Entgeltansprüche in Zeiten von COVID-19

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Entgeltansprüche
                in Zeiten von COVID-19
1. Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG
2. Entgeltansprüche wegen eines in der Person des Arbeitnehmers
   liegenden Grundes, § 616 BGB
3. Entgeltansprüche bei pandemiebedingten Betriebseinstellungen –
   Betriebsrisiko, § 615 BGB

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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
            Anspruchsvoraussetzungen
 Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG (bis 31.3.2021):
● Persönliche Anspruchsvoraussetzungen:
- § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG: Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige (§ 2 Nr. 6 und 7 IfSG) ,
  Krankheitsverdächtige (§ 2 Nr. 5 IfSG) oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2
  IfSG von Gesetzes wegen Verboten der Erwerbstätigkeit (§ 34 Abs. 1 – 3, § 42 IfSG) unterliegen.
- Personen, die als … auf Grund behördlicher Anordnungen (§ 28 Abs. 1 iVm. § 31 IfSG) Verboten der
  Erwerbstätigkeit unterworfen sind.
- § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG: Gleiches gilt für diesen Personenkreis, wenn er abgesondert wird, bei Ausscheidern
  nur, soweit sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Damit werden Personen in Quarantäne
  denjenigen gleichgestellt, die Tätigkeitsverboten unterliegen oder unterworfen sind.
- Nicht erfasst sind Kranke iSv. § 2 Nr. 4 iVm. Nr. 3 IfSG, diese erhalten Entgeltfortzahlung nach EFZG
  (Gerhardt, IfSG, 3.Aufl., 2021, § 56 Rn. 4; weiterführend Klunckert InfektionsschutzR/Bachmann/Rung, 2020
  § 15 Rn. 19 ff.; zum Begriff BVerwG 22.3.2012 – 3 C 16/11 – Rn. 25).

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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
              Anspruchsvoraussetzungen
   Entschädigungsanspruch nach § 56 I IfSG (seit 1.4.2021):
● § 56 I 2 IfSG: Nunmehr sind den Personen, die Tätigkeitsverboten unterliegen oder unterworfen sind,
  Personen gleichgestellt,
- die nach § 30 iVm. § 32 IfSG einer Quarantäneanordnung unterliegen oder sich auf Grund einer nach § 36
  VIII 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung in Quarantäne begeben (nach der Gesetzesbegründung
  lediglich eine Klarstellung zur bisherigen Regelung, BT-Drs. 19/27291, S. 64 f.)
          oder
- § 56 I 3 IfSG: sich vor der Quarantäneanordnung oder eines beruflichen Tätigkeitsverbots vorsorglich in
  Quarantäne begeben oder vorsorglich bestimmte berufliche Tätigkeiten ganz oder teilweise nicht ausgeübt
  haben, wenn eine Quarantäneanordnung oder ein berufliches Tätigkeitsverbot bereits zum Zeitpunkt der
  vorsorglichen Absonderung oder der vorsorglichen Nichtausübung beruflicher Tätigkeiten hätte erlassen
  werden können (nach der Gesetzesbegründung eine Anpassung an praktische Bedürfnisse, BT-Drs. 19/27291,
  S. 65).
          Zur Neuregelung Düwell, jurisPR-ArbR 13/2021 Anm. 1
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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
                   Anspruchsausschluss

 Anspruchsausschluss nach § 56 I 4 IfSG:
Eine Entschädigung erhält nicht, wer durch
● die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung (§ 2 Nr. 9 IfSG) oder anderen Maßnahme der spezifischen
Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des
Betroffenen öffentlich empfohlen wurde (§ 20 Abs. 2 und 3 IfSG),
oder
● den Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes
Risikogebiet (§ 2 Nr. 17 IfSG); Vermeidbarkeit besteht nach § 56 Abs. 1 S. 5 IfSG, wenn zum Zeitpunkt der
Abreise keine zwingenden und unaufschiebbaren Gründe für die Reise vorlagen (dazu BT-Drs. 19/23944 S. 37
f.)
ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können.
● Regelungszweck: Derjenige, der das Tätigkeitsverbot/die Quarantäne in vorwerfbarer Weise verursacht hat,
soll nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine Entschädigung erhalten (BT-Drs- 19/15164 S. 59f.).
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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
                         Verdienstausfall

