Bestimmungsfaktoren von subjektiver Unsicherheit auf der Firmenebene
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DATEN UND PROGNOSEN Rüdiger Bachmann, Kai Carstensen und Martin Schneider* Bestimmungsfaktoren von subjektiver Unsicherheit auf der Firmenebene Die Beschäftigung mit Unsicherheit gehört zum All- IN KÜRZE tag eines jeden Unternehmens. Entscheidungen über Einstellungen, Investitionen und Preissetzung sind zum Teil deshalb schwierig, weil zukünftige Nach- Schon Ludwig Erhard wusste, dass Wirtschaft zu 50% aus frage, Kosten, Wettbewerb und Regulierung nicht Psychologie besteht. Auch die Ökonomik misst »psychologi- perfekt vorhergesehen werden können. Der Umgang schen« Faktoren wie Erwartungen, Risikoeinstellungen und mit Unsicherheit ist in den letzten Jahren wohl noch subjektiver Unsicherheit eine wichtige Rolle zu. Um dies nä- schwieriger geworden: Neben langfristigen Trends ins Ungewisse wie der Alterung der Bevölkerung und her zu analysieren, befragt das ifo Institut seit Anfang 2013 die der globalen Erwärmung treffen vermehrt große an den ifo Konjunkturumfragen teilnehmenden Firmen des konjunkturelle Schocks auf die deutsche Wirtschaft Verarbeitenden Gewerbes nach Zukunftsszenarien für ihren wie die Finanzkrise 2008/2009, die Eurokrise und die Umsatz im nächsten Quartal und leitet daraus verschiedene Covid-19-Pandemie. Erwartungsgrößen ab. Eine dieser Größen – der Unterschied Während die Wirtschaftstheorie die Entstehung zwischen dem Umsatzwachstum im besten und im schlech- und die Auswirkungen von (subjektiver) Unsicher- heit auf Unternehmensentscheidungen schon lange testen Fall – lässt sich als Maß der subjektiven unternehme- untersucht hat, steckt deren Messung noch in den rischen Unsicherheit interpretieren. In diesem Beitrag stellen Kinderschuhen. Tatsächlich gab es bis vor kurzem wir dieses Maß vor und diskutieren seine Bestimmungsfak- kaum Evidenz, wie Firmen z.B. die zukünftige Nach- toren. Es zeigt sich, dass Unsicherheit in Zeiten des Wan- frage prognostizieren, wie viel Unsicherheit sie da- dels zunimmt, selbst wenn dieser Wandel erwartet wurde. bei wahrnehmen und wie sie mit dieser Unsicher- heit umgehen, denn diese Ansichten über die Zukunft wurden nicht systematisch erhoben und lassen sich Das ifo Institut hat daher Anfang 2013 ein zusätz- nur schwer aus »harten« Daten wie Umsätzen oder liches Umfragemodul für das Verarbeitende Gewerbe Investitionen ableiten. Die schon seit 1949 vom ifo In- entwickelt, um mehr über die Erwartungen und die stitut erfragten Geschäftserwartungen lassen zwar Unsicherheit von Firmen zu lernen.2 Auf Basis dieser wichtige Rückschlüsse auf die Gesamtwirtschaft zu Daten haben wir in einem Arbeitspapier wichtige Cha- – nicht ohne Grund ist das ifo Geschäftsklima der rakteristika und Bestimmungsfaktoren unternehme- wichtigste Frühindikator für die deutsche Wirtschaft rischer Unsicherheit mit ökonometrischen Methoden –, für die genaue Analyse unternehmerischen Han- herausgearbeitet (Bachmann et al. 2021). Im Folgen- delns ist die Abfrage auf einer 3-Punkt-Skala jedoch den stellen wir die erhobenen Fragen und wesentliche nicht fein genug, und über die unternehmerische Un- Ergebnisse kurz vor. sicherheit sagen die Geschäftserwartungen direkt nur wenig aus.1 DER FRAGEBOGEN DES IFO INSTITUTS Dabei ist Unsicherheit eine wichtige