Build back better: Neustart transatlantischer Handelsbeziehungen?
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DOI: 10.1007/s10273-020-2796-y Zeitgespräch Ende des vorherigen Zeitgesprächsartikels Stormy-Annika Mildner, Elisabeth Allmendinger Build back better: Neustart transatlantischer Handelsbeziehungen? „Build back better“ – unter dieses Motto setzt Joe Biden ligion zeigen, wie sich die gesellschaftliche Spaltung ent- seine anstehende Präsidentschaft. Seine Wahl zum 46. lang der Parteilinien von Demokraten und Republikanern Präsidenten der Vereinigten Staaten fällt in die Zeit ei- während der letzten vier Jahre verstärkt hat (Pew, 2020a). ner globalen Pandemie mit dramatischen und noch nicht absehbaren Konsequenzen für die Gesundheit von US- Joe Biden steht vor der Herausforderung, eine Politik Bürger*innen, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu finden, die das Land eint und von einem Großteil der und für die wirtschaftliche Lage der USA. Biden setzt auf Gesellschaft – und dabei nicht nur von Bidens eigenen den Wiederaufbau des Landes. Er hat sich vorgenommen, Wähler*innen – mitgetragen wird. Die US-Wahlen ha- eine stark polarisierte US-Gesellschaft zu versöhnen und ben gezeigt, dass Trump mehr Rückhalt in der Bevölke- die internationale Reputation der USA wieder zu stärken. rung hat als viele im Voraus für möglich gehalten hätten. Im Vergleich zu 2016 konnte Trump sogar noch mehr Sowohl politisch als auch gesellschaftlich sind die USA Wähler*innen für sich mobilisieren und seinen Unterstüt- heute tiefer gespalten als noch vor der Amtsübernahme Donald Trumps. So wies nicht nur der Kongress in sei- nem Abstimmungsverhalten während der vergangenen vier Jahre die stärkste jemals gemessene Polarisierung Dr. Stormy-Annika Mildner leitet die Abteilung Au- auf und blockierte somit viele wichtige Gesetzesvorha- ßenwirtschaftspolitik des Bundesverbands der deut- ben (Quirk et al., 2019), sondern auch gesellschaftlich schen Industrie (BDI) und ist Adjunct Lecturer an der zeigen sich tiefe Risse. Meinungsumfragen zu politischen Hertie School of Governance in Berlin. Kernthemen wie Chancengleichheit, Immigration und Re- Elisabeth Allmendinger, M. A., arbeitete zur Beglei- © Der/die Autor(en) 2020. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https:// tung der US-Wahlen 2020 als Trainee in der Abteilung creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht. Außenwirtschaftspolitik des BDI. Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 913
Zeitgespräch zerkreis um 17,2 % vergrößern (CNN, 2016 und 2020). Be- mente, die Präsident Trump wiederholt nutzte. Biden wird trachtet man die heiß umkämpften Bundesstaaten des jedoch keine Handelspolitik am Kongress vorbei machen Rust Belt, die Trump in der vorherigen Wahl zum Sieg können und wollen. Wie also steht der Kongress zum Han- verhalfen, so erhielt Trump auch dort viel Unterstützung del? Und wie ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung? und konnte Indiana, Iowa, Ohio – teilweise sogar mit deut- lichem Vorsprung – wieder für sich gewinnen. Bidens innenpolitische Handlungsspielräume Joe Biden wird in den kommenden Monaten auf parteiüber- Dem Umfrageinstitut Gallup zufolge ist die Einstellung greifende Zusammenarbeit angewiesen sein. Neben den der US-Bevölkerung zum Handel so positiv wie seit 25 von ihm angestrebten Steuererhöhungen steht auch die Jahren nicht mehr (Saad, 2019). Dies gilt sowohl für de- Verabschiedung eines Corona-Konjunkturpakets an, wofür mokratisch als auch republikanisch wählende Befrag- er Unterstützung beider politischer Lager brauchen wird. te. Während sich die Zustimmungsrate bereits seit 2011 Für den Beginn seiner Präsidentschaft setzt sich Biden deutlich verbessert hatte, sprang sie nach Amtsantritt vier Prioritäten: Die Bewältigung