Magazin Dom19. Mai 2019 - Friedensprojekt Europa - DER DOM
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Dom 19. Mai 2019 Magazin H 2451 Friedensprojekt Europa „Das ist Ihre Zukunft!“ (Seite 6) 10 Gebote für Europa (Seite 15) Wie das Christentum nach Europa kam (Seite 22) Foto: NASA
Freundschaft, die verbindet Berufskollegs in Bestwig und Menden bieten Schülern Praktika im europäischen Ausland an „Klar möchte ich da wieder hin. rufskolleg Bergkloster Bestwig Da führt kein Weg dran vorbei“, und das Placida Viel Berufskol- lacht Mascha Hansen. Vermittelt leg in Menden mit der „Erasmus+ durch ihre Schule hat die 19-jäh- Mobiltätscharter“ ausgezeichnet. rige nach ihrer Ausbildung zur Die Auszeichnung bescheinigt den Gestaltungstechnischen Assisten- Schulen eine hohe Qualität bei der tin am Berufskolleg Bergkloster Durchführung der Praktika und Bestwig über das Programm Eras- gibt ihnen eine Förderungsgaran- mus Pro gerade ein halbes Jahr tie bis 2020. in der nordirischen Stadt Derry verbracht. Dort arbeitete sie bei 89 Praktikanten im Mai einer gemeinnützigen Initiative Im Mai 2019 nehmen aus Beswig zur Förderung von Schulkindern. 70 und aus Menden 19 Auszubil- „Und das hat richtig Spaß ge- dende teil. Sie sind in Irland und macht“, sagt die Winterbergerin. England, in Skandinavien und im Vor allem habe sie die Offenheit Baltikum, im Alpen- und im Mit- der Menschen begeistert. Und sie Vor dem Start: In diesem Mai leisten 70 Auszubildende aus dem Berufskolleg telmeerraum im Einsatz. hofft, dass der anstehende Brexit Bergkloster Bestwig ein vierwöchiges Berufspraktikum im europäischen Ausland. Steffen Waltemate vom Placida- das weltoffene Klima in der Stadt Viel-Berufskolleg verbrachte 2018 unweit der Grenze zu Irland nicht lichen Bildungsgängen aber schon Magdalena Postel koordiniert. beispielsweise vier Wochen in zu sehr belastet. im zweiten und dritten Ausbil- Neben Berufserfahrungen in den London. Er arbeitete in einer Al- dungsjahr ein vierwöchiges Aus- Einrichtungen biete es den Teil- tenpflegeeinrichtung. „Im Unter- Vierwöchige Auslandserfahrung landspraktikum an. nehmenden ein Verständnis der richt der höheren Berufsfachschu- Mascha Hansen ist die erste Lang- „Mittlerweile ist Erasmus ein jeweiligen Kulturkreise. „Tole- le für Gesundheit und Soziales zeitpraktikantin, die das Berufs- wichtiger Baustein in unserem ranz, Weltoffenheit, Persönlichkeit war ich gut auf das Pflegeprak- kolleg Bergkloster Bestwig über Konzept der Berufs- und Studien- und Verantwortungsübernahme tikum vorbereitet worden. Die das von der Europäischen Union orientierung“, sagt Irmhild Pad- können somit schon während der Sprache war eine Herausforde- geförderte Erasmus-Programm berg vom Erasmus-Team, das die Ausbildung erfahren und einge- rung. Aber ich habe in einer Gast- ins Ausland vermittelte. Seit sechs Auslandsaufenthalte für alle vier übt werden“, weiß Fachlehrerin familie gewohnt und viele soziale Jahren bietet es seinen Schülerin- Berufskollegs in Trägerschaft der Stephanie Schulte zu schätzen. Kontakte gepflegt. Dadurch habe nen und Schülern aus den beruf- Schwestern der heiligen Maria Im Herbst 2019 wurden das Be- ich viel gelernt.“ Ebenso habe ihn die Offenheit der Menschen be- Berufskolleg Bergkloster Bestwig geistert. Eine Erfahrung, die alle teilnehmenden Schülerinnen und Placida-Viel-Berufskolleg Menden Schüler gemacht haben. Auch Mascha Hansen, die für die Intitiative zur Förderung von Schulkindern als Gestaltungstech- Berufskolleg Bergkloster Bestwig Placida-Viel-Berufskolleg Menden nische Assistentin unter anderen Flyer, Plakate und Anzeigen ent- Zweijährige Berufsfachschule Zweijährige Berufsfachschule worfen hat: „Jetzt spreche ich flie- Abschluss Kinderpfleger/-pflegerin Abschluss Kinderpfleger/-pflegerin ßend Englisch. Und mit meiner Höhere Berufsfachschule Höhere Berufsfachschule Chefin in Derry verbindet mich Schwerpunkt Gesundheit und Soziales Schwerpunkt Gesundheit und Soziales eine Freundschaft. Sicher fahre ich Gestaltungstechnische/r Assistent/in Fachschule des Sozialwesens bald wieder dorthin.“ Fachschule des Sozialwesens Abschluss staatl. anerkannte Erzieher/in Abschluss staatl. anerkannte Erzieher/in, Berufliches Gymnasium Kontakt: auch praxisintegriert Fachliche Schwerpunkte: Gesundheit, Berufskolleg Bergkloster Bestwig Berufliches Gymnasium Pädagogik, Sport (einschl. Abschluss- Tel. 02904 808-174 Fachliche Schwerpunkte: Gesundheit, qualifikation zur/zum Freizeitsportleiter/in) berufskolleg-bestwig@smmp.de Pädagogik, Gestaltung Placida-Viel-Berufskolleg Menden berufskolleg-bergkloster-bestwig.de placida-viel-berufskolleg.smmp.de Tel. 02373 93110 bkplacida@smmp.de
Friedensprojekt Europa Liebe Leserinnen und Leser! Vom 23. bis 26. Mai startet der katholische Jugenddachver- band BDKJ bundesweit die 72-Stunden-Aktion. Innerhalb dieser Zeit gilt es, eine Sozialaktion zu organisieren, also etwa einen Garten im Altenheim anzulegen oder einen Spielplatz im Viertel wieder herzurichten. 170 000 Jugend- liche haben vor sechs Jahren bei der letzten Aktion dieser Art gewerkelt, gehobelt und gebuddelt und so die Welt ein bisschen besser gemacht. Es geht darum, dem Glauben Hand und Fuß zu geben, so formuliert es der BDKJ. Am selben Wochenende haben die Bürgerinnen und Bür- Inhalt ger Europas die Möglichkeit, ihre Interessenvertretung in der Europäischen Union zu wählen: das Europäische Par- 4/5 Charta der Grundrechte lament. Auch hier geht es darum, die Welt ein bisschen besser zu machen oder jedenfalls aufzupassen, dass sie 6-9 „Das ist Ihre Zukunft!” nicht schlechter wird – und dem Glauben eine Stimme zu geben. Viele katholische Organisationen haben ihre Mit- Interview mit Elmar Brok glieder zur Wahl aufgerufen, um für ein offenes, solidari- sches Europa zu stimmen. 10/11 Die Kröte zum Himmel Europa konkret I: Schüleraustausch Vielen gilt Europa als Hort einer überbordenden Bürokra- tie, gesteuert von weltfremden, überbezahlten Beamten. 12/13 Die ganze Familie packt an Wie war das noch mit der Gurkenverordnung? Europa konkret II: Beim Italiener um die Ecke Dabei ist Europa mit seinen Institutionen eine großartige 14 Europa und seine Institutionen Idee. Schauen wir uns in der Welt um, wie Staaten andern- orts mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, mit deren Rech- 15-20 10 Gebote für Europa ten und Daten umgehen. Ja, die Sache ist kompliziert, aber Dinge werden nun mal kompliziert, wenn man möglichst 22/23 Wie kam das Christentum nach Europa? vielen Interessen einigermaßen gerecht werden will. Man braucht ja nur mal in die eigene Familie zu schauen, wenn 24/25 Und wie christlich ist Europa heute? es darum geht, den nächsten Sommerurlaub zu planen. Da kann man es hautnah erleben: Wenn es keine Verlierer ge- 26/27 Wege durch Europa ben soll, braucht es Kompromisse und für Kompromisse braucht es Verhandlungen und die können dauern. Und 28-30 Worauf es ankommt manchmal werden sie vielleicht auch sehr detailliert, etwa, wenn es ums Gepäck geht. Die Gurkenverordnung gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. Sie war ursprünglich ein Wunsch des Handels. Um faire Wettbewerbsbedingun- gen zu schaffen, sollte geregelt werden, wie viele Gurken in eine Kiste passen. Impressum Bitte gehen Sie am 26. Mai zur Wahl und überlassen Sie Herausgeber: Europa nicht denen, die es abschaffen wollen. Als kleine Bonifatius GmbH, Motivationshilfe legen wir Ihnen dieses Heft vor. Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn Ihre Claudia Auffenberg Geschäftsführung: Rolf Pitsch | Tobias Siepelmeyer Redaktion (verantw.): Claudia Auffenberg Anzeigen (verantw.): Andrea Brinkmann Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit dem Blauen Engel Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 3
