Chance verpasst: Dieses urheberrecht bleibt in der Vergangenheit stecken1 - spw

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spw 2 | 2019                                                                                                              Meinung       

Chance verpasst:
Dieses Urheberrecht bleibt in der Vergangenheit stecken1
von Markus Beckedahl

                                                                                       Von dieser Reform profitiert nur ein Teil der
                                                                                    Urheber. Vor allem Komponisten und GEMA-
                                                                                    Mitglieder wurden immer wieder als Prota-
                                      û Markus Beckedahl ist Gründer
                                      und Chefredakteur von netzpolitik.org.        gonisten in zahlreichen Interviews nach vorne
                                      Er ist Partner bei newthinking commu-         gestellt. Sie beschwerten sich darüber, dass ihre
                                      nications GmbH, Gründer der re:pu-
                                      blica und Mitglied im Medienrat der           Songs bei YouTube zu finden sind, damit Geld
                                      Landesmedienanstalt Berlin-Branden-           verdient wird und bei ihnen kaum etwas davon
                                      burg. In der Zeit vor netzpolitik.org war
                                      er mal bei den Grünen aktiv.
                                                                                    ankommt. Ja, sie haben einen Punkt und ich
                                                                                    gönne es ihnen, wenn sie zukünftig für ihre krea-
                                      Foto: netzpolitik.org                         tive Arbeit mehr Geld bekommen. Aber sie sind
                                                                                    nur eine kleine Gruppe, eine aus der alten Zeit.
   Die Reform des EU-Urheberrechts bietet                                           Zu ihnen gesellen sich viele neue professionelle
falsche Antworten für eine veränderte digitale                                      Urheber, etwa YouTuber. Mehr noch: So gut wie
Welt. Sie zementiert stattdessen die Rechte von                                     jeder von uns ist mit seinem Smartphone schon
großen Verwertern und nur einem kleinen Teil                                        zum publizierenden Urheber geworden.
der Urheber. Trotzdem werden wir mit diesen
Regeln über Jahre leben müssen.                                                     Die alten Medien haben sich durchgesetzt
   Der 26.03.2019 war kein guter Tag für die                                           Alte und reformunfähige Verwertungsgesell-
europäische Netzöffentlichkeit. Das EU-Parla-                                       schaften verfügen weiterhin über die Deutungs-
ment hat an diesem Tag für die Urheberrechts-                                       hoheit, obwohl weite Teile der neuen Urheber
reform gestimmt und damit das Urheberrecht                                          in diesen aus vielen Gründen keine Heimat
mit seinen alten Instrumenten aus einer alten                                       finden werden. Kein Wunder, dass hier massive
Welt wohl für die kommenden zwanzig Jahre                                           Konflikte entstehen, zwischen neuen und alten
einbetoniert. Diese Entscheidung wurde am                                           Verwertungsformen, zwischen denen, die das
15.04.2019 im Ministerrat – auch mit der Stim-                                      Internet in ihre Verwertungsstrategie eingebun-
me Deutschlands – bestätigt.                                                        den haben und denjenigen, die hoffen, dass die
                                                                                    alte Welt weiterläuft wie bisher.
   Dabei sollten wir uns eigentlich freuen: Wir
sind Urheber, wir sind Verleger und laut den                                           Viele freie Journalisten, darunter die Frei-
Verbänden, die uns vertreten, sollten jetzt gol-                                    schreiber als Bundesverband der Freien, be-
dene Zeiten für uns anbrechen. Das Geld von                                         schweren sich zu Recht, dass sie sich in Fol-
Google und Co. wird nur so zu uns fließen! Al-                                      ge von Buy-out-Verträgen unter der Reform
lerdings bezweifle ich, dass uns diese Reform                                       künftig die ihnen zustehenden Tantiemen mit
mehr Geld einbringen wird. Und selbst wenn,                                         Verlagen teilen müssen. Beim Leistungsschutz-
die Kollateralschäden für eine demokratische                                        recht für Presseverleger hieß es lange Zeit, die
Netzöffentlichkeit sind viel größer als den                                         Einnahmen würden zwischen Verlegern und
Befürwortern dieser Reform mit ihrem Tun-                                           Urhebern geteilt. Beim letzten Kompromiss
nelblick auf wirtschaftliche Eigeninteressen be-                                    sind die Ansprüche der Urheber dann „zufäl-
wusst sein dürfte.                                                                  lig“ zugunsten der Verleger und Medienkon-
                                                                                    zerne rausgeflogen. Das war einer der Gründe
                                                                                    dafür, dass die Freischreiber als Verband der
                                                                                    freien Journalisten zusammen mit dem Chaos
	 Der Artikel erschien zuerst auf netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2019/
   chance-verpasst-dieses-urheberrecht-bleibt-in-der-vergangenheit-stecken/.
                                                                                    Computer Club und YouTubern zu den Pro-
   Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.                          testen aufgerufen haben.
   Meinung                                                                                                                spw 2 | 2019

