Bildungspolitik zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen während und nach Corona
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Ludger Wößmann, Vera Freundl, Elisabeth Grewenig, Philipp Lergetporer und Katharina Werner* Bildungspolitik zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen während und nach Corona – Ergebnisse des ifo Bildungsbarometers 2021 Die Corona-Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor IN KÜRZE weitreichende Herausforderungen. Um die Verbrei- tung des Coronavirus zu verlangsamen, wurde seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 das öffentliche Das ifo Bildungsbarometer 2021 hat unter mehr als 4 000 Er- Leben wiederholt heruntergefahren, was mit starken wachsenen erfragt, welche bildungspolitischen Maßnahmen Eingriffen in individuelle Freiheitsrechte und wirt- sie zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen schaftliche Aktivitäten einherging. Das Bildungssys- befürworten, die in der Corona-Pandemie offengelegt wurden. tem war besonders stark von derartigen Maßnahmen betroffen. Schulschließungen waren von Anfang an Im ersten Teil geht es um Maßnahmen zur Abmilderung von ein zentrales Mittel im Kampf gegen die Verbreitung Corona-bedingten Lerndefiziten. Große Mehrheiten befürwor- des Coronavirus. Dies hatte massive Lernzeitverluste ten verpflichtenden Online-Unterricht bei Schulschließungen zur Folge: Die tägliche Lernzeit der Schüler*innen hat (74%) und eine intensivere Betreuung von Kindern aus schwie- sich in der ersten Phase der Schulschließungen 2020 rigen sozialen Verhältnissen (83%). Insgesamt fällt die Beurtei- etwa halbiert, und auch in der zweiten Phase 2021 ist lung der Corona-Schulpolitik recht negativ aus, besonders im sie nur wenig angestiegen (vgl. Wößmann et al. 2020; 2021). Zudem hat es die Bildungspolitik im Laufe der Hinblick auf den Umgang mit benachteiligten Schüler*innen. Pandemie versäumt, flächendeckend effektive Dis- Vor allem für diese Schulkinder sind Förder- und Ferienkurse tanzunterrichtskonzepte zu etablieren, um die ent- mehrheitsfähig. 77% der Befragten sind dafür, dass die Schu- standenen Lernrückstände zu kompensieren. Die Bil- len auch nach Ende der Pandemie verpflichtend Computer im dungspolitik steht nun nicht nur vor der Herausforde- Unterricht verwenden. Im zweiten Teil gehen wir auf gesamt- rung, passende Konzepte zu erarbeiten, um etwaigen gesellschaftliche Herausforderungen jenseits der Lernrück- Lernzeitverlusten durch zukünftige Schulschließungen entgegenzuwirken. Es müssen auch effektive Förder- stände ein. Überwältigende Mehrheiten (über 75%) sprechen maßnahmen umgesetzt werden, um die entstandenen sich für die Vermittlung von demokratischen, wissenschaftli- Lerneinbußen abzumildern. chen und wirtschaftlichen Kompetenzen an weiterführenden Die Herausforderungen, denen die Bildungspolitik Schulen aus. Große Mehrheiten befürworten zudem länder- aufgrund der Corona-Pandemie gegenübersteht, be- übergreifende Bildungsstandards und regelmäßige Vergleichs- schränken sich jedoch nicht nur auf die Schulschlie- tests für diese grundlegenden gesellschaftlichen Kompetenzen ßungen und die damit verbundenen Lernrückstände. Die Corona-Pandemie hat auch die große Bedeutung sowie entsprechende verpflichtende Fortbildungen für Lehr- verschiedener grundlegender gesellschaftlicher Kom- kräfte und Weiterbildungsangebote für alle Bürger*innen. petenzen sowie deutliche Defizite im Demokratie- und Wissenschaftsverständnis in einigen Teilen der Bevölkerung aufgezeigt. So legen zum Beispiel die gegen Corona-Maßnahmen im August 2020 deutliche Geschehnisse rund um den Erstürmungsversuch des Mängel im Demokratieverständnis einiger Beteiligter Reichstagsgebäudes während einer Demonstration offen. Außerdem sind erhebliche Teile der Gesamt- bevölkerung mit der Funktionsweise der Demokratie * Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Sonderfor- unzufrieden (vgl. Krause et al. 2020; Wehrkamp 2020). schungsbereich Transregio 190) für finanzielle Unterstützung, dem Wissenschaftlichen Beirat des ifo Bildungsbarometers – Marius Buse- Darüber hinaus deutet die Offenheit einiger Teile der meyer, Olaf Köller, Dorothea Kübler, Nele McElvany, Natalja Menold, Gesellschaft für wissenschaftsfeindliche Verschwö- Beatrice Rammstedt und Guido Schwerdt – und den Kolleg*innen im ifo Zentrum für Bildungsökonomik für Anmerkungen zum Fragebo- rungserzählungen im Zusammenhang mit der Corona- gen, Jennifer Meder, Florian Thurow und Olivia Wirth für ausgezeich- Pandemie auf teils eingeschränkte wissenschaftli- nete Forschungsassistenz sowie Martina Putz und Sebastian Stahl- hofen von Talk Online Panel für die Zusammenarbeit bei der che Kompetenzen hin. Auch scheinen die Deutschen Durchführung der Meinungsumfrage. eine generelle Skepsis gegenüber der Forschung zur ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021 27
FORSCHUNGSERGEBNISSE Entstehung der Corona-Pandemie zu haben (vgl. Wis- Kompetenzen – laut Meinung der Deutschen zukom- senschaft im Dialog 2020). Das Bildungssystem kann men sollte, und gehen dann auf die Mehrheitsfähig- hier durch die gezielte Förderung von gesellschaftli- keit konkreter bildungspolitischer Maßnahmen zur chen Kompetenzen im Kindes- und Jugendalter einen Förderung dieser gesellschaftlichen Kompetenzen ein. wichtigen Beitrag dazu leisten, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken (vgl. Aktionsrat Bildung 2020). DAS IFO BILDUNGSBAROMETER 2021 Vor diesem Hintergrund untersuchen wir im vor- liegenden Beitrag, welche Maßnahmen die Deutschen Das ifo Bildungsbarometer ist eine repräsentative zur Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Her Meinungsumfrage der deutschen erwachsenen Be- ausforderungen befürworten. Im ersten Teil gehen völkerung zu bildungspolitischen Themen, die jährlich wir der Frage nach, welche bildungspolitischen Maß- seit 2014 durchgeführt wird.1 Der vorliegende Beitrag nahmen die Deutschen unterstützen, um die Corona- präsentiert die Ergebnisse des achten ifo Bildungs- bedingten Lerndefizite abzumildern und für mögliche barometers, für das im Mai und Juni 2021 mehr als zukünftige Schulschließungen gerüstet zu sein. Im 4 000 Personen im Alter zwischen 18 und 69 befragt zweiten Teil nehmen wir gesamtgesellschaftliche Her- wurden (siehe Box »Methodik der Befragung« für wei- ausforderungen jenseits der durch Corona entstande- tere Details). Das ifo Bildungsbarometer beschäftigt nen Lernzeitverluste in den Fokus. Dabei untersuchen sich mit jährlich wechselnden Themenschwerpunkten, wir