Zur debatte - Katholische Akademie Bayern
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B 215 75 F zur debatte 3/2019 Themen der Katholischen Akademie in Bayern 7 17 23 31 Auf die religiöse Neutralität des Grund- Prof. Dr. Hubert Wolf zum Projekt Dr. des. Franziska Nicolay-Fischbach BR-Intendant Ulrich Wilhelm ist zu gesetzes weist Prof. Dr. Horst Dreier „online-Edition der Faulhaber-Tage- fragt, inwieweit Kardinal Faulhaber die Gast bei „Mittags im Schloss“ hin bücher“ re-education förderte 9 22 27 37 Das Neutralitätsgebot ist kein Kampf- Faulhaber und die Entnazifizierung ist Prof. Dr. Ulrich Körtner spricht sich Dr. Zsofia Schnelbach erhielt den konzept repliziert Prof. Dr. Paul Kirch- das Thema von Moritz Fischer gegen Moralisierung und Emotionalisie- Kardinal Wetter Preis 2018 hof rung in Politik und Kirche aus Ein Abend mit Bundespräsident a.D. Herausforderungen in einer unsicheren Joachim Gauck Welt Joachim Gauck Freiheit und Verantwortung I. Ob in den Fachkreisen oder in der Presse: Landauf, landab wird augen- Heute nun sehe ich Entwicklungen in unserem Land und auch bei unseren nahen und fernen Nachbarn, die mir Sorgen bereiten. Wie in fast allen euro- blicklich immerfort diskutiert über die päischen Ländern hat sich auch bei uns Ordnung der Welt, die ins Rutschen ge- der Populismus politisch etabliert. Ver- rät, und besorgt gesprochen über die treter einer rechtsnationalen Politikvari- Außen- und Sicherheitspolitik, deren ante sitzen im Deutschen Bundestag Akteure nicht mehr verlässlich sind. In und in allen Landesparlamenten – eine München laufen die Vorbereitungen zur Entwicklung, die uns lange nicht er- 55. Sicherheitskonferenz, und wir kön- reicht hatte, obwohl sie in unseren nen uns schon jetzt vorstellen, dass Ar- Nachbarländern schon lange auf der tikel und Schlagzeilen erneut fragen Tagesordnung war. werden: Geht es überhaupt noch weiter In Italien hat sich mit der Regierung mit einer wertebasierten Weltordnung; aus Linkspopulisten und Rechtspopulis- wie ist es mit dem Multilateralismus; ten ein demagogischer Politikstil einge- können wir nach Trump und anderen schlichen, der uns unvertraut ist, und Menschen, die in der Welt große Schat- den ich in Deutschland nicht sehen ten werfen, noch damit rechnen, dass möchte. Aber auch in den demokrati- ein friedliches Zusammenleben Zukunft schen Musterländern in Skandinavien – hat? in wunderbaren, entwickelten Demo- Mit Erschrecken sehen wir die zu- kratien mit einem ausgeprägten Sozial- nehmende Friedlosigkeit und eine Ero- staat – gibt es Bewegungen, die Natio- sion des Vertrauens zwischen den Staa- nalismus in einer relativ starken Aus- ten. Vor fünf Jahren, bei der Eröffnung prägung wieder zu einem wichtigen der 50. Münchner Sicherheitskonferenz, Element der Politik machen. Polen und habe ich in dieser Stadt laut darüber Ungarn haben sich unter rechtsnationa- Bundespräsident a. D Joachim Gauck nachgedacht, welches Format Deutsch- len Regierungen zu einer illiberalen Po- bei seiner Rede in der Akademie. land in Europa und in der Welt haben litik entschieden. In Frankreich gehen solle. Es erschien mir wichtig, die Zehntausende auf die Straße gegen ei- Landsleute daran zu erinnern, dass wir nen Staatspräsidenten, der vor nicht mit dem Vertrauen, das wir zum Rechts- einmal zwei Jahren noch Hoffnungsträ- Chancen und Risiken sowie Zuver- doch unsicheren Welt sieht. Nur in staat, zur Demokratie, zur Freiheit ent- ger war. Und mit dem Austritt Großbri- sicht und Angst liegen für Joachim einer freiheitlichen Gesellschaft, da wickelt haben, eine Nation geworden tanniens droht der Europäischen Union Gauck sehr eng zusammen. Mit einer war sich Gauck sehr sicher, könnten sind, auf die man sich verlassen kann. die größte Bewährungsprobe seit ihrer sehr lebhaften, positiv gestimmten und all diese Probleme gelöst werden, Dazu kommt eine erhebliche wirtschaft- Gründung. All das sind relativ neue, re- immer wieder auch persönlich gefärb- allerdings nur dann, schränkte er ein, liche