        Hier hat sich die alte Medienwelt nach einem                               Entscheidungssysteme besser demokratisch
    15 Jahre währenden Kreuzzug gegen YouTube                                      kontrollieren zu können. Marktdominante
    nochmal durchgesetzt. Der Kollateralschaden                                    Plattformen müssen interoperabel werden.
    ist, dass sie damit ihre alte Welt mit ihren al-                               Politisches Microtargeting muss transparenter
    ten Werkzeugen für weitere 20 Jahre in Stein                                   und besser reguliert werden. Dazu gibt es
    gemeißelt haben – ohne Antworten für eine                                      Optimierungspotential bei der Datenschutz-
    sich entwickelnde neue Welt mit neuen Produ-                                   durchsetzung gegenüber großen Plattformen.
    zenten zu geben.                                                               Doch die ePrivacy-Verordnung wurde vertagt,
                                                                                   denn auf einmal standen Netzkonzerne und
    Mit der Schrotflinte auf YouTube geschos-                                      Verlage Seite an Seite, um ihr intransparentes
    sen, halbes Netz mitgetroffen                                                  Tracking gemeinsam vor Verbraucherrechten
                                                                                   zu beschützen.
       Wir haben es hier mit einem YouTube-Ge-
    setz zu tun, in den Köpfen aller Befürworter                                      Und wo wir schon bei der Finanzierung von
    ging es nur um einen Kreuzzug gegen YouTu-                                     Journalismus sind: Warum müssen Print-Zei-
    be, Google und vielleicht noch Facebook und                                    tungen nur sieben Prozent Mehrwertsteuer
    Instagram.                                                                     abführen, Online-Journalismus hingegen die
                                                                                   vollen 19 Prozent? Würde man zukunftsfä-
        Das Problem von Anfang an bei dieser Re-                                   higen Journalismus wirklich fördern wollen,
    form: Man schießt mit der Schrotflinte auf die                                 müsste die Mehrwertsteuer für Online-Ange-
    großen Plattformen, die Uploadfilter-Systeme                                   bote der von Zeitungen angepasst werden.
    schon mehr und weniger schlecht einsetzen
    und trifft so vor allem zahlreiche kleine Platt-                               Was fehlt: Alltagshandlungen legalisieren
    formen, die bislang ohne Filter-Systeme aus-
    gekommen sind. Sie müssen künftig ebenfalls                                       Wir sind mittlerweile alle Urheber. Diese
    filtern, auf Uploads ihrer Nutzer verzichten                                   Reform geht aber immer noch davon aus, dass
    oder den Dienst ganz einstellen. Hier rächt es                                 es nur wenige professionelle Urheber gibt, für
    sich, dass Axel Voss und viele seiner Kollegen                                 die es einen Rechtsrahmen braucht. Das ist nur
    im EU-Parlament keine Ahnung vom Thema                                         aus einer Perspektive zu schaffen, die das Inter-
    hatten und Definitionen gewählt haben, die                                     net noch eher aus der Zeitung kennt.
    auf eine Vielzahl weiterer Plattformen wie
    Foren zutreffen könnten. O-Ton Voss: Nur                                          Diese Reform hat keine Antwort darauf
    ein bis fünf Prozent aller Plattformen sind                                    gefunden, dass private Nutzer bei nicht-kom-
    betroffen. Wir sind gespannt, wann Verlags-                                    merziellen Alltagshandlungen Abmahnungen
    justiziare feststellen, dass ihre Angebote mit                                 riskieren, wenn sie etwa Memes auf ihrer Web-
    Nutzerinhalten auch unter diese Definition                                     seite veröffentlichen und damit gerade nicht
    fallen, sie dafür haften könnten und auch Up-                                  die marktdominanten Netzmonopole nutzen.
    loadfilter installieren müssen.                                                Fragt mal die befürwortenden Politikerinnen
                                                                                   und Politiker, auf deren Webseiten und Face-
    Reguliert doch endlich mal Google und Co.                                      book-Seiten zahlreiche Urheberrechtsverlet-
    mit besseren Instrumenten                                                      zungen gefunden wurden.

