Bettels Welt und Schnitter Tod - Forum.lu

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Bettels Welt und Schnitter Tod - Forum.lu
Politik     Dezember 2020   9

                                              Bettels Welt und
                                                Schnitter Tod
                                             „Was ihr euren Zusammenhalt genannt habt, erlebt nun eine
                                      Zerreißprobe, auf die ich hinarbeite, damit ihr, durch eigenes Zutun,
                                                                 mit meiner Hilfe endlich zugrunde geht.“1

Wir Luxemburger sind eine kleine Nation, wir ken-     AHAL-Regeln zu verweisen als Grundbedingung               Victor Weitzel
nen einander, wir halten bei Gefahr grundsätzlich     dafür, dass das Virus eingedämmt wird und das Land
zusammen. Wir sind das Land des sozialen Friedens.    weiter funktionieren kann. Wieso dieser Widerwil-
Menschen mit über hundert verschiedenen Natio-        len gegen Bettels an sich vernünftig klingenden Dis-
nalitäten leben friedlich miteinander. Wir sind das   kurs im Rahmen des „Experiments des freiwilligen
Land der kurzen Wege und haben Vertrauen in           Gehorsams“, wie der Journalist Luc Laboulle die
unsere Regierung und Institutionen. Das sind so in    Anti-Corona-Strategie der Regierung Ende Oktober
etwa die Klischees eines nationalen Wir-Narrativs,    treffend charakterisiert hat? Unbehagen, Beklem-
die immer wieder in der offiziellen Werbung für       mung und Zorn lassen sich damit erklären, dass
Luxemburg als Wirtschaftsstandort auftauchen, aber    diese Strategie bereits im Frühherbst vor aller Augen
auch, weil stark verinnerlicht, von Luxemburgern      gescheitert ist, Bettel und die Regierung es aber nicht
im Ausland oder in Gesellschaft neuer ausländischer   eingestehen wollen und bis zuletzt die Realität einer
Freunde kolportiert werden. Meinungsumfragen          zweiten COVID-Welle verneint haben.
und Copy-Paste-Artikel tragen weiter dazu bei, das
Unreflektierte zu verfestigen, zum Reflex werden zu   Schelte
lassen.
                                                      Spätestens Mitte Oktober ist die zweite Welle Reali-
Wie aber erklärt sich dieses Unbehagen, diese         tät, denn da schnellen die Zahlen der täglichen Neu-
Beklemmung, ja der Zorn, die bei jedem neuen Auf-     infektionen in drei Wochen von 128 über 204 auf
tritt des Premierministers in Sachen Pandemie die     540 hoch, auch die Zahl der Toten steigt auf beängs-
medialen Beobachter des politischen Geschehens        tigende Weise. Am 23. Oktober 2020 schreibt
aufs Neue überkommen? Das geschieht besonders         Dhiraj Sabharwal in seinem Leitartikel im Tageblatt,
dann, wenn Xavier Bettel zum wiederholten Male        der den Titel – „Ech hun och d’Flemm“ – eines
dazu anhebt, die typisch luxemburgischen Tugen-       Bettel-Zitats trägt: „Dass die Krankenhausleitun-
den des Zusammenhalts und der Solidarität zu          gen inzwischen an der Politik vorbei agieren und bei
beschwören, um dann jeden einzelnen Bürger auf        der ‚Santé‘ die Ziele der Kontakt-Nachverfolgung
seine Eigenverantwortung in Sachen Einhalten der      deutlich niedriger gesteckt werden, ist demnach das
© SIP / Jean-Christophe Verhaegen
Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Premierminister Xavier Bettel beim Pressebriefing zum
außerordentlichen Regierungsrat vom 17. Oktober 2020 in Schloss Senningen

Resultat fahrlässiger Politik. Der schwache Trost:                    Lenert am 17. November, während der die Mög-
Diese Regierung kann die Kontrolle nicht mehr ver-                    lichkeit eines zweiten Lockdowns wie eine Drohung
lieren – sie gibt sie seit Wochen auf.“                               in den Raum gestellt wird, aber noch keine Maß-
                                                                      nahmen in die Wege geleitet werden, bringt dann
Nach Xavier Bettels Auftritt am 1. November in                        das Fass zum Überlaufen. „Halbwahrheiten“, titelt
der Sendung „Riicht eraus“ auf Radio 100,72, ärgert                   Dhiraj Sabharwal sein Tageblatt-Editorial am Tag
sich Luc Laboulle am 6. November in seinem mit                        danach, und widmet sich der Frage, „warum Bettel
„Corona-müde“ übertitelten Leitartikel über einen                     und Lenert dem Faktencheck nicht standhalten“.