zunächst, welche Rolle dem Bildungssystem in der die in diesem Jahr auf bildungspolitischen Maßnah- Förderung von drei grundlegenden gesellschaftlichen men zur Bewältigung von gesellschaftlichen Heraus- Kompetenzbereichen – demokratischen Kompetenzen, 1 Die Ergebnisse der bisherigen ifo Bildungsbarometer sind unter wissenschaftlichen Kompetenzen und wirtschaftlichen www.ifo.de/ifo-bildungsbarometer zu finden. METHODIK DER BEFRAGUNG Die Befragung für das ifo Bildungsbarometer 2021 Fragen per Zufall in unterschiedliche Teilgruppen auf- wurde vom 27. Mai bis zum 22. Juni 2021 durch das geteilt wurden. Diese Teilgruppen erhielten die Frage Befragungsunternehmen Talk Online Panel durchge- jeweils in einer anderen Version, z.B. mit oder ohne führt. Dabei wurden 4 032 Personen im Alter zwischen Bereitstellung bestimmter Informationen. Dieses Vor- 18 und 69 Jahren befragt. Die Stichprobenziehung er- gehen erlaubt es, den Effekt von Informationen auf folgte mit Hilfe sogenannter »Online-Access-Panels«. das Antwortverhalten zu messen. Teilnehmer*innen, In einer früheren Welle des ifo Bildungsbarometers die zu einzelnen Fragen keine Angabe machen, werden wurde gezeigt, dass Online-Befragungen ein repräsen- bei der Auswertung ausgeschlossen. Der Anteil der tatives Meinungsbild der deutschen Gesamtbevölke- Personen ohne Angabe liegt bei den Meinungsfragen rung zu bildungspolitischen Themen abbilden können des ifo Bildungsbarometers 2021 bis auf eine Frage (vgl. Grewenig et al. 2018). Um sicherzustellen, dass unter 1% und ist somit sehr gering. die deutsche Gesamtbevölkerung zwischen 18 und Um eine übersichtliche Darstellung der Ergebnisse 69 Jahren repräsentativ abgebildet wird, wurde die zu gewährleisten, sind in den Abbildungen bei Zustim- Stichprobe nach Quoten gezogen und anhand der amt- mungsfragen die Antwortkategorien in der Reihenfolge lichen Statistik nach Alter, Geschlecht, Bundesland, »sehr dafür«, »eher dafür«, »weder dafür noch dage- Schulabschluss und Erwerbsstatus gewichtet. gen«, »eher dagegen« und »sehr dagegen« aufgeführt. Mit welcher Sicherheit man von den Ergebnissen In der Befragung wurde die neutrale Kategorie »we- einer repräsentativen Umfrage auf die Gesamtbevöl- der dafür noch dagegen« hingegen als letzte Antwort- kerung schließen kann, kann anhand von statistischen möglichkeit in der Liste genannt, um einer möglichen Wahrscheinlichkeiten angegeben werden. Bei dem ver- Tendenz der Teilnehmer*innen zur mittleren Kategorie gleichsweise großen Stichprobenumfang in der vorlie- entgegenzuwirken (vgl. Wößmann et al. 2016 für eine genden Studie liegt der Fehlerbereich für Fragen, die Analyse der Effekte der Positionierung der neutralen an rund 1 000 Teilnehmer*innen gestellt wurden, nur Kategorie auf das Antwortverhalten). zwischen 1,8 und 3,1 Prozentpunkten. Das bedeutet Im vorliegenden Text und in den Abbildungen zum Beispiel bei einem Zustimmungswert von 50% werden Prozentwerte angegeben, die auf den jeweils der Befragten, dass der wahre Wert der Zustimmung nächsten Prozentpunkt gerundet sind. Die Summe der in der Gesamtbevölkerung mit 95%iger Wahrschein- berichteten Prozentanteile kann aufgrund der Rundun- lichkeit zwischen 46,9% und 53,1% liegt. gen von 100 abweichen. Ebenso kann die tatsächliche Eine methodische Besonderheit der Befragung Summe mehrerer Anteile leicht von der Summe der besteht darin, dass die Teilnehmer*innen bei einigen berichteten gerundeten Werte abweichen. 28 ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE forderungen, die durch die Coronakrise verschärft den, haben wir im ifo Bildungsbarometer 2021 erneut wurden, liegen. ein breites Meinungsbild zur Corona-Bildungspolitik Das ifo Bildungsbarometer ist Teil eines For- erhoben. schungsprogramms zur politischen Ökonomie der Bildungspolitik, das untersucht, inwieweit öffentliche Wie sollte Bildungspolitik während Corona Meinungen im Einklang mit politischem Handeln im gestaltet werden? Bildungsbereich stehen und welche bildungspoliti- schen Maßnahmen mehrheitsfähig sind. Die norma- Eine deutliche Mehrheit von 74% der Deutschen spricht tive Frage, wie Bildungspolitik aus wissenschaftlicher sich sehr oder eher dafür aus, Schulen zu Online- Sicht gestaltet werden sollte, um die Bildungsleistung Unterricht zu verpflichten, wenn der Unterricht auf- von Schüler*innen zu verbessern, wird dabei bewusst grund des Pandemiegeschehens länger als eine Woche ausgeklammert. ausfällt. Nur 16% sind dagegen (vgl. Abb. 1). Bereits im Um die Faktoren, die die öffentliche Meinung zu Vorjahr war die Zustimmung zu diesem Vorschlag mit Bildungsthemen beeinflussen, zu untersuchen, werden 79% sehr hoch. Noch deutlichere Unterstützung ergibt bei einigen Fragen sogenannte »Survey-Experimente« sich dafür, Lehrkräfte zu Fortbildungen zum Online-Un- durchgeführt. Zum Beispiel werden einer zufällig terricht zu verpflichten (81% dafür, 8% dagegen). Wie ausgewählten Teilgruppe der Befragten bestimmte auch schon in der letztjährigen Befragung sieht ein Informationen zur Verfügung gestellt, bevor sie die- Großteil der Deutschen großen Bedarf an derartigen selbe Frage beantwortet wie die Gruppe, die diese Weiterbildungsmaßnahmen (2020: 87% dafür). In der Informationen nicht erhalten hat. Durch die zufällige deutschen Bevölkerung gibt es also ein klares Prob- Aufteilung der Befragten kann herausgefunden wer- lembewusstsein für die Tatsache, dass Online-Unter- den, inwieweit die Informationen das Meinungsbild richt während der Schulschließungen nur relativ selten der Bevölkerung zur jeweiligen Frage beeinflussen. stattgefunden hat (vgl. Wößmann et al. 2020; 2021). Die so gewonnenen Erkenntnisse geben Aufschluss Zahlreiche Studien legen nahe, dass die Corona- darüber, wie sich etwa Informationsbereitstellung auf bedingten Schulschließungen die Bildungsungleichheit die politische Umsetzbarkeit von Bildungsmaßnah- zwischen verschiedenen Schülergruppen deutlich ver- men auswirkt. schärft haben (z.B. Grewenig et al. 2020; Engzell et al. 2021). Daher haben wir erfragt, ob Lehrkräfte während BILDUNGSPOLITISCHE MASSNAHMEN ZUR der Schulschließungen nach Meinung der Deutschen BEWÄLTIGUNG DER CORONA-BILDUNGSKRISE bestimmte Gruppen von Schulkindern intensiver be- treuen sollten. Deutliche Mehrheiten der Befragten Bereits seit etwa eineinhalb Jahren bestimmt die Co- sind dafür, dass Lehrkräfte Kinder aus schwierigen rona-Pandemie die deutsche Bildungspolitik. Diese sozialen Verhältnissen (83%), Kinder mit Eltern ohne Zeit war geprägt von wiederholten, mehrmonatigen Schulschließungen, um die Ausbreitung des