November 2020: Der Blick in den Abgrund - Albrecht von Lucke
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KOMMENTARE Albrecht von Lucke 3. November 2020: Der Blick in den Abgrund Schon im Vorfeld des 3. November war ein historischer Moment. Denn damit klar, dass diese US-Wahl keine Wahl machte Trump unmissverständlich wie viele andere sein würde.1 Doch klar, dass er nach vier Jahren der Be- die Ereignisse der Wahlnacht selbst kämpfung der US-amerikanischen In- wie auch der folgenden Tage haben sie stitutionen auch den letzten Schritt zu endgültig zu einem existenziellen Vor- gehen bereit ist, nämlich den der Miss- gang für die Vereinigten Staaten, aber achtung, ja der völligen Negierung der auch für die gesamte demokratische Wahl und ihres Ergebnisses als des Welt gemacht. Diese Wahl wurde zu heiligsten Akts der Demokratie. einem Exempel für die Angreifbarkeit Gewiss kann man sagen, Trump ha- und Verletzlichkeit der Demokratie. be diese Strategie – nämlich die Ver- Seit den ersten Hochrechnungen werfung der Briefwahlstimmen – im am Wahlabend durchläuft die demo- Vorfeld bereits angekündigt.2 Doch die kratische Welt drei Phasen: erstens die Androhung ist das eine, die tatsächliche Phase des Schocks, zweitens die Pha- Durchführung aber macht die Ankün- se der Erleichterung, manche sprechen digung zu einem ungeheuerlichen Vor- gar von einer Erlösung – und drittens, gang, zumal in den USA als der wich- und zwar mehr und mehr, eine Phase tigsten, da mächtigsten Demokratie der der Ernüchterung, im besten Falle der Welt. Es ist daher aus demokratischer Versachlichung, im schlimmsten aber Perspektive nicht übertrieben, von ei- einer neuerlichen, vielleicht noch ge- nem Blick in den Abgrund zu sprechen. fährlicheren Polarisierung. Darin aber steckte zugleich auch ein Der eigentliche Schock ereignete zutiefst aufklärerisches Moment. Ob- sich am Wahlabend um 19 Uhr 59 Wa- wohl Trump sich stets als Volkstribun, shingtoner Ortszeit, als Noch-Präsident als der einzig wahre Vertreter des Vol- Donald Trump ankündigte, dass er den kes geriert – gegen den angeblichen Ausgang der Wahl nicht anerkennen deep state des Establishments –, hat werde: „Dies ist ein Betrug an der ame- er am Ende seiner Amtszeit dem ame- rikanischen Öffentlichkeit. Dies ist ei- rikanischen Volk seine ganze Verach- ne Peinlichkeit für das Land. Wir wa- tung demonstriert, übrigens auch al- ren auf dem Weg, diese Wahl zu gewin- len republikanischen Briefwählern, nen, und offen gesagt: Wir haben diese deren Stimmen er gleichfalls für null Wahl gewonnen“, so Trump im O-Ton. und nichtig erklärte. Die Behauptung „Das ist ein sehr großer Moment. [...] der Populisten, sie allein handelten im Wir wollen, dass das Gesetz in der rich- Namen des Volkes wurde radikal kon- tigen Weise angewendet wird. Wir terkariert, genau wie der wohl bekann- werden vor den Supreme Court ziehen. teste Ausspruch der US-Demokratie, Wir wollen, dass alles Wählen endet.“ aus Abraham Lincolns historischer Re- Das war in der Tat ein großer, genauer: de in Gettysburg: Demokratie ist die 1 Albrecht von Lucke, Die Schicksalswahl oder: 2 Claus Leggewie, Die Wahl als Farce: Donald Trumps Kampf gegen das Recht, in: „Blätter“, Trump und der Aufstieg der Autokraten, in: 11/2020, S. 5-9. „Blätter“, 11/2020, S. 10-12. Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
