Übung im Bürgerlichen Recht für Fortgeschrittene - Wintersemester 2020/2021 Professor Dr. Christian Gomille

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Übung im Bürgerlichen Recht für Fortgeschrittene
Wintersemester 2020/2021 • Professor Dr. Christian Gomille

Fall 3
Im Musikfachgeschäft der Antoinette entdeckt Elvis einen preislich sehr stark reduzierten Gitarren-
verstärker des Herstellers Hughes & Kettner und entschließt sich kurzerhand, diesen seinem guten
Freund und Hobbymusiker Dennis zu dessen in zwei Tagen bevorstehendem Geburtstag zu schen-
ken. Auf Nachfrage erklärt Antoinette wahrheitsgemäß, dass es sich bei dem Gerät um den letzten
verbliebenen Restposten einer nicht mehr produzierten und auch nicht mehr lieferbaren Serie han-
delt. Elvis erklärt, den Verstärker haben und auch sogleich bar bezahlen zu wollen. Da das Gerät aber
sehr sperrig und Elvis zu Fuß unterwegs ist, bittet er Antoinette, es vorläufig noch in deren Geschäft
belassen zu dürfen. Er werde es in den kommenden Tagen abholen. Antoinette ist mit allem einver-
standen. Nachdem Elvis bezahlt und das Geschäft verlassen hat, vergisst Antoinette, den Verstärker
als „veräußert“ zu kennzeichnen. Am nächsten Tag erscheint der Motivationstrainer Dirk, der eben-
falls Hobbymusiker ist, in Antoinettes Geschäft. Dirk erklärt gegenüber Roland, der zum Verkaufsper-
sonal der Antoinette zählt, eben jenen günstigen Verstärker erwerben zu wollen. Roland, der von der
Vereinbarung der Antoinette mit Elvis nichts weiß, willigt ein. Dirk bezahlt und nimmt den Verstärker
mit.
Vor Dennis’ Geburtstag schafft Elvis es nicht mehr, Antoinettes Geschäft nochmals aufzusuchen. Er
überreicht Dennis daher eine Geburtstagskarte, in der er ausführt, dass bei Antoinette besagter Gi-
tarrenverstärker für ihn, Dennis, zur Abholung bereitstehe. Als Dennis den Laden der Antoinette auf-
sucht, erläutert diese ihm unter Bedauern das weitere Schicksal seines Geschenks. Dennis sucht da-
raufhin Dirk auf, der den Verstärker aber nicht ohne weiteres an Dennis herausgeben will. Freilich
wäre er – gegen einen gewissen Aufschlag – bereit, den von ihm noch nicht benutzten Verstärker an
Antoinette zurück zu veräußern.
Auch der Geburtstag von Marta, der Freundin von Elvis, steht bevor. Elvis, der für den exklusiven
Goldschmied Walther arbeitet, hat sich mit der Anschaffung des Gitarrenverstärkers für Dennis finan-
ziell völlig verausgabt. Als Walther ihn anweist, eine für Ksenia speziell angefertigte goldene Kette
mit Herzanhänger an diese auszuliefern, entschließt sich Elvis daher, dieses Schmuckstück als Ge-
burtstagsgeschenk für Marta zu behalten. Nachdem er sie aufwendig verpackt hat, überreicht Elvis
die Kette persönlich an Marta. Nachdem Walther ihn tags darauf wegen des Verbleibs des für Ksenia
bestimmten Schmucks zur Rede stellt, beichtet er ihm sein Handeln.

Wer ist Eigentümer des Verstärkers?
Kann Walther von Marta Herausgabe der Kette einschließlich des Anhängers verlangen?

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A. Das Eigentum an dem Gitarrenverstärker
Zunächst ist zu klären, in wessen Eigentum der Gitarrenverstärker steht.

I.    Ursprüngliche Eigentumslage
Ursprünglich stand der Verstärker im Eigentum von Antoinette (§ 1006 Abs. 1 BGB).

II.   Denkbar: Übereignung des Verstärkers von Antoinette an Elvis gem. §§ 929 ff. BGB
Jedoch könnte Elvis von Antoinette Eigentum an dem Verstärker gemäß einer der in §§ 929 ff. BGB
vorgesehenen Übereignungsformen erlangt haben. Das ist dann der Fall, wenn Elvis und Antoinette
über den Eigentumsübergang einig waren, eine Übergabe oder ein Übergabesurrogat stattgefunden
hat und Antoinette zur Verfügung über das Eigentum an dem Gitarrenverstärker befugt war.

1.    Dingliche Einigung gem. § 929 Satz 1 BGB
Der dingliche Einigungsvertrag im Sinne des § 929 Satz 1 BGB verlangt, eine wirksame Einigung gem.
§§ 145, 147 BGB des Inhalts, dass das Eigentum an dem Gitarrenverstärker von Antoinette auf Elvis
übergehen solle. Diese Einigung ist dadurch zustande gekommen, dass Elvis erklärte, den Gitarren-
verstärker haben zu wollen, und Antoinette sich einverstanden zeigte. Für etwaige Wirksamkeitshin-
dernisse besteht kein Anhaltspunkt.
Eine wirksame Einigung im Sinne des § 929 Satz 1 BGB liegt vor.

