Das Erbe der muslimischen Herrschaft auf Sizilien: eine Spurensuche - an der ...
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JUSUR 3 (2020) 57-62 Das Erbe der muslimischen Herrschaft auf Sizilien: eine Spurensuche Adrian Bernhard, B.A. Ruhr-Universität Bochum Sehnsucht nach der Heimat - terra, ġurba und faḫr heutigen Tunesien,1 seinen Ausgang genommen hatte und an dessen Anfang ein innerbyzantinischer Konflikt Solange ich mich erinnern kann, erzählen mir meine stand, hatte sich seit der eröffnenden Eroberung von italienischen Freunde und Verwandten von der außeror- Mazara del Vallo im Jahre 827 bis 966 über mehr als 130 dentlichen Schönheit Siziliens (mit Ausnahme meines Jahre hingezogen.2 Während Palermo, die unter musli- Großvaters, dem hätte ein Sizilianer fast die Frau weg- mischer Herrschaft stark erweiterte und in ihrem Stadt- geschnappt). Ich höre sie von der Einzigartigkeit der bild bis heute davon geprägte Hauptstadt Siziliens, sowie Landschaften erzählen, von ihren fruchtbaren Böden, der Westteil der Insel (Val di Mazara) bis 842 erobert den köstlichen Pistazien, die sich am Westhang des werden konnte, gelang es den muslimischen Eroberern Ätnas finden lassen, den Süßspeisen und vielem mehr. im Osten nur mühsam mittels langer Belagerungen, Nicht weniger begeistert sprechen meine sizilianischen Rückzügen und erneuten Ansätzen ihre Herrschaft zu Freunde von ihrer Heimat. Doch wodurch sich ihre etablieren. Nicht vor 902 brachten sie den Südosten der Schilderungen, von denen meiner nichtsizilianischen Insel (Val di Noto) unter ihre Kontrolle und es vergingen Freunde deutlich unterscheiden, ist die Sehnsucht nach abermals 64 Jahre bis im Jahre 966 unter der zwischen- ihrer terra (it. Erde, Boden), ihrem Heimweh, das in zeitlich entstandenen Lokaldynastie der Kalbiten auch jedem ihrer Worte Widerhall zu finden scheint. Nicht der nordöstliche Teil (Val Demone) vollständig erobert weniger leidenschaftlich, doch in einer anderen Sprache und somit eine umfassende, muslimische und dynasti- und zu einer anderen Zeit, berichtete der arabische sche Herrschaft, über die vormals griechisch-orthodox Dichter Ibn Ḥamdīs von seiner Sehnsucht und dem geprägte und byzantinisch beherrschte Insel errichtet Verlangen nach seiner Heimat, die er in den Jahren ihrer wurde. Eroberung durch fremde Mächte verlassen hatte und in Nicht ganz ein Jahrhundert mehr oder minder stabi- die er nicht mehr zurückkehrte. Diese Sehnsucht nach ler Herrschaft verging, und wie bereits zu Beginn der seiner Heimat (ġurba), der Stolz (faḫr) auf sie sowie die muslimischen Eroberung bildeten interne Konflikte den Wut auf die Eroberer waren die Gefühle, die ihn zu Anfangspunkt sich verändernder Herrschaftsverhältnisse seinen bedeutendsten Werken inspirieren sollten und und führten letztlich zum Ende der muslimischen Herr- sich seiner terra widmeten: aṣ-Ṣiqilliyya. schaft über Sizilien. Unter Einflussnahme der in Ifrīqīya herrschenden und auch in Sizilien einflussreichen Ziri- Eroberung, Verwaltung und Zersplitterung den verloren zunächst 1040 die bis dahin relativ auto- nom herrschenden Kalbiten ihre Herrschaft über Teile Zwar stellte die Eroberung Siziliens im Jahre 1091 durch der Insel. Mit dem danach einsetzenden Zersplitte- die Normannenbrüder Robert und Roger aus dem rungsprozess, der die Herausbildung lokaler Führungs Geschlecht der Hauteville den endgültigen Schluss- figuren (quwwād, Sg. qāʿid) und deren Herrschaft über punkt einer in etwa 200 Jahre andauernden Herrschaft Teilbereiche