Julia Klöckner: "Gut und gesund schließen sich nicht aus" - VDOe

 
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Julia Klöckner: "Gut und gesund schließen sich nicht aus" - VDOe
FOKUS

  INTERVIEW ERNÄHRUNGSPOLITIK

  Julia Klöckner: „Gut und gesund
  schließen sich nicht aus“
  Julia Klöckner, seit März neue Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft,         Vermarktungskonzepte. Gut und gesund
  hat bei allen, die im Umfeld des Themas Ernährung engagiert und interessiert sind,        schließen sich nicht aus.
  viele Hoffnungen geweckt. Lebensmittel wertschätzen, gesunde Ernährung und
  Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung stehen schließlich von ihrer ersten             POSITION: Bleibt im hektischen Alltag
  Stunde als Ministerin an ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. „In den ersten 100         einer Ministerin überhaupt Zeit für das
  Tagen haben wir die Weichen gestellt, um bis zum Ende der Legislaturperiode wich-         gute Essen und Trinken – oder driftet man
  tige Ziele in der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik zu erreichen“, sagt Klöckner     notgedrungen häufiger ins Snacking und
  Ende Juni in der Bilanz ihrer ersten Monate im Amt. Noch ist denn auch tatsächlich        zum Fast Food ab?
  das Meiste, was in ihrer 100-Tage-Bilanz zu lesen ist, nicht viel mehr als wohlklingen-
  de Ankündigungspolitik. Im Interview mit der POSITION macht Klöckner zu einigen           Klöckner: Da sprechen Sie was an, er-
  Themen erstaunlich klare Ansagen. Bei anderen Themen kann jeder, der zwischen             wischt! Natürlich bekomme ich das nicht
  den Zeilen zu lesen vermag, den Wind der Realität spüren, der der Ministerin jetzt        immer so hin, wie es bestenfalls immer
  schon entgegenweht. Ihre ausweichende Aussage zur Frage nach der Einführung               sein sollte. Ich versuche mir aber auch in
  eines Schulfachs Ernährung könnte man durchaus als Abgesang auf diese Idee inter-         hektischen Phasen das Snacking zu ver-
  pretieren. Bei allem guten Willen der Ministerin, der in diesem Interview spürbar         kneifen. Wichtig ist, dass man sich das
  wird, ist das Gespräch trotzdem auch exemplarisch für die Schwierigkeiten und             bewusst macht. Ich habe immer Obst oder
  Hürden moderner Ernährungspolitik.                                                        Nüsse für den Heißhunger dabei. Und
                                                                                            wenn ich was esse, dann nehme ich mir
                                                                                            die Zeit dazu. Aber ein gutes Stück
  POSITION: Sehr verehrte Frau Ministerin,     sind im Vergleich zu Rohwaren oftmals        Kuchen, das ist zur Belohnung auch drin.
  was bedeutet Ihnen „gut essen und trin-      teurer. Wer mit frischen Lebensmitteln
  ken”?                                        selbst kocht, kann sich gesund und durch-    POSITION: So manches, was auf Sie als
                                               aus günstig ernähren. Ich kaufe meine        Ministerin zukommt, dürfte Ihnen aus je-
  Klöckner: Für mich bedeutet „gut essen       Lebensmittel gerne aus der Region. Wir       ner Zeit zwischen 2009 und 2011 bekannt
  und trinken“ in erster Linie Genuss, Ge-     haben in meiner Heimat Bad Kreuznach         sein, in der Ilse Aigner Ernährungs- und
  selligkeit und Gemeinschaft. Begegnun-       einen schönen Markt und regionale            Verbraucherministerin war und Sie ihr als
  gen beim gemeinsamen Essen und Trinken
  haben etwas Verbindendes und Ent-
  spannendes! Gemeinsame Mahlzeiten,
  zusammen an einem Tisch zu sitzen – das
  ist tief in unserer Kultur verwurzelt und
  gleichzeitig Ausdruck unserer regionalen
  Vielfalt. Dabei muss ja nicht immer etwas
  ganz Ausgefallenes auf den Tisch kom-
  men. Ich mag es gerne unkompliziert: fri-
  sches, herzhaftes Brot, Schinken und
  Käse, Gurken, Tomaten und ein Glas
  Wein. Und ehrlich gesagt: Menschen, die
  nicht gerne essen und trinken, sind mir
  suspekt (lacht).

