"DAFÜR MUSS ICH NUR NOCH ABNEHMEN" - DIE ROLLE VON GERMANY'S NEXT TOPMODEL UND ANDEREN FERNSEHSENDUNGEN BEI PSYCHOSOMATISCHEN ESSSTÖRUNGEN

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"DAFÜR MUSS ICH NUR NOCH ABNEHMEN" - DIE ROLLE VON GERMANY'S NEXT TOPMODEL UND ANDEREN FERNSEHSENDUNGEN BEI PSYCHOSOMATISCHEN ESSSTÖRUNGEN
FORSCHUNG

»Dafür muss ich nur noch
abnehmen«
Die Rolle von Germany’s next topmodel und anderen
Fernsehsendungen bei psychosomatischen Essstörungen
Maya Götz, Caroline Mendel, Sarah Malewski

In einer IZI-Studie wurden 241 Men-         dünner als die Durchschnittsfrau, sind      in die Essstörung verstärkt. Die Hin-
schen (vorwiegend Mädchen und               sie mittlerweile um rund 23 % schmaler      tergründe für die Entwicklung schwer
junge Frauen), die wegen einer Ess-         (Derenne & Beresin, 2006). Die Folge:       psychosomatischer Ausprägungen ei-
störung in therapeutischer Behand-          Nur schätzungsweise 4 % aller Frauen        ner Essstörung sind deutlich komplexer
lung sind, befragt, ob bzw. welche          wären aufgrund ihrer körperlichen           als der Wunsch, einem inneren, viel zu
Fernsehsendungen einen Einfluss auf         Möglichkeiten überhaupt in der Lage,        dünnen Ideal zu genügen (siehe auch
ihre Krankheit haben.                       dem aktuellen Schlankheitsideal zu          Lahusen in dieser Ausgabe).
                                            entsprechen. Letztendlich entspricht        Es sind vielmehr subjektiv-sinnhafte
Essstörungen gehören in den westli-         nur eine von 40.000 Frauen in Größe,        Prozesse der Medienrezeption und -an-
chen Industrieländern zu den häufigs-       Figur und Gewicht den Anforderungen         eignung, die in die Lebensbewältigung
ten psychosomatischen Erkrankungen          eines professionellen Models (Hawkins       und Alltagsgestaltung eingebunden
von Mädchen und jungen Frauen. Nur          et al., 2004). Die Darstellung über-        sind (vgl. Mikos, 2001). Studien mit
jedes dritte Mädchen zwischen 13 und        schlanker Mädchen und Frauen be-            Menschen mit einer Essstörung, die der
19 Jahren kann von sich sagen, es fühle     ginnt bereits in den Kindermedien. In       Bedeutung von Fernsehen im Kontext
sich gar nicht zu dick, bei jedem dritten   Zeichentricksendungen beispielsweise        von Essstörungen im Detail nachgehen,
Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren           haben 3 Viertel der Mädchenfiguren          gibt es bisher nur wenige. Sie zeigen,
gibt es Hinweise auf Essstörungen           einen Körper, der dünner ist als der        dass Fernsehen Teil des alltäglichen
(KiGGS, 2006). Gut 2 von 100 Mäd-           von Barbie und der auf natürlichem          Handelns und in Beginn und Verlauf
chen haben eine schwere psychoso-           Wege überhaupt nicht zu erreichen ist       der Krankheit integriert ist. So fühlen
matische Krankheit wie Magersucht,          (Götz & Herche, 2013).                      sich junge Frauen insbesondere in der
Bulimie oder Binge-Eating entwickelt.       Sehen Mädchen diese Bilder von              Entstehungsphase der Krankheit ge-
Hinzu kommt noch einmal etwa die            Körpern, die sie selbst nie erreichen       genüber dem dünnen Schönheitsideal
doppelte Zahl an Essstörungen, die sich     werden, ist in experimentellen Studien      der Medien oft unterlegen, hilflos und
nicht eindeutig einer der Hauptformen       nachweisbar, dass bei einigen Mädchen       von den Bildern gefangen. Im Verlauf
zuordnen lassen (Swanson et al., 2011).     die Zufriedenheit mit dem eigenen           der Krankheit holen sie sich dabei
Die Hintergründe der jeweiligen Krank-      Körper spontan zurückgeht (z. B. Bell &     durchaus auch Anleitungen, wie sie
heit sind komplex. Sie äußert sich im       Dittmar, 2011). Entscheidend dabei          ihr Gewicht manipulieren können,
Essverhalten, das, vereinfacht gesagt,      ist, inwieweit Mädchen und Frauen           nutzen es als Flucht oder als Infor-
manipuliert wird, damit sich die Be-        das Ideal eines sehr dünnen Körpers         mations- und Vergleichsquelle, wenn
troffenen nicht mehr so minderwertig        internalisiert haben (Harrison, 2013).      etwas über ihre Krankheit berichtet
fühlen (s. Lahusen in dieser Ausgabe).      Körperunzufriedenheit wiederum ist          wird. In der Phase der aktiven Be-
Gut belegt ist, dass Medien Frauen          ein nachgewiesener Risikofaktor für         wältigung der Essstörung spielen die
überwiegend mit einem sehr schlanken        Essstörungen (The McKnight Investi-         Enttarnung der Medienstereotypen
Körper abbilden (zusammenfassend            gators, 2003; Cafri et al., 2005). Es ist   und die Abgrenzung gegenüber den
z. B. Kiehl, 2010). Über die Jahrzehnte     hierbei kein einfacher Reiz-Reaktions-      untergewichtigen Schönheitsbildern,
sind die Foto- und Laufstegmodels           Mechanismus, durch den die mediale          dem »Diätenterror« und den wider-
dabei immer dünner geworden. Waren          Überhöhung von untergewichtigen             sprüchlichen Werbebotschaften eine
vor 30 Jahren Fotomodels nur ca. 8 %        Foto- und Laufstegmodels den Weg            deutlichere Rolle (Baumann, 20091).