Stärke, die uns zu einem wichtigen lativ beunruhigende Entwicklungen, die ten Rede legte der frühere Bundesprä- wenn die Bürgerinnen und Bürger Partner verschiedener Nationen macht. das traditionelle Parteiengefüge vieler- sident am Abend des 31. Januars 2019 Verantwortung übernehmen würden, Deutschland, so meinte ich, müsse sich orts kräftig durchrütteln und dem euro- vor rund 550 Zuhörern in der Katho- Verantwortung für sich, für andere daher in verschiedenen Bereichen inter- päischen Gefüge schon jetzt tiefe Risse lischen Akademie in Bayern dar, und für das Gemeinwesen. nationaler Zusammenarbeit stärker ein- zugefügt haben. welche Herausforderungen er in einer bringen – nicht nur, aber auch auf dem Im Osten und Nahen Osten sieht es Gebiet der Sicherheit. noch bedrückender aus. Autokratische
Führer lieben es, ihre Politik der Stärke Editorial der Stärke des Rechtes vorzuziehen. Sie bewegen sich aus dem Kreis der Demo- kratien heraus und empfinden es als le- gitim, Krisen und Konflikte auch in der Liebe Leserinnen und Leser, eigenen Nachbarschaft zu provozieren, oder, wie durch Russland geschehen, „die Beziehungen zwischen Kirche Territorien sogar völkerrechtswidrig zu und Welt zu klären und zu fördern“ besetzen. Darüber hinaus mischen sich ist laut Satzung der Zweck der Katho- Russland, der Iran, auch die Türkei of- fen in den syrischen Bürgerkrieg ein, lischen Akademie in Bayern. Diesem mal als Verbündete, mal als Gegner, um Auftrag kommt die Akademie in ers- ihre großmachtpolitischen Interessen ter Linie durch ihre Veranstaltungen abzusichern und sich in der Region als nach, in denen sie Themen behandelt, permanenter Machtfaktor zu etablieren. die „klärend“ und wenn immer mög- Über die massiven außenpolitischen lich auch „fördernd“ sind. Vorstöße von China habe ich dabei Sinn und Zweck unserer Zeitschrift noch gar nicht gesprochen. Mit gewal- „zur debatte“ und auch der anderen tigen Investitionspakten kaufen sie sich Medien der Akademie ist es, diese entlang der Seidenstraße ein bis Ost- Themen gesellschaftlich möglichst europa, gestützt auf ein imponierendes wirtschaftliches Wachstum bei gleich- breit zu streuen. An dieser Stelle zeitiger Stabilisierung einer vormoder- möchte die Redaktion einmal allen nen Herrschaft der Wenigen über die Autorinnen und Autoren dafür dan- Vielen. Ilse Ruth Snopkowski, Vorsitzende der ken, dass sie sich die Mühe machen, Das alles könnten wir noch leichter Gesellschaft zur Förderung jüdischer die gesprochenen Vorträge zusätzlich ertragen, wenn unsere Hauptpartner Kultur und Tradition, saß zusammen noch zu verschriftlichen, zu ergänzen des Westens, die Vereinigten Staaten, in mit Prof. Dr. Heinrich Oberreuter. Der und zu autorisieren. der Weise verlässlich wären, wie sie es Politikwissenschaftler ist Redaktions- Mit einer Abo-Auflage unserer Zeit- für uns Europäer über Jahrzehnte wa- leiter des Staatslexikons. schrift von gut 10 000 Exemplaren, ren. Aber verunsichert durch den unbe- von denen Sie gerade eines in Hän- rechenbaren Gestus von Donald Trump sind nicht nur die Amerikaner, sondern den halten, und unseren YouTube- natürlich auch wir Europäer. Ich bin ein Kanälen – die Akademie bestückt seit Herzens-Atlantiker, und ich werde nie- Informationszeitalter eröffnen. Unsere zuständig zu sein für den Raum, in dem rund drei Jahren regelmäßig einen mals die Rolle der Vereinigten Staaten Vorfahren haben sich vor siebzig Jahren wir leben. Und wir spüren dabei: Die Video- und einen Audio-Kanal – do- für den Erhalt der Freiheit in Europa ermächtigt, nach einem tiefen Fall diese Freiheit der Erwachsenen heißt Verant- kumentieren wir Vorträge und Dis- vergessen. Mir ist der dortige Präsident Demokratie zu errichten, diesen Rechts- wortung. Aber kann das nicht auch er- kussionen. Auf den YouTube-Kanälen wirklich suspekt, aber daraus abzulei- staat zu stabilisieren, diese Wirtschafts- schrecken? Dann müsste ich ja eine finden Sie mittlerweile zusammen 400 ten, dass wir einen Rückzug der Verei- ordnung zu etablieren. Das