BKHS-Blickwinkel - Ansichten europäischer Politiker*innen der nächsten Generation zur transatlantischen Zusammenarbeit ...
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BKHS-Blickwinkel 17 20 , on ni U e ch is pä ro Eu © Ansichten europäischer Politiker*innen der nächsten Generation zur transatlantischen Zusammenarbeit Autor: Bruce Stokes In Kooperation mit
BKHS-Blickwinkel Zentrale Erkenntnisse #1: Die nächste Generation europäischer Politiker*innen glaubt, dass die Vereinigten Staaten und Europa bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen zusammenarbeiten können, etwa in den Themenbereichen China, Technologie, Klimawandel, Wirtschaft und Sicherheit. #2: Während junge europäische Abgeordnete im Allgemeinen eine größere europäische Eigenständigkeit befürworten, sehen sie auch Grenzen für die Autonomie der Euro- päischen Union. #3: Die transatlantische Zusammenarbeit im Umgang mit China findet allgemeine Un- terstützung, während die künftige Kooperation mit den Vereinigten Staaten auf den Gebieten Technologie und Klimawandel mit einiger Skepsis betrachtet wird. #4: Während das Vertrauen in die Vereinigten Staaten in der Ära Trump einen schweren Schlag erlitten hat, sind die führenden europäischen Politiker*innen der nächsten Generation vorsichtig hoffnungsvoll, was die Zuverlässigkeit der USA in der Zukunft angeht. Vieles hängt jedoch davon ab, ob Washington in der Lage ist, Maßnahmen zum Klimawandel zu ergreifen. In Kooperation mit
BKHS-Blickwinkel #02_2021 #02_2021 – 21. September 2021 Ansichten europäischer Politiker*innen der nächsten Generation zur transatlantischen Zusammenarbeit Bruce Stokes Deutschland geht am 26. September zu histor- Welt geschah, als er zwanzig war.“ Die jungen Ab- ischen Wahlen an die Urnen. Nach 16 Jahren an geordneten haben die Vereinigten Staaten anders der Macht tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel, erlebt als ihre älteren Kolleg*innen. Ihr Weltbild eine starke Befürworterin enger amerikanisch- wurde nach dem Ende des Kalten Krieges und europäischer Beziehungen, von ihrem Amt zurück. dem Aufstieg Chinas zu einer Weltmacht geprägt. Die drei Kanzlerkandidat*innen sind allesamt Zudem werden die Umstände, die die Bedeutung überzeugte Transatlantiker*innen. Doch wer auch der transatlantischen Beziehungen für ihre älteren immer sich durchsetzen wird, es wird eine neue Kolleg*innen prägten, zunehmend durch eine Ära in der deutschen und europäischen Politik und Reihe neuer, vielschichtiger globaler Herausfor- in den Beziehungen Europas zu den Vereinigten derungen, wie den Klimawandel, abgelöst. Staaten beginnen. Die Weltanschauung der nächsten Generation Die nächste Generation führender Politiker*innen, die bald die Regierungsbühne betreten wird, steht „Die Menschen in den 50er- und 60er-Jahren in ganz Europa in den Startlöchern, in den lebten im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten in nationalen Parlamenten als auch im Europäischen einem anderen Umfeld“, meinte ein Mitglied der Parlament. In den kommenden Jahren werden sie Freien Demokratischen Partei (FDP) im Deutschen zur Gestaltung Europas und seiner Beziehungen Bundestag, „sie waren von der amerikanischen zu den Vereinigten Staaten beitragen. Ihre Kultur umgeben.“ Und doch plädieren heute selbst Prioritäten und ihre Auffassungen im Hinblick auf viele ältere führende Politiker*innen in Europa für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen eine größere strategische Autonomie oder tech- werden darüber entscheiden, ob beide Seiten bei nologische Souveränität Europas (und damit für der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen eine gewisse Abkopplung von den Vereinigten zusammenarbeiten können: China, Klimawandel, Staaten). Expert*innen warnen, dass Washington Technologie, Wirtschaft und Sicherheit. im Zuge des Afghanistan-Abzugs unzuverlässig geworden ist. Napoleon Bonaparte bemerkte einmal: „Um einen Mann zu verstehen, muss man wissen, was in der 3
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Die jüngeren Europäer*innen haben die Verei- Die Verlockung der Abkopplung nigten Staaten anders erlebt. „Was denken die sich dabei?“, fragte ein Mitglied der Sozialdemokra- Europa hat sich lange über seine untergeordnete tischen Partei (SDP) in Berlin rhetorisch. „Es ging Rolle in den transatlantischen Beziehungen geär- los mit dem 11. September und dann Irak, George gert. Das kam in regelmäßigen Abständen bei- W. Bush, Afghanistan, Abu Ghraib, Trump, Klima spielsweise in einer breiten Opposition gegen den und China.