Virus ein- Abb. 1 zudämmen. In vorhergehenden Studien haben wir Welche Maßnahmen befürworten die Deutschen bei Schulschließungen? Deutliche Zustimmung zu verpflichtendem Online-Unterricht, verpflichtenden Fortbildungen für gezeigt, wie sich die Lernzeit der Schüler*innen durch Lehrkräfte und intensiverer Betreuung für benachteiligte Gruppen die Schließungen der Bildungseinrichtungen verringert hat. So haben die Schulschließungen im Frühjahr 2020 Sehr dafür Eher dafür Weder dafür noch dagegen Eher dagegen Sehr dagegen die tägliche Lernzeit von Kindern und Jugendlichen in Verpflichtung der Schulen zu Online-Unterricht bei Schulausfall länger als eine Woche Deutschland um etwa die Hälfte reduziert (Grewenig 43 31 10 9 7 et al. 2020), und auch während der Schulschließun- gen Anfang 2021 blieb die tägliche Lernzeit noch drei Verpflichtende Fortbildung für Lehrkräfte zu Online-Unterricht 52 29 11 62 Stunden unter der ansonsten üblichen Lernzeit (Wöß- mann et al. 2021). Leistungsschwächere Schüler*innen Intensivere Betreuung durch Lehrkräfte während Schulschließungen für Kinder... aus schwierigen sozialen Verhältnissen 52 31 10 5 2 waren von den Einschränkungen besonders stark be- von Eltern ohne Homeoffice-Möglichkeit 48 32 12 6 3 troffen. Trotz langer Vorlaufzeit und eindringlicher Ap- von Alleinerziehenden 40 37 14 7 3 pelle von Eltern und Wissenschaft ist es der deutschen von Eltern mit geringer Bildung 40 33 14 9 4 Bildungspolitik auch nach über einem Jahr Pandemie nicht gelungen, flächendeckende und verbindliche Dis mit Migrationshintergrund 38 33 13 9 6 tanzlernkonzepte sowie Test- und Prüfungsverfahren 0 25 50 75 100 % für alle Kinder und Jugendlichen einzuführen. Frage 1 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Im Juni 2020 haben wir die Bevölkerung ein erstes Sind Sie dafür oder dagegen, dass alle Schulen verpflichtend auf Online-Unterricht umstellen, wenn durch eine Corona-bedingte Schulschließung der Unterricht länger als eine Woche ausfällt? Mal nach ihrer Meinung zu verschiedenen bildungs- Frage 2 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): politischen Maßnahmen in der Coronakrise befragt Sind Sie dafür oder dagegen, dass alle Lehrer*innen verpflichtet werden, sich zum Thema Online-Unterricht fortzubilden? (vgl. Wößmann et al. 2020a). Um zu erfahren, ob sich Frage 3 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): das Meinungsbild zu diesen Maßnahmen während Sind Sie dafür oder dagegen, dass Lehrer*innen während Schulschließungen Kinder aus folgenden Gruppen intensiver betreuen (z.B. durch häufigere Kontaktaufnahme)? des Pandemiejahres verändert hat und welche wei- teren bildungspolitischen Reformen befürwortet wer- Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021 29
FORSCHUNGSERGEBNISSE Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice (80%), Kinder von die Zustimmung mit 71% sogar noch etwas höher. Alleinerziehenden (76%), Kinder von Eltern mit niedri- Auch der Vorschlag, dass Start und Ende von Corona- gem Bildungsabschluss (73%) und Kinder mit Migrati- bedingten Schulschließungen bundesweit einheitlich onshintergrund (71%) während der Schulschließungen beschlossen werden, trifft ähnlich wie im Jahr 2020 intensiver betreuen. Die Zustimmung zur gezielten auf mehrheitliche Zustimmung (63% dafür, 24% da- Unterstützung dieser Schülergruppen ist damit ähn- gegen; 2020: 64% dafür, 28% dagegen). lich hoch wie im Vorjahr, wobei sich die Zustimmung Bei der Frage, ob alle Schüler*innen im Pandemie- zu intensiverer Betreuung von Kindern mit Migrati- jahr leistungsunabhängig in die nächste Klassenstufe onshintergrund im Jahresvergleich nochmal erhöht versetzt werden sollten, ist die Meinung der Deut- hat (2020: 66% dafür). schen gespalten: 45% sind dafür, 40% sind dagegen Aufgrund der föderalen Struktur des deutschen (2020: 49% dafür, 39% dagegen). Eine knappe Mehrheit Bildungssystems kann jedes Bundesland über die ei- von 54% befürwortet sehr oder eher, dass leistungs- gene Bildungspolitik selbständig entscheiden – auch schwächere Schulkinder bei längeren Schulschließun- während der Corona-Pandemie. Zwei Drittel der Deut- gen die Klasse wiederholen sollten, ein Viertel (25%) schen (66%) wünschen sich entgegen dieser Rege- sieht dies jedoch nicht so. Der letztere Anteil ist im lung bundesweit einheitliche bildungspolitische Ent- Vergleich zu 2020 leicht gesunken: Damals sprachen scheidungen während der Coronakrise, nur 20% sind sich 30% (sehr oder eher) gegen eine Klassenwieder- gegen diesen Vorschlag (vgl. Abb. 2). Im Vorjahr war holung Leistungsschwächerer aus. Noch klarer ist die Meinung der Deutschen zum Abhalten von Abschlussprüfungen während der Abb. 2 Coronakrise: Große Mehrheiten unterstützen die Welche bildungspolitischen Maßnahmen wünschen sich die Deutschen während Corona? Durchführung von Prüfungen zum Hauptschulab- Große Mehrheiten für bundesweit einheitliche Bildungspolitik und Durchführung von schluss, Realschulabschluss und zum Abitur (67%, Abschlussprüfungen während Corona 68% und 67% dafür). Nur ein knappes Fünftel ist je- Sehr dafür Eher dafür Weder dafür noch dagegen Eher dagegen Sehr dagegen weils dagegen. Diese Zustimmungswerte sind sehr ähnlich zum Vorjahr (2020: 70–71% dafür). Gespalte- Bundesweit einheitliche bildungspolitische Entscheidungen während der Coronakrise ner ist das Meinungsbild in Bezug auf die Frage, ob 32 34 15 12 7 aufgrund der Coronakrise leichtere Abiturprüfungen Bundesweit einheitlicher Start und Ende von Schulschließungen während der Coronakrise gestellt werden sollten. 46% sind dafür, die Prüfungs- 37 26 13 14 10 standards im Abitur abzusenken, 38% sind dagegen. Leistungsunabhängige Versetzung aller Schüler*innen im Corona-Jahr 18 27 16 26 14 Im Vorjahr sprach sich noch eine Mehrheit (53%) gegen Klassenwiederholung Leistungsschwächerer bei längeren Schulschließungen leichtere Abiturprüfungen aus. Insgesamt stimmt die 20 35 21 17 8 deutsche Bevölkerung im Einklang mit den Ergebnis- Abschlussprüfungen trotz der Coronakrise sen früherer Jahre auch in der Coronakrise für eine Hauptschulabschluss 37 30 13 14 6 Realschulabschluss 38 30 13 13 6 einheitliche und leistungsorientierte Bildungspolitik Abitur 39 28 13 13 7 (vgl. Wößmann et al. 2014; 2020b). Leichtere Abiturprüfungen während der Coronakrise Die Schulschließungen selbst als Maßnahme zur 17 29 16 23 15 Eindämmung der Corona-Pandemie werden im Ver- gleich zum Vorjahr kritischer gesehen: Während 2020 Schulschließungen waren eine richtige Maßnahme Stimme voll zu Stimme eher zu Weder noch noch 79% der Befragten angaben, dass sie die Schul- Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu schließungen für eine richtige Maßnahme halten, sind 31 31 7 18 12 es in der diesjährigen Befragung nur noch 62%. 