Borneo: Schatzinsel in Gefahr - Bericht zum Zustand der Wälder Borneos und der dort lebenden Arten
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Danksagung Die folgenden Personen unterstützten die Herstellung des Berichts mit wertvollen Hinweisen und Informationen: – Fitrian Ardiansyah, WWF Indonesien – Stuart Chapman, WWF Indonesien – David S. Edwards, University of Brunei Darussalam – Nina Griesshammer, WWF Deutschland – Mirjam Müller, WWF Deutschland – Bambang Supriyanto, WWF Indonesien – Junaidi Payne, WWF Malaysia – Florian Siegert, Ludwig-Maximilians-Universität München – Lely Rulia Siregar, Indonesisches Forstministerium – Alois Vedder, WWF Deutschland – Stefan Ziegler, WWF Deutschland Herausgeber: WWF Deutschland, Frankfurt am Main, Juni 2005 Autoren: Mario Rautner (Text), Borealis Centre for Environment and Trade Research Martin Hardiono (Karten) Raymond J. Alfred (Karten Sabah), WWF Malaysia Koordination: Markus Radday, WWF Deutschland, Tel.: +49 69 7 91 44-189; Email: radday@wwf.de Assistenz: Mirjam Müller, WWF Deutschland Gestaltung und Satz: Wolfram Egert Produktionsleitung: Rainer Litty, WWF Deutschland Deutsche Übersetzung: Wolfgang Spindler + Karin Wagner Gedruckt auf 100% Recycling-Papier © 2005 WWF Deutschland, Frankfurt am Main Jeder Nachdruck, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung des Herausgebers. Titelbild: © WWF Jikkie Jonkman / Alain Compost
Vorwort Die Wälder Borneos verschwinden in beängstigendem Tempo. Diese Katastrophe ist menschengemacht. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die drittgrößte Insel der Erde von einem ausgedehnten Teppich üppigen Regenwal- des bedeckt. Diese Wälder sind einzigartig und von unschätzbarem Wert. Sie beherbergen eine unglaubliche bio- logische Vielfalt, darunter bekannte Arten wie Orang-Utan, Borneo-Elefant und Sumatra-Nashorn. Auch für die auf Borneo lebenden Menschen sind sie von größter Bedeutung, als Quelle von Rohstoffen, als Ursprung ihrer Spiritualität und weil sie die schützende Decke gegen Erosion und zur Reinhaltung des Wassers bilden. Heute zeigen Satellitenaufnahmen, dass diese Wälder, vor allem in den Tiefebenen, nur noch Flickenteppiche sind. Es steht zu befürchten, dass die artenreichsten Wälder, die der Tieflagen, in den nächsten Jahren im indone- sischen Teil der Insel vollständig vernichtet sein werden. Borneo ist dennoch die einzige Region, in der die indo- malayischen Wälder in großem Umfang erhalten werden könnten, denn es existieren noch weite zusammenhän- gende Waldgebiete im zentralen Gebirgsland der Insel. Dieser Bericht will ein umfassendes Bild der Waldsituation auf Borneo vermitteln und auf die Situation einer Art aufmerksam machen, die geradezu symbolhaft für das Verschwinden der Wälder in Südostasien steht: den Orang- Utan. Die wichtigsten Bedrohungen für die Wälder und den Artenreichtum der Insel werden in diesem Bericht beschrieben. Ein kurzer Überblick über die Völker Borneos und ihre Geschichte zeigt, wie wichtig die Wälder für das reiche kulturelle und soziale Erbe der Insel sind. Der Bericht wagt eine Prognose für den Fall eines unvermin- dert anhaltenden Waldverlustes. Das Ergebnis ist erschreckend. Es bleibt leider nur noch wenig Zeit, das Verbliebene zu retten. Wir hoffen, dass dieser Bericht vor allem die betroffenen Regierungen und Beteiligte aus der Industrie zum Handeln motiviert, so lange es noch Möglichkeiten dazu gibt. Markus Radday Referent Tropenwald WWF Deutschland WWF Deutschland 3
Inhalt Zusammenfassung 6 1 Borneo: Eine Einführung 8 1.1 Überblick 8 1.2 Ein fruchtbares Land 9 1.2.1 Die Flora 9 Mangroven 9 Sumpfwälder und Torfmoorwälder 10 Flügelfruchtwälder (Dipterocarpaceen-Wälder) 12 Bergwald 13 Heidewald 14 1.2.2 Fauna 14 Orang-Utan (Pongo spec.) 15 Malaienbär (Helarctos malayanos) 18 Nasenaffe (Nasalis larvatus) 19 Nebelparder (Neofelis nebulosa) 20 Borneo-Zwergelefant (Elephas maximus borneensis) 21 Borneo-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis harrissoni) 21 1.3 Bevölkerung und politische Entwicklung 23 1.3.1 Die Frühzeit 23 1.3.2 Die Ankunft der Europäer 23 1.3.3 Die moderne Gesellschaft 24 1.4 Borneo in Zahlen 26 2 Die Völker Borneos 27 2.1 Überblick 27 2.2 Die Dayak 28 2.2.1 Herkunft und Geschichte 28 2.2.2 Handel und Geschäfte 28 2.2.3 Landwirtschaft 29 2.2.4 Gesellschaft & Kultur 30 Die Kayan-Kenyah 30 Die Kelabit-Lun Bawang 31 Die Iban 31 Die Bidayuh 31 Die Barito 31 Die Dusun-Kadazan-Murut 32 Die Penan 32 2.3 Radikaler Wandel 32 2.3.1 Nachhaltige Landnutzung und Entwaldung 32 2.3.2 Widerstand der indigenen Bevölkerung 33 3 Landnutzung auf Borneo 36 3.1 Die Geschichte der Landnutzung in Indonesien 36 3.2 Die heutige Landnutzungspolitik 38 3.2.1 Sabah 38 3.2.2 Sarawak 40 3.2.3 Kalimantan 40 3.3 Ölpalmen-Plantagen 41 3.3.1 Einführung 41 3.3.2 Malaysia 43 3.3.3 Indonesien 44 3.4 Holz-Plantagen 44 4 WWF Deutschland
3.5 Naturschutzgebiete 46 3.5.1 Sabah 49 3.5.2 Sarawak 49 3.5.3 Kalimantan 51 4 Zerstörung oder Erhaltung 52 4.1 Bedrohungen und Aussichten 52 4.2 Die Auswirkungen der Ölpalmen-Plantagen 53 4.3 Die Auswirkungen des illegalen Holzeinschlags 55 4.3.1 Die Holzindustrie 55 Sabah 55 Sarawak 55 Kalimantan 55 4.3.2 Das Problem 56 4.3.3 Die Ursachen 58 4.3.4 Maßnahmen gegen illegalen Holzeinschlag 59 4.4 Die Auswirkungen großangelegter Industrieprojekte 59 4.4.1 Das Mega-Reis-Projekt 59 4.4.2 Das Bakun-Staudamm-Projekt 61 4.5 Die Auswirkungen von Waldbränden 62 4.6 Folgen von Wilderei und illegalem Tierhandel 63 5 Die Zukunft der Wälder Borneos 66 5.1 Waldverluste 66 5.1.1 Kalimantan 66 Verlustprognose zum Tieflandwald Kalimantans 66 5.1.2 Sabah und Sarawak 70 5.1.3 Borneo 71 5.2 WWF-Aktivitäten auf Borneo 72 5.3 Der Weg in die Zukunft: Die Heart of Borneo-Initiative 74 6 Abkürzungsverzeichnis 76 WWF Deutschland 5
Zusammenfassung Borneo, die drittgrößte Insel der Welt, hat bis vor Die Folgen dieser Krise im zuständigen politischen wenigen Jahrzehnten nur wenig unter jenen zerstöreri- Rahmen zu diskutieren ist kompliziert. Borneo wird schen Auswüchsen gelitten, die mit der Ausbeutung von drei nationalen und sechs großen Provinz- bzw. natürlicher Ressourcen durch den Menschen einherge- Bundesstaatregierungen verwaltet. Ihre Ansichten über hen. Die Insel war bis in die sechziger Jahre des vori- Ziele und notwendige Maßnahmen der Raumordnung gen Jahrhunderts noch nahezu vollständig von Wald und Flächenplanung sind sehr verschieden, ebenso ihre bedeckt und beherbergte Arten in einer Fülle und Viel- Einschätzung der Folgen des Waldrückgangs für die falt wie nur wenige andere Gegenden der Erde. Noch Umwelt und die Bevölkerung. Die Rechte an Wald heute gibt es auf Borneo über 15.000 verschiedene und Land sind in Kalimantan praktisch ungeklärt oder Pflanzenarten. Die Insel ist Heimat einer Vielzahl ein- Gegenstand fortlaufenden Disputs. Hier