 Verdienstausfall:
● Liegt nur dann vor, wenn der AG dem AN in der fraglichen Zeit nicht zur
Entgeltzahlung verpflichtet ist (Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413, 416; Klunckert
InfektionsschutzR/Temming, 2020 § 16 Rn. 16).
● Das Nichtbestehen anderweitiger Ansprüche ist (negative)
Tatbestandsvoraussetzung für die Entschädigung (BGH 30.11.1978 - III ZR 43/77,
zu § 49 BSeuchG; BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, 1.1.2021, IfSG § 56 Rn. 37)
● Kein Verdienstausfall, wenn Anspruch aus § 616 besteht (Preis/Mazurek/Schmid
NZA 2020, 1137, 1139).

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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
            Verdienstausfall - Urlaubsentgelt

● Verdienstausfall bei Quarantäne während des bereits bewilligten
Urlaubs:
- Ausgangspunkt: AN hat während des Urlaubs Anspruch auf
Urlaubsentgelt (§ 11 BUrlG) und daher keinen Verdienstausfall.
Frage: Ändert Quarantäneanordnung etwas hieran?
- § 9 BUrlG greift bei bloßem Infektionsverdacht ohne
Arbeitsunfähigkeit tatbestandlich nicht ein.

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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
             Verdienstausfall - Urlaubsentgelt
- Analoge Anwendung von § 9 BUrlG?
Nach Auffassung des BGH liegt dies nahe, denn „zu einer echten Erholung gehört eine
Sphäre der Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und des Lebensgenusses“.
Ansteckungsverdächtige seien vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke. Sie
können sich nicht so erholen, wie es dem Urlaubszweck entspricht.
       BGH 30.11.1978 - III ZR 43/77, zu § 49 BSeuchG
- Konsequenz: Zeiten der Quarantäne werden auf den Urlaub nicht angerechnet. Der AN
hat daher in dieser Zeit keinen Urlaub und keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt.
Stattdessen besteht – sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen – ein
Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG.

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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
              Verdienstausfall - Urlaubsentgelt
● Vereinbarkeit mit neuer Rechtsprechung zum Urlaubsrecht ist fraglich:
        BAG 25.8.2020 - 9 AZR 612/19
Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) hat
der AG als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach
eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des
persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen AN.
Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien - wie in §§ 9, 10 BUrlG - besondere
Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos
zugunsten des AN statt.
Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften.
Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände kommt
grundsätzlich nicht in Betracht. Der AN trägt regelmäßig das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach
der Urlaubsgewährung durch den AG nicht (vollständig) realisiert.
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Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
                   Passivlegitimation

 Entschädigungspflichtig ist das Land, in dem das Tätigkeitsverbot
 erlassen worden ist, § 66 I IfSG.
 Der Träger der zuständigen Behörde, die im Verwaltungsverfahren
 nach § 56 IfSG mit solchen Ansprüchen befasst ist, ist nicht
 passivlegitimiert.
      BGH 17. 9. 2008 - III ZR 326/07
 Zuständigkeit: Verwaltungsgerichte, § 68 I 1 IfSG (seit 18.11.2020)

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Erkrankung und Quarantäne –
                  Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                              Übersicht
Entgeltansprüche nach § 616 BGB?
Voraussetzung ist, dass AN
 durch einen in seiner Person liegenden Grund
 ohne sein Verschulden
 eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung
 verhindert und
 der Anspruch nicht abbedungen ist.

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Erkrankung und Quarantäne –
                    Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                   In der Person des AN liegender Grund
In der Person des AN liegender Grund:
 Persönliche Lebensumstände und nicht objektive Leistungshindernisse, die eine
 größere Zahl von AN zur selben Zeit treffen.
 Ob Quarantäne wegen Verdachts der Infektion ein in der Person des AN
 liegender Grund ist, ist umstritten (dafür BGH 30.11.1978 - III ZR 43/77, zum
 BSeuchG; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1140; dagegen Grimm, DB
 2020, 1177, 1179; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1019
 Umstritten ist gleichfalls, ob Anspruch aus § 616 BGB entfällt, wenn der AN –
 ohne arbeitsunfähig zu sein – während der Quarantäne im Homeoffice arbeiten
 kann (dazu Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138).