“ Aufgrund ihrer unterschiedlichen Er- Vietnamkrieg und den Irakkrieg zum Ausdruck. In fahrungen haben sie eine positive, aber differenz- jüngster Zeit auch in der Reaktion auf die „America ierte Sicht auf die künftigen transatlantischen Be- First“-Politik von Präsident Donald Trump, seine ziehungen. Sie befürworten die weitere Zusam- Verunglimpfung multilateraler Institutionen (insbe- menarbeit mit den Vereinigten Staaten, äußern sondere der Europäischen Union) und seine Dro- jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie hungen, die Vereinigten Staaten aus der NATO ab- mit China oder Fragen der Technologie umzu- zuziehen. gehen ist, und sie teilen den allgemeinen Wunsch, dass Europa seine Fähigkeiten ausbaut. Gleich- In den letzten Jahren haben sich ältere europä- zeitig erkennen sie allgemein an, dass Europa ische Staats- und Regierungschef*innen für ein keinen Alleingang machen kann, wenn es die Her- gewisses Maß an größerer europäischer Unab- ausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich hängigkeit ausgesprochen. „Die Zeiten, in denen bewältigen will. wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind Die diesem Policy Brief zugrunde liegenden Interviews wurden im Anschluss an die 150 Interviews geführt, die im Vorfeld des Berichtes „Together or Alone: Choices and Strategies for Transatlantic Relations for 2021 and Beyond“ durchgeführt wurden, der Bericht der vom German Marshall Fund of the United States und der Bundeskanzler- Helmut-Schmidt-Stiftung einberufenen Task Force aus dem Jahr 2020. In Ergänzung zu den ersten Interviews der Task Force und um die Ansichten junger führender Politiker*innen in Europa besser widerzuspiegeln, wurden zwischen April und August 2021 40 zusätzliche Gespräche mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente in ganz Europa geführt. Die Befragten repräsentierten eine Reihe politischer Parteien aus 16 europäischen Ländern. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle unter 40 Jahre alt. Diese Interviews spiegeln nicht notwendigerweise das gesamte Meinungsspektrum junger führender Politiker*innen in Europa wieder, die alle ihre eigenen Erfahrungen, Ideologien und Nationalitäten haben. Sie geben vielmehr eine Auswahl der Ansichten derjenigen wieder, die bereit und in der Lage waren, sich auf Englisch interviewen zu lassen. In Anbetracht ihrer Interessen und ihrer Sprachkenntnisse sind sie möglicherweise eher bereit, die transatlantische Zusammenarbeit zu unterstützen als eine Gruppe von Befragten, die eine größere Vielfalt aufweist. Um Offenheit zu gewährleisten, wurden alle Gespräche anonymisiert geführt. Die von der Task Force ermittelten Herausforderungen bildeten den Rahmen für die Gespräche, waren aber nicht auf diese beschränkt: China, Technologie, Klimawandel, wirtschaftliche Erholung und Sicherheit. 4
BKHS-Blickwinkel #02_2021 ein Stück vorbei“, sagte Bundeskanzlerin Merkel wir nicht völlig unabhängig sein können.“ Ein Mit- 2017.1 „Wir Europäer müssen unser Schicksal wir- glied der Grünen im Bundestag stimmte dem nur klich in unsere eigene Hand nehmen.“ 2018 bedingt zu: „Um die Mittel zur Realisierung unserer äußerte sich der Präsident der Europäischen Kom- Vorhaben zu erhalten, müssen wir in einigen mission Jean-Claude Juncker: „Wir wollen mehr Bereichen souveräner sein als in anderen. Das Verantwortung und Unabhängigkeit“ und „jetzt bedeutet, dass wir im Verteidigungssektor auf schlägt die Stunde der europäischen Souveräni- kurze Sicht nicht in der Lage sein werden, tät.“2 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist [souverän zu sein]. Im digitalen Sektor hat die EU der lautstärkste Befürworter der europäischen Au- mehr zu bieten als die USA und auch in einigen tonomie. „Es ist nicht so, dass wir die bestehen- Bereichen grüner Technologie. [Aber] ich trenne den Bündnisse oder Partnerschaften auflösen wol- [das] von Autonomie, alles allein zu machen und len“, sagte er im Juli, aber Europa brauche seine sich vom Rest der Welt abzukoppeln“. eigenen militärischen und technologischen Res- sourcen, denn „Zusammenarbeit kann keine Eine solche Befürwortung einer größeren euro- Abhängigkeit sein.“3 Diese Appelle für mehr euro- päischen Eigenständigkeit ist kein Antiamerikan- päische Autonomie sind nach dem Rückzug der ismus alter Prägung. „Dies ist nicht gegen die USA USA aus Afghanistan lauter geworden. „Es ist klar, gerichtet“, versicherte ein Mitglied des Europä- dass der Bedarf an mehr europäischer Verteidi- ischen Parlaments von der Mitte-Rechts-ÖVP. „Bei gung noch nie so offensichtlich war wie heute“, der strategischen Autonomie geht es um ein sagte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Europa, das besser in der Lage ist, innerhalb Sicherheitspolitik Josep Borrell bei einem Treffen seiner Grenzen und im Ausland einen Beitrag zu der europäischen Verteidigungs- und Außenmini- leisten, ... nicht um den USA etwas entgegen- ster*innen im September.4 zusetzen, sondern um sie besser zu unterstützen. Strategische Autonomie trägt zur transatlantischen Unter den jüngeren Politiker*innen besteht auch Zusammenarbeit bei“. der Wunsch, dass Europa besser auf eigenen Füßen stehen können soll, doch wird dieser Gleichzeitig sind nicht alle befragten jungen Ab- Wunsch durch die Wahrnehmung seiner Grenzen geordneten der Meinung, dass die Abkopplung abgeschwächt. „Donald Trump war gut für die unbedingt machbar ist. „In einer Welt, die von europäische Souveränität“, sagte ein Mitglied der Systemrivalität geprägt ist“, sagte ein Mitglied der französischen Nationalversammlung von Macrons Grünen im Bundestag, „werden wir nicht über- zentristischer Partei La République en Marche! leben, wenn [Europa und die Vereinigten Staaten] (LREM). „Es ist nicht verrückt, europäische Sou- nicht zusammenstehen“. Ein Mitglied des Euro- veränität aufzubauen. [Aber] der Wille, diese Un- päischen Parlaments von der Mitte-Rechts-Partei abhängigkeit in der Luft, im Weltraum und im Kroatische Demokratische Union stimmte dem zu: Cyberspace zu erreichen, ist in der EU völlig neu. „Wir müssen ehrlich sein. Wir können auf der “Ein anderes LREM-Mitglied unterstützte Macrons globalen Bühne nicht wirksam handeln, weil wir Wunsch nach europäischer Unabhängigkeit, räu- noch einen einstimmigen Konsens unter den 27 mte aber gleichzeitig ein, dass eine Abkopplung EU-Mitgliedstaaten finden müssen.