Jahrgangsstufenspezifischer Vergleich der motivationalen Regulation im Biologieunterricht und des individuellen Interesses an biologischen Themen ...
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– Originalbeitrag – Jahrgangsstufenspezifischer Vergleich der motivationalen Regulation im Biologieunterricht und des individuellen Interesses an biologischen Themen von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I Nadine Großmann1,2, Lisa-Maria Kaiser1, Bilal Salim, Abdul-Karim Ahmed, und Matthias Wilde1,2 1 Universität Bielefeld, Biologiedidaktik (Zoologie & Humanbiologie) 2 Universität Bielefeld, BiProfessional ZUSAMMENFASSUNG Häufig wird vom negativen Entwicklungstrend des Interesses sowie der selbstbestimmten Motivationsqualität im Verlauf der Sekundarstufe I berichtet. Studien zu diesen Entwicklungstrends, im Besonderen für das Fach Biologie, liegen jedoch nur spärlich oder veraltet vor. Die vorliegenden Querschnittsstudien untersuchten daher, ob sich die motivationalen Voraussetzun- gen von Schülerinnen und Schülern im Biologieunterricht zwischen den verschiedenen Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I unterscheiden. Hierfür wurden 845 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 9 bezüglich ihrer selbst- und fremdbe- stimmten motivationalen Regulation im Biologieunterricht sowie 1187 Schülerinnen und Schüler dieser Jahrgangsstufen be- züglich ihres individuellen Interesses an biologischen Themen befragt. Signifikante Unterschiede in der selbstbestimmten mo- tivationalen Regulation sowie im individuellen Interesse bestehen im Vergleich jeder Jahrgangsstufe mit den jeweils vorher- gehenden Jahrgangsstufen. In den vorhergehenden Jahrgangsstufen sind die selbstbestimmte motivationale Regulation sowie das individuelle Interesse höher ausgeprägt als in der jeweils untersuchten Jahrgangsstufe. Eine Ausnahme bildet der Vergleich des individuellen Interesses in der Jahrgangsstufe 9 und vorhergehenden Jahrgangsstufen. Für diesen Vergleich sowie für alle jahrgangsstufenspezifische Vergleiche der fremdbestimmten motivationalen Regulation sind keine signifikanten Unterschiede zu verzeichnen. Schlüsselwörter: Interesse, Motivation, Selbstbestimmungstheorie ABSTRACT A negative trend of interest and self-determined quality of motivation during secondary schooling is often reported. However, studies on such trends, especially for biology, are sparse or outdated. The current studies examined whether students’ motiva- tional preconditions in biology lessons differ between the grades of secondary school. In two cross-sectional studies, 845 stu- dents in grades 5 to 9 were asked about their self-determined and externally determined motivational regulation in biology lessons and 1187 students in these grades about their individual interest in biological topics. Significant differences in self- determined motivational regulation and in individual interest exist in the comparison of every grade with the respective previous grades. In the previous grades, self-determined motivational regulation and individual interest are more pronounced than in the grade being studied. An exception is the comparison of individual interest in grade 9 and previous grades. For this comparison as well as for all grade-specific comparisons of the externally determined motivational regulation, no significant differences were found. Key words: interest, motivation, self-determination theory 134
Großmann et al. (2021) 1 Einleitung verbundenen langfristigen Auseinandersetzungsbereit- schaft mit biologischen Themen nicht nur für die indi- Vielfach wird von der bedeutenden Rolle der Motiva- viduelle Zukunft der Schülerinnen und Schüler, sondern tion und des Interesses der Schülerinnen und Schüler aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz der Themen für erfolgreiche Lernprozesse berichtet (Artelt, Bau- (bspw. Bildung für nachhaltige Entwicklung, Klima- mert, Julius-McElvany & Peschar, 2003; Hattie, 2009; wandel) auch für die gesamtgesellschaftliche Entwick- Helmke, 2015; Ryan & Deci, 2017; Schiefele & lung bedeutsam (Desch, Basten, Großmann & Wilde, Schreyer, 1994). Art und Ausprägung von Motivation 2017). und Interesse wirken sich jedoch nicht nur auf die Qua- Die vorliegenden Querschnittsstudien verfolgten daher lität und den Erfolg von Lernprozessen aus, sondern das Ziel, die motivationale Regulation im Biologieun- nehmen auch Einfluss auf längerfristige Entscheidun- terricht und das individuelle Interesse an biologischen gen wie die Kurs- (Köller, Daniels, Schnabel & Bau- Themen von Schülerinnen und Schülern in den Jahr- mert, 2000) oder Berufswahl (Schiepe-Tiska, Simm & gangsstufen 5 bis 9 zu untersuchen. Ein Vergleich zwi- Schmidtner, 2016; Watt, 2016). Die Aufrechterhaltung schen den Jahrgangsstufen sollte hier Hinweise auf und Förderung von Motivation und Interesse stellen da- mögliche Unterschiede in den genannten Konstrukten her wichtige Zielgrößen von schulischem Unterricht dar liefern. (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [MSW NRW], 2015). Bisherige 2. Theoretischer und empirischer Befunde lassen jedoch nicht vermuten, dass diese Ziele Hintergrund erreicht werden. Im Verlauf der schulischen Laufbahn sind vor allem abnehmende Trends von Motivation und 2.1 Motivation in der Selbstbestimmungstheorie Interesse zu verzeichnen (Gillet, Vallerand & Lafre- Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation gliedert niere, 2012; Gottfried, Fleming & Gottfried, 2001; sich in sechs Subtheorien (Ryan & Deci, 2017). In einer Helmke, 1993; Jacobs, Lanza, Osgood, Eccles & Wig- dieser Subtheorien, der Organismic Integration Theory, field, 2002; Scherrer & Preckel, 2019; vgl. hierzu auch werden verschiedene motivationale Regulationen be- Krapp, 1998; Schiefele & Schaffner, 2015; Wild, Hofer schrieben (Ryan & Deci, 2017). Diese Regulationen be- & Pekrun, 2006). Zu berücksichtigen ist, dass diese Be- dingen, ob Handlungen intrinsisch oder extrinsisch mo- funde von Unterrichtsfach zu Unterrichtsfach variieren tiviert erfolgen (Ryan & Deci, 2017; Vallerand & Ra- können (vgl. Daniels, 2008). Für die Naturwissenschaf- telle, 2002). Ziel und Belohnung intrinsisch motivierter ten werden motivationale Orientierungen zumeist allge- Handlungen ist die Ausführung der Handlung selbst, mein und nicht fachspezifisch untersucht (Schiepe- die aus Interesse und Vergnügen aufgenommen wird Tiska, Rönnebeck et al., 2016). Werden motivationale (Deci, Koestner & Ryan, 1999; Ryan & Deci, 2017; Va- Orientierungen fachspezifisch untersucht, liegen Be- llerand & Ratelle, 2002). Wird ein von der Handlung funde im Besonderen für die „harten“ Naturwissen- trennbares Ziel verfolgt, gilt eine Handlung als extrin- schaften und nur selten für