CHARTA der GRUNDRECHTE Präambel Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grund- lage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden. In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittli- chen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechts- staatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittel- punkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürger- schaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet. Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas so- wie der nationalen Identität der Mitgliedsstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationa- ler, regionaler und lokaler Ebene bei. Sie ist bestrebt, eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu fördern und stellt den freien Personen-, Dienstleis- tungs-, Waren- und Kapitalverkehr sowie die Nieder- lassungsfreiheit sicher. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde am 7. Dezem- ber 2000 vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission feier- lich proklamiert. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 5
Friedensprojekt Europa „Das ist Ihre Zukunft!“ Welchen Stellenwert hat der Zusammenschluss Europas für die jüngere Generation? Warum brauchen wir überhaupt eine europäische Gesetzgebung? Und wieso sollte sich gerade die jüngere Generation in die Politik einbringen? Welche Rolle spielen Schulen und Hochschulen dabei? Um diese und andere Fragen ging es im Februar dieses Jahres, als Studentinnen und Studenten der Katholischen Hochschule NRW das Europäische Parlament in Straßburg besuchten. Dabei führten die angehenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ein Interview mit dem CDU-Politiker Elmar Brok, der das dienstälteste Mitglied im Europäischen Parlament ist. Bei den Wahlen am 26. Mai tritt er nicht mehr an. Studierende: Herr Brok, wären die Grundwerte der EU 1948/1949 geschrieben wurde – wenn es um die Rolle oder ohne das Christentum denkbar? die Begrenzung moderner Wissenschaften geht, etwa das Klonen von Menschen. Brok: Nein, sie wären nicht denkbar, weil Europa auf den Hügeln Golgota, der Akropolis und dem Kapitol erbaut ist. Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Das Christentum ist daher mitprägend. Deshalb steht in Menschenrechte? der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auch ausdrücklich der Bezug auf das religiöse Erbe Europas. All Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Menschenrechtskataloge, die heute universal gelten, ist der Gerichtshof des Europarates mit Sitz in Straßburg. haben eine besondere Ausprägung durch das Christen- Der Gerichtshof der Europäischen Union ist der EuGH in tum. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ist der Luxemburg. (siehe dazu Seite 14) erste Satz des Grundgesetzes und das ist ein Satz, den ich mit dem christlichen Menschenbild verbinde. Wie kann sich der EGMR konkret einsetzen, wenn gegen die Menschenrechte verstoßen wurde? Aber reicht die Allgemeine Erklärung der Menschen- rechte der UN nicht aus? Warum braucht es eine eigene Jeder Bürger aus den Ländern des Europarates kann eine EU-Charta? Klage erheben, wenn er in seinem Land entgegen der Men- schenrechte behandelt worden ist. Dies ist in der europäi- Weil eine eigene EU-Charta sich an uns selbst richtet. Sie schen Menschenrechtskonvention niedergelegt. Diese müssen feststellen, dass die Menschenrechte bei uns nicht Konvention gilt für alle Mitglieder des Europarates, dazu überall erfüllt sind, deswegen gibt es ja auch den Grund- gehören mehr Länder als die Mitgliedsstaaten der EU. In- rechtekatalog des Grundgesetzes. Denn auch der einzelne nerhalb der EU gilt die schon erwähnte Charta der Grund- Bürger muss das Recht haben, sich in einem Rechtsstaat und Menschenrechte. Beide, die Konvention und die Char- zu wehren, wenn er sich durch europäische Gesetzgebung ta, sind sehr eng miteinander verwoben. Die Nationalstaaten oder nationale Gesetzgebung verletzt sieht. Die EU-Charta sind letztlich an Straßburg angebunden, also an den EGMR, ist rechtsverbindlich und kann konkret bei fehlerhafter und wir haben jetzt beschlossen, dass auch die Europäi- EU-Gesetzgebung oder Umsetzung genutzt werden. sche Union dem Grundrechtekatalog des Europarates beitritt. Auf die Art und Weise werden dem europäischen Aber die nationale Gesetzgebung würde doch ausrei- Rechtsweg und dem nationalen Rechtsweg ein Stück weit chen? gemeinsame Definition zukommen. Nein, da wir inzwischen einen großen Teil unserer Gesetz- Haben Sie das Gefühl, dass die Kirche die Aufgabe über- gebung europäisch machen, muss die auch unter europäi- nimmt, überall für die Menschenrechte und die Men- scher Kontrolle stehen. Übrigens ist der EU-Grundrechte- schenwürde einzutreten? Und leistet sie damit einen katalog moderner, als das Grundgesetz sein konnte, das 6 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
Friedensprojekt Europa wesentlichen Beitrag zum Gelingen Europas oder sehen ganz billige Lösung, die einem selbst vielleicht gut auf der Sie das eher kritisch? Seele liegt, aber den betroffenen Menschen nichts bringt; aus Steinkohle und Atomenergie läuft der Ausstieg bereits. Ja, die Kirche soll sich einbringen, sie tut es auch in vielen Bereichen. Ich bin beispielsweise in diesen Fragen sehr da- Was tun Sie oder Ihre Partei dafür, dass Jugendliche sich mit zufrieden, was Kardinal Marx macht. Er war übrigens mehr (für Politik) interessieren? mal Vorsitzender der Kommission der Bischofskonferen- zen der EU (COMECE) und mit ihm stimme ich in vielen Wir haben eine Jugendorganisation, die ist die größte poli- dieser Fragen überein. Aber ich bin nicht sicher, ob alle tische Jugendorganisation Deutschlands, die Junge Union. Glieder der deutschen Kirche ein Engagement für Europa Aber das ist nicht nur die Aufgabe der Politik, sondern als ihre Aufgabe erkannt haben, vor allem in Polen. auch der Schule und der Medien. Wie schätzen Sie das gesellschaftliche und politische Welche Rolle können Schulen oder Hochschulen spie- Engagement Jugendlicher ein? len, um den Blick für solche Abwägungsprozesse zu öff- nen? Es engagieren sich zu wenige Jugendliche politisch. In Großbritannien hätten wir kein Ja zum Brexit bekommen, Wichtig wäre schon mal, diese Abwägungsprozesse dar- wenn die Jugendlichen sich stärker an der Wahl beteiligt zustellen und nicht alles dem unterordnen, was der Lehrer hätten. 