2.    Übergabe gem. § 929 Satz 1 BGB
Der Eigentumsübergang erfordert darüber hinaus eine Übergabe oder ein Übergabesurrogat.
Eine Übergabe im Sinne des § 929 Satz 1 BGB liegt vor, wenn der Erwerber auf Veranlassung des
Veräußerers Besitz an der zu übereignenden Sache erlangt und der Veräußerer gleichzeitig jeglichen
Besitz an der Sache verliert. Hier vereinbarten Elvis und Antoinette, dass der Verstärker einstweilen
noch bei Antoinette in deren Geschäft verbleiben solle. Folglich bleibt Antoinette unmittelbare Be-
sitzerin des Verstärkers. Dass Antoinette demgegenüber aufgrund der Vereinbarung zur bloßen
Besitzdienerin gemäß § 855 BGB würde, kann man schon deshalb nicht annehmen, weil die Sache im
eigenen Erwerbsgeschäft der Antoinette verbleibt, Elvis also gerade keine uneingeschränkte Zugriffs-
möglichkeit erhält.
Eine Übergabe liegt nicht vor.

3.    Besitzmittlungsverhältnis gem. § 930 BGB
In Betracht kommt aber das Übergabesurrogat des § 930 BGB. Ist der Eigentümer Besitzer, kann da-
nach die Übergabe dadurch ersetzt werden, dass zwischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhält-
nis vereinbart wird, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt („Besitzmittlungs-
verhältnis“).

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a.   Veräußerer ist Besitzer
Zunächst muss der Veräußerer Besitzer der Sache sein, und zwar in dem Moment, in dem das Besitz-
mittlungsverhältnis wirksam begründet werden soll. Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn Eigentü-
merin und Veräußerin Antoinette übte die unmittelbare Sachherrschaft über den Gitarrenverstärker
aus. Folglich ist sie unmittelbare Eigenbesitzerin der zu übereignenden Sache.

b.   Vereinbarung des Besitzmittlungsverhältnisses
Ferner müssen Elvis und Antoinette ein Besitzmittlungsverhältnis vereinbart haben. Dazu muss der
Erwerber Elvis mittelbaren Besitz nach § 868 BGB erhalten. Nach h.M. ist ein konkretes Besitzmitt-
lungsverhältnis notwendig, aus dem sich die Einzelheiten der besitzrechtlichen Beziehung zwischen
Erwerber und Veräußerer ergeben sollen, insbesondere Begründung und Beendigung. Freilich muss
es sich nicht um eines der in § 868 BGB aufgezählten Rechtsgeschäfte handeln, vielmehr genügt jedes
Besitz begründende Rechtsverhältnis, das lediglich gewisse Mindestanforderungen erfüllen muss:
Namentlich (i) Fremdbesitz auf Zeit, (ii) Herausgabeanspruch und (iii) Pflichten zum Umgang mit der
Sache.
Hier erkannte Antoinette nach Vollzug der Transaktion den Oberbesitz des Elvis an, war also lediglich
noch Fremdbesitzerin. Zweck dieses fortbestehenden Besitzes ist es, den Verstärker so lange für Elvis
aufzubewahren, bis dieser eine Gelegenheit findet, ihn abzutransportieren. Damit besitzt Antoinette
den Verstärker jedenfalls aufgrund eines der Verwahrung ähnlichen Rechtsverhältnisses, das sie zur
Herausgabe verpflichtet und neben den primären Pflichten gem. § 241 Abs. 1 BGB auch Pflichten
gem. § 241 Abs. 2 BGB zum sorgsamen Umgang mit der für Antoinette nun fremden Sache begrün-
det.
Antoinette und Elvis haben ein Besitzmittlungsverhältnis vereinbart.

c.   Verfügungsbefugnis der Veräußerin Antoinette
Schließlich erfordert die Übereignung nach §§ 929 Satz 1, 930 BGB, dass der Veräußerer befugt ist,
über das Eigentum an der zu übereignenden Sache zu verfügen. Verfügungsbefugt über ein Recht
ist entweder der in seiner Rechtsmacht nicht beschränkte Vollrechtsinhaber oder aber derjenige, der
kraft Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes dazu berechtigt ist, in eigenem Namen über das fremde
Recht zu verfügen.
Als Eigentümerin war Antoinette zur Verfügung über das Eigentum an dem Gitarrenverstärker befugt.
Folglich ist Elvis Eigentümer des Gitarrenverstärkers geworden.