der Insel zur Folge hatte, befand sich die wechselnder muslimischer Dynastien dar, doch bedeute- te dieser Herrschaftswechsel keineswegs ein Ende des 1 Darüber hinaus umfasste die Provinz Ifrīqīya auch Teile Tripolitaniens und kulturellen, sprachlichen oder künstlerischen Einflusses, des heutigen Ost-Algeriens. den die Muslime in den Jahrhunderten davor auf der 2 Erste Überfälle auf die Insel hatten jedoch schon viel früher unter dem Kalifen Muʿāwiya I. begonnen. Diese Überfälle beschränkten sich aber Insel hinterlassen hatten. Deren langwieriger und müsa- nicht nur auf Sizilien, sondern führten auch zu vorrübergehenden mer Eroberungsprozess, der in der Provinz Ifrīqīya, dem Landnahmen auf der italienischen Halbinsel. 57
BERNHARD Ty r SIZILIEN rh en essin a is Milazzo nM ch Straße vo es Messina Montelepre Palermo Me ITALIEN Bagheria er Pati Tindari Monreale Reggio Erice Alcamo Trapani Misilmeri Cefalù Misretta Calatafimi Segesta Termini Imerese Alcant a Salemi ize Corleone Caltavuturo Petralia Randazzo Taormina Bel Marsala Nicosia Troina Lercara i Mazara Ätna (Mongibello) Val d Castelvetrano Gagliano Mazara del Vallo Castronovo mone Acireale Menfi Caltabellotta Mussomeli Val DeCenturipe Paternoi Selinunte Ribera Enna Ino Casteltermini Catania ni sc Si Sciacca Dittai m eto he Caltanissetta no s Siculiana Me Agrigento er Salso Porto Empedocle Lentini Caltagirone Butera Mit Vizzini te N lm ee Licata Gela Val di Not Syrakus r Vittoria o W O Ragusa Noto Scoglitti S Modica Pozzallo 0 km 30 Pantelleria Karte Siziliens. muslimische Herrschaft über die Insel in ihrer Endphase. Unterteilung der Insel in drei valli, eine Bezeichnung, Fortan war die politische Gemengelage von Rivalitäten von der angenommen wird, dass sie auf den arabischen und Kämpfen der verschiedenen Lokalfürsten unterein- Begriff wilāya zurückgeht (ar. für »Verwaltungseinheit« ander geprägt. Als im Jahre 1060 der qāʿid von Syrakus und nicht von it. valle für »Tal«, wie man auf den ersten die christlichen Normannen Süditaliens gegen seinen Blick meinen könnte), hatte weit über ihre Zeit hinaus Widersacher zur Hilfe bat, holte sich dieser eine fremde bis in das 19. Jahrhundert bestand und ist selbst heute Macht ins Haus, die ihre eigenen Interessen verfolgte noch fest im Bewusstsein der Sizilianer verankert, wenn und der es zwischen 1061 und 1091 gelang, die politisch es um eine grobe geographische Unterteilung ihrer so zersplitterte und zerstrittene Insel unter ihre Kontrolle Insel geht. Auch übernahmen die Normannen die beste- zu bringen und eine eigene Herrschaft zu errichten.3 hende und weiterhin in arabischer Sprache geführte Während die Bevölkerung, die nunmehr unter norman- Finanzverwaltung und fuhren mit der Tradition fort, nischer Herrschaft stand, im Val Demone überwiegend den höchsten Verwaltungsbeamten mit amīr al-umarāʾ christlich geblieben war und diese auch im Val di Noto zu betiteln, belehnten ihre Klienten mit Ländern, die neben den Muslimen weiterhin einen bedeutenden ihrer Unterteilung nach den vormaligen aqālīm (Provin- Bevölkerungsanteil stellte, gestaltete sich die Situation zen) entsprachen und rekrutierten sogar Muslime für ihr im Val di Mazara, wo Palermo, die neue alte Hauptstadt Militär. Doch auch in anderen Bereichen hatten die der Insel lag, etwas anders. Denn diese Gegend der Insel Muslime deutliche Spuren hinterlassen. Insbesondere in hatte am längsten unter muslimischer Herrschaft der Landwirtschaft hatten sie tiefgreifende und bis in die gestanden und war durch zahlreiche