“ Ein Mitglied sehr komplex sei: „Jetzt, wo die USA nicht mehr des spanischen Congreso de los Diputados von berechenbar sind, müssen wir sicher gehen, dass der konservativen Volkspartei äußerte sich noch wir, wenn wir etwas tun müssen, es auch tun deutlicher: „Wir sollten nicht nach Autonomie können. Wir dürfen von den USA nicht zu abhängig streben. Das ist keine gute Idee. Dafür haben wir sein. [Aber] wir sind uns darüber im Klaren, dass keine Kapazitäten. Wir müssen auf der richtigen 1 GiuliaParavicinia, “Angela Merkel: Europe must take ‘our fate’ into own hands,” Politico, 28. Mai 2017. 2 Jean-Claude Juncker, “State of the Union 2018,” Europäische Kommission, 12. September 2018. 3 New York Times, “Macron Tells Biden That Cooperation With U.S. Cannot Be Dependence,” 29. Januar 2021. 4 Al Jazeera, “EU pushes for more defence autonomy amid Afghanistan fallout,” 2. September 2021. 5
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Seite der Geschichte stehen, das heißt an der Sei- Biden hier genießt“, so ein christdemokratisches te der Vereinigten Staaten.“ Mitglied des schwedischen Reichstags, „ermöglicht es ihm, Dinge zu tun oder vielleicht zu lassen, die Transatlantisches Vertrauen und der Abzug aus Präsident Trump nicht tun könnte. Wäre Trump Afghanistan noch Präsident und würde dasselbe in Afghanistan passieren, würden die Menschen hier im Allge- Die transatlantische Zusammenarbeit angesichts meinen heftiger reagieren. [Daher] ist die Ent- gemeinsamer Herausforderungen setzt voraus, wicklung in Afghanistan zwar tragisch, aber ich dass die Europäer*innen Vertrauen in die Zuver- glaube nicht, dass sie das allgemeine Vertrauen in lässigkeit der Vereinigten Staaten haben. „Ver- Amerika verändert.“ trauen ist die wichtigste Voraussetzung, um mit- einander zu reden, geschweige denn zusam- Unabhängig davon, wie sich der Abzug aus Af- menzuarbeiten‘“, sagte Mitglied der sozialde- ghanistan auf die Ansichten führender junger Poli- mokratischen Partei im bosnischen Parlament tiker*innen über die Vereinigten Staaten aus-wirkt, (Parlament Federacije Bosne i Hercegovine). Eine geschieht dies vor dem Hintergrund eines stark Bundestagsabgeordnete der Grünen pflichtete dem geschwächten Vertrauens Europas in seinen Ver- bei: „Wir müssen uns gegenseitig vertrauen“, sagte bündeten in der Ära Trump. Am Ende der Trump- sie. „Das muss die Grundlage für die Lösung der Präsidentschaft sank die Beliebtheit der USA in Eu- großen Herausforderungen sein, vor denen [wir ropa um durchschnittlich 31 Prozent-punkte und beide stehen]“. erreichte in vier von sieben euro-päischen Ländern, die vom Pew Research Center5 regelmäßig befragt Der abrupte Rückzug Washingtons aus Afgha- wurden, den niedrigsten Stand aller Zeiten. „Zum nistan und das Versäumnis, sich mit seinen ersten Mal“, beklagte ein LREM-Mitglied im franz- europäischen Verbündeten über eine gemeinsa- ösischen Parlament, „haben wir gesehen, dass die me Rückzugsstrategie zu beraten und abzustim- USA sich politisch von Europa abkoppeln wollten. men, löste bei Europas außenpolitischen Eliten Zum ersten Mal mussten wir uns mit Problemen Kritik aus, während die politische Führungsriege befassen, ohne dass die Vereinigten Staaten hier der nächsten Generation eher zurückhaltend rea- waren, um die NATO zu stärken oder zu fördern.“ gierte. „Die öffentliche Wahrnehmung ist sehr stark auf innenpolitische Themen und auf das Mit der Wahl Bidens stieg die Beliebtheit der Ver- deutsche Versagen in Afghanistan fokussiert“, so einigten Staaten wieder stark an: Im Juni stieg sie ein Mitglied der FDP im Bundestag. „Ich höre kaum in Frankreich um 34 Punkte, in Deutschland um 33, Vorwürfe gegen die USA und ihre Vertrauens- in Italien um 29, im Vereinigten Königreich um 23 würdigkeit gegenüber Verbündeten und dem af- und in Spanien um 22. In den meisten Ländern ghanischen Volk.“ Ein Mitglied der ÖVP im Euro- erstreckte sich dieser Anstieg auf alle Alters- päischen Parlament sieht eine Mitverantwortung für gruppen.6 Die Ansichten der jungen Parlament- das Scheitern in Afghanistan: „Der Westen hat in arier*innen spiegeln im Allgemeinen diese Entwick- seiner Gesamtheit versagt. Es ergibt keinen Sinn, lung wider. „Wir sind sehr froh, dass Biden Prä- Schuldzuweisungen zu formulieren, denn das wür- sident ist“, sagte ein LREM-Mitglied im franzö- de nur unseren Gegnern in die Hände spielen.“ sischen Parlament. Ein Mitglied von Modern, einer liberalen Partei im Unterhaus des polnischen Sejm, Auch ist für die jungen europäischen Abgeord- merkte an: „Die Wahl gibt uns die Chance, das neten nicht der US-Präsident der Schuldige. „Das Vertrauen und die Beziehungen der EU zu den insgesamt positive öffentliche Image, das Präsident Vereinigten Staaten wiederherzustellen.“ 5 Pew Research Center, America’s Image Abroad Rebounds With Transition From Trump to Biden, 10. Juni 2021. 6 Ebd 6
