Zur debatte - Katholische Akademie Bayern

 
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Zur debatte - Katholische Akademie Bayern
B 215 75 F

                                           zur debatte
3/2019                                       Themen der Katholischen Akademie in Bayern

7                                          17                                       23                                         31
Auf die religiöse Neutralität des Grund-   Prof. Dr. Hubert Wolf zum Projekt        Dr. des. Franziska Nicolay-Fischbach       BR-Intendant Ulrich Wilhelm ist zu
gesetzes weist Prof. Dr. Horst Dreier      „online-Edition der Faulhaber-Tage-      fragt, inwieweit Kardinal Faulhaber die    Gast bei „Mittags im Schloss“
hin                                        bücher“                                  re-education förderte

                                      9                                       22                                       27                                           37
Das Neutralitätsgebot ist kein Kampf-      Faulhaber und die Entnazifizierung ist   Prof. Dr. Ulrich Körtner spricht sich      Dr. Zsofia Schnelbach erhielt den
konzept repliziert Prof. Dr. Paul Kirch-   das Thema von Moritz Fischer             gegen Moralisierung und Emotionalisie-     Kardinal Wetter Preis 2018
hof                                                                                 rung in Politik und Kirche aus

Ein Abend mit Bundespräsident a.D.                                                  Herausforderungen in einer unsicheren
Joachim Gauck                                                                       Welt
                                                                                    Joachim Gauck

Freiheit und
Verantwortung                                                                                          I.

                                                                                       Ob in den Fachkreisen oder in der
                                                                                    Presse: Landauf, landab wird augen-
                                                                                                                                   Heute nun sehe ich Entwicklungen
                                                                                                                               in unserem Land und auch bei unseren
                                                                                                                               nahen und fernen Nachbarn, die mir
                                                                                                                               Sorgen bereiten. Wie in fast allen euro-
                                                                                    blicklich immerfort diskutiert über die    päischen Ländern hat sich auch bei uns
                                                                                    Ordnung der Welt, die ins Rutschen ge-     der Populismus politisch etabliert. Ver-
                                                                                    rät, und besorgt gesprochen über die       treter einer rechtsnationalen Politikvari-
                                                                                    Außen- und Sicherheitspolitik, deren       ante sitzen im Deutschen Bundestag
                                                                                    Akteure nicht mehr verlässlich sind. In    und in allen Landesparlamenten – eine
                                                                                    München laufen die Vorbereitungen zur      Entwicklung, die uns lange nicht er-
                                                                                    55. Sicherheitskonferenz, und wir kön-     reicht hatte, obwohl sie in unseren
                                                                                    nen uns schon jetzt vorstellen, dass Ar-   Nachbarländern schon lange auf der
                                                                                    tikel und Schlagzeilen erneut fragen       Tagesordnung war.
                                                                                    werden: Geht es überhaupt noch weiter          In Italien hat sich mit der Regierung
                                                                                    mit einer wertebasierten Weltordnung;      aus Linkspopulisten und Rechtspopulis-
                                                                                    wie ist es mit dem Multilateralismus;      ten ein demagogischer Politikstil einge-
                                                                                    können wir nach Trump und anderen          schlichen, der uns unvertraut ist, und
                                                                                    Menschen, die in der Welt große Schat-     den ich in Deutschland nicht sehen
                                                                                    ten werfen, noch damit rechnen, dass       möchte. Aber auch in den demokrati-
                                                                                    ein friedliches Zusammenleben Zukunft      schen Musterländern in Skandinavien –
                                                                                    hat?                                       in wunderbaren, entwickelten Demo-
                                                                                       Mit Erschrecken sehen wir die zu-       kratien mit einem ausgeprägten Sozial-
                                                                                    nehmende Friedlosigkeit und eine Ero-      staat – gibt es Bewegungen, die Natio-
                                                                                    sion des Vertrauens zwischen den Staa-     nalismus in einer relativ starken Aus-
                                                                                    ten. Vor fünf Jahren, bei der Eröffnung    prägung wieder zu einem wichtigen
                                                                                    der 50. Münchner Sicherheitskonferenz,     Element der Politik machen. Polen und
                                                                                    habe ich in dieser Stadt laut darüber      Ungarn haben sich unter rechtsnationa-
Bundespräsident a. D Joachim Gauck                                                  nachgedacht, welches Format Deutsch-       len Regierungen zu einer illiberalen Po-
bei seiner Rede in der Akademie.                                                    land in Europa und in der Welt haben       litik entschieden. In Frankreich gehen
                                                                                    solle. Es erschien mir wichtig, die        Zehntausende auf die Straße gegen ei-
                                                                                    Landsleute daran zu erinnern, dass wir     nen Staatspräsidenten, der vor nicht
                                                                                    mit dem Vertrauen, das wir zum Rechts-     einmal zwei Jahren noch Hoffnungsträ-
Chancen und Risiken sowie Zuver-           doch unsicheren Welt sieht. Nur in       staat, zur Demokratie, zur Freiheit ent-   ger war. Und mit dem Austritt Großbri-
sicht und Angst liegen für Joachim         einer freiheitlichen Gesellschaft, da    wickelt haben, eine Nation geworden        tanniens droht der Europäischen Union
Gauck sehr eng zusammen. Mit einer         war sich Gauck sehr sicher, könnten      sind, auf die man sich verlassen kann.     die größte Bewährungsprobe seit ihrer
sehr lebhaften, positiv gestimmten und     all diese Probleme gelöst werden,        Dazu kommt eine erhebliche wirtschaft-     Gründung. All das sind relativ neue, re-
immer wieder auch persönlich gefärb-       allerdings nur dann, schränkte er ein,   liche Stärke, die uns zu einem wichtigen   lativ beunruhigende Entwicklungen, die
ten Rede legte der frühere Bundesprä-      wenn die Bürgerinnen und Bürger          Partner verschiedener Nationen macht.      das traditionelle Parteiengefüge vieler-
sident am Abend des 31. Januars 2019       Verantwortung übernehmen würden,         Deutschland, so meinte ich, müsse sich     orts kräftig durchrütteln und dem euro-
vor rund 550 Zuhörern in der Katho-        Verantwortung für sich, für andere       daher in verschiedenen Bereichen inter-    päischen Gefüge schon jetzt tiefe Risse
lischen Akademie in Bayern dar,            und für das Gemeinwesen.                 nationaler Zusammenarbeit stärker ein-     zugefügt haben.
welche Herausforderungen er in einer                                                bringen – nicht nur, aber auch auf dem         Im Osten und Nahen Osten sieht es
                                                                                    Gebiet der Sicherheit.                     noch bedrückender aus. Autokratische
Führer lieben es, ihre Politik der Stärke