den Biologieunterricht vor sisch motiviert (Ryan & Deci, 2017). Eine extrinsisch (Schiepe-Tiska, Rönnebeck et al., 2016; Wendt et al., motivierte Handlung kann auf vier verschiedene Arten 2016). Liegen biologiespezifische Befunde vor, sind reguliert werden (external, introjiziert, identifiziert, in- diese nur wenig aktuell (bspw. Daniels, 2008; Löwe, tegriert; Ryan & Deci, 2017). Die hierfür beschriebenen 1987). Zu berücksichtigen ist hier, dass die Datenerhe- Regulationstypen unterscheiden sich im Grad der wahr- bung der BIJU-Studie, die von Daniels (2008) herange- genommenen Selbstbestimmung (Vallerand & Ratelle, zogen wird, in den Jahren 1991 bis 1996 erfolgte. Auf- 2002). Die am stärksten fremdbestimmte Form extrin- grund gesellschaftlicher Entwicklungen ist zu vermu- sischer Motivation ist die externale Regulation (Valle- ten, dass diese Befunde nicht auf die heutige Zeit über- rand & Ratelle, 2002). Eine Handlung wird external re- tragbar sind. Die altersspezifischen motivationalen Vo- guliert, wenn Belohnungen angestrebt oder Bestrafun- raussetzungen im Biologieunterricht zu kennen ist be- gen vermieden werden sollen (Vallerand & Ratelle, deutsam, um an entsprechenden Stellen intervenieren 2002). Eine introjiziert regulierte Handlung wird als und die Motivation sowie das Interesse von Schülerin- Verpflichtung erlebt und würde bei Nichtausführung zu nen und Schülern fördern zu können. Zudem ist die För- Scham- und Schuldgefühlen führen (Ryan & Deci, derung von Motivation und Interesse und einer damit 2017; Vallerand & Ratelle, 2002). Hierbei werden Nor- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 135 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) men und Werte aus der Umgebung übernommen, je- & Melenk, 2009; Thomas & Müller, 2014; Ryan & doch nicht vom Individuum selbst befürwortet (Ryan & Deci, 2017). Deci, 2017; Vallerand & Ratelle, 2002). Bei einer iden- Nach der handlungsspezifischen Betrachtungsweise tifiziert regulierten Handlung kann sich das Individuum von Motivation wird in den folgenden theoretischen mit den Zielen der Handlung identifizieren und erkennt Annahmen das Objekt fokussiert. Die grundlegenden den Nutzen der Handlungsausführung (Ryan & Deci, Annahmen der Person-Gegenstands-Theorie des Inte- 2017; Vallerand & Ratelle, 2002). Trotz persönlicher resses werden dargestellt. Bedeutsamkeit können die Ziele der Handlung aber im- mer noch von den Zielen, die das Individuum aufgrund 2.2 Interesse in der Person-Gegenstands-Theorie persönlicher Werte und Überzeugungen verfolgt, ge- Dem Interesse eines Individuums kommt eine bedeu- trennt werden (Ryan & Deci, 2017; Vallerand & Ra- tende Rolle in Prozessen des Lernens und Lehrens zu telle, 2002). Stimmen die Ziele der Handlung mit diesen (Krapp, 1998; Schiefele & Schaffner, 2015). Interesse Zielen überein, wird die Handlung als selbstbestimmt wird als Person-Gegenstands-Beziehung definiert (Hidi wahrgenommen und als integriert reguliert beschrieben & Harackiewicz, 2000; Krapp, 1992, 1998, 1999). Als (Ryan & Deci, 2017; Vallerand & Ratelle, 2002). Gegenstand werden hier tatsächliche Objekte sowie Bei der Betrachtung intrinsischer und extrinsischer Mo- auch Themen, Tätigkeiten oder subjektive Konstruktio- tivation ist zu berücksichtigen, dass diese in früheren nen verstanden (Krapp, 1992, 1999). Hat ein Indivi- Arbeiten kontrastierend gegenübergestellt und als Ge- duum Interesse an einem Gegenstand, ist die Auseinan- gensätze beschrieben wurden (Ryan & Deci, 2002). dersetzung mit dem Gegenstand von drei Qualitäten ge- Diese Sichtweise wird in der Selbstbestimmungstheorie prägt: Dem Gegenstand wird ein hoher Wert zuge- nicht mehr vertreten (Ryan & Deci, 2017). Die einzel- schrieben und positive Emotionen werden in der Inter- nen Regulationstypen der extrinsischen Motivation so- aktion erlebt (wertbezogene und emotionale Valenz; wie die intrinsische Regulation werden als koexistie- Krapp, 1999; Renninger & Hidi, 2016; Schiefele, Pren- rend beschrieben und können in einer Aktivität gleich- zel, Krapp, Heiland & Kasten, 1983). Zudem strebt das zeitig wirksam sein (Chemolli & Gagné, 2014; Kaiser, Individuum in der Interaktion danach, mehr über den Großmann & Wilde, 2020; Ryan & Deci, 2017). Gegenstand zu erfahren (epistemische Tendenz; Krapp, Für die Entstehung einer selbstbestimmten motivationa- 1999; Renninger & Hidi, 2016; Schiefele et al., 1983). len Regulation wird eine Befriedigung der psychologi- Erlebt ein Individuum diese Qualitäten in der Interak- schen Grundbedürfnisse nach sozialer Eingebunden- tion mit dem Gegenstand, kann tiefgreifendes Wissen heit, Kompetenz und Autonomie als essentiell beschrie- aufgebaut werden und eine freiwillige und selbstbe- ben (Ryan & Deci, 2017). Diese Grundbedürfnisse, die stimmte Erweiterung des Wissens stattfinden (Krapp, jedem Individuum angeboren sind und nach deren Be- 1998, 1999). Der Aufbau von tiefgreifendem Wissen friedigung jedes Individuum strebt, sind in einer weite- wird zumeist auf eine erhöhte Aufmerksamkeit und ren Subtheorie der Selbstbestimmungstheorie, der Ba- Konzentration sowie auf den Einsatz tiefenverarbeiten- sic Psychological Needs Theory, verankert (Ryan & der Lernstrategien (z. B. Elaborieren) zurückgeführt Deci, 2017). Die Grundbedürfnisse beschreiben, dass (Krapp, 2010; Renninger & Hidi, 2016; Wild, 2000). Individuen in Interaktion mit bedeutsamen anderen In- Die beschriebenen Qualitäten können nicht nur in der dividuen treten und sich in der Auseinandersetzung mit Interaktion mit dem Gegenstand erlebt werden. Auch ihrer Umwelt als kompetent erleben möchten (Ryan & situationsunabhängig kann Interessensgegenständen Deci, 2017). Darüber hinaus streben Individuen danach, ein hoher Wert zugeschrieben, positive Emotionen ge- Wahlfreiheit und Freiwilligkeit in ihren Handlungen genüber ihnen erlebt sowie der Wunsch nach einer wei- wahrzunehmen und diese Handlungen als selbst verur- teren Auseinandersetzung mit diesen Gegenständen sacht zu erleben (Reeve, 2002, 2015; Ryan & Deci, verspürt werden (Renninger & Hidi, 2016). 