der Corona-Pandemie, die Trumps noch einmal merkbar an. Im Februar 2019 wa- wirtschaftliche Erholung, der Einsatz gegen strukturellen ren laut Gallup-Umfrage fast drei von vier befragten US- Rassismus und der Kampf gegen den Klimawandel. Amerikaner*innen (74 %) der Meinung, dass der Handel „eine Chance für wirtschaftliches Wachstum durch US- Anders als sein Vorgänger, der in seinem Programm Make Exporte“ darstellt (Saad, 2019). Weniger als 21 % sahen America Great Again vor allem auf unilaterale Maßnahmen im Handel eher „eine Bedrohung für die Wirtschaft durch setzte, nahm Biden schon wenige Tage nach den Wahlen ausländische Importe“. Etwas weniger positiv fällt das Er- den Kontakt zu ausländischen Staatsoberhäuptern auf. gebnis aus, wenn nach Handelsabkommen gefragt wird. Ende November 2020 verständigte er sich mit EU-Kom- Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew zu- missionspräsidentin Ursula von der Leyen darauf, den folge (2018) bewerteten 56 % der US-Bevölkerung Frei- transatlantischen Beziehungen einen neuen Impuls zu ge- handelsabkommen positiv, unter den demokratisch Ge- ben. Biden sieht die Stärke der USA in engen Beziehungen sinnten waren es 67 %. Diese große Unterstützung unter zu den traditionellen Verbündeten. Im Vergleich zu Trump demokratisch Wählenden ist historisch überraschend, ist Biden von internationaler Rechtsprechung sowie von hatten die Demokraten doch traditionell eine zögerliche der Bedeutung internationaler Organisationen überzeugt. Haltung gegenüber Freihandelsabkommen. Die Erklärung Sein Regierungsstil verspricht, deutlich berechenbarer liegt zumindest zum Teil in einer generellen Ablehnung und kooperativer zu sein. Biden bringt viel Erfahrung mit. von Trump (Stokes, 2018). Er ist ein ausgewiesener Europakenner und Transatlanti- ker. Nachdem die transatlantischen Beziehungen während Gleichzeitig ist die Mehrheit der US-Amerikaner*innen der vergangenen vier Jahre stark belastet waren, knüpfen laut einer Gallup-Umfrage von 2017 jedoch auch der Mei- viele in Europa große Hoffnungen an einen Neustart in der nung, dass die „Förderung einer günstigen Handelspolitik transatlantischen Zusammenarbeit. für die USA auf ausländischen Märkten“ ein „sehr wich- tiges“ Ziel der US-Außenpolitik sei (Saad, 2019). Hinzu Dies wird jedoch kein Selbstläufer sein, sondern viel Arbeit kommt: Laut einer Pew-Umfrage von 2018 glauben nur auf beiden Seiten des Atlantiks erfordern. So gehört Han- 36 % der Befragten, dass Handel Arbeitsplätze schafft; del nicht zu den Top-Prioritäten von Biden. Eine proaktive nur 31 % erwarten, dass Handel Lohnsteigerungen mit Handelspolitik würde aufgrund der innenpolitischen Lage sich bringt (Stokes, 2018). Trumps Slogan Make America dem Präsidenten den Einsatz von viel politischem Kapital Great Again fand viel Widerhall – nicht nur unter seinen abverlangen. Zudem werden sich bestimmte transatlan- eigenen Wähler*innen. Immerhin befürworteten laut einer tische Konfliktthemen, wie beispielsweise die US-Russ- Pew-Umfrage 37 % steigende Stahl- und Aluminiumzölle landsanktionen, nicht einfach in Luft auflösen. Umso er- (45 % waren dagegen) (Pew, 2018), unter den republika- freulicher ist, dass die Europäische Kommission bereits nisch Wählenden waren es sogar 58 % (Pew, 2018). Ins- einen Vorschlag für eine positive Agenda vorgelegt hat. besondere in ländlichen Regionen konnte Trump mit sei- ner Handelspolitik punkten, obwohl die von ihm angezet- Verfassungsrechtlich liegt die Verantwortung für die Han- telten Handelskonflikte und steigenden Zölle gerade der delspolitik beim Kongress, wenngleich dieser die Kompe- US-Landwirtschaft schadeten. Die Einstellungen gegen- tenzen der Exekutive wiederholt erweitert hat. Beispiele über China haben sich in den vergangenen Jahren – also hierfür sind Abschnitt 232 des Handelsgesetzes von 1962 bereits vor der Corona-Pandemie – parteiübergreifend (Zölle zum Schutz der nationalen Sicherheit) oder auch Ab- verschlechtert. Hatten 2017 noch 47 % der Befragten eine schnitt 301 des Handelsgesetzes von 1974 (Maßnahmen negative Einstellung gegenüber China (Pew, 2020b), wa- gegen unfaire Handelspraktiken im Ausland) – zwei Instru- ren es im Oktober 2020 73 % (Silver et al., 2020). Wirtschaftsdienst 2020 | 12 914