                                                                                        28/2015/1                            1
FORSCHUNG

Bei der Fernsehnutzung entwickeln                                          Die Bedeutung von bestimmten                             als Ausgleich zur psychosomatischen
sich also u. a. essstörungsspezifische                                     Fernsehsendungen bei der Ent-                            Störung, damit sich die Betroffenen
Motive. Sendungen dienen als Motiva-                                       stehung von Essstörungen                                 zumindest kurzzeitig besser fühlten.
tion, Anerkennung und Rechtfertigung                                                                                                In einer Reihe von Fällen wurden
für das eigene Handeln, aber auch als                                      Bei der Hälfte der Befragten lag der Be-                 Fernsehsendungen aber auch zum
Informationsquelle für Tipps und als                                       ginn der Essstörung im Alter zwischen                    Trigger, mit dem sich die Dynamik der
Anleitung zur Optimierung des essge-                                       12 und 15 Jahren, bei einem weiteren                     Krankheit erst richtig entwickelte. Als
störten Verhaltens. Fernsehen kann als                                     Fünftel zwischen 16 und 17 Jahren. Wie                   Sendungstitel wird ungestützt vor al-
Ersatz oder Ergänzung einer Therapie                                       bei den meisten Jugendlichen sahen                       lem eine Sendung genannt: Germany’s
dienen und schafft manchmal Räume,                                         sie auch in dieser Zeit Fernsehen. Die                   Next Topmodel (Pro7). Mit deutlichem
um zumindest zeitweise nicht über                                          mit Abstand meistgesehenen Sendun-                       Abstand folgen Sendungen wie Ext-
das Thema »Essen« nachdenken zu                                            gen waren Germany’s Next Topmodel                        rem Schön!, Extrem Schwer (beide
müssen (Märschel, 20072). Bisher fehlen                                    (GNTM) und die Daily Soap Gute Zei-                      RTL2) oder Kochsendungen (Abb. 1).
Studien, die der Bedeutung einzelner                                       ten, schlechte Zeiten (GZSZ), was dem                    Zunächst ein Blick auf die weiteren
Formate im Kontext der Krankheit                                           Trend in der Altersgruppe entspricht.                    Fernsehsendungen, die im Kontext
nachgehen und durch eine breiter                                           Gesprächsthema mit den FreundInnen                       der Krankheit unterschiedliche Funk-
angelegte Stichprobe auch eine quanti-                                     waren insbesondere Castingshows,                         tionen aufwiesen.
tative Einschätzung ermöglichen. Hier                                      allen vorweg GNTM.
setzt die vorgestellte Studie an und                                       Die Frage, ob es eine Fernsehsendung                     Extrem Schön! – Endlich ein
geht der Rolle der Medien und insbe-                                       gab, die sie in besonderer Weise be-
                                                                                                                                    neues Leben
sondere einzelner Fernsehsendungen                                         einflusst hat, bestätigen fast 3 Viertel
bei Essstörungen aus der Perspektive                                       (71 %) der Antwortenden. Fernsehsen-                     – Sich überlegen fühlen, aber
der Betroffenen nach.                                                      dungen spielen also nicht immer eine                     auch Druck, denn alles ist
                                                                           bedeutsame Rolle. Wenn dies aber der                     möglich
                                                                           Fall war, so wird aus den qualitativen
Die Studie                                                                 Aussagen zur Frage, wie die Sendung                      In der Makeover-Sendung Extrem
                                                                           die Krankheit beeinflusst hat, deutlich:                 Schön! wird eine Person begleitet,
In Zusammenarbeit mit dem Bundes-                                          Die Sendung wurde meist als Verstär-                     die Schönheitsoperationen an sich
fachverband Essstörungen e. V. (BFE)                                       kung der eigenen krank machenden                         vornehmen lässt. Gezeigt werden
führte das IZI eine Befragung von akut                                     Gedanken beschrieben. Sie trugen                         alle Details, die als zur Veränderung
von Essstörungen Betroffenen durch.3                                       dazu bei, sich noch minderwertiger                       notwendig angesehen werden – von
Anonyme Fragebogen mit zumeist of-                                         zu fühlen, und zeigten auf, wie sich das                 schlechten Zähnen bis zu herabhän-
fenen Fragen boten Raum, die eigenen                                       eigene Gewicht noch gezielter mani-                      genden Bäuchen und Brüsten. Die
Wahrnehmungen zusammenzufassen.                                            pulieren ließe. Manchmal dienten sie                     beteiligten Ärzte berichten über die
Quantifizierend wurde an mehreren                                                                                                   nahezu unbegrenzten Möglichkeiten
Stellen konkret nachgefragt, um so                                                                                                  ästhetischer Eingriffe und den Stand
                                            n = 157 Befragte zwischen 11 und 57 Jahren, Mehrfach-

Vergleichsmöglichkeiten zu früheren                                                                                                 der Behandlung. Am Ende sind Familie
IZI-Studien zu schaffen. In die Auswer-                                                                                             und Freunde dabei, wenn sich die ope-
tung gingen 241 Befragte ein, die zurzeit                                                                                           rierte Person das erste Mal vor einem
wegen einer Essstörung therapeutisch                                                                                                Spiegel sieht.
                                            nennungen möglich, Angaben in %

begleitet behandelt werden bzw. in                                                                                                  Die Rezeption der Sendung gab einigen
betreuten Wohngruppen leben. Die                                                                                                    der Frauen mit Essstörung ein gutes
Stichprobe setzt sich fast ausschließ-                                                                                              Gefühl, weil sie im »Look-downwards-
lich aus Mädchen und jungen Frauen                                                                                                  Prinzip« auf die ProtagonistInnen he-
(96 %) zusammen, hinzu kommen                                                                                                       runterblicken konnten. Dies erhöhte
10 junge Männer. Einige der Betroffe-                                                                                               dann das eigene Selbstwertgefühl:
nen (12 %) sind unter 16 Jahre, fast die                                                                                            »Extrem Schön! hat mir immer das
Hälfte ist zwischen 16 und 21 Jahren.                                                                                               Gefühl gegeben, zumindest schöner als
                                                                                           Abb. 1: Sendungen, die die eigene
Die Befragten haben zum größten Teil                                                       Krankheit besonders beeinflussten
                                                                                                                                    die armen Würstchen in der Sendung
eine diagnostizierte Magersucht (85 %),                                                    (Mehrfachnennungen möglich): GNTM        zu sein« (19-Jährige, Magersucht).
hinzu kommen Bulimie und Essstörun-                                                        (39 %); alle weiteren Sendungen liegen   Gleichzeitig bestärkte die Sendung
gen mit Essanfällen, zum Teil auch in                                                      unter 6 %                                sie in dem Gefühl der Notwendigkeit
Kombination miteinander.4                                                                                                           und Möglichkeit der grenzenlosen