2017). Eine Befriedigung der Grundbedürfnisse stellt Je nach Situations(un)abhängigkeit unterteilen Rennin- eine wesentliche Bedingung zur Entstehung selbstbe- ger und Hidi (2016) sowie Krapp (1992) Interesse in in- stimmt motivierter Handlungen dar (Großmann & dividuelles und situationales Interesse. Individuelles In- Wilde, im Druck; Haerens, Aelterman, Vansteenkiste, teresse wird als motivationale Disposition beschrieben Soenens & Van Petegem, 2015; Hofferber, Basten, und ist daher als persistent und stabil zu charakterisie- Großmann & Wilde, 2016; Mittag, Bieg, Hiller, Metz ren (Hidi & Anderson, 1992; Renninger & Hidi, 2016; ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 136 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) Vogt, 2007). Liegt individuelles Interesse vor, hat das Für das individuelle Interesse an Fächern und schuli- Individuum eine zeit- und situationsübergreifende Prä- schen Inhalten wird eine Abnahme im Verlauf der ferenz für einen Interessensgegenstand entwickelt Schullaufbahn beschrieben (Krapp, 1998; Schiefer, Be- (Krapp, 1992). Situationales Interesse ist hingegen we- cker & Artelt, 2018; Todt & Schreiber, 1998). Im Be- niger stabil, tritt kurzfristig auf und kann auch ohne vor- reich der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer liegendes individuelles Interesse entstehen (Krapp, zeigen sich die abnehmenden Trends hinsichtlich des 1992, 2010; Renninger & Hidi, 2016). Wird vermehrt individuellen Interesses im Besonderen in den Fächern situationales Interesse erlebt, wird die Entstehung indi- Chemie, Physik und Mathematik (Krapp, 1998; Schie- viduellen Interesses begünstigt (Krapp, 1992). Der fele & Schaffner, 2015), sind jedoch auch im individu- wahrgenommenen Befriedigung der psychologischen ellen Interesse an biologischen Themen zu erkennen Grundbedürfnisse im Sinne der Selbstbestimmungsthe- (Daniels, 2008; Löwe, 1987). Löwe (1987) zeigt eine orie wird auch in der Entwicklung von situationalem Interessenabnahme im Biologieunterricht für die Jahr- und individuellem Interesse eine zentrale Rolle zuge- gangsstufen 3 bis 10 auf, während Daniels (2008) be- schrieben (Großmann & Wilde, 2020; Krapp, 2002, richtet, dass das individuelle Interesse am Fach Biolo- 2005; Vogt, 2007). gie von der 7. bis zur 10. Jahrgangsstufe einem negati- Sowohl das Interesse als auch die motivationale Regu- ven Entwicklungstrend folgt. Studien zur Untersuchung lation von Schülerinnen und Schülern sind für den schu- der handlungsbezogenen Motivation zeigen analoge Er- lischen Kontext von besonderer Bedeutung (für eine gebnisse. Zusammenfassung: Schiefele & Schaffner, 2015). In Selbstbestimmte Motivationsqualitäten nehmen mit zu- diesem Kontext werden beide Konstrukte im folgenden nehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler ab Abschnitt betrachtet. (Gillet et al., 2012; Gottfried et al., 2001; vgl. hierzu auch Corpus et al., 2009). Gottfried et al. (2001) zeigen 2.3 Motivation und Interesse in der Schule einen besonders starken Verfall der selbstbestimmten Motivation und Interesse wirken sich wesentlich auf Motivationsqualitäten in den naturwissenschaftlichen den Lernerfolg und eine längerfristige Auseinanderset- Fächern in der frühen Adoleszenz auf. Wie bereits Gil- zungsbereitschaft mit einem Gegenstand aus (Ryan & let et al. (2012) berichten, ist die Befundlage für fremd- Deci, 2017; Schiefele & Schaffner, 2015). Studien bestimmte Motivationsqualitäten weniger eindeutig als konnten bspw. positive Effekte von individuellem Inte- die Befundlage zur selbstbestimmten Motivationsquali- resse auf den Einsatz von Lernstrategien (Wild, 2000) tät. Buff (2001) zeigt in seiner qualitativen Studie eine sowie die schulische Leistung (Schiefele, Krapp & Zunahme fremdbestimmter Motivationsqualitäten auf Schreyer, 1993) von Schülerinnen und Schülern nach- während Lepper, Corpus und Iyengar (2005) keinen Ef- weisen. Eine selbstbestimmte Motivationsqualität kann fekt des Alters auf diese Motivationsqualitäten in ihrer sich positiv auf die Behaltensleistung (Ryan, Conell & quantitativen Erhebung feststellen konnten. Im Gegen- Plant, 1990) sowie ebenfalls auf die schulische Leistung satz zu diesen beiden Studien berichten Otis, Grouzet (Corpus, McClintic-Gilbert & Hayenga, 2009; Gott- und Pelletier (2005) eine Zunahme der fremdbestimm- fried, 1990) von Schülerinnen und Schülern auswirken. ten Motivationsqualitäten für Schülerinnen und Schüler Zu berücksichtigen ist, dass sich individuelles Interesse zwischen 13 und 15 Jahren. Diese Zunahme wird auch im Kontext Schule auf verschiedene Gegenstände, wie von Gillet et al. (2012) dargestellt, allerdings nur bis zu das Fach oder die Themen und Methoden eines Fachs, einem Alter von 12 Jahren. Sie sehen den Grund dieser beziehen kann. In der vorliegenden Studie wird das in- uneinheitlichen Befundlage vor allem in der unter- dividuelle Interesse an biologischen Themen fokussiert, schiedlichen Messung der fremdbestimmten Motivati- das auch als persönliches Interesse (Mitchell, 1993; Pal- onsqualität (Gillet et al., 2012). mer, 2009) oder Sachinteresse (Hoffmann, Häußler & Obwohl zusammenfassend feststellbar ist, dass die Lehrke, 1998) bezeichnet wird und nicht gleichbedeu- selbstbestimmte Motivationsqualität und das individu- tend mit dem individuellen Interesse am Schulfach ist, elle Interesse einem abnehmenden Trend im Verlauf der das mit dem Selbstkonzept der Schülerinnen und Schü- Sekundarstufe I folgen, liegen die meisten Befunde nur ler und den Merkmalen des Unterrichts wie dem Lern- fachunspezifisch (bspw. Gillet et al., 2012; Jacobs et al., klima oder der Unterrichtsform einhergeht (Häußler & 2002) oder für das Fach Biologie wenig aktuell (bspw. Hoffmann, 2002; Hoffmann et al., 1998). Daniels, 2008; Löwe, 1987) vor. Es ist zu vermuten, ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 137 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) dass das Fach Biologie keine Ausnahme von diesen Aktualität und Fachspezifität geprüft werden. Zur Ge- Trends darstellt, jedoch könnten gesellschaftliche Ent- staltung derartiger Maßnahmen ist es darüber hinaus wicklungen Einfluss auf die heutige Ausprägung und von Bedeutung, mögliche Ursachen für den Verlauf Entwicklung von Interesse und Motivation in den Fä- motivationaler Qualitäten zu identifizieren. Diese Ursa- chern nehmen. Seit der Studie von Löwe (1987) und chen werden im folgenden Abschnitt fokussiert. Daniels (2008) hat sich die Stellung der Biologie in der Gesellschaft deutlich verändert. Themen wie bspw. der 2.4 Mögliche Ursachen einer Veränderung von Mo- Klimawandel oder Bildung für nachhaltige Entwick- tivation und Interesse im Verlauf der Schullaufbahn lung haben an Popularität gewonnen (vgl. Fuchs, 2010; Veränderungen von Motivation und Interesse im Ver- Weber, 2008). Derartige Entwicklungen können Ein- lauf der Schullaufbahn können durch verschiedene per- fluss auf die Interessensentwicklung nehmen. Schüle- sonenbezogene Faktoren sowie Bedingungen der schu- rinnen und Schüler, die ein nur geringes individuelles lischen Umwelt verursacht werden, die bspw. von Da- Interesse an biologischen Themen haben, könnten niels (2008) und Schiefele und Schaffner (2015) zusam- bspw. aufgrund der Bewegung Fridays for future und mengefasst werden. Daniels (2008) stellt u. a. heraus, einer damit einhergehenden zunehmenden Auseinan- dass eine zunehmende Differenzierung von individuel- dersetzung mit