Zeitgespräch Beim Thema Handel kann Biden nicht auf die volle Un- hung von Zöllen auf Fahrzeuge und Fahrzeugteile dürf- terstützung durch seine Partei zählen. Insbesondere der te hingegen erst einmal vom Tisch sein. Weder unter progressive, linke Flügel fürchtet den Verlust heimischer Republikanern noch Demokraten fanden Trumps Auto- Arbeitsplätze und positioniert sich – unterstützt von den zölle viel Unterstützung. Gewerkschaften – deutlich gegen neue Handelsabkom- men (Swanson, 2020). Viele Demokraten im Kongress • Reshoring und Buy American: Biden setzt auf innen- befürworteten Trumps Zollpolitik. Auch in den Reihen der politische und binnenwirtschaftliche Themen. Die För- Republikaner, die traditionell Handelsabkommen positiver derung inländischer Produktion („Buy American“) und gegenüberstehen, fand der scheidende Präsident viel Zu- die Stärkung der US-amerikanischen Mittelschicht spruch. Dies zeigt sich auch daran, dass alle Versuche im haben Priorität. US-Firmen sollen mit Strafsteuern da- Kongress, den Spielraum des Präsidenten bei der Verhän- von abgehalten werden, Arbeitsplätze ins Ausland zu gung von 232-Zöllen einzuschränken, an fehlenden Mehr- verlagern. Auch Staatsaufträge sollen prioritär an US- heiten scheiterten. Besonders viel Unterstützung erhielt Unternehmen gehen. Für Unternehmen, die in den USA Trumps Chinapolitik. So solidarisierten sich führende De- investieren, soll es dagegen Steuererleichterungen mokraten im Kongress mit Trumps Chinapolitik, auch wenn geben. Biden plant außerdem größere Investitionen sie seinen politischen Stil und die Twitter-Politik kritisierten. für die Herstellung von Elektrofahrzeugen und die ent- sprechende Infrastruktur, um mehr als 1 Mio. Arbeits- Der innenpolitische Handlungsspielraum Bidens wird plätze in der heimischen Automobilindustrie zu schaf- auch durch die Mehrheitsverhältnisse im Kongress be- fen. Insbesondere bei kritischen Gütern wie Pharma- stimmt sein. Nach jetzigem Stand erscheint eine knappe zeutika und medizinischer Schutzausrüstung setzt er republikanische Mehrheit im Senat wahrscheinlich. Im auf mehr Unabhängigkeit von globalen Lieferketten. Repräsentantenhaus behalten die Demokraten zwar ihre Präsident Trump hatte wiederholt angekündigt, die Mehrheit, haben in dieser Wahl jedoch einige Sitze verlo- Mitgliedschaft der USA im Übereinkommen über das ren. Ein gespaltener Kongress wird Biden die Umsetzung öffentliche Beschaffungswesen der Welthandelsor- handelspolitischer Vorhaben weiter erschweren. ganisation (WTO) aufkündigen zu wollen. Unter Biden werden die USA sicherlich Mitglied des Abkommens Die handelspolitische Agenda von Joe Biden bleiben. Ein Austritt würde nicht nur die bereits ange- schlagene WTO weiter unterminieren. Die USA wür- Angesichts der öffentlichen Meinung, des Stimmungsbil- den zudem den Zugang zu den Beschaffungsmärkten des unter den Demokraten und der Mehrheitsverhältnisse wichtiger Handelspartner verlieren. im Kongress ist zu erwarten, dass die USA unter Biden keine rein liberale Handelspolitik verfolgen werden. Viel- • Harte Kante gegen China: Biden dürfte den Konfron- mehr dürfte diese von protektionistischen Elementen tationskurs gegenüber China in der zukünftigen US- durchzogen sein. Anders als der scheidende Präsident Handelspolitik fortsetzen. Dies gilt jedoch anders als Trump dürfte Biden jedoch kooperativer vorgehen und