenüber Ungewissheit reflektieren. So
                                                            Umsatzveränderungen in den letzten ein bis
könnte sich eine Firma zum einen mehr Sorgen über                        zwei Jahren
die Zukunft machen, weil sie weniger Informationen
                                                           Unsere Risikoeinstellung (»Vorsichtsprinzip«)
hat und daher eine größere Unsicherheit wahrnimmt.
Sie könnte dann ihre Planung modifizieren, um Szena-             Überlegungen, die wir aktuell anstellen,
rien zu berücksichtigen, die weiter von der Basispro-              unabhängig von der Vergangenheit
gnose entfernt liegen. Die Firma könnte sich zum an-                                                            0         20            40     60        80         100 %
deren aber auch mehr Sorgen in dem Sinne machen,           Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018.                                                      © ifo Institut

                                                                                ifo Schnelldienst   6 / 2021   74. Jahrgang    16. Juni 2021   59
DATEN UND PROGNOSEN

     verwenden hier und im Folgenden die Erhebungen im             nehmen unterscheiden sich also sowohl in der Größe
     Verarbeitenden Gewerbe vom April 2013 bis zum Juli            des typischen Schocks, den sie erleben, als auch in
     2016, also 14 Wellen, auf deren Basis unser Arbeitspa-        der Art und Weise, wie ihre Planung mit der wahr-
     pier (Bachmann et al. 2021) entstanden ist.                   genommenen Unsicherheit umgeht, ganz erheblich.
                                                                   Beide Variablen sind mit einem Koeffizienten von 0,43
     Das Umsatzwachstum ist schwer zu                              positiv, wenn auch unvollkommen korreliert. Firmen,
     prognostizieren                                               die größere Überraschungen erfahren, neigen also
                                                                   dazu, mehr Unsicherheit zu empfinden.
     Das realisierte Umsatzwachstum hat eine Stan-
     dardabweichung von 14,7 Prozentpunkten. Dabei                 Die subjektive Unsicherheit variiert über die Zeit
     liegt die Hälfte der Beobachtungen zwischen – 5%
     und 10%. Im Vergleich dazu ist die Verteilung der             Unsere Daten zeigen auch eine deutliche zeitliche
     Prognosen komprimiert, hier liegt die Hälfte der Be-          Variation der subjektiven Unsicherheit auf Unter-
     obachtungen zwischen 0% und 5%. Die Prognosen                 nehmensebene. Die Zeitreihenstandardabweichung
     weisen im Durchschnitt eine geringe Verzerrung auf:           der Spanne für die durchschnittliche Firma beträgt
     Die durchschnittliche Prognose ist im Wesentlichen            5,9 Prozentpunkte. Dies ist zwar weniger als im Quer-
     die gleiche wie die durchschnittliche Realisierung,           schnitt, im Vergleich zu anderen zeitlichen Verände-
     weshalb der mittlere Prognosefehler nahe null liegt.          rungen der Unternehmen aber dennoch erheblich. So
     Für ein durchschnittliches Unternehmen beträgt die            variiert die mittlere Firma ihre Basisprognose sowie
     Standardabweichung der Prognosefehler 10,2 Prozent-           die Zahlen für den bestmöglichen und den schlech-
     punkte, ähnlich groß wie die Standardabweichung des           testmöglichen Fall nur geringfügig stärker als die
     Umsatzwachstums von 11,4 Prozentpunkten. Zusam-               Spanne. Dies impliziert, dass Firmen den Abstand
     mengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin,               des günstigen bzw. ungünstigen Falls von der Basis-
     dass die Vorhersage des Umsatzwachstums im Mittel             prognose typischerweise ähnlich stark an neue In-
     gelingt, aber schwierig ist: Die unvorhersehbare Vari-        formationen und Einschätzungen anpassen, wie die
     ation liegt nahe an der Gesamtvariation.                      Basisprognose selbst, und insbesondere nicht dazu
                                                                   neigen, das immer gleich breite Intervall lediglich mit
     Das Ausmaß subjektiver Unsicherheit ähnelt dem                einer sich ändernden Basisprognose zu verschieben.
     von statistischen Maßen
                                                                   Subjektive Unsicherheit ist primär
     Das Umsatzwachstum im bestmöglichen und schlech-              unternehmensspezifisch
     testmöglichen Fall liegt im Mittel bei – 4,8% bzw.
     7,4%, die mittlere Spanne für ein durchschnittliches          Die Gesamtvariation der subjektiven Unsicherheit
     Unternehmen beträgt 12,3 Prozentpunkte. Diese Grö-            lässt sich nur zu 0,6% durch einen aggregierten, für
     ßenordnung entspricht in etwa der von statistischen           alle Firmen identischen Zeiteffekt erklären und nur
     Unsicherheitsmaßen. So beträgt die Volatilität – sta-         zu 8,4% durch sektorspezifische Zeiteffekte. Dies be-
     tistisch genauer ausgedrückt die unbedingte Zeit­             deutet nicht, dass keine systematischen Muster in
     reihen-Standardabweichung – des Umsatzwachstums               der Variation der Unsicherheit existieren, wie wir in
     auf Unternehmensebene 11,4 Prozentpunkte, und der             den nächsten Abschnitten darlegen. Allerdings wer-
     vom durchschnittlichen Unternehmen berichtete ab-             den solche Muster nicht von der Branche bestimmt,
     solute Prognosefehler liegt bei 9,4 Prozentpunkten.           sondern eher von unterschiedlichen Firmenwahrneh-
     Diese Ähnlichkeit darf aber nicht darüber hinweg täu-         mungen innerhalb der Branchen. In ähnlicher Weise
     schen, dass statistische Maße nicht die subjektive Un-        werden die Zeitreihenmuster größtenteils von den
     sicherheit messen, die zu einem Zeitpunkt besteht             Erfahrungen und Eigenschaften einzelner Unterneh-
     und – wie im vorangegangenen Abschnitt beschrie-              men beeinflusst und nicht etwa vom Zustand des
     ben – auf vielfältige Informationen reagiert, sondern         Konjunkturzyklus – hier ist allerdings einschränkend
     retrospektiv das Ausmaß der Überraschung, das sich            anzumerken, dass der extreme konjunkturelle Schock
     anhand des Prognosefehlers messen lässt.                      der Corona-Pandemie nicht in unserer Stichprobe
                                                                   enthalten ist.
     Die subjektive Unsicherheit variiert im
     Unternehmensquerschnitt                                       SUBJEKTIVE UNSICHERHEIT UND
                                                                   FIRMENCHARAKTERISTIKA
     Um die Variation der subjektiven Unsicherheit im
     Querschnitt zu bewerten, berechnen wir die durch-             Subjektive Unsicherheit steht in deutlichem Zusam-
     schnittliche Spanne für jedes Unternehmen. Diese              menhang mit drei wichtigen weitgehend zeitinvarian-
     Querschnittsstandardabweichung beträgt 7,4 Prozent-           ten Charakteristika von Firmen bzw. deren Marktum-
     punkte. Sie ist ähnlich groß wie die Querschnittsstan-        feld: Firmengröße, Volatilität und Trendwachstum. Die
     dardabweichung des durchschnittlichen absoluten               Firmengröße kann 10% der Querschnittsvariation der
     Prognosefehlers von 9,6 Prozentpunkten. Die Unter-            subjektiven Unsicherheit erklären. Kleinstfirmen mit