Einwanderungs- Gegenwart reichende Entwicklungen und Veränderun- und Siedlungsbewegungen nahezu vollständig islami- gen angestoßen. Sie brachten fortgeschrittene Bewässe- siert worden. Zwar kam es zu Auswanderungs- und rungstechniken und eine Vielzahl neuer Kulturpflanzen Fluchtbewegung, doch hatte die muslimische Bevölke- mit auf die Insel, wie den Maulbeerbaum (und die dazu- rung weiterhin Bestand und stellte einen bedeutenden gehörigen Seidenraupen), Orangen, Zitronen, das Teil der Untertanenschaft des ersten Normannenkönigs Zuckerrohr, aber auch Datteln und Pistazien. Fortan Roger I. entwickelte sich zumindest am Hofe der Normannen Doch ging die Hinterlassenschaft der muslimischen ein Klima der Toleranz und Wertschätzung für die mus- Herrschaft in Sizilien über ihre Bevölkerung hinaus. Die limische Hochkultur. Dies soll jedoch nicht über den Charakter der Eroberung, bei der das christliche 3 Konfessionsübergreifende Bündnisse waren keineswegs etwas ungewöhnliches, sondern eine politische Realität. Momentum durchaus ein Faktor für die Mobilisierung 58 JUSUR 3 (2020) 57-62
DAS ERBE DER MUSLIMISCHEN HERRSCHAFT der erforderlichen Truppen gespielt Der Beginn der Spurensuche hatte, und die kurz vor Ausrufung des ersten Kreuzzuges durch Papst Urban Nachdem mich nun die ġurba meiner II. im Jahre 1095 stattfand, hinweg- alten und neu hinzugewonnenen täuschen. Ebenso wenig sollen an sizilianischen Freunde ergriffen hatte, dieser Stelle die (teilweise aussichts- verspürte ich den Drang, selbst nach reichen) Aufstände durch Teile der Sizilien zu reisen und Ausschau nach muslimischen Bevölkerung, deren Zeugnissen der über 200-jährigen zeitweilige Verfolgung, sowie die muslimischen Präsenz zu halten. Auch Versklavung von Muslimen durch wenn eine kurze Recherche im Christen unter den Tisch gefallen Vorfeld bedauerlicherweise zu Tage lassen werden. Dennoch besaßen die gefördert hatte, dass aus der Zeit der Muslime, die der weiterhin als ǧizya muslimischen Herrschaft keine eigen- bezeichneten Kopfsteuer unterlagen, ständigen architektonischen Zeugnis- phasenweise weitreichende Freiheiten se erhalten waren, empfand ich die und Möglichkeiten bei der Entwick- zahlreichen eklektischen Bauwerke aus lung ihrer Gemeinschaft und unterla- der Zeit der Normannenherrschaft als gen in ihrer Religionsausübung für äußerst reizvoll und malte mir auch lange Zeit keinen Beschränkungen. sonst gute Chancen aus, auf die ein Eine Phase besonderer Verschmel- oder andere Inschrift, Form oder zung des muslimischen und christ- (Volks-)Etymologie zu stoßen. Der lich-byzantinischen Erbes der Insel Entschluss war gefasst und ich plante setzte unter Roger II. ein, der gemeinsam mit meiner aus Sizili- Sizilien ab 1130 regierte und sich Palatinische Kapelle: en stammenden Freundin eine selbst (wie Wilhelm I. und II. Blick auf den Platz, an dem sich einst der Thron Rogers Reise, die uns von Catania aus nach ihm) einen arabischen Herr- I. befand. Darüber Mosaike, das blaue Band in verzierter innerhalb von zwei Wochen Lateinschrift und die Holzdecke. schertitel, al-Muʿtazz bi-llāh, gab. einmal um die Insel führen sollte Seine Erlasse wurden auf Lateinisch, Griechisch und (wobei auf Grund der geschilderten Umstände mit einer Arabisch verfasst und veröffentlicht, seine Krone folgte Häufung von Supren und Zeugnissen im westlichen der byzantinischen Form, während sein Mantel mit Teil der Insel zu rechnen war und ich mich auf diesen einer kufischen Inschrift bestickt war. Auch wurde mit besonders freute). der