Determi- nante unternehmerischer Entscheidungen, insbe- Für diesen Beitrag verwenden wir im Wesentlichen die sondere wenn diese nicht einfach reversibel sind. in Abbildung 1 angegebenen beiden Zusatzfragen, die So hängt die Rentabilität eines Investitionsprojekts viermal pro Jahr jeweils im ersten Monat eines Quar- von vielen Unbekannten ab, nicht zuletzt von den tals gestellt werden. Die erste Frage eruiert retrospek- vielfach ungewissen politischen Rahmenbedingen tiv die Umsatzveränderung im gerade abgelaufenen der Zukunft – man denke nur an die Entwicklung der Quartal gegenüber dem Vorquartal. Die zweite Frage Strompreise in den kommenden Jahren. Für Einstel- erhebt das im Mittel erwartete Umsatzwachstum im lungen oder Entlassungen von Personal gelten ähn- gerade begonnenen Quartal zusammen mit zwei Sze- liche Überlegungen. narien: dem »bestmöglichen Fall« und dem »schlech- * Prof. Dr. Rüdiger Bachmann ist Professor für VWL an der Universi- testmöglichen Fall«. Daneben haben die Firmen die ty of Notre Dame, Prof. Dr. Kai Carstensen ist Professor für Ökonome- Möglichkeit, Anmerkungen als Freitext einzugeben, trie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, und Prof. Dr. Mar- tin Schneider ist Professor für VWL an der Stanford University. 1 2 Bachmann et al. (2013) leiten aus den langjährigen Befragungen Seit 2019 befragt das ifo Institut auch den Handel und die Dienst- des ifo Instituts Proxy-Variablen für Unsicherheit ab, mit denen sie leister nach ihrer Unsicherheit. In diesem Beitrag konzentrieren wir die Bedeutung von Unsicherheit auf Firmenebene diskutieren. Die uns aber auf das Verarbeitende Gewerbe, um die längere Zeitdimen- Genauigkeit solcher Proxy-Variablen ist aber weitgehend ungeklärt. sion nutzen zu können. ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021 57
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1 Zusatzfragen zu Erwartungen und Unsicherheit vom April 2014 Quelle: ifo Institut. Abb. 2 rechnet. Eine Spanne von null charakterisiert dage- Bedeutung von Funktionsbereichen gen das Fehlen von Unsicherheit. All dies bezieht sich auf den aktuellen Quartalsumsatz – unsere Analyse Sehr bedeutend oder bedeutend Weniger bedeutend oder unbedeutend greift also nur diesen, eher kurzfristigen Aspekt der Finanzen/ komplexen Unternehmensplanung auf. Controlling Der Vorteil unserer Unsicherheitsdefinition ist zum einen, dass die Spanne zwischen den Szenarien Marketing/ Marktforschung eine einfache Skala hat, denn sie wird in Prozent- punkten Wachstumsdifferenz gemessen. Zum ande- Produktion ren lassen sich die Umsatzerwartungen bezüglich des aktuellen Quartals mit dem drei Monate später erhobenen Ergebnis vergleichen. Von besonderem Vertrieb Interesse ist dabei der sogenannte Erwartungsfehler, d.h. die Differenz zwischen der realisierten und der im 0 20 40 60 80 100 % Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018. © ifo Institut Mittel erwarteten Umsatzänderung. Einfache Theorien der Erwartungsbildung postulieren nämlich, dass die was sich als sehr hilfreich herausgestellt hat, um die subjektive Unsicherheit zu Beginn eines Quartals von Angaben richtig einzuordnen. Beispielsweise erläu- der Größe des Erwartungsfehlers, letztlich also der tern die Firmen ungewöhnlich große Zuwachsraten Umsatzüberraschung, des Vorquartals abhängt. mit