0 25 50 75 100 % Frage 1 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Wie bewerten die Deutschen die Laut Grundgesetz ist Bildung in Deutschland Ländersache, die wichtigen bildungspolitischen Entscheidungen werden Corona-Bildungspolitik? also von den Landesregierungen getroffen. Sind Sie dafür oder dagegen, dass bildungspolitische Entscheidungen während der Coronakrise stattdessen grundsätzlich bundesweit einheitlich von der Bundesregierung getroffen werden? Das allgemeine Meinungsbild der deutschen Bevölke- Frage 2 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Sind Sie dafür oder dagegen, dass Start und Ende von Schulschließungen während der Coronakrise bundesweit rung zur Corona-Schulpolitik ist gespalten und ten- einheitlich beschlossen werden? Frage 3 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): denziell negativ. 41% der Befragten benoten die Politik Sind Sie dafür oder dagegen, dass im Corona-Schuljahr jede*r Schüler*in unabhängig von seinen/ihren Leistungen ins in Bezug auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse nächste Schuljahr versetzt wird? Frage 4 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): aller Schüler*innen mit Note 4 oder schlechter, 25% Sind Sie dafür oder dagegen, dass bei längeren Schulschließungen leistungsschwache Schüler*innen das Schuljahr bewerten sie mit Note 1 oder 2 (vgl. Abb. 3). Noch wiederholen? Frage 5 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): negativer fällt die Benotung für den Umgang mit Schü- Sind Sie dafür oder dagegen, dass trotz Corona-bedingter Schulschließungen die folgenden Abschlussprüfungen ler*innen aus schwierigen sozialen Verhältnissen aus: stattfinden? Frage 6 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): 52% vergeben eine Note zwischen 4 und 6, nur 22% Sind Sie dafür oder dagegen, dass in diesem Jahr aufgrund der Coronakrise leichtere Abiturprüfungen gestellt werden als in den vergangenen Jahren? vergeben Note 1 oder 2. Frage 7 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Die Tendenz, dass der Umgang mit benachteilig- Inwieweit stimmen Sie folgender Aussage zu? Die Schulschließungen waren eine richtige Maßnahme. ten Gruppen schlechter bewertet wird, ist ebenso in Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut Bezug auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse von 30 ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE Eltern zu erkennen: Während 38% den Umgang mit Abb. 3 den Eltern insgesamt mit Note 4, 5 oder 6 bewerten, Wie benoten die Deutschen die Schulpolitik während Corona? Bewertung insgesamt gespalten, für Umgang mit benachteiligten Familien eher negativ ist dieser Anteil in Bezug auf den Umgang mit Eltern aus schwierigen sozialen Verhältnissen mit 50% deut- Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5 oder 6 lich höher. 27% bzw. 23% vergeben die Note 1 oder 2 Umgang der Politik mit ... für den Umgang mit diesen Gruppen von Eltern. allen Schüler*innen 9 16 34 22 19 Ein ähnliches Muster, wenn auch in abgeschwäch- Schüler*innen aus schwierigen 8 13 27 22 29 ter Form, findet sich auch bei der Bewertung des Um- sozialen Verhältnissen gangs mit Lehrkräften. Über ein Drittel der Befragten allen Eltern 9 19 35 20 17 (34%) bewertet den Umgang der Politik mit allen Leh- Eltern aus schwierigen 8 14 27 24 26 rer*innen mit Note 4 bis 6. Die Beurteilung der Politik sozialen Verhältnissen in Bezug auf den Umgang mit Lehrkräften, die viele allen Lehrkräften 9 21 37 18 16 Schüler*innen aus schwierigen sozialen Verhältnis- Lehrkräften mit vielen Schüler*innen sen unterrichten, fällt nochmal schlechter aus: 39% aus schwierigen sozialen Verhältnissen 9 19 33 18 21 bewerten ihn mit Note 4, 5 oder 6. 0 25 50 75 100 % Insgesamt überwiegen also schlechte Bewertun- Frage (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): gen der Corona-Bildungspolitik, vor allem im Umgang Die Corona-bedingten Schulschließungen können die unterschiedlichsten Auswirkungen auf Schüler*innen, Eltern mit Schüler*innen und Eltern aus schwierigen sozialen und Lehrkräfte haben. Welche Schulnote würden Sie der Politik dafür geben, wie gut sie auf die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen in dieser Zeit eingeht bzw. eingegangen ist? Verhältnissen sowie den Lehrkräften dieser Schüler*in- nen. Diese Bewertung deckt sich mit der oft geäu- Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut ßerten Befürchtung, dass die Bildungsungleichheit Abb. 4 aufgrund der Coronakrise zunimmt. Welche Maßnahmen zum Nachholen Corona-bedingter Lernrückstände befürworten Im Vergleich zum Vorjahr ist zudem eine stärkere die Deutschen? Breite Unterstützung für staatlich finanziertes Nachhilfeprogramm und freiwillige Ferienkurse, Polarisierung in der Bewertung der Bildungspolitik zu verpflichtender Förder - und Ferienunterricht gerade für benachteiligte Gruppen mehrheitsfähig beobachten: Der Anteil von sehr schlechten und sehr Sehr dafür Eher dafür Weder dafür noch dagegen Eher dagegen Sehr dagegen guten Bewertungen der Bildungspolitik hat sich im Nachhilfeprogramm des Bundesbildungsministeriums über 1 Mrd. Euro Jahresvergleich deutlich vergrößert, während sich der 40 36 11 9 4 Anteil von Befragten, die der Politik die Note 3 gibt, verringert hat. Diese zunehmende Polarisierung der Verpflichtender Förderunterricht (z.B. am Nachmittag) für Bewertung der Bildungspolitik ist im Einklang damit, alle Schüler*innen 24 29 15 20 12 dass die Streuung darin, wie gut verschiedene Kinder leistungsschwächere Schüler*innen 37 30 12 13 8 und Jugendlichen mit dem Homeschooling klarkom- Schüler*innen aus schwierigen sozialen 36 30 14 12 8 men, sehr groß ist (vgl. Wößmann et al. 2021). Verhältnissen Verpflichtende Ferienkurse (z.B. in Sommer - oder Herbstferien) für Wie sollten Corona-bedingte Lernrückstände alle Schüler*innen 20 25 16 20 19 aufgefangen werden? leistungsschwächere Schüler*innen 30 30 13 13 13 Schüler*innen aus schwierigen sozialen 29 28 15 15 13 Die Lernzeit von Schüler*innen in Deutschland hat sich Verhältnissen Schüler*innen mit Migrationshintergrund 29 25 15 15 15 während der Corona-bedingten Schulschließungen beträchtlich verringert. Besonders leistungsschwä- Freiwillige Ferienkurse (z.B. in Sommer - oder Herbstferien) für chere Schüler*innen verzeichneten große Lernein- alle Schüler*innen 34 31 13 14 8 bußen (Grewenig