Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - Position Stand: Februar 2021
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PositionFebruar 2021 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Vorwort Corona und finanzielle Fragen dominieren die deutsche EU-Ratspräsident- schaft. Corona hat die ursprüngliche Agenda der Bundesregierung für die deutsche Ratspräsi- dentschaft vom 01. Juli bis 31. Dezember 2020 grundlegend verändert. Der monatelang geplante Höhepunkt, das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit dem chinesi- schen Präsidenten Xi Jinping, musste im Videoformat stattfinden. In den Mittelpunkt traten die Bewältigung der Folgen der Pandemie und die Frage nach der Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach dem Corona-Schock. Der mehrjährige Haushalt und das 750-Milliarden-Aufbauprogramm „Next Generation EU“ rückten ins Zentrum. Die Bundesregierung hat durch erfolgreiche Vermittlung mit dazu beigetragen, dass in diesen Punkten trotz großer unterschiedlicher Standpunkte der EU-Mitgliedsstaaten eine Einigung erzielt werden konnte. Weitere Kernthemen der deutschen Ratspräsidentschaft waren die Klimapolitik mit dem Green Deal und die digitale Transformation. Die wesentlichen Ergebnisse der Ratspräsidentschaft finden Sie in dieser Veröffentlichung. Bertram Brossardt 15. Februar 2021
PositionFebruar 2021 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
PositionFebruar 2021 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Inhalt Position auf einen Blick 1 1 Haushalt und Aufbauprogramm 2 2 Arbeits- und Sozialpolitik 3 2.1 Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit 3 2.2 Mindestlohn 3 2.3 Europäische Säule Sozialer Rechte 4 2.4 Nachhaltige Lieferketten 4 2.5 Nationale Grundsicherungssysteme 5 2.6 Arbeitslosenrückversicherung 5 2.7 Jugendgarantie 5 3 Klima und Umweltschutz 7 4 Digitale und technologische Souveränität 9 5 Industriepolitik 11 6 Migrations- und Asylpolitik 12 7 Brexit, Handels- und Investitionspolitik 13 8 Außen- und Sicherheitspolitik 14 Ansprechpartner / Impressum 15
PositionFebruar 2021 1 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Position auf einen Blick Position auf einen Blick Deutsche Bundesregierung hat Großteil ihrer Ziele umgesetzt. Positive Entwicklungen – Die weitreichenden Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten untereinan- der und den EU-Institutionen beim mehrjährigen Haushalt und NGEU wurden überwun- den. Jetzt müssen die legislativen Prozesse zügig abgeschlossen werden. – Die Ziele im Klima- und Umweltschutz wurden im Wesentlichen umgesetzt. Jetzt ist darauf zu achten, dass die Industrie bei der Umsetzung der Vorhaben wirkungsvoll unterstützt wird. – Es ist gelungen, das Projekt GAIA-X als wichtiges Element des Aufbaus einer europäi- schen Dateninfrastruktur zu etablieren. Auch weitere Bausteine der angestrebten digitalen Souveränität wurden auf den Weg gebracht. Eine stärker chancenorientierte Herangehensweise in der Datenwirtschaft und beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz wurde nicht erreicht. – Die Weiterentwicklung der Industriestrategie ist zu begrüßen. Insbesondere die Defini- tion von Leistungsindikatoren ist sehr wichtig. Nun muss die konkrete Umsetzung der Strategie erfolgen. – Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zum Handels- und Kooperationsabkommen konnten erfolgreich abgeschlossen werden. – Grundsätzlich ist es richtig, dass Deutschland und die EU sich für gleiche Wettbewerbs- bedingungen für europäische Unternehmen auf dem chinesischen Markt einsetzten. Die Einigung auf das Investitionsabkommen mit China Ende Dezember 2020 kam aber zu einem ungünstigen Zeitpunkt und setzte ein falsches Signal gegenüber der Biden- Regierung. Negative Entwicklungen – Versuche, die sozialpolitischen Kompetenzen der EU auszuweiten, wurden auch während der deutschen Ratspräsidentschaft unternommen, obwohl die Sozialpolitik den Mitgliedsstaaten obliegt. – Eine Einigung zur Überarbeitung der Verordnung 883/04 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit konnte nicht erreicht werden. – Die Absicht, das Gemeinsame Europäische Asylsystem zu reformieren, wurde nicht umgesetzt. – Das Ziel, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik effektiver und effizienter zu gestalten, wurde nicht erreicht.
