DAS FLIEGENDE KUNST JOURNAL - #2
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Das fliegende Kunst Journal #2 Meine ideale Schule 19 neue Kleider in immer neuem Gewand 22 Lena, Lilly, Luisa, Mia & Lisa Haucke Fliegen, flattern ... Papier, Pulpe, Des Kaisers Pappe! 20 Integrationsklasse Marcus Kauer im Interview Lilly Hausaufgaben 17 Wunscherfüllung: Wunscherfüllung: Wunscherfüllung: coole Freunde 18 Coole Lehrer, 15 Lisa: Wie schön, dass Sie sich heute die Zeit für ein Träume 16 Interview mit den Schüler*innen der Zeitungs-AG Schöpfen der Limesschule in Idstein nehmen. Kurz zu uns: Wir treffen uns einmal wöchentlich – derzeit natürlich Keine digital – und arbeiten aktuell mit viel Engagement an der Entstehung der zweiten Ausgabe des fliegenden Kunstjournals. Könnten Sie uns Ihre berufliche Tätigkeit kurz vorstellen? Marcus Kauer: Ich bin Referatsleiter für Kulturelle 14 Bildung im Hessischen Kultusministerium in Wiesbaden. Wann immer etwas mit den Künsten im schulischen 3, 2, 1 Klingeling! Kontext zu tun hat, läuft das über meinen Schreibtisch – Dokumentieren Kategorisieren, also alles, von Fotografie über Film, Musik, Tanz, 10 7 Einsammeln, Reflektieren, Bildende Künste. All das wird im Prinzip von mir mit aufhängen meinem Team mitorganisiert. Wann auch immer Abflug! 9 Verlosung Girlanden Fragen oder neue Projektideen auftauchen, ist es unsere Aufgabe, diese zu begleiten und idealerweise umzusetzen. Ich freue mich sehr über eure Einladung! Euch, Lena und Lilly, habe ich ja bereits bei der Pressekonferenz zum fliegenden Künstlerzimmer im Februar kennengelernt – da hattet ihr ja auch einen Beitrag. Ich bin gespannt, was für Fragen ihr für heute ausgeheckt habt ... Inhalt Räume besetzen 4 Wo Papierflieger Stine Hollmann 2 Intro 2
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören Lisa: Dass es zum Gelingen eines Großprojektes beiträgt, wenn sich alle daran Luisa: In welcher Funktion sind Sie am Projekt des Beteiligten als Lernende verstehen, finde ich spannend. Könnte man daraus fliegenden Künstlerzimmers beteiligt? schlussfolgern, dass die Projektanlage des fliegenden Künstlerzimmers an sich damit einen geradezu demokratischen Grundgedanken enthält? Auch die Marcus Kauer: Gemeinsam mit Friederike Schönhuth Limesschule steht für Demokratie-Bildung und hat einen künstlerischen hatte ich die Idee dazu. Wir saßen bei einem leckeren Schwerpunkt. Das fliegende Künstlerzimmer lebt von den Menschen, Stück Kuchen in einem Café zusammen und haben die es gestalten ... uns überlegt, dass es doch etwas ganz Wunderbares wäre, wenn Künstler*innen direkt an einer Schule in einem Atelier arbeiten würden. Die Profis aus den Marcus Kauer: Ja, ich glaube, dass so eine Idee schon viel früher beginnt. Künsten vor Ort zu haben, ihnen als Schüler*innen Ich selbst habe über 20 Jahre in der Schule gearbeitet, Friederike hat für zu begegnen, um zu sehen, wie sie arbeiten, und um verschiedene Stiftungen gearbeitet, und wir hatten eigentlich schon eine sich dann selbst zu überlegen: Was macht die Kunst Idee, wie es grob aussehen wird, weil wir uns sehr intensiv mit Menschen mit mir? – Aus dieser Idee heraus ist dann das fliegende ausgetauscht und gesehen haben, was es eigentlich braucht. Demokratie Künstlerzimmer entstanden. Das war für mich beginnt da, wo man zuhört und das, was Menschen denken, als wichtig natürlich auch ein großartiges Erlebnis – dass es erachtet und in die Überlegungen miteinbezieht. Für mich war von Anfang an sich tatsächlich realisieren ließ und jetzt auch so klar, dass Kinder in für sie relevante Entscheidungsprozesse des Schullebens erfolgreich funktioniert. Ich hätte vor vier Jahren miteingebunden werden müssen. nicht gedacht, dass es sich so schnell umsetzen lässt. Ich bin da ganz glücklich drüber, auch über das Ich habe immer zugehört, was die Schüler brauchen und habe all diese Interview mit euch, heute! Erfahrungen in das fliegende Künstlerzimmer miteinfließen lassen. Diese Idee hat sich dann immer weiterentwickelt. So, wie es jetzt aussieht, hatten wir es auch nicht von Anfang an geplant. Erst in der Zusammenarbeit mit Architekten ist es in seinem Bau zu einem kleinen Kunstwerk für sich geworden. Das ging natürlich nur, weil wir Menschen beteiligt haben und auf sie gehört haben. Deshalb denke ich, dass Demokratie in der Schule diese nur besser machen kann. Lilly: Was erhoffen Sie sich von der Nachwirkung des fliegenden Künstlerzimmers, wenn es wieder abgereist ist? Marcus Kauer: Wir erhoffen uns sehr, dass das fliegende Künstlerzimmer an den Schulen, an denen es Station gemacht hat, Spuren hinterlassen wird, die Lust Lena: Gab es zwischendurch auch Probleme und machen, etwas weiterzudenken: weiter in den Künsten aktiv zu sein und für Befürchtungen, dass es doch nicht funktionieren die eigene Schule etwas Neues zu überlegen. Es geht immer wieder um die würde? Aktivierung, die Sinnlichkeit und Sensibilität – die ästhetische Erfahrung und idealerweise die ästhetische Erkenntnis. Die Kunst gibt Impulse, irritiert und Marcus Kauer: Das ist gerade das Spannende, dass es lässt uns kreativ über alternative Lösungswege nachdenken. Wir wollen das natürlich ganz