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Erkrankung und Quarantäne –
                 Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                             Kausalität

Kausalität:
 Der in der Person liegende Grund (= Quarantäne) muss die
 ausschließliche Ursache für den Arbeitsausfall sein.
 Besteht weiterer Grund, der die Dienstleistung ebenfalls unmöglich
 macht, richtet sich der Fortbestand des Entgeltanspruchs
 ausschließlich nach diesem.
 Daher: Kein Anspruch nach § 616 BGB bei Freistellung oder
 Kurzarbeit
 (MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. § 616 Rn. 62).
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Erkrankung und Quarantäne –
           Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG –
                            Kausalität
 Was gilt, wenn Quarantäneanordnung mit Anspruch aus § 616 BGB
 zusammentrifft?
 Nach der Rspr. des BGH zu § 49 BSeuchG geht Anspruch aus § 616
 BGB vor, weil hierdurch bereits das Bestehen eines
 Entschädigungsanspruchs ausgeschlossen wird.
BGH 30.11.1978 - III ZR 43/77, aA Grimm DB 2020, 1177, 1178; MHdB
ArbR/Greiner 5. Aufl. § 80 Rn. 41: Das öffentlich-rechtliche
Beschäftigungsverbot ist vorrangiger Hinderungsgrund

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Erkrankung und Quarantäne –
                   Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                              Verschulden

Ohne sein Verschulden:
 Gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im
 eigenen Interesse zu erwartende Verhalten.
      BAG 19.10.1983 - 5 AZR 195/81
Problem: Erkrankung nach Reise in Risikogebiet. Übertragung der Wertung
 aus § 56 Abs. 1 S. 4 und 5 IfSG? (dazu Eufinger DB 2020, 1121, 1122; Grimm
 ArbRB 2020, 230, 231; Kania/Hölken VSSAR 2020, 327, 339 f.)
 Beweislast trägt AG. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick
 auf die Kausalität?

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Erkrankung und Quarantäne –
                  Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                 Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit:
 Tatbestandsmerkmal: Dauert die Verhinderung länger als
 verhältnismäßig, entfällt der Anspruch insgesamt (BAG GS 18.12.1959
 - GS 8/58; 11.8.1988 - 8 AZR 721/85)
 Einzelheiten zur Bestimmung der „verhältnismäßig nicht erheblichen
 Zeit“ sind äußerst umstritten und letztlich noch nicht geklärt
 (MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. § 616 Rn. 66 ; Preis/Mazurek/Schmid
 NZA 2020, 1137, 1140; MHdB ArbR/Tillmanns 5. Aufl. § 77 Rn. 30 ff.;
 Staudinger Oetker [2019] § 616 Rn. 95 ff.).
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                  Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
● BGH (30.11.1978 - III ZR 43/77):
„Von besonderem Gewicht ist, dass die Arbeitsverhinderung eines
Ausscheiders ihrem Wesen nach einer Verhinderung durch Krankheit
nahekommt.
- Es ist daher angebracht, wenn nicht Besonderheiten des konkreten
  Arbeitsvertrages entgegenstehen, in solchen Fällen die allgemein für
  Erkrankungen geltende Sechs-Wochen-Frist jedenfalls bei einem länger
  andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis
  grundsätzlich als Grenze einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit
  anzusehen.“
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                 Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit

● Schrifttum:
- Maßgeblich ist Dauer des Arbeitsverhältnisses (Erman/Riesenhuber
BGB 16. Aufl. § 616 Rn. 51).
- Dagegen dürfte sprechen, dass es hierfür keine methodisch
belastbaren Anknüpfungspunkte gibt. Auch § 3 EFZG knüpft
abgesehen von der Wartezeit in § 3 Abs. 3 EFZG nicht an die Dauer des
Arbeitsverhältnisses an (Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 101).