75 % der britischen Jugendlichen sind gegen den oder der Professor gerade meint. Der kriegt das Klopfen Brexit, aber nur 35 % sind zur Wahl gegangen. Es gäbe also, im Hörsaal, aber für die Lebensfähigkeit und die Verant- wenn die Jugendlichen zur Wahl gegangen wären, nicht wortungsfähigkeit der Menschen hat er oft nichts geleis- dieses ganze Drama. Neben zivilgesellschaftlichem En- tet. Man muss lernen, abzuwägen, für das gesellschaftli- gagement ist eben auch das politische Engagement wich- che, politische und private Leben und die Balance zwischen tig. Bei Jugendlichen fällt zunehmend auf, dass sie sich manchmal sich widersprechenden Zielen wie Arbeitsplät- durchaus für ein Thema engagieren, z. B. die Menschen- zen, Umwelt und Wettbewerbsfähigkeit finden. Das ist rechte in einem bestimmten Land. Das reicht vielen dann meines Erachtens Stoff für den Unterricht. und sie denken sich: „Damit ist es gut und ich habe meine Heldentaten für die Gesellschaft getan.“ In die Politik zu gehen, ist sehr viel anstrengender. Da muss ich in Einzel- fragen einen Kompromiss finden, was vom Gewissen her quälerisch sein kann. Aber wenn ich immer sage, ich bin ja für das Gute, ich bin ja für die Menschenrechte, dann tut das zwar meiner Seele gut, aber es hilft in der Sache nicht weiter. Ein Beispiel ist die Debatte um die Braunkohle. Wenn wir sagen: „Braunkohle sofort abschaffen!“, verbes- sert das die Umwelt. Aber was bedeutet es, wenn wir keine Energie haben und der Vater nicht mehr zur Arbeit gehen kann, weil es die Firma nicht mehr gibt? Wir können im Moment die Wirtschaft in Deutschland noch nicht ohne Braunkohle laufen lassen. Das versucht man jetzt durch einen Ausgleich hinzukriegen, den die Kohlekommission formuliert hat. Zweiter Punkt ist: Ich kann, wenn ich weiter weg wohne, für den Erhalt des Hambacher Forstes demonstrieren. Aber was passiert mit den Arbeitsplätzen der Menschen, die dort leben und arbeiten? Wir machen jetzt ein Pro- ZU R P E R S O N gramm über eine bestimmte Zeit, das unglaublich viel Geld kostet, nämlich 40 Milliarden Euro, damit in den Ge- Elmar Brok wurde am 14. Mai 1946 in Verl im genden andere Wirtschaftsbereiche angesiedelt werden, Kreis Gütersloh geboren. Seit 1980 gehört er sodass die Eltern oder die nächsten Generationen dann dem Europäischen Parlament an und ist damit einen Arbeitsplatz finden. Man muss immer abwägen zwi- zurzeit noch der dienstälteste Abgeordnete. schen Wirtschaft, Sozialem und der Umwelt. Alle drei Mit der Wahl am 26. Mai scheidet er aus. Zwei- muss ich betrachten unter finanziellen Möglichkeiten. mal war er Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Als Vertreter des Es ist Aufgabe der Politik, hier die Balance herzustellen. Parlamentes war er u. a. beteiligt am Vertrag Das gelingt nicht immer. Aber sich nur für einen Bereich von Maastricht und am Vertrag von Lissabon. einzusetzen und für den Rest nicht zu interessieren, ist eine Brok ist verheiratet, er hat drei Kinder und lebt heute in Bielefeld. Foto: Jonas Wibberg
Friedensprojekt Europa Der aber nicht besprochen wird? Von alldem halten die drei genannten Herren nichts. In de- ren Sinne wäre es durchaus, wenn Europa kaputtginge. Nicht ausreichend. Natürlich gibt es viele gute Lehrer. Ich habe mit meinem Geschichts- und Deutschlehrer und mit Aber ist die EU da ein handlungsfähiger Player? – 28 meinem Griechischlehrer unglaubliches Glück gehabt. Mitgliedsstaaten, die einen gemeinsamen Konsens fin- den müssen. Jetzt noch eine andere Frage: Denken Sie, es sollte einen Feiertag geben, der auf die Menschenrechte und auf die In vielen Bereichen stimmen wir mit Mehrheit ab. Wir ha- Identität Europas hinweist? ben den besten und größten Binnenmarkt dieser Erde. Und wir haben ein Bruttoinlandsprodukt, das so groß ist Für Europa haben wir einen Tag, das ist der 9. Mai, der wie das US-amerikanische insgesamt, wenn nicht noch Schuman-Tag. Das ist ein europäischer Feiertag, an dem in höher. Wir sind die größte Handelsmacht dieser Erde. Wir den europäischen Institutionen sogar frei ist. Da stehen haben jetzt mit Japan einen Vertrag geschlossen über eine Frieden, Freiheit und Menschenrechte ganz oben. Das ist Freihandelszone für 600 Millionen Menschen. Das wird der Tag, an dem Robert Schuman in Paris offiziell den Vor- den europäischen Unternehmen pro Jahr eine Milliarde schlag zur Einrichtung der europäischen Gemeinschaft Euro Einsparungen bringen. Allein dieser Vertrag mit Ja- für Kohle und Stahl gemacht hat. Und wir machen inzwi- pan! So haben sie die Möglichkeit, dieses Geld in Wettbe- schen in Deutschland um den 9. Mai herum überall Schul- werbsfähigkeit zu stecken, neue Technologien zu entwi- aktionen. In vielen Schulen finden Europatage statt. Das ckeln. Das ist alles damit verbunden. hat vor Jahren die Bundeskanzlerin angeregt und sie hat von uns CDU-Leuten verlangt, mitzuteilen, an welchen Was raten Sie denn uns als angehende Sozialarbeiterin- Schulen wir sind, damit wir das auch tun. nen und Sozialarbeiter in Bezug auf Politik, Menschen- rechte, Einsatz für Europa? Was das Ganze auch an die Schulen bringen würde! Praktisch mitmachen! Dafür werben und sich engagieren. Das ist heute längst Tradition. Viele Schulen machen das Und neben der Arbeit vielleicht in eine politische demo- automatisch jährlich. Aber es hängt natürlich auch daran: kratische Partei gehen und da mal fünf Jahre mitmachen. Hat man gerade einen Lehrer, der an Europathemen Spaß Ihr müsst ja nicht euer komplettes Leben hineinstecken. hat oder nicht? Es hängt immer an einzelnen Leuten. So ist Aber ein Stückchen der Gemeinschaft zurückgeben. Und das im Leben. nicht nur einseitige Ziele verfolgen, die dem eigenen Wohl- befinden dienen. So wie diejenigen, die beim Thema Um- Was sagen Sie denen, denen Europa zu groß, zu kompli- weltschutz nur da sind, damit die Überlandleitung für ziert, zu weit weg ist und die sich lieber um ihr eigenes Stromversorgung nicht über das eigene Grundstück läuft. Land kümmern wollen? Die fordern die Windkraft, aber gleichzeitig sind sie gegen die Leitungen, mit denen man die Energie der Windkraft Jetzt überlegen Sie doch mal. Welche Hauptprobleme ha- an die Fabriken oder an die Haushalte leitet. Man kann sa- ben wir heute? Globalisierung, Digitalisierung, Klima- gen, Windkraft machen wir am besten in der Nordsee. wandel, internationaler Terror, Handelspolitik ange- Dort sind hohe Windkraftanlagen und es bläst am meisten sichts von Trump und China, innere und äußere Wind. Aber die Städte sind woanders, die Firmen sind wo- Sicherheit. Können Sie mir