PositionFebruar 2021 2 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Haushalt und Aufbauprogramm 1 Haushalt und Aufbauprogramm Mehrjähriger Finanzrahmen und Aufbauprogramm sind die bedeutends- ten Erfolge. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Einrichtung des Aufbauinstruments „Next Generation EU“ (NGEU) und Annahme des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027 (MFR) zur Beseitigung wirtschaftlicher und sozialer Folgen der Corona-Pandemie Umsetzung/Erreichtes Im Sommer kündigte das EU-Parlament an, den NGEU nicht zu verabschieden und dem MFR nicht zuzustimmen, wenn die Ausschüttung von Unionsgeldern nicht an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft wird. Im November 2020 wurde eine politische Einigung zum Rechtsstaatlichkeitsmechanismus erzielt. Daraufhin blockierten Regierungsvertreter Ungarns und Polens die Verabschiedung des MFR und des NGEU. Am 10. Dezember 2020 konnte der Haushaltsstreit überwunden werden. Den Durchbruch brachte ein von der Bundesregierung vorgelegter Kompromiss, dem alle Staats- und Regierungschefs im Euro- päischen Rat zustimmten. Bewertung Die Annahme des MFR und des Aufbauprogramms NGEU war das wichtigste Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft, da die Corona-bedingte wirtschaftliche Krise ohne den MFR und NGEU nicht überwunden werden kann. Unter Vermittlung der Bundesregierung konnten die weitreichenden Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten und zwischen den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament überwunden werden. Die politi- schen Einigungen zum Aufbauprogramm und MFR sind die bedeutendsten Erfolge der deutschen Ratspräsidentschaft. Jetzt gilt es, die legislativen Verfahren zügig abzuschließen und die Resilienz- und Aufbaupläne der Mitgliedsstaaten so innovations- und reformorien- tiert wie nur möglich zu gestalten. Ziel muss es sein, nicht nur zu den Vorkrisenniveaus der einzelnen Mitgliedsstaaten zurückzukehren, sondern mit der Rekordsumme von 750 Milliarden Euro ambitioniert in gemeinsame große Zukunftsprojekte zu investieren, von denen alle Mitgliedsstaaten profitieren.
PositionFebruar 2021 3 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Arbeits- und Sozialpolitik 2 Arbeits- und Sozialpolitik Sozialpolitische Kompetenzen müssen Aufgabe der Mitgliedsstaaten bleiben. 2.1 Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Die Trilogverhandlungen zur Überarbeitung der Verordnung 883/04 über die Koordinie- rung der Systeme der sozialen Sicherheit abschließen und erleichternde Regelungen zur A1-Bescheinigung einführen Umsetzung/Erreichtes Die europäische Verordnung 883/04 befindet sich seit 2016 in Überarbeitung. Die Trilog- verhandlungen wurden am 30. September 2020 wieder aufgenommen. Ein weiteres Trilog- treffen des EU-Parlaments, des EU-Rats und der EU-Kommission am 29. Oktober 2020 blieb ohne Ergebnis. Trotz mehrerer Verhandlungsrunden konnte keine Einigung erzielt werden. Bewertung Es bedarf dringend einer europäischen Regelung, die einen unbürokratischen A1-Prozess erlaubt und ein EU-weit einheitliches Vorgehen festlegt. Es muss vermieden werden, dass einzelne Mitgliedsstaaten Regelungslücken in der europäischen Gesetzgebung unter- schiedlich auslegen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat hier keine Fortschritte erzielt. 