bei Trump nicht nur für die Handelspolitik, sondern deutliche Akzente für einen regelbasierten und multila- auch für Menschenrechtsfragen. So wird sich der teral orientierten neuen Ansatz setzen. Dieser neue han- Druck auf Peking in Bezug auf Hongkong, Taiwan, Xin- delspolitische Ansatz wird somit in starkem Kontrast zu jian und das Südchinesische Meer erhöhen. Auch wird Trumps Drohpolitik stehen, die Unsicherheit schaffte und Biden seine Chinapolitik strategisch einbetten. Mit der der internationalen Reputation der USA schadete. Unterzeichnung des Freihandelsabkommens RCEP durch China und 14 weitere Staaten aus dem asiatisch- • Zollpolitik: Biden hat zwar angekündigt, bestehende pazifischen Raum wurde die weltweit größte Freihan- Zölle einer kritischen Prüfung zu unterwerfen – die delszone geschaffen. Seit der Entscheidung Trumps sofortige Abschaffung der Trump-Zölle hat er jedoch 2017, die Transpazifische Partnerschaft (TPP) aufzu- nicht versprochen. Wo für den Aufbau der heimischen kündigen, hat sich der Einfluss der USA in der Asien- Wirtschaft erforderlich, wird auch Biden vor Zöl- Pazifik-Region zunehmend verringert. Joe Biden wird len nicht zurückschrecken und kann sich dabei einer diesen schwindenden Einfluss nicht einfach hinneh- breiten Unterstützung in der Bevölkerung versichert men. Um den Druck auf China hinsichtlich politischer sein. Anders als Trump wolle er deren Nutzen jedoch und wirtschaftlicher Reformen zu erhöhen, wird Biden genau prüfen und sie nicht einsetzen, „um Härte vor- versuchen, seine „Verbündeten des Westens“ zu einen, zutäuschen“ (Washington Trade Daily, 2020). Die Hoff- um gemeinsam gegen illegale Handelspraktiken Chi- nungen Europas, dass Joe Biden nach Amtsantritt die nas vorzugehen. Gleichzeitig dürfte er die Umsetzung 232-Zölle auf Stahl und Aluminium zügig abschafft, des sogenannten Phase One Deals durch China wei- könnten somit leicht enttäuscht werden. Die Andro- ter einfordern. In diesem hatte sich Peking verpflich- ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 915
Zeitgespräch tet, zusätzliche US-Produkte und Dienstleistungen zu Handelspolitiken der Mitglieder und Sanktionsmög- importieren, auf erzwungenen Technologietransfer zu lichkeiten pochen. Selbiges gilt für die besondere Be- verzichten und seinen Markt für US-Finanzdienstleis- handlung von Entwicklungsländern in der WTO. Die tungen stärker zu öffnen. Da der Phase One Deal viele USA fordern seit langem eine genauere Klassifizierung Streitthemen noch nicht adressiert – allen voran den von Ländern nach Entwicklungsstand und die damit Umgang mit Staatsunternehmen und Subventionen – verbundenen Ausnahmen vom Regelwerk der WTO. dürfte Biden auf ein zweites Abkommen mit China be- harren. Im Dezember 2020 betonte Biden, keine soforti- Joe Biden wird deutlich mehr als sein Vorgänger auf in- gen Schritte im Zollkonflikt unternehmen zu wollen. ternationale Allianzen setzen, aber auch mehr Verantwor- tung von seinen Partnern erwarten. Dies wird auch das • Erst einmal kein Abschluss neuer Handelsabkommen: transatlantische Verhältnis prägen. Während sich die EU Weltweit steigt die Zahl von Freihandelsabkommen. in ihrer globalen Verantwortung in den vergangenen vier Für die USA bedeutet dies, dass sich ihr Zugang zu Jahren hinter der Kritik an Trump verstecken konnte, wird ausländischen Märkten relativ verschlechtert. Den- Biden eine klarere geopolitische Positionierung Europas noch ist nicht damit zu rechnen, dass Biden zu Beginn einfordern. Dies wird auch wichtige Einzelthemen wie die seiner Präsidentschaft versuchen wird, neue Handels- Frage einer Beteiligung chinesischer Firmen am Aufbau abkommen zu verhandeln. Im Sommer 2021 läuft die von 5G-Netzen betreffen. Auch hinsichtlich russischer sogenannte Trade Promotion Authority (TPA) aus. Die- Aggressionen wird