eines dieser Themen nennen, anders, da muss ich den Strom hinleiten. Das hat doch das ein Nationalstaat allein bewältigen kann? Ein Thema, eine gewisse Logik, oder? Also muss ich da einen Kompro- das Deutschland allein bewältigen könnte? Nein, oder? miss machen! Natürlich gefällt mir auch nicht, wenn die Keines dieser Themen. Also brauchen wir einen größeren Leitungen unter meinem Grundstück hergehen. Über dem Zusammenschluss und das ist Europa. Und das ist Ihre Grundstück meiner Frau läuft so eine Überlandleitung Zukunft! und eine unterirdische Gasleitung her. Doch als im Dorf dagegen unterschrieben werden sollte, haben wir nicht Die Alternative wäre: Wir verfallen wieder in Einzelstaa- mitunterschrieben. Irgendwo muss es doch hergehen. ten. Wir beschimpfen uns wieder, so wie die Italiener und die Franzosen sich beschimpft haben, haben früher Kriege Kurz noch mal zur Sozialen Arbeit. Sie sind ja auch stell- begonnen. Und wir lassen Xi, Trump und Putin darüber vertretendes Mitglied im Ausschuss für u. a. soziale An- entscheiden, was mit uns passiert. So einfach ist das. gelegenheiten. Gibt es da schon einen Austausch mit der Sozialen Arbeit und der Politik hier vor Ort? Und wie Dann würden wir zu einem Spielball. sieht der aus? Genau, das ist der beste Ausdruck. Dann würden wir zu ei- Sicher. Das hat mit der Gesetzgebung zu tun. Wir machen nem Spielball, dann wäre nichts mehr mit Menschenrech- vieles auch hier auf europäischer Ebene schon. Die sozia- ten, nichts mehr mit Ausgewogenheit, mit Umweltschutz. len Rahmenbedingungen für die verschiedenen Bereiche werden mitbestimmt. Der Elternurlaub etwa wurde hier 8 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
Friedensprojekt Europa Foto: Europäisches Parlament mit beschlossen. Nicht in der Höhe und wie es ausgestaltet Und auf der anderen Seite ist das Geschäftsmodell der wird, denn wir können nicht dieselbe Dauer für Rumänien Schlepper kaputt gemacht worden. Nicht vollständig. Das und Holland festlegen. Aber, dass er sein muss, das haben haben wir in diesem Umfang in Nordafrika noch nicht ge- wir entschieden. Auch mit Regelungen bei der Entsendung schafft, da es dort Staaten gibt, die nicht handelsfähig von Arbeitnehmern haben wir hier zu tun. Wir können si- sind. Aber Kanzlerin Merkel war in den letzten eineinhalb cherstellen, dass Arbeitnehmer aus Polen in Deutschland Jahren dreimal dort. In Mali, Niger, Tschad usw. Und dort den Tariflohn kriegen und nicht durch deren Lohnniveau fangen wir an. Wir wollen dort mehr und mehr Berufsaus- bei uns Löhne unterlaufen werden. bildungen ermöglichen und die Leute zurückführen. Denn auf der Flucht sterben mehr Menschen in der Sahara als Wir hätten noch eine andere Frage: Können Sie konkret im Mittelmeer. Wenn man die Bedingungen im Heimat- sagen, wie Europa es geschafft hat, die Migration zu re- land verbessert und die Menschen ihre Berufsausbildun- duzieren? Vor allem was in den Ländern, in denen die gen machen können, soweit es dort möglich ist, verbessert Migration so hoch war, geleistet wurde? das die Situation. Bei Weitem nicht zufriedenstellend, aber das ist ein wichtiger Anfang. Bei Syrien haben wir es weitgehend hinbekommen. Der Vertrag mit der Türkei hat sichergestellt, dass das Leben Was wollen Sie den Jugendlichen mitgeben mit Blick auf der Menschen durch Wohnungsbau, Schulen und medizi- Europa und dem Engagement der Jugendlichen in Euro- nische Betreuung erträglicher gemacht wird. Und dafür pa? hat die Türkei den Menschenhändlern, die die Leute für 1 200 Euro pro Person auf diese Combi-Boote laden, das Ohne Europa keine Zukunft für die junge Generation. Handwerk gelegt. Dort geht es den Menschen besser. Teil- weise gehen sie jetzt übrigens schon zurück in die Regio- Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nen Syriens, die kein Kriegsgebiet mehr sind, was auch zu genommen haben! erwarten war. In Bosnien war es damals genauso. Denn diejenigen, die da Eigentum haben, wollen natürlich zu- rück, sofern sie friedlich leben können. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 9
Friedensprojekt Europa Die Kröte zum Himmel Europa konkret I: Schüleraustausch VON CLAUDIA AUFFENBERG Die Mallinckrödte, das Maskottchen des Dortmunder Mal- manchmal auch Freundschaften über Ländergrenzen hin- linckrodt-Gymnasiums, kann sich auf was gefasst machen. weg. Im kommenden Jahr nämlich soll sie an einem Heliumbal- Lina Höch ist Schülerin am Mallinckrodt-Gymnasium, Jahr- lon zu ihrem zweiten Höhenflug Richtung Stratosphäre gang 11, noch ein Jahr hat sie bis zum Abitur. Sie ist nicht fliegen. Einmal war sie schon da oben. Im Moment bau- nur eine erfahrene „Erasmus+“-Teilnehmerin, sondern ist melt sie noch an der Tasche von Barbara Bullmann, Lehre- neuerdings auch Schülerbotschafterin. Das heißt: Sie ist da- rin für Englisch und Französisch und seit zehn Jahren In- bei, wenn sich die Lehrerinnen und Lehrer einmal jährlich ternationale Koordinatorin der Schule. In dieser Funktion zur Projektkoordination treffen. Dann bringt sie die Schü- arbeitet sie derzeit mit an einem Programm, das den et- lerperspektive ein. Im vergangenen Jahr war sie dazu in Ru- was komplizierten Titel Eurostronomia trägt. Dort wer- mänien, in diesem Jahr geht es nach Mazedonien. Nicht ge- den solche Aktionen ausgeheckt und in die Tat umgesetzt. rade Länder, in die man in den Urlaub fahren würde. „Das Kleine Plastikschildkröten in den Himmel zu schicken, ist finde ich an Erasmus so toll, dass man die Chance bekommt, aber keine alberne Spielerei, sondern dient, ja tatsächlich, Länder und Leute zu sehen, die man sonst nie kennenge- der Völkerverständigung. Eurostronomia ist ein „Eras- lernt hätte“, sagt sie. Und die Leute lernt man nicht nur in mus+“-Projekt, das mit Mitteln der EU finanziert wird und der Schule kennen, sondern auch bei ihnen zu Hause. Denn an dem insgesamt acht Schulen aus Europa beteiligt sind. die Schüler sind in Gastfamilien untergebracht. Lina Höch Das heißt: Während des dreijährigen Projektzeitraums kennt beide Rollen, die des Gastes und die der Gastgeberin. fließen in diesen Schulen Fragen rund um die Entstehung Letzteres sei eine Aufgabe, in die man hineinwachsen müs- des Sonnensystems in den Schulalltag ein. Darüber hinaus se, sagt sie. „Am Anfang war ich total unsicher und hab gibt es länderübergreifende Projektwochen, in denen mich immer gefragt: Mach ich alles richtig? Braucht mein Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer Gast was?“ Immerhin habe man ja einen komplett fremden aller beteiligten Schulen zusammenkommen und sich ge- Menschen im Haus, das sei schon ein bisschen komisch. meinsam mit diesem Thema befassen. Diese Begegnungen „Aber es war immer eine bereichernde Erfahrung.