Corona und das Dilemma ethischer Prinzipien

 
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Corona und das Dilemma ethischer Prinzipien
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Joachim von Gottberg

              Corona und
              das Dilemma
                ethischer
               Prinzipien
Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Verfassung sind die Prinzipien des Grund­
gesetzes auf eine so harte Probe gestellt worden: Corona hat die Freiheitsrechte des
­Einzelnen auf ein Minimum reduziert, die Wirtschaft wurde komplett lahmgelegt, für viele
 Branchen gab es praktisch ein Berufsverbot. Dass die Bevölkerung diese Einschränkun-
 gen nicht als Willkürakt der Regierung, sondern als notwendige Reaktion auf eine ge­
 fährliche Pandemie wahrgenommen hat, ist nicht zuletzt den pluralistischen Medien zu
 verdanken.1

    A
                  ls der Parlamentarische Zweidrittelmehrheit des Bundestages     Widersprüchliche Prinzipien
                  Rat unser Grundgesetz können diese Prinzipien unseres Rechts-
                  (GG) am 23. Mai 1949 staates nicht abgeschafft oder relati-     Niemand hätte es für möglich gehalten,
                  verabschiedete, war viert werden. Damit ist der Schutz der      dass ein unsichtbares Virus diese Grund-
                  sein Ziel, zumindest in Menschenwürde (Art. 1 GG), so gut       prinzipien innerhalb von wenigen Tagen
Art. 1 (Menschenwürde) und Art. 20 dies juristisch möglich ist, in Stein ge-      außer Kraft setzen könnte. Art. 1 GG
(„Die Bundesrepublik Deutschland ist meißelt. Zu den weiteren Grundrechten        steht sich unter den gegenwärtigen Um-
ein demokratischer und sozialer Bun- gehören die in Art. 2 garantierte freie      ständen selbst im Weg. Denn die Men-
desstaat.“) unumstößliche Grund­ Entfaltung der Persönlichkeit (Abs. 1)           schenwürde ist mit Selbstbestimmung
prinzipien für alle staatlichen Organe und das Recht auf Leben und körperli-      verbunden, die dem Einzelnen die
festzulegen und damit die Idee einer che Unversehrtheit (Abs. 2). Art. 4 si-      ­E ntscheidung überlässt, auf welche
freiheit­lichen deutschen Demokratie zu chert die freie Religionsausübung zu,      ­Risiken er sich einlassen will. Eingriffe
garantieren. Um dies zu dokumentieren, Art. 8 sorgt für die Versammlungsfrei-     in die Selbstbestimmung wie die Gurt-
hat man diese beiden Grundwerte mit heit, die Privatsphäre in der eigenen         pflicht im Straßenverkehr sind nur er-
der sogenannten „Ewigkeitsklausel“ Wohnung wird durch Art. 13 geschützt.          laubt, wenn durch die Verweigerung des
(Art. 79 Abs. 3) geschützt: Selbst mit                                            Gurtes andere Menschen in Gefahr ge-

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  raten könnten – beispielsweise, weil ein     bürgermeister Boris Palmer: „Wir ret-        Pressekonferenz von Prof. Dr. Lothar
   Betroffener im Falle starker Verletzun-     ten möglicherweise Menschen, die in         Wieler, Präsident des Robert Koch-­
gen oder seines Todes durch das Nicht-         einem halben Jahr sowieso tot wären“        Instituts (RKI), live übertragen, der die
anlegen des Gurtes anderen bei einem           (Palmer, zitiert nach „Der Tagesspiegel“,   aktuellen Zahlen von Infizierten und an
   Unfall nicht mehr helfen kann (Az. 1 BvR    28.04.2020). Faktisch bedeutet das: Die     Corona gestorbenen Personen mitteilte.