ein Präsident Biden eine geschlosse- ses Mandat, das der Kongress dem Präsidenten ge- ne europäische Ablehnung und ein klares Bekenntnis zu währen kann, ist unabkömmlich für einen erfolgreichen den USA erwarten. Ratifizierungsprozess. Hat der Präsident ein Abkom- men mit der TPA unterzeichnet, muss der Kongress Das Interesse Bidens, traditionelle Verbündete für die über dieses abstimmen. Es gelten enge Fristen; inhalt- Umsetzung seiner außenpolitischen Ziele wieder hinter lich kann der Kongress das Abkommen nicht mehr ver- sich zu einen, sollte Europa dazu veranlassen, aktiv auf ändern. Für die Ratifizierung reichen einfache Mehrhei- die USA zuzugehen und die Zukunft transatlantischer Zu- ten in beiden Kammern. Sowohl Präsident George W. sammenarbeit mitzugestalten. Bush als auch Präsident Barack Obama hatten die TPA nur mit knappen Mehrheiten im Repräsentantenhaus Die transatlantische Agenda erhalten. Angesichts seiner ambitionierten innenpoliti- schen Agenda dürfte Biden kein politisches Kapital für Neben der Beilegung bestehender transatlantischer Kon- die TPA opfern wollen. flikte, und dabei insbesondere der Aufhebung der Stahl- und Aluminiumzölle, muss die zukünftige transatlantische • Reform der WTO bleibt wichtig – und schwierig: Biden Agenda breiter gedacht werden. Statt sich allein auf han- zeigt sich offener für multilaterale Organisationen und delspolitische Themen zu beschränken, müssen Möglich- Verhandlungslösungen und plant, dem Pariser Kli- keiten für erfolgreiche transatlantische Zusammenarbeit maabkommen wieder beizutreten. Bei der WTO sieht in anderen Bereichen einbezogen werden. Die transatlan- Biden großen Reformbedarf, erkennt aber an, diese tische Agenda ist dann am erfolgversprechendsten, wenn könne unter Mitwirkung der USA ein „effektives Inst- Bidens innen- und binnenwirtschaftliche Prioritäten mit rument“ sein, wie sein designierter Außenminister Tony internationalen Themen verknüpft werden. Blinken Ende November ausführte (Bade, 2020). Da- rüber hinaus betont Biden die Bedeutung der westli- • Gesundheit: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie chen Wertegemeinschaft und lässt hoffen, dass die schnell nationale Denkmuster wiederkehren kön- transatlantische Zusammenarbeit intensiviert werden nen. Die Tatsache, dass zwei der erfolgreichsten For- kann. Mit Biden öffnet sich ein Fenster, um den Konflikt schungsprojekte für einen COVID-19-Impfstoff unter um die neue WTO-Generaldirektorin beizulegen. Die Beteiligung US-amerikanischer und deutscher Firmen USA hatten die Ernennung von Ngozi Okonjo-Iweala, und Investoren entwickelt wurden, ist jedoch ein Po- die von den WTO-Mitgliedern mehrheitlich unterstützt sitivbeispiel praktischer transatlantischer Zusammen- wird, Ende Oktober blockiert. Der Konflikt um den arbeit. Die EU und die USA könnten in der Bekämp- Streitschlichtungsmechanismus dürfte sich hingegen fung der Corona-Pandemie noch stärker zusammen- nicht so einfach auflösen lassen. Die Kritik am Beru- arbeiten und sich letztendlich für einen weltweiten fungsgremium, an angeblichen Mandatsüberschrei- Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff einsetzen. Auch tungen und der Länge der Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation besteht wird überparteilich getragen. Auch unter Biden dürften Hoffnung auf mehr Engagement der USA unter einer die USA auf strengere Überwachungsverfahren für die Präsidentschaft Bidens. Zudem könnten die transat- Wirtschaftsdienst 2020 | 12 916