Editorial
                                         der Stärke des Rechtes vorzuziehen. Sie
                                         bewegen sich aus dem Kreis der Demo-
                                         kratien heraus und empfinden es als le-
                                         gitim, Krisen und Konflikte auch in der
  Liebe Leserinnen und Leser,            eigenen Nachbarschaft zu provozieren,
                                         oder, wie durch Russland geschehen,
   „die Beziehungen zwischen Kirche      Territorien sogar völkerrechtswidrig zu
und Welt zu klären und zu fördern“       besetzen. Darüber hinaus mischen sich
ist laut Satzung der Zweck der Katho-    Russland, der Iran, auch die Türkei of-
                                         fen in den syrischen Bürgerkrieg ein,
lischen Akademie in Bayern. Diesem       mal als Verbündete, mal als Gegner, um
Auftrag kommt die Akademie in ers-       ihre großmachtpolitischen Interessen
ter Linie durch ihre Veranstaltungen     abzusichern und sich in der Region als
nach, in denen sie Themen behandelt,     permanenter Machtfaktor zu etablieren.
die „klärend“ und wenn immer mög-        Über die massiven außenpolitischen
lich auch „fördernd“ sind.               Vorstöße von China habe ich dabei
   Sinn und Zweck unserer Zeitschrift    noch gar nicht gesprochen. Mit gewal-
„zur debatte“ und auch der anderen       tigen Investitionspakten kaufen sie sich
Medien der Akademie ist es, diese        entlang der Seidenstraße ein bis Ost-
Themen gesellschaftlich möglichst        europa, gestützt auf ein imponierendes
                                         wirtschaftliches Wachstum bei gleich-
breit zu streuen. An dieser Stelle       zeitiger Stabilisierung einer vormoder-
möchte die Redaktion einmal allen        nen Herrschaft der Wenigen über die
Autorinnen und Autoren dafür dan-        Vielen.                                                                                  Ilse Ruth Snopkowski, Vorsitzende der
ken, dass sie sich die Mühe machen,         Das alles könnten wir noch leichter                                                   Gesellschaft zur Förderung jüdischer
die gesprochenen Vorträge zusätzlich     ertragen, wenn unsere Hauptpartner                                                       Kultur und Tradition, saß zusammen
noch zu verschriftlichen, zu ergänzen    des Westens, die Vereinigten Staaten, in                                                 mit Prof. Dr. Heinrich Oberreuter. Der
und zu autorisieren.                     der Weise verlässlich wären, wie sie es                                                  Politikwissenschaftler ist Redaktions-
   Mit einer Abo-Auflage unserer Zeit-   für uns Europäer über Jahrzehnte wa-                                                     leiter des Staatslexikons.
schrift von gut 10 000 Exemplaren,       ren. Aber verunsichert durch den unbe-
von denen Sie gerade eines in Hän-       rechenbaren Gestus von Donald Trump
                                         sind nicht nur die Amerikaner, sondern
den halten, und unseren YouTube-         natürlich auch wir Europäer. Ich bin ein
Kanälen – die Akademie bestückt seit     Herzens-Atlantiker, und ich werde nie-      Informationszeitalter eröffnen. Unsere       zuständig zu sein für den Raum, in dem
rund drei Jahren regelmäßig einen        mals die Rolle der Vereinigten Staaten      Vorfahren haben sich vor siebzig Jahren      wir leben. Und wir spüren dabei: Die
Video- und einen Audio-Kanal – do-       für den Erhalt der Freiheit in Europa       ermächtigt, nach einem tiefen Fall diese     Freiheit der Erwachsenen heißt Verant-
kumentieren wir Vorträge und Dis-        vergessen. Mir ist der dortige Präsident    Demokratie zu errichten, diesen Rechts-      wortung. Aber kann das nicht auch er-
kussionen. Auf den YouTube-Kanälen       wirklich suspekt, aber daraus abzulei-      staat zu stabilisieren, diese Wirtschafts-   schrecken? Dann müsste ich ja eine
finden Sie mittlerweile zusammen 400     ten, dass wir einen Rückzug der Verei-      ordnung zu etablieren. Das ging nur im       Meinung dazu haben, mit wie viel Geld
Audios und Videos. Bequem zu errei-      nigten Staaten als günstig für den gan-     Glauben an die eigenen Möglichkeiten.        ich die Sozialpolitik unterstütze, mit
chen sind all diese elektronischen       zen Erdball betrachten sollten, würde       Das ist es, was uns eine innere Stärke       wie viel die Umweltpolitik, mit wie viel
Medien über die Mediathek der Aka-       ich für einen ganz schwerwiegenden          geben sollte: ein Erfahrungsgut des Ge-      die Verteidigungspolitik, die Schulpoli-
                                         Irrtum, schlichtweg für politische          lingens. Dieses Zutrauen zu uns und zu       tik. All dies müsste ich selber mit durch-
demie-Website: www.kath-akademie-        Dummheit halten. Ich sehe nicht, dass       unserem Potential müssen wir bemü-           denken. Ist es da nicht doch einfacher,
bayern.de/mediathek – Stichwort-         das vielleicht sogar führungswillige        hen, um uns und die Gesellschaft in den      auf die da oben zu schimpfen? Denn
register erleichtern die Suche.          Frankreich zusammen mit dem eher            gegenwärtigen Phasen von Unsicherheit        selbst, wenn ich mich nicht beteilige, er-
   Auch eine gute Zahl von debatte-      nicht führungsbereiten Deutschland an       und Angst zu ermächtigen.                    laube ich mir ja immer noch ein Urteil