ging nur im Meinung dazu haben, mit wie viel Geld Audios und Videos. Bequem zu errei- nigten Staaten als günstig für den gan- Glauben an die eigenen Möglichkeiten. ich die Sozialpolitik unterstütze, mit chen sind all diese elektronischen zen Erdball betrachten sollten, würde Das ist es, was uns eine innere Stärke wie viel die Umweltpolitik, mit wie viel Medien über die Mediathek der Aka- ich für einen ganz schwerwiegenden geben sollte: ein Erfahrungsgut des Ge- die Verteidigungspolitik, die Schulpoli- Irrtum, schlichtweg für politische lingens. Dieses Zutrauen zu uns und zu tik. All dies müsste ich selber mit durch- demie-Website: www.kath-akademie- Dummheit halten. Ich sehe nicht, dass unserem Potential müssen wir bemü- denken. Ist es da nicht doch einfacher, bayern.de/mediathek – Stichwort- das vielleicht sogar führungswillige hen, um uns und die Gesellschaft in den auf die da oben zu schimpfen? Denn register erleichtern die Suche. Frankreich zusammen mit dem eher gegenwärtigen Phasen von Unsicherheit selbst, wenn ich mich nicht beteilige, er- Auch eine gute Zahl von debatte- nicht führungsbereiten Deutschland an und Angst zu ermächtigen. laube ich mir ja immer noch ein Urteil Artikeln – aus den Ausgaben der Jah- die Stelle dessen treten könnte, was Der große Søren Kierkegaard hat in über „sie“. re 2017, 2018 und 2019 – stellen wir Amerika für uns sicherheitspolitisch ge- seinem Jahrhundert, dem 19. Jahrhun- In der vormodernen Gesellschaft in der Mediathek als podcast und zum leistet hat. Mit welchen Potentialen und dert, die Angst den Schwindel der Frei- kannte jeder seinen Platz: Er war nicht Download zur Verfügung; sie sind na- mit welcher inneren Haltung sollten heit genannt. Vielleicht erschließen wir frei, er fühlte sich manchmal auch ge- türlich ebenfalls mit Schlagworten er- denn diese beiden größten Länder das uns diese Aussage am besten, wenn wir gängelt, aber das ganze System hing bewältigen? Gleichwohl halte ich eine uns erinnern, dass Freiheit unglaubliche nicht von ihm ab. Er war eingeordnet, schlossen. Und dasselbe gilt für die Stärkung der europäischen Verteidigung Handlungs- und Spielräume eröffnet, er hatte eine gewisse Rollensicherheit dort eingestellten Bücher zu Themen für sinnvoll. zahllose Möglichkeiten, Möglichkeiten und Beheimatung, einen gewissen Halt. der Akademie oder den publizierten In Sicherheitsfragen herrscht in den zum Guten aber auch zum Schlechten. Es war die Freiheit der Moderne, die Werken des Theologen und Religions- reichen Ländern des Westens allerdings Kann einen das nicht schon schwindlig den Menschen herauslöste aus dieser philosophen Romano Guardini, des- eine gewisse Sorglosigkeit, verbunden machen? Und dann das Phänomen, festen Verortung in der Gesellschaft. Es sen wissenschaftliches Erbe die Aka- mit einem weit verbreiteten Wunsch- dass wir es sind, die in der Demokratie ist die moderne Gesellschaft, die uns in demie verwaltet. denken. Herfried Münkler nennt unsere die Verantwortung tragen: wir alle als den Individualismus entlässt und uns Verbreitet werden die Themen der Zeit die „postheroische“ Zeit. Ich weiß citoyen, als Bürger, und nicht irgend- zumutet, über die grundlegenden Dinge Katholischen Akademie in Bayern zwar nicht, welche heroischen Zeiten welche Könige, Fürsten oder Führer. selbst zu entscheiden: Wie wir unser auch über eine erkleckliche Zahl von für Deutschland besser waren. Aber Die Demokratie ist unsere Sache! Aus Leben gestalten und was unserem Le- wenn postheroisch bedeutet, nicht mehr eigenem Antrieb entscheiden wir uns, ben Sinn gibt. Ist es verwunderlich, dass Berichten in Zeitungen und Zeit- zu wissen, was und wie wir uns verteidi- schriften sowie auch mittels der Zu- gen wollen, dann kann da irgendetwas sammenarbeit der Akademie mit mit unserem Nationalgefühl nicht stim- Fernsehsendern. So freuen wir uns men. über eine enge Kooperation mit ARD- alpha, dem Bildungskanal des Bayeri- II. schen Rundfunks, und die regelmäßi- ge Berichterstattung im Fernsehmaga- Zusätzlich