dem Klimawandel, in der sie möglicher- len Interessen sowie das Entstehen von außerschuli- weise eine positive emotionale und wertbezogene Va- schen Interessen, die mit den schulischen Interessen in lenz gegenüber biologischen Themen erleben, ein indi- Konkurrenz treten, als Ursachen für vorliegende Be- viduelles Interesse an biologischen Themen wie bspw. funde zum Verlauf des Interesses, aber auch der Moti- dem Erhalt der Biodiversität entwickeln. Hinsichtlich vation herangezogen werden können (vgl. Schiefele & der Motivationsqualität kann es sein, dass ein Internali- Schaffner, 2015). Haben Schülerinnen und Schüler dif- sierungsprozess durch diese gesellschaftlichen Ent- ferenzierte individuelle Interessen ausgebildet, könnte wicklungen angestoßen wird (vgl. Ryan & Deci, 2017). es sein, dass in den nicht den eigenen Interessen ent- Schülerinnen und Schüler, die vorwiegend external im sprechenden Fächern vor allem externale Regulations- Biologieunterricht reguliert sind, könnten bspw. auf- mechanismen das Lernen bestimmen und in der Folge grund erlebter Verpflichtung oder aufgrund des sozia- vermehrt fremdbestimmt motiviert gehandelt wird len Umfelds beginnen, an der Bewegung Fridays for fu- (Wild & Hofer, 2000). ture teilzunehmen. Bei vermehrter Auseinandersetzung Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die Stage-En- mit dem damit verbundenen Thema „Klimawandel“ so- vironment-Fit-Theorie (Eccles et al., 1993; vgl. Da- wie dem biologiespezifischen Thema „Biodiversität“ niels, 2008; Schiefele & Schaffner, 2015). In dieser beginnen sie vielleicht den Wert biologischer Themen Theorie wird angenommen, dass die Ausprägung der für das Leben auf der Erde wertzuschätzen und handeln Motivation durch die Passung zwischen dem schuli- forthin vermehrt identifiziert reguliert (vgl. Ryan & schen Umfeld und den psychologischen Bedürfnissen Deci, 2017). Hinsichtlich der Themen im Fach Biologie der Schülerinnen und Schüler erklärt werden kann. Eine ist zudem zu berücksichtigen, dass diese sich häufig mangelnde Passung kann daher erstens auf verschie- dem eigenen Körper der Schülerinnen und Schüler wid- dene Ursachen des schulischen Umfelds wie verwehrte men und daher als besonders bedeutsam und interessant Selbstbestimmung und Wahlfreiheit im Unterricht (Da- wahrgenommen werden können (Großmann & Wilde, niels, 2008; Eccles et al., 1993; Gillet et al., 2012; 2020). Allerdings trifft dies nicht auf alle humanbiolo- Schiefele & Schaffner, 2015), herrschende kontrollie- gischen Themen gleichermaßen zu. Dietze et al. (2005) rende Bedingungen und restriktive Lernumgebungen fanden bspw. ein zunehmendes individuelles Interesse (Daniels, 2008; Eccles et al., 1993; Schiefele & Schaff- an Themen der Neuro- und Entwicklungsbiologie mit ner, 2015) sowie wenig wertschätzende Beziehungen zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler, zur Lehrperson zurückgeführt werden (Daniels, 2008; während Themen, die den Metabolismus betreffen, von Eccles et al., 1993). Aus der Perspektive der Selbstbe- den untersuchten Schülerinnen und Schülern unabhän- stimmungstheorie (Ryan & Deci, 2017) können diese gig vom Alter als uninteressant wahrgenommen wur- Lernumgebungen als kontrollierend und unter Druck den. setzend beschrieben werden und zu einer Frustration Um im Biologieunterricht auf den Verlauf von Motiva- der Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler nach so- tion und Interesse angemessen reagieren zu können, zialer Eingebundenheit, Kompetenz und Autonomie müssen vorliegende Befunde daher zunächst auf ihre führen (vgl. Kaiser, Großmann & Wilde, 2020; Daniels, ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 138 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) 2008; Großmann, 2020). Eine zunehmende Frustration grund der vorliegenden Befunde und theoretischen Er- dieser Bedürfnisse kann nicht nur eine Veränderung der örterungen wird angenommen, dass die Domäne Biolo- Motivation, sondern zugleich eine Veränderung des si- gie keine Ausnahme darstellt und entsprechend Unter- tuationalen und individuellen Interesses hervorrufen schiede zwischen den Jahrgangsstufen in der selbstbe- (Krapp, 2005; Ryan & Deci, 2017; Vogt, 2007). Zwei- stimmten motivationalen Regulation im Biologieunter- tens kann eine mangelnde Passung gemäß der Stage- richt sowie im individuellen Interesse an biologischen Environment-Fit-Theorie auf die Bedürfnisse der Schü- Themen bestehen. lerinnen und Schüler zurückgeführt werden (Eccles et Für fremdbestimmte Motivationsqualitäten gestaltet al., 1993). Es kann daher sein, dass eine Veränderung sich die Befundlage weniger einheitlich (Gillet et al., der Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler bei 2012). Für diese Motivationsqualitäten werden je nach gleichbleibendem schulischen Umfeld eine Verände- eingesetztem Messinstrument und Forschungsansatz fä- rung der Motivation und des Interesses hervorruft cherübergreifende zunehmende, abnehmende oder gar (Eccles et al., 1993). keine Trends berichtet (Buff, 2010; Gillet et al., 2012; Werden die abnehmende selbstbestimmte Motivation Lepper et al., 2005; Otis et al., 2005). Da die Erfassung sowie das abnehmende individuelle Interesse durch der fremdbestimmten motivationalen Regulation in der eine Frustration der Bedürfnisse nach sozialer Einge- vorliegenden Studie der Erfassung von Gillet et al. bundenheit, Kompetenz und Autonomie verursacht, (2012) ähnlich ist, gehen unsere Annahmen für diese können autonomieförderliche Maßnahmen im Unter- Regulation auf die genannte Studie zurück. richt implementiert werden, um diesem Trend entge- genzuwirken (Großmann, 2020; Reeve, 2015). Diese H1a) Die selbstbestimmte motivationale Regulation im Maßnahmen werden in den Implikationen für die schu- Biologieunterricht ist im Vergleich der Jahrgangsstufen lische Praxis ausführlicher betrachtet. Eine Autono- der Sekundarstufe I in den vorhergehenden Jahrgangs- mieförderung im Unterricht kann u. a. Bedeutsamkeit stufen höher ausgeprägt als in der jeweils untersuchten eines Gegenstands im Unterricht hervorrufen sowie zu- Jahrgangsstufe. gleich die Wahrnehmung eigener Wirksamkeit fördern (Großmann, 2020; Großmann & Wilde, 2020; Groß- H1b) Die fremdbestimmte motivationale Regulation im mann, Eckes & Wilde, 2020; Reeve, 2015). Befunde Biologieunterricht ist im Vergleich der Jahrgangsstufen von Jacobs et al. (2002) bestätigen, dass diese die Mo- der Sekundarstufe I in allen untersuchten Jahrgangsstu- tivation und auch das Interesse bedingenden Variablen fen vergleichbar ausgeprägt. analog zur Motivation im Verlauf der schulischen Lauf- bahn abnehmen. Eine geringe Motivation und ein man- H2) Das individuelle Interesse an biologischen Themen gelndes Interesse könnte demnach zuletzt auf eine feh- ist im Vergleich der Jahrgangsstufen der Sekundar- lende Alltagsrelevanz und Bedeutsamkeit der schuli- stufe I in den vorhergehenden Jahrgangsstufen höher schen Gegenstände sowie auf eine gering wahrgenom- ausgeprägt als in der jeweils untersuchten Jahrgangs- mene Fähigkeit zurückgeführt werden (Daniels, 2008; stufe. Schiefele & Schaffner, 2015). 