viele Fragen und Herausforderungen non-lineare Denken fördern, um genau dies anzuregen: Lust auf Lernen, Forschen, gab; angefangen beim Wasseranschluss bis hin zu den Ausprobieren, Neues entdecken. Dabei steht die Kunst immer für sich und ist Überlegungen, ob das Angebot von den Schüler*innen nicht das Vehikel. Es geht um eine veränderte Lehr- und Lernhaltung, die Lust und Lehrer*innen auch angenommen wird. Bei einem auf Schule macht und zeigt, dass Schule so viel mehr sein kann: ganzheitliche solch großen Projekt gibt es viele Beteiligte, und es Bildung, das ist die Grundidee, die dahintersteckt. gilt, vieles auszuhandeln und voneinander zu lernen. Wir hatten beispielsweise zunächst an einen her- Ich glaube, das Entscheidende für den Erfolg all dieser Vorhaben ist es, kömmlichen Containerbau gedacht. Als wir mit den die Demokratie-Bildung zu etablieren. Und es ist unabdingbar, auf die Architekten ins Gespräch kamen, stellte sich heraus, Stimmen aller Akteur*innen zu hören, um gemeinsam etwas Gutes zu gestalten! dass der Bau eines Holzhauses nicht wesentlich teurer, Nicht zuletzt können natürlich die künstlerischen Impulse auch den Unterricht aber dafür viel komfortabler wäre. neugestalten und Schule zur Veränderung anregen. Ihr könnt als Schüler*innen mit eurer Kunst und euren Ideen Dinge anders in den Blick nehmen und anders lernen. Ihr könnt einen neuen Blick auf die Schule werfen und gemeinsam mit den Lehrer*innen den Mut haben, etwas auszuprobieren, um etwas gemeinsam zu bewegen. 3
Das fliegende Kunst Journal #2 Wo Papierflieger Räume besetzen Die Tänzerin, Performance-Künstlerin Über den künstlerischen Handlungsauftrag von Lisa Haucke und den Nachhall der Intervention und Pädagogin Lisa Haucke steht als Stipendiatin im fliegenden Künstlerzimmer an der Limesschule Idstein vor einer besonderen Herausforderung: Ihr Aufenthalt fällt in einen Zeitraum, der von der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden einschränkenden Maßnahmen geprägt war und ist. Schulunterricht findet teilweise in Form von Homeschooling statt. Die Künstlerin lebt somit als Gast zeitweise allein in dem auf dem Schulhof aufgestellten fliegenden Künstlerzimmer, entwickelt Ideen, modifiziert sie wieder, passt sie den Bedingungen und pandemie- bedingten Verordnungen an. Die Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin Stine Hollmann hat die aktuellen Projekte im fliegenden Künstlerzimmer reflektiert und analysiert. 4 EIN TEXT VON STINE HOLLMANN
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören DIE INTERVENTION UND HANDLUNGS- DIE ANEIGNUNG VON RAUM 1 Die Form der Intervention bietet – vor dem Hintergrund jeweiliger ANWEISUNG: PAPIERFLIEGER FLIEGEN institutioneller Rahmenbedingungen Auf diese Weise wurden zahlreiche anonyme – einen gestalterischen Spiel- und Lisa Haucke initiierte das Projekt „Papierflieger Wünsche auf dem Schulhof verstreut, in der Freiraum der Spontanität, Ergebnis- offenheit im künstlerischen Raum. fliegen“ mit einer künstlerischen Intervention 1 Pause aufgesammelt und gelesen, wieder in „Intervention bedeutete ‚dazwischen (Lautsprecherdurchsage) und formulierte darin die Lüfte geschickt oder vom stürmischen gehen‘, also in etwas einzugreifen. eine Handlungsanweisung (Wunsch auf Papier Wind aufgewirbelt. Formal fand zunächst eine In seiner ursprünglichen Verwendung im Völkerrecht war damit ein Verbot schreiben, Papierflieger falten und fliegen lassen), chaotische Besetzung eines Raumes statt, verbunden. (…) In der modernen Kunst aus der im Weiteren Handlungsanweisungen in dem herumfliegendes Papier als Irritation kommt der Begriff eigentlich erst für ihren künstlerischen Auftrag entstanden sind. wahrgenommen wurde. Einige Schüler*innen im 20. Jahrhundert vor“ und wird „im heutigen Sinn – als methodische Dieser Auftakt war wichtig für die Strukturierung bemühten sich, die Flieger in das dafür vor- Beschreibung einer gesellschafts- des gesamten Schuljahres und die weiteren gesehene Feld zurückzubringen, welches durch politisch relevanten, sozial verantwort- Aktionen, die währenddessen – unter Pandemie- gemeinsam mit Schüler*innen gebastelte lichen und in den Alltag eingreifen- den Kunst (…)“ verstanden. Siehe dazu: bedingungen – stattfanden. Am Ende des neon-pink-grüne Girlanden markiert war. Doch Friedrich von Borries: Intervention Stipendiums manifestiert sich das Projekt der Wind trug sie immer wieder fort. Kinder (Glossar), in: Begriffe des Ausstellens / „Papierflieger fliegen“ in einem handgeschöpften, verschiedenen Alters, verschiedenster Soziali- Terms of exhibiting. Hrsg. von Petra Reichensperger. mit Schreibmaschine geschriebenen Buch der sierung „teilten miteinander“ ihre Wünsche Berlin: Sternberg Press, S. 256ff. Wünsche. Dieses überlässt die Künstlerin der auf dem gepflasterten, treppenstufenartig an- Limesschule Idstein. gelegten Teil des Schulhofs. Im Zuge dessen ist auch das Leitbild der Limesschule interessant: Doch beginnen wir im August 2020, am Anfang Einzeln wichtig. Gemeinsam stark. 