zu diesen außenpolitischen zin „Kirche in Bayern“ in den priva- Problemen haben wir es noch mit inne- ten, lokalen Fernsehsendern in Bay- ren Problemen zu tun. Wir erleben gro- ße Unsicherheit und eine diffuse Angst, ern. vielleicht vergleichbar nur mit großen Auch diese Berichte werden – nach Umbruchzeiten wie der Kopernikani- ihrer Erstsendung – in der Mediathek schen Wende oder dem Beginn des In- zum podcast angeboten. dustriezeitalters. Viele fürchten heute Die Themen „zur debatte“ im vor- die neue Welt der Computer, der künst- liegenden Heft entnehmen Sie bitte lichen Intelligenz, viele fühlen sich dem Inhaltsverzeichnis auf der kom- nicht oder nur unzureichend ausgestat- menden Seite. Wir hoffen, dass wir tet mit Wissen über das Funktionieren mit den publizierten Texten für Sie der vernetzten digitalen Welt. Sie fürch- einiges „klären“ und sogar „fördern“ ten sich vor dem Verlust ihrer Autono- mie und sind sich unsicher, welche Rol- können. le sie in der Zukunft einnehmen wer- den. Politik darf diese Ängste nicht igno- Mit den besten Wünschen für Sie rieren. Aber Politik muss den verun- im Namen der Redaktion sicherten Menschen gemeinsam mit der Wirtschaft auch die vielen Möglichkei- Auch in der Diskussionsrunde argu- Dr. Robert Walser ten und Chancen vor Augen führen, die mentierte Joachim Gauck sehr klar und sich mit dem Übergang in ein neues engagiert. 2 zur debatte 3/2019
Zersplitterung des Westens Themen „zur debatte“ Editorial 2 In der sich dem Vortrag anschlie- man sich wehren kann und das auch sondern klare Einsichten und Haltun- ßenden Podiumsdiskussion, die von tun würde. General a. D. Klaus Nau- gen. Prof. Dr. Ursula Münch, Politik- Ein Abend mit Bundespräsident a.D. dem Journalisten Dr. Christoph von mann, der frühere Vorsitzende des wissenschaftlerin, Direktorin der Aka- Joachim Gauck Marschall, Mitglied der Chefredaktion NATO-Militärausschusses und intimer demie für Politische Bildung in Tut- Freiheit und Verantwortung des Berliner Tagesspiegel, moderiert Kenner der internationalen Politik, rief zing und ebenfalls auf dem Podium, wurde, legte Joachim Gauck dann wei- beim Gespräch dazu auf, sich der Be- sah die Hauptsorge hingegen in der Herausforderungen in einer terhin dar, dass man Bedrohungen drohung der Freiheit durch autoritäre zunehmenden Zersplitterung des Wes- unsicheren Welt von außen nur dann meistern könnte, Staaten – China und Russland an erster tens. Exemplarisch und besonders gra- Joachim Gauck 1 wenn man dem Gegenüber Paroli Stelle – erst einmal bewusst zu werden. vierend sei für sie der Brexit. böte. Es müsse glaubhaft sein, dass Nicht mehr Waffen seien die Lösung, Staat ohne Gott? Ein Streitgespräch zwischen den Verfassungsrechtlern Horst Dreier und Paul Kirchhof Exposition Horst Dreier 7 Erwiderung Paul Kirchhof 9 Das Streitgespräch 11 Michael Kardinal von Faulhaber Das Tagebuch 1945 geht online Eingangsstatement Hubert Wolf 17 Faulhabers Kriegschronik aus dem Jahr 1945 Philipp Gahn 18 Faulhaber und das KZ Dachau Raphael Hülsbömer 20 Diskutierten unter der Leitung des Faulhaber und die Entnazifizierung Journalisten Dr. Christoph von Mar- Moritz Fischer 22 schall (r.): Joachim Gauck, Prof. Dr. Faulhaber: Freund der Amerikaner – Ursula Münch und General a. D. Klaus Förderer der re-education? Naumann (v.r.n.l.) Franziska Nicolay-Fischbach 23 Zusammenfassung Andreas Wirsching 25 Akademiegespräch mit Offizieren dann eine Unsicherheit im Raum ist, zu- dieser Mensch als Gottes Ebenbild – Interessant, dass auch der eher linke der Bundeswehr mal in Zeiten eines fragilen Übergangs? dass ich mir vorgenommen hatte: Dar- Psychotherapeut und Psychologe Fromm Für die Vernunft Es gibt keine offene Gesellschaft über predigst du nie. auf die Bibel verweist und dort eine ar- Wider Moralisierung und ohne gleichzeitige Phasen von Ängst- Aber irgendwann, ich war schon alt chetypische Geschichte findet, wieder in Emotionalisierung in Politik lichkeit und Unsicherheit. Wir sind geworden, kehrte die Bibelstelle zu