et al. 2020). In Anbetracht dieser leistungsschwächere Schüler*innen 46 28 11 9 7 Erkenntnisse stellt sich die Frage, wie Corona-bedingte Schüler*innen aus schwierigen sozialen 46 28 11 9 6 Lernausfälle kompensiert werden können. Gut drei Verhältnissen Viertel (76%) der Deutschen begrüßen die Initiative Schüler*innen mit Migrationshintergrund 43 27 12 10 7 des Bundesbildungsministeriums, 1 Mrd. Euro für 0 25 50 75 100 % Nachhilfeprogramme bereitzustellen, um Corona-be- Frage 1 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): dingte Lernrückstände auszugleichen (vgl. Abb. 4). Die Bundesbildungsministerin plant, zusätzlich eine Milliarde Euro in ein Nachhilfeprogramm zu investieren, um Corona-bedingte Lernrückstände auszugleichen. Das Programm richtet sich vor allem an Schüler*innen, bei denen Für verpflichtenden Förderunterricht für alle ein Wechsel auf eine weiterführende Schule oder in eine Ausbildung bevorsteht. Sind Sie für oder gegen diesen Schulkinder, der beispielsweise am Nachmittag statt- Vorschlag? Frage 2 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): findet, spricht sich eine knappe Mehrheit von 53% Sind Sie dafür oder dagegen, dass folgende Gruppen von Schüler*innen zu zusätzlichem Förderunterricht (z.B. am aus, während ein knappes Drittel (32%) dagegen ist. Nachmittag) verpflichtet werden, um den durch Corona versäumten Unterrichtsstoff nachzuholen? Frage 3 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Die Zustimmung vergrößert sich nochmal deutlich, Sind Sie dafür oder dagegen, dass folgende Gruppen von Schüler*innen verpflichtet werden, an Ferienkursen wenn nur leistungsschwächere Schüler*innen oder teilzunehmen, um den durch Corona versäumten Unterrichtsstoff in den Schulferien (z.B. Sommer - oder Herbstferien) nachzuholen? Bitte denken Sie daran, dass die dafür anfallenden Kosten oft durch Steuergelder finanziert werden Schulkinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen müssen. Frage 4 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): zu zusätzlichem Förderunterricht verpflichtet werden Sind Sie dafür oder dagegen, dass folgenden Gruppen von Schüler*innen freiwillige Ferienkurse angeboten werden, (68% bzw. 66% dafür). um den durch Corona versäumten Unterrichtsstoff in den Schulferien (z.B. Sommer - oder Herbstferien) nachzuholen? Bitte denken Sie daran, dass die dafür anfallenden Kosten oft durch Steuergelder finanziert werden müssen. Die Meinung der Befragten zu verpflichtenden Ferienkursen, die etwa in den Sommer- oder Herbstfe- Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021 31
FORSCHUNGSERGEBNISSE rien angeboten werden, ist gespalten: 45% sind dafür, zial besser gestellten Gruppen in Anspruch genommen 39% sind dagegen, 16% sind weder dafür noch dage- werden (z.B. Heckman und Landersø 2021), weshalb gen. Dieses gespaltene Bild verwandelt sich jedoch in derartige Förderangebote ihr gleichheitsförderndes mehrheitliche Zustimmung, wenn die Ferienkurse nur Potenzial oft nicht voll entfalten. Tatsächlich haben für leistungsschwächere Schulkinder, Schüler*innen wir in unserer Elternbefragung gefunden, dass bisher aus sozial schwierigen Verhältnissen und Schüler*in- nur 2% der Nicht-Akademikerkinder an Ferienkursen nen mit Migrationshintergrund verpflichtend werden teilgenommen haben, während es unter Akademiker- (60%, 57% bzw. 55% dafür; 27–30% dagegen). Zwei zu- kindern immerhin 11% waren (Wößmann et al. 2021). fällig ausgewählte Teilgruppen der Befragten wurden Dies unterstreicht die Wichtigkeit von verpflichtenden vor der Beantwortung dieser Frage darüber informiert, Förderprogrammen, auch wenn freiwillige Programme dass (i) Unterrichtsausfälle das spätere Erwerbsein- in der Bevölkerung etwas beliebter sind. kommen der betroffenen Schüler*innen verringern können bzw. (ii) sich die tägliche Lernzeit während Sollten die Schulen digitale Lernformate der Schulschließungen in etwa halbiert hat. Diese zu- dauerhaft integrieren? sätzlichen Informationen haben keinen nennenswer- ten Einfluss auf die Zustimmung zu verpflichtenden Die Corona-Pandemie erforderte von den Schulen Ferienkursen, was möglicherweise darauf zurückzu- die Einführung neuer digitaler Distanzunterrichts- führen ist, dass die Befragten diese Information bei konzepte, um den Schulbetrieb während der Schul- der Beantwortung bereits berücksichtigen. schließungen aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf die Zeit Die Zustimmung zu Ferienkursen erhöht sich nach Corona stellt sich die Frage, ob dieser Corona- nochmal deutlich, wenn diese freiwillig angeboten bedingte Digitalisierungsschub genutzt werden sollte, werden: Freiwillige Ferienkurse für alle Schüler*in- um digitale Lernformate dauerhaft in den Schulalltag nen werden von 65% der Befragten befürwortet. Für zu integrieren. leistungsschwächere Schüler*innen, Schulkinder mit Insgesamt stehen die Deutschen der verpflichten- aus sozial schwierigen Verhältnissen und Schüler*in- den Integration von digitalen Formaten in der Schule nen mit Migrationshintergrund ist die Zustimmung sehr positiv gegenüber. Die höchste Zustimmung mit 74%, 74% bzw. 71% deutlich höher. 43–46% sind (77%) erfährt der Vorschlag, weiterhin Computer sogar »sehr dafür«. und Tablets im Unterricht zu verwenden (vgl. Abb. 5). Das Ergebnis, dass verpflichtender Förderunter- Ähnlich groß ist die Zustimmung zur Verwendung von richt und Ferienkurse vor allem für benachteiligte digitalen Lernplattformen, zu Online-Sprechstunden Schüler*innen befürwortet werden, zeigt deutlich, zwischen Lehrkräften und Eltern und zur Bereitstel- dass den Deutschen zielgerichtete Initiativen zur Ver- lung von Videomaterial mit Erklärungen durch die ringerung von Corona-bedingter Bildungsungleichheit Lehrkräfte (jeweils 74%). Auch Online-Sprechstunden wichtig sind. Freiwillige Ferienkurse werden besonders zwischen Lehrkräften und Schüler*innen werden von befürwortet. Allerdings zeigt die Bildungsforschung, 73% der Befragten befürwortet. Nur kleine Minder- dass freiwillige Bildungsprogramme vor allem von so- heiten der Befragten von 13–16% sprechen sich sehr oder eher gegen die Verwendung dieser Formate aus. Gespalten ist die Meinung einzig beim ver- Abb. 5 Welche digitalen Formate sollten die Schulen auch nach Corona anbieten? pflichtenden Angebot von Hybridunterricht, an dem Deutliche Mehrheiten für Verwendung von Computern im Unterricht und Online-Formate, gespaltene Schulkinder entweder online oder in Präsenz teilneh- Meinung zu Hybridunterricht men können. Zwar spricht sich eine knappe Mehrheit Sehr dafür