2                           28/2015/1
FORSCHUNG

Optimierbarkeit des Körpers und             Das perfekte Dinner                        wieder, dass sie ähnlich wie die©Figur
                                                                                                                            IZI
der Vermutung, dass Operationen             – Um sich satt zu sehen                    handelte und eine Mager- und Ess-
der vermeintlich leichteste Weg zu                                                     Brech-Sucht entwickelte. Im zweiten
einem besseren Selbstwertgefühl sein        Als krankheitsbegleitend werden ein-       Fall nahm eine damals 17-Jährige mit
könnten: »Es scheint alles machbar          zelne Sendungen wie Das perfekte Din-      Symptomen von Magersucht das erste
zu sein, jeder Makel oder besser jede       ner beschrieben, d. h. Kochshows, bei      Erbrechen der Fernsehfigur Lilly zum
Individualität lässt sich korrigieren. Es   denen KandidatInnen bei den Vorbe-         Anlass, sich »auch zu erbrechen«, was
zeigt auch, wie sehr das Äußere die         reitungen und der Durchführung eines       dann in die Ess-Brech-Sucht führte.
Psyche beeinflusst (soziale Isolation       Dinners von anderen TeilnehmerInnen        Die Bedeutung der regelmäßigen
etc.). Es entstanden bei mir Über-          begleitet und bewertet werden. Diese       Rezeption von Daily Soaps kann bei
legungen zur Anmeldung, weil nur            Art der Kochsendung kann im Verlauf        Jugendlichen und jungen Erwachse-
mit Operationen würde ich endlich           der Krankheit ganz eigene Funktionen       nen ganz unterschiedlich ausfallen.
den Weg aus der Essstörung finden«          übernehmen, wie eine 17-Jährige mit        Sie reicht von einem distanzierten
(26-Jährige, Magersucht).                   Magersucht beschreibt: Ich sah »Koch-      Anschauen oder sogar Dekonstru-
                                            sendungen (Das große Backen, Das per-      ieren bis hin zu tiefen parasozialen
Extrem Schwer – Mein Weg in                 fekte Dinner), um mich ›satt‹ zu sehen.    Beziehungen und der Chance, Gefühle
                                            Sachen, die ich gerne essen würde, aber    ausleben zu können, die sie sich sonst
ein neues Leben und The biggest
                                            auf keinen Fall darf, weil ich dann noch   nicht zugestehen (Götz, 2002). Im Fall
Loser                                       fetter werde.« Die Sendung holt Men-       der Aneignung des Handlungsstrangs
– Informationen und »Look-                  schen mit Essstörung bei ihrem typi-       »Lilly« bei GZSZ waren es vermutlich
downwards-Prinzip«                          schen »Kreisen um das Thema Essen«         identifikatorische Prozesse. Die beiden
                                            ab, bietet imaginäre »Ersatznahrung«       jungen Frauen fanden sich vermutlich
Bei Extrem Schwer und The biggest Lo-       und stabilisiert damit auf ganz eigene     in der sensiblen und schüchternen Lilly
ser werden Menschen bei einem zum           Weise das krankhafte Handeln: »Als         Seefeld wieder. Die sehr gute Schülerin,
Teil als Wettkampf inszenierten Prozess     ich fast vollständig aufgehört habe zu     immer bemüht, das Richtige zu tun, hat
der Gewichtsreduktion begleitet. Die        essen, habe ich sämtliche Kochsen-         durch ihre schwierige Familiensituation
befragten Frauen (und einige Männer)        dungen gesehen, die im (deutschen)         seelisch viel zu tragen, ist unglücklich
mit Essstörungen fanden hier diverse        Fernsehen ausgestrahlt wurden. Ich         verliebt und wird als hässliches Entlein
konkrete Tipps, wie sie selbst weiter       entwickelte eine absolute Obsession        kaum von anderen wahrgenommen.
abnehmen können: »Ich habe viel über        für alles, was mit dem Thema Essen zu      Vermutlich wurde sie zum idealisierten
Gewicht und Ernährung gelernt. Aber         tun hat. Selbst heute, wo ich halbwegs     Spiegel, in dem sich die beiden befrag-
auch über Bewegung: Wie viel muss           vernünftig und regelmäßig esse, kann       ten jungen Frauen in ihrem eigenen
ich joggen, um einen Schokoriegel           ich diese nur schwer ablegen« (27-Jäh-     seelischen Leiden wiederfanden und
abzubauen?« (18-Jährige, Mager-             rige, Magersucht).                         dadurch anerkannt sahen. Die Soap
sucht). Dabei empfanden sich einige                                                    erzählt glaubhaft von den Konflikten
der Befragten noch zusätzlich unter         Gute Zeiten, schlechte Zeiten              der Fernsehfigur Lilly, und als diese
Druck gesetzt: »Weil man sieht, wie                                                    den Weg wählt, sich den Finger in den
                                            – Die Geschichte von Lilly
die Menschen dort abnehmen: durch                                                      Hals zu stecken, um eine kalorienreiche
Sport. Darauf folgte dann ein schlech-      In 2 Fällen kam es vor, dass die bei       Nahrung, die sie ihrer Mutter zuliebe
tes Gewissen und der Wunsch, auch           jungen Zielgruppen viel gesehene           gegessen hatte, wieder loszuwerden,
so abnehmen zu können« (16-Jährige,         Daily Soap GZSZ zum konkreten An-          folgen sie ihr in diesem Handlungsmus-
Magersucht und Ess-Brech-Sucht).            lass genommen wurde, sich zum ersten       ter. So positiv diese in Beratung mit
Parallel entstand bei Einzelnen aber        Mal selbst herbeigeführt zu übergeben.     FachexpertInnen (Dick und Dünn e. V.)
auch ein Look-downwards-Effekt,             Dies war dann jeweils auch der Anfang      entwickelte Geschichte zur Aufklärung
indem sie sich überlegen fühlten und        der mittlerweile diagnostizierten Ess-     und Sensibilisierung auch ist, so kann es
dadurch das anorexietypische Gefühl         Brech-Sucht. Medialer Anlass war ein       in Einzelfällen eben dennoch auch zu
der Handlungsmächtigkeit im Abneh-          Handlungsstrang mit der Figur Lilly        Nachahmungseffekten kommen.
men verstärkten: »Weil ich mir da als       Seefeld, in dem ab Sommer 2012 über        Die medialen Bezüge zu GZSZ, Extrem
Magersüchtige natürlich unglaublich         2 Jahre die Problematik der Bulimie        Schön! oder Extrem Schwer etc. sind
stark vorkam. Es hat mich also in           erzählt wurde. In der eigentlich zum       dabei Einzelfälle, die aber wichtige
meiner Magersucht bestätigt und             Zwecke der Aufklärung und Sensibi-         Hinweise auf eine mögliche Rolle von
dazu gebracht, dass ich weitermache«        lisierung angelegten Geschichte fand       Fernsehsendungen im Kontext von Ess-
(22-Jährige, Magersucht).                   sich eine damals 16-Jährige so stark       störungen geben. Quantitativ um ein