Artikeln – aus den Ausgaben der Jah-     die Stelle dessen treten könnte, was           Der große Søren Kierkegaard hat in        über „sie“.
re 2017, 2018 und 2019 – stellen wir     Amerika für uns sicherheitspolitisch ge-    seinem Jahrhundert, dem 19. Jahrhun-            In der vormodernen Gesellschaft
in der Mediathek als podcast und zum     leistet hat. Mit welchen Potentialen und    dert, die Angst den Schwindel der Frei-      kannte jeder seinen Platz: Er war nicht
Download zur Verfügung; sie sind na-     mit welcher inneren Haltung sollten         heit genannt. Vielleicht erschließen wir     frei, er fühlte sich manchmal auch ge-
türlich ebenfalls mit Schlagworten er-   denn diese beiden größten Länder das        uns diese Aussage am besten, wenn wir        gängelt, aber das ganze System hing
                                         bewältigen? Gleichwohl halte ich eine       uns erinnern, dass Freiheit unglaubliche     nicht von ihm ab. Er war eingeordnet,
schlossen. Und dasselbe gilt für die
                                         Stärkung der europäischen Verteidigung      Handlungs- und Spielräume eröffnet,          er hatte eine gewisse Rollensicherheit
dort eingestellten Bücher zu Themen      für sinnvoll.                               zahllose Möglichkeiten, Möglichkeiten        und Beheimatung, einen gewissen Halt.
der Akademie oder den publizierten          In Sicherheitsfragen herrscht in den     zum Guten aber auch zum Schlechten.          Es war die Freiheit der Moderne, die
Werken des Theologen und Religions-      reichen Ländern des Westens allerdings      Kann einen das nicht schon schwindlig        den Menschen herauslöste aus dieser
philosophen Romano Guardini, des-        eine gewisse Sorglosigkeit, verbunden       machen? Und dann das Phänomen,               festen Verortung in der Gesellschaft. Es
sen wissenschaftliches Erbe die Aka-     mit einem weit verbreiteten Wunsch-         dass wir es sind, die in der Demokratie      ist die moderne Gesellschaft, die uns in
demie verwaltet.                         denken. Herfried Münkler nennt unsere       die Verantwortung tragen: wir alle als       den Individualismus entlässt und uns
   Verbreitet werden die Themen der      Zeit die „postheroische“ Zeit. Ich weiß     citoyen, als Bürger, und nicht irgend-       zumutet, über die grundlegenden Dinge
Katholischen Akademie in Bayern          zwar nicht, welche heroischen Zeiten        welche Könige, Fürsten oder Führer.          selbst zu entscheiden: Wie wir unser
auch über eine erkleckliche Zahl von     für Deutschland besser waren. Aber          Die Demokratie ist unsere Sache! Aus         Leben gestalten und was unserem Le-
                                         wenn postheroisch bedeutet, nicht mehr      eigenem Antrieb entscheiden wir uns,         ben Sinn gibt. Ist es verwunderlich, dass
Berichten in Zeitungen und Zeit-
                                         zu wissen, was und wie wir uns verteidi-
schriften sowie auch mittels der Zu-     gen wollen, dann kann da irgendetwas
sammenarbeit der Akademie mit            mit unserem Nationalgefühl nicht stim-
Fernsehsendern. So freuen wir uns        men.
über eine enge Kooperation mit ARD-
alpha, dem Bildungskanal des Bayeri-                        II.
schen Rundfunks, und die regelmäßi-
ge Berichterstattung im Fernsehmaga-        Zusätzlich zu diesen außenpolitischen
zin „Kirche in Bayern“ in den priva-     Problemen haben wir es noch mit inne-
ten, lokalen Fernsehsendern in Bay-      ren Problemen zu tun. Wir erleben gro-
                                         ße Unsicherheit und eine diffuse Angst,
ern.
                                         vielleicht vergleichbar nur mit großen
Auch diese Berichte werden – nach        Umbruchzeiten wie der Kopernikani-
ihrer Erstsendung – in der Mediathek     schen Wende oder dem Beginn des In-
zum podcast angeboten.                   dustriezeitalters. Viele fürchten heute
   Die Themen „zur debatte“ im vor-      die neue Welt der Computer, der künst-
liegenden Heft entnehmen Sie bitte       lichen Intelligenz, viele fühlen sich
dem Inhaltsverzeichnis auf der kom-      nicht oder nur unzureichend ausgestat-
menden Seite. Wir hoffen, dass wir       tet mit Wissen über das Funktionieren
mit den publizierten Texten für Sie      der vernetzten digitalen Welt. Sie fürch-
einiges „klären“ und sogar „fördern“     ten sich vor dem Verlust ihrer Autono-
                                         mie und sind sich unsicher, welche Rol-
können.
                                         le sie in der Zukunft einnehmen wer-
                                         den.
                                            Politik darf diese Ängste nicht igno-
  Mit den besten Wünschen für Sie        rieren. Aber Politik muss den verun-
im Namen der Redaktion                   sicherten Menschen gemeinsam mit der
                                         Wirtschaft auch die vielen Möglichkei-                                                   Auch in der Diskussionsrunde argu-
  Dr. Robert Walser                      ten und Chancen vor Augen führen, die                                                    mentierte Joachim Gauck sehr klar und
                                         sich mit dem Übergang in ein neues                                                       engagiert.