kollidieren zigartiger und besonderer Tierarten wie Orang-Utans, traditionelle Landnutzungsrechte der lokalen Bevölke- Gibbons, Nebelparder, Borneo-Zwergelefanten und rung mit dem Anspruch der Regierung, ihre Hoheit über Nashornvögel. Von den über 210 Säugetierarten sind die Wälder auszuüben. In vielen Landesteilen kommt es mehr als 44 endemisch: Sie kommen nur hier und nir- immer häufiger zur Annexion durch illegale Holzfäller gendwo sonst vor. In den Jahren 1994 bis 2004 wurden und andere Nutzer. Änderungen in der Nutzungsform auf der Insel mindestens 361 neue Arten entdeckt, und und im Waldzustand werden in keiner zentralen Stelle immer wieder werden neue gefunden. erfasst. Unter solchen Umständen kann der Verlust an Waldflächen nur mit Mitteln der Fernerkundung Menschen kamen wahrscheinlich vor etwa 45.000 Jahren geschätzt werden. Im malaysischen Teil Borneos orien- nach Borneo und waren dort viele jahrtausendelang als tiert sich die Gebietsverwaltung vorwiegend an zentral Jäger und Sammler tätig, bevor die Mehrheit sich dem festgelegten Eigentumsrechten statt an Flächenplänen. Wanderfeldbau zuwandte. Im weitaus überwiegenden Trotz der Förderung digitaler Information und Kom- Teil der Besiedlungszeit lebten sie nachhaltig von dem, munikation durch die Regierung, veröffentlicht Malay- was die Natur ihnen bot. Die vielen eingeborenen Völ- sia nur veraltete Flächennutzungsdaten in Tabellenform ker, die Mehrheit zur großen Gruppe der Dayak gehö- und hält Kartenmaterial zur Flächennutzung geheim. rend, lebten in Hunderten von ethnischen Gruppen über die ganze Insel verstreut. In Kalimantan werden bis heu- Ökosysteme enden aber nicht an Landes- und Verwal- te über 140 verschiedene Sprachen und Dialekte gespro- tungsgrenzen. Die Vielfalt von Flora und Fauna kann chen, in Sabah über fünfzig und in Sarawak über dreißig. nicht in einem Flickenteppich aus Restwäldern erhal- ten werden. Vielfalt erfordert den Erhalt sehr großer, Heute befindet sich die Natur Borneos in ihrer schwers- miteinander verbundener Waldgebiete, sonst werden ten Krise. Die Regenwälder der Insel verschwinden Tausende von Spezies ausgelöscht. Auf Borneo wird rapide, und der illegale Artenhandel ist weit verbreitete dies so deutlich wie fast nirgendwo sonst. Praxis. Der Wald wird geplündert, um den weltweiten Bedarf an Holz und anderen Waldprodukten zu befrie- Fast die Hälfte der natürlichen Wälder Borneos ist digen. Der steigende Weltbedarf an preiswertem Palmöl bereits unwiederbringlich verloren, und die Verluste führt zu großflächigen Rodungen für die Anlage von nehmen in beunruhigendem Tempo zu. Während man Plantagen. entwaldetes Land wieder aufforsten kann, können Spe- zies, die auf ursprüngliche Wälder angewiesen sind, Trotz ihrer ökologischen Bedeutung wird die Insel, nicht ersetzt werden. Es gilt, dass zu erhalten, was deren Territorium sich die Staaten Malaysia, Indonesien noch übrig ist und gleichermaßen der ansässigen und das Sultanat Brunei Darussalam teilen, häufig Bevölkerung durch nachhaltige Nutzung der Wälder ignoriert, wenn Ursachen und Folgen des Raubbaus an ein Auskommen zu verschaffen. Auf Borneo ist dies den südostasiatischen Regenwäldern auf internationa- nur mit neuen Konzepten des Waldschutzes und der ler Bühne diskutiert werden. Dabei gehört Borneo zu Waldnutzung möglich. den Regionen mit der weltweit höchsten Entwaldungs- rate. Die wesentlichen Gründe für die rapide Zerstö- Die Lösung könnte die so genannte Heart of Borneo- rung der Wälder sind: großflächige Umwandlungen in Initiative sein. Das Heart of Borneo–Gebiet ist ein Plantagen, illegaler Holzeinschlag und Waldbrände. Im grenzübergreifendes Areal von über zwanzig Millionen Unterschied zu vielen anderen Regionen der Tropen Hektar, mehr als einem Viertel der Landmasse Borne- spielt die Landbevölkerung mit ihrem Bedarf an Acker- os. Die Initiative hierzu zielt nicht nur auf den Schutz flächen und anderen Ressourcen in diesem Zusammen- großer Waldgebiete, sondern auch auf die Wasser- und hang keine entscheidende Rolle. Nahrungsmittelversorgung und das kulturelle Überleben 6 WWF Deutschland
der Menschen in Zentral-Borneo. Es besteht Hoffnung, Diese Populationen werden für ein langfristiges Über- dass die Annahme der Initiative durch die politisch leben der Art zu klein und zu fragmentiert sein. Verantwortlichen und durch Beteiligte aus Naturschutz und Wirtschaft die Insel vor der endgültigen Entwal- • Zwar gehören sieben Prozent der Landfläche Borneos dung retten kann. zu Nationalparken, jedoch wird in Kalimantan auch dort illegal Holz eingeschlagen. In 14 von 18 beob- • Mitte der 80er Jahre betrug der Waldanteil Borneos achteten Einschlagskonzessionen weiteten Holzfäller noch 75 Prozent der Inselfläche. Im Jahr 2005 ist er ihre Aktivitäten 2001 auf geschützte Areale aus. bereits auf 50 Prozent reduziert. Zwischen 1985 und 2005 verlor Borneo im Durchschnitt 850.000 Hektar • Allein in Ost-Kalimantan gehen durch illegale Holz- Wald jährlich. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, wird einschläge und illegale Holzverarbeitung jährlich 2020 nach vorsichtigen Schätzungen nur noch ein schätzungsweise mehr als 75,5 Millionen Euro Unter- Drittel der Landmasse von Wald bedeckt sein. nehmenssteuer-Einnahmen verloren. Der malaysische Teil Borneos wird regelmäßig als Handelsroute für • Die Entwaldungsrate in Kalimantan (dem indonesi- illegales Holz aus dem indonesischen Teil genutzt. schen Teil Borneos) nimmt ständig zu. Zwischen 2000 und 2002 verschwanden pro Jahr durchschnitt- • Als größte Gefahr für die verbliebenen Wälder Bor- lich 1,2 Millionen Hektar Wald. Zusammen mit dem neos kann die Umwandlung von Wald in Ölpalmen- Waldschwund in Sabah und Sarawak (dem malaysi- Plantagen betrachtet werden. Zwischen 1998 und schen Teil der Insel) summiert sich das auf einen 2003 betrug das jährliche Wachstum dieser Plantagen Waldverlust von 1,3 Millionen Hektar pro Jahr – das im malaysischen Teil der Insel nahezu acht Prozent; entspricht 148 Hektar pro Stunde, 2,5 Hektar pro allein in Sabah und Sarawak gibt es davon heute 1,6 Minute. Millionen Hektar. In Kalimantan wuchs ihre Fläche im selben Zeitraum um 11,5 Prozent auf knapp eine • Im Jahr 2001 prognostizierte die Weltbank das Ver- Million Hektar. schwinden sämtlicher Tiefland-Regenwälder (außer Sumpfwäldern) in Kalimantan außerhalb von Schutz- • Die Waldbrände der Jahre 1997/98 verheerten in gebieten bis etwa 2010. Aktuelle Zahlen und Satelli- Kalimantan eine Landfläche von etwa 6,5 Millionen tenaufnahmen für diesen Report stützen diese Vorher- Hektar, das entspricht der doppelten Fläche Belgiens. sage der Weltbank: Wenn die Entwaldungsrate der Der Rauch verbreitete sich über ein Gebiet von 2000 Jahre 2000-2002 unvermindert anhält, kann mit dem mal 4000 Kilometern. Am stärksten betroffen waren kompletten