                                                                                       28/2015/1                              3
FORSCHUNG

Vielfaches häufiger wird jedoch eine           dies das Zeichen, dass die Kandidatin
Sendung genannt, die von 39 % der              noch nicht ausscheiden muss. Der
hier Antwortenden ungestützt als be-           Marktanteil bei den 12- bis 23-Jährigen
sonders beeinflussend für ihre eigene          Mädchen und jungen Frauen liegt je

                                                                                          © picture alliance/dpa
Krankheit bezeichnet wird: Germany’s           nach Staffel um die 40 % (Abb. 3). Seit
Next Topmodel.                                 Jahren findet sich die Sendung in den
                                               Jahreshitlisten dieser Altersgruppe
                                               und 75 % der Topmodel-Seherinnen
Germany’s Next Topmodel unterhalten sich am nächsten Tag mit
                                                                                                                   Abb. 2: Der »Livewalk« stellt den
– Normen, Ideale und der                       der Freundin über die Sendung (Götz &                               Höhepunkt einer Sendung von GNTM dar
ständige Druck, selbst                         Gather, 2013). Heidi Klum ist bei Kin-
                                               dern und Jugendlichen die beliebteste
schuld zu sein
                                               Medienfigur 2014 (Trend Tracking                                    ne andere Sendung junge Frauen und
Die Sendung Germany’s Next Topmo- Kids, 2014). Sie hat bei Jugendlichen                                            ihre Entwicklung in den Mittelpunkt,
del (GNTM) ist eine Castingshow, die einen sehr hohen Bekanntheitsgrad                                             und zwar unabhängig von romantischen
seit 2006 jedes Jahr 3 bis 4 Monate und insbesondere Castingshow-Viel-                                             Beziehungen. Die Sendung bietet diver-
bei Pro7 gesendet wird. Die Format- seherInnen haben das Gefühl, von ihr                                           se Typen als Identifikationspersonen an,
rechte für Topmodel gehören dem könne man lernen, wie man Kritik übt.                                              die vor Herausforderungen in einem
US-amerikanischen Medienkonzern Sie hätten sie auch gerne als Mentorin                                             für die Altersgruppe hoch attraktiven
CBS Corporation, der die Sendung und gut die Hälfte hätte Heidi Klum                                               Setting und an attraktiven Orten spielt.
in über 40 Länder verkaufen konnte. sogar gerne als Mutter (Götz, Bulla &                                          Durch den Wettkampf- und Bewer-
Nun bereits in der zehnten Staffel Mendel, 2012).                                                                  tungscharakter der Sendung entsteht
ist in Deutschland Heidi Klum die In der hier vorgestellten Studie sticht                                          Spannung und gleichzeitig die Chance,
Hauptmoderatorin. Sie ist die zentrale die Sendung GNTM in allen Fragen                                            selbst mitzuraten, zu bewerten und in
Figur der Jury, agiert als Trainerin und als besonders bedeutsam heraus. Auf                                       Peergroup und Familie über die Kandi-
ist das personifizierte Vorbild für die die offene Frage, ob es eine Sendung                                       datinnen »abzulästern«. Dadurch, dass
Kandidatinnen. In der Sendung selbst gebe, die das Schönheitsideal der Ge-                                         die Kandidatinnen in der Sendung weit
werden aus über 10.000 Bewerberin- sellschaft widerspiegele, nennen 83 %                                           über die Grenzen des bisher Bekannten
nen zunächst fast 2 Dutzend junge ungestützt (!) GNTM. Gut 3 Viertel der                                           hinausgehen müssen, werden auch die
Frauen ausgewählt, die im Verlauf der Befragten sehen die Sendung, viele seit                                      jungen ZuschauerInnen herausgefor-
Show auf 3 Finalistinnen reduziert über 5 Jahren, zum Teil bereits seit der                                        dert, selbst zu überlegen, wie sie in
werden. In jeder Sendung müssen sich Grundschule. Es ist das Format, das die                                       dieser Situation gehandelt hätten. Dies
die Kandidatinnen Herausforderun- eigene Krankheit am häufigsten »sehr                                             sind Formen der Identitätsarbeit, bei
gen stellen und sich bei »Castings« stark« beeinflusst hat und die große                                           denen bereits in früheren Erhebungen
und »Fotoshootings« beweisen. Den Mehrheit (85 %) stimmt der Aussage                                               der dringende Verdacht aufkam, es
Höhepunkt stellt jeweils der einzeln zu, dass GNTM Essstörungen wie Ma-                                            handle sich hierbei eher um Identi-
präsentierte »Livewalk« (Abb. 2) vor gersucht und Bulimie verstärken kann.                                         tätsarbeit mit Fallstricken (Götz &
der Jury dar. Überreicht Heidi Klum Was macht GNTM für Mädchen und                                                 Gather, 2013). Denn scheinbar sind die
der Kandidatin am Ende ein Foto, ist junge Frauen mit einem Risiko für                                             Kandidatinnen, respektive Zuschauen-
                                                                  Essstörungen so ge-                              den, durchaus handlungsmächtig und
                                                                  fährlich? Warum hat                              können sich durch Selbstbekenntnis,
                                                                  – bei aller Macht der                            Selbstexploration und Selbstmodel-
                                                                  Auswahl, Interpreta-                             lierung (Thomas, 2007) gestalten.
                                                                  tion und Aneignung                               Gestaltungsobjekt ist dabei der eigene
                                                                  der Inhalte (Mikos,                              Körper, Orientierung und Wertmaß-
                                                                  2008) – diese Sen-                               stab sind aber nicht etwa Individualität
                                                                  dung solch eine                                  oder Lebensglück, sondern neoliberale
                                                                  Wirkungskraft?                                   Werte des Markterfolgs. Junge Frauen
                                                                  Es sind diese Punkte,                            werden zu »Unternehmerinnen ihrer
                                                                  die die Sendung für                              selbst« (zusammenfassend Stehling,
                                                                  viele Mädchen-Fans                               2015), wobei es stets nur um den unter-
Abb. 3: Einschaltquoten von GNTM nach Staffeln                    attraktiv macht: 5                               gewichtigen Körper und seine Präsen-
                                                                  GNTM stellt wie kei-                             tation und die Anpassung an die Werte