2   zur debatte 3/2019
Zersplitterung des Westens                                                                                                           Themen „zur debatte“
                                                                                                                                      Editorial                             2
    In der sich dem Vortrag anschlie-        man sich wehren kann und das auch           sondern klare Einsichten und Haltun-
 ßenden Podiumsdiskussion, die von           tun würde. General a. D. Klaus Nau-         gen. Prof. Dr. Ursula Münch, Politik-        Ein Abend mit Bundespräsident a.D.
 dem Journalisten Dr. Christoph von          mann, der frühere Vorsitzende des           wissenschaftlerin, Direktorin der Aka-       Joachim Gauck
 Marschall, Mitglied der Chefredaktion       NATO-Militärausschusses und intimer         demie für Politische Bildung in Tut-         Freiheit und Verantwortung
 des Berliner Tagesspiegel, moderiert        Kenner der internationalen Politik, rief    zing und ebenfalls auf dem Podium,
 wurde, legte Joachim Gauck dann wei-        beim Gespräch dazu auf, sich der Be-        sah die Hauptsorge hingegen in der           Herausforderungen in einer
 terhin dar, dass man Bedrohungen            drohung der Freiheit durch autoritäre       zunehmenden Zersplitterung des Wes-          unsicheren Welt
 von außen nur dann meistern könnte,         Staaten – China und Russland an erster      tens. Exemplarisch und besonders gra-        Joachim Gauck                      1
 wenn man dem Gegenüber Paroli               Stelle – erst einmal bewusst zu werden.     vierend sei für sie der Brexit.
 böte. Es müsse glaubhaft sein, dass         Nicht mehr Waffen seien die Lösung,                                                      Staat ohne Gott?
                                                                                                                                      Ein Streitgespräch zwischen den
                                                                                                                                      Verfassungsrechtlern Horst Dreier
                                                                                                                                      und Paul Kirchhof
                                                                                                                                      Exposition
                                                                                                                                      Horst Dreier                       7
                                                                                                                                      Erwiderung
                                                                                                                                      Paul Kirchhof                      9
                                                                                                                                      Das Streitgespräch                11