III. Denkbar: Übereignung des Verstärkers von Antoinette an Dirk gem. §§ 929 ff. BGB
Allerdings könnte Elvis dieses Eigentum später wieder verloren haben, und zwar durch eine Übereig-
nung des Verstärkers von Antoinette an Dirk gemäß §§ 929 ff. BGB.

1.   Einigung gem. § 929 Satz 1 BGB
Zunächst müssen sich Antoinette und Dirk über den Eigentumsübergang geeinigt haben. Die dafür
notwendigen Willenserklärungen haben sie zwar nicht unmittelbar selbst ausgetauscht. Jedoch wirkt

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der Austausch der entsprechenden Willenserklärungen zwischen Dirk und Roland gemäß § 164
Abs. 1 und Abs. 3 BGB unmittelbar für und wider Antoinette, wenn Roland die Antoinette wirksam
vertreten hat. Das ist anhand der §§ 164 ff. BGB zu beurteilen und erfordert die (i) Abgabe einer
eigenen Willenserklärung (ii) im Namen des Antoinette (iii) mit Vertretungsmacht.
Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers in der Situation des wirklichen Empfängers
Dirk hat Roland das Geschäft selbständig formuliert und überbrachte nicht lediglich als Bote eine
vorab fertig formulierte Willenserklärung der Geschäftsherrin Antoinette. Dass er dabei auch in An-
toinettes Namen handelte, ergibt sich jedenfalls aus den Grundsätzen über das unternehmensbezo-
gene Geschäft (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB), das stets den wirklichen Inhaber betrifft. Auch hatte Roland
ausreichende Vollmacht, um dieses Geschäft abzuschließen, da er zum Zwecke des Verkaufs ange-
stellt ist, was im rechtstechnischen Sinn auch die Übereignung verkaufter und bezahlter Waren ein-
schließt.
Nachdem auch hier keine Anhaltspunkte für Wirksamkeitshindernisse bestehen, liegt die notwendige
Einigung vor.

2.   Übergabe gem. § 929 Satz 1 BGB
Dirk erhält den unmittelbaren Besitz von Roland, der insoweit Besitzdiener der Antoinette nach § 855
BGB ist. Dies zieht den vollständigen Verlust jeglicher besitzrechtlichen Position der Antoinette nach
sich. Damit liegt eine Übergabe i.S.d. § 929 Satz 1 BGB vor.

3.   Verfügungsbefugnis
Freilich müsste Antoinette nach wie vor befugt sein, das Eigentum an dem Gitarrenverstärker auf Dirk
zu übertragen. Nach der zuvor erfolgten Übereignung an Elvis war sie jedenfalls nicht mehr als Inha-
berin des Vollrechts verfügungsbefugt. Auch kraft Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes war sie nicht
berechtigt, in die Eigentumsposition des Elvis einzugreifen. Somit fehlt es an der notwendigen Ver-
fügungsbefugnis des Veräußerers und eine Übereignung von Antoinette an Dirk scheidet an sich aus.

IV. Gutgläubiger Erwerb des Dirk von Antoinette gem. §§ 932 ff. BGB
Indes kommt ein gutgläubiger Erwerb des Dirk von Antoinette nach §§ 932 ff. BGB in Betracht.

1.   Rechtsgeschäftlicher Erwerb im Sinne eines Verkehrsgeschäfts
Nach h.M. ist zunächst ein rechtsgeschäftlicher Erwerb im Sinne eines Verkehrsgeschäfts erforderlich.
Rechtsgeschäftlicher Erwerb bedeutet, dass einer der in §§ 929 ff. BGB geregelten Erwerbstatbe-
stände vollständig erfüllt sein muss und der Eigentumsübergang lediglich an der fehlenden Verfü-
gungsbefugnis des Veräußerers scheitert. Die Lehre vom Verkehrsgeschäft verlangt nach einer Per-
sonenverschiedenheit von Veräußerer und Erwerber, damit nicht am Ende der nichtberechtigte Ver-
äußerer selbst Eigentümer werde.
Hier sollte die Übereignung durch Einigung und Übergabe nach § 929 Satz 1 BGB erfolgen und
misslang allein aufgrund des verlorenen Eigentums der Antoinette und der auch im Übrigen fehlen-
den Verfügungsbefugnis. Auch besteht zwischen Antoinette und Dirk die erforderliche Personenver-
schiedenheit.
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2.   Rechtfertigende Besitzlage als objektiver Rechtsscheintatbestand
Hinzukommen muss eine sog. rechtfertigende Besitzlage als objektiver Rechtsscheintatbestand. Bei
der nach § 929 Satz 1 BGB erfolgten Übereignung erkennt § 932 Abs. 1 BGB die Möglichkeit des Ver-
äußerers, dem Erwerber den Besitz an der Sache durch Übergabe zu verschaffen, als eine solche
rechtfertigende Besitzlage an.