2.2 Mindestlohn Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Diskussion über einen EU-Rahmen für nationale Mindestlöhne beginnen Umsetzung/Erreichtes Die EU-Kommission hat im Oktober 2020 den Vorschlag für eine Richtlinie über ange- messene Mindestlöhne veröffentlicht. Ein erster Austausch fand in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe statt, wurde aber wegen Zweifeln einiger Mitgliedsstaaten an der Rechtsgrundlage des Vorhabens nicht weitergeführt. Eine erste Lesung auf Ministerebene im EU-Rat fand bislang nicht statt. Bewertung Der Richtlinienvorschlag ist abzulehnen. Er steht nicht im Einklang mit den der EU zugewie- senen Kompetenzen. Mit Einführung neuer EU-Kriterien zur Festlegung von Mindest-
PositionFebruar 2021 4 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Arbeits- und Sozialpolitik löhnen würde er in nationale Zuständigkeiten eingreifen. Tarifautonomie und Sozialpart- nerschaft würden missachtet. 2.3 Europäische Säule Sozialer Rechte Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte (ESSR) weiter vorantreiben, um die Krisenfolgen der Corona-Pandemie abzumildern Umsetzung/Erreichtes Während der deutschen Ratspräsidentschaft wurde die Konsultation zur Umsetzung der ESSR abgeschlossen. Außerdem wurde die EU-Sozialpolitik durch verschiedene Veranstal- tungen in die Öffentlichkeit getragen. Konkrete Maßnahmen wurden aber, mit Ausnahme von Ratsschlussfolgerungen zu Mindestsicherungssystemen, nicht umgesetzt. Bewertung Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip hat die EU nur eingeschränkte Kompetenzen in der Sozialpolitik. Der stetige Versuch, die Zuständigkeit zu verschieben und eine sozialpoliti- sche Agenda auf europäischer Ebene durchzusetzen, ist abzulehnen. 2.4 Nachhaltige Lieferketten Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Aktionsplan zur Stärkung der Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten Umsetzung/Erreichtes Während der deutschen Präsidentschaft wurden die Ratsschlussfolgerungen „Menschen- rechte und menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“ angenommen mit dem Ziel, die Unternehmensverantwortung in den globalen Lieferketten zu erhöhen. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, eine sektorübergreifende Regulierung vorzulegen, die umfassende unternehmerische Sorgfaltspflichten für globale Wertschöpfungsketten einführt. Bewertung Die Regulierung zur Unternehmensverantwortung in den globalen Lieferketten ist abzu- lehnen. Eine vollständige Überwachung der Lieferkette ist in der Praxis nicht möglich, da Unternehmen häufig über ein stark ausdifferenziertes und verästeltes Lieferantennetz- werk verfügen und eine Kontrolle über die erste Zulieferstufe hinaus häufig nicht möglich ist. Durch eine Lieferkettenregulierung drohen Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen.