Verschwinden der Tiefland-Regenwälder Wälder in den Tiefebenen und landwirtschaftlich bis zum Jahr 2012 gerechnet werden. Bei konservati- genutzte Flächen. Hunderte, wenn nicht Tausende ver Annahme der langfristigen, geringeren Durch- von Orang-Utans starben durch diese Katastrophe. schnittswerte der Jahre 1985-2002 könnte sich in Obwohl ein ungewöhnlich starker El-Niño-Effekt Kalimantan der Zeitpunkt des völligen Verschwindens eine Rolle spielte, waren die Brände von Menschen auf 2018 verschieben. Die Auswirkungen der Verinse- verursacht. Die Waldbrände auf Borneo trugen zu lung auf das Waldökosystem werden sich aber bereits dieser Zeit erheblich zur weltweiten CO2-Emission deutlich früher auswirken. Der Tiefland-Regenwald und damit zum Treibhauseffekt bei. ist der artenreichste Lebensraum auf Borneo. • Nach allgemeinen Schätzungen gibt es heute auf Bor- neo noch 55.000 Orang-Utans in zahlreichen Einzel- vorkommen. Neuere Beobachtungen in Sabah deuten darauf hin, dass Orang-Utans in der Lage sind, sich wesentlichen Veränderungen ihrer Lebensräume anzupassen: 60 Prozent der Population von Sabah leben in kommerziell genutzten Waldbeständen außerhalb von Wald-Schutzgebieten. Eine Prognose des Waldverlustes in Kombination mit den verbliebe- nen Orang-Utan-Lebensräumen ergibt jedoch, dass sich ihr Vorkommen bis zum Jahr 2020 auf nur weni- ge, völlig isolierte Populationen reduzieren wird. WWF Deutschland 7
1 Borneo: Eine Einführung 1.1 Überblick Flussufern und Küsten, da die Tiefebenen oft sumpfig sind. Detaillierte verlässliche Karten und topographi- Borneo, die nach Grönland und Neu-Guinea drittgrößte sche Daten über Borneo sind kaum erhältlich. Insel der Welt, liegt in der äquatorialen Region des Pazifischen Ozeans. Nachbarinseln sind die Philippi- Über die geologische Entstehung der Insel sind Wissen- nen im Norden, Java im Süden, Sumatra im Westen schaftler noch nicht einig, doch es scheint klar, dass und Sulawesi im Osten. Die Insel ist mit knapp die Landfläche Borneos sich vor etwa 15 bis 20 Millio- 740.000 km2 etwa doppelt so groß wie Deutschland nen Jahren aus dem Ozean erhob, als Verschiebungen und dünn besiedelt. Sie beherbergt die ungewöhnlichs- in der Erdkruste die Gebirge der Insel aufschoben. ten und vielfältigsten Ökosysteme unseres Planeten. Borneos Klima war früher viel saisonaler als heute, und der niedrige Meeresspiegel während der Eiszeiten Drei Staaten teilen sich die Insel: Im Nordwesten gehö- erlaubte die Wanderung von Pflanzen, Tieren und Men- ren knapp 6.000 km2 (etwa die doppelte Fläche Luxem- schen aus nördlicheren Gegenden wie etwa dem heuti- burgs) zum Unabhängigen Sultanat Brunei Darussalam. gen Thailand. Der Meeresspiegel lag vor zwei Millionen Der Kleinstaat Brunei wird durch den größten Bundes- Jahren vermutlich so niedrig, dass alle großen Inseln staat Malaysias, Sarawak, fast zweigeteilt; Sarawak der Region (Java, Borneo, Sumatra, Bali und Palawan) erstreckt sich über etwa 124.500 km2 entlang der Nord- durch Landzungen verbunden waren. Zu jener Zeit war westküste. Ein zweiter malaysischer Bundesstaat, Sabah, das Klima dort kühler als heute, jedoch viel stabiler als belegt etwa 72.000 km? im Norden. Der weitaus größte in anderen Regionen der Erde. Deshalb starben in Süd- Teil der Insel jedoch, eine Fläche von etwa 500.000 km2, ostasien während der Eiszeit nur 11 der 200 großen gehört zu Indonesien und wird Kalimantan genannt. Säugetierarten aus.1 Archäologische Grabungen in Niah, einer riesigen Höhle mit einer Grundfläche von fast 10 Kalimantan ist in vier Provinzen aufgeteilt: Ost-Kali- Hektar im Norden Sarawaks, ergaben, dass nur eine mantan (Kalimantan Timur), Süd-Kalimantan (Kaliman- einzige Spezies (das Riesenschuppentier, das vor tan Selatan), Zentral-Kalimantan (Kalimantan Tengah) 32.000 Jahren in diesem Gebiet lebte) heute ausgestor- und West-Kalimantan (Kalimantan Barat). Kalimantan ben ist. Erst der Mensch hat später durch Jagd und ist etwa doppelt so groß wie ganz Malaysia sowie etwa Entwaldung viele andere Arten ausgerottet.2 einhundert Mal so groß wie das Sultanat Brunei und macht etwa 28% der Gesamtfläche Indonesiens aus. Borneos Klima ist heute äquatorial feucht und tro- pisch, mit Temperaturen zwischen 25° und 35° Celsius Siehe Kartenteil „Verwaltungsbezirke auf Borneo“, in den Tiefebenen. Es gibt zwei Jahreszeiten, die „tro- Seite 26-27 ckene“ zwischen Mai und Oktober und die „nasse“ zwischen November und April. Ganz Borneo liegt in Da mehr als die Hälfte der Landmasse Borneos unter- einer so genannten dauerfeuchten Zone mit mindestens halb von 150 Metern über Meereshöhe liegt, mag die 60 Millimeter Niederschlag pro Monat. Insel auf den ersten Blick flach erscheinen. Es gibt es jedoch große Gebirgszüge, die sich im Innern der Insel Tatsächlich gibt es auf Borneo aber kaum Monate mit von Nordosten nach Südwesten erstrecken, mit Höhen weniger als 200 Millimeter Regen. Im Gunung-Mulu- von über 2.000 Metern. Die Zentralgebirge Borneos Nationalpark fallen sogar 7.000 Millimeter pro Jahr sind die Iran Mountains und die Müller Mountains (zum Vergleich: in Deutschland sind es durchschnitt- samt ihrer Ausläufer gen Westen (Kapuas Hulu Range, lich 790 Millimeter). Hose Mountains), Süden (Schwaner Mountains) und Osten (Meratus Mountains). Mit 4.101 Metern sticht der Mount Kinabalu als höchste Erhebung nicht nur auf Borneo, sondern von ganz Südostasien heraus. Ein Netzwerk großer Flüsse bildet die Hauptstruktur für Verkehr und Informationen auf Borneo, darunter die drei größten Flüsse Indonesiens: Der Kapuas ist mit 1.143 Kilometern fast so lang wie der Rhein und 1 Lord Medway: Phenology of Tropical Rainforest in Malaya; fließt zur Westküste, der Barito 900 Kilometer lang Biol. J. Linn. Soc 4: 117-146, 1972 nach Süden und der Mahakam 775 Kilometer entlang 2 MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The der Ostküste. Die Bevölkerung konzentriert sich an den Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 8 WWF Deutschland