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FORSCHUNG

anderer geht. Dies spiegelt sich auch in                                                                                Spiegel und erzählen, sie seien hier und
den Aussagen der jungen Frauen, die                                                                                     da zu dick, sehen die jungen Frauen vor
durch das Format ihre Krankheit als                                                                                     dem Fernseher mit erhöhter Aufmerk-
verstärkend erlebt haben, wider.                                                                                        samkeit auf den eigenen Körper und
                                                                                                                        entdecken an ihrem eigenen Körper
GNTM setzt unerreichbare                                                                                                noch mehr unzureichende Stellen.
Normen
                                                                                                                        Sich anpassen
»Ein vermeintlich perfektes Äußeres wird als
das Allerwichtigste dargestellt; nur wer dünn                                                                           »Dafür muss ich nur noch abnehmen.«
ist, kommt eine Runde weiter und gehört                                                                                 (14-Jährige, Magersucht)
                                                © picture alliance/dpa

dazu.« (19-Jährige, Magersucht)
                                                                                                                        Aufbauend auf einem überkritischen
Die Sendung stellt Äußerlichkeiten ins                                                                                  Verhältnis zum eigenen Körper, der
Zentrum von Erfolg und Anerkennung.                                                                                     Idealisierung sehr dünner Körper
Dabei inszeniert die Sendung aus-                                                                                       folgend und sich im Vergleich dazu
                                                                         Abb. 4: Für Mädchen besonders
schließlich körperliche Ausnahmeer-                                                                                     als defizitär betrachtend, beschreibt
                                                                         attraktiv: vom schüchternen Mädchen
scheinungen junger Frauen (Abb. 4) mit                                   aus Ostfriesland zum Topmodel: Lusia           eine ganze Reihe der Mädchen, wie
einem Mindestmaß von 1,72 m und                                          Hartema                                        sie versuchten, sich dem inszenierten
einer maximalen Kleidergröße 36. Es                                                                                     Fernsehideal anzunähern. Das zentrale
werden »massenhaft schöne, perfekte                                                                                     Erzählmuster der Sendung: Es ist nur
Mädchen auf einem Haufen gezeigt, die                                    wie diese Mädchen auszusehen, und ist          eine Frage der Disziplin, vor allem der
alles fürs Schönsein geben« (17-Jährige,                                 gleichzeitig auch irgendwie sauer auf          emotionalen, aber auch der Essdisziplin.
Magersucht). Dies verzerrt den Blick für                                 sich selbst, nicht diese Willensstärke         Die jungen Frauen vor dem Fernseher
die Realität und die realen Vielfalt von                                 zu haben oder den Ehrgeiz« (17-Jährige,        beobachten nun ganz genau, »wenn die
Körpermaßen, in denen der Mensch                                         Ess-Brech-Sucht). Die unhinterfragten          Models Essen zubereiten« (17-Jährige,
an sich vorkommt. Es entsteht »das                                       Normen und die vielen körperlichen             Magersucht), wie viel und was die Kan-
Gefühl, es gibt so viele tolle, dünne,                                   Ausnahmeerscheinungen lassen bei               didatinnen essen. Wird eine Kandidatin
disziplinierte Mädchen, die damit etwas                                  den Befragten den Eindruck entstehen,          für ihr Naschen oder dafür, dass sie
erreichen und vor allem toll aussehen!«                                  es läge nur an ihnen, wenn sie dieses          Pommes gegessen hat, ermahnt und
(17-Jährige, Magersucht). Aussehen – in                                  scheinbare »Normal« nicht erreichen.           beim nächsten Shooting als Versagerin
absoluten Ausnahmeerscheinungen                                                                                         inszeniert, wirkt dies auch nachhaltig
– wird mit Erfolg und Lebensglück                                        Sich vergleichen                               disziplinierend auf die jungen Frauen
gleichgesetzt und so zum Normalfall                                                                                     vor dem Fernseher. Am schwierigsten
und absolut erstrebenswerten Ziel. Es                                    »Da die Frauen alle extrem schlank waren,      wurde es, wenn die Kandidatinnen (oder
                                                                         vergleiche ich mich mit ihnen öfters. So hat
entsteht die Logik: »Jeder, der nicht                                                                                   Heidi Klum) kalorienreiche Nahrung
                                                                         auch meine Krankheit angefangen.« (14-Jäh-
mindestens so aussieht, ist hässlich, un-                                rige, Magersucht)                              aßen und die jungen Frauen vor dem
zulänglich und dick! Dadurch entstehen                                                                                  Fernseher für sich frustriert feststellen
starke Minderwertigkeitskomplexe«                                        Es beginnen Vergleichsprozesse, be-            mussten: »Was die trotzdem manchmal
(18-Jährige, Magersucht).                                                sonders in Situationen, in denen kör-          essen und ich von so wenig zunehme«
                                                                         perbetonte Kleidung getragen wird. Je          (17-Jährige, Magersucht).
Der Wunsch, auch so                                                      »mehr Haut gezeigt wurde und wenn              Der Frust, das Unwohlsein und die
                                                                         es um sexy Bilder ging, also Wert auf          Minderwertigkeitsgefühle, die während
auszusehen
                                                                         Proportionen gelegt wird« (16-Jähri-           der Rezeption entstehen, führen jedoch
»Weil man gerne so aussehen würde, wie                                   ge, Magersucht), desto mehr fühlen             (leider) nicht dazu, einfach abzuschalten
die Models, und dann abnimmt und dann                                    viele der Befragten sich zum Vergleich         oder Rezeptionsmuster voller Wider-
in die Krankheit reingerät.« (16-Jährige,
                                                                         aufgefordert. Dieser Vergleich ist dann        stand gegen die Eigenlogik der Sendung
Magersucht)
                                                                         zum Teil deutlich auf einzelne Körper-         zu entwickeln. Gerade bei leistungsstar-
In den Beschreibungen der Bedeutung                                      teile wie ein »flacher Bauch« fokussiert       ken, anpassungsbereiten Mädchen, die
von GNTM im Kontext der eigenen Ess-                                     oder dreht sich um Fragen wie »Wie             viel Energie für die Optimierung bis
störung ist eine typische Ausprägung                                     genau kann man Knochen sehen, wie              hin zum Perfektionismus aufbringen
der Wunsch, auch »so auszusehen«                                         schlank scheinen die Arme zu sein?«            können – also typische Kennzeichen
(17-Jährige über ihre anorektische Pha-                                  (29-Jährige, Magersucht). Stehen die           essstörungsgefährdeter Menschen –,
se). »Dann wünscht man sich, genauso                                     Kandidatinnen in der Sendung vor dem           entwickelt sich typischerweise eine