      Es gibt sinnvollere Wege, gegen YouTube                                        Diese Reform hat keine Antwort darauf, dass
    und Co. vorzugehen: Das Wettbewerbsrecht                                       legitime Nutzungsformen ständig mit einem
    kann und muss verbessert werden. Warum                                         Bein in einer Urheberrechtsverletzung stehen.
    können andere Staaten Digitalsteuern ein-                                      Da reicht es auch nicht, wenn im Text steht,
    führen und wir nicht? Wir brauchen dringend                                    dass die Upload-Filter bitte lieb zu Memes sein
    Wege und Möglichkeiten, um algorithmische                                      sollten. Das ist kein Rechtsanspruch wie ein
                                                                                   Recht auf Remix im Rahmen einer Schranken-
    	 https://netzpolitik.org/2018/den-datenfischern-die-netze-kappen-ideen-ge-
                                                                                   regelung, die man hätte einbauen können.
       gen-die-marktmacht-der-plattformen/
spw 2 | 2019                                                                                                                               Meinung             

   Diese Reform hat keine Antwort dafür parat,                                  Nur einen Tag vor der Abstimmung erklärte
warum zum Beispiel „professionelle Fotografen“,                              Voss bei Zeit-Online, dass es seiner Einschät-
die das Fotografieren also als Beruf ausüben,                                zung nach kein Problem sei, ganze Texte auf ei-
vergütet werden sollen, aber alle, die das nur ne-                           ner privaten Webseite zu veröffentlichen. Das
benberuflich machen, leer ausgehen sollen, weil                              Problem: Wenn Nutzer das machen, riskieren
sie eben nicht Mitglied in der passenden Ver-                                sie Abmahnungen, weil das nach geltender
wertungsgesellschaft werden dürfen.                                          Rechtsprechung eben nicht legal ist. Daran än-
                                                                             dert auch die Voss-Reform nichts. Im real exis-
   Die Bundeszentrale für politische Bildung                                 tierenden Internet gilt nicht einmal urheber-
bietet das Buch „Urheberrecht im Alltag“ an.                                rechtliche Gnade, wenn Schulen Referate ihrer
Auf 385 Seiten wird erklärt, was aktive Nut-                                 Schüler ins Netz stellen. Gegen Voss wirkte
zer im Netz alles beachten sollten, um bloß                                  selbst Günther Oettinger rückwirkend wie ein
keine unbewusste Urheberrechtsverletzung                                     Netz-Experte. Ich dachte, dass wir diese Zeiten
zu begehen. Das Urheberrecht wird mit dieser                                 hinter uns gelassen haben. Axel Voss hat das
Reform nicht einfacher. Dafür werden immer                                   Gegenteil bewiesen.
mehr Nutzer zum Sender und selbst Urheber.
Diese Diskrepanz wird nicht aufgelöst, sie                                   Eine Debatte über die notwendigen Regeln
wird verschärft.                                                             der nächsten 20 Jahre? Chance verpasst
   Mit dieser Reform untergraben die Befür-                                     Selten haben wir eine derart von Lobbyis-
worter die Akzeptanz des Urheberrechts in                                    ten umkämpfte Debatte erlebt. Die Arroganz
breiten Teilen der Bevölkerung, die nicht ver-                               der Reformbefürworter war erschreckend
stehen, warum bestimmte Alltagspraktiken in                                  und trieb immer mehr Demonstranten auf die
den USA dank der dortigen „Fair Use“-Regeln                                  Straße: Sind doch alle gekauft, kein Kritiker
vollkommen akzeptiert sind und hier dafür                                    kann sich eine eigene Meinung gebildet haben,
Abmahnungen verschickt werden. Oder zu-                                      alles nur Schein. Bis zum letzten absurden Ar-
künftig die Live-Streams im Upload-Filter lan-                               gument in den vergangenen Tagen, vorgetra-
den und man sich danach beschweren darf.                                     gen von alten Männern, die wirtschaftlich von
                                                                             der Reform profitieren: Die Kritiker seien kei-
CDU-Politiker Axel Voss: Keine Ahnung                                        ne wirklichen Bürgerrechtler, sonst wären sie
und stolz darauf                                                             für diese Reform.