  POSITION: Machen Sie einen Unterschied
  zwischen „gutem” und „gesundem” Es-
  sen und Trinken?

                                                                                                          Foto: © BMEL/Felix Zahn/photothek.net
  Klöckner: Zuerst einmal ist es gut, dass
  eine gute und gesunde Ernährung keine         Bundesministerin Klöckner auf der Weg zur Pressekonferenz zu ihrer 100-Tage-Bilanz
  Frage des Geldbeutels ist. Fertigprodukte     in der Markthalle Neun in Berlin

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Staatssekretärin zur Seite standen. Was        Foto: © BMEL/Christof Rieken
haben Sie von ihr über Ernährungspolitik
gelernt?

Klöckner: Essen soll Freude machen! Das
strahlt Ilse Aigner aus – und das ist mir
auch wichtig. Ich bin überzeugt: Der Weg
zu einer gesunden Ernährung führt über
die Wertschätzung des Essens, über die
Entdeckung vielfältiger Geschmackswel-
ten und das gemeinsame Kochen. Ich
liebe es, Neues auszuprobieren und zu
genießen. Ich habe die Grundüberzeu-
gung: Gute Ernährung lässt sich nicht mit
Gesetzen vorschreiben. Ich bin nicht die
Geschmacksgouvernante der Nation. Wir
brauchen auch keinen Veggieday. Wir
brauchen aber Auswahlmöglichkeiten, für
jeden Geschmack etwas, entscheiden             Julia Klöckner beim Bundespreis 2018 „Für Engagement Gegen Lebensmittel-
müssen die Verbraucher dann selbst.            verschwendung” mit Jurymitglied Ingrid Hartges und der Gewinnerin des „Zu gut für
Wichtig ist, dass wir als zuständige Politi-   die Tonne”-Förderpreises, Annalina Landsberg
ker die richtigen Rahmenbedingungen
setzen, damit die gesunde Wahl die leich-
tere Wahl wird: angefangen mit der Stär-       Sensibilisierung geht. Die Tatsache, dass     dung erfolgreicher voranzubringen, wenn
kung der Ernährungsbildung und -kompe-         jetzt mehr und bewusster über gesunde         man weder Steuern noch Zwang will?
tenz über die Verbesserung der Essens-         Ernährung geredet und berichtet wird als
angebote in Einrichtungen wie Kitas und        noch vor ein paar Jahren, begrüße ich         Klöckner: In meinen ersten 100 Tagen im
Schulen oder Seniorenheimen bis hin zu         sehr. Auch durch solche Kampagnen ha-         Amt als Bundesernährungsministerin habe
gesünderen Fertigprodukten in den La-          ben wir es geschafft, das Thema in den        ich unter anderem für genau diese The-
denregalen.                                    Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Das       men festgelegt, wo wir den Hebel anset-
                                               wollen wir fortführen. Allerdings ist die     zen. Ich habe meine Ziele dargestellt und
                                               Zahl der Bürger, die übergewichtig sind       deutlich gemacht, was wir schon erreicht
                                               oder an Adipositas leiden, nach wie vor       und was wir uns noch vorgenommen
  >> Ich mag es beim Essen
                                               auf einem, wie ich finde, viel zu hohen       haben. Mit dem entsprechendem Geld
      und Trinken gerne                        Niveau. Außerdem zeigt sich, dass ein in      habe ich das auch in meinem Haus-
      unkompliziert.
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  Thema Ernährung. Wir beobachten, dass        dern unbedingt auch den Erwachsenen.         entsteht. Wir haben, um Lebensmittel
  in Ausbildung und Studium mehr zum           Der Weg dorthin kann nur über qualifizier-   wertzuschätzen und Ressourcen zu scho-
  Thema Ernährung und zum Thema „ge-           te Fachkräfte der Ernährungsbildung und      nen, die Verleihung des Bundespreises für
  sund aufwachsen“ gemacht werden soll-        -beratung gehen. Welche Möglichkeiten        Engagement gegen Lebensmittelver-
  te. Daneben müssen wir das Kita- und         sehen Sie im Rahmen Ihrer politischen        schwendung etabliert. Mit unserer Initia-
  Schulessen besser mit der Ernährungs-        Pläne, die Berufsgruppe der Oecotro-         tive „Zu gut für die Tonne!“ ist es in den
  bildung verknüpfen. Hier sollte ja das auf   phologen/Ernährungswissenschaftler ein-      vergangenen Jahren gelungen, das Be-
  dem Teller sein, was wir den Kindern als     zubeziehen und zu fördern.                   wusstsein für die Wertschätzung unserer
  gesund und ausgewogen empfehlen.                                                          Lebensmittel zu schärfen. Die Beste-Reste-
  Deshalb werden wir weiter daran arbei-       Klöckner: Wann immer wir tätig werden,       App mit Tipps zur Vermeidung von
  ten, die Empfehlungen der Deutschen Ge-      sind Oecotrophologen und Ernährungs-         Lebensmittelabfällen gehört mit über
  sellschaft für Ernährung noch deutlicher     wissenschaftler einbezogen – zum Beispiel    800.000 Downloads zu den erfolgreichs-
