BON ANNIVERSAIRE, MAÎTRE DEBUSSY! - FR 20.4. 2012 | 20.00 UHR KAMMERMUSIKSAAL

 
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FR 20.4. 2012 | 20.00 UHR KAMMERMUSIKSAAL
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BON ANNIVERSAIRE,
MAÎTRE DEBUSSY!
CLAUDE DEBUSSY ZUM 150. GEBURTSTAG 1862 – 1918
LIEDERABEND – »VOTRE ÂME EST UN PAYSAGE CHOISI«
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Boram Bae, Keiko Enomoto, Lena Laferi, Friederike Schorling Sopran
Désirée Arnet, Kristina Bolkenius Mezzosopran | Won Kim Bariton
Arina Bönhof, Marie-Luise Klein, Aziz Kortel, Hans-Peter Müller Klavier
Prof. Aziz Kortel, Prof. Hans-Peter Müller Einstudierung
Quatre Chansons de Jeunesse (1881 – 1884)
Pantomime (Verlaine)
Clair de Lune (Verlaine)
Pierrot (de Banville)
Apparition (Mallarmé)
Keiko Enomoto Sopran | Marie-Luise Klein Klavier

aus Ariettes oubliées (1887/88, Verlaine)
Nr. 4 Chevaux de bois
Nr. 5 Green
Nr. 6 Spleen
Lena Laferi Sopran | Marie-Luise Klein Klavier

Chansons de Bilitis (1897/98, Pierre Louÿs)
Nr. 1 La Flûte de Pan
Nr. 2 La Chevelure
Nr. 3 Le Tombeau des Naiades
Kristina Bolkenius Mezzosopran | Aziz Kortel Klavier

aus Proses Lyriques (1892/93, Debussy)
Nr. 1 De Rêve
Nr. 2 De Grêve
Nr. 4 De Soir
Désirée Arnet Mezzosopran | Arina Bönhof Klavier

PAUSE
Fêtes galantes I/II (1892/1904, Verlaine)
En sourdine
Fantoches
Clair de lune
Les ingénus
Le faune
Colloquel sentimental
Keiko Enomoto, Friederike Schorling Sopran |
Hans-Peter Müller Klavier

Poèmes de Stéphane Mallarmé (1913)
Nr. 1 Soupir
Nr. 2 Placet futile
Nr. 3 Éventail
Boram Bae Sopran | Hans-Peter Müller Klavier

Ballades de François Villon (1910)
Nr. 1 Ballade à s’amye
Nr. 2 Ballade que Villon feit à la requeste de sa mère pour prier
      Nostre-Dame
Nr. 3 Ballade des Femmes de Paris
Won Kim Bariton | Aziz Kortel Klavier
Quatre Chansons de Jeunesse

Paul Verlaine 1844 – 1896
Pantomime
Pierrot, der nichts hat von Clitandern,
Speist ein Pastetchen nach dem andern
Und macht auch gleich die Flasche leer.
Cassander, in der Straßenszene,
Weint eine unterdrückte Träne
Hinterm enterbten Neffen her.
Harlekin grübelt, voll Verlangen,
sich Columbine wegzufangen,
Und kreiselt viermal, dieser Gauch!
Colombine träumt, noch ganz beklommen,
Dass sie ein Herz im Wind vernommen
Und dass sie hört: Ihr Herz spricht auch!

Clair de Lune (Mondschein)
Dein Herz ist eine Landschaft, wo zu Gast
Sind reizende Figuren, Bergamasken,
Mit Lautenspiel und Tanz und traurig fast
In ihren so phantastisch bunten Masken.
Wie sie besingen anmutig in Moll
Der Liebe Siege und das süße Leben,
Sehn sie nicht aus, als sei’n sie hoffnungsvoll,
Und’s Liedchen scheint im Mondschein zu verschweben.
Im Mondschein, der still und traurig blinkt,
Der träumen lässt die Vögel in den Zweigen
Und die Fontänen bis zum Schluchzen bringt,
Die schlank und steil aus ihrem Marmor steigen.
Theodore de Banville 1823 – 1891
Pierrot
Der gute Pierrot, den die Menge begafft,
Arlequins Hochzeit verlassend,
Folgt er verträumt dem Boulevard du Temple.
Ein kleines Mädchen im fließenden Kleid
Vergeblich neckt ihn mit Schelmenblick
Und hat dennoch rätselhaft und süß
An ihm ihr herzliches Entzücken.
Der weiße Mond mit den Stierhörnern
Wirft einen verstohlenen Blick auf
Seinen Freund Jean Gaspard Debureau.