“ Und sind so etwas wie der tiefere Sinn von Erasmus+. Indem sie ganz nebenbei lernt man als Gastgeber/-in auch die eigene gemeinsam etwas tun, gemeinsam über Fragen nachden- Umgebung besser kennen, schließlich gilt es, ihm oder ihr ken, gemeinsam Dinge austüfteln, lernen sich die jungen die interessanten Dinge der Heimat zu zeigen, die man na- Leute kennen, „der Rumäne“ ist nicht mehr „der Rumäne“, türlich erst mal selbst herausfinden muss. sondern heißt Bogdan oder so, es wachsen Beziehungen, Erasmus+ Mallinckrodt-Gymnasium Erasmus+ ist das Programm für Bildung, Ju- 1851 eröffneten die Schwestern der gend und Sport der Europäischen Union. Es Christlichen Liebe eine katholische Mäd- i ist mit einem Budget in Höhe von rund 14,8 chenschule im ehemaligen Dominika Mrd. Euro ausgestattet. Mehr als vier Milli- nerkloster an der Propsteikirche in Dort- onen Menschen werden bis 2020 von den mund. 1978 übernahm das Erzbistum EU-Mitteln profitieren. Das auf sieben Jahre Paderborn die Trägerschaft; mit der Ein- ausgelegte Programm soll Kompetenzen führung der Koedukation wurden auch und Beschäftigungsfähigkeit verbessern Jungen aufgenommen. Heute besuchen und die Modernisierung der Systeme der rund 1 000 Schülerinnen und Schüler das allgemeinen und beruflichen Bildung sowie Gymnasium, sie werden von 74 Lehrerin- der Kinder- und Jugendhilfe voranbringen. nen und Lehrern unterrichtet. www.erasmusplus.de www.mallinckrodt-gymnasium.de
Friedensprojekt Europa Barbara Bullmann (links) und Lina Höch, zwei Dort- munder Europäerinnen. Foto: C. Auffenberg Und nicht nur die eigene Heimat, auch die eigene Persön- noch, auch die Sinneswahrnehmungen, die seien auch nur lichkeit lernt man im Umgang mit dem Fremden besser in echt möglich. Einmal in Schottland war sie in einer kennen. „Der Weg zu sich selbst führt über andere“, sagt Gastfamilie, die fünf Minuten vom Strand entfernt wohn- Lehrerin Barbara Bullmann. Wie sehen mich die anderen, te, ihre Gastmutter ist mit ihr hingefahren. „Und ich stand wie sehe ich mich – diese Fragen stellen sich fast automa- da und hatte den Wind im Gesicht. Das war ein so tolles tisch. Um an einem der länderübergreifenden Treffen teil- Gefühl, das kann man nicht über Bilder vermitteln.“ zunehmen, müssen die Schüler sich bewerben und ihre Mit Schottland, genauer gesagt mit der Wellington-School Motivation schildern. Viele argumentieren, der Austausch verbindet das Mallinckrodt-Gymnasium eine inzwischen mit anderen reize sie. Im Nachhinein sagten viele der Teil- 30-jährige Partnerschaft. Deswegen gibt es gerade neben nehmer, der Austausch habe sie ermutigt, später im Studi- Eurostronomia noch ein weiteres Projekt: „Celebrating um irgendwas Internationales zu machen. Success – den Erfolg feiern“. Es geht u.a. um Queen Victo- Aber: In einer Welt, die man heutzutage doch auch vom ria als Mutter Europas und – natürlich um den Brexit. Da- Sofa aus bequem besichtigen kann, in der man das eigene rüber mit den Schotten zu reden, war zum einen hochinte- Heim nicht verlassen muss, um mit Menschen fremder ressant, zum anderen sehr bedrückend. Die jungen Länder zu kommunizieren, ist da ein Schüleraustausch, Schotten waren frustriert, richtig niedergeschlagen, weil also eine analoge Begegnung noch nötig? Kann die Reali- sie sich ihrer Zukunft beraubt fühlten. tät noch was bieten? So zu denken, sei ziemlich oberfläch- Ein Schüleraustausch als ganz konkrete Freundschaft stif- lich, tadelt Frau Bullmann und Lina Höch betont, die He tende Maßnahme dient der Völkerverständigung und der rausforderungen der echten Welt seien viel, viel größer. Friedenssicherung. Das klingt pathetisch, aber die beiden, Wenn man sich online mit irgendwem schreibe, könne die Lehrerin und die Schülerin, haben es sozusagen am ei- man sich Zeit mit der Antwort lassen, aber wenn man dem genen Leib erlebt. Nicht nur unter Schülern, auch unter anderen Aug in Aug gegenübersteht, dann müsse man Lehrern sind Freundschaften entstanden. Wer einmal an spontan sein. Man müsse schon die eigene Komfortzone einem solchen Programm teilgenommen hat, so Barbara verlassen, wirft die Lehrerin ein, die selbst als Schülerin Bullmann, wird sicher keine populistischen, nationalisti- schon alle Austausche mitgemacht hat. Lina Höch sagt schen Thesen vertreten. „Ganz im Gegenteil.“ Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 11
Friedensprojekt Europa Die ganze Familie packt an Europa konkret II: Beim Italiener um die Ecke VON THEO KÖRNER Es war immer ein Lebenstraum von Salvatore Di Dino ge- Polsterei, Salvatore Di Dino packte überall mit an. Inzwi- wesen, eines Tages ein eigenes Restaurant zu eröffnen. schen hatte er auch eine Familie gegründet. Heute sind es Denn wegen seiner Kochkünste war er auch schon in sei- seine drei Söhne Salvatore (51), Antonio (48) und Guisep- ner Heimat bekannt und beliebt. Als der gebürtige Sizilia- pe (45), die gemeinsam das italienische Restaurant „Mama ner Mitte der Sechzigerjahre dem Ruf aus Deutschland Mia“ betreiben. Überglücklich sei der Senior gewesen, als folgte, wollte er aber erst einmal Geld in der Industrie „wir vor über 30 Jahren mit einer Pizzeria angefangen ha- oder im Handwerk verdienen. Der Italiener kam als ben“, erinnert sich Antonio. „Kurz zuvor in Rente gegan- Gastarbeiter, wie man damals so sagte. Ob Kokerei oder gen, half er mit, wo immer er nur konnte.“ Dem inzwi- schen verstorbenen Vater „haben wir so viel zu verdanken“, sagt der 48-Jährige. Aus der Pizzeria ist ein Restaurant an der Chemnitzer Straße geworden, nahe zur Innenstadt gelegen. Es hat sich längst in der Dortmunder Gastronomie etabliert. Zum Menüplan gehören typisch sizilianische Gerichte, die mit wenig Fleisch auskommen, dafür reichlich Fisch und Gemüse zu bieten haben. Darüber hinaus gibt es Pas- ta, Pizza, Antipasti und Salate in verschiedenen Variatio- nen und Kreationen. Wobei man sich natürlich nach dem Geschmack des Publikums richte, sagt Di Dino. Denn bei- spielsweise gehöre Sahne eigentlich gar nicht zur italieni- schen Küche und Pizza Hawaii auch nicht so wirklich. Entscheidend seien aber die Wünsche der Gäste. Um die kümmert sich zusammen mit mehreren Mitarbeitern die gesamte Familie. Neben Antonios Brüdern sind auch die Schwägerinnen im Einsatz. Es gibt viel zu tun. Das Res- taurant mit seinen 180 Plätzen hat an allen sieben Wo- chentagen von Mittag bis zum späten Abend geöffnet. Da- bei ist der Zusammenhalt allen Familienmitgliedern äußerst wichtig, ein metergroßes Foto im Saal zeigt alle Generationen vereint und auf einen Blick. „Wir stehen füreinander ein und kommen gut miteinander aus“, sagt Antonio Di Dino. Das Brüder-Trio sei sich auch sehr ähn- lich und er merkt etwas verschmitzt an: „Wir haben alle jeweils zwei Kinder, die älteste ist immer ein Mädchen, das jüngste ein Junge.“ Apropos Nachwuchs: An die kleins- ten Besucher ist in den großzügigen Räumlichkeiten ge- dacht, Kinderstühle gibt es reichlich und auch für Spiel- zeug ist gesorgt. Antonio Di Dino gemeinsam mit seiner Schwägerin Maria 12 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 Fabiola Sanfilippo.