3.   Guter Glaube des Erwerbers gem. § 932 Abs. 2 BGB
Nachdem es sich bei §§ 932 ff. BGB aber um Rechtsscheintatbestände handelt, ist außerdem die
Schutzwürdigkeit des Begünstigten erforderlich. Insoweit verlangt § 932 Abs. 2 BGB einen guten
Glauben des Erwerbers, der aufgrund der negativen Formulierung dieser Vorschrift aber zu vermuten
ist. Danach kommt ein gutgläubiger Erwerb nach § 932 Abs. 2 BGB nämlich nur dann nicht in Betracht,
wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht
dem Veräußerer gehört.
Positive Kenntnis von der vorherigen Veräußerung des Gitarrenverstärkers an Elvis hatte Dirk nicht.
Ebenso ergaben sich für ihn keine Verdachtsmomente, die Zweifel am fehlenden Eigentum des An-
toinette hätten auslösen können. Die Vermutung des § 932 Abs. 2 BGB für den guten Glauben des
Erwerbers ist hier demnach nicht widerlegt.

4.   Kein Abhandenkommen gem. § 935 BGB
Schließlich scheidet ein gutgläubiger Erwerb gem. § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB aus, wenn die Sache dem
Eigentümer abhandengekommen war. Abhandengekommen ist eine Sache dabei dann, wenn der
Eigentümer den unmittelbaren Besitz an der Sache unfreiwillig verloren hat. Nachdem Elvis den An-
toinette darum gebeten hatte, den Verstärker einstweilen noch in seinem Ladengeschäft zu behalten,
fehlt es am unfreiwilligen Besitzverlust und ein Fall des § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt im Verhältnis zu
ihm nicht vor. Selbst wenn der Eigentümer sich aber freiwillig von seinem unmittelbaren Besitz ge-
trennt hat (oder er ihn beim Eigentumserwerb gem. § 930 BGB niemals ausgeübt hat) kann der gut-
gläubige Erwerb zu seinen Lasten noch immer an § 935 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitern. Danach ist der
gutgläubige Erwerb nämlich auch ausgeschlossen, wenn die Sache dem Besitzmittler abhanden ge-
kommen war. Allerdings ist auch das hier nicht der Fall.
Folglich hat Dirk von Antoinette Eigentum an dem Gitarrenverstärker erworben.

V. Denkbar: Übereignung des Verstärkers von Elvis an Dennis gem. §§ 929 ff. BGB
Schließlich könnte aber Dennis das Eigentum an dem Gitarrenverstärker von Elvis erworben haben,
indem Elvis dem Dennis durch seine Geburtstagskarte gestattete, den Verstärker selbst aus dem Ge-
schäft des Antoinette abzuholen. Unabhängig davon, wie man diese Geburtstagskarte innerhalb der
§§ 929 ff. BGB verorten möchte, scheitert Dennis‘ gutgläubiger Erwerb in einem der Normalerwerbs-
tatbestände gem. §§ 929 ff. BGB jedenfalls an der fehlenden Befugnis von Elvis, über das Eigentum
von Dirk an dem Verstärker zu verfügen.

VI. Denkbar: Gutgläubiger Erwerb des Dennis von Elvis gem. §§ 932 ff. BGB
In Betracht kommt aber ein gutgläubiger Eigentumserwerb des Dennis von Elvis gem. §§ 932 ff. BGB.
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1.   Rechtsgeschäftlicher Erwerb im Sinne eines Verkehrsgeschäfts
Als rechtsgeschäftlicher Erwerb muss dabei im Verhältnis zwischen Elvis und Dennis zunächst einer
der Normalerwerbstatbestände gem. §§ 929 ff. BGB mit Ausnahme der Verfügungsbefugnis des Ver-
äußerers erfüllt sein.

a.   Einigung gem. § 929 Satz 1 BGB
Die nach § 929 Satz 1 BGB erforderliche Einigung erfolgte dadurch, dass Elvis seinem guten Freund
Dennis anbot, den bei Antoinette lagernden Gitarrenverstärker für sich selbst abzuholen und Dennis
dieses Angebot dankend akzeptierte.

b.   Übergabe gem. § 929 Satz 1 BGB
Eine Übergabe gemäß § 929 Satz 1 BGB scheidet vorliegend aus. Zwar ist eine Übergabe in diesem
Sinn durch Übertragung des mittelbaren Besitzes vom Veräußerer auf den Erwerber durchaus mög-
lich. Jedoch setzt dies voraus, dass der Veräußerer den Besitzmittler anweist, künftig für den Erwerber
zu besitzen, und der Besitzmittler seinen Besitzmittlungswillen entsprechend abändert („sog. Besitz-
anweisung“).
Eine derartige Anweisung hat Elvis dem Antoinette nicht erteilt. Eine Übergabe im Sinne des § 929
Satz 1 BGB scheidet aus.

