Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)

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Hearings zum sicherheitspolitischen Bericht 2009

Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Transkription der Stellungnahme vom 27. Februar 2009

Niederberger Paul: Wir danken Ihnen, dass Sie uns anhören. Das Verfahren finden wir gut, wir haben
aber etwas Mühe, dass unsere Ausführungen aufs Internet gestellt werden. Eigentlich findet jetzt ein
Prozess statt. Es ist in unserer Partei so, dass seit Sommer 2008 eine interne Arbeitsgruppe an dieser
Thematik arbeitet. Die Diskussion in der Fraktion findet aber erst zu einem späteren Zeitpunkt statt.
Generell kann ich aus Sicht der CVP sagen, dass wir hinter einer starken Milizarmee stehen. Der
Leistungsauftrag der Armee und die entsprechenden finanziellen Mittel müssen übereinstimmen – das
war in der Vergangenheit nicht immer so.

Herr Segmüller, Herr Büchler und ich werden jetzt zu Ihren Fragen Stellung nehmen und uns dabei
ablösen. Nach Ihren Fragen werden wir uns erlauben, auch Ihnen noch ein paar Fragen zu stellen.

1. Welches sind die sicherheitspolitischen Trends in den nächsten Jahren?
Weltweit: Wir gehen davon aus, dass mehr lokale Konflikte, d.h. religiöse, politische und kulturelle
Differenzen entstehen werden. Gefahren treffen schneller und nachhaltiger mehrere Länder oder weiten
sich weltweit aus (Pandemien, Umweltschäden, Migration, Fundamentalismus, Terrorismus, Proliferation
von Massenvernichtungswaffen, Wirtschafts- und Finanzkrisen usw.). Die Bedrohungen werden
unberechenbarer und deren Hintergründe schwieriger zu erkennen sein.

In der Schweiz: Die Kriminalität nimmt momentan nicht zu, aber sie wird gewalttätiger und vermehrt durch
Jugendliche und Ausländer verursacht. Politische und kulturelle Spannungen, teils auch gewalttätige
Konflikte, können Spaltungen in der Schweiz verursachen. Daraus ergibt sich, dass Sicherheitsprobleme
vermehrt über eine internationale Zusammenarbeit gelöst werden müssen.

2. Was verstehen Sie unter Sicherheitspolitik?

Segmüller Pius: Die Sicherheitspolitik ist für die CVP eine umfassende Staatsaufgabe, die alle
staatlichen Bereiche mehr oder weniger betreffen. Sie dient der Schweiz, wirkt aber auch über unser
Land hinaus, auf andere Länder, auf Europa und sogar auf die Welt. In einer umfassenden
Sicherheitspolitik sollen alle Sicherheitsbereiche und Sicherheitsmassnahmen berücksichtigt werden. Nur
eine umfassende Sicherheitskonzeption kann die Grenzen zwischen innerer und äusserer Sicherheit
überwinden.

Konsequenz: Der Bund muss die Sicherheitspolitik als eine glaubwürdige Querschnittsaufgabe
wahrnehmen. Deshalb braucht es auch ein Krisenmanagement, das vom Bund unter Einbezug der
anderen Staatsebenen – also Gemeinde und Kanton – glaubwürdig koordiniert wird. Dieses
Krisenmanagement bedarf eines leistungsfähigen Nachrichtendienstes, der alle sicherheitsrelevanten
Bereiche einbezieht und nicht nur auf militärische Beziehungsnetze fokussiert ist. Ein solches
Management schafft mehr Handlungsoptionen und wirkt zeitgerecht.
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3. Welches sind die wichtigsten Bedrohungen und Gefahren für die Sicherheit der Schweiz und ihrer
Einwohner?

