Bestseller und Briefroman - Ein Vergleich zwischen den Büchern: Die Leiden des jungen Werther Gut gegen Nordwind

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Bestseller und Briefroman - Ein Vergleich zwischen den Büchern: Die Leiden des jungen Werther Gut gegen Nordwind
Bestseller und Briefroman
 Ein Vergleich zwischen den Büchern:
      Die Leiden des jungen Werther
                 Gut gegen Nordwind

 Die Gesellschaft ist wie ein Puzzle, in dem jeder Mensch ein Puzzleteil ist,
   das mit anderen starr verbunden ist. Das Puzzleteil Werther fällt durch
               seine Rebellion aus der Gesellschaft heraus.

        Emmi und Leo sind kaputte Puzzleteilstücke, die im Dialog
      sich als ganz erleben und zu einem ganzen Puzzleteil werden.
           Dieses kann sich dann mit einem anderen verbinden

                                                                Alexis Engelke 2012
Bestseller und Briefroman - Ein Vergleich zwischen den Büchern: Die Leiden des jungen Werther Gut gegen Nordwind
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Inhalt

Einleitung .............................................................................................................................. 3

Bestseller .............................................................................................................................. 3

Kurzvorstellung des Romans „Gut gegen Nordwind“ ............................................................. 4

Gesellschaftliche Hintergründe der Briefwechsel damals und heute ...................................... 5

   Definition Briefroman ......................................................................................................... 5

   Formeller Vergleich ............................................................................................................ 5

Inhaltlicher und sprachlicher Vergleich der Briefwechsel ....................................................... 5

Zusammenfassung ................................................................................................................ 8

Anhang .................................................................................................................................10

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Bestseller und Briefroman - Ein Vergleich zwischen den Büchern: Die Leiden des jungen Werther Gut gegen Nordwind
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Einleitung
Der Roman „Die Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe war zu sei-
ner Zeit ein Bestseller. Dieser Briefroman sprach den Menschen aus der Seele. In unserer
Zeit gibt es einen E-Mail-Roman von Daniel Glattauer mit dem Titel „Gut gegen Nordwind“,
der 2006 erschienen ist und auch ein Bestseller unserer Zeit ist. Auch er greift, unter ande-
rem mit dem neuen Medium der E-Mail, die Bedeutung des inneren Monologes bzw. Dialo-
ges auf. Der Leser erfährt so die inneren Beweggründe und Gedankengänge, die spontanen
Gefühle und Sorgen und Sehnsüchte, Hoffnungen und Befürchtungen unmittelbar und jen-
seits jeglichen sozialen Bezugsrahmens. Im Folgenden soll ein Vergleich zwischen den bei-
den Bestsellern und Briefromanen Gemeinsamkeiten und Unterschiede näher beleuchten.

Bestseller
Unter einem Bestseller versteht man ein
Buch mit sehr hohen Verkaufszahlen. Da-
bei müssen heute mindestens 100 000
Exemplare verkauft worden sein. Das
weltweit meistverkaufte Buch ist die Bibel
mit mehr als 2 Milliarden Exemplaren. Die-
se hohen Verkaufszahlen kommen sehr oft
durch das Bewerben des Buches zustan-
de, durch die Bekanntheit des Autors, z.B. durch einen vorherigen Bestseller, durch Lesun-
gen oder durch das Auftreten in Fernseh-Shows, durch Auszeichnungen und Nominierungen
für z.B. den Deutschen Buchpreis oder den Literatur-Nobelpreis oder durch eine Mund-zu-
Mund-Propaganda. Des Weiteren fühlen sich viele Menschen von den Themen und Proble-
men berührt oder persönlich angesprochen. Dabei suchen sie weniger eine konkrete Lösung
des jeweiligen Problems, vielen Menschen genügt das Gefühl, dass sie verstanden werden
und dass ihre Probleme in dem Buch gespiegelt werden.