Abb. 1: Verwaltungsbezirke auf Borneo, © WWF Deutschland Kota Kinabalu Bandar Seri Begawan Sabah BRUNEI Sarawak M A L A Y S I A Kuching Ost-Kalimantan West-Kalimantan Pontianak I N D O N E S I E N Samarinda Zentral-Kalimantan Palangkaraya Banjarmasin Süd-Kalimantan 1.2 Ein fruchtbares Land nur dort vor. (Zum Vergleich: In Deutschland wachsen 66 Baumarten, von denen nur sechs endemisch sind.4 1.2.1 Die Flora Borneos Wälder gehören zu den artenreichsten auf der Die meisten Pflanzenarten Borneos findet man in den ganzen Welt. Der Grund liegt in der unvergleichlichen Wäldern. Es gibt Mangroven-, Torfmoor- und Sumpf- geologischen und klimatischen Geschichte der Insel. wälder, Dipterocarpaceen-Tieflandwälder, Eisenholz- Auf Borneo sind Tausende einzigartiger Pflanzenarten Wälder und montane Dipterocarpaceen-Wälder. heimisch: bis zu 15.000 verschiedene Blütenpflanzen3, Borneo ist zudem Heimat der größten Heidewälder über 3.000 Baumarten, einschließlich 267 Arten von Südostasiens. Flügelfruchtgewächsen, so genannten Dipterocarpa- ceen, einer Familie von hohen Regenwaldbäumen, die Diese Wälder werden in ganz Südostasien, aber beson- wertvolles Holz und zum Teil kostbare Harze produzie- ders auf Borneo, rapide zerstört. Zwischen 1985 und ren. Aus dieser Gruppe stammen die meisten der kom- 1997 wurden allein auf dem indonesischen Staatsge- merziell gehandelten Hölzer der Region. Von ihnen biet der Insel zirka 20 Mio. Hektar Wald vernichtet. sind 155 in Borneo endemisch, das heißt: Sie kommen Am stärksten ist der Wald in den Tiefebenen unter 300 4 European Forest Institute: Forest Resource of Germany; 3 MacKinnon, K./Hatta, G./Halim, H./Mangalik, A.: The http://www.efi.fi/fine/resources/germany3.html, aufgerufen Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 am 28. April 2005 WWF Deutschland 9
Höhenmetern betroffen, in dem mehr als 60% aller Mangrovenwälder bedeckten einmal drei Viertel der Pflanzenarten des Regenwaldes vorkommen.5 Mitte der Küstenlinien aller tropischen und subtropischen Länder 80er Jahre bedeckten diese Wälder noch 71% der der Erde. Heute sind weniger als 50% davon übrig, und Inselfläche, im Jahr 2000 waren es nur noch 54%.6 zirka die Hälfte davon befindet sich in einem jämmer- lichen Zustand. Funktion und Eigenschaften der Man- Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Kaliman- groven sind bis heute nicht einmal ausreichend wissen- tan. Dort waren 1985 mit fast 40 Mio. Hektar noch schaftlich untersucht.10 Die Hauptursache für den etwa 75% der gesamten Landmasse bewaldet, im Jahr Schwund ist die Garnelenzucht.“ 2002 jedoch weniger als 27 Mio. Hektar.7 Auf Borneo kommen Mangrovenwälder im Mündungs- Nach Schätzungen der Weltbank werden in Kalimantan bereich von Flüssen und entlang der meisten Küsten die Tieflandwälder außerhalb geschützter Gebiete bis vor. Man nimmt an, dass es allein in Kalimantan etwa 2010 komplett verschwunden sein.8 ursprünglich 1.580.000 Hektar Mangrovenwald gab. Durch Rodungen und Holzeinschlag ist er heute vom Mangroven Aussterben bedroht. 1980 wurden dort zirka 95% der In den Küstenbereichen Borneos gibt es ein einzigarti- Mangroven für die Holzindustrie freigegeben, weniger ges Ökosystem von Mangrovenwäldern. Mangroven als 1% dagegen in Reservaten geschützt.11 Bis zum Jahr haben zahlreiche außerordentliche Eigenschaften, die 1993 wurden in der Folge schätzungsweise ein Drittel es ihnen möglich machen, sich in den Grenzzonen zwi- aller Mangroven-Gebiete in Kalimantan vernichtet, das schen Süß- und Salzwasser zu behaupten. Ihre Wurzeln heißt 1,3 Mio. Hektar.12 Im Jahr 2002 gab es von ihnen sind auf die Fixierung in schlammigen Böden opti- auf Borneo gerade noch knapp 1,2 Mio. Hektar. miert, sie verfügen mit „Luftwurzeln“ über Atmungs- organe sowie spezielle Mechanismen zum Abbau über- Nicht nur ihre Fähigkeit in extremer Umwelt zu überle- schüssiger Salzkonzentrationen. Mangroven sind die ben kennzeichnet die Mangrovenwälder. Einzigartig ist einzigen „lebend gebärenden“ Pflanzen, das heißt, der auch die Vielfalt der Produkte, die man nachhaltig aus Samen bleibt bei der Mutterpflanze und keimt dort in ihnen gewinnen kann. Mangroven liefern traditionell einem herausragenden Brutbeutel (propagule), bevor er Nahrungsmittel, in Maßen auch Holzkohle für den vom Baum fällt.9 Mangrovenwälder gibt es in ungefähr Eigengebrauch. Aus ihrer Baumrinde wurde Gerbsäure 117 Ländern, und sie bedecken eine Gesamtfläche von für die Lederindustrie gewonnen. Haushaltsprodukte 19 bis 24 Mio. Hektar. Sie bilden das produktivste aller wie Kleber, Haaröl, Spielwaren, Duftstoffe und Moski- Ökosysteme der Erde und haben lebenswichtige ökolo- toabwehrmittel stammten aus ihnen. Auch für Zucker, gische Funktionen. Ihre anhaltende Ausbeutung hat Alkohol, Speiseöl, Essig, Tee-Ersatz, Früchte und weltweit zu Verlust an Lebensräumen geführt, zu Ver- Papier sind Mangroven geeignet. schiebungen im Zusammenspiel der Arten, zum Verlust biologischer Vielfalt und zu Veränderungen in der Sumpfwälder und Torfmoorwälder Sozialordnung und Überlebensfähigkeit der Tiere. Die Mangrovenwälder sind nicht die einzigen vom Menschen bedrohten artenreichen Feuchtgebiete Bor- neos. In den küstennahen Regionen gibt es Süßwasser- 5 The World Bank: Indonesia: Environment and Natural Sumpfwälder und Torfmoorwälder (peat-swamp forests). Resource Management in a Time of Transition; Februar 2001 Im Landesinnern sind zwei riesige Gebiete von ihnen 6 Stibig H.J. and Malingreau J.P.: Forest Cover of Insular geprägt, die Mahakam-Seenplatte und das aus dem Southeast Asia Mapped from Recent Satellite Images of Kapuas gespeiste Feuchtgebiet Danau Sentarum. Coarse Spatial Resolution; Ambio Vol. 32 No 7, Nov. 2003, Royal Swedish Academy of Sciences, 2003 7 Holmes, D.A.: Indonesia - Where have all the forests gone? Environment and Social Development East Asia and Pacific Region. World Bank Discussion Paper; Verfasst 2000, veröf- fentlicht Juni 2002, und Fuller D.O, Jessup T.C. und Salim, A.: Loss of Forest Cover in Kalimantan, Indonesia, since the Upadhyay V.P., Ranjan R. and Singh J.S.: Human– 10 1997-1998 El Niño; Conservation Biology, pp.249-254 Mangrove Conflicts: The Way Out; Current Science, Vol. 83, Volume 18, No 1, Februar 2004 No. 11, 10 Dezember 2002 8 The World Bank: Indonesia: Environment and Natural 11 MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The Resource Management in a Time of Transition; Februar 2001 Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 9 Rey J.R. and C. Rutledge R.: Mangroves; University of The World Bank: Indonesia: Environment and Natural 12 Florida, Institute of Food and Agricultural Sciences, undatiert Resource Management in a Time of Transition; Februar 2001 10 WWF Deutschland