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Doch aufgrund des Schadens, den die Trump- Prüfung für „Herz und Verstand“ die Kongress- Administration angerichtet hat, hegen einige füh- wahlen im Jahr 2022 sind, bei denen die rende junge Politiker*innen weiterhin Zweifel an der Möglichkeit besteht, dass der Senat und das Zukunft der transatlantischen Zusammenarbeit. Repräsentantenhaus am Ende von den America- „Ich habe die amerikanische Führungsrolle in der First-Republikaner*innen kontrolliert werden. „Ich Welt als selbstverständlich angesehen“, gab ein ver-traue Amerika“, sagte ein skeptisches Mitglied Mitglied der gemäßigten Mitte-Rechts-Partei im der Grünen in Berlin. „Aber ich traue nicht dem schwedischen Parlament zu. „Aber der Perspek- politischen System.“ Ebenso wenig vertrauen tivenwechsel in den Vereinigten Staaten bedeutet, einige Abgeordnete dem amerikanischen Volk, von dass die Amerikaner nicht bereit sind, diese dem viele 2016 für Trump gestimmt und ihn Führungsrolle zu übernehmen.“ Ein FDP-Mitglied 2020 fast wiedergewählt hätten. des deutschen Bundestags mit einer noch skep- tischeren Haltung beklagte: „Die [deutsche] Öffent- Die Zukunft der transatlantischen lichkeit glaubt immer noch, dass die Vereinigten Zusammenarbeit Staaten ihre eigenen Interessen immer vor die gemeinsamen Interessen mit Europa stellen.“ Trotz der Rhetorik der Älteren über europäische Autonomie und Souveränität und trotz ihres ei- Die führenden Entscheidungsträger*innen der genen Wunsches nach größerer europäischer nächsten Generation äußern sich auch skeptisch Eigenständigkeit befürworten die führenden euro- gegenüber der Annahme der Älteren, dass päischen Politiker*innen der nächsten Generation gemeinsame Werte ein Kitt sind, der Europa und angesichts der gemeinsamen Herausforderungen die Vereinigten Staaten trotz ihrer politischen im Allgemeinen die Zusammenarbeit mit den Ver- Unterschiede immer zusammenhalten wird. Für einigten Staaten. viele sind die Werte situationsabhängig. Gemein- same Grundsätze – wie der Glaube an die China: Der gemeinsame Konkurrent Rechtsstaatlichkeit – werden als Grund dafür angeführt, dass die Vereinigten Staaten und Bereits vor den jüngsten Entwicklungen in Af- Europa im Umgang mit China zusammenarbeiten ghanistan war China ein immer größer werdendes sollten. Gleichzeitig werden unterschiedliche Thema in den transatlantischen Beziehungen, Wertvorstellungen in Bezug auf den Schutz der dank der gegenseitigen Besorgnis über seine Privatsphäre, den Klimawandel oder die Rolle des wachsende wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Staates als Hindernisse für die künftige trans- sein selbstbewusstes militärisches Auftreten und atlantische Zusammenarbeit gesehen. die Unterdrückung von Menschenrechten. Brüssel und Washington nahmen einen strategischen Dia- „Vertrauen hängt nicht nur davon ab, wer der log über China auf, und die NATO sprach zum Präsident ist“, erklärte ein SDP-Abgeordneter im ersten Mal über China als Sicherheitsbedrohung. deutschen Parlament. „Wir müssen über die Her- zen und den Verstand der Bürger sprechen. Vor Auch die transatlantische Gemeinschaft war be- allem, ob die Amerikaner mit unseren Ansichten sorgt. Laut einer Umfrage des German Marshall über die Bekämpfung des Klimawandels und die Fund 2021 sehen sieben von zehn amerikanischen Art und Weise der Regulierung übereinstimmen.“ Befragten China als Rivalen an, ebenso wie Er hat seine Zweifel. Als Politikschaffende sind durchschnittlich fast fünf von zehn europäischen sich die Entscheidungsträger*innen der nächsten Befragten.7 Auf beiden Seiten des Atlantiks bezei- Generation darüber im Klaren, dass die nächste chnen etwas weniger Millennials, die Gruppe der 7 German Marshall Fund of the United States, Transatlantic Trends 2021, Juni 2021. 7
BKHS-Blickwinkel #02_2021 nächsten Generation politischer Verantwortungs- dei Deputati) bestätigte dies: „Wir müssen China tragender, China als Rivalen. Gleichzeitig sind sich im Zaum halten, das ist die wichtigste Heraus- die europäischen und amerikanischen Befragten im forderung.“ Und er sagte unaufgefordert: „Wir Allgemeinen einig, dass in den Bereichen Men- müssen Taiwan beistehen.“ schenrechte, Cybersicherheit und Klima eine härtere Gangart gegenüber China eingeschlagen Die Auffassungen der nächsten Generation füh- werden sollte. render Politiker*innen über China hängen zum Teil davon ab, woher sie kommen. Angesichts der Die meisten jungen Politiker*innen in Europa unterschiedlichen nationalen Interessen und Er- sprechen sich für eine engere Zusammenarbeit fahrungen mahnen einige junge Abgeordnete zur mit den Vereinigten Staaten im Umgang mit Chi- Vorsicht. „Wir haben nicht zu 100 Prozent die na aus. „China ist die größte langfristige Heraus- gleichen Interessen wie die Vereinigten Staaten in forderung für die innere Kohärenz der transat- Bezug auf China“, sagte ein Mitglied der Grünen im lantischen Gemeinschaft“, so ein Mitglied der Bundestag. „Die deutsche China-Politik wird von Modern-Partei in Polen. Ein FDP-Mitglied des wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Unsere deutschen Bundestages erklärte dazu: „Die öf- Wirtschaft hängt von den Exporten nach China fentliche Meinung zu China ändert sich in ab. Solange wir so abhängig sind, wird es kaum Deutschland dahingehend, dass China als Risiko möglich sein, eine harte Haltung gegenüber China anerkannt wird. Ich glaube, dass dies dazu führen einzunehmen“. wird, dass Amerika als ‚vertrauenswürdig‘ ange- sehen wird, wenn es um die Sicherheit und Zwölf mitteleuropäische EU-Mitgliedstaaten und Fragen im Zusammenhang mit China geht“. Ein fünf Balkanländer sind Mitglieder des 17+1- Mitglied der Moderaten Partei in Schweden Formats, mit dem Peking versucht, Europa in seine stimmte dem zu: „Wir müssen mit den Vereinigten „Belt and Road Initiative” einzubinden. Ungarn Staaten in Bezug auf China zusammenarbeiten. unterhält immer engere Handelsbeziehungen zu China hat einen langfristigen Plan, und wenn wir China. Die Vorteile solcher Verbindungen mit nicht zusammenarbeiten, werden wir definitiv ver- China haben die Erwartungen nicht erfüllt, aber ihr lieren.