4 Methode 3 Hypothesen 4.1 Stichprobe Theoretisch und empirisch werden zumeist negative Achthundertfünfundvierzig Schülerinnen und Schüler Entwicklungstrends selbstbestimmter Motivationsqua- der Jahrgangsstufen 5 bis 9 nahmen an der ersten Quer- litäten und des individuellen Interesses im Verlauf der schnittsstudie (motivationale Regulation) teil, während Schulzeit beschrieben (Gillet et al., 2012; Gottfried et 1187 Schülerinnen und Schüler dieser Jahrgangsstufen al., 2001; Helmke, 1993; Jacobs et al., 2002; Scherrer in der zweiten Querschnittsstudie (individuelles Inte- & Preckel, 2019; vgl. hierzu auch Krapp, 1998; Schie- resse) untersucht wurden. Das Durchschnittsalter sowie fele & Schaffner, 2015; Wild et al., 2006). Im Besonde- die vorliegende Geschlechterverteilung innerhalb der ren fehlen für derartige Trends jedoch aktuelle empiri- Jahrgangsstufen können Tabelle 1 entnommen werden. sche Befunde für das Fach Biologie. Vor dem Hinter- Innerhalb eines Jahres (2018-2019) erfolgte die Erhe- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 139 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) Tabelle 1 Durchschnittsalter sowie vorliegende Geschlechterverteilungen innerhalb der Jahrgangsstufen separat darge- stellt für die Studien 1 und 2 Studie 1 Studie 2 Anteil Schülerinnen Anteil Schülerinnen Jahrgang MAlter (SDAlter) MAlter (SDAlter) (%) (%) 5 10.67 (0.67) Jahre 40 10.91 (0.61) Jahre 52 6 11.67 (0.57) Jahre 58 11.50 (0.64) Jahre 49 7 12.80 (0.71) Jahre 56 12.77 (0.73) Jahre 51 8 13.78 (0.76) Jahre 44 13.86 (0.74) Jahre 49 9 14.92 (0.74) Jahre 56 14.79 (0.77) Jahre 54 bung der Daten im Regelunterricht im Fach Biologie an Frey et al., 2009; s. Anhang). Mit der Skala wird eine Gymnasien (Studie 1: 34%; Studie 2: 15%), Gesamt- überdauernde Art von Interesse erfasst, das sich nicht schulen (Studie 1: 66%; Studie 2: 44%) und Realschu- auf eine bestimmte Person-Objekt-Interaktion bezieht len (Studie 2: 41%) in Nordrhein-Westfalen. 41% und die Verflechtung von kognitiven und emotionalen der Schülerinnen und Schüler haben nur den Frage- Faktoren des individuellen Interesses berücksichtigt bogen zum individuellen Interesse ausgefüllt, währ- (vgl. Alexander & Grossnickle, 2009). Fünf Items wer- end 17% der Schülerinnen und Schüler nur den den hier anhand der bereits genannten fünfstufigen Ra- Fragebogen zur motivationalen Regulation bearbeitet tingskala eingeschätzt. Mit einem Cronbachs Alpha haben. 42% der Schülerinnen und Schüler haben beide Wert von α = .86 ist die interne Konsistenz als zufrie- Fragebögen ausgefüllt. Die Stichproben sind daher denstellend zu bewerten. nicht vergleichbar und wurden separat voneinander aus- gewertet. 4.3 Statistische Auswertung Zunächst wurde die selbst- und fremdbestimmte moti- 4.2 Messinstrumente vationale Regulation anhand der Mittelwerte der vier 4.2.1 Motivationale Regulation. Zur Erfas- Subskalen des Fragebogens SMR-L (Thomas & Müller, sung der motivationalen Regulation im Biologieunter- 2016) bestimmt. Hierzu wurden die Subskalen intrin- richt wurde eine adaptierte Version des Fragebogens sisch und identifiziert zur selbstbestimmten motivatio- Self-Regulation Questionnaire - Academic nach Ryan nalen Regulation zusammengefasst, während mit den und Connell (1989) verwendet (Skalen zur motivationa- Subskalen introjiziert und external die fremdbestimmte len Regulation beim Lernen; SMR-L; Thomas & Müller, motivationale Regulation abgebildet wurde (vgl. Che- 2016). Mit vier Subskalen wird hier anhand einer fünf- molli & Gagné, 2014; Vansteenkiste et al., 2010). Für stufigen Ratingskala (0=stimmt gar nicht bis 4=stimmt den jahrgangsstufenspezifischen Vergleich wurden so- völlig) untersucht, warum Schülerinnen und Schüler im wohl für die selbst- und fremdbestimmte motivationale Biologieunterricht lernen: …weil es mir Spaß macht Regulation als auch für das individuelle Interesse Kova- (intrinsisch, 3 Items; Cronbachs α = .85); …weil ich den rianzanalysen mit anschließenden Kontrastanalysen Stoff verstehen möchte (identifiziert; 3 Items; α = .76); verwendet. Als Kovariate wurde das Geschlecht in den …weil ich mich sonst schämen würde (introjiziert; 4 Analysen der fremdbestimmten motivationalen Regula- Items; α = .72); …weil meine Eltern es von mir verlan- tion und dem individuellen Interesse berücksichtigt. In gen (external; 3 Items; α = .69). die Analyse der selbstbestimmten motivationalen Regu- lation wurde das Geschlecht nicht einbezogen, da diese 4.2.2 Individuelles Interesse an biologischen The- Variablen nicht signifikant korrelieren (r = -.046, men. Das individuelle Interesse an biologischen The- p = .179). Eine wichtige Voraussetzung zur Integration men wurde mithilfe einer für den Biologieunterricht einer Kovariate ist damit nicht erfüllt (Field, 2016). Mit adaptierten Skala aus den PISA Untersuchungen erho- der fremdbestimmten motivationalen Regulation ben (Freude und Interesse an den Naturwissenschaften, (r = .124; p < .001) sowie dem individuellen Interesse ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 140 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) Tabelle 2 Mittelwerte (M) sowie Standardabweichung (SD) der selbst- und fremdbestimmten motivationalen Regulation im Biologieunterricht in den untersuchten Jahrgangsstufen mit zugehöriger Stichprobengröße und Klassenanzahl selbstbestimmte motivationale fremdbestimmte motivationale Jahrgang Regulation Regulation M (SD) M (SD) 5 (n=99; 4 Klassen) 2.88 (0.75) 1.32 (0.88) 6 (n=133; 6 Klassen) 2.56 (0.70) 1.11 (0.79) 7 (n=181; 8 Klassen) 2.07 (0.98) 1.10 (0.73) 8 (n=236; 10 Klassen) 1.98 (0.91) 1.21 (0.79) 9 (n=196; 8 Klassen) 1.93 (0.94) 1.17 (0.82) (r = -.058; p < .05) korreliert das Geschlecht signifi- geführt, da die Varianzanalyse keine statistisch bedeut- kant. Kontrastanalysen werden angewandt, wenn a-pri- samen Unterschiede im Vergleich aller Jahrgangsstufen ori-Hypothesen vorliegen (Bühner & Ziegler, 2009; aufzeigte (vgl. Field, 2016). Field, 2016). Ein Vorteil dieser Analysen ist die im Ver- gleich zu ungerichteten Testungen (bspw. post-hoc-Te- 5 Ergebnisse stungen) höhere Teststärke bei vorliegenden gerichteten Hypothesen (Bühner & Ziegler, 2009; Field, 2016). Bei 5.1 Motivationale Regulation (Studie 1) dem für die zu testenden Hypothesen gewählten umge- Die Ergebnisse der Varianzanalyse zeigten einen signi- kehrten Helmert-Kontrast wird der Mittelwert