                                                                                                                        28/2015/1                              5
FORSCHUNG

andere Logik. Eine 18-Jährige mit Ma-             eine Eigendynamik entwickeln, sodass       nicht, dass 70 Patientinnen dieser Be-
gersucht beschreibt prototypisch:                 es zur Abspaltung der negativen Ge-        fragung der Sendung Germany’s Next
»Viele der Mädchen, die bei Germany’s Next        fühle oder der emotional belastenden       Topmodel einen »sehr starken Einfluss«
Topmodel mitmachen, sind einfach so dünn          Lebensereignisse kommen kann. Doch         und weitere 72 immerhin noch »etwas
(wahrlich nicht alle, aber dennoch einige),       die abgespaltenen Gefühle und Erleb-       Einfluss« auf ihre Krankheit bescheini-
machen nicht extrem viel Sport oder achten
                                                  nisse sind durch die Verdrängung nicht     gen. Denn Menschen suchen sich das
extrem auf ihre Ernährung. Da kam bei mir
die Frage auf, warum bin ich dann nicht so?       verschwunden, sondern schlummern           symbolische Material, in dem sie ihre
Ich kam schnell zu der Einsicht, dass mich die-   vielmehr weiter unter der Oberfläche       handlungsleitenden Themen finden
se Frage nicht weiterbringt, und habe (nicht      (siehe Lahusen in dieser Ausgabe).         und sich und ihre Identität weiterent-
nur deswegen!) angefangen abzunehmen,             Treffen diese Mädchen und jungen           wickeln können. GNTM wird zur Iden-
extrem viel Sport zu machen. In meinem
                                                  Frauen in einer solchen Krise auf die      titätsarbeit eingesetzt. Gerade wenn
Kopf war/ist fest verankert: Wenn ich dünn
bin, dann ist alles einfacher. Das ganze Leben.   Sendung GNTM, akzeptieren sie nicht        die jungen Frauen dann bestimmte
Was ja auch in gewisser Weise wahr ist. Ich       nur die Werte und unerreichbare            Persönlichkeitsprofile haben und sich
möchte sagen, ich bin nicht wegen GNTM            Norm, sondern empfinden sich als           von dem Konzept »Unternehmerin
magersüchtig geworden, dennoch hat es             minderwertig und entwickeln den            ihrer selbst« angesprochen fühlen,
eine Rolle gespielt. Und heute schaue ich es      starken Wunsch, sich dieser scheinba-      kann der Weg der Selbstoptimierung
bewusst NICHT mehr an! Denn es würde die
Magersucht wieder so richtig pushen.«             ren Norm anzupassen: Denn in GNTM          des eigenen Körpers und Verhaltens
                                                  sind Erfolg und Anerkennung mit be-        sie in eine schwere psychosomatische
                                                  dingungsloser Anpassung verbunden.         Störung führen.
Das Krankmachende in der                          Jede Anforderung, jedes Casting, jede
Logik von GNTM                                    Challenge, jedes »Sich-von-Fremden-
                                                  körperlich-gestalten-Lassen« ist voller    Konsequenzen
Die besondere Wirksamkeit der Sen-                Begeisterung anzunehmen und es muss
dung für Mädchen und Frauen mit Prä-              alles »für den Kunden« bzw. Heidi          Mindest-BMI, mehr Vielfalt und
disposition liegt noch auf einer tieferen         Klum gegeben werden. Wahrnehmun-           höhere Sensibilität auch bei
Ebene. Denn was die Befragten trotz               gen von eigenen Empfindungen wie           GNTM
aller Offenheit und Reflektiertheit im            Müdigkeit und Kälte oder Gefühle wie
Rahmen der hier gewählten Methode                 Scham, Ekel, Wut oder Angst müssen         Wir gaben den Befragten die Chance,
nicht in derselben Kürze berichten                unterdrückt und vom Handeln ent-           selbst Konsequenzen an die Medien-
können: Sie befanden sich zu Beginn               koppelt werden. Anerkennung gibt es        industrie zu formulieren. Insgesamt
der Essstörung in einer Krisensituation.          nur für die Verdrängung. Das System        fordern sie ein breiteres Spektrum
Denn bei dieser psychosomatischen Er-             zu stören oder sich hier gar kritisch zu   an Körperlichkeiten und natürlichen
krankung steht selten das angestrebte             äußern, führt, wenn es nicht zufällig      Menschen in den Medien, deren Bilder
Schönheitsideal im Zentrum des ei-                der Attraktivität der Sendung dient,       nicht durch Photoshop verändert wer-
gentlichen Problems. Es geht um tiefe             zum vorprogrammierten Ausschluss.          den. Mehrfach kam auch der Wunsch
Krisen und Unsicherheiten, Erlebnisse             Sendung und Krankheit haben also           nach »mehr Aufklärung über Essstö-
oder Lebenssituationen, die den Betrof-           nicht nur auf der Oberfläche von           rungen, keine Verteufelung von Leuten,
fenen als nicht bewältigbar erscheinen.           Schönheitsnorm und Körperzentrie-          die eine haben« (16-Jährige, Mager-
Um trotz der Machtlosigkeit gegenüber             rung eine sehr ähnliche Grundlogik:        sucht) auf. Neben dokumentarischen
den äußeren Geschehnissen ihre Hand-              Das erstrebenswerte Ziel ist es, die ei-   Formen sind fiktionale Erzählformen
lungsfähigkeit aufrechtzuerhalten,                gentlichen Wahrnehmungen, Gefühle          hier sicherlich ein lohnenswerter Weg.
verlagern die Betroffenen ihre Wahr-              und Bedürfnisse zurückzustellen, um        Die besondere Herausforderung dabei
nehmung von den inneren Welten auf                sich perfekt an die Anforderungen          wird immer der Balanceakt zwischen
die äußeren Bereiche Körper und Essen.            und Normen anderer anzupassen und          Verständniswecken und der Anleitung
Durch die Manipulation des Gewichts               sie in ihrem Anliegen nicht zu stören.     zum krankhaften Umgang mit den
können sie sich als weniger wertlos               Wird dieses implizite Grundmuster          eigenen Problemen bleiben.
empfinden und versuchen gewisser-                 der Sendung zur Handlungsmaxime,           Bezüglich der Sendung GNTM reichen
maßen, wieder handlungsmächtig zu                 kann es in einer Identitätskrise und bei   die Vorschläge von der Forderung, die
werden – wenn schon nicht gegenüber               entsprechenden psychischen Disposi-        »Sendung Germany‘s Next Topmodel
der äußeren Welt, dann wenigstens ge-             tionen wie Leistungsbereitschaft, An-      einzustellen, in der der Wettkampf
genüber sich selbst. Dieser ungesunde             passungsbereitschaft oder einem Hang       um einen unmenschlich ›perfekten‹
Weg des Umgangs mit einem tiefer                  zum Perfektionismus in die Krankheit       Körper auf unwürdige Weise insze-
liegenden Problem kann dann leicht                führen. Entsprechend verwundert es         niert wird« (32-Jährige, Magersucht),