 331/85). Das Gleiche gilt für das Rauch-      Menschenwürde als der Leitwert der           Der R-Faktor, der anzeigt, wie viele
verbot, das ebenfalls nur mit Blick auf        Verfassung unseres Staates gilt im Hin-     ­Menschen ein Infizierter durchschnitt-
 den Nichtraucherschutz verfassungsge-         blick auf einen zweiten Grundwert,           lich ansteckt, schien plötzlich zur eigent-
  mäß ist. Nun muss der Staat auch die         nämlich das Recht auf Leben und körper­      lichen Währung zu werden. Die Ein­
Würde derjenigen Menschen schützen,            liche Unversehrtheit, nur noch bedingt.     ordnung der Lage durch Wissenschaftler
 die – in diesem Falle durch das Corona-       Der Staat, so wurde Palmer verstanden,       wie Prof. Dr. Christian Drosten, Prof. Dr.
virus – in Gefahr geraten könnten, weil        solle seine Schutzmaßnahmen selbst auf      Alexander S. Kekulé, Prof. Dr. Hendrik
 durch die schnelle Ausbreitung der            die Gefahr hin reduzieren, dass man          Streeck oder Prof. Dr. Melanie Brink-
  ­S euche Krankenhausbetten mit ent­          durch Corona den Tod sogenannter             mann war wichtiger als die durch Poli­
   sprechenden Beatmungsgeräten knapp          Risiko­patienten in Kauf nimmt.              tikerinnen und Politiker der Bundes­
   werden könnten, was im Falle einer                                                       regierung.
 ­Infektion vor allem bei Risikopatienten      Zahlreiche Beschränkungen von                   Obwohl der Shutdown für viele Men-
  mit Vorerkrankungen den Tod bedeuten         Grundwerten                                  schen eine komplette Katastrophe dar-
   würde. Da der Schutz der Menschen­                                                       stellte, blieb es in Deutschland weit­
   würde in Art. 1 GG als Leitwert über        Aber auch andere Einschränkungen des        gehend ruhig. Selbst der Eingriff in die
­allem steht, auch über dem Handeln            öffentlichen Lebens setzten verschiede-      Unverletzlichkeit der Wohnung, in der
 aller gesellschaftlich relevanten Organe,     ne Grundwerte außer Kraft: Gottes-           Besuche praktisch verboten waren, wur-
   ist es nicht zu rechtfertigen, besondere    dienste waren nur noch online erlaubt,      de weitgehend akzeptiert.
   Risikogruppen aus dem Schutz ihrer          der Besuch in Alten- und Pflegeheimen
Würde herauszunehmen.                          wurde nahezu komplett verboten. Schu-       Die Rolle der Medien
                                               len wurden geschlossen, Kinderbetreu-
 Christiane Hoffmann, Hauptstadtredak-         ung gab es nur noch für Eltern, bei denen    Proteste gab es kaum, stattdessen stie-
    teurin des Nachrichtenmagazins „Der        mindestens ein Elternteil in einem „sys-    gen die Zustimmungswerte für die Bun-
   Spiegel“, hatte zwar Verständnis für den    temrelevanten“ Beruf arbeitete, Ämter        deskanzlerin und die CDU als größte
   Shutdown, forderte aber in ihrem Leit-      reagierten nur noch auf Onlineanfragen.        Regierungspartei in vorher für unmög-
 artikel vom 28. März 2020: „[…] in den         Das Grundrecht auf freie Berufsaus-         lich gehaltene Höhen. Damit dies gelin-
    kommenden Wochen und Monaten               übung (Art. 12 GG) wurde beschnitten,       gen konnte, waren die Medien von ent-
   ­werden wir immer wieder neu abwägen        ganze Berufszweige konnten ihrer Ar-         scheidender Bedeutung. Sie haben
 müssen. Dann stehen schwere Entschei-         beit nicht mehr nachgehen, viele Büros      glaubhaft deutlich gemacht, welche
 dungen an, es wird darum gehen, ­welche       stellten auf Homeoffice um. Die Reise-        ­Risiken eine Verweigerung dieser Res­
    Risiken wir eingehen, um die Wirtschaft     freiheit wurde aufgehoben, Schleswig-­      triktionen nach sich gezogen hätte.