einer fikanten Unterschied in der selbstbestimmten motivati- Jahrgangsstufe mit dem Mittelwert aller vorhergehen- onalen Regulation im Vergleich der Jahrgangsstufen den Jahrgangsstufen verglichen (vgl. Bühner & Ziegler, auf (F(4, 840) = 29.09, p < .001, η² = .12). Für die 2009). Die Signifikanztestungen im Rahmen dieser fremdbestimmte motivationale Regulation konnte kein Kontrastanalysen wurden aufgrund der nicht gegebenen signifikanter Unterschied im Vergleich der Jahrgangs- Varianzhomogenität für die selbstbestimmte motivatio- stufen mittels Varianzanalyse festgestellt werden nale Regulation und das individuelle Interesse korri- (F(4, 840) = 1.24, p = ns). Die Mittelwerte mit zugehö- giert (Tabelle 3 und 4). Kontrastanalysen wurden für die riger Standardabweichung für beide Regulationen kön- fremdbestimmte motivationale Regulation nicht durch- nen Tabelle 2 entnommen werden. Die Kovariate Ge- Tabelle 3 Ergebnisse der Kontrastanalysen für die selbstbestimmte motivationale Regulation Kontrast t p Hedges g Jgst. 6 vs. 5 t(840) = 3.36 < .001 0.45 Jgst. 7 vs. 5, 6 t(840) = 7.39 < .001 0.73 Jgst. 8 vs. 5, 6, 7 t(840) = 7.32 < .001 0.49 Jgst. 9 vs. 5, 6, 7, 8 t(840) = 5.88 < .001 0.36 Anmerkung. Aufgrund der unterschiedlich großen Gruppen wurde eine Korrektur der Effektstärke nach Hedges vorgenommen (vgl. Hedges & Olkin, 1985). ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 141 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) Tabelle 4 Mittelwerte (M) sowie Standardabweichung (SD) des individuellen Interesses an biologischen Themen in den un- tersuchten Jahrgangsstufen mit zugehöriger Stichprobengröße und Klassenanzahl sowie Ergebnisse der Kon- trastanalysen Jahrgangsstufe M (SD) Kontrast t p Hedges g 5 (n=139; 6 Klassen) 2.49 (0.96) -- -- -- -- 6 (n=271; 12 Klassen) 2.24 (1.00) Jgst. 6 vs. 5 t(1181) = 2.65 < .05 0.26 7 (n=165; 7 Klassen) 1.87 (0.91) Jgst. 7 vs. 5, 6 t(1181) = 5.78 < .001 0.47 8 (n=247; 11 Klassen) 1.95 (0.85) Jgst. 8 vs. 5, 6, 7 t(1181) = 3.57 < .001 0.26 9 (n=366; 16 Klassen) 2.08 (0.88) Jgst. 9 vs. 5, 6, 7, 8 t(1181) = 1.10 ns 0.05 Anmerkung. Aufgrund der unterschiedlich großen Gruppen wurde eine Korrektur der Effektstärke nach Hedges vorgenommen (vgl. Hedges & Olkin, 1985). schlecht zeigte einen signifikanten Einfluss auf die jedoch zu berücksichtigen, dass die ermittelte Effekt- fremdbestimmte motivationale Regulation stärke auf keinen bzw. keinen praktisch bedeutsamen (F(1, 840) = 11.71, p = .001, η² = .01). Zu berücksich- Einfluss hindeutet (Cohen, 1988; Hattie, 2009). Um die tigen ist hier, dass die ermittelte Effektstärke auf einen Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgangsstufen sehr kleinen bzw. keinen praktisch bedeutsamen Ein- prüfen zu können, wurden im Anschluss an die Vari- fluss hindeutet (Cohen, 1988; Hattie, 2009). anzanalyse Kontrastanalysen angewandt. Die Mittel- Die Ergebnisse der anschließenden Kontrastanalysen werte des individuellen Interesses in den einzelnen für den Vergleich der selbstbestimmten motivationalen Jahrgangsstufen mit zugehöriger Standardabweichung Regulation der einzelnen Jahrgangsstufen mit den je- sowie die Ergebnisse dieser Kontrastanalysen sind in weils vorhergehenden Jahrgangsstufen können Tabelle Tabelle 4 aufgeführt. 3 entnommen werden. Dieser Vergleich fiel für alle un- Die Mittelwerte des individuellen Interesses an biologi- tersuchten Jahrgangsstufen signifikant aus. Kleine bis schen Themen unterschieden sich im Vergleich der mittlere Effekte können für diese Vergleiche verzeich- Jahrgangsstufen 6, 7 und 8 mit den jeweils vorherge- net werden (Cohen, 1988). henden Jahrgangsstufen signifikant. Die ermittelten Ef- fektstärken sind als klein bis mittel zu charakterisieren 5.2 Individuelles Interesse (Studie 2) (Cohen, 1988). Der Vergleich zwischen der 9. Jahr- Die Ergebnisse der Varianzanalyse zeigten signifikante gangsstufe und den vorhergehenden Jahrgangsstufen Unterschiede hinsichtlich des individuellen Interesses fiel nicht signifikant aus. an biologischen Themen im Vergleich der Jahrgangs- stufen auf (F(4, 1182) = 12.31, p < .001, η² = .04). Für 6 Diskussion die Kovariate Geschlecht konnten signifikante Auswir kungen auf das individuelle Interesse festgestellt wer- Ziel der vorliegenden Querschnittstudien war es, die den (F(1, 1182) = 4.28, p < .05, η² = .00). Auch hier ist motivationalen Voraussetzungen von Schülerinnen und ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 142 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) Schülern der Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I zu Alltag fehlen (vgl. Daniels, 2008; Großmann, 2020; beschreiben sowie mögliche Unterschiede in diesen Schiefele & Schaffner, 2015). Selbstbestimmung der Voraussetzungen im Vergleich dieser Jahrgangsstufen Schülerinnen und Schüler anstelle von Kontrolle durch zu identifizieren. Bezüglich der selbstbestimmten moti- die Lehrperson sowie eine Wahrnehmung der Bedeut- vationalen Regulation im Biologieunterricht sowie des samkeit der Unterrichtsgegenstände können durch die individuellen Interesses an biologischen Themen konn- Implementation autonomieförderlicher Maßnahmen er- ten Unterschiede im Vergleich der Jahrgangsstufen zu- möglicht werden, die in den Implikationen für die schu- gunsten der jüngeren Schülerinnen und Schüler festge- lische Praxis ausführlicher dargestellt werden (vgl. stellt werden (Hypothesen 1a und 2). Für die fremdbe- Großmann, 2020; Reeve, 2015). Zu berücksichtigen ist, stimmte motivationale Regulation sind derartige Unter- dass nicht nur die Gestaltung der Lernumgebung, son- schiede nicht zu finden (Hypothese 1b). Deskriptiv ist dern zugleich die unterrichtenden Lehrpersonen und darüber hinaus erkennbar, dass die Ausprägung der Peers das schulische Umfeld der Schülerinnen und selbstbestimmten motivationalen Regulation und des Schüler konstituieren (vgl. Reeve, 2015). Damit ver- individuellen Interesses in der 5. Jahrgangsstufe im bundene Veränderungen (z. B. Lehrpersonenwechsel) weiteren Verlauf der schulischen Laufbahn nicht mehr können daher ebenfalls eine Veränderung der Motiva- erreicht wurde. tion hervorrufen. Zweitens kann eine Veränderung der Hinsichtlich der selbstbestimmten motivationalen Re- Bedürfnisse und damit einhergehend die Wahrnehmung gulation bestätigen die vorliegenden Befunde die relativ des Umfelds der Schülerinnen und Schüler zu einer einheitliche Befundlage zur Abnahme selbstbestimmter Veränderung der Motivation führen (vgl. Eccles et al., Motivation, die in diversen Studien aufgezeigt wird 1993; Daniels, 2008). Mit Beginn der Adoleszenz stre- (Gillet et al., 2012; Gottfried et al., 2001; Helmke, 1993; ben Schülerinnen und Schüler bspw. vermehrt nach Au- Jacobs et al., 2002; Scherrer & Preckel, 2019). Hier