25 des Schuljahres, zu einer Zeit, in der Masken und Abstand zwar geboten waren, aber Unter- richt vor Ort stattfinden konnte. Mit einer von DER KÜNSTLERISCHE AUFTRAG der Künstlerin gesprochenen Ansage über die Schullautsprecheranlage kündigte sie das Aus diesen über 1000 Papierfliegern wurden beginnende Schuljahr und ihre begleitende in der folgenden Pause drei Wünsche auf dem Anwesenheit als fliegende Künstlerin an. Schulhof „ausgelost“. Das Ausloseverfahren Damit einhergehend formulierte sie die in den wurde zu einer feierlichen Zelebrierung, in der nächsten zehn Minuten durchzuführende Hand- Lisa Haucke von den vier Performer*innen lungsanweisung. Die Teilnahme richtete sich an Eva Dreier, Misza Prakash, Marie-Delphine Rauhut alle Schüler*innen und Lehrer*innen, an das und Natalia Rotaru sowie von Sylvia Heyden technische Personal und die Beschäftigten in der (T.A.N.Z. Braunschweig) unterstützt wurde. Verwaltungsabteilung. Sie waren aufgefordert, Im Rahmen des Zeremoniells wurde dreimal auf ein Stück Papier anonym einen Wunsch für ein riesiger goldener Papierflieger aus dem das zukünftige Schuljahr zu schreiben, dieses Fenster des ersten Stocks geworfen.2 Ausgelost 2 Anm.: Wichtig für die Funktionsweise der Papierflieger sind dabei die zu einem Papierflieger zu falten und diesen dann waren dann die drei Papierflieger, auf die Auswahl des Materials, die Gestaltung/ im Anschluss aus einem Fenster in den Schul- jeweils die Spitzen der gelandeten goldenen Faltung, die Abwurfposition und die hof fliegen zu lassen. Die konkrete individuelle Flieger zeigten. Anschließend wurde mit einer Bedingungen der Umgebung (Winde, Luftzüge, Strömungen). Ausformulierung, welche Art Papier, welcher Lostrommel, der sogenannten Zaubertrommel, Stift etc. wurde dabei offengehalten. Ohne, dass ein Datum ermittelt, an dem die Wünsche von jemand wusste, was in der Folge mit den der Künstlerin mit einer künstlerischen Aktion Zetteln und dem darauf Geschriebenen passieren erfüllt werden mussten. Potenziell formulierte würde, wurden zahlreiche Wünsche formuliert: jeder auf einem Papierflieger geäußerte Wunsch „gute Noten“, „Spaß an der Schule“, „einfach nur einen weiteren Arbeitsauftrag für die Künstlerin. durchkommen“, „Wiedersehen mit der Familie Aus diesem Verfahren ergaben sich drei Themen, und den Freunden“. Auf einem gestreiften die sie zusammen mit den Schüler*innen Collegeblock-Blatt stand mit schwarzem Filzstift im Schuljahr künstlerisch interpretierte. geschrieben: „Ich wünsche mir, dass wir alle „Keine Hausaufgaben (23.11.2020), „Träume“ zusammen durch die Corona-Kriese durch (29.12.2020), „Coole Lehrer, coole Freunde“ müssen. Das wir alle ruhe bewahren und nicht (28.05.2021). durchdrehen, das alle lernen in solchen Zeiten zu lieben. Mehr nicht. Ich möchte das wir alles Die Wünsche, in denen sich Werte der zusammen machen“ (sic!). Schüler*innen artikulieren, hat die Künstlerin zusammen mit helfenden Schüler*innenhänden 15 im Nachhinein in Gesprächen reflektiert, verschiedenen Kategorien zugeordnet und 16 5
Das fliegende Kunst Journal #2 digital abgespeichert: „Freundschaft“, „Corona“, Die im Stipendium durchgeführten Aktionen „Zukunft“, „Familie“, „Aktionsverweigerer“, versteht die Künstlerin selbst als spielerische „Hilferuf“, „Politisches“, „Materielles“ u. a. m. Improvisationspraxis, in der sie „Erfahrungs- Im Anschluss wurde das Papier, aus dem räume zum selbständigen Experimentieren und Girlanden und Flieger gefaltet waren, im Rahmen Entdecken“ schaffen möchte (Zitat Lisa Haucke). eines weiteren Workshops recycelt und neu Ihr Fokus liegt auf einem Spannungsverhältnis geschöpft. Das bunte Papier der Girlanden bildet zwischen Prozessorientierung und Ergebnis- 17 dabei – formal angelehnt an die Liveaktion – orientierung. Dabei ist es der Raum der unvor- 18 den rahmenden Einband. Die Transformation hersehbaren Möglichkeiten und des Zufalls, der Papierflieger und Girlanden in ein mani- der auch ihre künstlerisch-pädagogische Praxis 19 festes Buch stehen hierbei für einen Kreislauf- mitbestimmt und gleichzeitig den Rahmen gedanken und den nachhaltigen, verantwor- auslotet, in dem bestimmte Regeln für die tungsvollen Umgang mit den für das Projekt Improvisationspraxis etabliert werden. notwendigen Ressourcen. Auch wenn diese Form der Intervention mit der Schulleitung abgesprochen war, hat mit Dies zeigt sich in der zeitintensiven handwerk- „Papierflieger fliegen“ in meinen Augen eine lichen Gestaltung des gesamten Buches: Das Aneignung von bürokratisiertem Raum statt- geschöpfte Papier wurde von Hand bestempelt, gefunden. Die Intervention hat den funktionalen, um neue Kapitel bzw. Kategorien anzukündigen. sozialen Raum Schulhof und dessen Struktur Die Textseiten mit den anonymen Wünschen aufgebrochen. Können die Papierflieger also auch wurden auf der Schreibmaschine getippt. Ausdruck einer demokratischen Ermächtigung Verwendet wurden halbtransparente Blätter sein und im Sinne einer interventionistischen Architekturpapier, die die jeweilige Struktur Praxis heraus demokratische Prinzipien hinter- der dahinterliegenden Seiten durchscheinen fragen, offenlegen und weiterdenken? Letztlich lassen. Und auch die japanische Bindung hat Lisa Haucke dazu aufgerufen, sich Raum 3 Anm.: So sprachen in einem Fern- wurde von Hand genäht. Entstanden ist