Palatinischen Kapelle in Palermo unter ihm ein herausragendes Beispiel der sogenannten arabisch-nor- Erste Eindrücke - Spitzbögen und Mungibeddu mannischen Architektur errichtet, die byzantinische Mosaike mit arabischer Kalligraphie und Formenspra- Als wir in Catania gelandet waren, holten wir zügig che verband und für die sich insbesondere in und um unseren Mietwagen ab und begaben uns auf die Auto- Palermo, aber auch in anderen Teilen der Insel Beispiele bahn in Richtung Taormina, wo uns zunächst einmal finden. Während die muslimischen Eliten am Hofe zwei entspannte Nächte mit Meeresblick erwarteten und weiterhin Vertrauen und Anerkennung der Regenten siehe da: bereits auf der Autobahn nach circa 20 Minu- genossen, verschlechterte sich die Lage für die muslimi- ten nördlicher Richtung überquerten wir den Fluss sche Bevölkerung unter Wilhelm I und Wilhelm II., auf Alcantara (ar. al-qanṭara, »(Bogen-)Brücke«), der seinem dessen Tod eine 5-Jährige Phase von Intoleranz, Auf- Wasserstand nach wohl auch treffend als wādī zu ständen und Gewalt (hierunter ein Massaker an den bezeichnen wäre. Dass arabische Ortsnamen die Zeiten Muslimen Palermos im Jahre 1189) folgte. Mit dem überdauern würden, hatte ich durchaus erwartet (wie Ende der Herrschaft von Wilhelm II. verlor die Arabi- sich auch bestätigen sollte). Unter der Annahme, dass sche Sprache ihre Bedeutung als Verwaltungssprache Gewässernamen für gewöhnlich zu den ältesten Namen und es setzte eine Phase fortlaufender Emigration und gehören, die sich finden lassen, erstaunte und freute wiederkehrender muslimischer Aufstände ein, die erst mich dieser Zufallsfund. Guten Mutes ging es weiter mit der Deportation der letzten sizilianischen Muslime nach Taormina, wo ich mit einem Besuch des Palazzo auf das italienische Festland durch Friedrich den II. ein Corvajas rechnete, einem Gebäude, dessen Grundmau- unfreiwilliges Ende fand. Mit diesem Schritt wurde ern auf die Zeit muslimischer Herrschaft zurückgehen. Sizilien, die kleine Schwester von Al-Andalus, endgültig Quaderförmig, imposant in der Erscheinung und an für viele Muslime zu einer verlorenen Heimat und zu einem Platze im historischen Stadtkern Taorminas gele- dem Ort der Sehnsucht, den schon Ibn Ḥamdīs ein Jahr- gen, blieb mir dieses Gebäude, in dem sich heute die hundert zuvor beschrieben hatte. Touristeninformation der Stadt befindet, trotz freundli- cher Hinweise eines Carabinieres verschlossen, da sich JUSUR 3 (2020) 57-62 59
BERNHARD unser Aufenthalt nicht mit den coronabedingten Palermo - Fatimiden und Bismillah-Market verkürzten Öffnungszeiten deckte.4 Nach der Entde- ckung zweier Palazzi, die man wegen ihrer Spitzbögen Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg nach im Italienischen treffend als arabeggianti bezeichnen Palermo, dem ehemaligen Zentrum muslimischer und würde, führte mich ein kurzer Schwenk durch eine normannischer Herrschaft, für das ich schon alles Seitengasse zu meinem nächsten Zufallsfund, einem genauestens geplant hatte. Mein Hauptaugenmerk lag Straßenschild, das den Namen »Salita Ibrahim« trägt hierbei auf La Zisa, einem Palastbau etwas nördlich des und das wohl, wie ich mir erkläre, auf den Emir Ibrāhīm eigentlichen Stadtzentrums, dessen Bau unter Wilhelm II., der Taormina im Jahre 902 erobert hatte, Bezug I. begonnen und von seinem Sohn vollendet wurde. nehmen muss. Daneben interessierten mich besonders La Cuba, ein Unsere nächste Etappe führte uns hinauf auf den eine ähnlicher Bau, der von Wilhelm II. in Auftrag gegeben