PositionFebruar 2021 5 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Arbeits- und Sozialpolitik 2.5 Nationale Grundsicherungssysteme Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Aufbau eines Rahmens für nationale Grundsicherungssysteme in den Mitgliedsstaaten Umsetzung/Erreichtes Die entsprechenden Ratsschlussfolgerungen wurden angenommen. Die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission wurden aufgefordert, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und im Einklang mit den nationalen Arbeitsmarktmodellen bestehende Lücken bei der Mindest- einkommenssicherung zu schließen. Zudem wurde die EU-Kommission aufgefordert, eine Aktualisierung des Unionsrahmens einzuleiten, um die Politik der Mitgliedsstaaten zur nationalen Mindestsicherung wirksam zu unterstützen und zu ergänzen. Bewertung Das Vorhaben ist abzulehnen, da die Ausgestaltung der Grundsicherungssysteme den einzelnen Mitgliedsstaaten obliegt und sich an nationale Gegebenheiten des Arbeitsmarkts und der Systematik der sozialen Sicherung orientieren muss. 2.6 Arbeitslosenrückversicherung Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Den Vorschlag der EU-Kommission für eine Arbeitslosenrückversicherung vorantreiben Umsetzung/Erreichtes Die EU-Kommission hat keinen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Bewertung Die Einführungen einer Arbeitslosenrückversicherung ist abzulehnen. Sie birgt die Gefahr, Fehlanreize zu setzten und so arbeitsmarktpolitisch notwendige Maßnahmen zur Abfede- rung des strukturellen Wandels zu verhindern. 2.7 Jugendgarantie Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Stärkung der Jugendgarantie Umsetzung/Erreichtes Die deutsche Regierung hat im EU-Rat hierfür die Ratsempfehlung „Eine Brücke ins Arbeitsleben – Stärkung der Jugendgarantie“ auf den Weg gebracht. Die Ratsempfehlung erneuert die Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, jungen Menschen innerhalb von vier
PositionFebruar 2021 6 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Arbeits- und Sozialpolitik Monaten nach Arbeitslosigkeit oder Abschluss der formalen Bildung ein Beschäftigungs-, Praktikums-, Ausbildungs- oder Weiterbildungsangebot zu machen. Bewertung Die Stärkung der Jugendgarantie ist zu befürworten.
PositionFebruar 2021 7 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Klima und Umweltschutz 3 Klima und Umweltschutz Industrielle Belange bei der Umsetzung von Klima- und Umweltschutz berücksichtigen. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Abschluss der Beratung eines europäischen Klimagesetzes im Europäischen Rat, Weiter- entwicklung der Klimainstrumente – insbesondere des Emissionshandels – und Ausbau erneuerbarer Energien Forcierung der EU-Kreislaufwirtschaft und der EU-Biodiversitätsstrategie als wichtige Elemente des EU Green Deals Umsetzung/Erreichtes Die Ziele im Bereich Klimaschutz wurden im Wesentlichen umgesetzt. Der Europäische Rat einigte sich auf ein CO2-Minderungsziel von 55 Prozent gegenüber 1990. Bundeskanzlerin Merkel warb beim EU-Gipfel persönlich dafür. Darüber hinaus hat der Europäische Rat Schlussfolgerungen zur Stärkung der europäischen Zusammenarbeit im Bereich erneuerba- rer Offshore-Energie und anderer erneuerbarer Energie angenommen. Die EU-Kommission hatte im Mai 2020 eine Biodiversitätsstrategie vorgestellt. Deutsch- land hat sich für die Strategie eingesetzt. Im Oktober 2020 verabschiedete der EU-Rat Schlussfolgerungen zu der Biodiversitätsstrategie der EU-Kommission. Darin betonte er die Bedeutung von Schutz, Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Die EU-Kommission hatte im März 2020 einen neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirt- schaft vorgeschlagen, dessen Schwerpunkt auf der nachhaltigen Ressourcennutzung liegt. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft wurden hierzu im Dezember 2020 Ratsschlussfolgerungen verabschiedet. Bewertung Der Beschluss des Europäischen Rats, das EU-Minderungsziel für 2030 auf 55 Prozent gegenüber 1990 anzuheben, ist machbar, aber mit Risiken verbunden. Die Industrie muss bei der Umsetzung wirkungsvoll unterstützt werden. Dazu fehlen nach wie vor konkrete Ansatzpunkte. Vor allem ein effektiver Carbon-Leakage-Schutz ist von enormer Bedeutung. Diesen gilt es zwingend aufrecht zu erhalten und zu stärken. Als zentrales Instrument zur Erreichung der Klimaziele sollte das EU-ETS im internationalen Kontext weiterentwickelt werden. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind ambitionierte Ausbaupfade begrüßens- wert, wenn die Investitionskosten nicht eins zu eins auf den Stromverbraucher abgewälzt werden. Wettbewerbsfähige Strompreise, insbesondere für die Industrie, sind für den