Eher dafür Weder dafür noch dagegen Eher dagegen Sehr dagegen von 51% dafür aus, gleichzeitig ist jedoch auch über ein Drittel (37%) der Bevölkerung dagegen. Insgesamt Verwendung von Computer oder Tablet im Unterricht 44 33 10 8 4 begreift also eine deutliche Mehrheit der Deutschen Digitale Lernplattformen die Coronakrise als Chance, die Schulen in Deutsch- 38 36 12 9 5 land dauerhaft digitaler zu machen. Online-Sprechstunden mit den Lehrkräften für Eltern 37 37 12 10 4 GESELLSCHAFTLICHE KOMPETENZEN Bereitstellung von Videos mit Erklärungen der Lehrkraft 35 39 11 11 5 Die Corona-Pandemie stellt das Bildungssystem nicht Online-Sprechstunden mit den Lehrkräften für Schüler*innen nur aufgrund von Schulschließungen und den damit 34 39 11 11 5 einhergehenden Lerneinbußen vor große Herausforde- Hybridunterricht, bei dem Schüler*innen entweder online oder in Präsenz teilnehmen können rungen. Sie hat auch die große Bedeutung von grund- 23 28 13 19 16 legenden gesellschaftlichen Kompetenzen wie etwa 0 25 50 75 100 % demokratischen und wissenschaftlichen Kompetenzen Frage (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): in der Bevölkerung unterstrichen – und in einigen Tei- Sind Sie dafür oder dagegen, dass Schulen verpflichtet werden, auch nach Ende der Pandemie folgende digitale len der Bevölkerung ernsthafte Defizite aufgezeigt. So Formate anzubieten? wurden bei Demonstrationen gegen die Corona-Politik Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut laut Verfassungsschutz nicht nur demokratische Ent- 32 ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE scheidungsprozesse und Institutionen »in sicherheits- definieren die drei gesellschaftlichen Kompetenzberei- gefährdender Art und Weise« delegitimiert, sondern che wie folgt. Bei demokratischen Kompetenzen wur- auch Verbindungen zu demokratiefeindlichen Grup- den die Befragten gebeten, zum einen an demokrati- pierungen wie Rechtsextremist*innen gesucht (vgl. sche Einstellungen wie die Akzeptanz von demokra- Bundesamt für Verfassungsschutz 2021). Demokra- tischen Entscheidungen oder die Toleranz gegenüber tieskeptische Tendenzen sind nicht nur bei Demons- anderen Meinungen und zum anderen an Wissen über trationen festzustellen, sondern spiegeln sich auch demokratische Institutionen, Prozesse und Grundprin- in der Demokratieunzufriedenheit von erheblichen zipien der Demokratie zu denken. Wissenschaftliche Teilen der Gesamtbevölkerung wider.2 Kompetenzen definieren wir als die Fähigkeit, sich Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse für die Be- über wissenschaftliche Ergebnisse zu informieren und kämpfung der Corona-Pandemie unerlässlich sind, ist diese einordnen zu können. Wirtschaftliche Kompe- das Vertrauen der Deutschen in – und das Verständ- tenzen definieren wir als Wissen über wirtschaftliche nis von – Wissenschaft in Bezug auf die Coronakrise Zusammenhänge und Verständnis von wirtschaftli- relativ gering. Dies zeigt sich nicht nur anhand der chem Handeln. Verbreitung von Verschwörungserzählungen, zum Beispiel über die Covid-19-Schutzimpfung. Auch das Sollten gesellschaftliche Kompetenzen im repräsentative Wissenschaftsbarometer 2020 zeigt, Bildungssystem vermittelt werden? dass die Deutschen gegenüber Forschung zur Coro- na-Pandemie besonders skeptisch sind (vgl. Wissen- Weder Art noch Umfang der Vermittlung der drei ge- schaft im Dialog 2020).3 sellschaftlichen Kompetenzbereiche im Bildungssys- Das Bildungssystem kann den Umgang mit sol- tem sind in Deutschland einheitlich geregelt. Zwar chen gesellschaftlichen Entwicklungen wesentlich legen bundesländerspezifische Rahmenlehrpläne bil- prägen und Fehlentwicklungen abmildern (vgl. Ak dungspolitische Ziele für die Entwicklung bestimmter tionsrat Bildung 2020). Durch die Vermittlung entspre- gesellschaftlicher Kompetenzen fest, empirische Be- chender Kompetenzen kann das Bildungssystem einen funde weisen jedoch auch darauf hin, dass die unter- Beitrag zur Stabilisierung der Gesellschaft leisten, da entsprechende Kompetenzen schon in jungen Jah- Abb. 6 ren erlernt und im weiteren Bildungsverlauf gefestigt In welchen Bildungseinrichtungen befürworten die Deutschen die Vermittlung werden können. So können beispielsweise in Schulen grundlegender gesellschaftlicher Kompetenzen? und anderen Bildungseinrichtungen Programme zur Große Mehrheiten für Vermittlung gesellschaftlicher Kompetenzen ab der Grundschule Extremismusprävention eingeführt werden, um Ra- Sehr dafür Eher dafür Weder dafür noch dagegen Eher dagegen Sehr dagegen dikalisierungstendenzen entgegenzuwirken, wissen- Demokratische Kompetenzen schaftliche Kompetenzen gefördert werden, um die Kindergärten 33 32 15 12 8 Einordnung von Forschungsergebnissen zu erleich- Grundschulen 41 35 11 8 5 tern, oder wirtschaftliche Zusammenhänge vermit- Gymnasien 58 25 9 42 telt werden, damit sich Jugendliche in der komplexen Andere weiterführende Schulen 57 27 10 43 Wirtschaftswelt zurechtfinden und rationale Entschei- Berufsschulen 55 28 10 4 3 dungen treffen. Hochschulen und Universitäten 56 27 10 43 Aus diesem Grund hat das diesjährige ifo Bil- Wissenschaftliche Kompetenzen dungsbarometer einen Schwerpunkt auf die Frage Kindergärten 20 26 14 23 17 gelegt, inwieweit grundlegende gesellschaftliche Grundschulen 27 37 10 17 9 Kompetenzen laut der Meinung der Deutschen im Gymnasien 57 29 8 51 Bildungssystem vermittelt werden sollten. Dabei fo- Andere weiterführende Schulen 52 34 8 42 kussieren wir uns auf drei Bereiche gesellschaftlicher Berufsschulen 52 31 10 52 Kompetenzen, die vor allem während der Coronakrise Hochschulen und Universitäten 61 25 9 31 an Bedeutung gewonnen haben: demokratische, wis- Wirtschaftliche Kompetenzen senschaftliche und wirtschaftliche Kompetenzen. Wir Kindergärten 13 22 16 25 23 Grundschulen 20 35 12 23 11 2 Krause et al. (2020) finden in einer repräsentativen Umfrage, dass Gymnasien 56 29 8 42 38% der Befragten damit unzufrieden sind, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Laut Wehrkamp (2020) stimmen 14% der Andere weiterführende Schulen 54 32 8 32 Deutschen der Aussage »Die Demokratie ist – alles in allem – das Berufsschulen 55 30 9 5 2 beste politische System« nicht zu. 3 Das Wissenschaftsbarometer 2020 zeigt zum Beispiel, dass rund Hochschulen und Universitäten 59 26 8 52 40% der Deutschen denken, dass Wissenschaftler*innen uns nicht alles sagen, was sie über das Coronavirus wissen. 