Stunde entfernten Vulkan Ätna, der wie unserem wurde, sowie die zahlreichen Kirchen aus der norman- freundlichen und ortskundigen Bergführer zufolge im nischen Zeit, die mit ihren eigenartigen (nachträglich) Volksmund nur mit Mungibeddu (it. Mongibello) rot gefärbten Kuppeln an nordafrikanische Bauten aus bezeichnet wird, ein eigenartiges Kompositum, in dem fatimidischer Zeit erinnern. Kurzum: In Palermo sich sowohl das lateinische (mons) als auch das arabische wurden die Zeichen immer deutlicher und ich nicht Wort für Berg (ǧabal) wiederfinden lassen und das auf enttäuscht. Wir passierten dreisprachige Namensschil- den alten arabischen Namen des Ätnas, ǧabal an-nār, der, die an die jüdische und arabische Geschichte der hinweist. Nach einem überaus eindrucksreichen Auf- Orte erinnerten, begingen die Hauptachse, die sich vom stieg begaben wir uns am nächsten Tag wieder zurück Meer aus quer durch das Stadtzentrum hin zum Nor- auf die Straße und passierten den Mongibeddu nun von mannenpalast zieht und im Volksmund schlicht Kassarò westlicher Seite, vorbei an dem für seine Pistazien weit heißt (von ar. qaṣr, selbst wiederum aus dem lateinischen über Sizilien hinaus berühmten Ort Bronte und fuhren castrum »Befestigung« entlehnt). Wir machten eine durch die Monti Nebrodi in Richtung Nordwesten zu Stadtführung, bei der wir erfuhren, dass das im heutigen unserem nächsten Ziel. In Cefalù angekommen, führte Zentrum liegende Stadtviertel Kalsa (ar. al-Ḫāliṣa) auf uns eine abendliche Besichtigung zur und in die Kathe- die Fatimiden zurückgeht, die es als zusätzliche Befesti- drale von Cefalù, die mich mit ihren breiten Proportio- gung und Herrschafts- und Verwaltungssitz außerhalb nen und den gedrungen wirkenden Türmen auf den des ursprünglichen Stadtzentrums errichtet hatten. ersten Blick fast schon an eine Moschee erinnerte. Auch Doch die eigentliche Überraschung folgte am wenn im Inneren das dominierende Mosaik des Christus nächsten Tag, als wir einen ungeplanten Spaziergang Pantokrator diesen Ort zweifelsohne als christliche durch die Stadt unternahmen und uns einfach treiben Kirche auswies, deuteten andere Elemente, wie zum ließen. Nach einigen Schlenkern kamen wir an einem Beispiel die aufgesetzten Spitzbögen, auf die am Bau kleinen Geschäft namens Bismillah-Market vorbei, vor beteiligten, muslimischen Baumeister hin, wie mir einer dem Ibrahim stand, der sich mit seiner ǧalabīya um den der Führer vor Ort erklärte. Leib und der ṭāqīya auf dem Haupte so offenkundig als Muslim zu verstehen gab, dass ich mich für einen Moment wie in Tunesien oder Marokko fühlte. Ich begrüßte ihn, und wir begannen ein Gespräch über Gott und die Welt, die Geschichte der Muslime in Sizilien und das heutige Leben als Muslim in Palermo. Nach einem kurzen Hinweis auf zwei Moscheegemein- den, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, beendeten wir das Gespräch, und ich machte mich auf den Weg zur Ǧāmiʿa Balarm, der Moschee von Palermo, die sich in einer ehemaligen Kirche befand, und die vom tunesi- schen Staat finanziert wird. Dort angekommen bemerk- te ich, dass ich wohl um einige Momente nach dem ʿaṣr-Gebet eingetroffen sein musste, denn außer einem Blick von vorne auf die Zisa. Im Zentrum der Eingang zum Hauptsaal. jungen Mann und einem Paar Schuhe auf der Treppe Bei genauerem Hinsehen lassen die Elemente am oberen Ende noch die zum Eingang war niemand mehr zu sehen. Wir began- kufischen Schriftzeichen des einstigen Frieses erkennen. nen ein kurzes Gespräch, in dem er mich darauf hinwies, dass es anscheinend sowohl in der Martora- na-Kirche als auch an einer Säule des Portikons des Domes von Palermo arabische Inschriften zu finden 4 An dieser Stelle sei Herrn Prof. Stefan Reichmuth (RUB) für seinen freundlichen Hinweis auf den Palazzo Corvaja und dessen Geschichte seien. Ich bedankte mich für den Hinweis, woraufhin er gedankt. mich darauf hinwies, dass ich das Gespräch am Abend 60 JUSUR 3 (2020) 57-62