„ratlosen Staatsminister“.
                                                                      Reporter.lu veröffentlicht am 19. November den
Der eigentlich sehr zurückhaltende Land-Journa-                       Beitrag „CORONA-BRIEFING IM FAKTEN-
list Pierre Sorlut lässt am 13. November auch die                     CHECK – Die irreführenden Argumente der Regie-
Zügel los: „L’impression d’inaction devant les chif-                  rung“.3 Als falsch stellen Laurent Schmit und Pol
fres d’infections et de décès précipite sans doute                    Reuter u. a. Bettels Behauptung bloß, bei den Inten-
aussi dans l’incompréhension. (...) L’expectative et                  sivbetten seien leicht mehr als 50 % der Kapazitäten
la fébrilité dans lesquelles, non seulement le gouver-                für die Phase 4 belegt, was keinen größeren Einfluss
nement, mais aussi tout un chacun, sont astreints du                  auf die normale Gesundheitsversorgung hätte. Und
fait d’un savoir encore lacunaire après neuf mois de                  als irreführend bis falsch sei die Behauptung des Pre-
crise sanitaire transforment le désarroi en défiance.                 miers, „im Vergleich zur ersten Welle sieht die Lage
Et la communication parcellaire et de type pravdi-                    bei den Sterbefällen eigentlich weniger dramatisch
enne comme Claude Meisch (DP) qui affirme, pér-                       aus. (…) Im europäischen Vergleich liegen wir im
emptoire, ce jeudi que ‚l’école n‘est pas responsable                 Mittelfeld.“
de la propagation du virus‘ au moyen de données
discutables, n’invite guère à la confiance.“                          Dem Journalisten Diego Velazquez platzt auf Twit-
                                                                      ter regelrecht der Kragen: „Waat e Bordell déi PK
Die lang erwartete Pressekonferenz von Premier                        iwwert Ghost-Mesuren.“4 „Keng Linn. Keng Bot-
Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette                      schaft. Kee Plang. Dofir e Chaos un Informatiounen
Politik     Dezember 2020   11

fir ze verstoppen, daat een sech nët eenz ass iwwert      wird das Realitätsprinzip auf das Erbringen von
de Wee no fir.“5 Und dann: „D’Bettel-Lenert Show          gewerblicher oder erwerblicher Leistung reduziert,
vun haut ass eng Masterclass am non-leadership.“6         ja sinnentleert. Diese Welt ist eine, die nur dann
                                                          heil ist, wenn sie glatt und hindernislos funktioniert,
Man könnte gewiss einwenden, dass diese Kriti-            die kein Verständnis für die Brüche hat, aus denen
ken allesamt aus der medialen Blase stammen, die          das entsteht, was man gängig als gesellschaftliche
sich auf Autopilot aufblähe. Man könnte auch auf          Auseinandersetzung oder Kultur bezeichnet, und
die letzten Umfragen verweisen, die die Regie-            vom Tod will sie noch viel weniger wissen. Sie kennt
rung zwar mit einem sinkenden, aber doch noch             keine freie Zeit, nur Freizeit.