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FORSCHUNG

über die Bitte, die Kandidatinnen          die konkrete Forderung nach einem                            Harrison, Kristen (2013). Media, body image, and ea-
                                                                                                        ting disorders. In Dafna Lemish (Hrsg.), The Routledge
menschenwürdiger zu behandeln und          Mindest-BMI (für Models und Schau-                           International Handbook of Children, Adolescents and
nicht für jeden kleinen Fehltritt zu       spielerinnen) und dass »›Size Zero‹                          Media (S. 224-231). London & New York: Routledge.
kritisieren. Aus Sicht der Rezeptions-     vom Markt verschwindet!« (17-Jährige,                        Hawkins, Nicole, Richards, P. Scott, Granley, H. Mac
                                                                                                        & Stein, David M. (2004). The impact of exposure to
forschung wäre mehr Sensibilität im        Magersucht). Denn kranke Körper zu                           the thin-ideal media image on women. Eating disor-
Umgang mit Kritik an den Körpern der       idealisieren, bedeutet, Krankheit zu                         ders,12(1), 35-50.

Kandidatinnen zentral. Eine vermehrte      verherrlichen.                                               Iconkids & Youth (2014). Trend Tracking Kids®. Ergeb-
                                                                                                        nisse zu High Interest Themen bei 6- bis 19-jährigen
Wertschätzung von Individualität und                                                                    Kindern und Jugendlichen in Deutschland. München:
Eigenwilligkeit (auch gegenüber Heidi       ANMERKUNGEN                                                 Iconkids & Youth.