DAS ERBE DER MUSLIMISCHEN HERRSCHAFT gerne mit dem Imam fortsetzen könne und wir verab- goldener Schriftzug in lateinischen Lettern zieht, dessen schiedeten uns. Da sich diese beiden Kirchen gut in den auffällige florale Verzierungen stark an die zuvor Plan für den nächsten Tag integrieren ließen, beließen entdeckten Schriftzüge erinnern. Unterhalb dieses wir es erst mal dabei, entspannten uns und aßen zu Schriftzuges findet sich eine »Lage« byzantinischer Abend. Dennoch konnte ich es für diesen Tag noch Mosaike die selbst wiederum von geometrisch geform- nicht sein lassen und begab mich zur Zeit des ʿišāʾ-Ge- ten Mosaiken unterlagert wird. Dass es sich hierbei um bets abermals zur Moschee, wo ich mich zunächst eine Synthese verschiedener Schulen und Tradition ausgiebig mit Hasan unterhielt, einem Tunesier, der seit handelt, ist ganz offensichtlich, doch lassen sie einigen einigen Jahrzehnten in Palermo lebte und der mir als Interpretationsspielraum und mir schossen die Fragen Antwort auf meine Frage, wie es sich denn als Muslim nur so durch den Kopf: Steht das lateinische Element für heute in Palermo lebe, ausgiebig von seinen Diskrimi- die Herrschaft der Normannen, die sich mit der islami- nierungserfahrungen berichtete. Jedoch berichtete er schen Kultur schmücken und die durch die kufischen mir auch von Mazara del Vallo, einer im Südwesten der Elemente der Schrift repräsentiert werden? Symbolisiert Insel gelegenen und wie er meinte toleranteren Stadt, in die Holzdecke mit ihrer Kombination aus Muqarnas, der es eine große tunesische Gemeinschaft gebe, die seit Koranzitaten und bildlichen Darstellungen höfischen der Konversion des Bürgermeisters zum Islam in den Lebens, die kulturelle und 80er Jahren den öffentlichen Gebetsruf (mit Ausnahme vielleicht sogar religiöse Synthe- des Morgengebets) erlaube. se, die sich in den arabophonen Nach einer Weile führte er mich zum Imam der Herrschern Roger I., Wilhelm I. Gemeinde, der bis dahin in ein angeregtes Gespräch und II. vollzog? In jedem Fall hat über theologische Fragen und die Klärung einer Verwal- der Besuch der Palatinischen tungsangelegenheit verwickelt gewesen war. Wir Kapelle, die in der Ursprungszeit begannen unser Gespräch auf Arabisch, sprachen ein der scheinbaren Dichotomie des wenig über Gott und viel über die Welt und insbesonde- christlichen Abendlandes und des re über die muslimischen Gemeinden in Palermo, die es, muslimischen Morgenlandes wie er mir versicherte, verhältnismäßig gut haben, was entstanden war, in mir den sich auch in der Errichtung einer neuen Moschee in der Eindruck einer engen Verwoben- Nähe eines Kinderkrankenhauses zeige. Wir machten heit und Verbindung europä- ein gemeinsames Foto, ich bedankte mich und verab- Kasbah von Mazara del isch-christlicher und muslimi- schiedete mich in die Nacht. Vallo, Blick in eine ihrer scher Kultur hinterlassen. Ein verwinkelten Gassen. Der nächste Tag führte uns weiteres Zeugnis dieser fruchtrei- zuallererst zur Martorana-Kirche chen eklektischen Baukunst stellt das Lustschloss La und in der Tat, direkt im Zisa dar, das