auf anzueignen und einen Frei-Raum3 geöffnet, aus sehbeitrag des Rhein-Main-TV über diese Weise ein Unikat, das nicht nur inhaltlich dem sich neue Möglichkeiten der Teilhabe und das Projekt vom 24.03.2021 zwei Schülerinnen von diesem geöffneten einen künstlerischen Prozess dokumentiert, Handlungsmöglichkeiten ergeben, wobei es in Raum als FreiRaum, dessen besondere sondern selbst haptisches Abbild eines künst- diesem Projekt besonders um das Erhören Qualität darin liegt, dass an dessen lerischen Prozesses ist. von Wünschen und die Artikulation von hetero- Ende nicht ein zu bewertendes Ergebnis steht, sondern sich vielmehr genen Sichtweisen geht, welche zum Hand- jeder selbst fragen muss, inwieweit Mit dem Buch, welches Teil des Präsenzbestandes lungsimpuls für sie als Künstlerin wurden. er diesen Raum der Freiheit genutzt der Schulbibliothek wird, gibt Lisa Haucke den hat. Es ist auch dieser Raum der individuellen Gestaltung, in dem alle Schüler*innen die Wünsche zurück. Als Sender Zu dieser Beschäftigung mit demokratischen Beteiligten zu Lernenden werden. werden sie am Ende zum Empfänger ihrer Prinzipien gehört es, dass sich alle am Prozess Vgl. https://www.rheinmaintv.de/ eigenen Nachrichten. Anonym, persönlich und Beteiligten als Lernende begreifen – und das sendungen/beitrag-video/ das-fliegende-kuenstlerzimmer-/ kollektiv werden diese darin zusammengehalten; betrifft nicht zuletzt die Künstlerin selbst. So vom-24.03.2021/. die Wünsche der Corona-Schulgeneration. wurde auch Lisa Haucke zur Lernenden, indem Das Buch kann von der Schulgemeinschaft als sie sich auf die Wünsche der Schüler*innen Quelle weiter genutzt und Wünsche können einlassen und für sich herausfinden musste, auf ihre Erfüllbarkeit geprüft werden. Es geht mit welcher Sprache sie künstlerisch auf also auch um die Nachhaltigkeit in Bezug auf diese antworten konnte. Die künstlerische den Aspekt des kulturellen Bildungsprojektes. Arbeit gestaltete sich als dynamischer Prozess, Wie können die Papierflieger weiterfliegen? geprägt mehr vom stetigen Aushandeln von Mit der Aktion hinterlässt das fliegende Künst- Inhalten und von Impulsen, die zum Handeln lerzimmer eine Spur, der auch noch gefolgt anregen, denn von vorgefertigten Methoden. werden kann, wenn das Zimmer wieder weg ist. Geradezu symbolisch für diese nichtformalisierten, 4 In ihrer Arbeit „Schwerer als ergebnisoffenen Lernpraktiken stehen die Luft“ (2018) hat beispielsweise das Papierflieger als Übermittler schweifender, Künstlerpaar Lotte Lindner und Till Steinbrenner (*1971 und 1967) WENN WÜNSCHE ERHÖRT WERDEN flüchtiger und fliegender Gedanken, als Vehikel einen selbstgebauten Drachen für Wünsche und Sehnsüchte. Nicht umsonst fliegen lassen und ihn dafür genutzt, Die von Lisa Haucke gewählte spielerische Form werden in der Kunst Drachen oder Papierflieger Pamphlete zu streuen. Auch die Künstlerin Christiane Möbus (*1947) des Papierfliegers ist für das Projekt grundlegend. immer wieder zu Übermittlern von Botschaften.4 formulierte 1970 eine Handlungs- Papierflieger werden normalerweise als Stör- anweisung „Schicke mit der Mond- faktor im Unterricht wahrgenommen. Doch im rakete Apollo 15 Mission Plan ein Papierflugzeug mit und lasse es auf Rahmen des künstlerischen Projekts wird diese den Mond fliegen. 26. Juli 1971.“ Störung gewünscht. 6
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören ... 3, 2, 1 Klingeling! eger. baut nun e Abflug! e in en f li Papier t 7 Bi t Schickt alle, wenn das Glöckchen klingelt, pünktlich um 9.15 Uhr, eure Flieger aus den Fenstern. Bitte h en Wun rauf. sc lic sc da hr n h r ei s ö fü h bt er rd l j a ein en p a s Schu 9
Das fliegende Kunst Journal #2 Verlosung „Liebe Schülerinnen und Schüler. Seid ihr alle bereit? Haltet ihr auch schön Abstand? Ich begrüße euch herzlichst! Mein Name ist Maestro Wunschfee. Wir starten gleich die große Verlosung eurer Papierflieger. Frau Assistentin? Die Requisten bitte! – Vielen Dank! Und nun: Musik bitte!“ 8 „Frau Violetta Goldi, der große goldene Flieger bitte! Sie werden diesen auf seinen ersten Flug aus dem Fenster starten. Wenn der große Flieger einen kleinen trifft, wird der auf ihm notierte Wunsch erfüllt.“ … Musik bitte! Frau Assistentin prüft den ausgelosten Flieger, um ihn Herrn Maestro zu überreichen. 10
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören 9 10 „Frau Assistentin? Und nun die Zaubertrommel bitte. Wir ermitteln nun ein Datum, an dem die fliegende Künstlerin den Wunsch mit einer künstlerischen Aktion erfüllen wird.“ Träume wird am 29.12.2020 erfüllt 11
Das fliegende Kunst Journal #2 ... es ertönt Musik von Monteverdi ... 11 ... drei Tänzerinnen wirbeln mit riesigen roten Tüchern über den Schulhof ... 12 „Musik Stop, bitte. Und nun bitte ich Frau von Vogelnest nach vorne. Mit dem zweiten goldenen Flieger, Keine bitte! … Wir sind gespannt auf den zweiten Abflug ... Musik bitte für die Tänzerinnen ...“ Hausaufgaben wird am 23.11.2020 erfüllt 12
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören „Und nun der Augenblick, auf den wir alle gewartet haben! Die fliegende Künstlerin! Frau Assistentin, überreichen Sie ihr den goldenen Flieger! Und nun: Musik bitte!“ 13 Coole Lehrer, coole Freunde wird am 28.05.2021 erfüllt 14 13