                                                                                                                                      Michael Kardinal von Faulhaber
                                                                                                                                      Das Tagebuch 1945 geht online
                                                                                                                                      Eingangsstatement
                                                                                                                                      Hubert Wolf                        17
                                                                                                                                      Faulhabers Kriegschronik
                                                                                                                                      aus dem Jahr 1945
                                                                                                                                      Philipp Gahn                       18
                                                                                                                                      Faulhaber und das KZ Dachau
                                                                                                                                      Raphael Hülsbömer                  20
 Diskutierten unter der Leitung des                                                                                                   Faulhaber und die Entnazifizierung
 Journalisten Dr. Christoph von Mar-                                                                                                  Moritz Fischer                     22
 schall (r.): Joachim Gauck, Prof. Dr.                                                                                                Faulhaber: Freund der Amerikaner –
 Ursula Münch und General a. D. Klaus                                                                                                 Förderer der re-education?
 Naumann (v.r.n.l.)                                                                                                                   Franziska Nicolay-Fischbach        23
                                                                                                                                      Zusammenfassung
                                                                                                                                      Andreas Wirsching                  25

                                                                                                                                      Akademiegespräch mit Offizieren
dann eine Unsicherheit im Raum ist, zu-      dieser Mensch als Gottes Ebenbild –            Interessant, dass auch der eher linke     der Bundeswehr
mal in Zeiten eines fragilen Übergangs?      dass ich mir vorgenommen hatte: Dar-        Psychotherapeut und Psychologe Fromm         Für die Vernunft
   Es gibt keine offene Gesellschaft         über predigst du nie.                       auf die Bibel verweist und dort eine ar-     Wider Moralisierung und
ohne gleichzeitige Phasen von Ängst-            Aber irgendwann, ich war schon alt       chetypische Geschichte findet, wieder in     Emotionalisierung in Politik
lichkeit und Unsicherheit. Wir sind          geworden, kehrte die Bibelstelle zu mir     der Genesis, die Geschichte von Adam         und Kirche
Menschen, wir sind nicht Götter, wir         zurück. Ich konnte den Text plötzlich       und Eva. Da wird also der Apfel weiter-      Ulrich Körtner                       27
sind nicht Gott. Aber – und ich wieder-      lesen und sagte: Oh, was für ein schö-      gereicht – der Gläubige weiß da schon:
hole es, weil es so wichtig ist: Wir wis-    nes Wort. Und wissen Sie, wie das           Das ist Sünde, Gott will es nicht, das tut
sen aus der Erfahrung, dass uns Kräfte       kam? Es hängt mit diesem Begriff der        man nicht. Aber scheinbar paradoxer-         Literatur im Gespräch
zuwachsen können, die die Ängste we-         Verantwortung zusammen. Für mich            weise hat Gott den Menschen so ge-
der leugnen noch löschen, aber die sie       hieß dieser Text plötzlich: Gott schuf      schaffen, dass er auch tun kann, was er      Erich Garhammer trifft
relativieren, und die uns in das Stadium     den Menschen mit einer geheimnisvol-        nicht tun soll. Also schlussfolgerte der     Navid Kermani                        30
von Handlungsfähigkeit setzen. Kräfte,       len Gabe, die kein anderes Geschöpf         Psychologe aus diesem schönen alten
die die in uns ruhende Verantwortungs-       hat, sondern nur er. Der Mensch kann        mythischen Text: Der Schöpfer hat den        Mittags im Schloss
bereitschaft, die Mut, Tatkraft, Innovati-   sich selber erkennen und für sich selber    Menschen als freies Geschöpf gewollt.
                                                                                                                                      Zu Gast BR-Intendant
onsbereitschaft, Risikobereitschaft, die     und für andere Verantwortung überneh-       Er hat ihn in die Freiheit hinein gebo-
                                                                                                                                      Ulrich Wilhelm                       31
all das wecken. Wenn du dir dann das         men. Er kann das in Liebe tun, er kann      ren. Und das Paar entscheidet sich,
erschließt, was in dir als positive Gabe     es mit Mut tun, mit Ängstlichkeit – aber    Gottes Gebot nicht zu folgen, sondern
hineingelegt worden ist, dann bist du        er ist immer gemeint als der, der diese     selbst das Gebot zu setzen: Ich setze        Lange Nacht der Musik
vielleicht einer, der sich nur selten        besondere Fähigkeit besitzt, über die       meine Kraft ein und entscheide mich im
fürchten muss – und das ist eine ganze       niemand anderes sonst auf der ganzen        Rahmen meiner Freiheit. Eine große           Joe Viera und Norisha                36
Menge.                                       weiten Welt verfügt: Er kann Verant-        Tat.
   Lassen Sie mich für einen Moment in       wortung übernehmen. Da hatte sich mir          Aber Erich Fromm lässt uns weiterle-      Wissenschaft für jedermann
mein altes Dasein als Pastor zurückge-       plötzlich etwas erschlossen, auf vielen,    sen. Was passiert nach dieser Tat? Ei-       Wenn Technik den Nerv trifft
hen: Ich hatte als junger Mensch immer       vielen Umwegen des Lebens. Für mich         nen Tag später findet sich das Paar au-
Furcht vor einer bestimmten Bibelstelle      jedenfalls war ein geistliches Wort sehr    ßerhalb des Paradieses: Es ist nackt,        Implantate für elektronische
– vor vielen, aber bei dieser besonders –    irdisch, sehr nah geworden.                 fürchtet sich – wer gibt uns etwas zu es-    Prothesen                            36
aus dem Schöpfungsbericht. Da heißt                                                      sen, wer sagt uns, was wir tun sollen,
es: „Und Gott schuf den Menschen                               III.                      wer schützt uns vor Gefahr, wo sind wir      Kardinal Wetter Preis 2018
nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde                                                     überhaupt. Von jetzt an wird es sich da-
                                                                                                                                      Laudatio auf Zsofia Schnelbach
schuf er ihn“ (1. Mose 1,27). Ich be-           Ich möchte aber noch einmal zum          nach sehnen, in die heile Ordnung eines
                                                                                                                                      Peter Fonk                           37
trachtete die Welt in meiner Nach-           Thema der Ängste zurückkehren. Der          geschützten Raumes zurückkehren zu
kriegsjugend mit großer Skepsis, beson-      große Psychologe Erich Fromm und der        können, das wir Paradies nennen. Das         Zsofia Schnelbach und
ders Deutschland. Das, was der junge         große Philosoph und Politikwissen-          Paar wird nie wieder dort hinkommen,         Florian Schuller im Gespräch         40
Student da aus den Büchern und Fil-          schaftler Karl Popper haben mehrfach        aber immer wird es sich danach sehnen
men zur Kenntnis nahm über die eigene        darüber gesprochen dass es verborgen        und daran denken, dass es dort sein          Angst
Heimat, in der man deutsch sprach,           unter den verschiedenen Ängsten so et-      könnte. Und es wird sich immerfort
deutsche Musik liebte, Hand anlegte          was wie eine Grundangst gibt, die die       fürchten vor dem, was ihm heute und          Kooperationsveranstaltung
zum wirtschaftlichen Aufbau, aber über       Menschen gar nicht so genau definieren      am nächsten Tag zustoßen könnte. In          mit dem Bayerischen Rundfunk         42
Massenmorde, Gewalt und Totschlag            können. Ein diffuses, verunsicherndes       diesem Bild ist das enthalten, was ich in
schwieg, das hat mich abgestoßen. Ja,        Grundgefühl: Die Furcht vor der Frei-       Kurzform als anthropologische Kons-          Vernissage und Ausstellung
ich kann sagen: Ich habe dieses Land         heit. Eine nicht völlig von uns erkannte,   tante beschrieben habe. Wir haben die
gehasst. Und dann lese ich da in der         uns aber immer begleitende Furcht vor       Freiheit der Wahl, wir haben auch (be-       Open End
Heiligen Schrift: Gott schuf den Men-        dem weiten Raum der Freiheit. Karl          grenzt) Kraft und Mut, aber ohne Ängs-       Arbeiten der Klasse Karin Kneffel
schen nach seinem Bilde. Ich weiß, was       Popper und noch stärker Erich Fromm         te ist diese Freiheit nicht zu haben.        der Akademie der Bildenden
man dann sagt – es gibt ja Bücher, da        hielten diese Angst für eine anthropo-         Wenn wir uns diese Prägung der            Künste München                       43
kann man nachlesen, was ein Pastor           logische Konstante, nicht für einen Feh-    menschlichen Psyche vor Augen führen,
dann predigen kann. Jedenfalls empfand       ler im System des Menschen, sondern         erkennen wir, wie leicht es ist, das The-
                                                                                                                                      Impressum                             5
ich die Bibelstelle als so provokant, –      für einen Teil seiner Grundausstattung.     ma im Politischen zu instrumentalisieren.