Stéphane Mallarmé 1842 – 1898
Apparition (Erscheinung)
Der Mond betrübte sich. Engel in Tränen
Träumend, den Bogen gefasst, in der Stille
Leichter Blüten, entwinden erstrebenden Gamben
Weiße Seufzer, entschwebend im Blumenkronenblau.
Es war der Tag, geweiht durch deinen ersten Kuss.
Meine Traumbilder, die mich martern mit Lust,
Durchtränken sich wissend mit dem Duft der Schwermut,
Der klaglos gar und ohne Reue lässt.
Und ich glaubte, die Fee zu sehen mit der Lichterhaube,
Die einst den süßen Kinderschlaf
Durchschritt, und immer aus halbgeschlossenen Händen
Weiße Sträuße duftender Sterne schneien ließ.
Paul Verlaine
aus Ariettes oubliées (1887/88)

Chevaux de bois (Holzpferde)
Dreht euch, dreht euch, brave Holzpferde,
dreht hundert Runden, dreht tausend Runden,
dreht euch oft und dreht euch immer,
dreht euch, dreht euch beim Klang der Oboe.
Ganz rot das Kind und die Mutter weiß,
der Bursche in Schwarz und das Mädchen in Rosa,
die eine ist ganz bei der Sache, bei den anderen ist es nur Pose.
Jeder leistet sich für einen Sechser Sonntag.
Dreht euch, dreht euch, Pferde ihres Herzens.
Während eures Tourniers
Zwinkert der hinterhältige Spitzbub mit den Augen.
Dreht euch beim Klang des siegreichen Pistons.
Erstaunlich, wie trunken es euch macht,
in diesem dummen Kreis zu gehen:
Nichts im Bauch und Schmerzen im Kopf,
Leid massenweise und eine Menge Glück.
Dreht euch, Pferdchen, ohne dass je
Eine Spore nötig wäre,
euren runden Galopp zu befehligen.
Dreht euch, dreht euch, ohne Hoffnung auf Heu.
Und beeilt euch, Pferde ihrer Seele,
schon läutet zum Essen
die sinkende Nacht und verjagt die Schar
der fröhlichen Trinker, die der Durst aushungert.
Dreht euch, dreht euch! Der samtene Himmel
Bekleidet sich sacht mit goldenen Sternen.
Die Kirche lässt traurig die Totenglocken läuten.
Dreht euch beim fröhlichen Klang der Trommeln, dreht euch.
Green
Hier sind die Früchte, Blumen, Blätter und Zweige
Und hier mein Herz, das nur für Euch schlägt.
Zerreißt es nicht mit Euren weißen Händen.
Und lieblich sei Euren schönen Augen die bescheidene Gabe.
Ich komme, noch bedeckt von Tau,
den der Morgenwind auf meine Stirn gefror.
Gestattet, dass meine Müdigkeit, an Euren Füßen ruhend,
von den teuren Augenblicken träumt, die sie erquicken werden.
Auf Eure junge Brust lasst meinen Kopf mich legen,
der noch von euren letzten Küssen tönt,
lasst von dem guten Sturm sich erholen,
damit ich ein wenig schlafe, da auch Ihr ruht.

Spleen
Ganz rot waren die Rosen,
und der Efeu war ganz schwarz.
Liebste, bei der leisesten deiner Bewegungen
Erwacht all meine Verzweiflung.
Der Himmel war zu blau, zu zart,
das Meer zu grün und die Luft zu sanft.
Noch immer fürchte ich,
auf dein grausames Entschwinden zu warten.
Der Stechpalme mit dem glänzenden Blatt
Und des strahlenden Buchsbaums bin ich müde
Und des unendlichen Landes
Und aller Dinge, außer deiner, leider.
Chansons de Bilitis (1897/98)
Pierre Louÿs 1870 – 1925

La Flûte de Pan (Pan’s Flöte)
Zum Hyazinthenfest
hat er mir eine Hirtenpfeife geschenkt,
aus schön geschnittenem Schilfrohr,
mit weißem Wachs aneinandergefügt,
das meinen Lippen süß wie Honig schmeckt.
Er lehrt mich das Flötenspiel, ich sitze auf seinem
Schoß, aber ich zittere ein wenig.
Er spielt nach mir, so leise,
dass ich ihn fast nicht höre.
Wir haben uns nichts zu sagen,
so nah sind wir einander,
aber unsere Lieder wollen sich antworten,
und eines ums andere Mal
begegnen sich unsere Münder auf der Flöte .
Es ist spät,
horch, der Gesang der grünen Frösche,
der mit der Nacht anhebt.
Meine Mutter wird niemals glauben,
dass ich so lange
meinen verlorenen Gürtel gesucht habe.