  anzuwenden. Wir arbeiten in der Ernäh-       als Fachleute in den Fachabteilungen mei-    ten Informationsangeboten der Bundes-
  rungsbildung sehr eng mit den Ländern        nes Ministeriums oder auch im Bundes-        regierung. Im Rahmen des Programms zur
  zusammen. Die im Auftrag meines Mi-          zentrum für Ernährung. Auch bei unseren      Innovationsförderung unterstützt mein
  nisteriums entwickelten Ernährungsbil-       Projektpartnern fließt das Wissen und die    Ministerium derzeit außerdem mit rund 14
  dungsmaterialien sind auch in den Bun-       Fachkompetenz dieser Berufsgruppe mit        Mio. Euro Forschungsprojekte und Inno-
  desländern sehr beliebt.                     ein. Denken Sie beispielsweise an die        vationen, um Lebensmittelabfälle langfris-
                                               Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Sie     tig zu vermeiden. Ich will bis zum Jahr
                                               und Ihre Kollegen spielen eine große Rolle   2030 die Lebensmittelabfälle in Deutsch-
                                               im Bereich Fortbildung: von Kita-Personal    land halbieren. Denn in jedem Lebens-
      >> Gute Ernährung lässt
                                               und Lehrkräften oder bei der Qualifizie-     mittel stecken wertvolle Ressourcen und
      sich nicht mit Gesetzen                  rung von Mitarbeitern im Bereich der         Energie. Mehr Wertschätzung für Pro-
          vorschreiben. > Ich bin nicht die
  Einführung eines Schulfachs Ernährung        von Lebensmittelabfällen sind sechs Jahre       Geschmacksgouvernante
  festgelegt. „Nicht jede gesellschaftliche    vergangen. Belastbare Daten über einen              der Nation.
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Klöckner: Mein Ministerium arbeitet          gemacht, konkrete Vorschläge zu unter-        zum Beispiel realistischere Portions-
bereits mit Hochdruck an einer Nationalen    breiten. Daran werde ich sie messen.          angaben auf den Verpackungen. Deshalb
Strategie zur Reduzierung von Lebens-                                                      sind mir Wahrheit, Klarheit und Vergleich-
mittelverschwendung. So wurde es auch        POSITION: Sind Zucker- und andere             barkeit auf den Verpackungen wichtig.
im aktuellen Koalitionsvertrag verankert.    Steuern auf vermeintlich ungesunde Nah-
                                             rungsbestandteile mit Ihnen machbar?          POSITION: Die Nahe, Rheinhessen und
POSITION: Eine weitere unter Ihren vielen                                                  die Pfalz – im weiteren Sinne Ihre Heimat
Ernährungsbaustellen ist die angekündig-     Klöckner: Eine Zuckersteuer klingt viel-      – sind seit jeher dem guten Essen, Trinken
te neue „Nationale Strategie für die         leicht gut, ob das aber die Fehl- und Über-   und Genuss verpflichtet. Helmut Kohl hat
Reformulierung von Lebensmitteln“, bei       ernährung verhindert, bezweifle ich.          sich dazu immer bewusst bekannt und im
deren Umsetzung Sie – wie schon Ihr Vor-     Schauen Sie mal nach Dänemark: Dort gab       Deidesheimer Hof Weltpolitik gemacht,
gänger – weiter auf freiwilliges Handeln     es eine Fettsteuer, die wieder abgeschafft    bei Saumagen und einem guten Schop-
der Industrie setzen wollen. Was ist Ihr     worden ist, weil sie nicht die gewünschte     pen. Fühlen Sie sich diesbezüglich dem
Plan B, falls das mit der Freiwilligkeit     Wirkung hatte. Eine Strafsteuer auf einzel-   Altkanzler wesensverwandt?
schiefgeht?                                  ne Inhaltsstoffe hat noch niemanden
                                             gesund gemacht. Ein zentraler Baustein ist    Klöckner: Ich mag bodenständiges, klares
Klöckner: Mein Ziel ist es, bis Ende 2018    eben eine gute Ernährungsbildung – gera-      Essen – keinen Schnickschnack. Gerne
ein Konzept für die Nationale Reduktions-    de für unsere Kinder. Daneben ist auch der    auch die sogenannte Cross-over-Küche.
und Innovationsstrategie zu erarbeiten.      Handel in der Pflicht. Er und die Ernäh-      Wein – außer in der Fastenzeit – gehört
Hierzu gab es bereits Strategiegespräche.    rungsindustrie müssen dazu beitragen,         für mich dabei immer dazu. Und für den
Hier waren von Verbraucherverbänden          dass Salz, Fett und Zucker in Fertigle-       ersten Durst ein kaltes Bier. Heimat kann
über die Wissenschaftler bis hin zu den      bensmitteln reduziert werden. Wir müssen      man schmecken!
Lebensmittelproduzenten alle beteiligt.      den Lebensstil und die Gesamtkalo rienzahl                          Das Interview führte
Dabei hat die Wirtschaft die klare Zusage    in den Blick nehmen. Auch brauchen wir                            Dr. Friedhelm Mühleib