ist tonomie (Reindl, Reinders & Gniewosz, 2013). Geht jedoch zu berücksichtigen, dass die zitierten Studien die eine Lernumgebung nicht auf diese Veränderung der selbstbestimmte Motivation fachunabhängig betrach- Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ein, kann ten. Verschiedene Studien zeigen auf, dass motivatio- ihre selbstbestimmte Motivation abnehmen (Kaiser et nale Variablen in Abhängigkeit des Fachs unterschied- al., 2020; Reeve, 2015; Ryan & Deci, 2017). lich ausgeprägt sein sowie sich in unterschiedlicher Art Darüber hinaus konnten in der vorliegenden ersten Stu- und Weise verändern können (bspw. Daniels, 2008; die keine Unterschiede in der fremdbestimmten motiva- Schiefer et al., 2018). Um im Biologieunterricht auf tionalen Regulation im Vergleich der Jahrgangsstufen motivationale Veränderungen reagieren zu können, festgestellt werden. Diese Regulation ist in allen unter- wurden daher fachspezifische Befunde zur Ausprägung suchten Jahrgangsstufen vergleichsweise gering ausge- motivationaler Variablen benötigt, die mit dieser Studie prägt. Dieser Befund steht in Einklang mit den Befun- bereitgestellt werden. den von Gillet et al. (2012), die in ihrer Studie eine ver- Aus der Perspektive der Stage-Environment-Fit-Theo- gleichbare Erfassung der fremdbestimmten Motivation rie (Eccles et al., 1993; vgl. Daniels, 2008; Schiefele & heranzogen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Gillet Schaffner, 2015) können zwei Gründe für die vorlie- et al. (2012) eine Abnahme der fremdbestimmten Moti- genden Befunde zur selbstbestimmten motivationalen vation bis zu einem Alter der Schülerinnen und Schüler Regulation angeführt werden. Erstens ist eine Verände- von 12 Jahren feststellen konnten. Anschließend wurde rung des schulischen Umfelds denkbar. Es könnte sein, wie in der vorliegenden Studie keine weitere Verände- dass die Lernumgebungen in den höheren Jahrgangsstu- rung verzeichnet (Gillet et al., 2012). Im Gegensatz zu fen den Schülerinnen und Schülern weniger Wahlfrei- den vorliegenden Befunden wird in dieser Studie auch heit und Möglichkeiten zur Wahrnehmung eigener nach der Abnahme der fremdbestimmten Motivation Wirksamkeit bieten sowie restriktiver bzw. kontrollie- eine hohe Ausprägung dieser Motivation berichtet. render gestaltet sind (vgl. Daniels, 2008; Großmann, Weitere Befunde von Otis et al. (2005) zeigen für Schü- 2020; Schiefele & Schaffner, 2015). Eventuell könnte lerinnen und Schüler zwischen 13 und 15 Jahren eben- diese Veränderung der Lernumgebung mit den sich an- falls eine Abnahme der fremdbestimmten Motivation nähernden zentralen Abschlussprüfungen einhergehen. auf während Buff (2001) in seiner qualitativen Studie Zugleich könnte den Schülerinnen und Schülern die Be- eine Zunahme fremdbestimmter Motivation im Verlauf deutsamkeit der Gegenstände im Unterricht für ihren der 5., 8. und 11. Jahrgangsstufe feststellen konnte. Für ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 143 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) die altersspezifische Veränderung der fremdbestimm- heiten) bereitstellen. Alternativ könnten die vorliegen- ten Motivation liegt somit eine sehr heterogene Befund- den Befunde dafürsprechen, dass nicht das schulische lage vor (vgl. Gillet et al., 2012). Aufgrund der unter- Umfeld der Schülerinnen und Schüler mit zunehmen- schiedlichen Arten der Erfassung der fremdbestimmten dem Alter kontrollierender gestaltet wird, sondern die Motivation ist sie zudem nur schwer auf die vorliegen- Schülerinnen und Schüler nach mehr Autonomie stre- den Befunde übertragbar (vgl. Gillet et al., 2012). Zu- ben (vgl. Daniels, 2008; Eccles et al., 1993; Reindl et künftige Studien, in denen der Forschungsbedarf zur al., 2013). Da Autonomie im Besonderen für die selbst- fremdbestimmten Motivation weiter aufgegriffen wird, bestimmte Motivation von Bedeutung ist (Ryan & Deci, könnten die Erörterungen von Kaiser et al. (2020) zur 2017), treten in der Konsequenz Unterschiede in der Erhebung selbst- und fremdbestimmter Motivation ein- selbstbestimmten, jedoch nicht in der fremdbestimmten beziehen. motivationalen Regulation auf. Im Vergleich der Befunde zur selbstbestimmten und Hinsichtlich des individuellen Interesses an biologi- fremdbestimmten motivationalen Regulation könnte schen Themen konnten wiederum signifikante Unter- zunächst ein Widerspruch vermutet werden. Zu berück- schiede im Vergleich der Jahrgangsstufen festgestellt sichtigen ist hier jedoch, dass sich die selbstbestimmte werden. Die jeweils geringere Ausprägung in vorheri- und fremdbestimmte motivationale Regulation nicht gen Jahrgangsstufen im Vergleich zur untersuchten gegenseitig ausschließen bzw. bedingen, sondern viel- Jahrgangsstufe steht in Einklang mit den Befunden bis- mehr als koexistierend beschrieben werden (Chemolli herigere Studien (Daniels, 2008; Krapp, 1998; Löwe, & Gagné, 2014; Kaiser et al., 2020; Ryan & Deci, 1987; Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefer et al., 2017). Eine Veränderung der selbstbestimmten motiva- 2018; Todt & Schreiber, 1998). Die vorliegenden Un- tionalen Regulation muss daher nicht notwendigerweise terschiede im individuellen Interesse an biologischen mit einer (gegensätzlichen) Veränderung der fremdbe- Themen könnten ebenso wie die selbstbestimmte moti- stimmten motivationalen Regulation einhergehen. Dies vationale Regulation auf eine fehlende Bedeutsamkeit wird auch an den Befunden der weiteren angeführten und Alltagsrelevanz der Unterrichtsgegenstände sowie Studien deutlich. Gillet et al. (2012) berichten bspw. geringe Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Selbst- eine gleichzeitige Abnahme beider Motivationsqualitä- bestimmung und Wirksamkeit zurückgeführt werden ten im Alter von 9 bis 12 Jahren. Im Alter von 12 bis 15 (Daniels, 2008; Großmann, 2020; Krapp, 2005; Ryan & Jahren stabilisierte sich die fremdbestimmte Motivation Deci, 2017; Schiefele & Schaffner, 2015; Vogt, 2007). bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern die- Zu berücksichtigen bleibt hier, dass die eingesetzten ser Studie, während die selbstbestimmte Motivation Items auf das Zusammenspiel emotionaler und kogniti- weiter abnahm. Buff (2001) konnte hingegen eine Zu- ver Faktoren des individuellen Interesses ausgelegt sind nahme fremdbestimmter bei gleichbleibender selbstbe- und nur wenig Auskunft über die Bedeutsamkeit bzw. stimmter Motivation feststellen. den Wert biologischer Themen geben (s. Anhang). Die Der vorliegende Befund zur fremdbestimmten motiva- Bedeutsamkeit biologischer Themen kann lediglich in- tionalen Regulation könnte darauf zurückzuführen sein, direkt aus diesen Items abgeleitet werden. In zukünfti- dass die Lehrpersonen der untersuchten Klassen