Mosaik verschiedener Nutzungsformen (Wanderfeldbau, Ölpalme, Grasland) Tieflandregenwald Montaner Regenwald >1200 m üNN natürliche Wiederbewaldung Torfmoorwald Mangrovenwald Plantagen permanente landwirtschaftliche Anbauflächen Wasserflächen Abb. 2: Wichtige Vegetationsformen auf Borneo Quelle: Langner A., Siegert F.: Assessment of Rainforest Ecosystems in Borneo using MODIS satellite imagery. Remote Sensing Solutions GmbH & GeoBio Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München, in Vorbereitung, Juni 2005. Basierend auf 57 einzelnen MODIS-Satellitenaufnahmen zwischen November 2001 und Oktober 2002 mit einer Auflösung von 250m Ein Teil dieser Süßwasser-Sumpfwälder liegt in Feuer mit unvollständiger Verbrennung produzieren Schwemmgebieten mit großer Zufuhr von Sedimenten hohe Emissionen verschiedener Substanzen (Kohlen- aus den Flüssen. Damit sind diese Wälder für tropi- monoxid, Schwefeldioxid und andere Verbindungen) sche Regionen ungewöhnlich nährstoffreich. Dagegen und sind sehr gefährlich für das Atmungssystem. Sie „leben“ Torfmoorwälder fast ausschließlich vom Regen können Monate lang schwelen und produzieren den und reichern somit weniger mineralische und organi- typischen Rauchnebel (haze) der oft auch noch in Tro- sche Nährstoffe an. In ihnen wachsen die Torfflöze mit ckenzeiten auftritt. den Jahrtausenden zu beeindruckender Mächtigkeit an und können bis zu 20 m stark werden. Die Torfmoor- Wie bei den Mangroven bedrohen kommerzielle Inte- wälder Borneos sind weniger artenreich als die Fluss- ressen auch diese Wald-Ökosysteme. Besonders Ramin, wälder. Sie haben aber dennoch eine große Bedeutung ein helles Bauholz, das in den Torfmoorwäldern wächst für viele seltene Pflanzenarten und markante Tierarten und für Billardstöcke, Fensterläden, Möbel, Bilderrah- wie Orang-Utan und Nasenaffe. Sie werden bislang men und Werkzeughandgriffe verwendet wird, findet aber kaum geschützt. Trocknet ihre obere Torfschicht das Interesse der Holz verarbeitenden Industrie. Im aus, sind sie sehr anfällig für Schwelbrände. Diese April 2001 verabschiedete die Regierung von Indone- WWF Deutschland 11
sien ein Moratorium gegen die Abholzung und den Flügelfruchtwälder (Dipterocarpaceen-Wälder) Export von Ramin. Die Vereinbarungen wurden vor Bewegt man sich von den sumpfigen Küstenbereichen kurzem in den Anhang II der CITES-Vereinbarung auf- landeinwärts, so trifft man auf eines der erstaunlichsten genommen, die den Handel gefährdeter Arten regelt. Ökosysteme Borneos, die Dipterocarpaceen- oder Flü- (In Anhang II gelistete Arten dürfen nur mit Exporter- gelfrucht-Wälder. Diese ökologisch wichtigste Wald- laubnis oder Wiederausfuhrbescheinigung gehandelt formation ist auch die kommerziell attraktivste. Die werden; anders als in Anhang I ist aber keine Einfuhr- Wälder werden „Dipterocarpaceen-Wälder“ genannt, erlaubnis von Seiten der Importstaaten nötig.) Dennoch nach der Pflanzenfamilie, zu der die meisten ihrer gro- wird Ramin weiterhin gefällt und in den malaysischen ßen Bäume zählen. Teil der Insel geschmuggelt, da dort kein solches Moratorium besteht.13 In den artenreichsten Formationen sind 10% aller alten Bäume und 80% aller Jungpflanzen Flügelfruchtge- 1981 waren auf Borneo nur 2,5% der Torfmoorwälder wächse.18 Diese Wälder bedeckten einst den größten und nur 5,4% der Süßwassersumpfwälder geschützt.14 Teil Borneos, und trotz aller Einschläge, Waldbrände In Malaysia sind Torfmoorwälder die bedeutendsten und Umwandlungen in Plantagen sind sie auf der Insel Feuchtgebiete, sowohl in Bezug auf die Fläche, als noch weit verbreitet. Üblicherweise kommen sie in auch in Bezug auf die Artenvielfalt. Ungefähr 75% der Lagen bis zu 1.000 m über Meereshöhe vor. Sie sind malaysischen Feuchtgebiete werden von Torfflächen von allen Pflanzengemeinschaften auf Borneo die pro- gebildet. Diese bedecken etwa 1,45 Mio. Hektar und duktivste und artenreichste. gehören zu mehr als 80% zum Bundesstaat Sarawak (was etwa 13% seiner Gesamtfläche entspricht). Die Drei Viertel der Wälder Südostasiens, wenn nicht mehr, Torfmoorwälder im östlichen Sabah sind verhältnismä- sind Dipterocarpaceen-Wälder. In Malaysia z. B. bilden ßig klein, dennoch biologisch bedeutend. sie über 85% der bewaldeten Gebiete. Auch in Brunei gibt es umfangreiche Torfgebiete, aber Die Bäume in diesen Wäldern sind Borneos wertvollste beträchtliche Teile der benachbarten Mischwälder in Quelle für Nutzholz. Heute sind die Tieflandwälder den Sümpfen sind schwer geschädigt. Die Wälder im fragmentiert, nur wenige große, zusammenhängende Landesinneren (einschließlich der Shorea albida-Wäl- Waldgebiete haben überlebt. Die größten befinden sich der, einer Flügelfruchtart, die lokal als „Alan“ bezeich- in den Naturschutzgebieten Gunung Palung (West- net wird) sind noch in gutem Zustand. Kalimantan), im Kutai-Nationalpark (Ost-Kalimantan), im Niah-Nationalpark (Sarawak) und im Landschafts- Süßwasser-Sumpfwälder sind artenreicher als Torfmoor- schutzgebiet des Danum-Tales (Sabah). Eine besondere wälder. In Kalimantan umfasste diese Waldformation ur- Baumart der Tiefland–Regenwälder ist das Eisenholz sprünglich etwa 7% der natürlichen Vegetationsfläche.15 oder „Belian“ (Eusyderoxylon zwageri). Wegen seiner In den späten 1980er Jahren waren vermutlich weniger Eigenschaften (es ist ein extrem hartes, langlebiges als 2% von Kalimantan noch von Süßwassersumpfwald Holz) muss sein Holz nicht behandelt werden und ist bedeckt.16 Im Jahr 2002 gab es auf ganz Borneo nur deshalb als Bauholz für Brücken, Dachschindeln und noch annähernd 10 Mio. Hektar Torfmoorwälder.17 Hauspfeiler sehr gefragt. In Höhenlagen über 500 Metern Meereshöhe sind diese Wälder Heimat für Arten aus der Pflanzenfamilie der Rafflesiengewächse (Raffle- 13 Environmental Investigation Agency 2004, Profiting from siaceae) Es handelt sich um Wurzel- oder Sprossparasi- Plunder: How Malaysia Smuggles Endangered Wood, ten ohne Chlorophyll, mit abwesenden oder reduzierten http://www.eia-international.org/cgi/reports/report- Wurzeln und Blättern. Die Art Rafflesia arnoldi trägt files/media67-1.pdf die schwerste Blüte aller Blütenpflanzen weltweit. Die- 14 MacKinnon, J and MacKinnon K: Review of the Protected se kann bis zu einem Meter Durchmesser erreichen.19 Areas System in the Indo-Malaysian Realm 1986; IUCN 15 MacKinnon J. and Artha M.B.: National conservation plan Dipterocarpaceen-Wälder gibt es seit Urzeiten. Verstei- for Indonesia; Vol 5, FAO, Bogor, 1981 nerter Blütenstaub von Flügelfrucht-Bäumen aus Sara- 16 Regional Physical Planning Programme for Transmigration, Directorate Bina Program, Indonesia 1985, 1987, 1988 18 MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The 17 Langner A. and Siegert F.: Assessment of Rainforest Eco- Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 systems in Borneo using MODIS satellite imagery. Remote Sensing Solutions GmbH & GeoBio Zentrum der Ludwig- 19 Payne J., Cubitt G., Lau D. and Langub J.: This is Borneo; Maximilians-Universität München, in Vorbereitung, Juni 2005 New Holland, 2001 12 WWF Deutschland