„Die Leiden des jungen Werther“ wurden im 18. Jahrhundert hauptsächlich durch eine Mund-
zu-Mund-Propaganda verbreitet. Der Roman hat sich in der Folge gut verkauft, man geht
heute von ca. 10 Millionen verkauften Exemplaren aus, und er wird weiterhin gelesen. Dabei
werden die individuellen Gefühle des jungen Werthers dargestellt, die nicht im Einklang mit
den gesellschaftlichen Normen stehen. Individuelle Liebe und emotionales Handeln stehen
im starken Widerspruch zu der Stände-Gesellschaft des 18. Jahrhunderts und dem Zeitalter
der Aufklärung. Sie sah in der Vernunft
des Menschen ein wesentliches Hand-
lungsprinzip, das zu allgemeingültiger
Lebensanschauung werden sollte. Die
Jugend der damaligen Bevölkerung stell-
ten mit der Epoche des Sturm und Drang
der Aufklärung das Recht auf sentimen-
tale und emotionale Gefühle gegenüber.
Viele in der Gesellschaft haben diese
Gefühle und erleben es als befreiend,
dass sie in der Figur des Werthers ge-
spiegelt werden. Verstärkt wird die emo-
tionale Wirkung dieses Briefromans,
durch die vielfältigen Naturbeschreibungen und den Selbstmord des Protagonisten.

                                                                       Alexis Engelke 2012
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Auch das Buch „Gut gegen Nordwind“ aus dem Jahr 2006 von Daniel Glattauer wurde über-
wiegend durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet, darüber hinaus wurde es 2006 für den
Deutschen Buchpreis nominiert. Bis Ende 2011 wurden über 3 Millionen Exemplare verkauft.
Dabei wird die Kommunikation zwischen Fremden aus einer verfehlen Kommunikation her-
aus begonnen. Die Themen unserer Zeit
sind die aufgrund der Mobilität und der Glo-
balisierung entstandene Anonymität, die
Missverständnisse und die Unverbindlich-
keit in der persönlichen Beziehung und die
Angst vor der Verbindlichkeit sowie die Be-
schleunigung in der Gesellschaft. Die Be-
schleunigungszeit und der virtuelle Raum
der E-Mail dienen als Verstärker der Ver-
fremdung und eröffnen gleichzeitig neue
Kommunikationsmöglichkeiten.

Kurzvorstellung des Romans „Gut gegen Nordwind“
Der Roman „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer erschien 2006 und handelt von zwei
Menschen, die sich durch Zufall schreiben, sich aber nicht persönlich sehen. Dabei schrei-
ben sich Emma (Emmi) Rothner und Leo Leike E-Mails im Abstand von einer halben Minute
bis zu sieben Wochen. Die zunächst vereinbarte Auslassung von familiären Angelegenheiten
kann nicht eingehalten werden, da die alltäglichen Aktivitäten sowie ihre persönlichen An-
sichten und Empfindungen, über die sie schreiben, immer im persönlichen und familiären
Kontext stehen. Ein Treffen ist geplant, zu dem Emmi R. nicht erscheint.

         Textausschnitt: S. 6 (Anfang)

15. Januar
Betreff: Abbestellung
Ich möchte bitte mein Abonnement kündigen. Geht das auf diesem Wege? Freundliche
Grüß, E. Rothner.
18 Tage später
Betreff: Abbestellung
Ich will mein Abonnement kündigen. Ist das per E-Mail möglich? Ich bitte um kurze Antwort.
Freundliche Grüße, E. Rothner.
33 Tage später
Betreff: Abbestellung
Sehr geehrte Damen und Herren vom „Like“-Verlag, sollte Ihr beharrliches Ignorieren meiner
Versuche, ein Abonnement abzubestellen, den Zweck haben, weitere Hefte Ihres im Niveau
leider stetig sinkenden Produkts absetzen zu können, muss ich Ihnen leider mitteilen: Ich
zahle nichts mehr! Freundliche Grüße, E. Rothner.
Acht Minuten später
AW:
Sie sind bei mir falsch. Ich bin privat. Ich habe: woerter@leike.com. Sie wollen zu: woer-
ter@like.com. Sie sind schon der Dritte, der hier mir abbestellen will. Das Heft muss wirklich
schlecht geworden sein.
Fünf Minuten später
RE:
Oh, Verzeihung! Und danke Dir die Aufklärung. Grüße, E. R.