“ Versprechen hat in Europa eine Ost-West- Spaltung ausgelöst. „In Kroatien ist die Situation Mit die freimütigste Kritik an China und Befür- anders als in den Vereinigten Staaten“, bemerkte wortung der transatlantischen Zusammenarbeit im ein Mitglied des Europäischen Parlaments von der Umgang mit China kommt von jungen Politi- Kroatischen Demokratischen Union. „Die Men- kerschaffenden der politischen Rechten. „Chi- schen haben China nicht auf dem Radar. Das wird nas Macht wächst, nicht nur militärisch, sondern sich ändern, aber im Moment sind wir noch nicht in auch wirtschaftlich und wissenschaftlich“, so ein dieser Phase. Im Gegensatz zu anderen eu- Abgeordneter der rechtsgerichteten Alternative ropäischen Ländern haben wir mit China keine für Deutschland (AfD) im deutschen Parlament. schlechten Erfahrungen gemacht.“ Ein sozialde- „Wenn es zu dieser Konfrontation kommt, muss mokratisches Mitglied des Parlaments in Bosnien jeder entscheiden, wen er unterstützen will. Wir und Herzegowina stimmte dem zu: „In Bosnien gibt können uns vor diesem Konflikt nicht verstecken. es kein China-Problem. Wir haben keine große Wir müssen uns für eine Seite entscheiden, für die Angst vor China.“ Trotz des allgemeinen Enthu- Seite der USA. Unsere Position muss die USA siasmus für die transatlantische Zusammenarbeit gegen den wachsenden chinesischen Einfluss im Hinblick auf China müssen die jungen euro- unterstützen.“ Ein Mitglied der rechten Lega-Partei europäischen Politiker*innen also zunächst ihre in der italienischen Abgeordnetenkammer (Camera internen Differenzen in dieser Frage klären. 8
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Technologische Führungsrolle ähnliches Ziel wie das Ausgabenziel der NATO haben. Dies wäre ein Maßstab für die Wett- Zum Teil stellt China eine wirtschaftliche Her- bewerbsfähigkeit, aber auch ein Mittel, um öf- ausforderung dar, die sich aus den wachsenden fentlichen Druck für mehr Investitionen in Tech- Kompetenzen des Landes im Bereich der neuen nologie auszuüben. Der Rest ist eine Frage der Technologien wie künstliche Intelligenz, moderne Regulierung. Wir brauchen regulatorische Ver- Computerchips und Quantencomputer ergibt. Pe- änderungen, um Unternehmen und Forschungs- king verfügt über das Geld, das wissenschaftliche einrichtungen die Zusammenarbeit zu erleichtern.“ Know-how und die Marktgröße, um mit Europa Doch regulatorische Konvergenz ist leichter ge- und den Vereinigten Staaten zu konkurrieren. Die sagt als getan. In puncto Regulierung sieht sich die nächste Generation führender europäischer Poli- EU selbst als globalen Trendsetter, worauf die tiker*innen ringt mit der Frage, was in dieser jungen europäischen Parlamentarier*innen stolz Situation zu tun ist. Bei der GMF-Umfrage 2021 sind. Aber wenn es um die technologische Zu- gaben sechs von zehn Europäer*innen und Ame- sammenarbeit mit den Vereinigten Staaten geht, rikaner*innen an, dass sie die transatlantische so ein Mitglied des Europäischen Parlaments Zusammenarbeit in Technologiefragen als wirk- von der sozialistischen PASOK-Partei Griechen- samen Weg ansehen, um mit China zu kon- lands, „geht es um unterschiedliche Standpunkte kurrieren – eine Meinung, die von Millennials auf hinsichtlich der Standards“. Darüber hinaus stehe beiden Seiten des Atlantiks geteilt wird.8 die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien – seien sie militärisch oder Ein Mitglied der Grünen im Bundestag betrachte- wirtschaftlich – im Widerspruch zum europäischen te die Situation realpolitisch: „Die Entwicklungen in Streben nach technologischer Souveränität, insbe- der Geschichte wurden immer von der Technik sondere in Deutschland. „Ich will nicht, dass Eu- bestimmt. Wenn es also einen Bereich gibt, in dem ropa allein die Standards setzt“, protestierte ein wir zusammenarbeiten müssen, dann in Techno- Abgeordneter der Grünen in Berlin. „Ich möchte, logiefragen.“ Ein Mitglied der Moderaten Samm- dass die Technologie auch hier entwickelt wird.“ lungspartei in Schweden drückte es pragmatisch Ein anderes Parteimitglied der Grünen pflichtete aus: „Was die Technologie betrifft, haben wir in ihm bei: „Wenn wir bereits relevante Unternehmen Europa nicht die Kapazitäten. Wir haben keine und Akteure haben, sehe ich keinen Sinn darin, mit andere Wahl, keine andere Möglichkeit, als mit amerikanischen Unternehmen zusammenzuarbei- den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten.“ ten, amerikanische Standards zu übernehmen und Möglicherweise haben die Parlamentarier*innen unsere europäischen Unternehmen zu zerstören. der nächsten Generation in ihrem eigenen Leben Ich will nicht, dass Europa allein die Standards einen so raschen technologischen Wandel erlebt, setzt. Ich möchte, dass die Technologie auch hier dass sie ehrgeizig sind und sich mit der trans- entwickelt wird.“ Es wird die Aufgabe des kürz- atlantischen technologischen Zusammenarbeit lich eingerichteten Handels- und Technologierates wohl fühlen. „Eine der klügsten Ideen wäre es, in EU-USA sein, die transatlantische Zusammenar- einigen Bereichen zusammenzuarbeiten, ähnlich beit im Technologiebereich zu koordinieren und wie wir es in Europa mit Airbus handhaben“, schlug gleichzeitig die offensichtlichen Unterschiede hand- ein LREM-Mitglied in Frankreich vor. „Wir brauchen zuhaben. Die nächste Generation führender euro- ein so großes europäisch-amerikanisches Projekt.“ päischer Politiker*innen steht dem Ganzen positiv Ein Mitglied des Europäischen Parlaments von der gegenüber, ist aber skeptisch. Partei Das Neue Österreich und Liberales Forum schlug vor: „Wir sollten für die Forschung ein 8 Ebd 9
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Wirtschaftliche Wiederbelebung und Der Klimawandel: Die gemeinsame existenzielle Transformation Herausforderung Der transatlantische Markt stellt die weltweit Nach dem jüngsten alarmierenden Bericht des reichste und am stärksten integrierte Handels- und Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Investitionsbeziehung dar. Auch die lange Ge- Climate Change)10 und mit Blick auf die UN- schichte von Handelsstreitigkeiten, das jüngste Klimakonferenz im November in Glasgow, Schott- Scheitern der Transatlantischen Handels- und In- land, steht die Zusammenarbeit zur Verlang- vestitionspartnerschaft (TTIP) und ein anhalt- samung der globalen Erwärmung ganz oben auf ender, von der Trump-Administration initiierter der transatlantischen Agenda der jüngeren füh- Handelskrieg machen dem Land zu schaffen. Vor renden Politiker*innen in Europa. Laut Umfragen diesem Hintergrund befürworten etwa drei Vier- des Pew Research Center sehen die Europä- tel der Amerikaner*innen und durchschnittlich er*innen (im Durchschnitt 70 Prozent) den nahezu ebenso viele Europäer*innen in der Klimawandel eher als eine große Bedrohung an GMF-Umfrage 2021 eine engere transatlantische als die Amerikaner*innen (62 Prozent)11, aber wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine Einstellung, dieser Unterschied hat sich im Laufe der Jahre die von Millennials auf beiden Seiten des Atlantiks verringert.12 Und zwei Drittel der Europäer*innen stark geteilt wird.9 und Amerikaner*innen, einschließlich der Millen- nials, sind der Meinung, dass ihre Länder mehr zur „Es ist schade, dass TTIP nicht funktioniert hat, Bekämpfung der globalen Erwärmung tun sollten.13 aber wir können auf jeden Fall beim Handel enger zusammenarbeiten“, sagte ein Mitglied der Die Politiker*innen der nächsten Generation haben Volkspartei (Partido Popular) in Spanien. „Dies ein Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung. ist eines der Themen, an denen wir mit den „Wir müssen den Klimawandel zu unserer ‚Mensch Vereinigten Staaten arbeiten können. Es ist für die -auf-dem-Mond‘-Herausforderung machen“, sagte Menschen sehr greifbar.“ Ein Mitglied des ein SDP-Mitglied des deutschen Parlaments. Europäischen Parlaments von der liberalen NEOS- „Etwas, das die Menschen für die Anpassung an Partei in Österreich schlägt einen ähnlichen Ton den Klimawandel und die Eindämmung des an: „Ich war immer ein großer Fan von TTIP. Es Klimawandels mobilisiert.“ Ein Mitglied der war traurig, dass es nicht funktioniert hat. Sozialdemokratischen Partei in Bosnien und Freihandelsabkommen werden eine neue Rolle Herzegowina erkannte zwar die Gefahr der spielen müssen. Warum hat niemand die Fantasie, globalen Erwärmung an, warnte jedoch, dass nicht ein klimaneutrales Handelsabkommen zu schlie- alle Europäer*innen dem Klimaschutz Priorität ßen, was meiner Meinung nach eine großartige einräumen: „Das Thema ist nicht sehr populär, weil Idee wäre? Je größer unsere Handelszone ist, die Menschen das Gefühl haben, dass es zu viele desto mehr sind wir gegen Chinas Einfluss andere Probleme gibt, um die sie sich kümmern ‚immunisiert‘.“ müssen.“ Ähnlich äußerten sich auch einige junge polnische Abgeordnete. Die Regierung Biden hat jedoch kein unmittelbares Interesse an ehrgeizigen neuen transatlantischen Handelsinitiativen gezeigt. Falls und wenn es dazu kommt, könnten sich die europäischen Parlament- arier*innen der nächsten Generation als Verbün- dete erweisen. 9 Ebd 10 Intergovernmental Panel on Climate Change, Climate Change 2021: The Physical Science Basis, 2021. 11 Pew Research Center, Many globally are as concerned about climate change as about the spread of infectious diseases, October 16, 2020. 12 Pew Research Center, What the world thinks about climate change in 7 charts, 18. April 2016. 13 Für den German Marshall Fund of the United States erhobene Daten, Transatlantic Trends 2021. 10