60-­prozentigen Vertrauensindiz kreditieren, und
Paulette Lenert inzwischen als die Spitzenreiterin        Bettels Welt hat vieles gemeinsam mit dem Lebens-
in Sachen Beliebtheit bei Politiker(inne)n anführen,      stil einer oberen Mittelschicht und ihrer Nachahmer,
und die somit eine andere Sprache sprächen. Aber          wie er sich zwischen der ersten und zweiten Welle
ähnliche Kritiken wegen mangelnder Transparenz            der Pandemie nach den Lockerungsmaßnahmen auf
und lückenhafter Informationsarbeit ernten der Pre-       eine zuweilen ins Groteske gesteigerte Art und Weise
mier, die Gesundheitsministerin und Erziehungsmi-         in naturwüchsiger Selbstbezogenheit sorglos entfal-
nister Meisch, der in der Pandemie ebenfalls in den       tet bis entfesselt hat: Parties à gogo im Wald, in den
Vordergrund geriet, auch von anderer Seite: von der       Festungsruinen, aber besonders in den Privatgärten
Opposition, die sich immer wieder bereit erklärt, bei     und -wohnungen, Menschentrauben auf den Ter-
genügender Aufklärung und Einbindung wichtige             rassen und den Straßen vor den einschlägigen Bis-
Krisenentscheidungen im Geiste einer „union nati-         trot- und Restaurantmagneten ohne jeglichen Sinn
onale“ mitzutragen, und von etlichen Berufsverbän-        für Distanzierung, das frenetische fast zwanghafte
den, deren Mitglieder diese Entscheidungen umset-         Reisen mit Luxair und Co., der Massenansturm auf
zen bis ausbaden müssen.                                  den Stausee, Staminets ohne Distanz, Ausflüge der
                                                          älteren Generation in den so beliebten Nicht-Ort
Bettels Welt als Vorstellung                              Supermarkt mit seinen Cafés und Tresen. Fieber-
                                                          hafte Mobilität, eine gesteigerte Zahl an Kontakten
Warum aber handelt die Regierung so? Zuerst ein-          waren Trumpf nach zwei Monaten der Entbehrun-
mal, weil Xavier Bettel in ihr verstärkt die richtungs-   gen. Anders als es der Premier erwartet hatte, schaff-
bestimmende Person ist. Er ist schon längst kein          ten es die Menschen seiner Welt nicht, sich aus Sorge
primus inter pares mehr, sondern die Leitfigur einer      für den Anderen in einer verantwortlichen und kol-
Partei, die den Staat immer wieder mit napoleoni-         lektiven Zurückhaltung zu üben. Sie blieben ihrem
schen Überrumpelungsmanövern, die in keinem               Habitus treu, stellten ihren Wohlstand zur Schau,
Koalitionsprogramm vorgesehen sind, systematisch          feierten tüchtig, und bahnten so den Weg zur Tragö-
zu besetzen und seinem Weltbild konform aufzu-            die, die sich jetzt in Luxemburg abspielt.
stellen versucht. Dass kann auch schiefgehen. So
neulich der Versuch von Erziehungsminister Claude         Verdrängung der Toten...
Meisch, mitten in der Krise und ebenfalls außerhalb
des Rahmens des Koalitionsvertrags, einige Direkto-       Das ist Bettels Problem. Er dachte, diese Welt, die
renposten an spezialisierten Lyzeen für Nichtbeamte       auch seine ist, würde auf ihn hören. Hat sie aber
ohne pädagogische Erfahrung und die landesübli-           nicht. Und ihre Nachahmer auch nicht. Aber auch
chen Sprachkenntnisse zu öffnen. Diesmal hatten           nicht der Tod. Im Juni zählte das Land 110 Men-
die DP-Husaren die korporativen Widerstände im            schen, die an COVID-19 verstorben waren. Man
Staat und das darüber hinausgreifende gesellschaft-       kann sich noch erinnern, wie mitgenommen die
liche Unbehagen unterschätzt. Die Geschichte hatte        Mitglieder der Regierung waren. Seit Mitte Oktober
Ines Kurschat vom Lëtzebuerger Land schon Mitte           2020 sind weit über 150 (!) Tote hinzugekommen.