                                                                        Alexis Engelke 2012
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Gesellschaftliche Hintergründe der Briefwechsel damals und heute
Definition Briefroman
Das Besondere an einem Briefroman
liegt in dem schriftlichen persönlichen
Austausch des Schreibenden mit ei-
nem Adressaten. Dabei findet keine
äußere Darstellung einer Handlung
statt, sondern es wird in individueller
Weise das Empfinden der Ereignisse
reflektiert und kommuniziert.

Formeller Vergleich
Eine wichtige Voraussetzung des Schreibens in der Form eines Briefromans liegt in der Be-
zugnahme auf den Adressaten. In der Regel kennt der Schreibende den Adressaten gut.
Man hat sich miteinander wechselseitig vertraut gemacht, man versteht einander und kennt
die familiären und gesellschaftlichen Umstände des anderen. Dabei kann der Schreibende
von einem wohlwollenden Verständnis seines ganzen Seins ausgehen. Selbst bei unter-
schiedlichen Ansichten oder Gefühlswelten bleibt die enge Bezogenheit aufgrund einer sozi-
alen und persönlichen Verbundenheit bestehen. Eine solche Beziehung kann in eine tiefe
Freundschaft münden.

Heute kann man sich im Netz zufällig kennenlernen. Entweder wie in diesem Roman ganz
unabsichtlich durch einen Tippfehler, so dass man bei einem falschen Absender landet oder
aber absichtlich, indem man Chaträume auf-
sucht. Die Schreibenden sind sich zunächst
fremd und müssen erst eine Verbindung zuei-
nander aufbauen. Die Form der E-Mail ist
formlos und eher kurz. Die Erwartungen auf
eine Antwort, auf eine Reaktion machen den
Reiz des Schreibens aus, nicht die Mitteilung
der Botschaft an sich. Über den Dialog sich
selbst verstehen und überhaupt im Dialog zu
sein, ist das Ziel.

Inhaltlicher und sprachlicher Vergleich der Briefwechsel
Die Sehnsucht nach wechselseitiger Liebe und Annahme war damals wie auch heute ein
aktuelles Thema eines jeden Menschen. Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen
Voraussetzungen beginnen die Geschichten unterschiedlich und enden auch auf unter-
schiedliche Art und Weise.

Während bei den „Leiden des jungen Werther“ die persönlichen Probleme des Werther in
seinen Schreiben an seinen Freund Wilhelm im Vordergrund stehen und die familiären Hin-
tergründe wohl bekannt sind, werden genau diese Probleme und familiären Angelegenheiten
in dem Roman „Gut gegen Nordwind“ von den Protagonisten zu Beginn ausgeklammert.
Das Ziel der Schreibenden in dem Roman heute ist es, überhaupt eine Beziehung zu einem
anderen, gänzlich unbekannten Menschen aufzubauen. Dabei dient der virtuelle Raum als
Möglichkeit, eine unverbindliche Kommunikation zu beginnen. Gerade die Anonymität redu-

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ziert Ängste und Zweifel, weil die Kommu-
nikation begrenzt ist und jederzeit wieder
abgebrochen werden kann. Werther hinge-
gen hat den Abbruch der Kommunikation
durch seinen Freund Wilhelm überhaupt
nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen.
Verbindlichkeit und Vertrauen sind hier ge-
rade die Basis, die eine Offenbarung der
Seelenvorgänge erst möglich machen.