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Erkrankung und Quarantäne –
                     Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                    Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
- Nach hM im Schrifttum ist sozialer Schutzzweck der Regelung (HWK/Krause 9.
Aufl. § 616 BGB Rn. 1) sowie hiervon ausgehend der Umstand maßgeblich, dass der
AG eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit der Arbeitsverhinderung
einkalkulieren kann und muss (MHdB ArbR/Tillmanns 5. Aufl. § 77 Rn. 31;
Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413, 415).
- Daher nach hM ereignisbezogene Sicht. Als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
ist nur eine Dauer von wenigen Tagen anzusehen. AG muss damit rechnen und
kann dies einkalkulieren (HWK/Krause 9. Aufl. § 616 BGB Rn. 41;
MüKoBGB/Henssler 8. Aufl. § 616 Rn. 68; Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 101).
- Nicht erheblich sind bis zu 5 Tage (Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413, 415, ebenso
bei Pflege erkrankter Angehöriger, HWK/Krause 9. Aufl. § 616 BGB Rn. 42).
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Erkrankung und Quarantäne –
                 Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                Entgeltansprüche bei Kinderbetreuung

Entgeltansprüche bei Kinderbetreuung:
 Kind ist krank: Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 3 SGB V bei
 Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr.
 Entgeltansprüche richten sich nach § 616 BGB.
 Umfang ist str. (5/10 Tage, vgl. HWK/Krause 9. Aufl. § 616 BGB Rn.
 42; Schaub/Linck 18. Aufl. § 97 Rn. 18 jeweils mwN).

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Erkrankung und Quarantäne –
                   Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                  Entgeltansprüche bei Kinderbetreuung
 KiTa ist geschlossen:
● Freistellungsanspruch nach § 275 Abs. 3 BGB.
● Entgeltansprüche richten sich nach § 56 Abs. 1a IfSG.
- Altersgrenze 12 Jahre.
- Die KiTa-Schließung muss zu einem Verdienstausfall führen. Das ist nicht
  der Fall, wenn und soweit Ansprüche auf Fortzahlung des Entgelts
  bestehen (§ 616 BGB) oder dem AN noch Zeitguthaben zusteht. Dieses ist
  vorrangig abzubauen.

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Erkrankung und Quarantäne –
                   Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                  Entgeltansprüche bei Kinderbetreuung

- Keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit. Nach Gesetzesbegründung
  (BT-Drs. 19/18111 S. 25) besteht diese bei Arbeit im Home-Office
  (dagegen Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413, 414: „realitätsfremd“).
- Bei mehrfachen Verhinderungen wegen Kinderbetreuung nach hM
  keine Zusammenrechnung der Zeiten, es sei denn, diese sind
  vorhersehbar (HWK/Krause 9. Aufl. § 616 BGB Rn. 43) oder beruhen
  auf derselben Ursache (Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 107 f.).

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Erkrankung und Quarantäne –
                       Entgeltansprüche nach § 616 BGB –
                          Abbedingung des Anspruchs
Abbedingung des Anspruchs aus § 616 BGB:
 Sehr häufig tarifliche Regelungen, zB § 29 TVöD.
 Vertragliche Abbedingung ist möglich, § 619 BGB.
 Aber AGB-Kontrolle: § 307 Abs. 1 BGB. Strittig ist, ob vollständige Abbedingung in AGB
  wirksam ist (dazu ErfK/Preis 20. Aufl. §§ 305-310 BGB Rn. 82; Schaub/Linck 18. Aufl. § 97
  Rn. 23).
  → Die in § 616 BGB geregelte Vergütungsfortzahlung ist kein unabweisbares
Gerechtigkeitsgebot (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Vorschrift kommt nur bei einer
Verhinderung von verhältnismäßig nicht erheblicher Dauer zur Anwendung und nicht bei
krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.
        (vgl. BAG 7.2.2007 - 5 AZR 270/06, noch zu § 9 AGBG; BeckOGK/Bieder BGB § 616
        Rn. 51)
 → Alternativ: Benennung konkreter Verhinderungsfälle (z.B. Krankheit der Kinder oder
Hochzeit, Geburt, Sterbefälle jeweils mit genauer Zahl der bezahlten freien Tage).
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Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                 Betriebseinstellungen
                  Fortführung der Rechtsprechung des RG
Betriebseinstellung als Betriebsrisiko?
 Zunächst Fortführung der Rechtsprechung des RG zur Betriebsrisikolehre (BAG
 30.5.1963 – 5 AZR 282/62):
● Die Frage der Lohnfortzahlung im Falle einer weder durch den AN noch durch den
AG verschuldeten Unmöglichkeit der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung
regelt sich nicht nach §§ 323, 615 BGB.
● Der AG hat die Verantwortung und damit die Folgen tragen, die sich daraus
ergeben, dass die Arbeitsleistung des AN und die Entgegennahme der
Arbeitsleistung durch den AG aus Gründen unmöglich wird, die in seinem
Einflussbereich liegen.