Kommentaren wie »Fakturierung eines großen Auftrags«. CHARAKTERISTIKA DER BETRIEBLICHEN Als Maß der subjektiven Unsicherheit verwenden ERWARTUNGEN UND SZENARIENPLANUNG wir den Abstand zwischen der erwarteten Umsatz änderung im bestmöglichen und schlechtestmögli- Vor einer Analyse der Antworten auf die in Abbildung 1 chen Fall, im Folgenden Spanne genannt. Eine große dargestellten Fragen wollten wir verstehen, wie die Spanne entspricht hoher subjektiver Unsicherheit, Firmen bei der Beantwortung vorgehen und welche denn sie reflektiert ein breites Intervall an möglichen Informationen sie dabei nutzen. Zu diesem Zweck hat Umsatzergebnissen, mit denen das Unternehmen das ifo Institut im Herbst 2018 eine einmalige Son- derumfrage durchgeführt, die in diesem Abschnitt Abb. 3 vorgestellt wird. Bedeutung von externen Faktoren für die Umsatzerwartungen Abbildung 2 zeigt, welche innerbetrieblichen Sehr bedeutend oder bedeutend Weniger bedeutend oder unbedeutend Funktionsbereiche die für die Erstellung von Umsatz erwartungen notwendigen Informationen bereitstel- Außenwirtschaftliches Umfeld len. Es zeigt sich, dass vor allem der Vertrieb wich- tig ist: 97% der befragten Firmen geben an, dass die Entwicklung der Wettbewerber Einschätzungen des Vertriebs sehr bedeutend oder bedeutend sind. Mit Blick auf die Produktion sagen Wirtschaftspolitisches Umfeld dies noch 74% der Firmen, während die Bereiche Mar- keting/Marktforschung und Finanzen/Controlling für Konjunkturelle Entwicklung die Mehrheit der Firmen eine etwas weniger tragende Branchenentwicklung Rolle spielen. Welche betriebsexternen Faktoren beeinflussen 0 20 40 60 80 100 % die Umsatzerwartungen? Sehr bedeutend oder bedeu- Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018. © ifo Institut tend sind nach Angabe von über 80% der befragten 58 ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021
DATEN UND PROGNOSEN Unternehmen die konjunkturelle und die Branchen Abb. 4 entwicklung (vgl. Abb. 3). Mehr als die Hälfte der Un- Bedeutung von internen Faktoren für die Umsatzerwartungen ternehmen berücksichtigt darüber hinaus das außen- Sehr bedeutend oder bedeutend Weniger bedeutend oder unbedeutend wirtschaftliche und das wirtschaftspolitische Umfeld sowie die Entwicklung der Wettbewerber. Für das laufende Quartal erwartete In die Umsatzerwartungen fließen aber auch be- Fertigstellungen/Auslieferungen von Projekten, die vor Quartalsbeginn gestartet wurden. triebsinterne Informationen ein (vgl. Abb. 4). Dabei spielen die für das laufende Quartal erwarteten Be- stellungen eine zentrale Rolle – 91% der Unterneh- Auftragsbestand am Quartalsbeginn men halten sie für sehr bedeutend oder bedeutend. Zur Erinnerung: die Zusatzfragen zu Erwartungen und Erwartete Neuaufträge/-bestellungen im Unsicherheit werden immer im ersten Monat eines laufenden Quartal Quartals gestellt, weshalb die Auftragseingänge die- ses Quartals zum Zeitpunkt der Beantwortung noch 0 20 40 60 80 100 % weitgehend unbekannt sind. Für die große Mehrheit Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018. © ifo Institut von 82% der Firmen ist aber auch der bekannte Auf- tragsbestand am Quartalsbeginn von Bedeutung. Alles Abb. 5 in allem zeigt sich, dass die befragten Unternehmen Methodische Basis der Erwartungen im bestmöglichen und schlechtestmöglichen Fall eine Vielzahl