Heute steht das Verstandenwerden und der
Dialog mit einem anderen Menschen im
Vordergrund. „Sie haben aus meinem inne-
ren Monolog einen Dialog gemacht. Sie bereichern mein Innenleben. Sie hinterfragen, insis-
tieren, parodieren, Sie treten in Widerstreit zu mir.“ (Seite 77, G. g. N.) Hier drückt Leo Leike
das Wunder eines bereichernden Dialoges zwischen zwei Menschen aus. Gemeinsamkeiten
und die Suche danach sowie die wechselseitige Bezogenheit sind wesentlich, um die Fragili-
tät dieses unverbindlichen Wunders nicht zu gefährden. Beim Schreiben kreisen Leo und
Emmi jeweils um den anderen, sie drücken ihre Gefühle aus, die den anderen umkreisen. „
Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen.“ (Seite 88, G. g. N.)
Leo lässt aus seinem Inneren die Gefühle aufsteigen, die über seine Hände auf der Tastatur
zu Worten werden und Emmis Augen über den Bildschirm erreichen. Die geschriebenen
Worte kommen bei Emmi im Kopf als eine kognitive Emotion an. Das Lesen der E-Mails löst
körperliche Reaktionen aus, die Leo so beschreibt: „Wenn ich sehe, dass eine E-Mail von
Ihnen einlangt, klopft mein Herz. Das ist heute so wie gestern und vor sieben Monaten.“ (Sei-
te 155, G. g. N.) Dieses Erkennen des anderen Menschen ist so zerbrechlich, weil es in ei-
nem virtuellen Raum ohne jede körperliche und räumliche Nähe stattfindet. Der Dialog führt
dann zu den jeweiligen Problemen und familiären Hintergründen des anderen, die wechsel-
seitig aufgenommen werden und zu einem tiefergehenden Verstehen des anderen führen.
Es besteht zwischen Leo und Emmi eine unglaubliche Angst, im realen Leben dieses wech-
selseitige Erleben nicht zu erfahren und sogar die gemeinsame virtuelle Begegnung zu ver-
lieren. „Ich habe Angst vor unserem Treffen. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass ich
sie nachher verliere.“ (S. 212, G. g. N.) Trotzdem wagen beide schon relativ zu Beginn ein
Erkennungstreffen, wobei sie sich tatsächlich nicht erkennen, aber die Erfahrung machen,
dass das ihren virtuellen Begegnungen keinen Abbruch tut. Die Angst vor einer realen Be-
gegnung bleibt aber bestehen. „Er hat mich erkannt. Er hat mich aus meinem Versteck ge-
holt ..“ „Ich hatte Angst vor mir.“ „ Ich glaube. Ich liebe dich…. Mir ist kalt. Der Nordwind bläst
mir entgegen. Wie tun wir weiter?“ (Seite 223, G. g. N.) Emmi beschreibt gegen Ende des
Dialoges ihre eigenen Gefühle, die ihr selbst Angst machen, weil sie ihr so unvertraut und
neu sind. Emmi macht die Erfahrung, erst in der Begegnung mit Leo sich selbst zu entde-
cken und zu spüren. Eine reale Begegnung zu wagen, war ihr ebenso unmöglich wie diese
Begegnung abzusagen. Man kann sich nicht selbst absagen, und eine reale Begegnung er-
fordert den Mut, sich selbst zu stellen und erneut zu entdecken. Alles aber, was uns selbst
unbekannt ist, macht uns Angst. Emmis Angst war größer als ihr Mut.

Bei Goethes Werther dient das Schreiben der Offenlegung der Gefühlwelten des Werther.
Das Ziel von Werther ist die Mitteilung seines Liebesleidens. Sein Spiegel während seines
Leidens ist die Natur mit ihren vielfältigen Ausdruckformen. „Und so taumle ich beängstigt!
Himmel und Erde und ihre webenden Kräfte um mich her! Ich sehe nichts, als ein ewig ver-

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schlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer!“ (S. 62, D. L. d. j. W.) Werther nimmt den
Menschen als Zerstörer der Umwelt wahr, so wie er auch die Gesellschaft als Zerstörer sei-
ner Liebe erlebt. In seinem Schreiben ist Werther immer auf sich und seine Gefühle bezo-
gen. Er stellt sein Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt seines Seins. Sein Seelenausdruck
und die Seele der Menschen stehen für Werther im Zentrum. Im Gegensatz zur Gesellschaft
mit ihren starren Strukturen und verstandesorientierten Verhaltensweisen ist Werther ein
empfindsamer, sentimentaler Gefühlscharakter. Werther lebt in Abgrenzung zur Gesell-
schaft, aber auch zu seiner unmittelbaren Umgebung. Er bezieht sich nicht auf seinen
Freund Wilhelm, der dem Leser na-
hezu unbekannt bleibt, und er scheint
auch keine intensive Beziehung zu
seiner Mutter mehr zu führen. Diese
Ausgrenzung führt zu einem Kreisen
um sein eigenes Gefühlsleiden, dem
Werther nicht mehr zu entkommen
vermag und das ihn schließlich
Selbstmord begehen lässt. Werther
schätzt gegen Ende seines Lebens
nicht den Dialog mit seinem Freund
als Wert, er ist nur auf sein Leiden
fixiert.