    wieder in Gang zu bringen. Oder ob es       Holstein und Mecklenburg-­Vorpommern          Rundfunk und die Printmedien haben
 eine Lösung sein kann, die besonders          sperrten ihre Distrikte für Touristen aus     ihr Programm komplett umgestellt. Seit
 Gefährdeten zu isolieren? […] Wenn wir        anderen Bundesländern. Um die sozia-        Wochen gibt es keine Nachrichtensen-
 jetzt die gesundheitlich Schwächsten          len Folgen zu mildern, wurde die Be-        dung oder Talkshow, die nicht Corona
    schützen, müssen wir sicherstellen, dass   grenzung der Neuverschuldung, noch          oder die damit zusammenhängenden
 den Preis dafür langfristig nicht die         2009 in Art. 109 Abs. 3 GG beschlossen,      Probleme thematisiert hätte. Ob Markus
 ­w irtschaftlich Schwächsten zahlen.“         wieder aufgehoben. Der Staat drehte mit       Lanz, stern TV, maybrit illner oder Anne
(Hoffmann 2020). Bundestagspräsident           der Zustimmung ansonsten zurück­            Will: Es ging um die Notwendigkeiten
 Wolfgang Schäuble äußerte sich in ei-          haltender Wirtschaftsfachleute den         der Beschränkungen und die Bereit-
 nem „Tagesspiegel“-Interview kritisch         Geldhahn auf, am 3. Juni 2020 wurde          schaft der Menschen, die Maßnahmen
 dazu, „dass manche meinten, angesichts        ein Konjunkturprogramm von 130 Mrd.         auch ernst zu nehmen. Die Entwicklung
 der Pandemie habe hinter dem Schutz           ­Euro beschlossen.                          der Krankheit, die Problematik der
 des Lebens alles andere zurückzutreten.           Eine Weile schien es, als hätten die    Todes­fälle, die Schwierigkeiten, in
­Anders als die Menschenwürde sei das           Regierung, das Parlament, die Wirt-        ­d iesen Zeiten die eigenen Kinder in
 Grundrecht auf Leben kein absoluter           schaftsbosse und Wirtschaftsweisen ihre      ­k leinen Wohnungen zu beschäftigen,
 Wert, sondern durch andere Grundrech-          Entscheidungskompetenz an Virologen,        das Pro­blem der Onlinelehre für päda-
    te einschränkbar […].“ (Schäuble,           Epidemiologen und Lungenfachärzte          gogisch nicht ausgebildete Eltern – alle
  ­zitiert nach Müller-Neuhof 2020). Ähn-      abgegeben. Über die ersten Wochen der       Themen wurden ausführlich dargestellt.
    lich äußerte sich der Tübinger Ober­        Krise hinweg wurde allmorgendlich die        Das Land versank in einer kollektiven

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Corona­hypnose, an der die Medien ei-      ­eine im Ergebnis tödliche Handlung vor-     der demokratisch legitimierten Politik“,
nen großen Anteil hatten.                  genommen. Das Pflegepersonal könne           so Dabrock.
   Neben der intensiven Berichterstat-      sich in diesen Fällen an Empfehlungen
tung über die Gefährlichkeit des Corona­   von Fachgremien orientieren. Ob das in       Das Bedürfnis nach Normalität
virus wirkten die Medien aber auch sehr     der Praxis eine hilfreiche Position ist,
intensiv an der Konditionierung ihrer       bleibt zweifelhaft: Egal, wie der Arzt      Die Medien spürten den Zeitpunkt, an
Rezipientinnen und Rezipienten mit. Sie     handelt, könnte er für den Tod entweder     dem die Bereitschaft für die Restriktio-
zeigten, wie die Polizei unzulässige Men-   des einen oder des anderen Patienten        nen allmählich abnahm. Nun tauchten
schengruppen auflöste und vereinzelt       verantwortlich gemacht werden.               auch Fachleute und Politiker auf, die
Verhaftungen vornahm. Pressekommen-            Dabrock ging auf die Frage ein, ob der   eine lockerere Sicht auf die Dinge hatten.
tare drückten Unverständnis über so viel    begonnene Diskurs über Ausstiegssze-        Das führte auch zu Verwirrungen, z. B.
Unmoral und Verantwortungslosigkeit         narien aus dem Lockdown ethisch er-         in Bezug auf die Maskenpflicht. Der Ra-
aus. Politiker lobten ihrerseits über die   laubt sei oder ob man sich in Geduld        diologe Prof. Dr. Frank Ulrich Montgo-
Medien eindringlich die große Bereit-       üben müsse. Zwar sei es für Lockerun-       mery, 18 Jahre lang Präsident des Mar-
schaft der Menschen, sich an die jewei-    gen derzeit zu früh, aber es sei nie zu      burger Bundes und seit 2019 Präsident
ligen Auflagen zu halten: Wohlverhalten     früh für eine öffentliche Diskussion über   des Weltärztebundes, stellte wie einige
wurde gelobt, Fehlverhalten massiv ge-     Öffnungsperspektiven. Die Menschen           andere die Masken als eher gefährlich
tadelt. Dabei kamen die realistischen       brauchten in einer solchen Situation        dar. Nach langem Zögern ist inzwischen
Opferbilder dem Gelingen dieses hypno-      Hoffnungsbilder. Die Stellungnahmen         in öffentlichen Verkehrsmitteln, Ge-
tischen Zustandes zu Hilfe. Aus Italien    von Politikern zu möglichen Öffnungen        schäften und Restaurants – dort aller-
und Spanien, später auch aus den USA        würden allerdings aus Sicht des Ethik-      dings nur für die Kellnerinnen und Kell-
und Brasilien gab es Bilder und Berichte    rates zu sehr den Zeitaspekt betreffen      ner – die Maske zur Pflicht geworden.