6 Kommentare „Regierung des Volkes durch das Volk vom „totalen Krieg“, den es nun aus- für das Volk“. Mit seiner Aussage am zufechten gelte. „Wir gehen in den Wahlabend hat Trump endgültig be- Reichstag hinein, um uns im Waffenar- wiesen, dass es ihm nie um eine Regie- senal der Demokratie mit deren eige- rung durch und für das Volk ging, son- nen Waffen zu versorgen“, hatte Goeb- dern allein um die Herrschaft seines bels in einem Aufsatz im Jahr 1928 das Clans. In diesem Augenblick kehrten strategische Ziel der NSDAP ausgege- sich Trumps Worte gegen ihn selbst. Er ben. „Uns ist jedes gesetzliche Mittel selbst agierte als deep state – als tiefer recht, den Zustand von heute zu revo- Staat gegen das Volk. Getreu der De- lutionieren.“3 Ohne auch nur in irgend- vise, nicht „the winner“, sondern „The einer Weise die besondere Dimension looser takes it all“, als ein Tyrann der des Nationalsozialismus relativieren Minderheit. Es war die finale Selbstde- zu wollen, wird man darin die zentra- maskierung, ein Putsch von oben ge- le Strategie zur Machterlangung jedes gen die Demokratie – ein Schockmo- modernen Autokraten sehen müssen: ment für die USA, aber auch darüber die Demokratie mit ihren eigenen Mit- hinaus, als ein Moment von globaler teln zu untergraben, um sich ihrer zu Ausstrahlung. Denn in diesem Augen- entledigen – und sich wenn nötig, wie blick wurde klar, wie ungemein fragil das Beispiel der beiden Trumps jetzt der Vorgang der demokratischen Wahl lehrt, mit allen antidemokratischen ist und wie schnell – selbst in einer Mitteln an der Macht zu halten. über Jahrhunderte gewachsenen De- mokratie wie der der Vereinigten Staa- ten – der pure Kampf um die Macht be- Vom Schock zur Erleichterung währte Verfahren beinahe außer Kraft setzen kann. Insofern muss man Do- Trump hat sich am 3. November als nald Trump fast dankbar sein – dafür, ein potentieller Diktator selbst ent- dass er auch noch diesen letzten, ra- larvt, der willens und auf dem Wege dikalsten Schritt seiner Regierungs- war, den Populismus zur Diktatur aus- zeit gegangen ist. Trump hat demon- zubauen. In diesem Augenblick des striert, wie schnell eine Demokratie Wahlabends ist damit klargeworden, den liberalen, rechtsstaatlichen Pfad dass es diesmal nicht mehr nur – wie verlassen kann. Zugleich hat er aller in normalen demokratischen Wahlen Welt gezeigt, was unter „illiberaler De- – um den Machtwechsel ging, sondern mokratie“ zu verstehen ist, von der sein zugleich auch um die fundamentale Bruder im Geiste Viktor Orbán spricht Verteidigung der Demokratie. – nämlich faktisch die Abschaffung Hier aber setzt die zweite Phase ein, der Demokratie. Deshalb war schon die Phase zunehmender Erleichte- der Wahlabend, ohne dass überhaupt rung, die fast zu einer Erlösung wur- ein Ergebnis vorgelegen hätte, von im- de, als am Tag vier nach der Wahl Joe menser globaler Bedeutung. Biden endlich als president elect be- Trump hat die US-Demokratie damit stätigt wurde. Während die im Vor- ihrer maximalen Belastungsprobe aus- feld befürchteten und von Trump pro- gesetzt – wenn man von einer mögli- vozierten militanten Aufstände aus- chen militärischen Steigerung absieht. blieben, funktionierten die demokrati- Doch wie um diesen Schritt auch noch schen Verfahren. Damit war klar, dass zu vollziehen, ging der Nächste in der die USA diesmal noch scharf an der Clan-Riege, Trumps ältester Sohn Do- Katastrophe vorbeigeschrammt sind. nald jr., in den folgenden dramatischen Stunden noch über seinen Vater hi- 3 Joseph Goebbels, Was wollen wir im Reichs- tag?, in: „Der Angriff“, 30.4.1928; Nachdruck naus und sprach, in Übernahme der in: Joseph Goebbels, Der Angriff, Aufsätze aus Worte aus Goebbels Sportpalastrede, der Kampfzeit, München 1935, S. 71. Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