mir der Genesis, die Geschichte von Adam und Kirche Menschen, wir sind nicht Götter, wir zurück. Ich konnte den Text plötzlich und Eva. Da wird also der Apfel weiter- Ulrich Körtner 27 sind nicht Gott. Aber – und ich wieder- lesen und sagte: Oh, was für ein schö- gereicht – der Gläubige weiß da schon: hole es, weil es so wichtig ist: Wir wis- nes Wort. Und wissen Sie, wie das Das ist Sünde, Gott will es nicht, das tut sen aus der Erfahrung, dass uns Kräfte kam? Es hängt mit diesem Begriff der man nicht. Aber scheinbar paradoxer- Literatur im Gespräch zuwachsen können, die die Ängste we- Verantwortung zusammen. Für mich weise hat Gott den Menschen so ge- der leugnen noch löschen, aber die sie hieß dieser Text plötzlich: Gott schuf schaffen, dass er auch tun kann, was er Erich Garhammer trifft relativieren, und die uns in das Stadium den Menschen mit einer geheimnisvol- nicht tun soll. Also schlussfolgerte der Navid Kermani 30 von Handlungsfähigkeit setzen. Kräfte, len Gabe, die kein anderes Geschöpf Psychologe aus diesem schönen alten die die in uns ruhende Verantwortungs- hat, sondern nur er. Der Mensch kann mythischen Text: Der Schöpfer hat den Mittags im Schloss bereitschaft, die Mut, Tatkraft, Innovati- sich selber erkennen und für sich selber Menschen als freies Geschöpf gewollt. Zu Gast BR-Intendant onsbereitschaft, Risikobereitschaft, die und für andere Verantwortung überneh- Er hat ihn in die Freiheit hinein gebo- Ulrich Wilhelm 31 all das wecken. Wenn du dir dann das men. Er kann das in Liebe tun, er kann ren. Und das Paar entscheidet sich, erschließt, was in dir als positive Gabe es mit Mut tun, mit Ängstlichkeit – aber Gottes Gebot nicht zu folgen, sondern hineingelegt worden ist, dann bist du er ist immer gemeint als der, der diese selbst das Gebot zu setzen: Ich setze Lange Nacht der Musik vielleicht einer, der sich nur selten besondere Fähigkeit besitzt, über die meine Kraft ein und entscheide mich im fürchten muss – und das ist eine ganze niemand anderes sonst auf der ganzen Rahmen meiner Freiheit. Eine große Joe Viera und Norisha 36 Menge. weiten Welt verfügt: Er kann Verant- Tat. Lassen Sie mich für einen Moment in wortung übernehmen. Da hatte sich mir Aber Erich Fromm lässt uns weiterle- Wissenschaft für jedermann mein altes Dasein als Pastor zurückge- plötzlich etwas erschlossen, auf vielen, sen. Was passiert nach dieser Tat? Ei- Wenn Technik den Nerv trifft hen: Ich hatte als junger Mensch immer vielen Umwegen des Lebens. Für mich nen Tag später findet sich das Paar au- Furcht vor einer bestimmten Bibelstelle jedenfalls war ein geistliches Wort sehr ßerhalb des Paradieses: Es ist nackt, Implantate für elektronische – vor vielen, aber bei dieser besonders – irdisch, sehr nah geworden. fürchtet sich – wer gibt uns etwas zu es- Prothesen 36 aus dem Schöpfungsbericht. Da heißt sen, wer sagt uns, was wir tun sollen, es: „Und Gott schuf den Menschen III. wer schützt uns vor Gefahr, wo sind wir Kardinal Wetter Preis 2018 nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde überhaupt. Von jetzt an wird es sich da- Laudatio auf Zsofia Schnelbach schuf er ihn“ (1. Mose 1,27). Ich be- Ich möchte aber noch einmal zum nach sehnen, in die heile Ordnung eines Peter Fonk 37 trachtete die Welt in meiner Nach- Thema der Ängste zurückkehren. Der geschützten Raumes zurückkehren zu kriegsjugend mit großer Skepsis, beson- große Psychologe Erich Fromm und der können, das wir Paradies nennen. Das Zsofia Schnelbach und ders Deutschland. Das, was der junge große Philosoph und Politikwissen- Paar wird nie wieder dort hinkommen, Florian Schuller im Gespräch 40 Student da aus den Büchern und Fil- schaftler Karl Popper haben mehrfach aber immer wird es sich danach sehnen men zur Kenntnis nahm über die eigene darüber gesprochen dass es verborgen und daran denken, dass es dort sein Angst Heimat, in der man deutsch sprach, unter den verschiedenen Ängsten so et- könnte. Und es wird sich immerfort deutsche Musik liebte, Hand anlegte was wie eine Grundangst