von Mengen an Särgen, die aus den           und zu wenig auf die fachlichen und            Letztlich waren es Politiker und der
Krankenhäusern geholt und irgendwo          sozialen Kriterien eingehen. Wenn man       Epidemiologe Hendrik Streeck, die die
„geparkt“ werden mussten, weil die Be-     angekündigte Lockerungen später auf-         Wende einläuteten. Armin Laschet, Mi-
erdigungsinstitute völlig überfordert       schieben oder zurücknehmen müsse,           nisterpräsident in Nordrhein-Westfalen,
waren.                                      führe das zu Frustrationen – und das        dessen Bundesland in Heinsberg durch
                                            bedrohe die große Zustimmungsrate.          die leichtfertig zugelassenen Karnevals-
 Der ethische Diskurs                       Man solle immer wieder kritisch prüfen,     veranstaltungen besonders hohe Infi-
                                           ob die Maßnahmen für alle oder für           ziertenzahlen verzeichnete, gab bei dem
Auch der Deutsche Ethikrat gab zu den ­einzelne Gruppen weiterhin geeignet,             Bonner Epidemiologen eine repräsenta-
 ethischen Fragen der Coronakrise am erforderlich und angemessen, kurz-                 tive Studie in Auftrag, die nicht mehr nur
27. März 2020 eine Stellungnahme ab, um: verhältnismäßig seien. Dabei gehe              die Statistiken von Infizierten und Ge-
 die der damalige Vorsitzende Dr. Peter es um die Bedeutung unterschiedlicher           storbenen zugrunde legte und damit
 Dabrock, Professor für Systematische schutzwürdiger Güter und das Maß                  diejenigen nicht erfasste, bei denen kei-
Theologie an der Friedrich-Alexander-­ ­eines akzeptierbaren Risikos. Es gehe           ne Symptome vorlagen und deshalb
 Universität Erlangen-Nürnberg, und der nicht nur darum, ob das Leben oder die          nicht getestet wurden.2 Von den etwa
Verfassungsrechtler Dr. Steffen Augs- Wirtschaft zuerst zu sichern sei, es gebe         500 durch Streeck getesteten Personen
 berg, Professor für Rechtswissenschaft darüber hinaus weitere Solidaritätskon-         verfügten im Ergebnis 15 % bereits über
an der Justus-Liebig-Universität Gießen, flikte. Der Wille, den betroffenen Kran-       Antikörper, also sehr viel mehr als die
 in der Bundespressekonferenz am 7. Ap- ken zu helfen, führe oft dazu, die Opfer        vorher bekannte Zahl der Infizierten.
 ril 2020 vorstellten. Augsberg ging zu- des Lockdowns aus dem Blick zu verlie-         Die „Durchseuchungsrate“ – also der
 nächst auf das ethische Problem der ren: Operationen würden verschoben,                Anteil der Menschen, die aufgrund einer
Triage ein. Art. 1 GG verbiete es dem Präventionsuntersuchungen abgesagt,               bereits überstandenen Erkrankung Anti­
 Staat, qualitative oder quantitative Kri- Therapien abgebrochen, Sterbende und         körper aufweisen und deshalb mutmaß-
 terien an das menschliche Leben anzu- Kranke nicht mehr so begleitet, wie es           lich gegen weitere Infektionen immun
 legen, jeder Mensch sei gleich viel wert, die Menschlichkeit verlange. Es gehe um      sind – war größer als erwartet.