Büchler Jakob: Die Bedrohungen auf unser Land sind zunehmend Phänomene, die ihren Ursprung in
Afrika, Zentralasien und im Nahen Osten haben. Sie können unser Land direkt und vor allem indirekt
verunsichern. Gewalttaten, soziale Unruhen, Energie-, Umwelt- und Klimaprobleme, religiös-politischer
Extremismus, Terrorismus, organisiertes Verbrechen, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel,
Missbrauch der Sozialwerke, Ausländerproblematik, Arbeitslosigkeit und Finanzkrisen betreffen zwar
eher spezielle Sicherheitsorgane, bedürfen aber schnell eines nationalen Sicherheitsmanagements.
Konsequenz: Bedrohungen und Gefahren treten überraschend, durchmischt und miteinander auf. Sie
müssen deshalb ganzheitlich und departementsübergreifend analysiert und bearbeitet werden und alle
Staatsebenen einschliessen.

4. Welches sind die nationalen Sicherheitsinteressen der Schweiz?

Niederberger Paul: Die nationalen Sicherheitsinteressen kann man in folgende Interessen aufteilen:
Physische Interessen: Unabhängigkeit, territoriale Integrität, Unversehrtheit von Personen und Objekten.
Ökonomische Interessen: Wirtschaftliche Sicherheit, Prosperität, Wohlstand unserer Bevölkerung,
Versorgungssicherheit durch Rohstoffe und Energie, Beschäftigung und Marktzugang.
Werteinteressen: freiheitliche Gesellschaftsordnung, Chancengleichheit, Identität, Zusammenhalt,
kultureller und religiöser Frieden, positives Sicherheitsempfinden.
Internationale Interessen: Internationale Stabilität, Frieden und Demokratie.

5. Grundstrategie der Schweiz in ihrer Sicherheitspolitik

Segmüller Pius: Ich glaube, wir haben im letzten Sicherheitspolitischen Bericht die internationale
Kooperation vermehrt umgesetzt. Heute ist auch eine nationale Kooperation notwendig, ohne die andere
zu beschneiden – sei das mit Einzelstaaten, Staatengruppen und internationalen Organisationen wie Uno
oder OSZE. Wo wir zu Frieden und Stabilität beitragen können oder dort, wo wir Sicherheitslücken
haben, machen internationale Kooperationen Sinn, selbstverständlich unter Wahrung der Neutralität und
Handlungsfreiheit. Ich glaube, wir können mit unseren bescheidenen Mitteln, die wir für die Sicherheit
ausgeben, nicht alles abdecken. Deshalb sind Kooperationen – unter der Wahrung der Neutralität –
notwendig. Das Gleichgewicht zwischen den Instrumenten der inneren und äusseren Sicherheit muss
besser gewährleistet und durch Vernetzung gefördert werden. Ich denke da auch an die Polizei. Was die
Armee betrifft, sollte man ein Gleichgewicht zwischen den Aufgaben finden: Was macht die Armee, was
machen die Kantone, was machen die Gemeinden? Die Frage ist auch, wo wir uns sicherheitspolitisch im
Ausland engagieren. Diese Vernetzung bedarf eines klaren Instrumentes für Früherkennung. Es müssen
auch präventive Massnahmen ergriffen werden. Repression und Intervention müssen national und
international aufeinander abgestimmt werden.

6. Welches ist der Stellenwert der Neutralität?

Büchler Jakob: Nebst den sicherheitspolitischen Konstanten – allgemeine Wehrpflicht und Milizsystem –
behält die Neutralität ihre Aktualität. Gerade zu dieser Frage sind Vorstösse hängig. Sie gewinnt
angesichts der gegenwärtigen Entwicklung wieder an Bedeutung. Im Krieg gegen den Terror ist kein
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aktives Auslandengagement gefragt. Wenn sich international politische Gegensätze akzentuieren, ist die
Neutralität dem unabhängigen Kleinstaat Orientierung und Richtung.