La Chevelure (Das Haar)
Er sagte zu mir: »Heute nacht habe ich geträumt,
Ich hätte deine Haare um meinen Hals,
Wie schwarzes Geschmeide
Um meinen Nacken und auf meiner Brust.
Ich liebkoste sie; als seien es meine eigenen,
und so waren wir auf immer durch die Haare
miteinander verbunden, Mund an Mund,
So wie zwei Lorbeerbäume oft nur eine Wurzel haben.
Und nach und nach, schien es mir,
verwirrten sich unsere Glieder so, dass ich du wurde,
Oder du besuchtest mich wie ein Traum.«
Als er geendet hatte,
legte er sanft seine Hände auf meine Schultern,
und sah mich mit einem so zärtlichen Blick an,
dass ich mit einem Schaudern meine Augen niederschlug.

Le Tombeau des Naiades (Das Grab der Nymphen)
Ich lief den reifbedeckten Wald entlang;
Die Haare vor meinem Mund
ließen auf sich kleine Eiszapfen blühen,
Und meine Sandalen waren schwer
Vom matschigen und zerdrückten Schnee.
Er fragte mich: »was suchst du?«
»Ich folge der Spur des Satyrn.
Seine kleinen Paarhufspuren folgen einander
Wie Löcher in einem weißen Mantel.«
Er sagte: »die Satyrn sind tot.
Die Satyrn und die Nymphen auch.
Seit dreißig Jahren gab es keinen so harten Winter.
Die Spur, der du folgst, ist die eines Bocks.
Aber lass uns hier bleiben, wo ihr Grab ist«.
Und mit dem Eisen seiner Hacke zerschlug er das Eis
Der Quelle, wo einst die Najaden lachten.
Er nahm große Eisschollen
hob sie gegen den blassen Himmel,
Und schaute hindurch.
Claude Debussy
Proses Lyriques (1892/93) (Lyrische Prosa)

De Rêve (Vom Traum)
Die Nacht hat die Zärtlichkeit von Frauen,
und die alten Bäume unter dem goldenen Mond träumen!
Von der, die gerade vorüberkam, den Kopf mit Perlen geschmückt,
nun tief betrübt, betrübt auf ewig.
Sie haben sie nicht zu warnen vermocht…
Alle!
Sind sie vorübergegangen: die Zarten, die Tollen,
ihr Lachen in den lichten Rasend säend,
den sanft streifenden Brisen schenkten sie
das bezaubernde Streicheln
der blühenden Hüften.
Leider!
Von all dem bleibt nur ein weißes Frösteln.
Die alten Bäume unter dem goldenen Mond
Beweinen ihre goldenen Blätter!
Niemand mehr wird ihnen
Den Stolz der goldenen Hauben zuschreiben,
die stumpf geworden, stumpf auf ewig.
Die Ritter sind gestorben
Auf dem Weg zum Gral!
Die Nacht hat die Zärtlichkeit von Frauen,
Hände scheinen sanft die Seelen zu streicheln,
Hände so toll, so zart,
in Zeiten, da die Säbel für sie sangen.
Seltsame Seufzer erheben sich unter den Bäumen.
Meine Seele, alte Träume sind es, die dich umschlingen!
De Grêve (Vom Strand)
Die Dämmerung fällt auf das Meer.
Weiße zerfaserte Seide.
Die Wellen plappern wie kleine Verrückte,
kleine Mädchen, die aus der Schule kommen,
im Rascheln ihrer Kleider:
grüne schillernde Seide!
Die Wolken, gewichtige Reisende,
verabreden das nächste Gewitter.
Und das ist wirklich ein zu schwerer Hintergrund
Für dieses englische Aquarell.
Die Wellen, die kleinen Wellen,
wissen nicht mehr wohin,
denn schon ist der Platzregen da.
Das Rascheln von fortfliegenden Röcken,
grüne verwirrte Seide.
Doch der Mond, mit allen barmherzig,
kommt, diesen grauen Streit zu schlichten,
und streichelt langsam seine kleinen Freundinnen,
die sich diesem milden und weißen Kuss
hingeben wie liebende Lippen.
Und dann nichts mehr...
Nur noch verspätete Glocken
Der schwimmenden Kirchen!
Abendglockenläuten der Wellen,
weiße, besänftigte Seide!