 so Augsberg. Moralische Einschätzun- die Abwägung zwischen dem medizi-                    Armin Laschet nutzte die Vorstellung
gen hätten sich an die rechtlichen Vor- nisch Notwendigen und dem sozial Hin-           der Studie für die Forderung nach einer
gaben zu halten. Man dürfe nicht ver- nehmbaren. Deshalb seien nicht nur die            allmählichen Lockerung der Schutz-
 schiedene Kriterien an die Jüngeren Fachwissenschaftler gefragt, vielmehr              maßnahmen. „Wir müssen eine Lösung
 oder Älteren anlegen. Wenn alle Plätze müsse die Wissenschaft zusammen mit             finden, wie wir Freiheit und Gesund-
 belegt seien und ein neuer Patient nur der Politik nach den besten Maßnahmen           heitsschutz besser in Einklang bringen
 überlebe, wenn die Beatmung eines aufgrund der gegebenen Fakten suchen                 können.“ (Laschet, zitiert nach Voogt
­anderen hierfür beendet werde, werde lassen: „Die Coronakrise ist die Stunde           2020). Sein bayerischer Amtskollege

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Markus Söder hingegen hielt solche          scheint es nun zwar einige Herde zu ge-     Deutschland erspart geblieben. Aber die
 Überlegungen für verfrüht. Angela          ben – so nach einem Gottesdienst in         Coronakrise hat uns gezeigt, dass die
­Merkel warb ihrerseits für eine bundes-    Frankfurt, einer Familienfeier in Göttin-   Werte unseres Grundgesetzes zwar als
 weite Einigung auf weitere drei Wochen     gen und in verschiedenen Massenunter-       prinzipielle Absichtserklärungen sehr
des Shutdowns, ebenso der Virologe          künften von Mitarbeitern in Schlacht­       gut geeignet sind, dass es aber immer
Christian Drosten, der eindringlich vor     höfen –, aber das sind bisher einzelne,     wieder Fälle gibt, in denen sich die ein-
einer zweiten Welle warnte, die schlim-     lokal begrenzte Ausbreitungen. Wenn         zelnen Prinzipien widersprechen und
 mer werden könnte als die erste. Auch      man heute in Restaurants oder an Bade­      eine eindeutige Position nicht möglich
der Physiker Prof. Dr. Michael Meyer-­      stränden nach Distanz und Abstand Aus-      ist. Das Ergebnis sind Konstrukte, die
 Hermann, der die Entwicklung der Pan-      schau hält, hat man das Gefühl, Corona      nach einem über die Medien geführten
demie in digitalen Computermodellen         hätte es nie gegeben. Der Hunger der        Diskurs durch die demokratisch legiti-
 nachbaute, riet zur Vorsicht: „Ich hätte   Menschen nach Normalität und Kontakt        mierte Politik entstehen müssen.
es bevorzugt, wenn wir versucht hätten,     zu anderen scheint keine Grenzen zu
                                                                                        Anmerkungen:
 mit allen uns zur Verfügung stehenden      kennen. Wir können nur hoffen, dass         1 Informationsstand: Mitte Juni 2020
 Mitteln eine totale Bremse zu ziehen,      dies gut geht.                              2 Die Präsentation von Zwischenergebnissen der
                                                                                        Studie durch Armin Laschet und Hendrik Streeck
damit wir in einer absehbaren Zeit zu                                                   ist abrufbar unter: https://www.youtube.com
einer großen Normalität zurückkehren        Fazit                                       (letzter Zugriff: 16.06.2020)

 können.“ (Meyer-Hermann 2020). Aber                                                    Literatur:
 in den Medien und auch in der Bevölke-     Schon die Positionierung des Ethikrates     Ärztezeitung: Corona-Schutzmaßnahmen.
                                                                                        Montgomery hält Maskenpflicht für falsch.
 rung hatte sich die Stimmung in Rich-      zeigt: Zu Prinzipien unserer ­Grundrechte   In: Ärztezeitung online, 23.04.2020.
 tung Lockerung gedreht. Das spürte         gibt es in Krisenzeiten manchmal nur        Abrufbar unter: https://www.aerztezeitung.de
                                                                                        (letzter Zugriff: 16.06.2020)
auch Markus Söder – und plötzlich brach     sehr relative Antworten. Die Menschen-      Der Tagesspiegel: Boris Palmer provoziert in Corona­
die Bereitschaft der Länder ab, mit Kanz-   würde in Art. 1 GG gilt zwar für jeden,     virus-Krise. „Wir retten möglicherweise Menschen,
                                                                                        die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“
 lerin Merkel gemeinsam bundesweit          doch in einer Abwägung darüber, ob der      In: Der Tagesspiegel, 28.04.2020.
geltende Maßnahmen zu verabreden.           Arzt eher einen Todkranken oder einen       Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de
                                                                                        (letzter Zugriff: 16.06.2020)
 Söder kündigte die Öffnung der Grenzen     relativ Gesunden rettet, hilft das nicht    Deutscher Ethikrat: Pressekonferenz zur Coronakrise.
 nach Österreich an, der Tourismus          weiter. Auch die Hilfestellungen von        Berlin, 07.04.2020.