                                                                                                                                                      zur debatte 3/2019
                                                                                                                                                                           3
Foto: Hennig Langenheim/picture alliance – akg
Pfarrer Joachim Gauck – hier auf einer
Podiumsdiskussion 1999 – war einer
der engagiertesten Bürgerrechtler in der
ehemaligen DDR und später Bundes-
beauftragter für die Stasi-Unterlagen.

Das ist generell ein Problem der politi-   musst dich nicht vor der Zukunft fürch-      tie, wie sie sich einmal entwickelt hat,   dass sie Freiheit vermissen. Jetzt er-
schen Diskurse, aber es erfolgt überall    ten, wenn du auf uns hörst und wir dir       mit all ihren zweifellos vorhandenen       scheint sie ihnen oft als zu umfassend
dort zugespitzt und manipulativ, wo ge-    sagen: Es ist die geordnete Welt wieder-     Problemen, zurückverwandelt wird in        und zu bedrohlich und Angst machend,
rade populistische Bewegungen die De-      herzustellen, die wir früher erlebt haben.   eine gelenkte Ordnung oder ein autori-     doch plötzlich wird es ihnen an Freiheit
mokratie in Frage stellen. Das Tröstende      Ich sehe allerdings keinen Ort in der     täres System. Und wenn dieser Prozess      fehlen.
für viele Menschen, die solchen Bewe-      Welt, wo das gelingen kann. Ich sehe         erst einmal angefangen hat, dann wer-         Vielleicht machen wir, die wir die
gungen folgen, ist das Versprechen: Du     nur Orte in der Welt, wo die Demokra-        den die Menschen plötzlich merken,         Freiheit und die Demokratie verteidigen,

General a. D. Klaus Naumann mit                                                         Kardinal Reinhard Marx (re.) und           ZEIT. Das überarbeitete Referat von
Christoph von Marschall und Brigade-                                                    Patrik Schwarz, Geschäftsführender         Joachim Gauck ist auch in der Ham-
general Helmut Dotzler, Befehlshaber                                                    Redakteur der Wochenzeitung DIE            burger Wochenzeitung erschienen.
des Landeskommandos Bayern der
Bundeswehr.

4   zur debatte 3/2019
Foto: Britta Pedersen/dpa
                                                                                                                                  Am 23. März 2012 leistete Joachim
                                                                                                                                  Gauck vor dem damaligen Bundestags-
                                                                                                                                  präsidenten Norbert Lammert seinen
                                                                                                                                  Amtseid als Bundespräsident.