von Informationen zu einer Umsatzer- Sehr bedeutend oder bedeutend Weniger bedeutend oder unbedeutend wartung verdichten. Von besonderem Interesse für eine zuverlässige Messung subjektiver Unsicherheit als Spanne zwischen Statistische dem Umsatzwachstum im bestmöglichen und schlech- Analyse testmöglichen Fall ist die Frage, wie diese Fälle in der betrieblichen Praxis ermittelt werden. Hier ergibt die Sonderumfrage, dass 80% der Unternehmen dies auf Szenario- Basis einer regelmäßigen quantitativen Umsatzpla- analyse nung tun, also im Rahmen eines Routineverfahrens und insbesondere nicht allein für die Umfrage. Von diesen Unternehmen bezeichnen 64% eine Szena- 0 20 40 60 80 100 % rioanalyse um eine Basisprognose herum als sehr Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018. © ifo Institut bedeutend oder bedeutend, während 52% die Rele- vanz einer statistischen Analyse betonen (vgl. Abb. 5). dass sie vorsichtiger in ihrer Herangehensweise an Dies zeigt, dass sich die Unternehmen intensiv mit die Planung unter Unsicherheit wird. Dies könnte sie Zukunftsszenarien auseinandersetzen und hoch in- dazu veranlassen, Szenarien zu ändern, selbst wenn formiert antworten. sie die Unsicherheit selbst unverändert wahrnimmt. Inhaltlich dominieren zwei Aspekte die Ermitt- lung des bestmöglichen und schlechtestmöglichen DESKRIPTIVE ANALYSE SUBJEKTIVER Falls und damit auch der subjektiven Unsicherheit. UNTERNEHMERISCHER UNSICHERHEIT Fast alle Unternehmen stellen dafür aktuelle Über- legungen unabhängig von der Vergangenheit an (vgl. In diesem Abschnitt stellen wir einige deskriptive Er- Abb. 6). Von hoher Relevanz ist zudem die Risikoein- gebnisse unserer Analyse vor, die ein gutes Grund- stellung des Unternehmens, die in 76% der Antworten verständnis der erhobenen Daten ermöglichen. Wir als mindestens bedeutend eingeordnet wird. Diese Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, als unsere Abb. 6 Prämisse ist, dass Unternehmen, die sich mehr Sor- Determinanten der bestmöglichen und schlechtestmöglichen Fälle gen um die Zukunft machen, positive und negative Sehr bedeutend oder bedeutend Weniger bedeutend oder unbedeutend Szenarien weiter auseinander liegen lassen und daher Umsatzveränderungen, die weiter als zwei eine höhere Spanne aufweisen. Prinzipiell kann da- Jahre zurückliegen her eine Änderung der Spanne entweder eine verän- Umsatzveränderungen, die wir bei unseren derte Wahrnehmung der Unsicherheit oder veränderte Wettbewerbern beobachten Einstellung gegenüber Ungewissheit reflektieren. So Umsatzveränderungen in den letzten ein bis könnte sich eine Firma zum einen mehr Sorgen über zwei Jahren die Zukunft machen, weil sie weniger Informationen Unsere Risikoeinstellung (»Vorsichtsprinzip«) hat und daher eine größere Unsicherheit wahrnimmt. Sie könnte dann ihre Planung modifizieren, um Szena- Überlegungen, die wir aktuell anstellen, rien zu berücksichtigen, die weiter von der Basispro- unabhängig von der Vergangenheit gnose entfernt liegen. Die Firma könnte sich zum an- 0 20 40 60 80 100 % deren aber auch mehr Sorgen in dem Sinne machen, Quelle: ifo Umfrage, Sonderfrage Herbst 2018. © ifo Institut ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021 59