                                                                                        Abrufbar unter: https://www.youtube.com
 kommt allmählich wieder in Gang. In-       Fachverbänden können dieses Dilemma         (letzter Zugriff: 16.06.2020)
 zwischen dürfen Urlauber wieder an die     nicht ausräumen. Es ist praktisch nicht     Hoffmann, C.: Der Preis des Lebens. Die Pandemie
                                                                                        zwingt der Welt eine Tabudebatte auf. In: Der Spiegel,
 Nord- und Ostsee, wenn auch mit Sicher-    möglich, in der gegenwärtigen Krisen­       14/2020, 28.03.2020, S. 6
 heitsabstand und Maskenpflicht. Die        situation den Grundwerten unserer Ver-      Meyer-Hermann, M.: Interview. In: ZDF heute-journal,
                                                                                        15.04.2020 (zitiert nach RiffReporter).
Medien machten diesen Prozess mit und       fassung konsequent zu folgen. Das in        Abrufbar unter: https://www.riffreporter.de
 sorgten dafür, dass in der Bevölkerung     dem Begriff der Menschenwürde imple-        (letzter Zugriff: 16.06.2020)
                                                                                        Müller-Neuhof, J.: Schäubles Einlassungen zu Corona.
ein Bewusstsein für ein Restrisiko der      mentierte Recht auf Selbstbestimmung        Einer muss es mal sagen. In: Der Tagesspiegel,
 zweiten Welle erhalten blieb.              – ebenso wie eine Reihe anderer Grund-      29.04.2020.
                                                                                        Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de
    Bodo Ramelow, Ministerpräsident         werte wie das der freien Religionsaus-      (letzter Zugriff: 06.06.2020)
 in Thüringen, erntete zunächst viel Kri-   übung oder das Recht auf Privatheit in      Voogt, G.: Wege in die Normalität. Die Erkenntnisse
                                                                                        aus der Pressekonferenz mit Armin Laschet.
 tik, als er am 26. Mai 2020 in seinem      der eigenen Wohnung – steht in einem        In: Kölner Stadt-Anzeiger, 09.04.2020.
 Bundesland alle Coronabeschränkun-         offensichtlichen Widerspruch zu dem         Abrufbar unter: https://www.ksta.de
                                                                                        (letzter Zugriff: 16.06.2020)
gen mit dem Hinweis aufhob, es gebe         Grundrecht auf Leben anderer, das –
dort keine Infizierten mehr. Doch inzwi-    ebenfalls dem Schutz der Menschenwür-
 schen ist auch die Urlaubsreise nach       de folgend – grundsätzlich nicht danach
 Spanien und Italien wieder möglich, die    abgewogen werden darf, ob jemand
 Schritte in Richtung Normalität werden     möglicherweise ohnehin bald gestorben
 immer größer, auch wenn die Gefahr         wäre. Der Staat hat den Menschen sehr
einer zweiten Welle immer noch besteht.     viel abverlangt und versucht, eine Balan-
 Momentan (Stand: Mitte Juni 2020)          ce zwischen den relevanten Grundrech-
 sind die Infektionszahlen trotz der in-    ten herzustellen und dabei möglichst den
 zwischen galoppierenden Rücknahmen         Schaden für die betroffenen Gruppen
der Restriktionen immer noch relativ        abzumildern. Die Medien haben den
 niedrig. Im Vergleich zum Anfang der       kommunikativen Teil des Prozesses recht
 Krise, als einige wenige Infizierte das    gut gemanagt und dazu beigetragen,
Virus aus anderen Ländern mit nach          dass der Shutdown – zumindest bisher
                                                                                                                     Prof. Joachim von Gott-
 Deutschland gebracht hatten und sich       – ohne allzu großen Schaden abgelaufen                                   berg ist Chefredakteur
Covid-19 rasend schnell verbreitete,        ist. Die Triage ist uns zum Glück in                                     von tv diskurs.

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