Kommentare 7 Joe Biden gebührt ein doppelter Dank; All jene, die behaupten, dass Joe Bi- erstens dafür, dass er in dieser hochan- den ein schwacher, da wenig kämpfe- gespannten Situation an den demokra- rischer Kandidat gewesen sei, mögen tischen Regeln und Gepflogenheiten in dieser Hinsicht Recht haben – und strikt festgehalten hat. Indem die De- reden doch am Kern der Sache vor- mokraten insgesamt der Versuchung bei. Ja, Biden war offensichtlich nicht widerstanden, selbst in das Rennen der richtige Mann, um klar, also mit um die schnellstmögliche Ausrufung dem erhofften und prognostizierten des Wahlsiegers einzusteigen, haben Erdrutschsieg auch den Senat zu ge- sie ihrem Namen als Demokraten Ehre winnen – aber er war offensichtlich der gemacht und zugleich bewiesen, dass Richtige, um überhaupt gegen Trump es neben den Trumpisten weiterhin ein zu gewinnen. Ob ein anderer der Kan- starkes anderes Amerika gibt. didaten geeigneter gewesen wäre, ist Zweitens gebührt Biden große An- rein hypothetisch und gehört in den erkennung dafür, dass es ihm gelun- Bereich der Legendenbildung. Biden gen ist, Trump überhaupt zu schlagen. jedenfalls gelang es, die „blue wall“ in Zur Erinnerung: Das letzte Mal, dass Michigan, Wisconsin und Pennsylva- ein Präsident nach nur einer Amts- nia wieder zu errichten, indem er et- zeit aus dem Weißen Haus vertrie- liche der „alten weißen Arbeiter“ im ben wurde, war 1992, als Bill Clinton Rustbelt zurückeroberte, die Clinton George Bush senior besiegte. Und ein an Trump verloren hatte. Für seinen Zweites kommt hinzu: Trump konnte Sieg brauchte es aber auch das Bünd- 72 Millionen Stimmen erringen – mehr nis zwischen Moderaten und Progres- als Barack Obama, als er 2008 auf ei- siven in der demokratischen Partei, ner Welle der Begeisterung in seine mit „Trump muss weg“ als verbinden- erste Amtszeit segelte, und mehr als je dem Leitmotiv. Daran hatte es vier Jah- ein Republikaner vor ihm gewann. Am re zuvor, im Wahlkampf von Hillary Ende erhielt Trump neun Millionen Clinton, noch gemangelt, als viele der Wählerstimmen mehr als noch im Jahr Linken gar nicht erst zur Wahl gingen. 2016. Dass Biden diese enorme Zahl noch um sechs Millionen übertraf und mit 78 Millionen Stimmen das beste je Was wäre gewesen, wenn? erreichte Ergebnis erzielte, macht sei- nen Sieg bereits zu einem historischen. Insofern entpuppte sich „Sleepy Joe“ Zugleich zeigt es aber auch, wie un- (Trump über Biden) als der richtige gemein schwer es auch diesmal war, Mann zur richtigen Zeit, um Trump zu den großen Volksverhetzer und -ver- schlagen. Und genau darauf kam es in führer zu schlagen. Ohne Corona, so dieser historischen Situation in erster die Ironie der Geschichte, hätte Trump Linie an. An diesem Punkt ist es aus- die Wahl mit großer Wahrscheinlich- gesprochen sinnvoll, einmal das Kon- keit gewonnen – wobei unklar ist, was trafaktische zu denken: Was wäre ge- ihm am Ende mehr geschadet hat: die wesen, wenn Trump diese Wahl doch Pandemie selbst oder sein totales Ver- noch gewonnen hätte? sagen bei ihrer Bekämpfung. Die Folgen wären in ihren Dimensio- Inzwischen steht fest, dass Biden nen kaum abschätzbar. Fest steht, der 306 Wahlleute gewinnen konnte – ge- antidemokratische Schub wäre ver- nauso viele wie Trump vor vier Jah- heerend gewesen. Sämtliche Populis- ren und deutlich mehr als die erfor- ten, von Jair Bolsonaro bis Viktor Or- derlichen 270. Und dennoch wurde bán, aber auch die querdenkenden das zweite große Ziel der Demokraten, Verschwörungsideologen von QAnon die Mehrheit im Senat zu erringen, al- hätten diesen Sieg ihrer globalen Ga- ler Wahrscheinlichkeit nach verfehlt. lionsfigur als absolute Bestätigung des Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