   Nach jedem neuen Interview mit Axel Voss                                     Vielen Menschen ist nicht nur in den ver-
fragt man sich, ob er überhaupt verstanden hat,                              gangenen Monaten bewusst geworden, dass
was er da auf den Weg bringt oder es verstehen                               das trockene und langweilige Urheberrecht ihr
wollte. Wenn YouTuber mit etwas Motivation                                   Leben beeinflusst. Bisher wurde das Urheber-
und ohne viel juristisches Hintergrundwissen                                 recht immer nur im Elfenbeinturm der Politik
im Urheberrecht innerhalb kurzer Zeit kom-                                   im Dialog mit wenigen Lobbys diskutiert. Wir
petenter erklären können, was die Auswir-                                   haben jetzt eine dringend notwendige gesell-
kungen von Upload-Filtern und Artikel 13 tat-                                schaftliche Debatte, aber allen Beteiligten wird
sächlich sein könnten als der verantwortliche                                mitgeteilt: Danke, kein Interesse, ihr habt eh
CDU-Politiker, dann sorgt das für Politikver-                                keine Ahnung. In 20 Jahren können wir bei der
drossenheit. Zentraler Satz war dann irgend-                                 nächsten Reform weiter diskutieren, bis dahin
wann „Mir scheint, viele betrachten die Mög-                                 müsst ihr damit einfach leben.
lichkeiten des Digitalen als Lebensinhalt.“
Willkommen in der Realität!
                                                                             	 https://www.zeit.de/digital/internet/2019-03/axel-voss-artikel-13-uploadfil-
	 https://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/urheberrecht/169991/        ter-urheberrechtsreform
   urheberrecht-im-alltag                                                    	 https://netzpolitik.org/2018/keine-gnade-bei-schuelerreferat-im-netz-eugh-
	 https://www.youtube.com/watch?v=iNpB73CAdL8                                  urteil-prolongiert-abmahnung-von-bagatellen/
	 https://www.vice.com/de/article/vbw8zy/streit-um-uploadfilter-und-arti-   	 https://netzpolitik.org/2018/eu-urheberrecht-lobby-wettlauf-mit-popstars-
   kel13-wie-axel-voss-das-internet-sieht                                       und-kondomen/
   Meinung                                                                                                                                        spw 2 | 2019