                                    © Dr. Rüdiger Linck                         23
Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                  Betriebseinstellungen
                     Fortführung der Rechtsprechung des RG
- Hieran anknüpfend soll eine Musikkapelle auch dann Anspruch auf Entgeltzahlung haben, wenn
  sie infolge eines behördlichen Verbots „öffentlicher Lustbarkeiten“, das aus Anlass eines
  Brandunglücks angeordnet wurde, vorübergehend nicht auftreten kann (BAG 30.5.1963 – 5 AZR
  282/62).
- „Nach der Lehre vom Betriebsrisiko muss der AG die Verantwortung und damit die Folgen tragen,
  die sich daraus ergeben, dass die Arbeitsleistung des AN und die Entgegennahme der
  Arbeitsleistung durch den AG aus Gründen unmöglich wird, die im betrieblichen Bereich liegen.
  Der AG hat mithin das Risiko der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus im Betrieb liegenden
  Gründen schlechthin zu tragen und bleibt, sofern nicht durch Einzelvertrag oder
  Kollektivvereinbarung eine andere Regelung getroffen ist, zur Lohnfortzahlung verpflichtet, auch
  wenn diese Gründe nicht betriebstechnische Störungsursachen haben oder auf einem Versagen der
  sachlichen oder persönlichen Mittel des Betriebes beruhen, sondern von außen auf das
  Unternehmen einwirken“ (BAG 9.3.1983 - 4 AZR 301/80).

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Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                  Betriebseinstellungen
              Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, § 615 S. 3 BGB
 Weiterentwicklung der Betriebsrisikolehre durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, § 615
 S. 3 BGB:
● „Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der AG das Risiko des
Arbeitsausfalls trägt.“
- Gesetzesbegründung: Neuregelung soll sicherstellen, dass der AG auch weiterhin zur Zahlung des
  Arbeitsentgelts verpflichtet ist, wenn er das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Die Rechtsprechung
  soll diesen Grundsatz wie bisher konkretisieren und den Besonderheiten der denkbaren
  Fallgestaltungen Rechnung tragen (BT-Drs. 14/6857, 48).
- Wann der AG das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, beantwortet das Gesetz nicht.
  Daher: § 615 S. 3 BGB hat letztlich keinen eigenen Regelungsgehalt (Krause ZfA 2018, 126 (144);
  Staudinger/Richardi/Fischinger BGB § 615 Rn. 6; MHdB ArbR/Tillmanns § 76 Rn. 81)

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Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                   Betriebseinstellungen
               Aktuelle Rechtsprechung des BAG zu § 615 S. 3 BGB
 Aktuelle Rechtsprechung des BAG zu § 615 S. 3 BGB (BAG 23.9.2015 - 5 AZR 146/14; 28.9.2016 - 5 AZR
 224/16):
● § 615 S. 3 BGB meint das von der Rechtsprechung entwickelte Betriebsrisiko. Dies ist das Risiko des AG,
seinen Betrieb betreiben zu können. Gemeint sind die Fälle, in denen die Arbeitsleistung des AN unterbleibt
wegen
- Ausfalls von Betriebsstoffen oder anderer für den Betriebsablauf notwendiger Betriebsmittel,
- einer Betriebsstilllegung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften/Anordnungen
- eines Geschehens, das von außen auf typische Betriebsmittel einwirkt und sich als höhere Gewalt darstellt,
  wie zB die Überschwemmung eines Fabrikgebäudes aufgrund einer Naturkatastrophe.
● § 615 Satz 3 BGB ist eine gesetzlich angeordnete Analogie. Hierdurch finden abweichend von §§ 275, 326
Abs. 1 BGB bei einem Umstand, der dem Betriebsrisiko unterfällt, § 615 S. 1 und 2 BGB entsprechende
Anwendung.