              Claudia Zilz: Was folgt auf die blumigen Worte?
  Mit der aktuellen Bundesregierung sind viele neue – und vor allem junge – Gesichter ins Kabinett gekommen, um den längst
  überfälligen Generationenwechsel einzuläuten. Ein farblos agierender Christian Schmidt zum Beispiel wurde von der smarten Ex-
  Weinkönigin Julia Klöckner als Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft abgelöst.

  Wir erinnern uns: Die 45-Jährige war bereits von 2009 bis 2011 Parlamentarische Staatssekretärin im Ernährungsministerium.
  Damals widmete sie sich intensiv der Schulverpflegung. Nun hat sie selbst das Zepter in der Hand und will ihr Ministerium fortan
  als „Lebensministerium“ verstanden wissen, welches sich um „Die Lebensthemen der Menschen“ kümmert. Nach dem Heimat-
  kommt nun auch ein Lebensministerium, warum nicht? Dahinter steckt der Gedanke, den Lebensmitteln beziehungsweise den
  „Mitteln zum Leben“ mehr Wertschätzung zukommen zu lassen – und letztlich ihrem Ministerium. Eine längst überfällige
  Aufgabe. Erreichen will sie dies über Ernährungsbildung – ein Kernthema der frischgebackenen Bundesministerin. Kinder sollen
  von klein auf lernen, wie man sich ausgewogen ernährt. Und deshalb gehört das Thema für sie unbedingt in Kitas und Schulen
  inklusive einer vorbildlichen Verpflegung. Um dies zu erreichen, sollen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für
  Ernährung sich bundesweit auf den Tellern widerspiegeln. Ein Ziel, das es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Immerhin.

  Ihre weiteren Ziele? Die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels. Daran hatte sich bereits ihr Vorgänger versucht – erfolglos!
  Jenseits bleiben viele ihrer Reden bei schönen Worten, viel Unkonkretem und wenig Punkten zum Anecken. Ein Blick auf den
  Koalitionsvertrag verrät mehr: Das Aktionsprogramm „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr
  Bewegung“ soll mit Fokus auf Kinder- und Seniorenverpflegung weiterlaufen. Und noch bis Ende dieses Jahres – so das ambi-
  tionierte Ziel – strebt die Bundesregierung im Kampf gegen Übergewicht ein Konzept zur Reduzierung von Zucker, Fett und Salz
  in Fertigprodukten an. Schließlich will das selbst ernannte Lebensministerium nicht weniger, als
  einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil vom Acker bis zum Teller fördern. Blumige Worte,
  auf die hoffentlich starke Taten folgen.

  Zur Person: Claudia Zilz, Diplom-Agraringenieurin, ist seit zehn Jahren Redakteurin bei der
  Wirtschaftsfachzeitschrift „gv-praxis” des Deutschen Fachverlages in Frankfurt. Zuvor war sie
  fünf Jahre für ein Beratungsunternehmen in der Außer-Haus-Branche tätig.

  Kontakt: Claudia.Zilz@dfv.de

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