       Es gab Möglichkeiten, um über alternative                                    für diese Aufforderung und Motivation. Es war
    Regelungen zu diskutieren. Es hätte bessere                                     vollkommen in Ordnung, wenn die GEMA be-
    Definitionen für betroffene Plattformen geben                                   kannte Künstler nach vorne schob, um für ihre
    können, die nicht das halbe Netz treffen. Dabei                                 wirtschaftlichen Interessen einzutreten.
    hätte man tatsächlich die Zahl der betroffenen
    Plattformen auf die wenigen marktdominanten                                        Aber es wurde ständig skandalisiert, dass
    begrenzen können, die immer wieder als Bei-                                     YouTube seine Künstler darüber informiert
    spiele genannt wurden. Man hätte die Lizen-                                     hat, dass sich durch die Reform ihre Plattform
    zierungspflicht zumindest auf jene Inhalte und                                  massiv verändern könnte. Das ist verlogen. Es
    Nutzungen einschränken können, für die es                                       stimmt eben nicht, wenn die Befürworter sa-
    überhaupt Verwertungsgesellschaften als An-                                     gen, dass alle Künstler auf YouTube und Co.
    sprechpartner gibt. Hat man aber nicht , ob aus                                 Verluste machen würden. Es gibt neue Ur-
    Inkompetenz oder Arroganz bleibt offen. Jetzt                                   heber, die ihr Geschäftsmodell auf YouTube,
    haben wir eine Situation, in der viele kleine Fo-                               Amazon oder anderen Plattformen aufgebaut
    ren zu Recht befürchten müssen, von densel-                                     haben. Davor die Augen zu verschließen, geht
    ben Regelungen betroffen zu sein, mit denen                                     nicht mehr. Das sind dann auch mit die Ersten
    man auf YouTube geschossen hat.                                                 gewesen, die aufgrund ihrer Erfahrungen vor
                                                                                    den Auswirkungen der verpflichtenden Up-
       Man hätte auch die Notwendigkeit von Up-                                     load-Filter gewarnt haben.
    load-Filtern nicht nur wörtlich, sondern gene-
    rell aus dem Text nehmen können. Es gab al-                                     CDU hat bewiesen, dass man beim Thema
    ternative Vorschläge wie ein Recht auf Remix,                                  Desinformation mitreden kann
    auch wenn Axel Voss beteuerte, das sei doch
    alles alternativlos gewesen.                                                       Der Hobby-Europaabgeordnete Elmar Brok,
                                                                                    der viele Jahre parallel für den Bertelsmann-
    Medien tragen so zur Glaubwürdigkeits-                                          Medienkonzern gearbeitet hat11, durfte ohne
    krise bei                                                                       Hinweis auf seine frühere Lobbytätigkeiten
                                                                                    von „einer massiven und von Algorithmen ge-
       Ich habe viele netzpolitische Debatten in                                    steuerten Kampagne der großen Internetkon-
    den vergangenen 20 Jahren erlebt. Keine davon                                   zerne“ raunen. Daniel Caspary, Vorsitzender
    war so verlogen wie diese. In Zeiten von ge-                                    der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament,
    sellschaftlichen Debatten um Desinformation                                     verkündete ohne kritische Rückfragen via
    und sinkender Glaubwürdigkeit der Medien                                        Bild12, dass Internetkonzerne Demonstranten
    haben viele von diesen das Vertrauen vor allem                                  gekauft hätten. Der CDU-Europaabgeordnete
    der jungen Generation verspielt, indem sie zu-                                  Sven Schulze sah überall Bots , weil er Mails
    gunsten ihrer eigenen wirtschaftlichen Inter-                                   von Googlemail-Adressen bekam. Andere ih-
    essen die Wahrheit gedehnt und häufig selbst                                    rer Kolleginnen und Kollegen sahen einfach
    Desinformation betrieben haben. Allen voran:                                    nur Kinder und Jugendliche von Google ins-
    FAZ und Bild.                                                                   trumentalisiert, weil sie sich nicht vorstellen
                                                                                    konnten, dass es legitime Kritik an ihrer Re-
       Es war vollkommen in Ordnung, wenn der                                       form geben kann.
    frühere EU-Digitalkommissar Günther Oet-
    tinger beim Verband der Zeitungsverleger diese                                    Überhaupt Upload-Filter. Wie absurd war
    aufforderte, ihre Journalisten auf Linie zu brin-                               denn das Argument, dass diese gar nicht im
    gen und zu überzeugen, in ihrem wirtschaft-                                     Text vorkommen würden und deswegen die
    lichen Interesse zu berichten: „Schwärmen Sie                                   Angst vollkommen unangemessen sei? Wie
    aus!”10 Da bedankten sich die Verleger noch
                                                                                      tinger-mahnt-verleger-renitente-online-redaktionen-in-sachen-lsr-auf-li-
                                                                                      nie-zu-bringen/
    	 https://netzpolitik.org/2018/eu-urheberrecht-deutschland-fuer-verguetetes-   11 https://netzpolitik.org/2005/als-bertelsmann-lobbyist-im-europaparlament/
       recht-auf-remix-statt-upload-filter/                                         12 https://netzpolitik.org/2019/weit-mehr-als-100-000-menschen-demonstrie-
    10 https://meedia.de/2016/09/28/schwaermen-sie-aus-eu-kommissar-oet-               ren-in-vielen-deutschen-staedten-fuer-ein-offenes-netz/
spw 2 | 2019                                                                                                       Meinung      