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Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                   Betriebseinstellungen
                       Schrifttum: Lehre von der Substratsgefahr
 Schrifttum: Die von der Betriebsrisikolehre erfassten Fälle sind über § 615 S. 1 BGB zu lösen. Es besteht
 keine Regelungslücke, die über § 615 S. 3 BGB zu schließen wäre.
● § 615 S. 1 BGB weist dem AG als Gläubiger der Arbeitsleistung die Substratsgefahr zu, dh. die Gefahr, die
vom AN angebotene Arbeitsleistung wegen einer Störung des Arbeitssubstrats nicht annehmen zu können
(Fischinger/Hengstberger NZA 2020, 559 (560); MüKoBGB/Henssler § 615 Rn. 107; HWK/Krause § 615 BGB Rn.
9; MHdB ArbR/Tillmanns § 76 Rn. 4 und 81; eingehend Picker FS Kissel, 1994, 813; ders. FS U. Huber, 2006, 497).
● Der AG hat die Entgeltgefahr zu tragen, wenn die Ereignisse, welche die Arbeitsleistung unmöglich machen,
aus seinem Bereich kommen und durch die besondere Art des Betriebs bedingt sind
(Staudinger/Richardi/Fischinger BGB § 615 Rn. 212). Für die Begründung des Annahmeverzugs genüge die
„nackte Tatsache der Nichtannahme der angebotenen Leistung“ (Motive zum BGB (1888) Bd. II 68).
● § 615 S. 3 BGB enthält eine Rechtsgrundverweisung auf die Sätze 1 und 2 dieser Bestimmung
(MüKoBGB/Henssler § 615 Rn. 97; HWK/Krause BGB § 615 Rn. 121; MHdB ArbR/Tillmanns § 76 Rn. 82; aA
ErfK/Preis BGB § 615 Rn. 122; im Ergebnis auch BAG 28.9.2016 - 5 AZR 224/16). Das hat zur Konsequenz, dass
grundsätzlich alle Voraussetzungen der §§ 294 ff. BGB vorliegen müssen.

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Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                   Betriebseinstellungen
                                           Konsequenzen
 Konsequenz für pandemiebedingte Betriebseinstellungen? Umstritten:
● Anspruch besteht, weil der AG alle Risiken zu tragen hat (zB LAG Niedersachsen 23.3.2021 – 11 Sa 1062/20
[Rev. anhängig unter 5 AZR 211/21]; LAG Düsseldorf 30.3.2021 - 8 Sa 674/20 PM; ArbG Mannheim 25.3.2021 -
8 Ca 409/20; Fischinger/Hengstberger NZA 2020, 559; ErfK/Preis BGB § 615 Rn. 132a ff.; MHdB ArbR/Tillmanns
§ 76 Rn. 83; einschränkend Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413).
● Kein Anspruch, weil der erforderliche Betriebsbezug fehlt (zB Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112 (1116);
Bonanni, ArbRB 2020, 116).
● Entscheidend ist die Risikoabgrenzung: Ist das Risiko des Arbeitsausfalls dem Betriebsrisiko und damit dem
AG oder dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem AN zuzuordnen? Eine Risikozurechnung an den AG ist
nur gerechtfertigt, wenn dieser zumindest objektiv (also unabhängig von einem Verschulden) durch die Art
seiner wirtschaftlichen Betätigung ein erhöhtes Risiko gesetzt hat, das sich nun verwirklicht. Es erscheint
zweifelhaft, ob in der gegenwärtigen Pandemie von einem mit der Tätigkeit verbundenen Risiko ausgegangen
werden kann (Sievers jurisPR-ArbR 13/2021 Anm. 4).

                                                © Dr. Rüdiger Linck                                        28
Entgeltansprüche bei pandemiebedingten
                Betriebseinstellungen
                               Konsequenzen
 Weitere Konsequenzen für den Annahmeverzug:
Schickt der AG aus eigenem Antrieb einen AN zum Schutz der sonstigen
Belegschaft in Quarantäne, weil dieser seinen Urlaub in einem Risikogebiet
verbracht hat (Skiurlaub Mitte März 2020 in Österreich), soll der AG nach
Auffassung des ArbG Dortmund nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre zur
Entgeltzahlung verpflichtet sein.
(ArbG Dortmund 24.11.2020 – 5 Ca 2057/20 mAnm. Sievers, jurisPR-ArbR 13/2021
Anm. 4, Berufung anhängig beim LAG Hamm - 10 Sa 53/21).

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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