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Es gibt auch Zweifel, ob man sich auf Washington einem so positiven Licht sehen. Auch innerhalb als Klimapartner verlassen kann. „Das große Europas gibt es Differenzen über die Beziehungen Problem ist, dass eine der großen Parteien in den zu Russland, die Verteidigungsausgaben und die USA den Klimawandel nicht als Problem an- künftigen Sicherheits-prioritäten. Das Scheitern der erkennt“, bemerkte ein Mitglied der Partei Die gemeinsamen Anstrengungen in Afghanistan wird Moderaten im schwedischen Riksdag. „Selbst die Lage nicht verbessern. wenn die Demokraten vertrauenswürdig sind, ist es ein Problem, dass die andere Partei es nicht ist.“ Die Ansichten der nächsten Generation führender Eine solche parteiische Haltung stellt ein poten- Politiker*innen spiegeln diese Spaltungen wider. zielles Problem für die Führungsrolle der USA im Sie bringen keine Vorbehalte gegenüber der Bereich des Klimaschutzes in den transatlan- zentralen Bedeutung des transatlantischen Sicher- tischen Beziehungen dar, warnte ein Mitglied heitsbündnisses zum Ausdruck. Sie stellen auch der schwedischen Christdemokraten: „Wenn es nicht die Rolle der NATO in Frage (obwohl die einen Einzelaspekt gibt, der [das schwedische schwedischen Befragten nicht den Wunsch Vertrauen in Amerika] bedroht, dann ist es die äußern, dass ihr Land der NATO beitritt). Einige Art und Weise, wie die Regierung Biden mit deutsche Abgeordnete, die einen neuen Kalten dem Klimawandel umgeht.“ Krieg befürchten, wollen sich jedoch nicht zwi- schen Washington und Moskau entscheiden Solche Zweifel könnten ein Grund dafür sein, müssen. „Wir müssen bessere Beziehungen zu dass die nächste Generation von Staats- und Russland bekommen“, argumentierte ein AfD- Regierungschef*innen nur wenige ehrgeizige Vor- Abgeordneter in Berlin. „Dies ist eine der Fragen, in schläge macht, wie die Vereinigten Staaten und denen sich unsere Position und die der Vereinig- Europa zusammenarbeiten könnten, um die glo- ten Staaten unterscheiden. Deutschland profitiert bale Erwärmung zu verlangsamen, obwohl sie von besseren Beziehungen zu Russland. Natürlich eine solche Zusammenarbeit befürworten. gibt es auch in Russland, wie in jedem Land, einiges zu kritisieren. Aber wir sollten uns nicht Sicherheit in einem Umfeld gemeinsamer zwischen den USA und Russland entscheiden. Wir Bedrohungen müssen gute Beziehungen zu beiden haben“. Die Sorge um die von Russland ausgehende Es überrascht nicht, dass Polen und Polinnen und Sicherheitsbedrohung war der Kitt, der das andere Mittel- und Osteuropäer*innen, die einst transatlantische Bündnis der Nachkriegszeit zu- unter sowjetischer Herrschaft standen, Russland sammengehalten hat. Doch viele Europäer*innen mit mehr Skepsis betrachten und die Vereinigten sehen diese sicherheitspolitische Herausforderung Staaten um Unterstützung bitten. „Kleine Länder heute anders als die Amerikaner*innen. Laut Pew- in Osteuropa erwarten, dass sich die Vereinigten Umfragen haben sieben von zehn Amerika- Staaten einschalten, wenn es Probleme gibt“, ner*innen (71 Prozent) eine negative Einstellung zu sagte ein Mitglied der Partei Kroatische De- Russland, aber nur 57 Prozent der Befragten in mokratische Union im Europäischen Parlament. Frankreich und 50 Prozent der italienischen Be- „Trump hat neue Stützpunkte in Polen errichtet und fragten.14 Die jüngeren Europäer*innen sehen unser Visaproblem gelöst“, sagte ein Mitglied der Moskau eher wohlwollend. In Deutschland zum rechtsgerichteten Partei Recht und Gerechtigkeit Beispiel haben 44 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Polen anerkennend. Dennoch gibt es Zweifel eine positive Meinung von Russland, während an der künftigen Zuverlässigkeit der Vereinigten nur 25 Prozent der über 50-Jährigen Moskau in Staaten: „Ich bin besorgt über Biden.“ Diese 14 Pew Research Center, Views of Russia and Putin remain negative across 14 nations, 16. Dezember 2020. 11
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Skepsis wird von einigen französischen Abge- Mitglied der Volkspartei in Wien stimmte dem zu ordneten geteilt. „Wenn die USA ein starker Akteur und schlug vor, den transatlantischen Schwer- gegenüber Russland sein wollen“, bemerkte ein punkt auf Nordafrika zu legen, da die dortige LREM-Mitglied, „müssen sie uns zeigen, dass sie Instabilität zu mehr Migration nach Europa führen zuverlässig sind. Die USA haben uns in den letzten werde, was wiederum eine politische Destabili- 10 Jahren in einigen Fällen mit Russland allein sierung in der EU zur Folge hätte. „Ich denke, gelassen. Ein paar deutliche Worte aus den USA dass es für Europa und die USA sehr wichtig ist, allein werden nicht ausreichen.“ in Bezug auf Nordafrika zusammenzuarbeiten“, sagte er. Abgesehen von mehr Entwicklungshilfe Das Problem, dass Europa das NATO-Ziel, zwei hatte er jedoch keine Vorschläge, wie diese Zu- Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, sammenarbeit aussehen könnte. generell nicht erreicht hat – ein wunder Punkt für viele Amerikaner*innen – wurde nur von wenigen Auch die nicht traditionellen Sicherheitsbedroh- Abgeordneten angesprochen. Die polnischen Be- ungen werden allgemein anerkannt. „Wir sind fragten waren stolz darauf, dass Warschau diesen bereits mit einer hybriden Kriegsführung durch die Standard erreicht hatte, ein rechtsgerichteter Russen, die Chinesen, die Türken und nicht- Deutscher beklagte das Versagen seines Landes, staatliche Akteure konfrontiert“, beklagte ein aber andere ignorierten das Thema weitgehend. ÖVP-Mitglied im Europäischen Parlament. „Sie wollen Europa schwächen, indem sie unsere Auf dem Balkan sehen junge Abgeordnete die Gesellschaften spalten. Nicht nur Europa, sondern transatlantische Zusammenarbeit im Bereich der auch Amerika. Es muss eine Zusammenarbeit Sicherheit eher in struktureller Hinsicht. Sie wollen zwischen gleichgesinnten Ländern geben“, um die Unterstützung der Vereinigten Staaten für ihre dieser Herausforderung zu begegnen. Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Union, nicht nur um sich gegen Russland zu Eine transatlantische Zusammenarbeit in Sicher- verteidigen, sondern auch um ihre Bindungen an heitsfragen, die breiter gefasst ist als in den den Westen zu festigen. Wie ein Mitglied der vorhergehenden Generationen, bleibt eine wichtige Sozialistischen Partei in Albanien Kuvendi i Priorität für junge europäische Politiker*innen. Shqipërisë bemerkte: „Die Agenda der EU und der Doch die diffuse Natur des Themas, die Erfahr- NATO ist Teil von etwas Größerem, es geht um ungen in Afghanistan sowie die Konzentration der Identität, eine Mentalität der Integration, das ist Biden-Administration auf den Wiederaufschwung wichtig.“ im eigenen Land und China werden die Zusam- menarbeit im Sicherheitsbereich noch schwieriger Zwei befragte Abgeordnete in Deutschland und machen. Österreich äußerten Sicherheitsbedenken gegen- über Afrika. „Wenn die Franzosen Mali verlassen, Fazit wird es dann ähnlich wie in Afghanistan sein?“ fragte ein Mitglied der Christlich Demokratischen Im Herbst 2021 haben die führenden europäischen Union in Berlin. „Niemand hat Mali im Blick. Doch Politiker*innen der nächsten Generation trotz der während Afghanistan in den Hintergrund rückt, Turbulenzen der Trump-Jahre und der Schuld- werden wir uns zunehmend auf Mali konzentrieren zuweisungen in Bezug auf Afghanistan einen müssen. Viele Migranten kommen nach Europa, hoffnungsvollen, aber realistischen Blick auf die deshalb müssen wir dort aktiv werden.“ Ein transatlantischen Beziehungen. Sie erkennen die 12
BKHS-Blickwinkel #02_2021 Notwendigkeit und das Potenzial für neue Wege sind die jungen führenden Politiker*innen Europas der amerikanisch-europäischen Zusammenarbeit bereit, die künftigen amerikanisch-europäischen in den Bereichen China, Technologie, Wirtschaft, Beziehungen zu gestalten, so wie es es die Grün- Klimawandel und Sicherheit. dergeneration der modernen transatlantischen Beziehungen vor 75 Jahren tat. Ihre Stimmen Sie sind sich auch der künftigen Herausforder- müssen gehört werden. ungen bewusst. „Im Moment sind die Erwartungen sehr hoch“, sagte ein Mitglied der Grünen im schwedischen Parlament. „Biden wird aber liefern müssen, um dieses Vertrauen in vielen Bereichen Der Autor dankt Matthew Delmastro und Stefan zu erhalten.“ Auch Europa wird sich engagieren Veigl für die Unterstützung beim Verfassen dieses müssen. „Es ist keine Frage der Vertrauens- Policy Briefs. würdigkeit“, bemerkte ein Mitglied des Europä- ischen Parlaments von der Kroatischen Demo- kratischen Union. „Europa muss über Autarkie und strategische Autonomie nachdenken, [weil] Amerika nicht immer da sein wird, um unsere Probleme zu lösen.“ Als Politiker*innen sind die Vertreter*innen der nächsten Generation sensibilisiert dafür, was die kulturellen und systemischen politischen Grenzen der transatlantischen Zusammenarbeit angeht. „Manchmal vergessen wir, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ein ganz anderes politisches System haben als die Vereinigten Staaten“, sagte ein Mitglied der Fünf-Sterne-Bewegung im italienischen Parlament. „Wir vergessen, dass die Vereinigten Staaten und Europa Lösungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten haben kön- nen. Wir denken, dass die Beziehungen nicht gut sind, weil wir keine Ergebnisse vorweisen können, aber das Ausbleiben von Ergebnissen ist nicht ein Problem der Beziehungen, sondern das Ergebnis der beiden unterschiedlichen Sys- teme.“ Idealistisch und doch realistisch, transatlantisch orientiert und doch für ein selbständigeres Eu- ropa eintretend, mit einer Weltanschauung aus. der Zeit nach dem Kalten Krieg und einer Sen- sibilität der Generation, die auf die Heraus- forderungen des 21. Jahrhunderts eingestellt ist, 13
Impressum Herausgeber Bruce Stokes Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Direktor der Transatlantic Task Büro Hamburg Force „Together or Alone: Kattrepel 10 Choices and Strategies for 20095 Hamburg Transatlantic Relations for 2021 +49 40/ 18 23 12 18 and Beyond” der info@helmut-schmidt.de © GMF Bundeskanzler-Helmut- www.helmut-schmidt.de Schmidt-Stiftung und des German Marshall Fund of the ISSN 2749-7216 United States Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autor*innen verantwortlich*. * Die Beträge geben nicht unbedingt die Meinung der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung wieder. @BKHS.Stiftung @BKHS_Stiftung @bkhs.stiftung Die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung erinnert an einen der bedeutendsten deutschen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und trägt die Themen in die Zukunft, die den Vordenker Schmidt bewegten. Der BKHS-Blickwinkel erschien vorab in englischer Sprache als GMF Policy Brief. Gefördert durch:
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