Friedensprojekt Europa um Methoden und Techniken des Weinanbaus, dem wirt- schaftlich wichtigen Zweig der dortigen Region“, so Di Dino. Die jungen Generationen können und sollen vonei nander lernen. Eigene Weinberge besitzt die Familie an der Südküste der Insel. Der Rebensaft der unter südlicher Sonne gereiften Trauben gehört zu dem vielfältigen Weinsortiment des Restaurants. In heutiger Zeit sei der Transport nun wirk- lich kein Problem mehr, merkt der Gastronom an. Dass der Warenverkehr dank offener Grenzen viele Vor- teile bietet, weiß auch Salvatore Mandellino zu schätzen. Der 40-Jährige betreibt das Lokal „Mr. Pizza“ an der Pro- vinzialstraße tief im Dortmunder Westen. Alle Zutaten und Beilagen, seien es Tomaten, Mozzarella, Rübstiel oder das Fleisch für die italienische Bratwurst Salsiccia, be- komme er im Direktvertrieb aus verschiedenen Regionen Italiens geliefert. Vor Zeiten habe ihm ein Händler aus Westfalen das Angebot unterbreitet, einmal wöchentlich frische Produkte zu liefern. Seitdem Mandellino original italienische Erzeugnisse verwendet, sei die Zahl der Gäste noch einmal gestiegen, erzählt er. Der Pizzabäcker und zweifache Familienvater selbst kam in Deutschland zur Welt. Es ist sein Vater Bruno, der aus Neapel stammt, einer Stadt mit langer Pizzeria-Tradition. Das älteste Lokal soll aus dem Jahr 1738 stammen. Der ge- Salvatore Mandellino (links) und der Mitarbeiter lernte Chemielaborant machte sich Mitte der Siebziger- Antonio Borrelli. Fotos: Theo Körner jahre in die Bundesrepublik auf, weil hier deutlich besse- re berufliche Perspektiven lockten. Nach ein paar Jahren Fabrikarbeit kam er mit einem Freund auf die Idee, eine Bei den Gästen handele es sich größtenteils um Stamm- bestehende Pizzeria zu übernehmen und wechselte vor kunden, „die uns seit Jahren die Treue halten“, betont der nunmehr 23 Jahren in das jetzige Lokal im Stadtteil Lüt- Geschäftsführer. Die meisten kommen aus Dortmund, gendortmund. Der Sohn half schon in seinen jungen Jah- manche aus dem Umland. Gruppen, Vereine oder auch ren gern in der Pizzeria mit. Heute führen er und sein Parteien geben sich ein Stelldichein. Um den Kontakt mit 65-jähriger Vater die Regie, beschäftigen acht Mitarbeiter, ihnen zu fördern und den kulturellen Austausch zu pfle- wobei auch Salvatores Geschwister Giosue und Ornella gen, arrangiert die Familie seit über zehn Jahren Zusam- ab und an mal einspringen. menkünfte im eigenen Landhaus auf Sizilien, die Unter- Der Einsatz des Teams ist auch gefragt, wenn der Dort- bringung ist kostenlos. In diesem Jahr finanziert Di Dino munder an der Internationalen Pizza-Weltmeisterschaft erstmals einen außergewöhnlichen Schüleraustausch mit teilnimmt, die alljährlich in Parma ausgetragen wird. einem Chemiekurs des Gelsenkirchener Carl-Fried- Über 1 000 Pizzabäcker wetteifern um Titel und Siege. In rich-Gauß-Gymnasiums sowie Agrarschülern aus dem si- mehreren Kategorien war Salvatore Mandellino schon zilianischen Rosolini in der Provinz von Syrakus. „Es geht unter den ersten Zehn. i In Deutschland öffnete die erste Pizzeria 1952 in Würzburg. Wettbewerbe um den Titel des besten Pizzabäckers gibt es auch seit Längerem auf nationaler Ebene. Pizza galt bis ins späte 19. Jahrhundert hinein als eine Speise für die arme Bevölkerung. Der Legende nach änderte sich das schlagartig, als König Umberto bei einem Besuch Neapels eine Pizza, in den italieni- schen Nationalfarben rot, weiß und grün belegt, nämlich mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum, serviert wurde. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 13
Friedensprojekt Europa Europa und seine Institutionen Europä ischer Der Eu at R s Parlament ropäisc Europäische e- und Re he Rat 751 Abgeordn gie setz dem Pr rungschefs d t sich zusamm en P ar la m ent vertreten en B ü rg e- äsident er einz Im Europäisch rz eit rund 500 Million ei n - Tusk, u en des elnen M en aus den S io n en de au s de n nd dem Europä itglieds taats- te aus 28 Nat e A bg eordnete zurzeit Pr is ch staa ürger. W ie vi el rtraglich vere inba rt noch Je äsidenten der en Rates, zur ten sowie rinnen und B mmen, ist ve schen R an Europä zeit Do U-Sta at en ko A bgeo rd nete. ates we -Claude Junck ischen Kommis ald n zelnen E la n d ko mmen 96 - Der Ra rden hä er. Die worden. Aus Deu ts ch hat da uro s E t formu ufig au Treffen sion, D irek tw ah l im Jahr 1979 u m Z ug lungen un liert die allgeme ch als E U des Eur op Seit der ersten ompetenzen Zug daher a d Prioritäten inen po -Gipfel bezeic äi- is ch e P ar la ment seine K s P ar la m ent zusam- ls Schrit für das Fortkom litische n Zielv hnet. pä hließt da Er hat k tmache te be sc n Mit- eine leg rf m orste ausgebaut. H eu rr at G es et ze, die in alle islative ür die weitere en der EU und l- Minis te die unser n Komp E etenzen ntwicklung d gilt men mit dem n de r E U gü ltig sind und . er EU. gliedsstaate n betreffen. tägliches Lebe Rat der Europ äi schen Union Im Rat der Euro e ue päischen Union mmiss ion ge für n Regierungen de sind die h e Ko e t Vorschlä dung der r Mitgliedsstaa isc e it n erarb für die Anwen abe der treten. Er wird Ministerrat gena ten ver- Europä mmissio h g e Ko ortlic Maß sich Minister aus den 28 EU nnt, weil ie E u ropäisch n, ist verantw Sie führt nach ltungsfunk- D te “). a Brüssel oder Lu -Ländern in orschrif erträge nd Verw g des Rat der Europä xemburg versam meln. Der Rechtsv Hüterin der V gs-, Exekutiv- u die Verwaltun rn e („ n re de ischen Union w ird gemein- Verträg ie Koordinieru ch insbesonde aus 28 Mitglie sam mit dem Europäischen t rä g e d c h t a u t s ic h m e n . Die Parlament als Ver ü b erwa io n setz n d stam Gesetzgeber tä tion au s . S ie mm iss glie d s la sen der tig. Zu seinen Aufgaben ge- lts . Die Ko ils einem Mit e r Interes . hört die Festle gung der Politik s h a EU-Hau n, die aus jew e hru n g d t 5 Jahre dinierung dies und die Koor- m e r s in d zur Wa mtszeit beträg K o m - er nach Maßga zusam itgliede t . I hre A ä is che n (Art. 16 I EUV be der Verträge n s m pflic h t e u ro p , d r e sio er E Juncker men Außen- un ). Er spielt bei der gemeinsa- Kommis hen Union ver n Vorsitz in d la u d e isc d e n- C und der Koordi d Sicherheitspo litik (GASP) Europä Mitglieder hat zeit noch Jea nierung der W e s d e r is t d e r b t r itt. tik eine zentra irtschaftspoli- Ein in n e . Dies d e r W ahl a mission c h aus jedem EU-L le Rolle. Jeweils ein Minister aber na Der Eu and nimmt an Der Ger ic GH des Ministerrat der Tagung ischen h tshof de es teil. Welch U n ion (Eu r Eu r opä- das jeweils ist, er Minister Die EZB höchste richtet sich na ch dem Sach- Gericht GH) ist das bereich, um de Die Europäische Zentralbank (EZB) c h ert die d er EU. n es bei bevors Wahru Er si- scheidungen ge tehenden Ent- bei der n ht. mit Sitz in Frankfurt am Main ist für Auslegu g des Rechts dung d n die Europäische Währungspolitik ver- er Vert g und Anwen d e s G r ä ge. Die - antwortlich. Mit dem Vertrag von Lis- erichts h o Urteile L ändern f es gelten sabon ist sie zu einem Organ der Euro- d in allen t keinem er EU und kön ropara päischen Union geworden. Hauptziel nationa nen von Der Eu de am der Bank ist es, die Preisstabilität in getaste t werd len Ger icht an u r o p a rat wur t. Dieser Europa zu gewährleisten. Um ihre ge- h o f wahrt a e n . Der Ge richts- - Der E ründe uch die 949 geg euro- mäß der Verträge auferlegten Aufga- d e s B ürgers G r undrec 5. Mai 1 ion gehören 47 nter heitsge gegenü ber der te h a t ru ben erfüllen zu können, ist sie völlig walt d Organis taaten an, da EU. u nd sein e r Gemein H o- h e S d er unabhängig und darf auch von der Po- e pä is c e dsstaa t e n ei- ihn geg r Organe und schaft alle M itg li dazu b litik nicht beeinflusst werden. en Mis sbrauch chützt s u r o p a rat soll okratie fentlich en Gew der öf- Der E Dem alt. dass die Menschen- tragen, ie t und d den. gestärk rchgesetzt wer u rechte d 14 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