wak wird auf ein Alter von 30 Mio. Jahren geschätzt.20 Illipe-Nüsse. Diese Nüsse werden von den Einheimi- Biologen machten die enorme Vielfalt der Regenwald- schen gesammelt und können zu beachtlichen Preisen bäume deutlich, als sie auf einem Hektar Regenwald verkauft werden. Ihr Fett bildet einen idealen Grund- stoff für die Herstellung von Kosmetika und Kerzen.22 Flügelfruchtbäume können bis zu 60 Meter hoch wer- den. Ihre Holzeigenschaften machen viele Arten dieser Familie für den Handel so attraktiv. 1986 waren nur noch schätzungsweise 69% Borneos von ursprüngli- chen Dipterocarpaceen-Wäldern bedeckt, wovon damals nur rund 3% geschützt waren.23 Im Jahr 2002 waren auf Borneo noch etwa 30 Mio. Hektar Diptero- carpaceen-Wald erhalten.24 Bergwald In höheren Gebirgslagen verändert sich die Pflanzen- und Tierwelt. Ab ungefähr 900 bis 1.000 Metern beginnt auf Borneo der Bergregenwald, der bis zu einer Höhe von etwa 3.300 Metern vorkommt. Bäume haben in solchen Regionen eine viel niedrigere Kronenhöhe (unter 10 Meter) und werden deshalb manchmal „Elfen- wälder“ genannt. Statt der Dipterocarpaceen-Gewächse treten hier viele Baumarten aus der Familie der Buchen- artigen auf, zu der in gemäßigteren Regionen auch Kastanien und Eichen zählen. In der Höhe nimmt die Biomasse ab, die Blätter sind viel kleiner. Die Berge sind fast immer in Wolken gehüllt, Bäume und Felsen mit dicken Moosen bedeckt. Auch die Tierwelt ist eine andere, da es an Schutz und Nahrung mangelt und die klimatischen Bedingungen sehr hohe Ansprüche stellen. Im Vergleich zum umliegenden Tiefland-Regenwald Abb. 3: Große Dipterocarpacee im Segama- finden sich weniger Pflanzen- und Tierarten. Dennoch Waldschutzgebiet, Sabah © WWF / S. J. Yorath haben diese hoch gelegenen „Inseln“ im Umfeld der Tieflandwälder einen einzigartigen Artenreichtum pro- bis zu 240 verschiedene Pflanzenarten entdeckten.21 duziert. Abkömmlinge sowohl kontinental-asiatischer Eine bemerkenswerte Eigenschaft der Flügelfruchtge- als auch australasischer Familien haben diese Region wächse ist, dass diese Art so selten und unregelmäßig zu einem der artenreichsten Gebirgslebensräume der blüht. Ihre Blüte tritt nur in Abständen von fünf bis Erde gemacht.25 neun Jahren auf - mitunter sind die Intervalle auch län- ger. Man nimmt an, dass die Blüte durch eine Trocken- periode nach einem blütenlosen Jahr ausgelöst wird. Dann erscheinen plötzlich immens viele Blüten an Bäumen der einen Art, dicht gefolgt von Blüten an Jacobs, Mariu: The Tropical Rainforest; Springer-Verlag, 22 Bäumen anderer Arten. Gewöhnlich folgt darauf ein Heidelberg 1988 massenhaftes Fruchtwachstum. Einige der Flügel- 23 MacKinnon, J und MacKinnon K: Review of the Protected fruchtbäume Borneos entlang der Ströme (Dipterocar- Areas System in the Indo-Malaysian Realm 1986, IUCN paceae shorea atrinervosa) entwickeln Tengkawan- und 24 Langner A. und Siegert F.: Assessment of Rainforest Ecosystems in Borneo using MODIS satellite imagery. Remote Sensing Solutions GmbH & GeoBio Zentrum der 20 Muller, J: Palynological Study of Holocene Peat in Ludwig-Maximilians-Universität München, in Vorbereitung, Sarawak; 1970; Proceedings of the symposium on humid Juni 2005 tropics vegetation, UNESCO 25 WWF Ecoregion Profiles: Borneo Montane Rainforests MacKinnon K., Hatta G., Halim H. und Mangalik A.: The 21 http://www.worldwildlife.org/wildworld/profiles/terrestrial/im/ Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 im0103_full.html WWF Deutschland 13
Im Jahr 2002 waren von den ursprünglich 2.270.000 Im Allgemeinen sind Heidewälder artenärmer als ande- Hektar Bergwald26 noch 1,6 Mio. Hektar, also etwa re Tieflandwälder, besonders als Wälder gemäßigter 70% des ursprünglichen Bestandes übrig.27 Zonen. In einem 1 Hektar großen Untersuchungsgebiet konnten 123 Baumsorten bestimmt werden im Ver- Heidewald gleich zu 214 Arten in einem benachbarten Dipterocar- Der Heidewald ist die bemerkenswerteste von allen paceen-Wald. Regenwald-Varianten des Tieflandes. Auf Borneo nennt man diese Waldart Kerangas, nach dem Begriff Die Bodenflora in den Heidewäldern ist karg, dennoch des Iban-Volkes für „Land, auf dem kein Reis wächst“. findet man hier einige bemerkenswerte Pflanzen wie Man findet diese Wälder sowohl entlang der Küsten die Insekten fressende Kannenpflanze Nepenthes, die als auch im Landesinneren, hier überwiegend auf zu den Sonnentau-Gewächsen gehörenden Droseraceae Sandboden und sandigen Plateaus.28 und die zu den Wasserschlauchgewächsen zählenden Utricularia. Diese Pflanzen decken ihren Nährstoffbe- Lange Zeit glaubte man, dass Heidewaldboden weniger darf durch ihre Fleisch fressende, insektivore Lebens- fruchtbar als andere Bodentypen und seine Nährstoff- weise, die vermutlich als Antwort auf den Stickstoff- armut der Grund für die typisch kleinen, sehr ledrigen mangel im Boden entwickelt wurde.31 Blätter vieler seiner Pflanzen sei. Erst 1958 wurden Bodenanalysen durchgeführt, die ergaben, dass Heide- Die Gattungen Hydnophytum und Myrmecodia sind wald nicht wesentlich nährstoffärmer ist als der Boden bekannt für ihre dicken, röhrenartigen Schwellkörper, der Regenwälder in den Tiefebenen Borneos.29 Die die von Ameisen bevölkert werden. Diese Ameisenko- Böden sind allerdings in hohem Grade sauer und sehr lonien leben in speziellen Kammern. Sie packen ihre wasserdurchlässig. Es wird angenommen, dass sein Ausscheidungen in Tunnel und liefern so wiederum Gehalt an giftigen Phenolen durch abfallende Blätter Nährstoffe für den Baum.32 und Früchte hervorgebracht wird, die anschließend das Wurzelwachstum der Mutterpflanzen behindern. Sicher Wenige Pflanzenarten bedeuten wenig Nahrung, und ist: Wenn Heidewald abgebrannt oder abgeholzt wird, folglich sind die Heidewälder auch weniger reich an erodiert und oxydiert seine dünne obere Humus-Schicht Tierarten. In den Heidewäldern der Provinz Sarawak sehr schnell. Seine geringen Lehmanteile werden aus- gibt es keine Schildkröten und nicht einmal halb so gewaschen, und zurück bleibt fast reiner Sand, der kei- viele Froscharten, Eidechsen und Schlangen wie in den ne Nährstoffe mehr binden kann.30 Dipterocarpaceen-Wäldern; auch endemische Arten sind seltener.33 Heidewälder zeigen eine ausgeprägte Charakteristik bezüglich ihrer Struktur und Vegetation; ihre Bäume Ursprünglich waren 6.688.200 Hektar Borneos mit sind deutlich kleiner als die des gemischten Regenwal- Heidewäldern bedeckt, und 1986 waren davon nur noch des. Heidewälder haben ein niedriges, einförmiges ein- zirka 48% intakt.34 Seit dieser Zeit schrumpfen die faches Kronendach. Im Bako-Nationalpark in Sarawak Bestände, und vermutlich werden bis 2005 die Heide- wurden Kronenhöhen von 4,5 bis höchsten 9 Metern wälder von Kalimantan völlig verschwunden sein (vgl. gemessen. Kapitel 5.1.1), weil sie nicht wieder aufgeforstet wer- den können. Das Brandrisiko für das übrig gebliebene Buschwerk ist extrem hoch. 26 MacKinnon, J./MacKinnon, K.: Review of the Protected 1.2.2 Fauna Areas System in the Indo-Malaysian Realm; IUCN 1986 Ebenso wie die Flora der Insel spiegelt auch das reiche 27 Ebenda und Langner A. und Siegert F.: Assessment of Tierleben Borneos die geologische und klimatische Rainforest Ecosystems in Borneo using MODIS satellite Geschichte der Region wider. Bezogen auf seine Größe imagery. Remote Sensing Solutions GmbH & GeoBio Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München, in Vorbereitung, Juni 2005 31 MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The 28 Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 32 Ebenda. Whitmore, T.C: An Introduction to Tropical Rainforest; 29 Oxford University Press, 1990 33 MacKinnon K., Hatta G., Halim H. and Mangalik A.: The Ecology of Kalimantan; Oxford University Press, 1997 Whitmore, T.C: An Introduction to Tropical Rainforest; 30 Oxford University Press, 1990 34 Ebenda. 14 WWF Deutschland