Oktober durchaus als Ausdruck einer Tendenz rich-         Aber man redet nicht mehr von ihnen. Betroffen
tig eingeordnet, als sie in einem Leitartikel dazu mit    sind hauptsächlich Menschen über 65, die weniger
„Wie der DP-Staat entsteht“ titelte.                      als 20 % der Infizierten stellen, aber nahezu 95 %        Seit Mitte Oktober
                                                          der „an oder mit Covid“ Verstorbenen, wie es neu-         2020 sind weit
Fragt man danach, wie Bettels ideale Welt aussieht,       erdings nicht nur in Luxemburg in der offiziellen         über 150 (!) Tote
so drängt sich das Bild einer Gesellschaft von freien     Sprachregelung relativierend heißt.
                                                                                                                    hinzugekommen.
Individuen auf, unter denen alles gleich gültig ist,
alles erlaubt ist, soweit es dem Lustprinzip dient        Der Tod ist im Diskurs der Regierung kaum prä-            Aber man redet
und dem Anderen nicht schadet, aber wo kaum               sent. In seiner Botschaft an die Bürger auf Facebook      nicht mehr von
etwas außer den wirtschaftlichen Verpflichtungen so       und Twitter vom 13. November, immerhin über               ihnen.
richtig verbindlich oder von Bedeutung ist. Damit         770 Wörter lang, verliert Bettel kein einziges Wort
12 forum 412   Politik

                         zum Thema, behauptet aber, man hätte die Situation      aussprechen, aber schon im Voraus die Schuld eines
                         noch im Griff. In der ominösen Pressekonferenz des      eventuellen Scheiterns auf eine uneinsichtige Gesell-
                         17. November erklärt er, dass das Leben in Luxem-       schaft abwälzen (was Pol Schock einmal die „Indivi-
                         burg zwar noch funktioniere, aber es könne einem        dualisierung der Schuld“ nannte), glauben machen,
                         deswegen das Infektionsgeschehen nicht egal sein,       dass der jetzige Verzicht den Menschen vielleicht
                         denn die „Vulnerablen“ seien immer noch betrof-         später im Dezember ein sorgenfreieres Weihnachten
                         fen. Von Bedrohung und Betroffenheit ist die Rede,      à la luxembourgeoise bescheren könnte, das ist bei
                         von Toten spricht er nicht. Auch die Gesundheits-       aller legitimen Sorge um das weitere Funktionieren
                         ministerin benennt das Thema nur indirekt, spricht      von Wirtschaft, Gesundheits- und Unterrichtswesen
                         von fehlenden Statistiken in Sachen Komorbidität,       eine die Bürger infantilisierende Haltung.
                         erklärt dann, sie wisse auch nicht, wie es in den
                         anderen Ländern in der Beziehung aussehe, erwähnt       Das aber ist für Bettel allemal erträglicher als gegen
                         Gespräche mit den Spitälern, und erklärt, Zahlen        das Naturwüchsige in seiner ureigenen Welt vorge-
                         zu einer eventuellen erhöhten Sterblichkeitsrate, die   hen zu müssen. Als er am 17. November die befris-
                         man nicht wolle, gebe es auch nicht, so dass man das    tete Schließung des Horeca-Sektors als eine der
                         erst nach der Krise erörtern könne.                     möglichen neuen Lockdown-Light-Maßnahmen
                                                                                 anführt, überschlägt sich seine Stimme, wie sie sich
                         In der Pressekonferenz vom 23. November7, als die       immer wieder überschlägt, wenn er innerlich in die
                         Umsetzung der Lockdown-light-Maßnahmen end-             Defensive gerät, seinen innersten Gewohnheiten
                         lich angekündigt wird, verlieren Bettel und Lenert      und Überzeugungen Gewalt antun muss, und verur-
                         wieder kein einziges Wort über die immer zahlrei-       teilt im Voraus und noch im selben Satz aufs Vehe-
                         cheren Toten. Bettel behauptet, ohne mit der Wim-       menteste jede Anwandlung einer Stigmatisierung
                         per zu zucken, die Situation sei noch immer „stabil,    der Wirte. Wenn vorauseilende Selbstverteidigung
                         aber nicht katastrophal“. Die „Handbremse“ werde        in alle Richtungen ein Gesicht hat, dann sieht sie
                         jetzt gezogen, „um uns Luft nach oben zu geben“ –       so aus.