Friedensprojekt Europa 10 Gebote für Europa Die Länder, die zurzeit zu Europa gehören, sind vom Christentum geprägt, von christlichen Ideen und Werten und sie sind von der Zeit der Aufklärung geprägt, von der Idee und dem Wert der Freiheit. Bei den Werten, auf die sich Europa stützt, geht es um unsere Rückbindung an Gott, der die Freiheit geschenkt hat. Und es geht darum, selbstständig über unsere Freiheit nachzudenken und zu entscheiden, was ihr guttut und gerecht wird. Um beides geht es in den 10 Geboten! Erst kommt die Freiheit, dann die Moral. Zum Beispiel so: VON ELISABETH JÜNEMANN 1. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben Exegetisch: Israel ist das Volk, das von Jahwe befreit wurde. Jahwe ist der Gott, der Israel befreit hat. Wenn Israel neben Jahwe andere Götter kennt (und mit ihnen „intim wird“), dann setzt es andere Erfahrungen (die der Gewalt, des Gewinns von Land und Macht z. B.) neben die der Freiheit. Damit verspielt es seine Identität und seine Freiheit. 2. Du sollst den Namen Deines Herrn nicht missbrauchen Exegetisch: Gott ist der, der befreit. Freiheit ist Gott geschenkte Freiheit. Das Volk hat erfahren, dass man diese geschenkte Freiheit nicht halten kann durch sichernde Maßnahmen, die die Freiheit beschneiden: Beobachten und Bewachen, Kontrollieren und Reglementieren … Deshalb folgt es Jahwes Weg in die Freiheit. Das verbietet alle denkbaren Pervertierungen der Freiheitsmacht – sonst verspielt Israel seine Freiheit. 3. Achte auf den Feiertag. Halte ihn heilig Exegetisch: Wenn Israel den Sabbat auch unter schwierigen Bedingungen, im Exil, als Tag der Befreiung feiert, ihn als Tag der Ruhe hält, ihn erfahrbar macht als Tag, der die Zeit unterbricht, der anders ist als andere Tage, dann tut es dem einzelnen Menschen wie dem Volk gut. Wenn es dem Alltag so einen heiligen Tag entgegensetzt, dann stärkt es seine Freiheit. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 15
Friedensprojekt Europa n z u m Karte iden! s sc h n e Au 1. Gebot für Europa Ein christliches Europa hat eine Identität. Die macht es unterscheidbar. Wer sich seiner Identität sicher ist, kann sich abgrenzen, kann sich aber auch selbstbewusst dem anderen aussetzen. Selbstbewusste christliche Identität kann andere Kulturen integrieren. „Multikulti“ setzt Identität voraus. Und gegenseitiges Respektieren. Was aber nur möglich ist, wenn wir etwas von der Identität des anderen wissen. Selbstbewusste christliche Identität kann sich aber auch abwenden vom anderen, wenn es von Terror und Gewalt bestimmt ist. Was auch nur möglich ist, wenn man sich mit dem anderen auseinander- gesetzt hat. 2. Gebot für Europa Es geht um Integrität! Die gehört zur Identität. Integrität heißt, das zu reden und zu tun, was mit den Werten übereinstimmt, zu denen man sich bekannt hat, nicht auszutreten, nicht emotional zu emigrieren, wenn sich unsere Vorstellungen unterscheiden, daran zu arbeiten, dass Europa seine Seele nicht verliert, mitzudenken, mitzureden, mitzuentscheiden – mit zu wählen und auch mit zu zittern vor Wahlen in Ländern, die in Gefahr sind, sich von einer Kultur der Freiheit, in der diskutiert und argumentiert wird, zu entfernen. 3. Gebot für Europa Der Sonntag als freier Tag ist eine christliche Errungenschaft, die die europäische Kultur menschlicher macht. Kein softer Vorschlag! Die Zeit ist Gottes Zeit, ob es uns gefällt oder nicht. Die Struktur der 7-Tage-Woche, der 6 Werktage und des Sonntags, ist nicht von der Natur gegeben. Sie ist eine religiöse, eine jüdisch-christliche Errungenschaft. Und sie tut den Menschen gut! Es muss in modernen, hoch entwickelten und effizient funktionierenden Gesellschaften gesicherte Zeiträume geben, die nicht schon wieder verzweckt sind. Wir Europäer brauchen politische und kulturelle Fantasie, um die 7-Tage-Woche und den Sonntag als besonderen Tag zu bewahren. 16 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
Friedensprojekt Europa 4. Ehre Deinen Vater und Deine Mutter Exegetisch: Das Gebot richtet sich an den israelitischen Hausvater und hat dessen Verhalten gegenüber seinen alt gewordenen Eltern im Auge. Wenn Israel solidarisch das (Über-)Leben derer sichert, die bisher das Überleben der Jungen gesichert hatten, jetzt aber auf sie angewiesen sind, sichert es seine eigene Nachhaltigkeit – und seine Freiheit. 5. Du sollst nicht morden Exegetisch: Der Mensch ist im Verständnis des Alten Testamentes Körper (bazár), Geist und Psyche (néfesch) und er hat den Geist Gottes (rúach), eine „Seele“, so könnte man übersetzen. Wenn Israel sich dem Schutz des ganzen Lebens verpflichtet und vor allen Handlungen schützt, die direkt oder indirekt das Leben anderer Menschen gefährden, schützt es damit seine Freiheit. 6. Du sollst nicht die Ehe brechen Exegetisch: Wenn Israel das soziale Leben der Frau als des schwächeren Partners in der Beziehung schützt und deshalb gerade den (zu alttestamentlichen Zeiten durchaus legitimen) Ehe-Vertragsbruch, der die materielle und soziale Sicherheit von Frauen ruiniert, negativ sanktioniert, dann schützt es die Freiheit der Schwachen und damit die des Volkes. 7. Du sollst nicht stehlen Exegetisch: Schon damals verstand man Freiheit als „Verwirklichungschance“ (eher des ganzen Volkes, nicht des einzelnen Menschen). Zur Chance der Selbstverwirklichung gehörte auch der Besitz. Wenn Israel das persönliche Eigentum des Einzelnen sichert und zumindest alle Handlungen unterbin- det, die das Eigentum des anderen als dessen materielle Grundlage der Freiheit gefährden könnten, schützt es seine Freiheit. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 17