7. Die Aufgaben der Armee und ihre Wichtigkeit

Segmüller Pius: Grundsätzlich will die CVP an Artikel 58 der Bundesverfassung und an Artikel 1 des
Militärgesetzes festhalten. Die Verteidigung im Sinne der Bundesverfassung möchten wir als Erhaltung
des Friedens und als Schutz der Bevölkerung verstehen. Diese Verteidigung soll weiterhin eine prioritäre
Aufgabe unserer Milizarmee sein. Die Ausbildung dazu soll zeitgemäss und bedrohungsgerecht gestaltet
werden. Die für diese Aufgabe bestimmten Truppenverbände haben sich ausschliesslich auf diese
Verteidigung zu konzentrieren. Selbstverständlich sind da vor allem die Milizverbände gefragt. Diese
Aufgabe sollte nicht mit anderen Armeeaufgaben vermischt werden. Es ist sinnlos, wenn die Leute, die
diese Aufgabe wahrnehmen, noch subsidiäre Assistenzdienste machen. Das gibt Probleme in den
Köpfen. Die Assistenzdienstaufgaben müssen gegenüber den Kantonen klar definiert werden, damit die
Armee mit speziell Ausgebildeten diese Aufgabe einsatzbezogen und aus dem Stand erfüllen kann. Wir
haben dieses Problem an der letzten Sitzung der SiK besprochen. Die Kantone müssen wissen, wann die
Armee was leisten kann. Die Friedensförderungsaufgaben sollen sich wie bis anhin auf besondere
Einsätze beschränken und unter den gleichen politischen Bedingungen wie bis anhin geleistet werden.

Die Schweizer Armee kann nur dann eine glaubwürdige Milizarmee sein, wenn die Bundespolitik die
Armeeaufgaben und die entsprechenden Finanzen über eine Legislaturperiode in Einklang bringt. Das
war in den letzten Jahren nicht mehr der Fall.

Diskussion

Harnischberg Thomas: Zum Verhältnis innere und äussere Sicherheit: Haben Sie den Eindruck, dass
die Ressourcen richtig verteilt sind? Käme für Sie allenfalls eine Verschiebung infrage?

Segmüller Pius: (zu Harnischberg Thomas) Im Moment haben wir in der inneren Sicherheit aufgrund der
staatspolitischen Situation vielfach ein Ungleichgewicht. Wir müssen deshalb nicht gleich die Verfassung
ändern. Aber es ist wichtig, dass man bei der Polizei künftig mehr leistet, vor allem im präventiven
Bereich. Was wir heute haben, ist fast nur noch Interventionspolizei. Die Gemeinden wollen mehr
Kontrollen. Im Kanton Luzern werden deshalb immer mehr private Sicherheitsleute auf öffentlichem
Grund eingesetzt. Ich glaube, diese Aufgabe sollte unsere Polizei wahrnehmen.

Chevalley Jean-Jacques: Sie haben von einer besseren Zusammenarbeit gesprochen. Wie stellen Sie
sich das konkret vor? Was könnten uns die Politiker liefern, dass wir in Zukunft ein bisschen mehr
Stabilität erreichen und nicht alles wieder ändern müssen?

Niederberger Paul: (zu Chevalley Jean-Jacques) Wir könnten uns vorstellen, dass man vom
Leistungsauftrag der Armee ausgeht und dann die entsprechenden finanziellen Mittel für eine
Legislaturperiode festlegt. So könnte das Ganze für die Armee viel planbarer werden. Früher wurde über
die Finanzen gesteuert. Das finden wir grundsätzlich falsch.

Büchler Jakob: (zu Chevalley Jean-Jacques) Es ist Aufgabe des Parlamentes, dafür zu sorgen, dass die
Sicherheitspolitik wieder den Stellenwert bekommt, den sie verdient. In den letzten zwei, drei Jahren
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wurde im Parlament nicht unbedingt in unserem Sinn über Sicherheitspolitik abgestimmt. Wir hoffen, dass
diese Zeiten vorbei sind. Die Fehler der letzten zwei, drei Jahre wie zum Beispiel das abgelehnte
Rüstungsprogramm haben eben in diese besondere Situation geführt. Das waren sehr schlechte Zeichen
für die Armee und für die ganze Sicherheitspolitik. Die Sicherheitspolitik muss wieder den Stellenwert
bekommen, den sie verdient.