8 Kommentare eigenen Weges begriffen. Alles spricht zu beleben versuchen. Zudem besteht dafür, dass die Rechtspopulisten in Eu- die Hoffnung, dass seine Regierung die ropa und Deutschland dem erwiese- Rüstungskontrollgespräche mit Russ- nen Demokratieverächter frenetisch land wieder aufnimmt, da mit New gehuldigt hätten – während die Demo- START das letzte Abkommen zur Ver- kraten in den USA, aber auch im Rest ringerung der strategischen Nuklear- der Welt, die eigene Niederlage erneut, waffen im Februar 2021 ausläuft. wie schon vor vier Jahren, anerkannt In der Frage der internationalen Si- hätten, eben als gute Demokraten. cherheit muss man der Trump-Regie- Auch die trumpnahen Medien wä- rung immerhin eines zugutehalten: ren im Falle eines Trump-Sieges ge- Anders als die Vorgängerregierungen, wiss nicht von ihrem Triumphator ab- insbesondere die Regierung von Bush gefallen – ganz zu schweigen von sei- junior, hat sie keine Kriege vom Zaun ner inzwischen freiwillig gleichge- gebrochen. Allerdings hat Trump ei- schalteten republikanischen Partei. niges dafür getan, dass Andere umso Nein, es brauchte offenbar die totale vernichtender in jenen Regionen agie- Niederlage, es brauchte Trumps Schei- ren konnten, in denen seine Regierung tern, um endlich die ersten, zaghaften durch den schlagartigen Rückzug der Absetzbewegungen einzelner Repu- US-Truppen ein Vakuum hinterlassen blikaner in die Wege zu leiten. hat, insbesondere im Nahen und Mitt- leren Osten. Biden dürfte hier weit stär- ker versuchen, durch diplomatischen Die Zeit der Ernüchterung und ökonomischen Druck den Einfluss der USA wieder zu erhöhen. Mit dem Ausgang der Wahl ist nun Die zentrale außenpolitische Her- beileibe nicht alles gut, aber das ausforderung seiner Amtszeit wird je- Schlimmste wurde gerade noch ein- doch zweifellos auf der immer stärker mal abgewendet. Das macht den Mo- aufziehenden Auseinandersetzung mit ment der Erleichterung aus. Von Erlö- China liegen, dessen Präsident Xi Jin- sung kann deswegen allerdings keine ping mit Blick auf den 20. Parteitag im Rede sein. Denn der kommenden Re- Jahr 2022 bereits jetzt fast maximale gierung Biden sind – zum gegenwär- Macht reklamiert, nach innen wie au- tigen Zeitpunkt – enge Grenzen ihrer ßen. Da der asiatisch-pazifische Raum Handlungsfähigkeit gesetzt. Deshalb mit dem Zustandekommen des jüngs- hat längst die Phase der Ernüchterung ten Abkommens soeben zur größten begonnen. Freihandelszone der Welt geworden Mit der Wahl Joe Bidens wird sich ist, bleibt diese Region wie schon un- zweifellos einiges ändern, in nationaler ter Obama der eigentliche geostrategi- wie internationaler Hinsicht. Er selbst sche Hotspot der USA. hat mehrfach angekündigt, etwa in ei- Speziell die Europäer sollten sich da- nem Grundsatzartikel in der „Foreign her nicht der Illusion hingeben, dass Affairs“,4 dass er mit dem Tag seiner der alte transatlantische Westen jemals Vereidigung am 20. Januar dem Pari- wieder die enorme Bedeutung erlan- ser Klimaabkommen wieder beitreten gen wird, die er vor 1989 und eigentlich wird; das gleiche gilt für die WHO. Und noch bis 9/11 hatte. Stattdessen wird auch das von Trump aufgekündigte auch Joe Biden die Europäische Union Nuklearabkommen mit dem Iran wird und ganz besonders Deutschland weit Biden, der es einst als Vizepräsident stärker als früher in die Pflicht neh- unter Obama mitverhandelte, wieder men, insbesondere was die geforder- ten zwei Prozent des Bruttosozial- 4 Joseph R. Biden, Why America must lead again, in: „Foreign Affairs”, März/April 2020, produkts für die Nato-Finanzierung www.foreignaffairs.com. anbelangt. Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