Klum) wäre ein Zeichen von Qualität.                                                                    Kiehl, Katrin (2010). Risikofaktoren für Essstörungen
                                                                                                        unter besonderer Berücksichtigung medialer Einfluss-
Zudem wäre eine gezielte Kontex-            1
                                                Interviewerhebung mit 45 Frauen mit Essstörung von
                                                                                                        faktoren. Abrufbar unter: http://epub.uni-regensburg.
                                                2003/2004
tualisierung für die ZuschauerInnen                                                                     de/19703/1/Dissertation_Katrin_Kiehl.pdf [02.04.15]
                                            2
                                                Interviewerhebung mit 14 Frauen mit Magersucht
hilfreich, wodurch vermittelt wird,                                                                     KiGGS (2006). Studie zur Gesundheit von Kindern und
                                            3
                                                	Der Kontakt wurde über Mitglieder der Bundes-          Jugendlichen in Deutschland. Abrufbar unter: http://
dass es sich bei den Kandidatinnen um            fachverbandes, meist Therapeuten und Ärzte der         www.kiggs.de/ [02.04.15]
                                                 Erkrankten hergestellt. Die Erhebung fand zwischen
körperliche Ausnahmeerscheinungen                November 2014 und Februar 2015 statt.
                                                                                                        Märschel, Sarina (2007). Welchen Hunger stillen Medi-
                                                                                                        en? Funktionen von Medien im Leben von Frauen mit
handelt und dass die geforderten An-        4
                                                Weitere 7 an der Befragung Teilnehmende mit Adi-        Essstörungen. In Senta Pfaff-Ruediger & Micahel Meyen
passungs- und Verdrängungsmecha-                positas werden bei den hier vorgestellten Ergebnissen   (Hrsg.), Alltag, Lebenswelt und Medien. Qualitative
                                                quantitativ und qualitativ nicht weiter berücksich-     Studien zum subjektiven Sinn von Medienangeboten
nismen show- bzw. businessspezifisch            tigt.                                                   (S. 125-150). Münster: LIT.
sind und nicht unbedingt gesundheits-       5
                                                	Abgefragt wurden die Gebrauchswerte der Sendung        Mikos, Lothar (2001). Fern-Sehen, Bausteine zu einer
fördernd. Eine einfließende Aufklärung           in Rezeption und Aneignung, Items, die auch als        Rezeptionsästhetik des Fernsehens. Berlin: Vistas.
                                                 Vergleichswerte aus einer Repräsentativstudie zu
über das Thema Magersucht wäre zu-               »GNTM-SeherInnen allgemein« (Götz & Gather,
                                                                                                        Stehling, Miriam (2015). Die Aneignung von Fernseh-
                                                                                                        formaten im transkulturellen Vergleich. Eine Studie am
dem thematisch passend und würde,                2013) zur Verfügung standen.
                                                                                                        Beispiel des Topmodel-Formats. Wiesbaden: Springer.
gerade weil die Sendung viele Mädchen                                                                   Swanson, Sonja A., Crow, Scott J., Le Grange, Daniel,
in einem sensiblen Alter erreicht, ein      LITERATUR                                                   Swendsen, Joel & Merikangas, Kathleen R. (2011). Preva-
                                                                                                        lence and correlates of eating disorders in adolescents:
Zeichen von Verantwortung.                                                                              Results from the national comorbidity survey repli-
Von einer Befragten wird eine gezielte      Baumann, Eva (2009). Die Symptomatik des Me-                cation adolescent supplement. Archives of General
                                            dienhandelns. Zur Rolle der Medien im Kontext der           Psychiatry, 68(7), 714-723.
Förderung der Medienkompetenz ein-          Entstehung, des Verlaufs und der Bewältigung eines          The McKnight Investigators (2003). Risk factors for the
gefordert, ein Ansatz, der aus Sicht der    gestörten Essverhaltens. Köln: Herbert von Halem.           onset of eating disorders in adolescent girls: results of
Medienpädagogik sehr zu unterstützen        Bell, Beth Teresa & Dittmar, Helga (2011). Does media       the McKnight longitudinal risk factor study. American
                                            type matter? The role of identification in adolescent       Journal of Psychiatry, 160, 248-253.
ist. Es wäre eine Chance, Sendungen         girls’ media consumption and the impact of different        Thomas, Tanja (2007). Showtime für das »unter-
wie GNTM für medienpädagogische             thin-ideal media on body image. Sex roles, 65(7-8),         nehmerische Selbst«. Reflexion über Reality-TV als
                                            478-490.                                                    Vergesellschaftungsmodus. In Lothar Mikos (Hrsg.),
Einheiten zu nutzen, um sich mit den                                                                    Mediennutzung, Identität und Identifikation. Die So-
                                            Cafri, Guy, Yamamiya, Yuko, Brannick, Michael &
Körperbildern in den Medien ausei-          Thompson, J. Kevin (2005). The Influence of Sociocul-       zialisationsrelevanz der Medien im Selbstfindungspro-
                                                                                                        zess der Jugendlichen. Weinheim: Juventa.
nanderzusetzen oder durch kritische         tural Factors on Body Image: A Meta‐Analysis. Clinical
                                            Psychology: Science and Practice, 12(4), 421-433.
Medienanalysen die Inszeniertheit von
                                            Derenne, Jennifer L. & Beresin, Eugene V. (2006). Body
Castingshows zu verstehen. Wenn es          image, media, and eating disorders. Academic Psych-         DIE AUTORINNEN
Jugendlichen gelänge, das Konzept           iatry, 30, 257-261.

der »Unternehmerin ihrer selbst« (u.        Götz, Maya & Gather, Johanna (2013). Ich habe
                                            heute leider kein Foto für dich. Die Faszination
a. Thomas, 2007) zu durchdringen und        Germany’s Next Topmodel. In Maya Götz (Hrsg.), Die
                                            Fernsehheld(inn)en der Mädchen und Jungen. Ge-
den eigenen Weg zwischen neolibe-           schlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen
raler Selbstoptimierung, Achtsamkeit        (S. 473-529). München: kopaed.
und Ausformung der Individualität zu        Götz, Maya (Hrsg.) (2002). Alles Seifenblasen? Die Be-
                                            deutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und
finden, wäre dies auch eine präventive      Jugendlichen. München: kopaed.
Maßnahme zur Vorbeugung von Ess-            Götz, Maya & Herche, Margit (2013). Wespentaille und
störungen.                                  breite Schultern. Der Körper der »globalen« Mädchen-
                                                                                                         Maya Götz, Dr. phil., ist Leiterin des
                                            und Jungencharaktere in animierten Kindersendungen.          IZI und des PRIX JEUNESSE INTERNA-
Das Wichtigste für viele Befragte mit       In Maya Götz (Hrsg.), Die Fernsehheld(inn)en der Mäd-        TIONAL, München.
einer Essstörung ist aber: »Hört auf        chen und Jungen. Geschlechterspezifische Studien
                                            zum Kinderfernsehen (S. 63-79). München: kopaed.             Caroline Mendel, M.A. Soziologie,
zu propagieren, dass es ›normal‹ sei,                                                                    Psychologie und Ethnologie, und
                                            Götz, Maya, Bulla, Christine & Mendel, Caroline (2012).
wie Models auszusehen, und jeder mit        »Bestimmt ein tolles Erlebnis!« Repräsentativbefra-          Sarah Malewski, B.A. Kommunika-
mehr Gewicht nicht den gesellschaft-        gung von 6- bis 17-Jährigen zu ihren Vorstellungen
                                                                                                         tionswissenschaft, Pädagogik und
                                            vom »Erlebnis-Castingshowsteilnahme«. LfM-Doku-
lichen Normen entspricht, denn es           mentation Band 49. Abrufbar unter: https://www.lfm-          Betriebswirtschaftslehre, sind freie
sollte andersherum sein« (18-Jährige,       nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Publikationen-Download/
                                                                                                         Mitarbeiterinnen am IZI, München.
                                            LfM_Doku49_web.pdf [22.04.15]
Magersucht). Daraus abgeleitet entsteht

                                                                                                        28/2015/1                                               7
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