c.   Besitzmittlungsverhältnis gem. § 930 BGB
Theoretisch kann auch der lediglich mittelbar besitzende Veräußerer die Übergabe an den Erwerber
durch ein Besitzkonstitut gemäß § 930 BGB ersetzen. Das setzt freilich voraus, dass Veräußerer und
Erwerber ein solches Besitzmittlungsverhältnis begründen. In der Folge bleibt der unmittelbare Besitz
des Dritten unberührt und der Veräußerer wird mittelbarer Besitzer erster Stufe. Er vermittelt seiner-
seits dem Erwerber dessen Besitz, so dass dieser zum mittelbaren Besitzer zweiter Stufe wird.
Das entspricht indes nicht den Abreden von Elvis und Dennis. Elvis will nicht den Oberbesitz seines
Freundes Dennis anerkennen, vielmehr will er ihm die Möglichkeit verschaffen, sich selbst den un-
mittelbaren Eigenbesitz an dem Gitarrenverstärker von Antoinette zu verschaffen. Das ist kein Fall
des § 930 BGB.

d.   Abtretung des Herausgabeanspruchs gem. § 931 BGB
Denkbar bleibt jedoch das Übergabesurrogat des § 931 BGB. Das setzt voraus, dass ein Dritter im
Besitz der Sache ist und der Eigentümer dem Erwerber den Anspruch auf Herausgabe der Sache
abtritt.

aa. Dritter Besitzer
Das Erfordernis des Drittbesitzes ist mit der ganz h.M. dahingehend zu verstehen, dass § 931 BGB
dann nicht anwendbar ist, wenn der Veräußerer unmittelbarer Besitzer der zu übereignenden Sache
ist. Käme es nämlich entscheidend darauf an, dass ein Dritter die Sache tatsächlich in Besitz hat, dann
wäre eine Übereignung besitzloser Sachen nicht möglich.

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Den unmittelbaren Besitz an dem Gitarrenverstärker hatte im maßgeblichen Zeitpunkt nicht Elvis,
sondern Dirk. § 931 BGB ist damit anwendbar.

bb. Abtretung des Herausgabeanspruchs an den Erwerber
Weiter muss Elvis seinen Herausgabeanspruch gegen Antoinette wirksam an Dennis abgetreten ha-
ben. Dies geschieht durch Zession gemäß §§ 398 ff. BGB. Diese zieht nach § 870 BGB den Übergang
des mittelbaren Besitzes auf den Erwerber nach sich.

(1) Bestehender Herausgabeanspruch als Gegenstand des Abtretungsvertrags
Gegenstand der Zession ist der Herausgabeanspruch des Elvis als Forderung gegen Antoinette. Die
ganz h.M. lehnt es ab, § 985 BGB als abzutretenden Herausgabeanspruch anzuerkennen. Dieser sei
untrennbar mit dem Eigentum verbunden und einer selbständigen Abtretung daher nicht zugänglich.
Jedoch hat Antoinette den Gitarrenverstärker für Elvis verwahrt, so dass ein Herausgabeanspruch aus
der entsprechenden Vereinbarung gemäß § 695 Satz 1 BGB folgt. Dieser ist an sich ohne weiteres
tauglicher Gegenstand eines Abtretungsvertrags.
Fraglich ist jedoch, ob und gegebenenfalls wie es sich im Rahmen des § 931 BGB auswirkt, dass An-
toinette den Verstärker bereits vor dem Abschluss des Abtretungsvertrags zwischen Elvis und Dennis
an Dirk weiter übereignet hat. Womöglich liegt ein Fall des § 275 Abs. 1 BGB vor, denn infolge der
Übereignung und Übergabe des Verstärkers an Dirk kann Antoinette ihre Verpflichtung aus § 695
Satz 1 BGB gegenüber Elvis nicht mehr erfüllen. Freilich erfordert eine Unmöglichkeit gem. § 275
Abs. 1 BGB, dass der Erfüllung des Anspruchs ein dauerndes Leistungshindernis entgegensteht. Der
Übergang des Eigentums an dem Verstärker auf Dirk löst für Antoinette ein dauerhaftes Leistungs-
hindernis allerdings nur aus, wenn feststeht, dass sie ihre Leistungsfähigkeit nicht wiedererlangen
kann. So liegt es hier aber nicht, weil nämlich Dirk bereit gewesen wäre, den Verstärker an Antoinette
zurück zu übereignen, so dass diese ihre Pflicht hätte erfüllen können.1

(2) Einigung über die Abtretung dieses Herausgabeanspruchs
Die Willenserklärungen gem. §§ 145, 147 BGB, mit denen Elvis und Dennis sich über die Abtretung
dieses Herausgabeanspruchs an Dennis einigten, tauschten beide gem. §§ 133, 157 BGB dadurch aus,
dass Elvis dem Dennis mit der Geburtstagskarte antrug, ihm diesen Herausgabeanspruch zu überlas-
sen und Dennis dieses Angebot dankend akzeptierte.