Segmüller Pius: (zu Chevalley Jean-Jacques) Wichtig ist, dass man in Bezug auf die Aufgaben im
Bericht etwas genauer wird. Diese Genauigkeit ist nur im Verbund mit anderen zu erreichen (KKJPD,
Bevölkerungsschutz, Kantone usw.). Die Aufgaben müssen klarer definiert werden, damit wir auf allen
Staatsebenen wissen, um welche Leistungen es geht. Erst dann kann man ein Armeeleitbild machen. Ich
glaube, es ist auch wichtig, dass der Bund einmal sagt: Nein, diese Leistung machen wir nicht.

Catrina Christian: Sehen Sie eine Alternative zum Aufwuchskonzept, wie es seit einigen Jahren
eingeführt worden ist? Sehen Sie Raum für Änderungen? Wenn ja, glauben Sie, dass man bereit wäre,
dafür mehr Geld zu sprechen?

Segmüller Pius: (zu Catrina Christian) Wir haben eine Milizarmee. Es ist klar, dass nicht alle Leute auf
Knopfdruck eingesetzt werden können. Ich glaube, das Aufwuchskonzept hat seine Berechtigung.
Natürlich stellen sich gewisse Fragen, wenn wir die verschiedenen Leistungen anschauen: Wo können
wir dieses Aufwuchskonzept brauchen? Wo braucht es eher die Durchdiener? Wo braucht es die Profis?
An der Idee des Aufwuchses möchten wir aber nicht rütteln. Wir unterstützen die allgemeine Wehrpflicht.
Wenn wir das Aufwuchsmodell streichen, müssen wir andere Wehrmodelle suchen – diese sehen wir im
Moment gar nicht.

Scholl Willi: Herr Segmüller, Sie haben von einer umfassenden Sicherheitspolitik gesprochen.
Gleichzeitig haben Sie gesagt, der Bund müsse gelegentlich auch Nein sagen. Wenn wir auf der einen
Seite von einer umfassenden Sicherheitspolitik sprechen und auf der anderen Seite Nein sagen müssen,
dann sollten wir das Ganze vielleicht priorisieren. Wo wollen wir Mittel investieren und wo nicht? Mit
welchem Instrumentarium könnten wir diese Priorisierung herstellen?

Segmüller Pius: (zu Scholl Willi) Mit dem Begriff "umfassend" meinen wir, dass die Sicherheitspolitik
nicht nur auf Sicherheitsorgane oder -fähigkeiten auf Stufe Bund konzentriert werden soll.
Sicherheitspolitik betrifft auch die Zusammenarbeit einerseits mit anderen Ländern aber auch mit den
Kantonen und Gemeinden. Das Wort "umfassend" will nicht sagen, dass wir alles können. Es bedeutet:
Wir haben unser Radar auf alles, wir werden diese Priorisierung mit den anderen Staatsebenen machen
müssen und vor allem mit denjenigen Leuten, die diese Leistungen erbringen sollen. In gewissen
Bereichen haben wir Überschneidungen, zum Beispiel zwischen Feuerwehr und Zivilschutz, aber auch
zwischen Polizei und Armee. Diese Überschneidungen müssen wir im Gespräch klären. Wir müssen
sagen, wo die Prioritäten liegen. Liegen sie beim Kanton bezüglich Polizei? Wo liegen dann die
Prioritäten für die Armee? Man muss miteinander reden, damit die Priorisierung klarer wird.

Scholl Willi: Was heisst "Wir haben unser Radar auf alles"? Könnten Sie das noch genauer ausführen?

Segmüller Pius: (zu Scholl Willi) Die Radare auf Stufe Kanton und Gemeinde sind vielfach ein wenig
abgekoppelt. Es ist zum Beispiel eigenartig, dass ich als Polizeikommandant einer mittelgrossen Stadt
nie auf Probleme angesprochen wurde. Was nachgefragt wurde, war höchstens die Kriminalitätsstatistik.
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Es gibt Sachen, die wir feststellen, die nicht untersuchungsrelevant sind. Die Radare, die vorhanden sind,
sollten miteinander vernetzt werden. Eine Koordination auf Stufe Bund würde ein besseres Bild über die
Sicherheitsbedürfnisse ergeben.