ist Borneos Fauna zwar weniger vielfältig als die Tier- Orang-Utan (Pongo spec.) welt auf der benachbarten kleineren Insel Sumatra, vor Siehe Kartenteil: „Orang-Utan-Verbreitung“ allem, weil sich die Insel Borneo weiter entfernt vom Seiten 10-14 asiatischen Kontinent befindet. Trotzdem gibt es auf Borneo eine höhere Zahl endemischer Säugetiere (44) Der Orang-Utan (im malayischen „Mensch des Waldes“) als auf der Nachbarinsel. In Deutschland gibt es bei- ist heute ohne Zweifel eine der am stärksten gefährde- spielsweise kein einziges endemisches (also aus- ten Arten des Regenwaldes auf Borneo und steht stell- schließlich in Deutschland lebendes) Säugetier. Allein vertretend für all die anderen Arten, die genauso durch zwischen 1994 und 2004 sind mindestens 361 neue die fortschreitende Entwaldung der Insel betroffen sind. Arten auf Borneo gefunden worden. Unterschieden nach Gruppen sind das: 50 Pflanzenarten, 260 Insek- ten, 30 Süßwasserfische, 7 Froscharten, 6 Eidechsenar- ten, 5 Krabbenarten, 2 Schlangenarten und eine bisher unbekannte Krötenart. Diese Schätzung ist eher vor- sichtig, da viele neu gefundene Arten noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur oder in der Presse publi- ziert worden sind. Hinzu kommt, dass ganze Tiergrup- pen bisher kaum untersucht wurden, einschließlich der Fledermäuse (die 40-50% der tropischen Säugetier- Fauna bilden) und anderer kleinen Säugetiergruppen, die wegen ihrer nachtaktiven Lebensweise oder ihres scheuen Verhaltens besonders schwierig zu beobachten sind. Jede wissenschaftliche Expedition bringt neue Entdeckungen oder Wieder-Entdeckungen von Arten und Unterarten (dies trifft besonders auf Borneos Süß- wasserfische und Amphibien zu).35 Außerdem leben mindestens 37 endemische Vogelarten auf der Insel. Ein Symbol für Borneo sind die Nashornvögel (horn- bills). Nashornvögel sind bemerkenswert wegen ihrer mächtigen Schnäbel und wegen ihrer Nestbauweise. Die Abb. 4: Orang-Utans in Zentral-Kalimantan Männchen mauern die Weibchen während der Brutpe- © WWF / A. Compost riode in eine Baumhöhle ein. Auf Borneo gibt es acht Nashornvogelarten, unter ihnen der Schildhornvogel Orang-Utans sind die schwersten Lebewesen, die per- (Rhinoplax vigil), einer der wenigen Vögel, die einen manent im Kronenbereich des Waldes leben. Der größte massiven Schnabel aus „Vogelelfenbein“ haben. Eine Teil ihrer Nahrung besteht aus Früchten und reicht von andere Art, der Rhinozeroshornvogel (Buceros Rhino- großen, hartschaligen Arten, wie der wilden Durian- ceros), ist das Wahrzeichen von Sarawak. Frucht, bis zu kleinen fleischigen Arten, wie den wilden Feigen. Studien haben gezeigt, dass die Passage der Auf Borneo gibt es 13 verschiedene Primatenarten Samen durch den Darm des Orang-Utans die Keimung sowie einige große Säugetiere wie den Banteng, der bei einigen Arten sogar erleichtern kann. Orang-Utans Wildform des Balirinds (Bos javanicus), das Sumatra- sind wichtige Samenverbreiter und tragen so wesent- nashorn (Dicerorhinus sumatrensis) und den asiatischen lich zur Verbreitung der verschiedenen Pflanzenarten Elefanten (Elephas maximus). Obwohl es auf Borneo bei. Insekten sind eine wichtige Proteinquelle, besonders auch Fleisch und alles fressende Tiere wie den Nebel- für die schwangeren Weibchen.36 Orang-Utans spielen parder (Neofelis nebulosa) und den Malaienbären (Hel- durch ihre Diät eine Rolle bei der Kontrolle der Insek- arctos malayanus) gibt, sind die meisten einheimischen tenausbreitung, die vor allem die jungen Blätter der Säugetiere Flughunde und Nagetiere. Sie spielen im Urwaldriesen befallen. Sie helfen dadurch das Gleich- Ökosystem der Insel als Räuber und beim Verbreiten gewicht des Ökosystems, in dem sie leben, zu erhalten. der Samen in den Wäldern eine wichtige Rolle. 36 WWF, 2005: WWF’s Species Action Plan for the Conservation of Orang-utans (Pongo pygmaeus and Pongo 35 Pio D. and D’Cruz R.: Borneo’s Lost World: Newly abelii) in the Wild. Unveröffentlichter Entwurf der WWF- Discovered Species on Borneo; WWF (ed), April 2005 Arbeitsgruppe “Arten”, Kapstadt, Januar 2005. WWF Deutschland 15
Gegenwärtige Populationen:37 zerstückelung, Torfland-Trockenlegungen, Bergbau Während des Pleistozäns (Eiszeit) waren Orang-Utans und schlechte Bewirtschaftung des Waldes.41 durchgehend von Südchina bis zur Insel Java verbrei- tet. Heute gibt es nur noch zwei Orang-Utan-Arten, die Eine 2003 durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, verstreut auf Borneo (Pongo pygmaeus) und im äußers- dass Kalimantan im Jahrzehnt zwischen 1992 und ten Norden von Sumatra (Pongo abelii) vorkommen.38 2002 39% des Lebensraums für Orang-Utans einge- büßt hat.42 Diese Studie war Teil einer internationalen Der Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus) Anstrengung, die Orang-Utan-Populationen Borneos Die Situation der Borneo-Orang-Utans ist schwieriger und Sumatras richtig einzuschätzen und Maßnahmen zu beurteilen als die der Sumatra-Orang-Utans, weil zu ihrem Schutz und zur Wiederansiedlung zu formu- ihre Population größer und auch stärker zerstreut ist. lieren. Diese Einschätzung basiert auf dem Population Die Bestandsschätzungen schwanken daher stark, and Habitat Viability Assessment (PHVA) von 2004, sowohl in Bezug auf die Erhebungszeiträume als auch bei dem Daten zu Beständen, Lebensraum und Lebens- zwischen den einzelnen Studien. Die zuletzt stattgefun- fähigkeit der Orang-Utans ausgewertet wurden, kombi- denen Erhebung von 2004 schätzt das Vorkommen auf niert mit einer Zählung von Orang-Utan-Nestern in Borneo auf ca. 54.900 bis 56.100 Orang-Utans, die in Sabah, Malaysia, (mit Luftaufnahmen ermittelt). Der zahlreichen Subpopulationen verstreut leben. In Kali- PHVA 2004 schätzt, dass es weltweit noch zwischen mantan haben bis heute über 40.000 Orang-Utans 50.000 und 60.000 Orang-Utans gibt. Rund 7.500 überlebt, die meisten davon in Zentral-Kalimantan. leben auf Sumatra, während der Hauptteil auf Borneo lebt. 13.000 Orang-Utans leben in Sabah und bilden Borneo-Orang-Utans bevorzugen Tiefland-Dipterocar- das bedeutendste Vorkommen der Unterart Morio. Inte- paceen-Wälder, Süßwassersumpf- und Torfmoorwälder. ressanterweise werden 60% dieser Population außer- Sie sind nur teilweise in Höhen über 500 Metern Mee- halb der Naturschutzgebiete gefunden, in kommerziell reshöhe zu finden, und wenn, dann in niedrigeren für Holzeinschlag genutzten Waldgebieten43 Das zeigt, Populationsdichten als in anderen Lebensräumen. Auch dass Orang-Utans