(3) Wirksamkeit dieser Einigung
Für etwaige Wirksamkeitshindernisse, die dieser Einigung entgegenstehen könnten, ist nichts ersicht-
lich.

(4) Abtretbarkeit des Herausgabeanspruchs

1   Im Übrigen ist die Frage, ob §§ 931, 934 BGB einen bestehenden Herausgabeanspruch erfordern oder der bloße mittel-
    bare Besitz des Veräußerers genügt, sehr umstritten (s. dazu MüKoBGB/Oechsler § 931 Rn. 17). Auf dieses Problem
    kommt es vorliegend aber nicht an, weil Elvis auch keinen mittelbaren Besitz hatte.

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Im Übrigen darf der Herausgabeanspruch nicht vinkuliert sein, muss also abtretbar sein. Mangels
entgegenstehender Abreden der Parteien ist das hier der Fall.
Elvis hat Dennis seinen Herausgabeanspruch gegen Antoinette wirksam abgetreten gem. § 398 BGB.

2.   Objektiver Rechtsscheintatbestand des § 934 Alt. 1 BGB
Der gescheiterten Übereignung nach § 931 BGB entspricht der objektive Rechtsscheintatbestand des
§ 934 BGB. Eine der beiden Alternativen dieser Vorschrift muss vorliegend also verwirklicht sein.
Hier kommt zunächst § 934 Alt. 1 BGB in Betracht. Wenn der Veräußerer mittelbarer Besitzer der
Sache ist, wird danach der Erwerber mit Abtretung des Herausgabeanspruchs Eigentümer, wenn er
gutgläubig ist. Notwendig ist zum einen, dass der Herausgabeanspruch tatsächlich besteht. Zum
anderen muss der Veräußerer tatsächlich mittelbarer Besitzer der zu übereignenden Sache sein. Da-
ran fehlt es hier, denn Dirk hatte den Verstärker im maßgeblichen Zeitpunkt der Zession in unmittel-
barem Eigenbesitz und erkannte folglich nicht Elvis als seinen Oberbesitzer an.
§ 934 Alt. 1 BGB greift dementsprechend nicht ein.

3.   Objektiver Rechtsscheintatbestand des § 934 Alt. 2 BGB
Somit bleibt noch § 934 Alt. 2 BGB als denkbarer Rechtsscheintatbestand. Diese Alternative verlangt
jedoch, dass der Erwerber den Besitz später von dem Dritten erhält. Vom Dritten erhalten ist der
Besitz, wenn er unmittelbaren oder mittelbaren Besitz aufgrund des Veräußerungsgeschäfts erlangt.
Auch dieser Gesichtspunkt hilft Dennis nicht weiter, denn er hat niemals Besitz an dem Gitarrenver-
stärker erlangt. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb gemäß § 934 BGB scheidet folglich aus.
Folglich konnte Dennis kein Eigentum von Elvis an dem Gitarrenverstärker erwerben. Eigentümer ist
Dirk.

B.   Ansprüche von Walther gegen Marta auf Herausgabe der Kette
Fraglich ist, ob Walther von Marta Herausgabe der Kette verlangen kann. Da zwischen beiden weder
vertragliche noch vertragsähnliche Verbindungen bestehen, kommen lediglich gesetzliche Heraus-
gabeansprüche in Betracht. Insoweit sind §§ 861 Abs. 1, 985, 1007 Abs. 1 und Abs. 2, 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 2 sowie 823 Abs. 1 BGB zu prüfen.

I.   Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB
Walther kann von Marta aus § 861 Abs. 1 BGB die Wiedereinräumung des Besitzes an der Kette ver-
langen, ihm der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde und Marta ihm gegenüber feh-
lerhaft besitzt.

1.   Besitzentzug durch verbotene Eigenmacht
Zunächst muss Walther der Besitz durch verbotene Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB entzogen
worden sein. Die verbotene Eigenmacht ist in § 858 Abs. 1 BGB legaldefiniert und liegt vor, wenn
jemand dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht (Alt. 1) oder ihn im Besitz stört (Alt. 2).
Die verbotene Eigenmacht kann sich dabei stets nur gegen den unmittelbaren Besitzer richten.