29% denken, dass 0 25 50 75 100 % die Corona-Pandemie zu einer größeren Sache gemacht wird, als sie Fragen (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): ist, und 15% sind sogar der Meinung, dass es keine eindeutigen Be- Sind Sie dafür oder dagegen, dass in den folgenden Bildungseinrichtungen demokratische Kompetenzen (z.B. weise für die Existenz des Coronavirus gibt. Anhand von historischen Akzeptanz von demokratischen Entscheidungen, Toleranz gegenüber anderen Meinungen oder Wissen über Daten zeigen Eichengreen et al. (2021), dass Personen, die in beson- demokratische Institutionen und Grundprinzipien) [wissenschaftliche Kompetenzen (die Fähigkeit, sich über ders beinflussbaren Entwicklungsphasen ihres Lebens einer Epide- wissenschaftliche Ergebnisse informieren und diese einordnen zu können) / wirtschaftliche Kompetenzen (z.B. das mie ausgesetzt waren, Wissenschaftler*innen weniger Vertrauen ent- Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge und wirtschaftliches Handeln)] vermittelt werden? gegenbringen. Dies gilt besonders für Personen mit geringer wissenschaftlicher Vorbildung. Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021 33
FORSCHUNGSERGEBNISSE schiedlichen Themenkomplexe teilweise nur vereinzelt sogar 84–87% an Gymnasien, anderen weiterführen- behandelt werden. Beispielsweise geben im Rahmen den Schulen, Berufsschulen sowie Hochschulen und der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung Universitäten. (IGLU) 2016 nur 11% der befragten Grundschulleitun- Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für wirtschaft- gen in Deutschland an, dass »Demokratie, eine Welt« liche Kompetenzen (z.B. Wissen über wirtschaftliche ein Schwerpunkt ihres Schulprofiles ist, und nur 8% Zusammenhänge und wirtschaftliches Handeln). Wäh- sagen, dass »Forschung« ein Schwerpunktthema ist rend nur eine Minderheit von 36% sehr oder eher für (vgl. Aktionsrat Bildung 2020). die Vermittlung dieser Kompetenzen in Kindergärten Vor diesem Hintergrund haben wir zunächst ganz ist, sind es an Grundschulen bereits 55% und 84–86% allgemein erfragt, ob demokratische, wissenschaftli- an den weiterführenden Bildungseinrichtungen.4 che und wirtschaftliche Kompetenzen in verschiede- Zur Einordnung des Themas ist es auch von Inter- nen Bildungseinrichtungen vermittelt werden sollten. esse, welchen Stellenwert die Deutschen gesellschaft- Große Mehrheiten von 64–84% sprechen sich sehr lichen Kompetenzen im Vergleich zu den Kernkom- oder eher für die Vermittlung von demokratischen petenzen Lesen, Schreiben und Rechnen einräumen. Kompetenzen (z.B. die Akzeptanz von Mehrheitsent- Dazu haben wir erfragt, wie wichtig es nach Meinung scheidungen, Toleranz gegenüber anderen Meinun- der Deutschen für die Zukunft der Gesellschaft ist, gen oder Wissen über demokratische Institutionen) dass den Schüler*innen verschiedene Kompetenzen in Kindergärten, Grundschulen, Gymnasien, anderen vermittelt werden. Alle abgefragten Kompetenzen wer- weiterführenden Schulen, Berufsschulen und Hoch- den jeweils von einer überwältigenden Mehrheit der schulen aus (vgl. Abb. 6). deutschen Bevölkerung als »sehr« oder »eher« wichtig Auch die Vermittlung von wissenschaftlichen eingeschätzt (vgl. Abb. 7). Die drei gesellschaftlichen Kompetenzen (z.B. die Fähigkeit, sich über wissen- Kompetenzbereiche werden von jeweils mindestens schaftliche Ergebnisse informieren und diese einord- 84% der Bevölkerung als (sehr oder eher) wichtig ein- nen zu können) wird ab der Grundschule mehrheitlich geschätzt. Am wichtigsten sind den Deutschen Lese- befürwortet. Während die Meinung zur Vermittlung und Schreibkompetenzen: 77% halten diese sogar für dieser Kompetenzen in Kindergärten noch relativ ge- »sehr« wichtig. Mathematische Kompetenzen sowie spalten ist (46% dafür, 40% dagegen), ist eine ein- Digital- und Medienkompetenzen finden 50% bzw. deutige Mehrheit von 63% für die Vermittlung wis- 52% der Befragten sehr wichtig. Fast die Hälfte (48%) senschaftlicher Kompetenzen an Grundschulen und hält demokratische Kompetenzen für sehr wichtig, bei wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kompeten- Abb. 7 zen sind es immerhin 37% bzw. 38%. Während den Welche Kompetenzen sind für die Zukunft der Gesellschaft wichtig? Deutschen also die Vermittlung von Kernkompetenzen Deutsche messen gesellschaftlichen Kompetenzen große Bedeutung bei am wichtigsten ist, wird auch den gesellschaftlichen Sehr wichtig Eher wichtig Weder noch Kompetenzen ein hoher Stellenwert beigemessen. Eher nicht wichtig Gar nicht wichtig Im Einklang damit messen die Deutschen wissen- schaftlichen Kompetenzen auch eine hohe Praxisrele- Lese- und Schreibkompetenzen 77 16 3 31 Mathematische Kompetenzen 50 37 5 7 1 vanz zu. So stimmen 81% der Befragten der Aussage Demokratische Kompetenzen 48 36 6 8 3 sehr oder eher zu, dass wissenschaftliche Kompe- Wissenschaftliche Kompetenzen 37 47 5 9 2 tenzen dabei helfen, im Alltag gute Entscheidungen Wirtschaftliche Kompetenzen 38 48 5 8 1 zu treffen, und 72% denken, dass sie besonders in Digital- und Medienkompetenzen 52 36 4 6 2 der Corona-Pandemie helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Stimme sehr zu Stimme eher zu Weder noch Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Wie sollten Schulen gesellschaftliche Wissenschaftliche Kompetenzen helfen... Kompetenzen vermitteln? ...im Alltag, gute Entscheidungen zu treffen 34 47 11 7 1 Wie die Vermittlung gesellschaftlicher Kompetenzen ...besonders in der Corona-Pandemie, gute Entscheidungen zu treffen 32 40 14 10 4 in Schulen konkret erfolgt, unterscheidet sich nach Bundesland, Schulart und der betrachteten Kompe- 0 25 50 75 100 % tenz. In den meisten Bundesländern wurde seit einem Frage 1 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach für die Zukunft der Gesellschaft, dass folgende Kompetenzen an Schüler*innen Beschluss der Kultusministerkonferenz im Jahr 1950 vermittelt werden? 