De Soir (Vom Abend)
Sonntag auf den Städten,
Sonntag in den Herzen!
Sonntag bei den kleinen Mädchen,
die mit ungeformten Stimmen
eigensinnige Rondos singen,
in denen gute Türme
nur noch einige Tage zu leben haben.
Sonntags sind die Bahnhöfe vor Erregung toll.
Alle laufen aus in Abenteuerorte,
sie sagen sich mit heftigen Gesten adieu!
Sonntags fahren die Züge schnell.
Sie werden verschlungen von unersättlichen Tunnels.
Und die guten Streckensignale
Tauschen mit einem einzigen Auge
Ganz mechanische Eindrücke aus.
Sonntag im Blau meiner Träume,
wo meine traurigen Gedanken eines verpassten Feuerwerks
nicht mehr die Trauer
alter verblichener Sonntage ablegen wollen.
Und die Nacht kommt mit samtenen Schritten
Den schönen müden Himmel einzuschläfern.
Und es ist Sonntag in den Sternenalleen.
Die Jungfrau lässt, Gold auf Silber,
die Blumen der Müdigkeit fallen!
Schnell, kleine Engel, überholt die Schwalben,
damit ihr euch schlafen legen könnt,
gewiss, dass euch vergeben wird!
Habt Mitleid mit den Herzen,
Ihr, Jungfrau, Gold auf Silber!

Paul Verlaine
Fêtes galantes I (Galante Feste I)

En sourdine (In aller Stille)
Ruhig in der Dämmerung
Der hohen Äste,
lass uns unsere Liebe
mit dieser Stille durchdringen.
Verschmelzen wir unsere verzückten Seelen, Herzen
Und Sinne
Mit der unbestimmten Wehmut
Der Düfte von Pinien und Sandbeerbäumen.
Schließ deine Augen nicht ganz,
verschränke deine Arme auf deiner Brust,
und verjage von deinem schlummernden Herzen
auf immer jede Absicht.
Lassen wir uns
Im wiegenden und sanften Hauch überzeugen,
der zu deinen Füßen kommt,
die Wellen des rötlichen Grases zu kräuseln.
Und wenn der Abend feierlich
Von den schwarzen Eichen fallen wird,
wird als Stimme unserer Hoffnungslosigkeit
die Nachtigall singen.

Fantoches (Marionetten)
Scaramouche und Pulcinella,
die eine böse Absicht zusammenführte,
gestikulieren schwarz unter dem Mond,
la, la, la…
Währenddessen pflückt der ausgezeichnete Doktor
Bolonais gemächlich
Heilkräuter im braunen Gras.
Seine Tochter jedoch, mit dem reizenden Gesichtchen,
schleicht sich heimlich halbnackt
durch den Laubengang davon,
la, la, la…
Sie sucht
Ihren schönen spanischen Piraten,
dessen Not eine verliebte Nachtigall
aus vollem Halse herausschreit.
La, la, la…

Clair de Lune (Mondschein)
Eure Seele ist eine erlesene Landschaft,
wo liebenswürdig Masken und Tänzer aus Bergam,
Laute spielend und tanzend, wandeln
Und beinah traurig sind unter ihren eigenartigen Verkleidungen.
Sie singen zwar in Moll
Von der siegreichen Liebe und dem günstigen Leben,
doch sie sehen nicht aus, als glaubten sie an ihr Glück.
Und ihr Lied vermengt sich im Mondschein,
der die Vögel in den Bäumen träumen
und die Springbrunnen vor Extase schluchzen lässt,
die schlanken Fontänen in ihren Marmorschalen.