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a.    Freiwilliger Besitzverlust durch Übergabe der Kette an Elvis
Verbotene Eigenmacht gegen den Walther scheidet aber von vornherein aus, wenn er seinen unmit-
telbaren Besitz schon in dem Moment freiwillig verlor, in dem er dem Elvis die Kette zur Auslieferung
an Ksenia übergab.
Allerdings folgt aus dieser Übergabe der Kette keine Übertragung des Besitzes im Sinne von § 854
BGB auf Elvis, wenn Elvis lediglich Besitzdiener gemäß § 855 BGB ist. Übt Elvis nämlich bei seiner
Auslieferung die tatsächliche Gewalt über die Kette für Walther in dessen Erwerbsgeschäft aus und
hat er auch dessen Weisungen Folge zu leisten, dann ist nur Walther Besitzer. Der Besitz für einen
anderen in dessen Erwerbsgeschäft darf ist dabei nicht in einem räumlichen, sondern in einem funk-
tionellen Sinn zu verstehen. Maßgeblich ist also, ob Elvis bei der Entgegennahme der Kette im Funk-
tionsbereich seines Weisungsverhältnisses handelte.
Das ist hier der Fall. Elvis unterliegt als Arbeitnehmer Walthers Direktionsrecht. Da die Auslieferung
der Kette zu den ihm übertragenen Aufgaben gehört, ist Elvis lediglich Besitzdiener. Die Übergabe
der Kette an ihn beendete daher den unmittelbaren Eigenbesitz von Walther nicht.

b.    Besitzverlust durch Elvis’ Aufschwingen zum Eigenbesitzer
Walther könnte seinen unmittelbaren Besitz an der Kette aber dadurch ohne seinen Willen verloren
haben, dass Elvis sich entschied, die Kette für sich zu behalten. Trotz der objektiven Anknüpfung kann
der Besitzdiener nämlich selbstverständlich verbotene Eigenmacht wider seinen Besitzherrn üben.
Das tut er, indem er seine Willensrichtung ändert – also nicht mehr für den Besitzherrn, sondern für
sich selbst besitzen will – und dies durch ein äußerlich erkennbares Verhalten deutlich macht.
Die verbotene Eigenmacht gem. § 858 Abs. 1 Alt. 1 BGB des Elvis gegen Walther war folglich spätes-
tens in dem Moment gegeben, in dem er die Kette als Geschenk für Marta verpackte.

2.    Fehlerhafter Besitz von Marta
Gegenüber Marta ist der Besitzschutzanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB allerdings nur gegeben, wenn
sie die Kette im Verhältnis zu Walther fehlerhaft besitzt.
Verbotene Eigenmacht begründet nach § 858 Abs. 2 Satz 1 BGB zwar fehlerhaften Besitz. Jedoch hat
Marta selbst keine verbotene Eigenmacht verübt. Ihr fehlerhafter Besitz beurteilt sich folglich nach
§ 858 Abs. 2 Satz 2 BGB. Da sie nicht Erbin des Elvis ist, kommt es nach § 858 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BGB
entscheidend darauf an, ob sie bei Besitzerwerb den fehlerhaften Besitz des Elvis kannte.
Das ist nicht der Fall. Gegen Marta besteht daher kein Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB.

II.   Anspruch aus § 985 BGB
Denkbar ist aber auch ein Anspruch aus § 985 BGB. Dieser setzt voraus, dass Walther Eigentümer und
Marta Besitzerin der Kette ist, ohne dass sie nach § 986 BGB zum Besitz berechtigt wäre.

1.    Eigentümer Walther
Ursprünglich war Walther Eigentümer der Kette.

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Allerdings könnte er das Eigentum durch Übereignung von Elvis an Marta gem. § 929 S. 1 BGB ver-
loren haben. Elvis und Marta haben sich an Martas Geburtstag wirksam über den Eigentumsübergang
geeinigt. Auch die Übergabe ist erfolgt. Indes fehlt Elvis die Verfügungsbefugnis, so dass ein regulä-
rer Eigentumserwerb gem. § 929 S. 1 BGB ausscheidet.
Dementsprechend kann Marta Eigentum lediglich gutgläubig nach §§ 932 ff. BGB erworben haben.
Zwar mag der objektive Rechtsscheintatbestand des § 932 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sein. Auch besteht
kein Anlass, an ihrer Gutgläubigkeit im Sinne von § 932 Abs. 2 BGB zu zweifeln. Allerdings hat Walther
den Besitz an der Kette durch verbotene Eigenmacht von Elvis und mithin unfreiwillig verloren. Des-
halb steht § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB einem gutgläubigen Eigentumserwerb der Marta entgegen.
Walther ist also Eigentümer der Kette geblieben.

2.   Weitere Anspruchsvoraussetzungen
Marta ist unmittelbare Besitzerin der Kette und hat weder ein dingliches noch ein obligatorisches
Besitzrecht, das sie dem Herausgabeverlangen von Walther entgegensetzen könnte. Walther kann
also von Marta Herausgabe der Kette aus § 985 BGB verlangen.

III. Anspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB
Darüber hinaus ist an einen Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB zu denken.
Danach kann der frühere Besitzer von dem aktuellen Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen,
wenn der aktuelle Besitzer bei Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war. Der gute Glaube in
diesem Sinne fehlt, wenn der aktuelle Besitzer im maßgeblichen Zeitpunkt kein Recht zum Besitz
hatte und ihm dieses fehlende Besitzrecht entweder bekannt war oder durch grobe Fahrlässigkeit
verborgen geblieben ist.
Weder wusste Marta, dass Elvis nicht Eigentümer der Kette war, noch bestanden für sie entspre-
chende Verdachtsmomente. Mangels Bösgläubigkeit der Marta kommt ein Anspruch aus § 1007
Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

IV. Anspruch aus § 1007 Abs. 2 Satz 1 BGB
Einen weiteren Herausgabeanspruch hält § 1007 Abs. 2 Satz 1 BGB bereit. Danach hat auch der gut-
gläubige Besitzer die Sache herauszugeben, wenn sie dem früheren Besitzer abhandengekommen
war. Wie bereits festgestellt, ist hat Walther den Besitz an der Kette unfreiwillig verloren.
Demnach besteht der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 2 Satz 1 BGB.

V. Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB
Außerdem kommt ein Anspruch aus Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB in Be-
tracht.

1.   Etwas erlangt
Dazu muss Marta etwas erlangt haben. Zwar scheiterte ihr Eigentumserwerb. Jedoch hat sie unmit-
telbaren Besitz an der Kette erlangt.

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2.   In sonstiger Weise
Dieser Besitzererwerb muss in sonstiger Weise geschehen sein, d.h. nicht durch Leistung.

a.   An sich: Vorrangige Leistungsbeziehung zwischen Elvis und Marta
Unter einer Leistung ist dabei die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu
verstehen. Hier erhielt Marta die Kette als Geburtstagsgeschenk von Elvis. Elvis mehrte also bewusst
das Vermögen der Marta und verfolgte dabei den zweiten Leistungszweck, das Schaffen eines
Rechtsgrundes zum Behaltendürfen in Form der Handschenkung. Eine Leistungsbeziehung liegt da-
mit an sich vor.

b.   Direktkondiktion von Walther gegen Marta dennoch zulässig?
Allerdings könnte eine Direktkondiktion von Walter gegen Marta hier dennoch ausnahmsweise zu-
lässig sein, denn immerhin hat Walther den Besitz an der Kette durch Eingriff des Elvis und nicht im
Rahmen einer Leistungsbeziehung verloren. Ob in einem solchen Fall der sog. Vorrang der Leistungs-
kondiktion gilt oder die Direktkondiktion möglich wird, kann nicht schematisch beantwortet werden,
sondern nur unter Berücksichtigung sonstiger gesetzlicher Wertungskriterien.
Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Fall, dass die Verfügung des
Nichtberechtigten wirksam ist, den Kondiktionsgläubiger an den Verfügenden verweist. Der Berei-
cherungsempfänger wird in die Rückabwicklung nicht einbezogen. Im Gegenschluss lässt sich dann
freilich argumentieren, dass in den Fällen, in denen die Verfügung nicht wirksam ist, eine Direktkon-
diktion gegen den Empfänger wegen fehlender Schutzwürdigkeit möglich sein muss. Die Wertung
der §§ 932 ff. BGB, die in diesen Fällen den gutgläubigen Erwerb versagen, bestätigen das. Im vorlie-
genden Fall kommt hinzu, dass Marta unentgeltlich erworben hat, was – wie etwa § 822 BGB zeigt –
ihre Position abermals schwächt.
Folglich besteht vorliegend kein Anlass, Marta vor Walthers Direktkondiktion zu bewahren. Sie hat
den Besitz an der Kette in sonstiger Weise erworben.

c.   Auf Kosten von Walther
Weiter muss dieser Besitzerwerb in sonstiger Weise auch auf Kosten von Walther geschehen sein,
d.h. im Widerspruch zu einer absolut geschützten Rechtsposition von Walther. Walther war im Zeit-
punkt des Besitzverlusts Eigentümer der Kette. Vom Schutzbereich dieses absoluten Rechts ist auch
der Besitz an der Sache umfasst, so dass Martas Besitz – der Wertung von §§ 985, 986 BGB und § 1007
Abs. 2 Satz 1 BGB entsprechend – auf Kosten von Walther erfolgt.

d.   Rechtsfolge
Damit sind alle Voraussetzungen des Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB erfüllt. Auf der
Rechtsfolgenseite ergibt sich deshalb Martas Pflicht, das Erlange an Walther in Natur herauszugeben,
d.h. ihm den Besitz an der Kette wiedereinzuräumen.

VI. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

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Hingegen besteht kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Zwar wurde Walthers Eigentum an der Kette
durch die Entziehung des unmittelbaren Besitzes verletzt. Allerdings fehlt es an einer haftungsbe-
gründend kausalen Verletzungshandlung von Marta. Die Entgegennahme einer dem Eigentümer be-
reits zuvor abhandengekommenen Sache ist nämlich ebenso wenig vom Schutzbereich des § 823
Abs. 1 BGB umfasst wie die einfache Vorenthaltung des Besitzes.
Danach kann Walther von Marta die Herausgabe der Kette aus §§ 985, 1007 Abs. 2 Satz 1 und 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB verlangen.

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