                         das alles sozusagen in Antizipation dessen, was kom-
                         men könnte, von dem die Regierung aber noch eine        Man kann sich schlecht vorstellen, dass der Premier
                         Woche zuvor behauptete, es sei nicht vorhersehbar       das lustige Treiben in den Urban-Life-Hotspots, die
                         gewesen. Man habe diese Maßnahmen nicht vorher          ja ein Teil seiner Welt sind, nicht gesehen hätte. Hat
                         getroffen, weil man immerhin bisher, wenn auch mit      er sich wohl einmal die Frage gestellt, ob die Unzahl
                         einiger Mühe und im Respekt des Social Distancing,      vor allem jüngerer Menschen zwischen 20 und 39
                         dessen Regeln „jedem ja bewusst“ gewesen seien, in      – 30 % der Infizierten, 0 % der Toten, unter ihnen
                         Luxemburg noch ein „normales Leben“ mit einigen         viele, die sich erst vor einer eher kürzeren Zeit in
                         Einschränkungen habe führen können. Daher sei es        Luxemburg niedergelassen haben – überhaupt von
                         nicht zu einer exponenziellen Steigerung der Neuin-     der Regierungskommunikation erreicht werden?
                         fektionen gekommen, sondern zu einem Einpendeln         Diese Menschen, jung und allein nach Luxemburg
                         auf hoher Ebene, wenn auch mit leichten Rückgän-        gekommen, wollen so oft wie möglich raus aus ihrer
                         gen, so die Argumentation.                              beklemmenden (und überteuerten) Wohnsituation,
                                                                                 oft nach aufreibenden Arbeitstagen, die sie wieder-
                         Lenert sagt kurz darauf etwas anderes, dass es näm-     rum oft genug im Homeoffice verbracht haben. Und
                         lich keine Tendenz nach unten gäbe, dass die Zahl       weil weder die letale Gefahr noch die leicht brem-
                         der Neuinfektionen sich nur einpendele, die Ana-        sende intergenerationelle Rücksicht – u. a. der vor-
                         lysen der Kläranlagegewässer aber keinen Rückgang       sichtigere Umgang mit den Älteren – sie vor Ort
                         der Verbreitung des Virus anzeigen. Das alles, ohne     betreffen, treffen sie sich unter sich in jenen in Poli-
                         dass diesmal ein Journalist eine bohrende Frage dazu    tik und Investorenkreisen gut vernetzten Hipster-­
                         stellt. Der Historiker Benoît Majerus bringt diese      Lokalen, von denen inzwischen jeder weiß, dass sie
                         Aussagen stante pede in einem Tweet auf den Nen-        nicht wegen Bagatellen, sondern wegen wiederholter
                         ner: „Lëtzebuerg ass dat éischt westeuropäesch Land     und z. T. grober Nichteinhaltung der für den Horeca-
                         wat méi Doudeger wärend der zweeter wei wärend          Sektor geltenden Regeln protokolliert worden sind.
                         der éischter Well hat, mä trotzdeem nëmmen #light-
   Von Bedrohung         lockdown an dat schéngt fir d’Majoritéit vun de Leit    Aber solche gesellschaftlichen Fragen sind, ebenso
                         och ok sou #banalisationdelamort“.8                     wie der Zusammenhang zwischen rapiden Neuinfi-
 und Betroffenheit
                                                                                 zierungsherden und sozialer Benachteiligung, längst
  ist die Rede, von      ... und der Lebenden                                    aus dem Regierungsdiskurs verschwunden. Schon
   Toten spricht er                                                              während der ersten Welle im Frühsommer hatte die
             nicht.      Schönreden und relativieren, um keine Panik auf-        Regierung die Dimension der sozialen Benachteili-
                         kommen zu lassen, Warnungen und Empfehlungen            gung nach der Entdeckung von Clustern im Süden
Politik     Dezember 2020   13

des Landes rapide aus dem offiziellen Diskurs ver-        wirksam im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts
bannt, weil sie Stigmatisierungen befürchtete. Als        und darüber hinaus behaupten kann. Ansonsten                       Ob Bettel und
ob solchen Stigmatisierungsanwandlungen durch             wehe den Klein- und Durchschnittsverdienern und                    seine liberalen
Transparenz und legitime Fragestellungen nicht eher       den von Corona Gebeutelten.                                        Freunde sich nach
Einhalt zu gebieten wäre als durch das Nähren von                                                                            der Krise mit einer
Gerüchten!