PositionFebruar 2021 8 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Klima und Umweltschutz Wirtschaftsstandort Europa unerlässlich, zumal sie auch ein wesentlicher Treiber für klima- freundliche Technologien sind. Sowohl bei der Biodiversität als auch bei der Kreislaufwirtschaft wurde mit den Ratsschlussfolgerungen das Vorgehen der EU-Kommission unterstützt. Bei der weiteren Umsetzung des EU Green Deals ist auf folgende Punkte zu achten: – Es ist zwar sinnvoll, biologische Vielfalt zu schützen und zu fördern sowie ihre Bestand- teile nachhaltig zu nutzen. Doch dem freiwilligen, flexiblen und kooperativen Naturschutz ist dabei Vorrang einzuräumen. – Gemeinsame Regeln für die Herstellung, den Handel und das Recycling von Produkten sind im EU-Binnenmarkt unabdingbar. Unternehmen müssen aufgrund ihres Wissens über erfolgreiche Verfahren, Rohstoffe und Spezifikationen im Mittelpunkt einer funkti- onierenden und wettbewerbsorientierten Kreislaufwirtschaft stehen.
PositionFebruar 2021 9 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Digitale und technologische Souveränität 4 Digitale und technologische Souveränität Wichtige Weichen wurden gestellt, jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Digitale Souveränität als Leitmotiv der europäischen Digitalpolitik etablieren und in digita- len Schlüsseltechnologien (Künstliche Intelligenz vor allem im Gesundheitsbereich, Quantentechnologien) Kompetenz auf internationalem Spitzenniveau aufbauen. Dazu wurden insbesondere erhebliche Investitionen in die Stärkung digitaler Kapazitäten einschließlich einer hochleistungsfähigen Infrastruktur angestrebt. Bei der Datennutzung betonte die Bundesregierung die Bedeutung der Verbesserung des Datenzugangs. Umsetzung/Erreichtes Es ist gelungen, das Projekt GAIA-X als Element der europäischen Bemühungen für den Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur zu etablieren, eingebettet in die von allen Mitgliedsstaaten unterzeichnete Erklärung zur „Europäischen Cloud Föderation“. 18 Mitgliedsstaaten sind zu einer europäischen Zusammenarbeit im Bereich Mikroprozes- soren und Halbleitertechnologien bereit, was sich zu einem wichtigen Baustein der ange- strebten Souveränität entwickeln kann. Die Verhandlungen zum Rechtsrahmen für die Governance gemeinsamer europäischer Datenräume wurden eingeleitet. Die für Telekom- munikation und Digitales zuständigen Ministerinnen und Minister verständigten sich unter dem deutschen Vorsitz darauf, dass ein gemeinsamer europäischer Ansatz für Künstliche Intelligenz entwickelt werden muss, bei dem Innovationen und Vertrauenswürdigkeit im Zentrum stehen. Bewertung Es ist richtig, dass die EU bei Schlüsseltechnologien der Digitalisierung zu den großen Wettbewerbern aufschließen und eine möglichst weitgehende Souveränität erreichen muss. Dazu zählen auch die Produktion der entsprechenden Hardware (z. B. höchstleis- tungsfähige Chips) in Europa und die Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen. Das muss einen Schwerpunkt in den EU-Programmen (Forschung, Investitionen, Gründer- förderung, Testfelder) bilden. Gerade die Forschungsmittel bleiben hinter den Erwartun- gen zurück. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat einige Weichen gestellt. Jetzt wird es auf die Umsetzung ankommen. Der Mitteleinsatz der EU muss weiter deutlich erhöht werden, auch für den Ausbau der digitalen Infrastruktur. In der Datenwirtschaft und beim Umgang mit der Künstlichen Intelligenz setzt die EU zu sehr auf Regulierung und risikoorientierte Ansätze. Auch unter der deutschen Ratspräsi- dentschaft konnte weder eine stärker chancenorientierte Herangehensweise etabliert, noch der Anspruch eingelöst werden, digitale Technologien stärker für Gesundheitsschutz oder Nachhaltigkeit einzusetzen. Zugangsrechte zu Daten werden weiter intensiv disku- tiert, obwohl das gerade für die Industrie sehr kritisch zu sehen ist. Eine breitere Teilhabe durch ein „Enabling“ von Teilen der Wirtschaft und der Gesellschaft voranzutreiben bleibt
PositionFebruar 2021 10 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Digitale und technologische Souveränität eine Herausforderung. Dazu sind auch Klarstellungen beziehungsweise moderate Anpas- sungen des Rechtsrahmens erforderlich, die den Unternehmen die Erfüllung der Daten- schutzanforderungen erleichtern und damit mehr Chancen für erfolgreiche neue Geschäftsmodelle eröffnen. Die Vorteile von Ansätzen wie der europäischen Cloud beziehungsweise GAIA-X gerade auch für den unternehmerischen Mittelstand müssen noch stärker bekannter gemacht werden.