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DATEN UND PROGNOSEN

weniger als zehn Beschäftigten sind am unsichersten:     Abb. 7
Sie geben im Mittel eine Spanne von 18,2 Prozent-        Unsicherheit nach Größenklassen
punkten an. Mit zunehmender Größe nimmt die Unsi-                                                                                   Spanne     Absoluter Erwartungsfehler
cherheit ab. So liegt die Spanne kleiner Firmen (zehn         Prozentpunkte
                                                         20
bis unter 50 Beschäftigte) im Mittel bei 14,9 Prozent-
punkten, während mittelgroße Firmen (50 bis unter        16
250 Beschäftigte) 11,8 Prozentpunkte und Großun-
ternehmen (ab 250 Beschäftigte) 9,3 Prozentpunkte        12
angeben (vgl. Abb. 7). Der Zusammenhang betrifft
nicht nur die subjektive Unsicherheit, sondern auch       8

die Größe der – als absoluter Erwartungsfehler ge-
                                                          4
messenen – Überraschungen beim Umsatzwachstum,
die die Firmen tatsächlich erleben. Auch die Überra-      0
schungen werden mit zunehmender Firmengröße klei-                     Sehr klein                     Klein                         Mittel                Groß
ner. Dies reflektiert vermutlich, dass größere Firmen    Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016.                                              © ifo Institut
im Durchschnitt eine breitere Kundenbasis besitzen
und parallel mehr Aufträge abarbeiten, so dass sie       Abb. 8
einzelne Ausfälle oder andere Fluktuationen besser       Unsicherheit nach Volatilität
ausgleichen können.
                                                                                                                                     Spanne    Absoluter Erwartungsfehler
     Die zweite Erklärungsgröße subjektiver Firmenun-         Prozentpunkte
                                                         20
sicherheit ist die Umsatzvolatilität, die wir für jede
Firma als Zeitreihenstandardabweichung der reali-        16
sierten Umsatzwachstumsrate berechnen. Dann tei-
len wir die Firmen in vier gleichgroße Gruppen (1. bis   12
4. Quartil) mit zunehmender Volatilität ein und er-
mitteln die durchschnittliche subjektive Unsicherheit     8