Büchler Jakob: (zu Scholl Willi) Die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden muss
weiterhin geübt werden. Das ist dringend nötig, denn es hat sich gezeigt, dass wenig an Erfahrung da ist.

Zwahlen Pedro: Sie haben betont, dass Sicherheitsprobleme auch in internationaler Kooperation zu
lösen sind. Diese Kooperation findet in internationalen Netzwerken statt, in denen oft Solidarität gefordert
wird. Solidarität ist ein Geben und Nehmen. Sie ist uns im EDA sehr wichtig. Solidarität kann nicht immer
nur darin bestehen, dass man bezahlt – das haben wir gerade im Fall von "Atalanta" wieder gesehen. Es
wird auch verlangt, dass man hinsteht und so seine Solidarität zeigt. Könnten Sie dazu etwas sagen?

Niederberger Paul: (zu Zwahlen Pedro) Es stimmt, Solidarität ist ein Geben und Nehmen. Aber man
kann sich physisch nur dort einbringen, wo man auch die entsprechenden Kompetenzen hat. Ich glaube,
das ist eine wichtige Voraussetzung. Im Fall von "Atalanta" stellen sich folgende Fragen: Was ist
überhaupt zu schützen? Lohnt sich dieser Einsatz? Ich glaube, die Schweiz ist durchaus für ein Geben
und Nehmen. Wichtig ist, dass man das Know-how in den entsprechenden Gremien einbringen kann.
Vieles wird auch diskret und im Hintergrund gemacht. Im Fall von Georgien–Russland läuft sehr viel auf
politischer Ebene. Das zeigt, dass die Schweiz durchaus bereit ist zu geben, ohne alles an die grosse
Glocke zu hängen.

Segmüller Pius: (zu Zwahlen Pedro) Ich glaube, wir dürfen nicht nur auf die internationalen Leistungen
schauen, die von Sicherheitsorganen erbracht werden. Ich war kürzlich in Nigeria und habe dort eine sehr
kompetente Auskunft vom IKRK bekommen. Das ist eine Leistung, die international anerkannt ist. Die
Sicherheitsorgane der Schweiz sind privilegiert, gewisse Sachen zu machen und andere Sachen nicht zu
machen. Ich habe etwas Mühe, wenn es heisst, dieses Land gibt 3000 Soldaten für einen bestimmten
Einsatz, aber die Schweiz gibt nur 250. Wichtig ist die Kapazität. Hinter einem Piloten steckt natürlich
mehr Geld als hinter einem Füsilier. Die Leistung des Füsiliers kann jedes Land erbringen. Wichtig ist
auch, dass man vonseiten des Bundes einmal sagt, dass private Organisationen auch enorm viel leisten.

Büchler Jakob: (zu Zwahlen Pedro) Zur Frage Atalanta: Eine departementsübergreifende Diskussion hat
nicht stattgefunden. Wir kennen nur die Meinung des EDA. Natürlich hat jetzt der Gesamtbundesrat dazu
Stellung genommen, aber die politische Debatte ist noch nicht geführt worden. Als Sicherheitspolitiker
werde ich von den Medien gefragt, was ich dazu meine. Sind diese Auslandeinsätze noch
friedensfördernde Einsätze? Ist das mit der Neutralität vereinbar? Ich will hier nicht ins Detail gehen.
Wichtig ist mir, dass solche Situationen departementsübergreifend analysiert werden.

Fäh Paul: Es wird hie und da gesagt, der Sicherheitspolitische Bericht sei zu wenig verbindlich, er werde
im Parlament lediglich zur Kenntnis genommen und sei deshalb nicht allzu viel wert. Nun gibt es Ideen,
den Sicherheitspolitischen Bericht aufzuwerten, indem man daraus verbindliche Beschlüsse macht. Ich
glaube, das geht rechtstechnisch nur über den einfachen Bundesbeschluss. Wie stellen Sie sich dazu?