in der Lage sind, sich bedeutenden ohne die weit reichende Lebensraumzerstörung sind Änderungen ihres Lebensraums anzupassen. Orang-Utan-Populationen sehr empfindlich. Das liegt an der niedrigen Reproduktionsrate, die durch die späte Die gute Nachricht ist, dass es viel mehr Orang-Utans Geschlechtsreife (bis 12 Jahre) und die langen Abstän- gibt, als frühere Studien annahmen. Jedoch spiegelt de zwischen den Schwangerschaften (gewöhnlich 8 diese Zahl kein Wachstum der Population wider. Viel- Jahre) verursacht wird.39 Es wird angenommen, dass mehr zeigt das Ergebnis, wie schwierig es bei den frühe- die Zahl der heute lebenden Orang-Utans nur ein Pro- ren Studien war, die Orang-Utan-Vorkommen zu über- zent ihrer prähistorischen Population ausmacht.40 schauen. Die neuen Ergebnisse belegen lediglich, dass es mehr Orang-Utans gibt als ursprünglich angenom- Für den starken Rückgang der Orang-Utan-Populatio- men, aber auch, dass diese höhere Zahl gleichermaßen nen sind acht Hauptfaktoren verantwortlich: illegale vom enormen Waldschwund auf Borneo betroffen ist. Holzeinschläge, Waldumwandlung in Plantagen und andere Nutzungsformen, Wilderei, Waldbrände, Land- Die Studie zeigt auch, dass Orang-Utan-Populationen, die auf kleinräumige – höchstens 50 Tiere ernährende - Habitate begrenzt sind, noch für eine beträchtliche Zeit 41 Singleton, I., S. Wich, S. Husson, S. Stephens, S. Utami 37 WWF, 2005: WWF’s Species Action Plan for the Atmoko, M. Leighton, N. Rosen, K. Traylor-Holzer, R. Lacy Conservation of Orang-utans (Pongo pygmaeus and Pongo and O. Byers (eds.): Orang-utan Population and Habitat abelii) in the Wild. Unveröffentlichter Entwurf der WWF- Viability Assessment: Final Report. IUCN/SSC Conservation Arbeitsgruppe “Arten”, Kapstadt, Januar 2005. Breeding Specialist Group, Apple Valley, MN, 2004. 38 Lackman-Ancrenaz I., Ancrenaz M. and, Saburi R.: The Kina- 42 Simon Husson et al: The Status Of The Orang-Utan In batangan Orang-utan Conservation Project (Kocp); undatiert Indonesia, 2003; Report to the Orang-Utan Foundation, UK, 39 Morrogh-Bernard, H. et al.: Population status of the 2003. Bornean orang-utan (Pongo pygmaeus) in the Sebangau 43 Singleton, I., S. Wich, S. Husson, S. Stephens, S. Utami peat swamp forest, Central Kalimantan, Indonesia; Biological Atmoko, M. Leighton, N. Rosen, K. Traylor-Holzer, R. Lacy Conservation 110, pp 141–152, 2003. and O. Byers (eds.): Orang-utan Population and Habitat 40 Bennet E.L.: The Natural History of Orang-Utan; Natural Viability Assessment: Final Report. IUCN/SSC Conservation History Publications (Borneo), 2002. Breeding Specialist Group, Apple Valley, MN, 2004. 16 WWF Deutschland
fortbestehen können. Aber diese Populationen sind auf den. Eine WWF-Untersuchung in den 1980er Jahren in Dauer instabil und zum Aussterben verurteilt. Erst Sabah und auch eine aktuelle Einschätzungen der Lebensräume, die Populationen von mehr als 250 Organisation HUTAN zeigen, dass sich Orang-Utans Orang-Utans ernähren, können eine gute demographi- auch an gestörte Wälder anpassen können – vorausge- sche und genetische Stabilität sicherstellen. setzt, illegale Jagd und Flächenumwandlungen zu land- wirtschaftlichen Zwecken werden kontrolliert bzw. Geografische Unterschiede in der Genetik der Borneo- unterbunden.44 Ihre hohe Populationsdichte hier scheint Orang-Utans haben zur Unterscheidung in drei Unter- sowohl mit den Böden, als auch mit dem Waldzustand arten geführt: Pongo pygmaeus morio, der Nordost- zusammenzuhängen. Zur Unterstützung der Wiederher- borneo-Orang-Utan, Pongo pygmaeus wurmbii, der stellung der Wälder von Malua und des Ulu-Segama- Zentralborneo-Orang-Utan und Pongo pygmaeus pyg- Schutzgebietes fehlen zurzeit allerdings die finanziellen maeus, der Nordwestborneo-Orang-Utan. Mittel. Die dort liegenden Konzessionen haben die ihnen zur Nutzung überlassenen Wälder schon weitgehend Der Nordwestborneo-Orang-Utan übernutzt, so dass deren Erhalt für einen zukünftig (Pongo pygmaeus pygmaeus) ökologisch orientierten Waldbau unter keinen günstigen Er kommt in Nordwest-Kalimantan, nördlich des Flus- Vorzeichen steht.45 ses Kapuas und im Grenzgebiet zwischen Sarawak und West-Kalimantan vor. Der Status des Pongo pygmaeus Die einst große Population im Kutai-Nationalpark ist pygmaeus ist Besorgnis erregend. Die Gesamtpopulation zwar geschrumpft, dürfte aber noch groß genug sein, wird auf etwa 3.000 Tiere geschätzt. Bedeutende Popula- um besondere Schutzanstrengungen zu rechtfertigen. tionen finden sich noch im Batang-Ai/Lanjak-Entimau- Das beunruhigenste Ergebnis der Populationsschätzung Schutzgebietskomplex im Süden Sarawaks, im südwest- betrifft die Kalkulationen über die Zukunft der Orang- lichen Teil des Betung-Kerihun-Nationalparks und im Utans für den Fall, dass der Waldrückgang auf Borneo Danau-Sentarum-Nationalpark (beide West-Kalimantan). nicht gestoppt wird. Nach den Vorhersagen werden in diesem Fall sogar Populationen, die zurzeit noch sehr Der Zentralborneo-Orang-Utan groß sind, innerhalb der nächsten 50 Jahre ausgelöscht (Pongo pygmaeus wurmbii) sein – das ist weniger als die Lebenserwartung eines Ihn findet man im Südwesten Kalimantans, südlich des einzelnen Orang-Utans. Flusses Kapuas und westlich des Barito. Pongo pygma- eus wurmbii ist die häufigste Orang-Utan-Unterart Borneos (etwa 38.000 Tiere) mit einer beträchtlichen, aber zunehmend zerstückelten Verbreitung in den Sumpf- und Tiefland-Dipterocarpaceen-Wäldern von Zentral-Kalimantan. Ansehnliche Populationen des Pongo pygmaeus wurmbii finden sich im Tanjung- Puting-Nationalpark, im Sebangau- und Mawas-Gebiet von Zentral-Kalimantan, im Gunung-Palung-National- park in West-Kalimantan und in den Wäldern entlang der Grenzen zwischen den Provinzen West-Kalimantan und Zentral-Kalimantan. Der Nordostborneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus morio) Diese Art findet man in Sabah und in Ost-Kalimantan südlich des Mahakam. Der Pongo pygmaeus morio hat sein Hauptverbreitungsgebiet in den oberen Kinabatan- Abb. 5: Junger Orang-Utan © WWF -Canon / R. A. Mittermeier gan- und Segama-Landschaften in Sabah, in Gunung Gajah und der Berau-Region von Ost-Kalimantan. Die Gesamtpopulation wird auf eine Größe von 14.000 Tie- 44 Ancrenaz M., Gimenez O., Ambu L., Ancrenaz K., Andau P., Goossens B., Payne J., Sawang A., Tuuga A. und ren geschätzt, wovon etwa 11.000 in Sabah leben. Lackman-Ancrenaz, I.: Aerial surveys give new estimates for Davon wiederum ist die Hälfte in den durch Forstwirt- orang-utans in Sabah, Malaysia. Plos Biol 3(1): e3 , 2005 und schaft aufgelichteten Wäldern der Sabah Foundation John Payne, WWF Malaysia, pers. Kommunikation. rund um das Danum-Valley-Naturschutzgebiet zu fin- 45 John Payne, WWF Malaysia, persönliche Kommunikation. WWF Deutschland 17
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