DATEN UND PROGNOSEN verwenden hier und im Folgenden die Erhebungen im nehmen unterscheiden sich also sowohl in der Größe Verarbeitenden Gewerbe vom April 2013 bis zum Juli des typischen Schocks, den sie erleben, als auch in 2016, also 14 Wellen, auf deren Basis unser Arbeitspa- der Art und Weise, wie ihre Planung mit der wahr- pier (Bachmann et al. 2021) entstanden ist. genommenen Unsicherheit umgeht, ganz erheblich. Beide Variablen sind mit einem Koeffizienten von 0,43 Das Umsatzwachstum ist schwer zu positiv, wenn auch unvollkommen korreliert. Firmen, prognostizieren die größere Überraschungen erfahren, neigen also dazu, mehr Unsicherheit zu empfinden. Das realisierte Umsatzwachstum hat eine Stan- dardabweichung von 14,7 Prozentpunkten. Dabei Die subjektive Unsicherheit variiert über die Zeit liegt die Hälfte der Beobachtungen zwischen – 5% und 10%. Im Vergleich dazu ist die Verteilung der Unsere Daten zeigen auch eine deutliche zeitliche Prognosen komprimiert, hier liegt die Hälfte der Be- Variation der subjektiven Unsicherheit auf Unter- obachtungen zwischen 0% und 5%. Die Prognosen nehmensebene. Die Zeitreihenstandardabweichung weisen im Durchschnitt eine geringe Verzerrung auf: der Spanne für die durchschnittliche Firma beträgt Die durchschnittliche Prognose ist im Wesentlichen 5,9 Prozentpunkte. Dies ist zwar weniger als im Quer- die gleiche wie die durchschnittliche Realisierung, schnitt, im Vergleich zu anderen zeitlichen Verände- weshalb der mittlere Prognosefehler nahe null liegt. rungen der Unternehmen aber dennoch erheblich. So Für ein durchschnittliches Unternehmen beträgt die variiert die mittlere Firma ihre Basisprognose sowie Standardabweichung der Prognosefehler 10,2 Prozent- die Zahlen für den bestmöglichen und den schlech- punkte, ähnlich groß wie die Standardabweichung des testmöglichen Fall nur geringfügig stärker als die Umsatzwachstums von 11,4 Prozentpunkten. Zusam- Spanne. Dies impliziert, dass Firmen den Abstand mengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, des günstigen bzw. ungünstigen Falls von der Basis- dass die Vorhersage des Umsatzwachstums im Mittel prognose typischerweise ähnlich stark an neue In- gelingt, aber schwierig ist: Die unvorhersehbare Vari- formationen und Einschätzungen anpassen, wie die ation liegt nahe an der Gesamtvariation. Basisprognose selbst, und insbesondere nicht dazu neigen, das immer gleich breite Intervall lediglich mit Das Ausmaß subjektiver Unsicherheit ähnelt dem einer sich ändernden Basisprognose zu verschieben. von statistischen Maßen Subjektive Unsicherheit ist primär Das Umsatzwachstum im bestmöglichen und schlech- unternehmensspezifisch testmöglichen Fall liegt im Mittel bei – 4,8% bzw. 7,4%, die mittlere Spanne für ein durchschnittliches Die Gesamtvariation der subjektiven Unsicherheit Unternehmen beträgt 12,3 Prozentpunkte. Diese Grö- lässt sich nur zu 0,6% durch einen aggregierten, für ßenordnung entspricht in etwa der von statistischen alle Firmen identischen Zeiteffekt erklären und nur Unsicherheitsmaßen. So beträgt die Volatilität – sta- zu 8,4% durch sektorspezifische Zeiteffekte. Dies be- tistisch genauer ausgedrückt die unbedingte Zeit deutet nicht, dass keine systematischen Muster in reihen-Standardabweichung – des Umsatzwachstums der Variation der Unsicherheit existieren, wie wir in auf Unternehmensebene 11,4 Prozentpunkte, und der den nächsten Abschnitten darlegen. Allerdings wer- vom durchschnittlichen