Das fliegende Kunst Journal #2 Einsammeln, Kategorisieren, Reflektieren, Dokumentieren 17 15 16 Die eingesammelten Papierflieger werden mit den Schüler*innen in den Pausenaktionen im fliegenden Künstlerzimmer besprochen, ausgewertet, kategorisiert und dokumentiert. 14
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören 18 Die Papierflieger werden geschreddert und neu geschöpft. Schöpfen 19 Die Wünsche werden mit der 20 Schreibmaschine auf transparante Seiten getippt, die Seiten dann gemeinsam mit dem geschöpftem Papier von Hand zu einem Buch gebunden. Das Buch geht in den Präsenzbestand der Schulbibliothek über. 15
Das fliegende Kunst Journal #2 22 21 Wunscherfüllung: Träume Welche Träume haben wir in Zeiten von Corona? Was für eine Stimmung bewegt uns? Träumen wir davon, dass Corona nur ein Traum ist? 23 16
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören Helft ihr euch bei den Hausaufgaben Wenn du dir deine gegenseitig? Hausaufgaben selbst ausdenken könntest, was würdest du machen? Keine Hausaufgaben Wunscherfüllung: Wann machen Wie Hausaufgaben lernst Spaß? du am besten? 17
Das fliegende Kunst Journal #2 Wunscherfüllung: Coole Lehrer, coole Freunde Die Klasse 5 von Frau Martínez hat sich mit dem Thema Freundschaft beschäftigt. Resultat ist eine riesige Zeichnung (150 x 400 cm), deren Entstehung in einem kleinen Video gezeigt wird. Die darin enthaltenen Kinderstimmen sprechen Zitate aus Briefen der Schüler*innen, die an die 24 beste Freundin gerichtet sind. Dass gute Freundschaft auch Meinungs verschiedenheiten aushält und beide Seiten in Beziehung lernen, zeigt der kleine Audiobeitrag von Kimi. 25 Am Freitagmorgen werden alle, sobald sie die Schule betreten, mit dieser Frage konfrontiert. Es wird diskutiert, wer das wohl geschrieben haben könnte. Was macht „coole Lehrer“ aus? Dazu finden sich bereits Antworten auf dem Boden rund um das Gebäude, ebenfalls mit 18 Kreide auf den Boden geschrieben.
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören EIN TEXT VON LILLY Meine ideale Schule (ZEITUNGS-AG) „Das Leben ist kein Wunschkonzert“ – diesen Satz hat jeder im Schulgarten, eine bewusstere Mülltrennung oder bestimmt schon mal gehört. Manche vielleicht bei sich zu Wasserspender, um Plastikflaschen zu vermeiden. Dass Hause, die meisten jedoch das erste Mal in der Schule, denn letztendlich die Wasserspender und -flaschen gewonnen dort muss man sich anpassen, um zu bestehen. Oft habe haben, fand ich zunächst nicht so gut, aber eben gerade das ich das Gefühl, der Lehrplan, das Schulamt und alle anderen macht Demokratie aus, dass man toleriert, akzeptiert mit Autorität würden gegen mich arbeiten. Die Themen und am Ende merkt, dass die andere Option auch gut war. sind vorgegeben, und weiter, als eine Mind-Map gestalten zu dürfen, geht der kreative Freiraum nicht. Ich fände es Schule macht mir Spaß, wenn ich mit anderen etwas schön, wenn es mehr Möglichkeiten und Flexibilität in meiner gemeinsam schaffen kann. Wenn ich beim Sprechen Ideen Schule gäbe. entwickele und gemeinsam mit anderen weiterkomme. Wenn ich meine eigene Begeisterung fühle, merke, dass es Es ist erschreckend, aber nicht verwunderlich, wie viele ganz von allein läuft und eines zum anderen kommt: Dinge Klassenkameraden und Freunde sich in der Schule nicht entstehen, auf die man allein nie gekommen wäre, ganz richtig wohlfühlen. Sie sehen Lernen als Last und wünschen natürlich, wie ein kreatives Team. Wie wäre es, wenn sich nichts sehnlicher, als Ferien zu haben. Das Besondere Profis aus dem Labor, der Kunst, aus dem Theater, aus einem an den Ferien ist die Freizeit, denn ich kann selbst bestimmen, Verlag, aus der Landwirtschaft, aus verschiedenen Berufen wie ich meine Zeit verbringe. Würde die Schule uns eine mit uns regelmäßig zusammenarbeiten könnten? Möglichkeit geben, unsere persönlichen Interessen, Stärken, Schule sollte viel größer Hobbys und Träume in den Schulalltag zu integrieren, würde sie zu einem Ort der Inspiration werden. Momentan gedacht werden: als ist es für mich schwer, fokussiert und konzentriert beim Unterricht dabeizubleiben, denn durch den Bildschirm fühlt ein lebendiges Feld, das man sich distanziert und unwichtig. Jetzt, durch den Online-Unterricht, kommen viele Dinge zum Vorschein, die nicht außerhalb von schon vorher falsch gelaufen sind, doch er offenbart auch, dass viele kleine Ideen das Zusammenarbeiten auf Dauer Gesellschaft stattfindet, erleichtern können. Der Wert eines Gesprächs hat sich gesteigert, und man lernt die Zeit, die man miteinander sondern das einen verbringt, auch online, mehr zu schätzen. Hier beginnt wesentlichen Kern von demokratische Bildung: Gesellschaft ausmacht. Wir sollten das Umfeld, Wir sollten lernen glücklich zu sein, anstatt außerhalb in dem wir so viele Jahre der Schule wegen der Vielzahl an Hausaufgaben unglücklich zu sein. Meine ideale Schule ist kein starres Konstrukt, verbringen und welches sondern eine flexible, lernfähige Gemeinschaft, die kreative Impulse umsetzt und ihnen nachgeht. Akzeptanz von so ausschlaggebend für Individualität und Unterschieden