dieser Gruppen. Es zeigt sich, dass ein klar positiver
                                                          4
Zusammenhang zwischen beiden Größen besteht, der
34% der Querschnittsvariation der Spanne erklärt: Je      0
größer die Volatilität, desto größer die Spanne (vgl.                  1. Quartil                  2. Quartil                  3. Quartil              4. Quartil
Abb. 8). Auch das Ausmaß der Überraschungen, ge-         Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016.                                              © ifo Institut
messen als absoluter Erwartungsfehler, nimmt mit der
Volatilität zu. All dies belegt einen engen Zusammen-    schungen aber fast gar nicht. Die schrumpfenden Fir-
hang zwischen objektiven Größen wie Volatilität und      men sind so gesehen unsicherer, als die durchschnitt-
Überraschungen auf der einen Seite und subjektiver       liche Größe der Überraschungen es nahelegen würde.
Unsicherheit auf der anderen Seite.                           Alles in allem zeigt sich, dass Firmencharakte-
     Schließlich ist auch das Trendwachstum der Un-      ristika einen großen Teil der Querschnittsvariation
ternehmen ein guter Prädiktor ihrer Unsicherheit.        von subjektiver Unsicherheit erklären können. Von
Allerdings gilt die einfache Gleichung, dass höheres     besonderer Bedeutung sind neben der Firmengröße
Wachstum mit weniger Unsicherheit einhergeht, ge-        zwei Maße von firmenspezifischer »Unruhe«: Um-
rade nicht. Stattdessen gibt es einen V-förmigen Zu-     satzvolatilität und Trendwachstum. Dabei lässt sich
sammenhang (vgl. Abb. 9), der 11% der Querschnitts-      festhalten, dass nicht nur die subjektive Unsicher-
variation der Spanne erklärt. Dazu teilen wir die Un-    heit mit zunehmender Unruhe steigt, sondern auch
ternehmen nach ihrem durchschnittlichen Wachstum
im Beobachtungszeitraum ein. Das unterste Quartil        Abb. 9

bezeichnet die 25% Firmen mit dem geringsten Trend-      Unsicherheit nach Wachstumstrend
wachstum. Im Mittel schrumpfen diese Firmen um                                                                                       Spanne    Absoluter Erwartungsfehler
6,1% und berichten eine Spanne von 16,3 Prozent-              Prozentpunkte
                                                         18
punkten. Dagegen wachsen die Firmen im obersten
Quartil im Mittel um 10,1% und geben eine Spanne         15

von 12,5 Prozentpunkten an. Am geringsten ist die        12
Unsicherheit der Firmen der mittleren beiden Wachs-
tumsquartile, die sich kaum unterscheiden und daher       9

zusammengefasst sind; sie beträgt 10,3 Prozentpunkte      6
bei einem Trendwachstum von 1,6%. Auch hier lässt
sich der grundsätzlich gleiche V-förmige Zusammen-        3

hang mit den tatsächlichen Überraschungen beob-           0
achten. Interessanterweise ist das »V« der subjektiven                     1. Quartil                          2. und 3. Quartil                   4. Quartil
Unsicherheit aber asymmetrisch, das »V« der Überra-      Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016.                                              © ifo Institut

                                                                               ifo Schnelldienst    6 / 2021    74. Jahrgang   16. Juni 2021     61
DATEN UND PROGNOSEN

Abb. 10                                                                                                                                       höht die subjektive Unsicherheit deutlich stärker als
Zusammenhang zwischen Umsatzwachstum und subjektiver Unsicherheit                                                                             positive Unruhe gleichen Ausmaßes. Beispielsweise
                                                                                                                                              ist die Spanne nach einem Umsatzwachstum des Vor-
       Subjektive Unsicherheit – Spanne in Prozentpunkte
 20                                                                                                                                           quartals von – 15% um 7,5 Prozentpunkte größer als
                                                                                                                                              nach einem Nullwachstum, während sie nach einem
 16                                                                                                                                           Umsatzwachstum des Vorquartals von + 15% nur um
                7,5 Prozentpunkte