konnte man nur auf die Idee kommen, damit                                      sind, schärfer gestellt werden. Das Leistungs-
durchzukommen?                                                                 schutzrecht für Presseverleger wird europaweit
                                                                               kommen. Viele Alltagspraktiken werden im-
   Mit jeder neuen Aussage schaffte man es,                                    mer noch illegal sein und zu Abmahnungen
erneut Öl ins Feuer einer überhitzten Debatte                                  führen, auch wenn die Einschätzung von Axel
zu gießen. Der Kollateralschaden für unsere                                    Voss eine andere ist. Profitieren werden die
Demokratie wird mangelnde Glaubwürdigkeit                                      Großen, seien es die Plattformen oder Medien-
bei einem großen Teil der Jugend sein. Glück-                                  konzerne. Darunter leiden werden die Kleinen.
wunsch CDU/CSU, diesen Bärendienst für die                                     Urheber müssen mehr mit Verwertern teilen,
Demokratie habt ihr ganz alleine geschafft.                                    ihre Stellung wird aber nicht wirklich verbes-
                                                                               sert. Neue Ausnahmen für Fair Use, für Remix
Wer arbeitet verdeckt: Google oder Verlage?                                    oder für Bagatellnutzungen wird es weiterhin
                                                                               nicht geben.
   Ja, es gab von Seiten der Technologie-Indus-
trie Einflussnahme, die auch aus den USA mit                                      Wir werden viele Jahre unter den Folgen
Ressourcen und Geld unterstützt wurde. Wir                                     dieser Abstimmung leiden. Es wird viele Jahre
würden uns wünschen, dass es bessere Trans-                                    dauern, bis die Rechtsunsicherheiten in die-
parenzregeln für politische Einflussnahme                                      sem schlechten Gesetzestext von Gerichten
geben würde. Aber ebenso gab es unter dem                                      geklärt werden. Viele dafür verantwortliche
Deckmantel des „unabhängigen Qualitäts-                                        Politikerinnen und Politiker werden dann
journalismus“ eine nie zuvor so krass erlebte                                  schon in Rente sein. Kein Danke. Geht am
Einflussnahme von Verlegern über ihre Re-                                      26.05.2019 wählen.                         ó
daktionen auf diese Debatte. Beide Seiten ha-
ben massiv mit mehr oder weniger verdeckten
Rollen gespielt. Wenn man sagt, dass YouTube
hier im Hintergrund massiv Einfluss genom-
men hat, dann muss man genauso die Rolle der
FAZ berücksichtigen, die dubiosen Lobbyisten
massiv Platz zur Verfügung gestellt hat, um
unhaltbare Thesen in den Raum zu stellen13,
etwa dass hinter der Kampagne im Netz vor
allem Bots aus den USA stehen würden – ohne
sich anschließend ausreichend zu korrigieren,
als die These wie ein Kartenhaus zusammen-
fiel. Soviel Desinformation und falsche Be-
hauptungen haben wir selten in einer netzpoli-
tischen Debatte erlebt.

   Nach der Abstimmung ist vor dem Um-
setzungsgesetz auf nationaler Ebene. Ab jetzt
geht es nur noch darum, wie diese Richtlinie
umgesetzt wird. Es gibt kleine Stellschrauben.
Die ermöglichen eben nicht die großen Ände-
rungen, die CDU/CSU in den vergangenen Ta-
gen zu versprechen versuchte14. Upload-Filter
werden kommen oder, wo sie bereits im Einsatz

13 https://uebermedien.de/36090/haben-us-konzerne-mit-twitter-bots-die-eu-
   urheberrechtsdebatte-beeinflusst/
14 https://netzpolitik.org/2019/absurde-beruhigungspille-cdu-will-uploadfil-
   ter-durchdruecken-und-dann-verhindern/
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