sich am Normannenpalast vorbei Stadtaus- Eingangsbereich finden sich zwei wärts befindet. Säulen mit kufischen Inschriften. Ursprünglich von einem mit kufischer Schrift am Und auch am Dom von Palermo oberen Ende gesäumten Fries versehen, sind heute nur bewahrheitete sich die Aussage noch Reste kufischer Inschriften vor dem Eingang zur meines Informanten: im Portikus, Haupthalle erhalten. Umso deutlicher erkennbar sind auf der ersten Säule von Links und jedoch die aufwändigen Muqarnas an der Stirn- sowie nicht zu übersehen befindet sich den beiden Nebenseiten, ebenso der Brunnen, welcher auf etwa drei Metern Höhe eine der Stirnseite entspringt und sich über ein Gefälle hinab Inschrift, die ein Koranzitat in den Boden und von dort aus in die Teichanlagen des enthält. Die Säule selbst ist früher Gartens ergießt und sich in die Gesamtkonzeption der Teil der großen Freitagsmoschee Blick in den Hauptsaal Anlage als Abbild des (islamischen Bildes des) Paradieses gewesen, die sich an der Stelle des der Zisa, auf den Brunnen einfügt. heutigen Doms befunden. Wenn und das darüber befindli- che Muqarnas. auch nur ein Fragment, so handelt Mazara del Vallo - aḏān und Couscous es sich hierbei dennoch um ein sehr deutliches bauliches Zeugnis der muslimischen Herrschaft auf Sizilien. So paradiesisch schön Palermo auch war, so mussten wir Doch von nun an wurde es ein wenig verwirrend, es doch verlassen und machten uns auf den Weg zu denn in der Palatinischen Kapelle des Normannenpalas- unserer letzten Etappe. Diese führte uns am Flughafen tes stand ich plötzlich unter einer wunderschönen, mit Palermo-Punta Raisi vorbei und anschließend für einen Muqarnas versehenen Holzdecke, in der nur schwer Tagesaufenthalt nach Favignana, eine westlich von erkennbare kufische Inschriften bildliche Darstellungen Trapani gelegene Insel. Dort wurde noch bis vor eini- des (Hof-)Lebens säumen. Den unteren Rand dieser gen Jahren eine traditionelle Form des Thunfischfangs Decke schließt ein blaues Band ab, über das sich ein betrieben, die auf die muslimische Präsenz in Sizilien JUSUR 3 (2020) 57-62 61
BERNHARD zurückgeführt wird und bei der ein Rais (ar. raʾīs, hier: Metcalfe, Alex. The Muslims of Medieval Italy. The New Edin- der »Hauptmann«) eine Gruppe von Fischern unter burgh Islamic Surveys. Edinburgh: Edinburgh University Gesang anleitet. Zurück auf dem Festland fuhren wir Press, 2009. weiter an einem Ort namens Salemi vorbei, als ich Traini, R., G. Oman, und Vincenza Grassi. „Ṣiḳilliya“. In Encyclopaedia of Islam, Second Edition. plötzlich beim Durchzappen durch die Radiosender bei Zur sprachlichen Situation und der ethnischen und Nejma FM, einem tunesischen Radiosender, hängen- religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung während blieb und den ich trotz stark schwankendem Empfang und nach der muslimischen Herrschaft auf Sizilien: bis zu unserer Ankunft in Mazara del Vallo laufen ließ. Metcalfe, Alex. Muslims and Christians in Norman Sicily: Dort machten wir eine mehr oder weniger Arabic Speakers and the End of Islam. Culture and Civilization aufschlussreiche Stadtführung, die uns zumindest in die in the Middle East. London: Routledge, 2003. Kasbah führte, das auf der Raumordnung der muslimi- Zum sizilianischen Arabisch: schen Zeit basierende Stadtviertel, das heute hauptsäch- La Rosa, Cristina. „L’arabo di Sicilia nel contesto magrebino: lich von Tunesiern bewohnt wird. Viele von ihnen nuove prospettive e nuovi approcci metodologici.