Segmüller Pius: (zu Fäh Paul) Es ist klar, dass es jetzt nicht mehr möglich ist, so vorzugehen. Aber ich
denke, wir müssen uns diese Frage einmal stellen. Es handelt sich um einen Bericht des Bundesrates
bzw. der Verwaltung. Eigentlich hätten wir dazu nichts zu sagen – wir können ihn zur Kenntnis nehmen
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oder nicht. Da wir aber in unserem föderalistischen System Sicherheit auf verschiedensten Ebenen
praktizieren, ist es wichtig, dass wir hier eine klarere Situation bekommen, insbesondere in Bezug auf die
Zuweisung von Aufgaben. Dort wäre eine Verbindlichkeit von mir aus gesehen förderlich.

Büchler Jakob: (zu Fäh Paul) Ich unterstreiche die Ausführungen von Herrn Segmüller
hundertprozentig. In der Sicherheitspolitik ist es wichtig, dass es einen solchen Bericht gibt. Wir müssen
unsere Gegner im Parlament immer wieder auf die verschiedenen Stufen hinweisen: Verfassung, Gesetz
und Bericht. Der Bericht zeigt die Richtung auf, und an dieser Richtung möchten wir uns orientieren. Aber
diesen Kampf führen wir täglich, in den Kommissionen und im Parlament. Ich bin froh, dass es den
Sicherheitspolitischen Bericht gibt, auch wenn ich weiss, dass gewisse Leute ihn nicht so wichtig finden.
Meines Erachtens braucht es den Sicherheitspolitischen Bericht als Fahrplan der Armee. Ich begrüsse
es, dass er jetzt neu überarbeitet wird.

Niederberger Paul: (zu Fäh Paul) Es gibt verschiedene Themen, die jetzt zurückgestellt werden. Wir
haben in den Kommissionen immer wieder gehört, man warte den Sicherheitspolitischen Bericht ab. Ich
finde, wir müssen Nägel mit Köpfen machen. Wir brauchen Verbindlichkeiten. Eine Grundlage dazu muss
dieser Sicherheitspolitische Bericht sein, auf dem man politisch aufbauen kann, damit das Ganze
verbindlich wird.

Bölsterli Andreas: Wenn man die Aufgabenteilung in der inneren Sicherheit beurteilt, braucht es eine
Bereitschaft der Armee. Wie soll die Armee mit diesem Problem umgehen? Braucht es eine längere
Dienstzeit? Braucht es mehr Wiederholungskurse? Wie sehen Sie das?

Segmüller Pius: (zu Bölsterli Andreas) Hier könnte man mit einer Zusammenlegung von
Wiederholungskursen, mit den Durchdienern, aber auch mit den Zeitmilitärs eine Lösung finden. Das
Ganze kann auch über eine abgestufte Bereitschaft abgefedert werden. Ich glaube, die meisten
Jugendlichen sind überzeugt, dass es diese Milizarmee braucht und sind deshalb bereit, ihren Einsatz zu
verlängern.

Thalmann Anton: Ich möchte betonen, dass die Zusammenarbeit zwischen VBS und EDA in Sachen
"Atalanta" sehr gut und intensiv war.
Herr Segmüller, ich glaube aus Ihren Ausführungen herausgehört zu haben, dass Sie eine Präferenz für
die zivile Friedensförderung haben. Sehen Sie – nachdem die zivile Friedensförderung bei uns ja auch
mehr kostet – für die militärische Friedensförderung nur eine marginale Rolle?

Segmüller Pius: (zu Thalmann Anton) Wenn es so herübergekommen ist, ist es falsch. Wir sind für die
Friedensförderung, und zwar auch durch die Armee. Die Sache ist eher die: Es gibt viele Politiker, aber
auch Leute in der Verwaltung, die diese Friedensförderung durch die Armee noch ausbauen wollen. Ich
glaube, die Situation ist so, dass wir diese Friedensförderung auf freiwilliger Basis machen. Und dass da
Grenzen gesetzt sind, wissen die anwesenden Herren in diesem Sitzungszimmer auch. Es gibt nicht nur
die Friedensförderung durch die Armee, wir haben noch andere Instrumente. Aber ich bin ganz klar für
die militärische Friedensförderung, sonst wäre ich nicht über ein Jahr in diesen Einsätzen gewesen.