Kommentare 9 Der „gespaltene Westen“ (Jürgen Ha- Trump ventiliert zweifellos längst sei- bermas) bleibt also weiter die Realität – ne mögliche Rückkehr als Kandidat, allerdings verläuft der Riss heute nicht um die Schmach der Niederlage unge- mehr primär, wie noch unter Trump, schehen zu machen. Zugleich arbeitet zwischen den Kontinenten, sondern er er an seiner Dolchstoß-Legende: „An geht quer durch diese hindurch, spe- den Wahlurnen unbesiegt“, lautet die ziell durch Europa, mit Orbán und Ka- Devise, hinterrücks gemeuchelt durch czyński auf der einen, Macron und gefälschte Briefwahlstimmen. Und Merkel auf der anderen Seite, aber auch Millionen seiner Wählerinnen und durch die tief gespaltenen USA. Das Wähler sind zutiefst gewillt, ihm das zeigt: Die Welt ist mit dem Trumpismus zu glauben – und jeden als Verräter zu noch lange nicht fertig – und auch nicht begreifen, der Zweifel an dieser Ver- mit Donald Trump. Im Gegenteil: Die schwörung schürt, gerade auch seitens gesamte Amtszeit von Joe Biden wird der Republikaner. Das macht Trump vor allem innenpolitisch im Schatten auch in der ehemaligen Grand Old seines Vorgängers stehen, was gewal- Party bis auf Weiteres zu einer unge- tige außenpolitische Folgen impliziert. mein gefährlichen Größe. Zumal dann, wenn er noch andere Überlegungen wahrmacht und einen eigenen Fern- Ein Übergangspräsident sehsender gründet. Abermillionen von im Schatten Trumps Zuschauern wären ihm gewiss. Schon gar nicht erledigt ist auch der Schon vor der Wahl hat sich Biden Trumpismus. Im Gegenteil: Ob mit selbst als einen „Übergangskandida- oder ohne Trump wird er weiter eine ten“ bezeichnet. Mit seiner Wahl steht eminente Rolle in der nationalen Po- fest, dass er ein bloßer Übergangsprä- litik spielen. Viele Trumps sitzen be- sident ist, der maximal vier Jahre am- reits in den Startlöchern. Und aus der tieren wird. Das aber wird das gesamte US-amerikanischen Geschichte der Agieren der Regierung wie auch der letzten Jahrzehnte wissen wir: Schlim- demokratischen Partei auf ein Da- mer geht immer. Das zeigt die Trias: tum fokussieren – das Jahr 2024 und Reagan, Bush junior, Trump.5 Insofern die Verteidigung der Präsidentschaft, wäre es naiv zu glauben, dass es nicht dann möglicherweise unter einer Kan- auch zu Donald Trump noch eine Stei- didatin oder auch einer Präsidentin gerung geben könnte. Zumal die Po- Kamala Harris, wenn Biden das Amt pulisten, die zukünftig noch kommen bereits früher, etwa nach den midterm werden, Trumps erfolgreiche medi- elections 2022, an seine Vizepräsiden- ale Methoden als Blaupause für den tin übergeben sollte. Auch wenn Bi- nächsten Wahlgang nützen können. den dergleichen natürlich dementiert, Der Sieg gegen Trump hat insofern spricht angesichts seiner angeschlage- den USA, aber auch der gesamten de- nen Gesundheit einiges dafür. mokratischen Welt bloß eine Atempau- Unabhängig vom zukünftigen Kan- se im Kampf gegen die populistische didaten steht eines heute bereits fest: Versuchung verschafft. Doch die Ge- Wohl noch nie galt so sehr die Devise fahr existiert weiter – und sie ist kei- „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. Denn neswegs geschwächt, im Gegenteil. nach Trump kann durchaus vor Trump Ob Corona oder, noch weit dramati- sein. Und die Erfahrung mit dem viel- scher, die Klimakrise: Die liberale De- leicht klügsten Strategen der neu- en Rechten, mit Viktor Orbán, lehrt: 5 Wobei die Regierung von Bush junior mit dem „They ever come back.“ Bidens Präsi- völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak und seinen verheerenden Folgen unter glo- dentschaft steht deshalb schon heute balpolitischen Vorzeichen weit dramatischere im Banne des Jahres 2024. Auswirkungen hatte. Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