Unternehmen berichtete ab- den solche Muster nicht von der Branche bestimmt, solute Prognosefehler liegt bei 9,4 Prozentpunkten. sondern eher von unterschiedlichen Firmenwahrneh- Diese Ähnlichkeit darf aber nicht darüber hinweg täu- mungen innerhalb der Branchen. In ähnlicher Weise schen, dass statistische Maße nicht die subjektive Un- werden die Zeitreihenmuster größtenteils von den sicherheit messen, die zu einem Zeitpunkt besteht Erfahrungen und Eigenschaften einzelner Unterneh- und – wie im vorangegangenen Abschnitt beschrie- men beeinflusst und nicht etwa vom Zustand des ben – auf vielfältige Informationen reagiert, sondern Konjunkturzyklus – hier ist allerdings einschränkend retrospektiv das Ausmaß der Überraschung, das sich anzumerken, dass der extreme konjunkturelle Schock anhand des Prognosefehlers messen lässt. der Corona-Pandemie nicht in unserer Stichprobe enthalten ist. Die subjektive Unsicherheit variiert im Unternehmensquerschnitt SUBJEKTIVE UNSICHERHEIT UND FIRMENCHARAKTERISTIKA Um die Variation der subjektiven Unsicherheit im Querschnitt zu bewerten, berechnen wir die durch- Subjektive Unsicherheit steht in deutlichem Zusam- schnittliche Spanne für jedes Unternehmen. Diese menhang mit drei wichtigen weitgehend zeitinvarian- Querschnittsstandardabweichung beträgt 7,4 Prozent- ten Charakteristika von Firmen bzw. deren Marktum- punkte. Sie ist ähnlich groß wie die Querschnittsstan- feld: Firmengröße, Volatilität und Trendwachstum. Die dardabweichung des durchschnittlichen absoluten Firmengröße kann 10% der Querschnittsvariation der Prognosefehlers von 9,6 Prozentpunkten. Die Unter- subjektiven Unsicherheit erklären. Kleinstfirmen mit 60 ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021
DATEN UND PROGNOSEN weniger als zehn Beschäftigten sind am unsichersten: Abb. 7 Sie geben im Mittel eine Spanne von 18,2 Prozent- Unsicherheit nach Größenklassen punkten an. Mit zunehmender Größe nimmt die Unsi- Spanne Absoluter Erwartungsfehler cherheit ab. So liegt die Spanne kleiner Firmen (zehn Prozentpunkte 20 bis unter 50 Beschäftigte) im Mittel bei 14,9 Prozent- punkten, während mittelgroße Firmen (50 bis unter 16 250 Beschäftigte) 11,8 Prozentpunkte und Großun- ternehmen (ab 250 Beschäftigte) 9,3 Prozentpunkte 12 angeben (vgl. Abb. 7). Der Zusammenhang betrifft nicht nur die subjektive Unsicherheit, sondern auch 8 die Größe der – als absoluter Erwartungsfehler ge- 4 messenen – Überraschungen beim Umsatzwachstum, die die Firmen tatsächlich erleben. Auch die Überra- 0 schungen werden mit zunehmender Firmengröße klei- Sehr klein Klein Mittel Groß ner. Dies reflektiert vermutlich, dass größere Firmen Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016. © ifo Institut im Durchschnitt eine breitere Kundenbasis besitzen und parallel mehr Aufträge abarbeiten, so dass sie Abb. 8 einzelne Ausfälle oder andere Fluktuationen besser Unsicherheit nach Volatilität ausgleichen können. Spanne Absoluter Erwartungsfehler Die zweite Erklärungsgröße subjektiver Firmenun- Prozentpunkte 20 sicherheit ist die Umsatzvolatilität, die wir für jede Firma als Zeitreihenstandardabweichung der reali- 16 sierten Umsatzwachstumsrate berechnen. Dann tei- len wir die Firmen in vier gleichgroße Gruppen (1. bis 12 4. Quartil) mit zunehmender Volatilität ein und er- mitteln die durchschnittliche subjektive Unsicherheit 8 dieser Gruppen. Es zeigt sich, dass ein klar positiver 4 Zusammenhang zwischen beiden Größen besteht, der 34% der Querschnittsvariation der Spanne erklärt: Je 0 größer die Volatilität, desto größer die Spanne (vgl. 