“ PhD, waren in den 60er Jahren, als es in der Region einen Università Ca’Foscari, 2014. Zur Stadtgeschichte Palermos unter muslimischer Herr- Mangel an Fischer gab, eingewandert und geblieben. schaft: Nachdem wir einmal falsch abgebogen und in einer Maurici, Ferdinando. Palermo Araba: Una sintesi dell’evoluzio- Sackgasse gelandet waren, fühlte ich mich sogleich ne urbanistica (831-1072). Palermo: Edizioni d’arte Kalós, wieder wie in Marrakesch, mit den vielen verwinkelten 2015. Straßen und den Sackgassen. Überall an den Wänden Simone, A. de. „Al-Khāliṣa“. Encyclopaedia of Islam, Second befinden sich bemalte Fliesen und auf den herabgezoge- Edition. nen Rollläden der Geschäfte aufwändig gemalte Bilder, Zum Verwaltungswesen der Normannen: die das muslimische Erbe der Geschichte und den multi- Nef, Annliese. Conquérir et gouverner la Sicile islamique aux xie kulturellen und toleranten Charakter der Stadt betonen et xiie siècles. Rome: Publications de l’École française de sollen. Und während wir durch die Kasbah spazieren Rome, 2011. Zur Ibn Ḥamdīs und seiner ġurba-Dichtung: und an einem auffällig geschmückten Haus vorbeikom- Gómez García, Luz. „Ibn Ḥamdīs“. In Encyclopaedia of Islam, men, das einem wirklich den Eindruck vermittelt in THREE. Tunesien zu sein, höre ich ihn, pünktlich zur Mittags- Ibn Ḥamdīs, ʿAbd al-Ǧabbār. Dīwān Ibn Ḥamdīs, herausgege- zeit, den aḏān. Zeit für das allseits bekannte Lokalge- ben von Iḥsān ʿAbbās. Bairūt: Dār Ṣādir, 1960. richt: Couscous al Pesce. Egal wohin es uns in Sizilien Für einen Überblick über die arabischen Inschriften in verschlagen hat, es gab überall etwas zu entdecken, das Sizilien: auf die muslimische Vergangenheit der Insel hinweist. Amari, Michele. Le epigrafi arabiche di Sicilia trascritte, tradolte Wenn auch kaum bauliche Zeugnisse jener Zeit erhal- e illustrate da Michele Amari. Palermo: L. Penele Lauriel, ten geblieben sind, so ist die Kunstfertigkeit der musli- 1875. mischen Baumeister und Künstler der Insel zumindest Zur arabischsprachigen Literatur, die Sizilien themati- siert: in den Bauwerken ihrer Eroberer erhalten geblieben. Ein Amari, Michele. Bibliotheca Arabo-Sicula: Ossia raccolta di testi weiteres Memento sind die bis heute allgegenwärtigen arabici che toccano la geografia, la storia, le biografie e la biblio- Ortsnamen arabischer Herkunft, die sich über die grafia della Sicilia. Leipzig: Brockhaus, 1875. gesamte Insel verteilt finden lassen und die von den Muslimen eingeführten und kultivierten Nutzpflanzen sind nach wie vor kulturprägend und identitätsstiftend (zumindest ist mir kein anderer Ort auf der Welt bekannt, an dem es ganze Speisekarten voll mit Pizzen auf Pistazienbasis gibt). Und wenn auch die von ihnen eingeführte Kulturtechnik des Thunfischfangs in jüngster Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, so hat sie doch bis zur abermaligen Rückkehr der Muslime überdauert: wieder aus Tunesien, abermals nach Mazara, aber diesmal als Fischer. Literaturempfehlungen Ortsschild, mit drei Ortsnamen, die zumindest im Teil auf ihre Allgemeine Einführung in die Thematik: arabische Bezeichnung zurückgehen (Salemi wahrscheinlich von Ahmad, Aziz. A History of Islamic Sicily. Edinburgh: Edin- salāmī, Marsala von mars ʿAlī oder mars Allāh, und Mazara del burgh University Press, 1975. [Leicht zugänglich, aber Vallo mit Mazara als vorarabischem Namensbestandteil, del als nicht mehr ganz aktuell]. italienische Komponente und Vallo wie erläutert wohl von wilāya). 62 JUSUR 3 (2020) 57-62
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