Catrina Christian: Wir kommen zu den Fragen der Herren Niederberger, Segmüller und Büchler.
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Niederberger Paul: 1. Zu den gesetzlichen Grundlagen: Ist vorgesehen, etwas zu ändern, was in der
Bundesverfassung oder im Militärgesetz steht?
2. Werden im Sicherheitspolitischen Bericht auch realistische Szenarien in Bezug auf die
Bedrohungslage aufgezeigt? Wenn ja, in welcher Breite?
3. Wir sprechen von einer Milizarmee. Wir möchten diese Milizarmee behalten, stellen aber fest, dass es
zum Teil an der Akzeptanz in der Bevölkerung mangelt. Was könnte man diesbezüglich verbessern?

Segmüller Pius: 1. Ich möchte fragen, ob man das Instrument der Gesamtverteidigung vielleicht wieder
einmal hervornimmt. Herr Büchler hat vorhin darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit zwischen
Bund, Kantonen und Gemeinden weiterhin geübt werden müsse. Ich finde das sehr wichtig. Könnten Sie
dazu Stellung nehmen?
2. Der Begriff "Raumsicherung" hat uns sehr viel Schaden gebracht. Ich möchte diesen Begriff im
Sicherheitspolitischen Bericht nicht sehen. Der Begriff “Raumsicherung“ ist im Leitbild und in
verschiedenen militärischen Reglementen. Dieser Begriff wird besonders im subsidiären Bereich falsch
ausgelegt. Er hat auch keinen internationalen Standard. Ich hoffe, dass man diesen Begriff ausräumt.

Büchler Jakob: 1. Wie stellt sich unser Chef VBS zu den friedensfördernden Einsätzen in Kosovo? Wie
Sie wissen, hat das Parlament diese Einsätze bis 2011 befristet. Ich denke, dass sie aber auch nach
2011 noch nötig sein werden.
2. Zum Bereich Logistik: Wir wissen, dass die Leute in diesem Bereich am Anschlag sind. Es wurden jetzt
einige Massnahmen in die Wege geleitet. Genügen diese Massnahmen?
3. Sind Sie auch der Meinung, dass das Militärgesetz revisionsbedürftig ist?

Segmüller Pius: Ich denke, es ist eine staatspolitische Diskussion, die wir lancieren können. Wir haben
vorhin von der Zuständigkeit der verschiedenen Staatsebenen im Sicherheitsbereich gesprochen. Dieses
Problem kann der Sicherheitspolitische Bericht nicht lösen. Es ist auch keine Angelegenheit der SiK. Aber
es gibt ja Trägerschaften auf Stufe Bund für alle diese Organe. Vielleicht könnte man einmal darüber
reden und letztlich sogar eine Verfassungsänderung bewirken, um die Kompetenzen und
Verantwortungen ein bisschen zu vereinheitlichen.

Catrina Christian: Zu den gesetzlichen Grundlagen: Ich sehe aufgrund des Sicherheitspolitischen
Berichts keinen Anlass für eine Verfassungsänderung. Für das Militärgesetz gilt das Gleiche, wobei zu
sagen ist, dass sich aus der Weiterentwicklung der Armee schon Änderungen im Militärgesetz ergeben
könnten – aber aus dem Bericht per se wahrscheinlich nicht.

Zur Frage nach den Szenarien: Bis jetzt ist die Idee, keine Szenarien aufzuzeigen. Wären sie fiktiv,
hätten sie wenig Aussagekraft. Wären sie realistisch, würden uns die Kollegen vom EDA sagen, das sei
diplomatisch keine gute Sache. Die Gefahren müssen natürlich schon beschrieben werden, aber eher
nicht anhand von Szenarien.