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil 4. Quartil Abb. 8). Auch das Ausmaß der Überraschungen, ge- Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016. © ifo Institut messen als absoluter Erwartungsfehler, nimmt mit der Volatilität zu. All dies belegt einen engen Zusammen- schungen aber fast gar nicht. Die schrumpfenden Fir- hang zwischen objektiven Größen wie Volatilität und men sind so gesehen unsicherer, als die durchschnitt- Überraschungen auf der einen Seite und subjektiver liche Größe der Überraschungen es nahelegen würde. Unsicherheit auf der anderen Seite. Alles in allem zeigt sich, dass Firmencharakte- Schließlich ist auch das Trendwachstum der Un- ristika einen großen Teil der Querschnittsvariation ternehmen ein guter Prädiktor ihrer Unsicherheit. von subjektiver Unsicherheit erklären können. Von Allerdings gilt die einfache Gleichung, dass höheres besonderer Bedeutung sind neben der Firmengröße Wachstum mit weniger Unsicherheit einhergeht, ge- zwei Maße von firmenspezifischer »Unruhe«: Um- rade nicht. Stattdessen gibt es einen V-förmigen Zu- satzvolatilität und Trendwachstum. Dabei lässt sich sammenhang (vgl. Abb. 9), der 11% der Querschnitts- festhalten, dass nicht nur die subjektive Unsicher- variation der Spanne erklärt. Dazu teilen wir die Un- heit mit zunehmender Unruhe steigt, sondern auch ternehmen nach ihrem durchschnittlichen Wachstum im Beobachtungszeitraum ein. Das unterste Quartil Abb. 9 bezeichnet die 25% Firmen mit dem geringsten Trend- Unsicherheit nach Wachstumstrend wachstum. Im Mittel schrumpfen diese Firmen um Spanne Absoluter Erwartungsfehler 6,1% und berichten eine Spanne von 16,3 Prozent- Prozentpunkte 18 punkten. Dagegen wachsen die Firmen im obersten Quartil im Mittel um 10,1% und geben eine Spanne 15 von 12,5 Prozentpunkten an. Am geringsten ist die 12 Unsicherheit der Firmen der mittleren beiden Wachs- tumsquartile, die sich kaum unterscheiden und daher 9 zusammengefasst sind; sie beträgt 10,3 Prozentpunkte 6 bei einem Trendwachstum von 1,6%. Auch hier lässt sich der grundsätzlich gleiche V-förmige Zusammen- 3 hang mit den tatsächlichen Überraschungen beob- 0 achten. Interessanterweise ist das »V« der subjektiven 1. Quartil 2. und 3. Quartil 4. Quartil Unsicherheit aber asymmetrisch, das »V« der Überra- Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016. © ifo Institut ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021 61
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 10 höht die subjektive Unsicherheit deutlich stärker als Zusammenhang zwischen Umsatzwachstum und subjektiver Unsicherheit positive Unruhe gleichen Ausmaßes. Beispielsweise ist die Spanne nach einem Umsatzwachstum des Vor- Subjektive Unsicherheit – Spanne in Prozentpunkte 20 quartals von – 15% um 7,5 Prozentpunkte größer als nach einem Nullwachstum, während sie nach einem 16 Umsatzwachstum des Vorquartals von + 15% nur um 7,5 Prozentpunkte 4,2 Prozentpunkte größer ist. 12 4,2 Prozentpunkte Dieser dynamische Zusammenhang bleibt erhal- 8 ten, wenn für die oben diskutierten Firmencharakte- ristika kontrolliert wird oder