PositionFebruar 2021 11 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Industriepolitik 5 Industriepolitik Industriepolitik muss weiterentwickelt werden. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Industrie erhöhen und europäische industrielle Wertschöpfungsketten stärken Umsetzung/Erreichtes Der Rat hat im November 2020 die Ratsschlussfolgerungen „Ein Aufschwung, der den Übergang zu einer dynamischeren, widerstandsfähigeren und wettbewerbsfähigeren euro- päischen Industrie voranbringt“ angenommen. Die Kommission wurde aufgefordert, die Industriestrategie vor der Tagung des Europäischen Rates im März 2021 zu aktualisieren. Daneben soll die Kommission Leistungsindikatoren für die Überwachung der Industriestra- tegie und der Wettbewerbsfähigkeit bis Ende März 2021 festlegen. Bewertung Wir begrüßen, dass die Industriestrategie weiterentwickelt werden soll. Insbesondere die Definition von Leistungsindikatoren zur Evaluierung halten wir für sehr wichtig. Nun müssen die Indikatoren und auch die Strategie umgesetzt werden. Die entscheidenden Punkte einer europäischen Industriepolitik sind: – Vollendung des Binnenmarkts – Reform der Fusionskontrolle – Abschluss von Freihandelsabkommen – Wenig Bürokratie, intelligente Regulierung – Förderung von Schlüsseltechnologien und Unterstützung von länderübergreifenden Kooperationen – In allen Politikfeldern Auswirkungen auf die Industrie berücksichtigen
PositionFebruar 2021 12 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Migrations- und Asylpolitik 6 Migrations- und Asylpolitik Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bleibt drängende Notwendigkeit. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Ambitionierte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems unter anderem durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Sicherheits-, Grenzschutz- und Migrationsbe- hörden der EU-Mitgliedsstaaten und durch die Schaffung legaler Migrationswege für Arbeitskräfte aus Drittstaaten Umsetzung/Erreichtes Das Ziel wurde bisher noch nicht erreicht. Im September 2020 hat die EU-Kommission den neuen Migrations- und Asylpakt vorgestellt, der auch die Fachkräftezuwanderung themati- siert. Verabschiedet wurde der Pakt noch nicht. Bewertung Die deutsche Ratspräsidentschaft konnte keine Einigung zwischen den Mitgliedsstaaten erzielen. Die Annahme des Asyl- und Migrationspakets der Kommission ist nach wie vor dringend notwendig. Besonders zu begrüßen wäre die Trennung von Asyl und legaler Migration sowie die Absicht zur Stärkung legaler Migrationswege. Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen wie Griechenland und Italien, die derzeit die Hauptlast der Fluchtzuwande- rung tragen, müssen stärker unterstützt werden. Mit dem vorgelegten Programm würden eine Unterstützung bei der Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht gewährleistet und diese Staaten entlastet werden. Möglicherweise ist hier eine Einigung unter den Mitgliedsstaaten zu erzielen, wenn Länder wie Ungarn und Polen nur noch in absoluten Ausnahmefällen zur Aufnahme von Migranten verpflichtet werden und durch Unterstüt- zung bei Rückführung und Reintegration ihren Beitrag zur europäischen Solidarität leisten können.