Fêtes galantes II (Galante Feste II)
Les Ingénus (Die Naiven)
Die hohen Absätze kämpften mit den langen Röcken,
so dass, je nach Bodenart und Wind,
zuweilen Knöchel aufleuchteten, allzuoft
abgefangen! Und wir liebten dieses Narrenspiel.
Manchmal auch behelligte der Stachel eines eifersüchtigen Insekts
Den Hals der Schönen unter den Zweigen,
und es war ein plötzliches Blitzen weißer Nacken,
und dieses Vergnügen erfüllte unsere jungen tollen Augen.
Der Abend sank herab, ein zwielichtiger Herbstabend:
Die Schönen sprachen, sich träumend an unseren Arm hängend,
ganz leise so trügerische Worte,
dass unsere Seele seither zittert und staunt.
Le Faune (Der Faun)
Ein alter Faun aus gebranntem Ton
Lacht mitten auf dem Rasenplatz.
Ohne Zweifel ahnt er böse Folgen
Seiner heiteren Augenblicke,
die mich, die dich,
melancholische Pilger,
bis zu dieser Stunde geführt haben,
deren Vergehen beim Klang der Tamburine im Kreise wirbelt.

Colloque sentimental (Sentimentale Unterhaltung)
Durch den alten einsamen und eisigen Park
Gingen vorhin zwei Gestalten.
Ihre Augen sind tot und ihre Lippen sind weich,
und man hört kaum ihre Worte.
In dem alten einsamen und eisigen Park
Haben zwei Phantome die Vergangenheit beschworen.
»Erinnert es dich an unsere damalige Extase?«
»Warum sollte es mich daran erinnern?«
»Schlägt dein Herz noch immer nur für mich?
Erscheint dir noch immer meine Seele im Traum?« »Nein.«
»Ach! Die schönen Tage unsäglichen Glücks,
als wir unsere Münder zusammenführten!« »Das mag sein.«
»Die Hoffnung entfloh, besiegt, zum schwarzen Himmel.«
So liefen sie im tauben Hafer,
und nur die Nacht hörte ihre Worte.

Stéphane Mallarmé 1842 – 1898
Soupir (Seufzer)
Meine Seele steigt auf zu deiner Stirn, oh ruhige Schwester,
wo ein mit Sommersprossen übersäter Herbst träumt,
und zum Himmel, der sich in deinen engelhaften Augen verirrt.
Steigt auf, wie in einem schwermütigen Garten
Treu ein weißer Springbrunnen dem Himmelblau entgegenseufzt!
Dem blassen und reinen vom Oktober zarter gemachten Himmelblau
entgegen,
Das dem großen Becken sein endloses Sehnen gab
Und auf dem toten Wasser, wo der rötliche Todeskampf
Der Blätter im Wind umherirrt und eine kalte Furche gräbt,
Die gelbe Sonne in einem langen Strahl sich dahinschleppen lässt.

Placet futile (Belanglose Bittschrift)
Prinzessin! Vor Eifersucht auf das Schicksal einer Hebe,
die beim Kuss Eurer Lippen auf dieser Tasse erscheint,
verbrauche ich meine Leidenschaft, doch habe ich nur den diskreten
Rang eines Abbés
und würde nicht einmal nackt auf dem Sévres-Porzellan erscheinen.
Da ich nicht dein verwirrtes Schoßhündchen bin,
noch das Plätzchen, noch Lippenstift, noch geziertes Spiel,
und ich deinen verschlossenen, gefallenen Blick auf mir fühle,
Blonde, deren göttliche Friseure Goldschmiede sind!
Ernennt uns…du, von der so viele himbeerenen Lächeln
Sich zu zahmen Lämmerherden zusammenschließen,
bei allen die Wünsche abgrasend und im Taumel blökend,
Ernennt uns…auf dass der mit einem Fächer gefiederte Amor
Mich, die Flöte in den Händen diesen Schafstall
einschläfernd, male.
Prinzessin, ernennt uns zum Hirten Eurer Lächeln.

Éventail (Fächer)
Oh Träumerin, damit ich
In den reinen, weglosen Genuss tauche,
wisse, mit einer geschickten Lüge,
meinen Flügel in deiner Hand zu behalten.
Eine Dämmerungsfrische
Weht dir bei jedem Flügelschlag entgegen,
dessen gefangener Stoß
den Horizont sacht hinausschiebt.
Taumel! Schon erschauert
Der Raum wie ein großer Kuss,
der, irre, für niemanden geboren zu werden,
weder hervorbrechen noch sich beruhigen kann.
Fühlst du das wilde Paradies
Sich wie ein verschüttetes Lächeln
Von einem Winkel deines Mundes aus
Tief in der einzigen Falte entlangschleichen!
Das Zepter der rosigen Ufer,
das über den goldenen Abenden steht, dies ist er,
dieser weiße, geschlossenen Schwung, den du
an den Glanz eines Armbands legst.