gibt, die die fürchten vor dem, was ihm heute und Kooperationsveranstaltung zum wirtschaftlichen Aufbau, aber über Menschen gar nicht so genau definieren am nächsten Tag zustoßen könnte. In mit dem Bayerischen Rundfunk 42 Massenmorde, Gewalt und Totschlag können. Ein diffuses, verunsicherndes diesem Bild ist das enthalten, was ich in schwieg, das hat mich abgestoßen. Ja, Grundgefühl: Die Furcht vor der Frei- Kurzform als anthropologische Kons- Vernissage und Ausstellung ich kann sagen: Ich habe dieses Land heit. Eine nicht völlig von uns erkannte, tante beschrieben habe. Wir haben die gehasst. Und dann lese ich da in der uns aber immer begleitende Furcht vor Freiheit der Wahl, wir haben auch (be- Open End Heiligen Schrift: Gott schuf den Men- dem weiten Raum der Freiheit. Karl grenzt) Kraft und Mut, aber ohne Ängs- Arbeiten der Klasse Karin Kneffel schen nach seinem Bilde. Ich weiß, was Popper und noch stärker Erich Fromm te ist diese Freiheit nicht zu haben. der Akademie der Bildenden man dann sagt – es gibt ja Bücher, da hielten diese Angst für eine anthropo- Wenn wir uns diese Prägung der Künste München 43 kann man nachlesen, was ein Pastor logische Konstante, nicht für einen Feh- menschlichen Psyche vor Augen führen, dann predigen kann. Jedenfalls empfand ler im System des Menschen, sondern erkennen wir, wie leicht es ist, das The- Impressum 5 ich die Bibelstelle als so provokant, – für einen Teil seiner Grundausstattung. ma im Politischen zu instrumentalisieren. zur debatte 3/2019 3
Foto: Hennig Langenheim/picture alliance – akg Pfarrer Joachim Gauck – hier auf einer Podiumsdiskussion 1999 – war einer der engagiertesten Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR und später Bundes- beauftragter für die Stasi-Unterlagen. Das ist generell ein Problem der politi- musst dich nicht vor der Zukunft fürch- tie, wie sie sich einmal entwickelt hat, dass sie Freiheit vermissen. Jetzt er- schen Diskurse, aber es erfolgt überall ten, wenn du auf uns hörst und wir dir mit all ihren zweifellos vorhandenen scheint sie ihnen oft als zu umfassend dort zugespitzt und manipulativ, wo ge- sagen: Es ist die geordnete Welt wieder- Problemen, zurückverwandelt wird in und zu bedrohlich und Angst machend, rade populistische Bewegungen die De- herzustellen, die wir früher erlebt haben. eine gelenkte Ordnung oder ein autori- doch plötzlich wird es ihnen an Freiheit mokratie in Frage stellen. Das Tröstende Ich sehe allerdings keinen Ort in der täres System. Und wenn dieser Prozess fehlen. für viele Menschen, die solchen Bewe- Welt, wo das gelingen kann. Ich sehe erst einmal angefangen hat, dann wer- Vielleicht machen wir, die wir die gungen folgen, ist das Versprechen: Du nur Orte in der Welt, wo die Demokra- den die Menschen plötzlich merken, Freiheit und die Demokratie verteidigen, General a. D. Klaus Naumann mit Kardinal Reinhard Marx (re.) und ZEIT. Das überarbeitete Referat von Christoph von Marschall und Brigade- Patrik Schwarz, Geschäftsführender Joachim Gauck ist auch in der Ham- general Helmut Dotzler, Befehlshaber Redakteur der Wochenzeitung DIE burger Wochenzeitung erschienen. des Landeskommandos Bayern der Bundeswehr. 4 zur debatte 3/2019
Foto: Britta Pedersen/dpa Am 23. März 2012 leistete Joachim Gauck vor dem damaligen Bundestags- präsidenten Norbert Lammert seinen Amtseid als Bundespräsident. einen Fehler, wenn wir der Ängstlich- da so viele sind, die sich so sorgen um da nicht hingehen und sagen, mein keit allein mit kühler Sachlichkeit be- all das, was (noch) nicht gelingt? Es Gott, wie freue ich mich, dass dieses gegnen. Unsere Freude daran, gestalten mag in Süddeutschland ja anders sein, Land so geworden ist, wie es ist, wie er- zu können, mag sich auch deshalb aber bei uns im Norden ist es so: Wenn folgreich, friedlich, schön. Da gelten Sie manchmal nicht zeigen, weil wir uns oft genieren. Wieso kann ich mich freuen über das, was zu gestalten gelingt, wenn du in bestimmten Zirkeln ernst genom- men werden willst, musst du einen be- drückten Eindruck machen. Du kannst leicht für unbedarft. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Aber es ist eine Ge- fahr, dass wir die Gefahren und Sorgen zur debatte und Probleme überzeichnen und uns Themen der Katholischen Akademie die Erfolge kleinrechnen. Als würden in Bayern wir ein Fernglas umdrehen und das, Jahrgang 49 was im Normalfall nahe bei uns, plötz- lich ganz weit weg ist. Herausgeber und Verleger: Katholische Akademie in Bayern, München Akademiedirektor PD Dr. Achim Budde IV. Redaktion: Dr. Robert Walser (verantwort.), Dominik Fröhlich Wir wollen das, was Angst macht, er- Fotos: Akademie kennen, aber wir wollen Fluchtreflexen Anschrift von Verlag u. Redaktion: nicht folgen. Ich will wirklich nicht so Katholische Akademie in Bayern, tun, als ob das leicht wäre. Und ich Mandlstraße 23, 80802 München Postanschrift: Postfach 401008, weiß, dass man denen mehr zuhört, die 80710 München, Fake News verbreiten oder Hysterie. Telefon 0 89/38 10 20, Telefax 0 89/38 10 21 03, Bei den politischen Hysterikern: da ist E-Mail: info@kath-akademie-bayern.de Aufruhr, da wird gefühlt. Wir müssen Druck: Kastner AG – Das Medienhaus, dann aber fragen: Wo ist dein Politikan- Schloßhof 2 – 6, 85283 Wolnzach. zur debatte erscheint zweimonatlich. satz zukunftsträchtig? Was sind deine Kostenbeitrag: jährlich E 35,– (freiwillig). sowohl langfristigen wie aktuellen Vor- Überweisungen auf das Konto der Katholischen stellungen zur Bewältigung des techno- Akademie in Bayern, bei der LIGA Bank: logischen Umbruchs, der Krise in der Kto.-Nr. 2 355 000, BLZ 750 903 00 internationalen Zusammenarbeit, des IBAN: DE05 7509 0300 0002 3550 00 drohenden Klimawandels oder zum SWIFT (BIC): GENODEF1M05. Nachdruck und Vervielfältigungen jeder Art sind Umgang mit massenhafter Migration? nur mit Einwilligung des Herausgebers zulässig. Da, denke ich, werden wir ganz große Überraschungen erleben. Da kommt General Klaus Naumann und der nämlich fast nichts. Und die Diskrimi- Patentanwalt Dr.-Ing Ulrich Breit. nierung von anderen, der Hass auf Fremde, das Liebäugeln mit starken Führern – all das wird unsere Probleme nicht lösen, aber unsere Seelen vergiften. zur debatte 3/2019 5
Nationalismus nationale Prägungen können, können wir uns neue Hand- nicht mehr akzeptiert oder automatisch lungsfähigkeit erwerben – auch in einer verdächtigt, dann ist man einen Schritt Weise, die vielen von uns bisher noch zu weit gegangen. So kann aus einer fremd ist. guten pädagogischen Absicht und aus einer positiven Selbstkritik auch so et- was wie eine neurotische Feindschaft gegen das Eigene werden. Und diese neurotische Feindschaft gegen das Eige- ne hat dann bei vielen zu einer Ferne von jeder Art von Selbstbewusstsein ge- führt – manchmal sogar zu einer Ver- nachlässigung nationaler Interessen. Presse Die Amerikaner, Franzosen und Briten DIE ZEIT haben es uns übrigens nie abgenom- 14. Februar 2019 – Bundespräsidenten men, aber wir selbst haben tatsächlich machen sich rar, das gilt auch für solche empfunden, dass wir nicht so wichtig außer Dienst. Es war also eine kalku- sind, weil wir nicht so wichtig sein dür- lierte Pointe, dass Joachim Gauck eine fen. Bei Autos und Fußball, da durften Woche vor Eröffnung der Sicherheits- wir in der ersten Reihe stehen. Aber auf konferenz in München vorbeischaute, anderen Ebenen nicht. um den ab Freitag dort versammelten Ich finde, dass wir denen, die sehr Mächtigen seine Sicht auf Trump, China früh angefangen haben mit „Ich bin und die deutsche Unlust an der Selbst- stolz, ein Deutscher zu sein“, nicht fol- verteidigung auf den Weg zu geben – Münchens Erzbischof Kardinal gen dürfen – denn die sind stolz auf ein fünf Jahre nach seiner aufsehenerregen- Reinhard Marx im Gespräch mit Deutschland, das ich ablehne und ver- den Rede auf ebendieser Konferenz, in Joachim Gauck. achte. Aber warum entwickeln wir kei- der er mehr Engagement in der Welt nen positiven Bezug zu diesem so ge- gefordert hatte. Die zweite Pointe war wordenen Hort des