einen Fehler, wenn wir der Ängstlich-      da so viele sind, die sich so sorgen um   da nicht hingehen und sagen, mein
keit allein mit kühler Sachlichkeit be-    all das, was (noch) nicht gelingt? Es     Gott, wie freue ich mich, dass dieses
gegnen. Unsere Freude daran, gestalten     mag in Süddeutschland ja anders sein,     Land so geworden ist, wie es ist, wie er-
zu können, mag sich auch deshalb           aber bei uns im Norden ist es so: Wenn    folgreich, friedlich, schön. Da gelten Sie
manchmal nicht zeigen, weil wir uns oft
genieren. Wieso kann ich mich freuen
über das, was zu gestalten gelingt, wenn
                                           du in bestimmten Zirkeln ernst genom-
                                           men werden willst, musst du einen be-
                                           drückten Eindruck machen. Du kannst
                                                                                     leicht für unbedarft. Warum das so ist?
                                                                                     Ich weiß es nicht. Aber es ist eine Ge-
                                                                                     fahr, dass wir die Gefahren und Sorgen
                                                                                                                                  zur debatte
                                                                                     und Probleme überzeichnen und uns            Themen der Katholischen Akademie
                                                                                     die Erfolge kleinrechnen. Als würden         in Bayern
                                                                                     wir ein Fernglas umdrehen und das,
                                                                                                                                  Jahrgang 49
                                                                                     was im Normalfall nahe bei uns, plötz-
                                                                                     lich ganz weit weg ist.                      Herausgeber und Verleger:
                                                                                                                                  Katholische Akademie in Bayern, München
                                                                                                                                  Akademiedirektor PD Dr. Achim Budde
                                                                                                        IV.
                                                                                                                                  Redaktion: Dr. Robert Walser (verantwort.),
                                                                                                                                  Dominik Fröhlich
                                                                                        Wir wollen das, was Angst macht, er-      Fotos: Akademie
                                                                                     kennen, aber wir wollen Fluchtreflexen       Anschrift von Verlag u. Redaktion:
                                                                                     nicht folgen. Ich will wirklich nicht so     Katholische Akademie in Bayern,
                                                                                     tun, als ob das leicht wäre. Und ich         Mandlstraße 23, 80802 München
                                                                                                                                  Postanschrift: Postfach 401008,
                                                                                     weiß, dass man denen mehr zuhört, die        80710 München,
                                                                                     Fake News verbreiten oder Hysterie.          Telefon 0 89/38 10 20, Telefax 0 89/38 10 21 03,
                                                                                     Bei den politischen Hysterikern: da ist      E-Mail: info@kath-akademie-bayern.de
                                                                                     Aufruhr, da wird gefühlt. Wir müssen         Druck: Kastner AG – Das Medienhaus,
                                                                                     dann aber fragen: Wo ist dein Politikan-     Schloßhof 2 – 6, 85283 Wolnzach.
                                                                                                                                  zur debatte erscheint zweimonatlich.
                                                                                     satz zukunftsträchtig? Was sind deine
                                                                                                                                  Kostenbeitrag: jährlich E 35,– (freiwillig).
                                                                                     sowohl langfristigen wie aktuellen Vor-      Überweisungen auf das Konto der Katholischen
                                                                                     stellungen zur Bewältigung des techno-       Akademie in Bayern, bei der LIGA Bank:
                                                                                     logischen Umbruchs, der Krise in der         Kto.-Nr. 2 355 000, BLZ 750 903 00
                                                                                     internationalen Zusammenarbeit, des          IBAN: DE05 7509 0300 0002 3550 00
                                                                                     drohenden Klimawandels oder zum              SWIFT (BIC): GENODEF1M05.
                                                                                                                                  Nachdruck und Vervielfältigungen jeder Art sind
                                                                                     Umgang mit massenhafter Migration?           nur mit Einwilligung des Herausgebers zulässig.
                                                                                     Da, denke ich, werden wir ganz große
                                                                                     Überraschungen erleben. Da kommt
General Klaus Naumann und der                                                        nämlich fast nichts. Und die Diskrimi-
Patentanwalt Dr.-Ing Ulrich Breit.                                                   nierung von anderen, der Hass auf
                                                                                     Fremde, das Liebäugeln mit starken
                                                                                     Führern – all das wird unsere Probleme
                                                                                     nicht lösen, aber unsere Seelen vergiften.