allgemeine Firmeneffekte 4 im Rahmen einer sogenannten fixed effects regres- sion herausgerechnet werden. Auch die Hinzunahme 0 von sektoralen oder konjunkturellen Trends in die –20 –15 –10 –5 0 5 10 15 20 Realisiertes Umsatzwachstum im Vorquartal in Prozent Regression ändert das Ergebnis kaum. Es ist daher Quelle: ifo Konjunkturumfragen, April 2013 bis Juli 2016. © ifo Institut als robustes Merkmal subjektiver Unsicherheit auf Firmenebene anzusehen. der absolute Prognosefehler als Maß objektivierbarer Ein alternatives Maß dynamischer Unruhe ist der Überraschungen. Erwartungsfehler des Vorquartals. Aus theoretischer Sicht liegt es nahe zu vermuten, dass eine gerade ZUR DYNAMIK SUBJEKTIVER UNSICHERHEIT erlebte große Überraschung die subjektive Unsi- cherheit erhöht. Tatsächlich lässt sich ein ähnlicher, Abschließend untersuchen wir den dynamischen Zu- wenn auch schwächer ausgeprägter Zusammenhang sammenhang zwischen subjektiver Unsicherheit und in Form eines asymmetrischen »V« auch zwischen dem zeitvariierenden Bestimmungsfaktoren. Ein einfaches Erwartungsfehler des Vorquartals und der Spanne Maß der Unruhe ist das absolute Umsatzwachstum, nachweisen. Allerdings scheint er in erster Linie zu das die Firma im jeweils abgelaufenen Quartal erlebt reflektieren, dass quartalsweises Umsatzwachstum hat. Eine detaillierte Analyse ergibt jedoch, dass die schwer zu prognostizieren ist und daher das Umsatz- Unsicherheit schneller mit negativem als mit positi- wachstum und der Erwartungsfehler in einem engen vem Wachstum zunimmt. Daher spezifizieren wir eine Zusammenhang stehen. Regressiert man nämlich die Regression mit einer abschnittsweise linearen Funk- Spanne auf sowohl das Umsatzwachstum als auch tion, die einen Vorzeichenwechsel bei einem Wachs- den Erwartungsfehler und spezifiziert jeweils eine tum von null erlaubt. Wir erhalten zwei statistisch abschnittsweise lineare Funktion, so ist lediglich das signifikante Steigungsparameter von – 0,50 für den »V« des Umsatzwachstums signifikant. Die subjektive linken Ast und 0,28 für den rechten Ast (vgl. Abb. 10). Unsicherheit von Unternehmen reagiert also primär Dies bedeutet, dass die Spanne als Maß der subjekti- auf zuvor erlebte Unruhe – egal ob diese erwartet ven Unsicherheit um einen halben Prozentpunkt zu- wurde oder überraschend eingetreten ist. nimmt, wenn die Umsatzänderung negativ ist und absolut einen Prozentpunkt höher ausfällt, also z.B. LITERATUR – 2% statt – 1% beträgt. Dagegen steigt die Spanne Bachmann, R., K. Carstensen, S. Lautenbacher und M. Schneider (2021), nur um 0,28 Punkte, wenn die Umsatzänderung po- »Uncertainty and Change: Survey Evidence of Firms‘ Subjective Beliefs«, Arbeitspapier, University of Notre Dame, verfügbar unter: sitiv ist und um einen Punkt höher ausfällt, also z.B. https://www3.nd.edu/~rbachman/BCLS_current.pdf. 2% statt 1%. Subjektive Unsicherheit reagiert also Bachmann, R., S. Elstner und E. R. Sims (2013), »Uncertainty and Econo- auf das Umsatzwachstum des Vorquartals als Maß mic Activity: Evidence from Business Survey Data«, American Economic Journal: Macroeconomics 5(2), 217–249. der kürzlich erlebten Unruhe, allerdings erneut in der Form eines asymmetrischen »V«: Negative Unruhe er- 62 ifo Schnelldienst 6 / 2021 74. Jahrgang 16. Juni 2021
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