                                                                                                                                              4,2 Prozentpunkte größer ist.
 12

                                                                                                         4,2 Prozentpunkte
                                                                                                                                                    Dieser dynamische Zusammenhang bleibt erhal-
  8
                                                                                                                                              ten, wenn für die oben diskutierten Firmencharakte-
                                                                                                                                              ristika kontrolliert wird oder allgemeine Firmeneffekte
  4                                                                                                                                           im Rahmen einer sogenannten fixed effects regres-
                                                                                                                                              sion herausgerechnet werden. Auch die Hinzunahme
  0                                                                                                                                           von sektoralen oder konjunkturellen Trends in die
      –20                 –15            –10        –5           0          5        10        15           20
                                                           Realisiertes Umsatzwachstum im Vorquartal in Prozent                               Regression ändert das Ergebnis kaum. Es ist daher
Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016.                                                                    © ifo Institut   als robustes Merkmal subjektiver Unsicherheit auf
                                                                                                                                              Firmenebene anzusehen.
                                           der absolute Prognosefehler als Maß objektivierbarer                                                     Ein alternatives Maß dynamischer Unruhe ist der
                                           Überraschungen.                                                                                    Erwartungsfehler des Vorquartals. Aus theoretischer
                                                                                                                                              Sicht liegt es nahe zu vermuten, dass eine gerade
                                           ZUR DYNAMIK SUBJEKTIVER UNSICHERHEIT                                                               erlebte große Überraschung die subjektive Unsi-
                                                                                                                                              cherheit erhöht. Tatsächlich lässt sich ein ähnlicher,
                                           Abschließend untersuchen wir den dynamischen Zu-                                                   wenn auch schwächer ausgeprägter Zusammenhang
                                           sammenhang zwischen subjektiver Unsicherheit und                                                   in Form eines asymmetrischen »V« auch zwischen dem
                                           zeitvariierenden Bestimmungsfaktoren. Ein einfaches                                                Erwartungsfehler des Vorquartals und der Spanne
                                           Maß der Unruhe ist das absolute Umsatzwachstum,                                                    nachweisen. Allerdings scheint er in erster Linie zu
                                           das die Firma im jeweils abgelaufenen Quartal erlebt                                               reflektieren, dass quartalsweises Umsatzwachstum
                                           hat. Eine detaillierte Analyse ergibt jedoch, dass die                                             schwer zu prognostizieren ist und daher das Umsatz-
                                           Unsicherheit schneller mit negativem als mit positi-                                               wachstum und der Erwartungsfehler in einem engen
                                           vem Wachstum zunimmt. Daher spezifizieren wir eine                                                 Zusammenhang stehen. Regressiert man nämlich die
                                           Regression mit einer abschnittsweise linearen Funk-                                                Spanne auf sowohl das Umsatzwachstum als auch
                                           tion, die einen Vorzeichenwechsel bei einem Wachs-                                                 den Erwartungsfehler und spezifiziert jeweils eine
                                           tum von null erlaubt. Wir erhalten zwei statistisch                                                abschnittsweise lineare Funktion, so ist lediglich das
                                           signifikante Steigungsparameter von – 0,50 für den                                                 »V« des Umsatzwachstums signifikant. Die subjektive
                                           linken Ast und 0,28 für den rechten Ast (vgl. Abb. 10).                                            Unsicherheit von Unternehmen reagiert also primär
                                           Dies bedeutet, dass die Spanne als Maß der subjekti-                                               auf zuvor erlebte Unruhe – egal ob diese erwartet
                                           ven Unsicherheit um einen halben Prozentpunkt zu-                                                  wurde oder überraschend eingetreten ist.
                                           nimmt, wenn die Umsatzänderung negativ ist und
                                           absolut einen Prozentpunkt höher ausfällt, also z.B.                                               LITERATUR
                                           – 2% statt – 1% beträgt. Dagegen steigt die Spanne                                                 Bachmann, R., K. Carstensen, S. Lautenbacher und M. Schneider (2021),
                                           nur um 0,28 Punkte, wenn die Umsatzänderung po-                                                    »Uncertainty and Change: Survey Evidence of Firms‘ Subjective Beliefs«,
                                                                                                                                              Arbeitspapier, University of Notre Dame, verfügbar unter:
                                           sitiv ist und um einen Punkt höher ausfällt, also z.B.                                             https://www3.nd.edu/~rbachman/BCLS_current.pdf.
                                           2% statt 1%. Subjektive Unsicherheit reagiert also                                                 Bachmann, R., S. Elstner und E. R. Sims (2013), »Uncertainty and Econo-
                                           auf das Umsatzwachstum des Vorquartals als Maß                                                     mic Activity: Evidence from Business Survey Data«, American Economic
                                                                                                                                              Journal: Macroeconomics 5(2), 217–249.
                                           der kürzlich erlebten Unruhe, allerdings erneut in der
                                           Form eines asymmetrischen »V«: Negative Unruhe er-

                                    62     ifo Schnelldienst   6 / 2021   74. Jahrgang   16. Juni 2021
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