                                                                                                                                                        zur debatte 3/2019
                                                                                                                                                                                     5
Nationalismus nationale Prägungen           können, können wir uns neue Hand-
                                                                                       nicht mehr akzeptiert oder automatisch      lungsfähigkeit erwerben – auch in einer
                                                                                       verdächtigt, dann ist man einen Schritt     Weise, die vielen von uns bisher noch
                                                                                       zu weit gegangen. So kann aus einer         fremd ist. 
                                                                                       guten pädagogischen Absicht und aus
                                                                                       einer positiven Selbstkritik auch so et-
                                                                                       was wie eine neurotische Feindschaft
                                                                                       gegen das Eigene werden. Und diese
                                                                                       neurotische Feindschaft gegen das Eige-
                                                                                       ne hat dann bei vielen zu einer Ferne
                                                                                       von jeder Art von Selbstbewusstsein ge-
                                                                                       führt – manchmal sogar zu einer Ver-
                                                                                       nachlässigung nationaler Interessen.
                                                                                                                                   Presse
                                                                                       Die Amerikaner, Franzosen und Briten        DIE ZEIT
                                                                                       haben es uns übrigens nie abgenom-          14. Februar 2019 – Bundespräsidenten
                                                                                       men, aber wir selbst haben tatsächlich      machen sich rar, das gilt auch für solche
                                                                                       empfunden, dass wir nicht so wichtig        außer Dienst. Es war also eine kalku-
                                                                                       sind, weil wir nicht so wichtig sein dür-   lierte Pointe, dass Joachim Gauck eine
                                                                                       fen. Bei Autos und Fußball, da durften      Woche vor Eröffnung der Sicherheits-
                                                                                       wir in der ersten Reihe stehen. Aber auf    konferenz in München vorbeischaute,
                                                                                       anderen Ebenen nicht.                       um den ab Freitag dort versammelten
                                                                                          Ich finde, dass wir denen, die sehr      Mächtigen seine Sicht auf Trump, China
                                                                                       früh angefangen haben mit „Ich bin          und die deutsche Unlust an der Selbst-
                                                                                       stolz, ein Deutscher zu sein“, nicht fol-   verteidigung auf den Weg zu geben –
Münchens Erzbischof Kardinal                                                           gen dürfen – denn die sind stolz auf ein    fünf Jahre nach seiner aufsehenerregen-
Reinhard Marx im Gespräch mit                                                          Deutschland, das ich ablehne und ver-       den Rede auf ebendieser Konferenz, in
Joachim Gauck.                                                                         achte. Aber warum entwickeln wir kei-       der er mehr Engagement in der Welt
                                                                                       nen positiven Bezug zu diesem so ge-        gefordert hatte. Die zweite Pointe war
                                                                                       wordenen Hort des Rechtes, der Frei-        die Wahl des Ortes: Der Protestant und
                                                                                       heit und der Demokratie? Warum be-          Pastor Gauck sprach in der Katholischen
                                                                                       kennen wir uns dazu nicht in Dankbar-       Akademie in Bayern, gemeinsam getra-
                                                                                       keit und Freude und meinetwegen auch        gen von allen Bistümern des Freistaats
   Abschließend muss ich noch eine Be-      Europäer. Deutschland? Nein. Die           mit Stolz?                                  und idyllisch am Englischen Garten ge-
merkung anfügen: Als ich in die gesamt-     deutsche Fahne? Oh, sehr verdächtig.          Aus dieser Freude heraus entstehen       legen.
deutsche Politik eintrat, begegnete ich     Diese Farben, schwarz-rot-gold, aus ih-    dann auch die Kräfte, die gegen die
einer Vorstellung von Deutschland, die      ren Ursprüngen der deutschen Demo-         Angst aktiv werden können. Der Glau-        Katholische Nachrichtenagentur
sehr defizitär war. Ich traf in West-       kratie herausgewachsen, jedenfalls ein     be hilft dabei. Er will nicht Menschen,     1. Februar 2019 – Mit Sorge sieht der
deutschland auf Intellektuelle, die den     geschätztes Symbol aufgeklärter Men-       die aus der Verantwortung fliehen, son-     einstige Bundespräsident, dass sich
Begriff der Nation gar nicht mehr be-       schen.                                     dern unser Gott ist ein Gott, der die       mittlerweile der Populismus auch in
nutzen wollten. Es hatte sich bei klugen       Rückblickend sehen wir: Es war gut      Aufbrüche segnet und Menschen bei ih-       Deutschland etabliert habe - ein Politik-
Leuten eingebürgert, Deutschland eine       und nötig, dass sich Deutsche ihrer        ren Aufbrüchen begleitet. Unsere De-        stil, den er hier eigentlich nicht sehen
postnationale Demokratie zu nennen.         übergroßen Schuld in der Vergangen-        mokratie ist ein Land, das den Einzel-      wolle. Dabei werde mit den Ängsten der
Damit konnte jeder leben: Demokratie        heit bewusst geworden sind und dann        nen nicht verachtet, und sei er noch so     Menschen gearbeitet. Es gebe aber nun
ist gut, Nation schlecht, und wir sind      skeptisch gegenüber jeder Form des         schwach, sondern das ihm Möglichkei-        einmal keine offene Gesellschaft ohne
eben postnational, das heißt, wir sind      Nationalismus waren. Aber wenn man         ten gibt. Gestützt auf unsere Erfah-        Phasen von Angst und Unsicherheit.
erwachsen geworden, wir sind jetzt          so weit geht, dass man aus Furcht vor      rungsgüter, die wir weltweit vorzeigen                                     Barbara Just

Welche Bildung wollen wir
Ein Gespräch zwischen Annette Schavan und Klaus Zierer

   Die frühere Bundesbildungsministe-
rin Dr. h.c. Annette Schavan sowie der
Erziehungswissenschaftler und Pädago-
gikprofessor Klaus Zierer von der Uni-
versität Augsburg sehen in einer ver-
nünftigen Digitalisierung des Klassen-
zimmers eine vordingliche Aufgabe der
schulischen Bildungspolitik. Bei der
Veranstaltung „Welche Bildung wollen
wir“ am 22. Mai 2019 in der Katholi-
schen Akademie in Bayern machten
aber beide klar, dass es nicht ausreiche,
einfach nur High-Tech-Geräte in die
Schulen zu bringen. Mindestens genau-
so wichtig sei eine entsprechende Schu-
lung des Lehrpersonals.
   In dem von der BR-Journalistin Vera
Cornette moderierten Gespräch im Sa-
lon von Schloss Suresnes sprachen sich
die Politikerin und der Bildungsforscher
auch nachdrücklich dafür aus, die Lehr-
pläne an den Gymnasien komplett zu
überarbeiten. Und das betreffe sowohl
die Curricula von acht-, wie die von
neunjährigen Gymnasien. „Heute ist
Anderes gefragt als vor 40 Jahren“, so
ihre übereinstimmende Meinung.
   Die Bildungspolitik, so eine weitere     nicht-gymnasialen Schularten hätten                                                    BR-Journalistin Vera Cornette moderier-
Mahnung des Duos, dürfe auch nicht          eine eigenständige Daseinsberechtigung                                                 te das Salon-Gespräch zwischen
nur auf das Gymnasium schauen. Die-         und dürften nicht als kürzeres Gymna-                                                  Annette Schavan und Klaus Zierer.
ser „Akademisierungswahn“ sei eine          sium gesehen werden. Im Gegenteil
unkluge Engführung, die so weit gehe,       müssten sie sich inhaltlich deutlich da-
dass Haupt-, Mittel,- und Realschulen       von absetzen, so zum Beispiel durch
regelrecht abqualifiziert würden. Die       mehr Praxisanteile in den Lehrplänen. 

6   zur debatte 3/2019
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