Sprachlich
Die Sprache von Goethes Werther ist voller Analogien zur Natur, sie ist wortgewaltig und
ausdrucksstark und erfährt erst gegen Ende der Briefwechsel einen fragmentarischen Cha-
rakter, der den Zerfall Werthers spiegelt. „[…] da überfiel mich ein Schauer und wieder ein
Sehnen! Ach mit offenen Armen stand ich gegen den Abgrund und atmete hinab! Hinab! Und
verlor mich in der Wonne, meine Qualen, mein Leiden da hinabzustürmen!“ (S. 122, D. L. d.
j. W.) Die Anapher „Hinab! Hinab!“ ist wie ein Teilstück mitten in den Satz gestellt. Sie ver-
stärkt das Hinabstürmen, letztlich das Hinabstürzen in den Tod. Aber noch in diesem Satz
finden wir Stilmittel und eine besondere Ausdrucksweise. Diese Sprache des Werther kommt
zunächst in ganzer Schönheit aus einer realen Welt eines gesunden Menschen, der einem
Freund voller Vertrauen seine ganze seelische Empfindungswelt offenlegt. Er vertraut ihm
auch seinen Sterbensprozess an, er mutet ihm dies voller Vertrauen in die Stärke seines
Freundes zu. Werther mutet seinen Tod auch Lotte, Albert, seiner Mutter, seinem Freund
und anderen zu, die ihn aber nicht ertragen können. Die Beerdigung findet nur mit dem
Amtmann und seinen Söhnen statt. Alle anderen versagen Werther die Gefolgschaft.

Im Gegensatz dazu ist die Sprache von Glattauer und seinen Protagonisten Emmi und Leo
einfach, die Sätze sind zu Beginn kurz, Nebensätze fehlen ganz. „Sie haben aus meinem
inneren Monolog einen Dialog gemacht. Sie bereichern mein Innenleben.“ Diese einfachen
Sätze zeigen das Herantasten aus einer Unverbindlichkeit heraus, aus Unbekanntheit und
Zweifel, aus Angst und Fragmenten und münden dann auch in längere Dialoge, die die Per-
sönlichkeitsanteile wie Puzzlestücke oder Fragmente zu größeren Teilen zusammenfügen.
Die Welt heute ist eher virtuell, unsicher und unbekannt. In einer Welt, in der man nicht auf
ein Erkennen und Anerkennen hoffen darf, sondern dieses schon fast wie ein Wunder anmu-
tet, ist kein Raum für eine künstlerische und komplexe Sprache. Stattdessen finden wir Auf-
zählungen, insbesondere in den ersten Kapiteln, die eine übersichtliche Darstellung anzei-
gen. Die Schreiber wollen sich möglichst kurz fassen und dem anderen nicht die Zeit stehlen.

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Lange wohlgeformte Ausführungen kosten Zeit, die heute nur noch wirklichen Freunden ab-
verlangt wird, nicht aber nahezu Unbekannten. Nachdem aus den Unbekannten nahe Be-
kannte geworden sind, wird das Schema fallen gelassen und dem anderen statt der äußeren
Orientierungshilfe innere Arbeit zugemutet. Der Dialog endet, als der Mut der realen Begeg-
nung der Emma fehlt. Auch eine lange Erklärung ihrerseits ändert an dem Bruch von Leo,
der den Kontakt einstellt, nichts mehr. Das Leben heute erfordert eine schnelle Reaktion, die
E-Mail-Wechsel erfolgen in Sekun-
den- oder Minutenschnelle. Tage
und Wochen oder Monate sind
eher die Ausnahme. Die Reakti-
onszeit ist heute ein Maß für die
Verbindlichkeit. Wenn ich lange für
eine Entscheidung brauche, wirke
ich unverbindlich und riskiere einen
Bruch. Gefordert ist der Mut,
schnell und damit instinktiv zu rea-
gieren. Verstandesgeleitete und
damit langsame Handlungen wer-
den in unserer Gesellschaft heute
weniger prämiert.