ist wichtig, denn es ist schön, dass wir alle so verschieden sind. Deswegen sollte unsere Zukunft ist, selbst es gefördert werden, dass wir unsere Stärken kennenlernen und in Bereichen, die uns inspirieren, weitermachen. gestalten können. Für mich erfüllt das fliegende Künstlerzimmer einen Teil dieser Aufgabe, denn dort kann ich meiner Passion für Gestaltung nachgehen. Es sollte möglich sein, länger ein Bei Demokratie geht es darum, dass jeder Mensch ein Kind zu sein, um Kreativität und Offenheit beizubehalten, Mitspracherecht hat, dass jedes Individuum zählt und indem man wie im Künstlerzimmer freie Entfaltung fördert. gehört werden sollte. An der Limesschule sind bereits viele Eine Lernperspektive sollte bedeuten, dass alle Beteiligten Schritte in eine mitbestimmende Schülerschaft gemacht voneinander lernen, nicht nur die Schüler*innen von den worden; ich erinnere mich an die Abstimmung auf dem Lehrer*innen, sondern auch umgekehrt. Dies geschieht Schulhof, wo wir uns zwischen drei nachhaltigen Projekten immer wieder, vor allem bei kreativen Prozessen, denn man entscheiden konnten. Zur Auswahl standen ein Bienenvolk lernt nie aus. 19
Das fliegende Kunst Journal #2 Fliegen, flattern … Mia: Ich gehe in die 11. Klasse und meine Lieblingsfächer sind Ich hänge an dem Ich wurde extra aufgehängt, um dem grauen Stein und Metall Hin und wieder heben die Verkleideten ein oder zwei der Kunst und Deutsch. Texte Schreiben und vor allem Zeichnen und Malen waren schon immer großen Gebäude. etwas Farbe zu geben und den Menschen ein festliches Gefühl zu Papierflieger auf und lesen die auf ihnen beschriebenen Wünsche Leicht wehe ich meine Hobbys. An der schenken. Trotz der starken der Schüler vor. Ich frage mich, Zeitungs-AG gefällt mir am besten, dass man sich aus Brise versammeln sich immer mehr was diese Wünsche überhaupt unterschiedlichen Perspektiven mit Kunst beschäftigen kann. im kühlen Wind. Menschen auf dem Hof, eineinhalb Meter trennen sie voneinander. bedeuten und wie die Perfor- mer*innen in den Kostümen diese Er wird immer Ein paar von ihnen stechen mit ihren bunten Kleidern hervor. erfüllen könnten. Mit der Zeit werden es weniger Papierflieger stärker und lässt Auf einmal sehe ich Papier in der Luft. Schnell stelle ich fest, dass und weniger Menschen auf dem Schulhof. Am Ende des Schultages schließlich den es sich um Papierflieger handelt, die aus den Fenstern geworfen werde auch ich wieder abgehängt und weggepackt. Mit einem ganzen Schulhof wurden. Ich sehe hinauf und bin umgeben von ihnen, man könnte letzten Blick auf den Hof frage ich mich, wann wohl der nächste zittern. fast denken, sie schneien vom Himmel. Wenn ich genau hinsehe, Anlass sein wird, bei dem man mich aufhängt. Ob es den überhaupt erkenne ich Buchstaben, die auf geben wird? sie geschrieben wurden. Leider segeln sie zu schnell zu Boden, als EIN TEXT VON MIA dass ich sie hätte lesen können. (ZEITUNGS-AG) Lena: Kunst und Design Ich bin ein Blatt und liege zusammen mit vielen Ein unbeschreibliches Gefühl. Klassische Musik schallt über den interessieren mich sehr. An der anderen in einem Block. Es ist dunkel hier und Ich lande etwas unsanft. Die Atmo- Hof, und alle Kinder schauen den Arbeit in der Zeitungs-AG mag ich besonders die Zusammen- ich höre Geräusche aus dem Klassenzimmer. sphäre verändert sich, und einige Tanzenden gebannt zu. Bald wird arbeit und Interaktion mit anderen Was die Menschen dort sprechen, kann ich Menschen beginnen einen Tanz ein großer goldener Papierflieger Menschen. Außerdem finde nicht verstehen. Der Block setzt sich in Bewegung zwischen uns. geworfen. Und dann noch zwei ich es besonders spannend, die Planung, Gestaltung und den und die erste Seite wird aufgeschlagen. Es ist weitere. Beim dritten Wurf steuert hell. Ein kleines Mädchen schaut auf mich herab. er auf mich zu und landet unmit- Von hier aus Entstehungsprozess der Zeitung miterleben zu können. Sie setzt einen Stift auf und beginnt zu telbar vor mir. Eine Hand greift nach schreiben. Es kitzelt ein bisschen, aber sie drückt mir und ich werde weggetragen. nicht fest auf. Ich spüre, wie sich die Tinte wirkt es Kurze Zeit später beginnt jemand, leicht ausbreitet und langsam trocknet. Als sie meine Seiten aufzuklappen, und fertig mit dem Schreiben ist, beginnt sie mich gespenstisch eine Stimme spricht: ,,Keine Haus- zu falten. In welche Form sie mich wohl bringen aufgaben!‘‘ Die Menge jubelt. Bin wird? Ein Papierflieger! Alle Kinder laufen und magisch. ich der Grund dafür? Ich sehe das durch die Gänge, ein wirres Spektakel. Bald geht kleine Mädchen lächeln. es los. Das Mädchen hält mich in die Höhe und nimmt Anlauf. Kurz darauf spüre ich den kalten EIN TEXT VON LENA Luftzug, der mich und ganz viele andere (ZEITUNGS-AG) Flieger durch die Luft trägt. 20