Zeitgespräch lantischen Partner eng bei der Entwicklung von Bereit- müssen. Die EU sollte hierzu zügig den Dialog mit schafts- und Reaktionsplänen für Pandemien koope- den USA suchen. Ein positiver Impuls nicht nur für die rieren. Um die Verfügbarkeit von Medikamenten und transatlantischen Beziehungen, sondern auch für das medizinischen Produkten zu verbessern, sollten sich multilaterale Handelssystem würde sich aus einer Wie- die transatlantischen Partner gemeinsam für eine Mo- derbelebung der plurilateralen Verhandlungen über dernisierung des plurilateralen WTO-Abkommens über das sogenannte Umweltgüterabkommen ergeben. Ziel den Handel mit pharmazeutischen Produkten einset- ist der Abbau von Zöllen auf Produkte, die einen positi- zen. Dieses beseitigt Zölle und andere Abgaben für ei- ven Effekt auf die Umwelt haben. ne große Zahl an pharmazeutischen Produkten, müss- te aber dringend erweitert werden – sowohl bezüglich • Bildung: Die erst kürzlich unterzeichnete gemeinsame der Produkte als auch der Mitglieder. Anstatt wie von Absichtserklärung zwischen den USA und Deutsch- den USA angedroht medizinische Produkte aus dem land zur Zusammenarbeit bei der Förderung dualer WTO-Abkommen für das öffentliche Beschaffungswe- Ausbildung und beruflicher Bildung verdeutlicht das sen auszuklammern, sollten sich die USA zusammen Potenzial enger transatlantischer Zusammenarbeit im mit der EU für die Erweiterung des Abkommens ein- Bereich Bildung. Der Absichtserklärung folgend sol- setzen. Es ist an der Zeit, nicht nur den Deckungsgrad len insbesondere qualitativ hochwertige duale Ausbil- auszudehnen, sondern auch die Zahl der unterstützen- dungsprogramme aufgebaut und wirksame Strategien den Mitglieder –allen voran China – zu erhöhen. für einen besseren Zugang zu praxisnaher Ausbildung entwickelt werden. Die Zusammenarbeit wird auf einer • Digitales: Das Potenzial ist groß, durch transatlan- breiten Kooperation über verschiedene Ebenen zwi- tische Kooperation Zukunftsthemen wie künstliche schen Privatsektor, Verbänden, NGOs bis hin zu Insti- Intelligenz oder autonomes Fahren voranzubringen. tutionen des öffentlichen Sektors basieren. Nicht nur bei Forschung und Entwicklung sollten die EU und die USA den Schulterschluss suchen, sondern • Handel: Transatlantische Zusammenarbeit im handels- auch bei der Standardsetzung. Ansonsten droht, dass politischen Umfeld muss auf multilateraler und bilatera- neue Barrieren im transatlantischen Handel entstehen. ler Ebene erfolgen. Wichtig ist das Thema Subventio- Auch sollte der Dialog über Datenschutzstandards, nen und der Umgang mit Staatsunternehmen, zu dem die Besteuerung digitaler Dienstleistungen, Wettbe- bereits ein Vorschlag der Trilateralen Initiative (Japan, werbsrecht und Digitalplattformen verstärkt werden. USA und EU) vorliegt. Nachdem es in den vergange- In diesem Zusammenhang können auch Fragen zur nen Monaten sehr ruhig um die Initiative geworden ist, Zukunft der Digitalwirtschaft geklärt werden. Dies um- müsste der Faden rasch wieder aufgenommen werden. fasst auch die Entwicklung gemeinsamer Ansätze, wie Ebenso wichtig ist das Thema Streitschlichtung in der europäische und US-amerikanische Unternehmen in WTO. Die EU hat mit mittlerweile 22 anderen WTO-Mit- ihrer Resilienz gegenüber aggressiven chinesischen gliedern (darunter auch China) das Multi-Party Interim Handelspraktiken gestärkt werden können. Schließlich Appeal Arbitration Arrangement (MPIA) für die Beru- sollte die EU einen engeren Austausch mit den USA fung von Streitfällen aufgesetzt. Die USA sind bisher zu den plurilateralen WTO-Verhandlungen über ein E- kein Mitglied. Umso wichtiger ist es, dass die EU und Commerce-Abkommen suchen. die USA eng bei der Reform des WTO-Streitschlich- tungsmechanismus zusammenarbeiten. Auf bilateraler • Klima: Die Ankündigung Bidens, die USA gleich zu Ebene muss die Deeskalation bestehender Handels- Beginn seiner Präsidentschaft in das Pariser Klima- konflikte an oberster Stelle stehen – allen voran der abkommen zurückführen zu wollen, ist ein wichtiger Streit über Luftfahrtsubventionen (Fall Airbus-Boeing) Schritt für mehr transatlantische Zusammenarbeit im und die Rücknahme der Stahl- und Aluminiumzölle. Kampf gegen den Klimawandel. Bidens klimapolitische Auch wenn kaum Hoffnungen auf ein umfassendes Ziele und der European Green Deal können, wenn sie Freihandelsabkommen bestehen, so könnte Europa in gegenseitiger Abstimmung umgesetzt werden, ih- doch die Gespräche über ein Industriegüterabkom- re Wirkung wechselseitig verstärken. Darüber hinaus men sowie regulatorische Kooperationen weiter vor- sollten sich die EU und die USA über ihre energiepo- antreiben. Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit litischen Ansätze austauschen. Ein potenzielles neues bei neuen Technologien. Die EU sollte daher ihren Vor- Minenfeld im transatlantischen Verhältnis ist der von schlag eines Transatlantic Trade and Technology Coun- der EU geplante CO2-Grenzausgleichsmechanismus cil mit Nachdruck verfolgen. (CBAM/CBA). Ziel ist es, EU-Unternehmen wettbe- werbsfähig zu halten, die sich bei verschärften Kli- Die Präsidentschaft Trumps hat die transatlantischen Be- mazielen härteren Klimaschutzanforderungen stellen ziehungen vor eine Zerreißprobe gestellt und das Selbst- ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 917
Zeitgespräch Pew (2020b), Negative views of China continue to grow in U.S., https:// bewusstsein der Europäer*innen gestärkt. Die EU sollte www.pewresearch.org/global/wp-content/uploads/sites/2/2020/04/ jetzt nicht auf Angebote und Initiativen aus Washington PG_2020.04.21_U.S.-Views-China_0-01.png?w=640 (27. November warten, sondern ein transatlantisches Verhältnis auf Au- 2020). Quirk, P. J., C. Lammert und M. Thunert (2019), United States Report: Sus- genhöhe einfordern, eigene Prioritäten setzen und aktiv tainable Governance Indicators 2019, Bertelsmann Stiftung, https:// Angebote unterbreiten. www.sgi-network.org/docs/2019/country/SGI2019_USA.pdf (21. No- vember 2020). Saad, L. (2019), Americans’ Views on Trade in the Trump Era, Gallup, Oktober, https://news.gallup.com/opinion/gallup/267770/americans- Literatur views-trade-trump-era.aspx (26. November 2020). Silver, L., K. Devlin und C. Huang (2020), Unfavorable Views of China Bade, G. (2020), Biden Won’t Rule Out New Tariffs, Adviser Says, Politico, Reach Historic Highs in Many Countries, Pew Research Center, Ok- 22. September, https://www.politico.com/news/2020/09/22/biden- tober, https://www.pewresearch.org/global/2020/10/06/unfavorable- tariffs-adviser-420096 (28. November 2020). views-of-china-reach-historic-highs-in-many-countries/ (27. Novem- CNN (2016), Presidential Results, https://edition.cnn.com/election/2016/ ber 2020). results (26. November 2020). Stokes, B. (2018), 1. Spotlight on Views of Trade in the U.S., EU and Ja- CNN (2020), Presidential Results, https://edition.cnn.com/election/2020/ pan, Pew Research Center, September, https://www.pewresearch. results/president (26. November 2020). org/global/2018/09/26/spotlight-on-views-of-trade-in-the-u-s-eu- Pew (2018), Stark Partisan Divide on Proposed Tariff Increases on Im- and-japan/ (26. November 2020). ports of Steel and Aluminium, https://www.pewresearch.org/wp- Swanson, A. (2020), A Biden Win Could Renew a Democratic Split on content/uploads/2018/05/FT_18.05.10_trade-tariffs_partisan_divide. Trade, New York Times, https://www.nytimes.com/2020/10/28/busi- png?w=420 (27. November 2020). ness/economy/democrats-biden-trade.html (27. November 2020). Pew (2020a), Voters’ Attitudes About Race and Gender Are Even Washington Trade Daily (2020), Biden’s Trade Policy, Washington Trade More Divided Than in 2016, https://www.pewresearch.org/poli- Daily, 29. Juli, 2-6. tics/2020/09/10/voters-attitudes-about-race-and-gender-are-even- more-divided-than-in-2016/ (21. November 2020). Wirtschaftsdienst 2020 | 12 918
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