10 Kommentare mokratie ist in diesem entscheidenden ten wie Bernie Sanders und Elisabeth Jahrzehnt derart gewaltigen Heraus- Warren, die als Arbeitsminister bzw. forderungen ausgesetzt, dass die Ver- Finanzministerin im Gespräch sind, suchung weiter zunehmen wird, sich wohl keinerlei Chance haben, von ei- von ihren zähen parlamentarischen nem republikanisch dominierten Se- Fesseln zu befreien, um autoritär-dik- nat akzeptiert zu werden. Sieht man tatorisch durchzuregieren. Diese exis- daher einmal davon ab, dass Trumps tenzielle Spannung trifft wohl auf we- Niederlage am 3. November ein Sieg nige Länder so zu wie auf die Vereinig- für alle Demokraten ist und bleibt, sind ten Staaten nach Trump – ein zutiefst die Verlierer auf demokratischer Sei- gespaltenes, in sich verfeindetes Land, te ebenfalls klar: Es sind die progres- von der Pandemie geschlagen und ei- siven Demokraten der „Squad“, die ner immensen Wirtschaftskrise aus- linken Abgeordneten um Alexandria gesetzt. Nichts spricht daher wirklich Ocasio-Cortez – und damit zugleich al- dafür, dass der von Biden propagierte le, die auf grundsätzliche Veränderun- „Anfang vom Ende der düsteren Ära gen drängen. Denn während es dem der Dämonisierung in Amerika“ mit Partei-Establishment der Demokraten dieser Wahl gekommen ist. durchaus in die Hände spielt, den ih- nen genehmen kompromisslerischen Kurs als von den Republikanern er- Bis auf Weiteres »America first« zwungen verkaufen zu können, wären die Chancen für die dringend erforder- „America first“ wird somit – wenn auch lichen fundamentalen Reformen – von in anderer Weise als zuvor – die zentra- einer umfassenden Krankenversiche- le Devise der Regierung Biden sein. Mit rung bis zum Green New Deal – mit der Blick auf 2024 und den Kampf gegen Blockade des Senats zerstört. den nächsten Rechtspopulisten wird Das entscheidende Datum ist daher ihr ganzes Handeln den rein natio- vorerst der 5. Januar – mit den beiden nalen Interessen untergeordnet sein. Stichwahlen in Georgia um die beiden Und angesichts des Schocks des 3. No- letzten vakanten Senatsposten. Dann vember wird Biden alles daran setzen, wird sich klären, ob es den Demokra- das heillos zerrissene Land trotz eines ten vielleicht doch noch gelingt, die wohl weiter hetzenden Donald Trump beiden zusätzlichen Sitze zu ergattern, nicht weiter zu spalten, sondern – so die ihnen das 50-zu-50-Patt sichern gut es eben geht – zu versöhnen. würden – so dass Kamala Harris als Dieses Leitmotiv wird umso mehr Vizepräsidentin mit ihrer Extrastim- gelten, da der kommenden Regierung me zum Zünglein an der Waage würde. eine enorme Hypothek ins Haus steht: Damit wäre die Regierung Biden nicht nämlich blockierte Machtverhältnis- auf Kompromisse mit den Republika- se durch einen Senat, der aller Voraus- nern angewiesen, um deren Blocka- sicht nach in republikanischer Hand depolitik zu umgehen, sondern könnte bleibt. Damit haben die Republikaner, weitergehende Reformen durchsetzen. an der Spitze der mächtige Mehrheits- Momentan spricht wenig dafür. führer Mitch McConnell, die Möglich- Umso mehr bleibt es dabei: Am 3. No- keit, sämtliche Gesetzesvorhaben der vember hat die demokratische Welt Regierung zu blockieren und zudem in einen Abgrund geschaut; doch das gleich zu Beginn ihnen nicht geneh- wird nicht der letzte Abgrund dieser me Regierungsmitglieder durchfal- Art gewesen sein. Die demokratische len zu lassen. Auch deshalb zielt Biden Welt tut daher gut daran, alles zu un- auf ein überparteiliches Team, auch ternehmen, um auf den nächsten An- unter Einbindung moderater Repu- griff auf ihre Fundamente besser vor- blikaner, während linke Demokra- bereitet zu sein. Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2020
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