Rechtes, der Frei- die Wahl des Ortes: Der Protestant und heit und der Demokratie? Warum be- Pastor Gauck sprach in der Katholischen kennen wir uns dazu nicht in Dankbar- Akademie in Bayern, gemeinsam getra- keit und Freude und meinetwegen auch gen von allen Bistümern des Freistaats Abschließend muss ich noch eine Be- Europäer. Deutschland? Nein. Die mit Stolz? und idyllisch am Englischen Garten ge- merkung anfügen: Als ich in die gesamt- deutsche Fahne? Oh, sehr verdächtig. Aus dieser Freude heraus entstehen legen. deutsche Politik eintrat, begegnete ich Diese Farben, schwarz-rot-gold, aus ih- dann auch die Kräfte, die gegen die einer Vorstellung von Deutschland, die ren Ursprüngen der deutschen Demo- Angst aktiv werden können. Der Glau- Katholische Nachrichtenagentur sehr defizitär war. Ich traf in West- kratie herausgewachsen, jedenfalls ein be hilft dabei. Er will nicht Menschen, 1. Februar 2019 – Mit Sorge sieht der deutschland auf Intellektuelle, die den geschätztes Symbol aufgeklärter Men- die aus der Verantwortung fliehen, son- einstige Bundespräsident, dass sich Begriff der Nation gar nicht mehr be- schen. dern unser Gott ist ein Gott, der die mittlerweile der Populismus auch in nutzen wollten. Es hatte sich bei klugen Rückblickend sehen wir: Es war gut Aufbrüche segnet und Menschen bei ih- Deutschland etabliert habe - ein Politik- Leuten eingebürgert, Deutschland eine und nötig, dass sich Deutsche ihrer ren Aufbrüchen begleitet. Unsere De- stil, den er hier eigentlich nicht sehen postnationale Demokratie zu nennen. übergroßen Schuld in der Vergangen- mokratie ist ein Land, das den Einzel- wolle. Dabei werde mit den Ängsten der Damit konnte jeder leben: Demokratie heit bewusst geworden sind und dann nen nicht verachtet, und sei er noch so Menschen gearbeitet. Es gebe aber nun ist gut, Nation schlecht, und wir sind skeptisch gegenüber jeder Form des schwach, sondern das ihm Möglichkei- einmal keine offene Gesellschaft ohne eben postnational, das heißt, wir sind Nationalismus waren. Aber wenn man ten gibt. Gestützt auf unsere Erfah- Phasen von Angst und Unsicherheit. erwachsen geworden, wir sind jetzt so weit geht, dass man aus Furcht vor rungsgüter, die wir weltweit vorzeigen Barbara Just Welche Bildung wollen wir Ein Gespräch zwischen Annette Schavan und Klaus Zierer Die frühere Bundesbildungsministe- rin Dr. h.c. Annette Schavan sowie der Erziehungswissenschaftler und Pädago- gikprofessor Klaus Zierer von der Uni- versität Augsburg sehen in einer ver- nünftigen Digitalisierung des Klassen- zimmers eine vordingliche Aufgabe der schulischen Bildungspolitik. Bei der Veranstaltung „Welche Bildung wollen wir“ am 22. Mai 2019 in der Katholi- schen Akademie in Bayern machten aber beide klar, dass es nicht ausreiche, einfach nur High-Tech-Geräte in die Schulen zu bringen. Mindestens genau- so wichtig sei eine entsprechende Schu- lung des Lehrpersonals. In dem von der BR-Journalistin Vera Cornette moderierten Gespräch im Sa- lon von Schloss Suresnes sprachen sich die Politikerin und der Bildungsforscher auch nachdrücklich dafür aus, die Lehr- pläne an den Gymnasien komplett zu überarbeiten. Und das betreffe sowohl die Curricula von acht-, wie die von neunjährigen Gymnasien. „Heute ist Anderes gefragt als vor 40 Jahren“, so ihre übereinstimmende Meinung. Die Bildungspolitik, so eine weitere nicht-gymnasialen Schularten hätten BR-Journalistin Vera Cornette moderier- Mahnung des Duos, dürfe auch nicht eine eigenständige Daseinsberechtigung te das Salon-Gespräch zwischen nur auf das Gymnasium schauen. Die- und dürften nicht als kürzeres Gymna- Annette Schavan und Klaus Zierer. ser „Akademisierungswahn“ sei eine sium gesehen werden. Im Gegenteil unkluge Engführung, die so weit gehe, müssten sie sich inhaltlich deutlich da- dass Haupt-, Mittel,- und Realschulen von absetzen, so zum Beispiel durch regelrecht abqualifiziert würden. Die mehr Praxisanteile in den Lehrplänen. 6 zur debatte 3/2019
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