Friedensprojekt Europa 4. Gebot für Europa Die Alten in Europa werden immer älter und sie werden immer mehr. Ob sie in Europa altern können, ohne die Freiheit, die sie sich im Laufe des Lebens genommen haben, wieder zu verlieren, das ist eine Frage der Generationensolidarität. Die Achtung des Lebens im Alter durch die Jüngeren ist in der europäischen Kultur selbstverständlich. Die Verpflichtung der Alten zur Weitergabe von Lebenskompetenzen an die Jugend genauso. Wie wir diese gegenseitige Sorge und Achtung immer wieder zeitgemäß umsetzen, darüber müssen wir in Europa nachdenken und reden. 5. Gebot für Europa Das fünfte Gebot fordert den Schutz des ganzen Lebens. Der wird in Europa sehr unterschiedlich interpretiert. Je nach Definition von Leben und von Lebensqualität, plädieren die einen für Lebensbegleitung bis ans Ende, praktizieren die anderen Sterbehilfe, auch für Kinder, wird das Organspende-Gesetz reformiert oder nicht. Je nach Vorstellung vom guten Leben und davon, wem es zusteht, gibt es Einschränkungen bei der Gesundheits- versorgung, kann man wegen einer Behinderung den Start ins Leben verweigern, lässt man ertrinkende Geflüch- tete im Mittelmeer … Das Leben ist es jedenfalls wert, sich in die Diskussion darüber einzumischen. 6. Gebot für Europa Auf Europa muss man sich verlassen können. Europa braucht Vertrauen von außen und von innen. Vielen europäischen Bürgern fällt es schwer, Europa zu vertrauen – im Blick auf den Aufbau und Ausbau von Demokratie, die gemeinsame Sorge um Umweltschutz, die breitere und weitere Diskussion von Genderfragen, das gemeinsame Vorgehen in der Migrationspolitik, die Abwehr von Terrorismus? Welche Strukturen braucht Europa zur Verlässlichkeit? Ist Deutschland vertrauenswürdig? Sind wir vertrauenswürdige Europäer? 7. Gebot für Europa Europa ist eine Wirtschaftsgemeinschaft. Das heißt, Eigentum und das Erwirtschaften von Eigentum gehört in Europa selbstverständlich zur Freiheit. Aber um der Freiheit Willen muss es beim Wirtschaften sozial und gerecht zugehen. Wir nehmen es als Ungerechtigkeit wahr, wenn es zwischen den europäischen Staaten in Lohn und Sozialabga- ben ein großes Gefälle gibt, wenn Unternehmen entsprechend in Billiglohnländer abwandern, um sie auszunut- zen, wenn Armut zum „Sozialtourismus“ bzw. zur „Armutsmigration“ führt, wenn Wirtschaftsbeziehungen der EU nach außen der Wirtschaft im Innern schaden. Und wir reagieren auf Ungerechtigkeiten im sozialen und wirtschaftlichen Leben mit Widerstand und sozialer Fantasie. 18 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
Friedensprojekt Europa 8. Du sollst nicht die Unwahrheit sagen Exegetisch: Das Verbot spricht gegen alle Versuche, das Recht zu beugen – vor allem durch falsche Beschuldigungen vor Gericht, sei es als Zeuge oder als Ankläger. Eine Falschaussage vor Gericht gefährdete Besitz, Leib und Leben – immer aber die Freiheit. Wenn Israel zulässt, dass die Freiheit des Einzelnen gefährdet wird durch falsche Aussagen vor Gericht, dann verspielt es damit seine Freiheit. 9. Du sollst nicht nach dem Haus Deines Nächsten trachten Exegetisch: Das Verbot unterbindet auch scheinbar legale Praktiken, den anderen um seine Lebensgrundlage zu bringen. Als Lebensgrundlage gelten (damals für den Mann) „drei Dinge“: die Frau (als intimer Bereich), Haus und Weinberg (als sozialer Bereich). – Hier geht es um den sozialen Raum, die soziale Gemeinschaft. Sie ist eine Lebensgrundlage. Wenn Israel zulässt, dass sie verletzt wird, verliert es seine Freiheit. 10. Du sollst nicht nach der Frau Deines Nächsten trachten Exegetisch: Von Wert ist ein funktionierendes soziales Umfeld, aber auch ein privates Umfeld: Eine verlässliche Beziehung zwischen Mann und Frau ist Basis der Sippe, Grundlage der Freiheit. Hier geht es um diesen privaten oder intimen Raum. Er ist eine (soziale wie materielle) Lebensgrundlage für Menschen und muss – um der Freiheit des Einzelnen wie des Ganzen Willen – vor Zugriff geschützt werden. Die Bilder zeigen Miniaturen von Dieter Ziegenfeuter, die Arbeiten sind hier fast in Originalgröße abgebildet, sie sind in Streichholzschachteln gearbeitet. Mit freundlicher Genehmigung der CSW Dresden. Die Autorin Elisabeth Jünemann ist seit 1997 Professorin für Theologische An thropologie und Theologische Ethik im Fachbereich Sozialwesen an der KatHO (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen), Abtei- lung Paderborn. Schwerpunktmäßig befasst sie sich derzeit mit dem Thema: WIESO – Was ist eigentlich sozial? Wertevermittlung nach den 10 Geboten für Kita-Kinder, Grundschulkinder und Jugendliche. Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019 19
Friedensprojekt Europa 8. Gebot für Europa Ohne Kommunikation gibt es keine Freiheit. Ohne Freiheit keine Kommunikation. Soziale Netzwerke – Facebook, Instagram oder WhatsApp zum Beispiel – erleichtern die Kommunikation über Landesgrenzen. Aber sie erleichtern es auch, uns durch Filterblasen zu beeinflussen oder uns durch Fake News zu irritieren. Kommunikation muss in Europa aktiv gefördert und geschützt werden, auch die Kommunikation in den sozialen Netzwerken. Durch Strukturen, Rechtsstrukturen zum Beispiel. Und durch (nicht nur technische, sondern auch) unsere soziale Kompetenz als Nutzer. 9. Gebot für Europa Europa ist eine soziale Gemeinschaft. Die Mitgliederstaaten sollen untereinander eine soziale Beziehung halten. Soziale Beziehungen halten sich, um die Freiheit des Ganzen und die der einzelnen Mitglieder zu halten, am besten an 3 Sozial-Prinzipien: An das Gemeinwohl, das im Auge hat, was allen guttut. An die Solidarität, die im Sinne der Musketiere auf Gemeinsamkeit baut: „Einer für alle, alle für einen." Und auf Subsidiarität, die darauf achtet, dass Hilfe im Sinne von Freiheit verteilt wird. Das heißt zum Beispiel, dass die Europäische Gemeinschaft nur tätig wird, wenn die Maßnahmen der Mitgliederstaaten nicht ausreichen und wenn die politischen Ziele besser auf der Gemein- schaftsebene erreicht werden. Dass sie nur dann, dann aber auch unbedingt, tätig wird. 10. Gebot für Europa Auch das moderne Europa traut der Familie nach wie vor eine Menge zu. In der Familie soll der Mensch all das lernen, was er zum Leben braucht. Ein eigener Mensch zu werden und gleichzeitig eine soziale Identität ausbil- den. Aber das gelingt immer häufiger nicht. Jedes Jahr werden zigtausende Kinder aus den Familien heraus- und in Obhut genommen. Was tun? Auslagern, was man der Familie nicht mehr zutraut? Die Pflege der Alten, die Betreuung der Jungen? Das höhlt die Institution auf Dauer aus. Oder Familien so motivieren und in ihren Funktionen stärken, dass es ihnen gelingt, ihre Aufgaben zu erfüllen? Das wäre im Sinne der Freiheit. Und es würden junge Leute, die Familie gründen wollen, wenigstens nicht davon abgeschreckt. Die Zehn Gebote finden sich zweimal im sogenannten Alten Testa- Foto: fotolia/bofotolux ment, im Buch Exodus, Kapitel 20, Verse 1 bis 17 und dann noch mal im Buch Deuteronomium, Kapitel 6, Verse 5 bis 21. In der Erzählung vom Auszug aus Ägypten sind sie angesiedelt nach der Rettung am Schilfmeer und vor dem Weg durch die Wüste. 20 Friedensprojekt Europa | 19. Mai 2019
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