François Villon 1431 – 1463
Ballade à s’amye (Ballade an seine Geliebte)
Falsche Schönheit, die mich soviel kostet
in Wahrheit bist du grob, deine Sanftheit ist geheuchelt,
Härter als Erz ist die Liebe.
Das sage ich, meiner Zerstörung sicher.
Falscher Charme, Tod eines armen Herzens,
verborgener Dünkel, der die Menschen zum Sterben bringt.
Mitleidlose Augen, wollen sie nicht, wie es die Pflicht gebietet,
einem Armen helfen, bevor sich sein Zustand verschlimmert?
Ich hätte besser daran getan, anderswo Hilfe zu suchen.
Das wäre mein Glück gewesen; ich würde dann jetzt nicht so leiden.
Nun flüchte ich und bin in Schande.
Helft mir, helft mir, ihr Großen und ihr Kleineren!
Doch was ist das? Stürbe ich ohne einen Schwertstreich,
oder kann Mitleid nicht, ob dieser Haltung,
einem Armen helfen, bevor sich sein Zustand verschlimmert?
Eine Zeit wird kommen, da wird deine erblühte Blume
vertrocknen, vergilben und verwelken.
Ich werde darüber lachen, wenn mein Mund
dessen noch fähig sein wird,
aber ach! Mitnichten, das wäre wohl Wahnsinn.
Alt werde ich sein, Ihr hässlich und farblos.
Deshalb trinkt in vollen Zügen, solange der Bach noch fließt.
Fügt nicht allen diesen Schmerz zu.
Helft einem Armen, bevor sich sein Zustand verschlimmert.
Verliebter Prinz, Regent der Liebenden,
ich möchte nicht, dass Ihr schlecht über mich denkt,
aber jedes aufrechte Herz, so will es Unser Herr,
muss einem Armen helfen, bevor sich sein Zustand verschlimmert.

Ballade que Villon feit à la requeste de sa mère pour prier
Nostre-Dame (Ballade, die Villon auf Verlangen seiner Mutter
machte, um zu Maria zu beten)
Ihr Königin des Himmels, Regentin der Erde,
Herrscherin der höllischen Sümpfe,
empfangt mich, eure demütige Christin,
auf dass ich von Euren Auserwählten eine sei,
obwohl ich niemals etwas wert war.
Eure Güte, meine Königin und meine Gebieterin,
ist sehr viel größer als meine Sünden.
Ohne sie verdiente eine gute Seele nicht,
in den Himmel einzutreten. Ich lüge nicht, wenn ich das sage
Mit diesem Glauben möchte ich leben und sterben.
Eurem Sohne sagt, dass ich seine bin;
von ihm sollen mir meine Sünden vergeben werden:
Verzeiht mir wie der Ägypterin,
oder wie dem heiligen Theophil,
der von Euch freigesprochen wurde,
obwohl er dem Teufel Versprechungen gemacht hatte.
Beschützt mich, auf dass ich nie solches tu!
Und macht, Mutter Gottes, dass ich immer
an der Feier der Sakramente teilhaben darf.
Mit diesem Glauben will ich leben und sterben.
Ich bin eine Frau, ärmlich und alt,
die nichts weiß und nie auch nur ein Wort las.
In dem Kloster, in dem ich ein Pfarrkind bin, sehe ich
gemalt das Paradies, wo Harfen sind und Lauten,
und auch die Hölle, wo die Verurteilten schmoren:
das eine macht mir Angst, das andere Freude.
Mach, dass ich Freude habe, hohe Göttin,
zu der alle Sünder glaubensvoll,
ohne Falsch und Trägheit, Zuflucht nehmen müssen.
Mit diesem Glauben will ich leben und sterben.

Ballade des Femmes de Paris (Ballade von den Frauen von Paris)
Wenn man auch die Florentinerinnen und Venetianerinnen
für schöne Rednerinnen hält,
gut genug als Botinnen,
und gleichfalls die Frauen des Altertums;
doch seien sie Lombardinnen, Römerinnen,
Genferinnen und, dafür bürge ich,
auch Piemonterinnen, Savoyarden,
sie alle haben keine so scharfe Zunge wie die Pariserinnen.
Sehr schöne gehobene Reden halten,
so sagt man, die Neapolitanerinnen,
und Schwätzerinnen seien
Deutsche und Preußinnen.
doch seien sie Griechinnen, Ägypterinnen,
aus Ungarn oder anderen Ländern,
Spanierinnen oder Castillianerinnen,
sie alle haben keine so scharfe Zunge wie die Pariserinnen.