Zusammenfassung
Sowohl im 18. Jahrhundert als auch heute kann ein Werk zum Bestseller werden, wenn ak-
tuelle Beziehungsprobleme zum Thema gemacht werden.

Damals war der individuelle Aufbruch aus einer starren Gesellschaft mit seinen ganzen un-
terdrückten und regulierten Emotionen ein zentrales Thema. Der Drang nach individueller
Freiheit und Lebendigkeit war groß. Die Struktur der Gesellschaft mit ihren Ständen war starr
und unbeweglich. Auch wenn die stürmende und drängende Haltung Werthers, die sich
auch in der Natur spiegelt, in einen schmerzvollen Abgrund führt, so wurde Werther dennoch
zur Kultfigur, weil der seelische individuelle Schmerz erstmals Ausdruck in der Öffentlichkeit
fand. Bis heute sind „Die Leiden des jungen Werther“ ein Zeugnis emotionaler und egozen-
trierter Leidenschaft eines Menschen.

Auch heute in der individualisierten, anonymen und globalen Welt mit ihren neuen Medien
bleibt die Verbindung zwischen Menschen das zentrale Thema. Der Wunsch nach einem
intensiven Dialog mit einem anderen Menschen ist groß. Unsere mobile, flexible, individuali-
sierte Umwelt lässt aber überall nur Persönlichkeitsfragmente in Erscheinung treten und führt
zur Zersplitterung und Unkenntnis unserer eigenen Persönlichkeit. Die Schnelligkeit des In-
formations- und Lebenstaktes zwingt zu schnellen Entscheidungen, deren Tragweite wir we-
der übersehen noch reflektieren können. Ziel ist es, uns selbst als ganze Persönlichkeit
spiegeln und damit überhaupt erst erkennen zu können. Auch wenn es Emmi und Leo am
Ende nicht gelingt, dies in einer realen Begegnung zu erleben, so zeigt ihr Briefwechsel den-
noch das Gelingen einer virtuellen Beziehung, in der sich beide als Mensch erkannt und ge-
schätzt fühlen.

Der Fortsetzungsroman „Alle sieben Wellen“ erlöst die virtuelle Beziehung nach einiger Zeit
und lässt sie im realen Leben Wirklichkeit werden und schenkt damit den Lesern die Hoff-
nung auf lebendige Beziehungen mit wechselseitiger reflexiver Anteilnahme heute. Interes-

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sant ist dabei, dass trotz der realen Begegnung, aus der dann eine persönliche Verbindung
entsteht, weiterhin am E-Mail Austausch festgehalten wird. Er bleibt eine stetige Verbindung,
die einen reflexiven sprachlichen Austausch ermöglicht, wenn im realen Leben die Worte
fehlen oder Missverständnisse auftauchen.

Der Übergang von einer virtuellen in die reale Welt scheint mir eher eine Fiktion zu sein, die
zwar wünschenswert ist, aber an der Komplexität und den Anforderungen in der Realität
wahrscheinlich häufig scheitern wird. In der Realität spielt der nonverbale Austausch mit der
Umgebung eine wesentliche Rolle und die visuelle Wahrnehmung. Der virtuelle E-Mail-
Austausch kann die beiden Gesprächsteilnehmer auf die wechselseitige Andockfähigkeit
nicht vorbereiten und diese auch nicht im Vorfeld testen. An der Kontaktaufnahme in der Re-
alität führt aus meiner Sicht weiterhin kein Weg vorbei.

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Anhang
Quellen:
Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind, München 2008

Glattauer, Daniel: Alle Sieben Wellen, München 2011

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werther, Stuttgart 2001

Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Bestseller, Definition Bestseller

Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Briefroman, Definition Briefroman

Ein Semesterprojekt als Klausuräquivalent im grundlegenden Deutsch-Kurs der S1 an der
Brecht-Schule Hamburg bei A. Blohm-Sievers.

Folien und Skript auch verfügbar auf www.learning2.de/bestseller-lecture.
Zusätzlich ist dort ein Artikel sowie zwei Animationen, die der Visualisierung dienen.

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