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören Lilly: Ich bin begeistert von Kunst, denke mir oft eigene Im Klassenzimmer ist Der Schüler, der mich beschreibt, denkt nur wenige Sekunden über die Aufschrift nach, dann faltet er mich, schnell und Geschichten aus und kann mir ein Leben ohne Kunst und Phantasie nicht vorstellen. Hier es warm und stickig. unachtsam. Seine Hände formen mich vor Auf regung ein bisschen schief, aber fliegen kann ich trotzdem. Mit viel Ich werde mit Eile in der AG zu schreiben und Schwung wirft man mich in die Luft. Es geht schnell hoch zusammen an einem kreativen Projekt zu arbeiten, ist eine hinaus. Eben noch im dritten Stockwerk am Fenster auf super Abwechslung zum Alltag. Die vielfältigen Aufgaben hier beschrieben, und der den Pausenhof hinausschauend, schwebe ich nun wenige Sekunden völlig frei, Wind treibt mich kurzzeitig nach gemeinsam zu erarbeiten und in einer offenen Atmosphäre gestalterisch aktiv werden zu Kugelschreiber prägt oben, meine Flügel breiten sich aus, dann verliere ich den Schwung und falle Richtung Asphalt. Ich schwebe die Buchstaben tief können, macht mir viel Freude. zwischen den Schülern hindurch, schlängeln muss ich nicht, denn ihr Abstand ist groß. Ich werde vom Wind auch auf in meine Oberfläche. dem Boden liegend noch weiter getrieben, spüre Augen auf mir. Man greift nach mir, liest meine Inschrift und lässt mich wieder fallen; so hüte ich das Geschriebene meines Absenders durch meine Unauffälligkeit. EIN TEXT VON LILLY (ZEITUNGS-AG) … Papier, Pulpe, Pappe! Luisa: Ich habe mich schon Gerade noch flog ich durch die Lüfte, erlebte das Hoch meines quetscht jemand mit dem Schwamm das Wasser aus uns immer fürs Zeichnen und Texte Lebens, nun bin ich zerquetscht und eng in einen dunklen raus: quetsch, quetsch. Autsch! Gautsch. Gautschen nennen Verfassen interessiert. An der Zeitungs-AG mag ich, dass wir, Beutel gepresst und werde erst Wochen später wieder frei- die Menschen das. Ich trockne nun an einem Tuch klebend, obwohl wir eine kleine Gruppe gelassen. Ich dachte schon, man hätte mich vergessen. Aber entstehe neu in anderer Zusammensetzung und bin erleichtert. sind, trotzdem etwas so Großes jetzt: Hände ziehen mich raus, falten mich auf, schreddern wie eine eigene Zeitung erstellen Meine Form ist neu, ich können. Ich mag besonders, mich mit lautem Gekreisch in dünne Streifen. Hoffentlich wirklich mitzubekommen, wie vergesse ich nicht, was sich das Kind gewünscht hatte, denke habe eine andere Farbe, eine Zeitung entsteht, und diese ich noch und plötzlich kann ich nicht mehr denken. auch mitgestalten können. Es wird kurz dunkel. Dann rupft wieder jemand an uns und werde zu Pappe, und Lisa Haucke: Ich liebe es, im drückt uns in einen Eimer. Ich fühle mich nun wie Ostergras, Team kreativ zu werden, und das auf die Wiedergeburt wartet. Warmes weiches Wasser f reue mich über die engagierte noch immer erinnere Gruppe in der Zeitungs-AG. umschmiegt unsere Fetzen. Die Tinte auf unseren Alle bringen viel Offenheit und Schnipseln zerläuft. Es wird wieder laut, aber nun dumpfer: ich mich an den Wunsch, Neugierde mit. Ich empfinde Der Handmixer kommt! Meine Freunde so eng bei mir; es als Geschenk, diese Gruppe leiten zu dürfen. Manchmal wir können uns gar nicht mehr unterscheiden, werden zu an die vielen Wünsche, fühle ich mich dabei wie eine einer matschigen Masse. Es fühlt sich kurz nach Sterben an, „unwissende Lehrmeisterin“ aber ich weiß, es geht ums Recyceln. Oh, bin ich glücklich, (Rancière), die Prozesse anstößt, die in mir, in uns stecken. sich von den Ergebnissen nun nur noch eine Papierfaser zu sein unter vielen im Brei überraschen lassen kann und und mich allen anderen so nah zu fühlen. Und gleich kommt dabei stets selbst eine die Wanne. Yeah!! Und: platsch. Plupp. PULPE! Da schwimmen Lernende bleibt. wir nun. Gemeinsam in der Wanne sind wir nun Pulpe. EIN TEXT VON LUISA (ZEITUNGS-AG) Hände streicheln uns im Wasser hin und her. Dann sieben UND LISA HAUCKE sie uns mit einem Holzrahmen heraus, wir lösen uns von dem Wasser und es tropft in die Wanne zurück. Abgelegt 21
Das fliegende Kunst Journal #2 Des Kaisers neue Kleider Szene 7 in immer neuem Gewand Am Anfang meiner Arbeit mit der Integrations- Klasse teil und es kamen neue hinzu. Die Zeit war klasse (Ikla 2) stand die Idee, ein Tanztheater- dennoch unglaublich intensiv und bereichernd – Szene 5 stück zu entwickeln. Nach den Herbstferien für alle! Das lag nicht zuletzt daran, dass wir in trafen wir uns noch im wöchentlichen Rhythmus einer kleinen Gruppengröße sehr intensiv im fliegenden Künstlerzimmer. Während des miteinander arbeiten konnten, und so war es „Lockdown Light“ im November verschärften leicht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Hygieneregeln, und wir arbeiteten jede*r gesehen wird. Das Besondere war auch mit großem Abstand untereinander in der Aula der lange Zeitraum von fast einem halben weiter und konzipierten das geplante Tanz- Jahr, der uns viel Freiheit zum Experimentieren theater zu einem Film um. Als dann Anfang des und Modifizieren bot. Die in neun Einzelszenen Jahres der Unterricht komplett ins Home- unterteilte Textgrundlage zu „Des Kaisers neue schooling verlegt wurde, mussten wir erneut Kleider“ nach Hans Christian Andersen steuerte umdisponieren und entschieden uns, anstelle die betreuende Lehrerin Frau Breuer bei, die den eines Films mit Darsteller*innen die bis dahin Kurs „Deutsch als Zweitsprache“ leitet. Die entstandenen Szenen zu verwenden und entstandenen neun fragmentarischen