Bretoninnen, Schweizerinnen können nichts dergleichen,
noch Gascognerinnen oder Frauen aus Toulouse.
Zwei Fischweiber von Petit Pont
brächten sie zum Schweigen, und auch die Lothringerinnen,
Engländer oder Frauen aus Calais.
(Habe ich viele Orte genannt?)
die Picardinnen aus Valencienne,
sie alle haben keine so scharfe Zunge wie die Pariserinnen.
Prinz, den Frauen von Paris
gebt den Preis für gutes Reden.
Denn was man auch von den Italienerinnen sagt,
sie haben keine so scharfe Zunge wie die Pariserinnen.

Zur Textbehandlung in Debussys Liedschaffen
Unser Liederabend bietet eine repräsentative Auswahl aus Debussys
Liedschaffen, beginnend mit den Jugendwerken von 1884 bis zum letz-
ten Liedzyklus aus dem Jahre 1913.
Debussys Liedkompositionen zeugen von einer tiefen Affinität zur fran-
zösischen »poésie«, welche – verglichen mit anderen Liedtexten – einen
hohen ästhetischen Eigenwert besitzt. Die Kenntnis der Werke Bau-
delaires, Verlaines, Mallarmés weist den Komponisten als »homme de
lettres« aus, der den Umgang mit Dichtern und Malern pflegte.
In einem Gespräch, welches Debussy mit seinem Kompositionslehrer
Guiraud führte, eröffnet er seine Auffassung von dem Verhältnis Wort
und Musik: »...eine Musik wird für das Unaussprechliche geschrieben;
ich möchte sie wirken lassen, als ob sie aus dem Schatten träte und von
Zeit zu Zeit wieder dahin zurückkehrte.« Derjenige Dichter, »der die
Dinge nur halb ausspricht und mir dadurch erlaubt, meine Idee der sei-
nigen aufzupfropfen«, sei ihm gemäß.

Die »Fêtes galantes« von Paul Verlaine sind in ihrem Titel und in ihren
Sujets von Antoine Watteaus berühmten gleichnamigen Bildern und
von der Commedia dell´arte inspiriert. Verlaine konzipiert in seinen
Gedichten ein galantes Fest und lässt Humor, Ironie und Frivolität als
Ausdruck unerwiderter Liebe sprechen. Die Zyklen »Fêtes galantes I«
(1892) und »Fêtes galantes II« (1904) sind von Debussy als Einheit ge-
dacht, obwohl ihre Vertonung zeitlich auseinander liegt: Mit dem
Nachtigallen-Motiv aus dem ersten Lied »En sourdine« des ersten Zyk-
lus´ spannt er einen Bogen bis zum »Colloque sentimental«, dem letzten
Lied des zweiten Zyklus´ – eine einmalige Erscheinung in Debussys Vo-
kalwerk.
Bezüglich der Sprachbehandlung ist der erste Zyklus von der Umwand-
lung der Sprache in Klangsymbole geprägt, während im zweiten Zyklus
musikalisch autonome Formen entwickelt werden. Anhand von »Les
Ingénus« und »Le Faune« kann man verfolgen, wie Debussy ein Motiv
etabliert und durch dessen ständige geringfügige Veränderung den ein-
heitlichen Charakter eines Liedes erreicht. Das Bass-Ostinato von »Le
Faune« ist in seiner straffen Rhythmisierung eine Assoziation zu »tam-
bourin« (dem letzten Wort des Gedichts) und zugleich die ironische
Brechung eines durch den Faun belauschten Liebeserlebnisses.