Zur Gesamtverteidigung: Das ist sicher eine Frage, die von der Ämteranhörung abhängig ist. Vor zehn
Jahren war man der Ansicht, die Gesamtverteidigung sei zu sehr auf den “worst case“ ausgerichtet. Ich
persönlich habe den Eindruck, dass der Begriff selber immer noch etwas in Misskredit steht.

Zum Begriff "Raumsicherung": Begriffe, die Verwirrung stiften, sollte man möglichst vermeiden. Deshalb
sind wir offen für eine Klärung.
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Bölsterli Andreas: Zum Begriff "Raumsicherung": Für mich wäre es auch eine Klärung, wenn man
zwischen den beiden Haupttätigkeiten unterscheiden könnte – der Abwehr eines militärischen Angriffs
(inkl. Raumsicherung) und der Unterstützung ziviler Behörden.
Zum Bereich Logistik: Wir sind auch froh über die Massnahmen, die jetzt in die Wege geleitet wurden. Es
sind auch noch weitere Massnahmen geplant. Letztlich geht es um eine Frage des Gleichgewichts der
Mittel, der Leistungen und der Anforderungen.

Thalmann Anton: Zum Begriff "Raumsicherung": Wenn ich mich richtig erinnere, war die Raumsicherung
bei der letzten sicherheitspolitischen Übung – weil eben der "worst case" etwas in den Hintergrund
getreten war – ein Mittel, um die Möglichkeit für operative Einsätze zu haben und diese abzudecken. In
der Zwischenzeit hat sich die Lage in Europa weiter stabilisiert. Jetzt ist die Frage: Was geschieht mit der
Raumsicherung? Die Instabilität gibt es zwar immer noch, aber nur an der Peripherie, währenddem man
bei der letzten Übung noch an die Wirren zurzeit des Eurokommunismus gedacht hat. Die Situation hat
sich inzwischen verändert, deshalb besteht in diesem Bereich Handlungsbedarf. Man muss an einer
neuen Definition arbeiten, die genau das ausdrückt, was man sagen will. Unter dem Begriff
"Raumsicherung" konnte man sich am Schluss nichts mehr vorstellen.

Fäh Paul: Zu den gesetzlichen Grundlagen: Das Militärgesetz ist revisionsbedürftig. Die Artikel 1, 67, 76
und 83 sind nicht mehr zeitgemäss. Ich möchte jetzt nicht im Detail darauf eingehen. Diese Artikel sind
schon richtig, aber sie sind zu wenig präzis, sie umschreiben die Aufgaben nicht genau. Aber es ist klar,
dass man zuerst den Bericht haben muss, bevor man das Gesetz ändert.
Zur Gesamtverteidigung: Vom Konzept her müssen wir zu dieser Gesamtverteidigung zurück. Den
Namen dürfen wir aber nicht übernehmen. Wir haben den neuen Namen ja schon, nämlich "nationale
Sicherheitskooperation". Das ist das System der Gesamtverteidigung.
Zum Begriff "Raumsicherung": Herr Segmüller hat Recht – dieser Begriff enthält Unsicherheiten, die man
beseitigen sollte. Aber wichtig sind die operativen Aufgaben, nicht der Begriff.

Personen
Büchler Jakob                           Nationalrat, Kanton St. Gallen
Niederberger Paul                       Ständerat, Kanton Nidwalden
Segmüller Pius                          Nationalrat, Kanton Luzern

Bölsterli Andreas, Divisionär           Chef des Planungsstabes der Armee, VBS
Catrina Christian, Dr.                  Chef a.i. der Direktion für Sicherheitspolitik, VBS
Chevalley Jean-Jacques, Divisionär      Berater Chef VBS für militärpolitische Fragen
Fäh Paul, a NR                          Politischer Berater, Militär- und Zivilschutzdirektorenkonferenz
Harnischberg Thomas                     Chef Inspektorat, Generalsekretariat EJPD
Scholl Willi                            Direktor Bundesamt für Bevölkerungsschutz, VBS
Thalmann Anton, Botschafter Dr.         Stellvertretender Politischer Direktor, EDA
Zwahlen Pedro                           Chef Sektion internationale Sicherheit, EDA
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