kon- gen Erhebungen des individuellen Interesses könnten trollierende Bedingungen im Biologieunterricht erfolg- weitere Items zur Erfassung der Bedeutsamkeit biologi- reich vermeiden (vgl. Großmann, 2020; Reeve, 2015). scher Themen einbezogen werden. Hierzu zählt bspw. die Motivierung mit externalen An- Die vorliegenden Unterschiede können neben den Be- reizen wie Noten oder Zeitdruck (Großmann, 2020; dingungen des schulischen Umfelds durch verschiedene Reeve, 2015). Hierbei ist in Anbetracht der Befunde zur personenbezogene Faktoren verursacht werden (Da- selbstbestimmten motivationalen Regulation zu berück- niels, 2008; Schiefele & Schaffner, 2015). Es kann ver- sichtigen, dass mit einer Vermeidung von kontrollieren- mutet werden, dass die Schülerinnen und Schüler der den Bedingungen nicht automatisch autonomieförderli- jeweils untersuchten Jahrgangsstufe möglicherweise che Bedingungen einhergehen (vgl. Vansteenkiste & differenziertere individuelle Interessen haben als die Ryan, 2013). Beispielsweise kann eine Lehrperson auf Schülerinnen und Schüler der vorhergehenden Jahr- externale Anreize zur Motivierung ihrer Schülerinnen gangsstufen (vgl. Daniels, 2008; Schiefele & Schaffner, und Schüler verzichten, aber ihnen dennoch keine Mög- 2015). Dies kann dazu führen, dass ihr Lernen in den lichkeiten für selbstbestimmtes Lernen (z. B. Wahlfrei- nicht den eigenen individuellen Interessen entsprechen- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 144 doi: 10.11576/zdb-4095
Großmann et al. (2021) den Fächern vor allem durch externale Regulationsme- dem sich viele Schülerinnen und Schüler im schuli- chanismen bedingt wird (Wild & Hofer, 2000). Die schen Kontext und in ihrem Alltag gerne beschäftigen, selbstbestimmte Motivation sollte in diesen Fächern da- kann es auch sein, dass mehr Schülerinnen und Schüler her gering ausgeprägt sein (vgl. Ryan & Deci, 2017). In ein individuelles Interesse an diesem Gegenstand aus- den vorliegenden Befunden konnte zwar jeweils eine bilden. Haben in Folge der Differenzierungsprozesse geringere selbstbestimmte motivationale Regulation in viele Schülerinnen und Schüler ein individuelles Inte- der folgenden Jahrgangsstufe festgestellt werden, für resse am untersuchten Gegenstand ausgebildet, können die fremdbestimmte motivationale Regulation konnten sogar Unterschiede im individuellen Interesse zuguns- jedoch keine Unterschiede verzeichnet werden. Eine ten der höheren Jahrgangsstufe auftreten. Zunahme externaler Regulationsmechanismen kann da- Zu berücksichtigen bleibt bei den vorliegenden Studien her anhand der vorliegenden Daten nicht vermutet wer- das querschnittliche Design, das es nicht erlaubt, Aus- den. sagen über mögliche Entwicklungen in den untersuch- Eine Ausnahme bildet der Vergleich des individuellen ten motivationalen Konstrukten zu treffen. Zur Be- Interesses in der 9. Jahrgangsstufe mit den vorherge- standsaufnahme und rein deskriptiven Beschreibung henden Jahrgangsstufen. Hier konnte kein signifikanter ohne kausale Interpretation, die in diesen Studien erfol- Unterschied mittels Kontrastanalyse festgestellt wer- gen sollten, ist dieses Design geeignet (Stein, 2014). den. Dieser Befund steht in Einklang mit der Studie von Die vielfach theoretisch und empirisch berichteten ne- Schiefer et al. (2018), in der in den Fächern Mathema- gativen Entwicklungstrends können mit diesen Studien tik, Deutsch und Englisch keine statistisch bedeutsame jedoch nicht belegt werden. Um fachspezifische Aussa- Ab- oder Zunahme von der 7. bis 9. Jahrgangsstufe zu gen über die Entwicklung motivationaler Konstrukte im beobachten war. Lediglich deskriptiv war in dieser Stu- Verlauf der Schulzeit treffen zu können, werden Längs- die eine Zunahme des individuellen Interesses am Fach schnittstudien im Fach Biologie benötigt. Deutsch im Vergleich der 7. und 9. Jahrgangsstufe er- Hinsichtlich des Messinstruments zur Erfassung des in- kennbar, die sich bis zur Jahrgangsstufe 11 fortsetzte dividuellen Interesses an biologischen Themen ist zu (Schiefer et al., 2018). Auch weitere Studien zeigen auf, berücksichtigen, dass die Schülerinnen und Schüler dass das individuelle Interesse nach dem Übergang in diese Items mit Blick auf das Schulfach Biologie bewer- die Sekundarstufe II (wieder) zunimmt (Frenzel, Goetz, tet haben könnten. Wie Prenzel, Schütte und Walter Pekrun & Watt, 2010; Schiefer et al., 2018). Daniels (2007) anmerken, neigen Schülerinnen und Schüler (2008) berichtet hingegen abnehmende Trends des in- dazu, das Schulfach und die naturwissenschaftliche dividuellen Interesses in den Fächern Mathematik, Eng- Disziplin gleichzusetzen. Die Bewertung fand während lisch, Physik und Biologie. Allerdings stellt sie fest, des regulären Biologieunterrichts statt. Daher könnte es dass die Interessensabnahme von der 8. bis zur 11. Jahr- sein, dass die Bewertung dieser Items durch das Inte- gangsstufe in den untersuchten Fächern geringer ausge- resse der Schülerinnen und Schüler am aktuellen prägt ist als im Verlauf der 7. Jahrgangsstufe (Daniels, Thema, ihre Wahrnehmung des Lernklimas, die ver- 2008). wendeten Lehrmethoden oder Instruktionen, ihr Selbst- Der in der vorliegenden Studie berichtete statistisch konzept oder ihre Gefühle gegenüber ihrer regulären nicht bedeutsame Unterschied könnte auf die zuvor an- Biologielehrperson beeinflusst wurde (vgl. Häussler & geführte zunehmende Differenzierung von individuel- Hoffmann, 2002; Hoffmann et al., 1998). Um diesem len Interessen zurückgeführt werden (vgl. Daniels, Problem zu begegnen, erhielten die Durchführenden der 2008; Schiefele & Schaffner, 2015). Schiefer et al. Erhebung die Anweisung, 1.) den Fragebogen ohne die (2018) konnten diese Differenzierung im Verlauf der Anwesenheit der regulären Biologielehrperson durch- Jahrgangsstufe 7 bis 10 in den Fächern Mathematik, zuführen und 2.) die Schülerinnen und Schüler vor der Deutsch und Englisch belegen. Diese Differenzierung Bewertung der Items darüber zu informieren, dass ihr kann dazu führen, dass nur noch wenige Schülerinnen Interesse an biologischen Themen unabhängig von ih- und Schüler ein stark ausgeprägtes individuelles Inte- rem Unterricht erfragt wird. resse an Themen eines Unterrichtsfaches haben und die- Diese Art der Messung des individuellen Interesses und ses Interesse daher geringer ausgeprägt ist als in den auch die allgemeinere Sicht auf die selbst- und fremd- vorhergehenden Jahrgangsstufen. Handelt es sich in ei- bestimmte motivationale Regulation im Biologieunter- nem Unterrichtsfach jedoch um einen Gegenstand, mit richt führen dazu, dass die anfangs aufgestellte Argu- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 145 doi: 10.11576/zdb-4095
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