Die »Proses Lyriques« (1892/93) heben sich in ihrer Tonsprache und Text-
behandlung deutlich von anderen Liedern aus Debussys Ouevre ab. Die
gedankliche Struktur der von Debussy selbst verfassten Prosagedichte
ermöglicht einen musikalischen Aufbau, welcher in seiner durchkom-
ponierten Form an die Wagnersche Leitmotiv-Technik erinnert. Auf
lang gedachten Strecken findet eine Verknüpfung der Motive statt: So
entwickelt sich beispielsweise im ersten Lied »De rêve« das anfangs fast
nebenbei vorgestellte Motiv der träumenden Bäume später zu dem Mo-
tiv der erträumten Ritter. Durch die Länge der einzelnen Motive, durch
die weit gespannten inhaltlichen Bögen und auch durch die reine Spiel-
dauer erreichen die Lieder beinahe sinfonische Dimension.
Aus pianistischer Perspektive sind diese Stücke eine Herausforderung,
da die technisch anspruchsvolle Partitur in ihrer Klangfülle Ausdrucks-
möglichkeiten bietet, die ansonsten eher in der Klavier-Sololiteratur
aufzufinden sind.
Die »Trois Chanson de Bilitis« vollendete Debussy im Jahre 1897. Im
zweiten Lied »La Chevelure« wird der spätere Deklamationsstil von
»Pelléas et Méllisande« bereits angedeutet: Dramatisch stellt Debussy
ein sehr ruhiges Rezitativ gegen weichere melodische Bewegungen.
Eine einzige wirkliche Gesangslinie erscheint auf dem Höhepunkt: »par
la même chevelure la bouche sur la bouche.« Mit welcher Meisterschaft
weiß Debussy diese Träumerei eines jungen Mädchens zu leidenschaft-
licher Meditation zu vertiefen!

1910 schrieb Debussy an seinen Verleger Durand, der ihm eine Luxus-
ausgabe seiner gerade erschienenen Lieder »Trois Ballades de Francois
Villon« geschickt hatte: »Heute habe ich die Balladen erhalten. Tadellos
gemacht, obgleich ich gewünscht hätte, dass das Pergament ein biss-
chen mehr >vergilbet< (sic!) wäre... Die Zeit wird kommen, wo das alles
>verwelket< sein wird, auch die Musik! Die Ausgabe ist jedenfalls
hübsch.«
Die Selbstironie Debussys mag sich auf seine Bemühungen beziehen,
Form und Geist der von ihm so bewunderten klassischen und antiken
Werke (namentlich der von Rameau) nachzuspüren.

In Mallarmés Dichtung wird der Leser nach einer kurz vorgestellten
Ausgangsszenerie sogleich mit einem immer opulenter werdenden
Strauß von Bildern, Farben und Wortassoziationen überhäuft. Bei der
Wahl der Worte entscheidet Mallarmé nach Klang, polysemantischer
Qualität (Mehrdeutigkeit) und Rhythmus und verwendet somit gleich-
sam musikalische Parameter für seine Dichtung.
In der 1913 komponierten Vertonung greift Debussy eines der Bilder aus
der überbordenden Fantasie des Gedichtes auf und zeichnet in der sym-
bolhaften Verselbstständigung des Motivs den Verlauf des Gedichtes
nach. So erfindet Debussy als Rahmen für das erste Lied »Soupir« ein
Wasser-Motiv, welches er aus der Mitte des Gedichtes extrahiert hat:
»un blanc jet d´eau soupire vers l´Azur«. Als weiterführende Interpreta-
tion dieses Naturbildes beschreiben die Bewegungen des Wassers
(aufsteigend, in sich zusammensinkend) und die im Wasser gespiegel-
ten Farben den sehnsuchtsvollen Blick und das vergebliche Werben des
liebenden Mannes.
Im Falle des zweiten Liedes greift Debussy gliedernd in das Gedicht über
einen begehrlichen Abbé ein. In »Placet futile« mit seiner preziösen Ro-
koko-Reminiszenz wird die Werbung des Abbé durch ein ironisierendes
Terzenmotiv eingeleitet und ihre Vergeblichkeit in der immer raffinier-
ter sich entfaltenden Harmonik dargelegt. Das altertümlich anmutende
Abbé-Motiv gliedert das Lied, als ob es den Geistlichen zur Ordnung ru-
fen würde.
Nach diesen beiden tonalen Liedern folgt »Eventail«, welchem als einzi-
gem von allen Liedern Debussys jeglicher tonale Bezug fehlt – die
Dissonanz ist gleichberechtigt. Das Öffnen und Schließen des im Ge-
dicht beschriebenen Fächers wird symbolhaft mit einem Vogelflügel
assoziiert. Der von der Fächerbewegung hergeleitete Flügelschlag erhält
ein interpretatorisches und musikalisches Eigenleben, in dem Debussy
das Flattern des gefangenen Vogels auskomponiert.
Mit diesem Abstraktionsgrad in Textausdeutung und -Interpretation
wirken die Mallarmé-Lieder wegweisend für die französische Moderne.

                                       Arina Bönhof, Hans-Peter Müller
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