Szenen sie in Stop-Motion-Videos zu integrieren, die spiegeln diesen lebendigen experimentellen die Kinder zu Hause am selbst gebastelten Arbeitsprozess wieder, der von eben jener 1 Im Rahmen ihres praxisbezogenen Tricktisch legten.1 Dafür bekamen alle per Post besagten Flexibilität geprägt war: Schließlich Projekts „Prinzip Lernreise – Kreide- ein Set mit Kopien der von ihnen erstellten mussten wir „Des Kaisers neue Kleider“ in immer staub“ hospitierten Studierende der Johannes Gutenberg-Universität Spielfiguren von mir zugesendet. Auch die Zeit- neuem Gewand zeigen – mal mit Darstellerin Mainz zwei Tage im Künstlerzimmer, fenster verkürzten sich. Nun standen uns und mal als Stop-Motion-Figur. Die Grundaussage während die Ikla-Kinder (Johanna, wöchentlich lediglich 45 Minuten per BigBlue- „Kindermund tut Wahrheit kund“ in der letzten Joti, Huma, Julie, Kathrin, Lucas, Giacomo, Michael und Anneke) digital Button zur Verfügung, da alle Doppelstunden Szene des Films lässt sich fast schon im über- dazugeschaltet waren. auf Einzelstunden reduziert werden mussten. tragenen Sinne deuten – als Appell, gerade in den Die Plattform Moodle war einfach noch nicht Zeiten der Pandemie den Kindern zuzuhören, dafür ausgerichtet, die komplette Schule gleich- wann immer es geht. Sie sagen uns, wie sie die zeitig digital zu unterrichten. Hinzu kam, Welt wirklich wahrnehmen. dass die Gruppe als solche von einer Fluktuation geprägt war. Hatte ein Kind das jeweilige EIN TEXT VON LISA HAUCKE Sprachniveau erreicht, verließ es die Ikla und nahm von nun an am Regelunterricht seiner Szene 6 Szene 1 22
Vom Tanzen, Fliegen, Flattern und einander Zuhören Szene 4 Szene 8 Szene 2 Szene 9 Szene 3 23
Impressum Diese Publikation erscheint als Dokumentation des kulturellen Herausgeber Performer* innen von Teilnehmende bei Gestaltung Bildungsformats „Das fliegende Künstlerzimmer“ an der Crespo Foundation „Papierflieger fliegen“ „Keine Hausaufgaben“ Leonie Nieporte Limesschule in Idstein. Sie ist Teil einer mehrteiligen Zeitungs- Haus des Buches Maestro Wunschfee: Schüler* innen der Limesschule reihe, in der die Künstlerin Lisa Haucke die Zusammenarbeit Braubachstraße 16 Misza Prakash Idstein interviewen sich in den Lektorat mit den Schüler* innen und Lehrer*innen anhand ausgewählter 60311 Frankfurt am Main Frau Violetta Goldi: Pausenaktionen gegenseitig. Ruth Seiberts Projektumsetzungen dokumentiert. www.crespo-foundation.de Natalia Rotaru Die Klasse 5 von Frau Martínez Frau von Vogelnest: wertet gemeinsam mit Druck Die Künstlerin Lisa Haucke bedankt sich ganz herzlich beim Vorstand Eva Dreier der Zeitungs-AG die Audio- Spree Druck Berlin GmbH Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst für die Prof. Christiane Riedel, Frau Assistentin: auf nahmen aus und fertigt Förderung der Publikationsreihe sowie bei allen beteiligten Dr. Dettloff Schwerdtfeger Marie-Delphine Rauhut Zeichnungen dazu an. Papier Schüler* innen und Lehrer* innen der Limesschule in Idstein für Fliegende Künstlerin: Caribic (dunkelrot, weiß), 90 g/m2 die schöne und inspirierende Zusammenarbeit. Idee, Konzept und Lisa Haucke Teilnehmende bei „Coole künstlerische Projektleitung Lehrer, coole Freunde“ Bildnachweise Mit dem fliegenden Künstlerzimmer hat die Crespo Foundation Lisa Haucke Teilnehmende bei der Video, Stimmen und Zeichnung: Kimi und Lisa Haucke (Cover: gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern, dem Hessischen Papierfliegerauswertung Klasse 5 von Frau Martínez entstanden im Rahmen der Kul tusministerium und dem Hessischen Ministerium für Redaktion Schüler* innen der Limesschule Kooperation mit der Klasse 5 Wissenschaft und Kunst, ein Programm begründet, das die Lisa Haucke Idstein, offenes Pausenangebot Teilnehmende bei von Frau Martínez), kulturelle Schulentwicklung hessenweit langf ristig vorantreibt für alle „Des Kaisers neue Kleider“ Lisa Haucke (1–2, 16, 18–24), Zeitungs-AG des fliegenden und insbesondere auch im ländlichen Raum realisiert werden Künstlerische Leitung Tomina (17), Nina Werth (3–15), Künstlerzimmers: kann. Für die Durchführung im Schuljahr 2020/2021 kooperiert Teilnehmende beim (fliegendes Künstlerzimmer Angelika Deinhardt (25) Lena, Lilly, Luisa, Mia das fliegende Künstlerzimmer mit der Limesschule in Idstein Papierschöpfen in der Papier- 2021): Lisa Haucke und dem Landkreis Rheingau-Taunus. Crespo Foundation: werkstatt (Soziale Manufaktur Betreuende Lehrerin Das kulturelle Bildungsformat Laura Kurtz, DRK Frankfurt, Lena Sandel) (Deutsch als Zweitsprache): „Das fliegende Künstlerzimmer“ www.fliegendes-kuenstlerzimmer.de Friederike Schönhuth Lilly, Lisa, Luis, Luisa, Mia, Tim, Dorothea Breuer wird vom Hessischen Ministerium Tomina Schüler* innen der Limesschule für Wissenschaft und Kunst, vom Autor* innen Idstein: Albiona, Aleksandra, Hessischen Kultusministerium Stine Hollmann, Lisa Haucke, Performer* innen bei „Träume“ Bora, Dusan, Elsa, Nicole, Noelle, und im Jahr 2020/2021 vom Lena, Lilly, Luisa, Mia Klasse 7 von Frau Guse Tasnim, Uros Landkreis Rheingau-Taunus Hospitant* innen der Johannes gefördert. Gutenberg-Universität Mainz
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