4 Kategorien: Lese- und Schreibkompetenzen; Mathematische Kompetenzen; Demokratische Kompetenzen (z.B. Um zu vermeiden, dass die Teilnehmenden bei der Beantwortung Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen, Toleranz gegenüber anderen Meinungen oder Wissen über demokratische der Fragen gedanklich zwischen den drei Themengebieten Demokra- Institutionen); Wissenschaftliche Kompetenzen (die Fähigkeit, sich über wissenschaftliche Ergebnisse informieren tie, Wissenschaft und Wirtschaft hin- und herspringen müssen, ha- und diese einordnen zu können); Wirtschaftliche Kompetenzen (z.B. das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge ben wir alle Fragen zum jeweiligen Themenkomplex gebündelt abge- und wirtschaftliches Handeln); Digital- und Medienkompetenzen (z.B. Umgang mit digitalen Geräten, fragt. Die konkreten Fragen zur Vermittlung demokratischer, Grundkenntnisse im Programmieren, Umgang mit sozialen Medien). wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Kompetenzen wurden also Frage 2 (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): nicht direkt hintereinander abgefragt (wie grafisch dargestellt), son- Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu wissenschaftlichen Kompetenzen (der Fähigkeit, sich über dern zeitlich getrennt voneinander. Dass die Zustimmungsraten zur wissenschaftliche Ergebnisse informieren und diese einordnen zu können) zu? Vermittlung aller drei Kompetenzbereiche nahezu identisch ausfal- len, ist also nicht auf die Anordnung der Fragen in der Befragung Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut zurückzuführen. 34 ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE ein eigenständiges verpflichtendes Unterrichtsfach Abb. 8 zur politischen Bildung eingeführt, im Rahmen dessen Wie sollten gesellschaftliche Kompetenzen unterrichtet werden? Knappe Mehrheiten für Vermittlung demokratischer und wissenschaftlicher Kompetenzen als vor allem demokratische Kompetenzen gelehrt wer- Bestandteil bestehender Fächer den (vgl. Aktionsrat Bildung 2020). Wissenschaftliche Kompetenzen werden hingegen vor allem fächerüber- Als eigenständiges Unterrichtsfach Als fester Bestandteil bestehender Fächer Sollte nicht unterrichtet werden greifend in den sogenannten MINT-Fächern (Mathe- Demokratische Kompetenzen matik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) Grundschulen 23 58 20 unterrichtet (vgl. Wiesbeck et al. 2019). Zur Vermitt- Gymnasien 40 54 5 lung wirtschaftlicher Kompetenzen haben einige Bun- Andere weiterführende Schulen 39 55 6 desländer (z.B. Bayern oder Baden-Württemberg) ein Berufsschulen 35 54 11 eigenständiges Unterrichtsfach eingeführt, während Wissenschaftliche Kompetenzen andere Bundesländer wirtschaftliche Inhalte als fes- Grundschulen 24 48 28 ten Bestandteil bereits bestehender Unterrichtsfächer Gymnasien 45 51 4 integriert haben. Andere weiterführende Schulen 41 55 4 Auf die Frage, wie gesellschaftliche Kompetenzen Berufsschulen 42 51 7 an verschiedenen Bildungseinrichtungen unterrichtet werden sollten, sind die Deutschen mehrheitlich dafür, Wirtschaftliche Kompetenzen dass demokratische und wissenschaftliche Kompeten- Grundschulen 24 42 34 zen als fester Bestandteil bestehender Fächer unter- Gymnasien 51 45 3 richtet werden (54–58% dafür bzw. 48–55% dafür; vgl. Andere weiterführende Schulen 47 48 5 Abb. 8). Gespaltener ist die Meinung in Bezug auf die Berufsschulen 53 42 5 Vermittlung wirtschaftlicher Kompetenzen. Während 0 25 50 75 100 % sich eine relative Mehrheit der Befragten (42%) für die Fragen (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Vermittlung wirtschaftlicher Kompetenzen im Rahmen Wie sollten demokratische Kompetenzen (z.B. Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen, Toleranz gegenüber anderen Meinungen oder Wissen über demokratische Institutionen und Grundprinzipien) [wissenschaftliche Kompetenzen (die bestehender Fächer an Grundschulen ausspricht, ist Fähigkeit, sich über wissenschaftliche Ergebnisse informieren und diese einordnen zu können) / wirtschaftliche Kompetenzen (z.B. das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge und wirtschaftliches Handeln)] Ihrer Meinung die Meinung in Bezug auf die Vermittlung von wirt- nach an den folgenden Bildungseinrichtungen unterrichtet werden? schaftlichen Kompetenzen an Gymnasien, anderen Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut weiterführenden Schulen und Berufsschulen geteilt. Neben der allgemeinen Einschätzung der Deut- schen zum Unterrichten gesellschaftlicher Kompeten- Schließlich sprechen sich 78% dafür aus, dass alle zen hat das ifo Bildungsbarometer 2021 auch das Mei- Schüler*innen an deutschlandweiten Aktionstagen nungsbild zu konkreten Zielen des Politikunterrichts teilnehmen, die während der regulären Unterrichtszeit erhoben. Als wichtigste Ziele des Politikunterrichts wirtschaftliche Kompetenzen vermitteln. Bei solchen sehen die Befragten mehrheitlich die Vermittlung Aktionstagen können Schüler*innen beispielsweise von Wissen über politische Systeme (62%), Toleranz spielerisch lernen, wie unternehmerische Prozesse gegenüber anderen Meinungen (60%) sowie Wissen funktionieren oder wie man Investitionsentscheidun- über demokratische Institutionen (59%; vgl. Abb. 9). gen trifft. Akzeptanz von demokratischen Entscheidungen, Prä- Insgesamt zeigt sich also, dass die Deutschen vention von Extremismus und Radikalisierung sowie der Vermittlung demokratischer, wissenschaftlicher Förderung von politischem Engagement werden im- merhin von 40% bis 43% der Deutschen als wichtiges Abb. 9 Ziel angesehen. Was sind für die Deutschen die wichtigsten Ziele des Politikunterrichts? Vermittlung von Wissen über politische Systeme und demokratische Grundprinzipien sowie Toleranz In Bezug auf konkrete bildungspolitische Maßnah- gegenüber anderen Meinungen als primäre Ziele angesehen men zur Förderung gesellschaftlicher Kompetenzen sind breite Mehrheiten von 62% bis 82% sehr oder Vermittlung von Wissen über politische Systeme eher dafür, politische Medienkompetenzen als festen 62 Bestandteil des Unterrichts an Grundschulen, weiter- Toleranz gegenüber anderen Meinungen 60 führenden Schulen und Berufsschulen zu verankern Vermittlung von Wissen über demokratische Institutionen, Prozesse und Grundprinzipien (vgl. Abb. 10). Für den Vorschlag, wissenschaftliche 59 Kompetenzen als festen Bestandteil in die Lehrpläne Akzeptanz von demokratischen Entscheidungen von allgemeinbildenden Schulen zu integrieren, 43 sprechen sich 78% der Befragten aus, nur 10% sind Prävention von Extremismus und Radikalisierung dagegen. 41 Auch praxisnahe Initiativen zur Vermittlung von Förderung von politischem Engagement (z.B. Wählen gehen) 40 gesellschaftlichen Kompetenzen finden große Zustim- mung: 72% der Befragten sind dafür, an den Schulen 0 25 50 75 100 % verpflichtend regelmäßig Veranstaltungen mit Wissen- Frage (einer zufällig ausgewählten Teilgruppe gestellt): Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ziele des Politikunterrichts in der Schule? (Mehrfachnennung möglich). schaftler*innen abzuhalten, um Schüler*innen wissen- schaftliche Arbeit aus erster Hand näherzubringen. Quelle: ifo Bildungsbarometer 2021. © ifo Institut ifo Schnelldienst 9 / 2021 74. Jahrgang 15. September 2021 35
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