                                                                                                                             Welt abfinden
Erschwerte Resilienz
                                                                                                                             werden, die nicht
                                                                                                                             die ihre ist, ist
Zudem strapaziert die Regierung den gesellschaft-                                                                            zweifelhaft.
lichen Zusammenhalt, den sie eigentlich, während
die Krise noch andauert, als Triebfeder der kollek-
tiven Resilienz für die Zeit nach der Krise stärken,
ja, neu erfinden müsste. Denn es muss jetzt schon
den neuen Kräfteverhältnissen entgegengesteuert
werden, die wegen des hohen Kapitalzuflusses nach
Luxemburg seit dem Frühsommer ausgebrochen
sind und die aus den verstörend unverhohlen aus-
getragenen Kämpfen noch hervorgehen werden.
Da geht es immer offensichtlicher um Anteile am
Wohnungs- und Immobilienpark sowie an großen
Betrieben, aber auch um Einfluss auf die politi-
schen Orientierungen des Staats. Die Finanzierung
der Teilzeitarbeit, die angestiegene Arbeitslosigkeit,
die Kompensation der stark beanspruchten Kran-
kenkassen durch den Staat und die Erhöhung des
Mindestlohns sind in der Hinsicht positive, wenn
auch rein palliative Maßnahmen. Und da die Rech-
nung für diese Maßnahmen und für jene, die dem
rein sanitären Schutz der Bevölkerung dienen, teuer
sein wird, müsste Luxemburg ab 2021 und darü-
ber hinaus gerechtigkeitshalber seine besser und
viel Verdienenden, inklusive HNWIs und Family
Offices, höher besteuern sowie an Solidaritätssteuer
und Sozialbeiträgen schrauben. Aber nein, Bettel
gaukelt den Menschen zurzeit vor, wie bei seinem
100,7-­Interview, es werde wahrscheinlich bestenfalls
beim Status quo bleiben, weil man sich die mit Ent-
lastungen der Einkommenssteuer verbundene seit
2018 vorgesehene Reform nicht leisten könne.

Ob Bettel und seine liberalen Freunde sich nach der
Krise mit solch einer Welt abfinden werden, die nicht
die ihre ist und die ihrer Welt zu viel abverlangt, ist
zweifelhaft. Es könnte also sein, dass Luxemburg
nach der Krise recht schnell wegen der Frage der          1   Zitat aus einem Beitrag von Hans Hütt, der das Coronavirus
Finanzierung von Staat und Sozialstaat vor der poli-          sprechen lässt: https://www.sueddeutsche.de/kultur/corona-
tischen Alternative „soziale Marktwirtschaft“ oder            licht-an-hans-huett-1.5126244 (alle Internetseiten, auf die
                                                              in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 25.
„(Ordo)liberalismus“ steht. So wie das Luxemburger            November 2019 aufgerufen).
Wirtschaftsmodell inklusive Umverteilung aufge-           2   https://tinyurl.com/yy8fezp7
stellt ist, die Dynamik der Bereicherung verläuft und
                                                          3   https://tinyurl.com/y3bovamj
das (ordo)liberale Element bis in die größte Oppo-
                                                          4   https://twitter.com/diego_bxl/status/1328666021377544193
sitionspartei parteiübergreifend stark verankert ist,
                                                          5   https://twitter.com/diego_bxl/status/1328705238652563459
wird der demokratische Gegenwind mit sozialer
Komponente quer durch Parteien und Gesellschaft           6   https://twitter.com/diego_bxl/status/1328667904515207171

sehr stark sein müssen, damit sich ein neuaufgestell-     7   Nachzuhören bei https://www.100komma7.lu/podcast/326093
ter Sozialstaat, der weiterhin diesen Namen verdient,     8   https://twitter.com/MajBen/status/1330940832212512768
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