PositionFebruar 2021 13 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Brexit, Handels- und Investitionspolitik 7 Brexit, Handels- und Investitionspolitik Freihandelsabkommen zwischen EU und UK wendet harten Brexit ab, Investitionsabkommen mit China kommt zum falschen Zeitpunkt. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Abschluss der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich und Fortschritte bei den Verhandlungen über ein bilaterales Investitionsabkom- men mit China. In den Handelsbeziehungen zu China sollte eine größere Wettbewerbs- gleichheit verankert werden. Umsetzung/Erreichtes Am 24. Dezember 2020 einigten sich die britischen und europäischen Unterhändler über ein Handels- und Kooperationsabkommen, das seit dem 01. Januar 2021 vorläufig ange- wandt wird. Am 30. Dezember 2020 verkündeten die EU und China eine grundsätzliche politische Einigung über ein Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Invest- ment, CAI). Bewertung Auf die Brexit-Verhandlungen hatte die deutsche Ratspräsidentschaft wenig institutionel- len Einfluss, da eine spezielle Task Force der EU-Kommission auf Basis des ihr von den Mitgliedsstaaten erteilten Mandats die Verhandlungen führte. Davon unabhängig nutze die Bundesregierung die Ratspräsidentschaft, um immer wieder mit Nachdruck auf den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen hinzuwirken. Das Zustandekommen des Handels- und Kooperationsabkommens ist zu begrüßen. Auch wenn einige Inhalte des Abkommens kritisch zu beurteilen sind, ist das Abkommen allemal besser als ein ungere- gelter Brexit. Der Abschluss des Investitionsabkommens zwischen der EU und China im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft war ein erklärtes Ziel der Bundeskanzlerin. Für Deutschland ist China nach den USA der zweitgrößte Handelspartner. Der Zeitpunkt der Einigung war allerdings unglücklich. Vertreter der künftigen Biden-Administration hatten sich vor Bekanntgabe der Einigung klar gegen den Abschluss des Abkommens ausgesprochen.
PositionFebruar 2021 14 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Außen- und Sicherheitspolitik 8 Außen- und Sicherheitspolitik Effektive und effiziente Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik noch lange nicht in Sicht. Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft Effektivität und Effizienz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stärken Umsetzung/Erreichtes Das Ziel, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik effektiver und effizienter zu gestalten, wurde nicht erreicht. Bewertung Eine effektive und effiziente Außen- und Sicherheitspolitik ist nur möglich, wenn die Entscheidungsfindung vergemeinschaftet wird. Hierfür ist das Prinzip der Mehrheitsent- scheidung erforderlich. Nur so können widerstrebende europäische Interessen zu einer einheitlichen Haltung gebündelt werden, damit die EU entschlossen handeln und ihre Rolle als verlässlicher Partner für Frieden und Sicherheit wahrnehmen kann. Während der deutschen Ratspräsidentschaft konnten hier keine Fortschritte erreicht werden.
PositionFebruar 2021 15 Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ansprechpartner / Impressum Ansprechpartner / Impressum Tatjana Vargas Abteilung Außenwirtschaft Telefon 089-551 78-258 Telefax 089-551 78-91258 tatjana.vargas@vbw-bayern.de Impressum Alle Angaben dieser Publikation beziehen sich ohne jede Diskriminierungsabsicht grundsätzlich auf alle Geschlechter. Herausgeber vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Max-Joseph-Straße 5 80333 München www.vbw-bayern.de © vbw Februar 2021
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