Beschreibung und Evaluation eines Manuals für Herzratenvariabilitäts-Biofeedback bei der somatischen Belastungsstörung
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Originalarbeit / Research Article Verhaltenstherapie Received: October 5, 2021 Accepted: January 23, 2022 DOI: 10.1159/000522175 Published online: 4. März 2022 Beschreibung und Evaluation eines Manuals für Herzratenvariabilitäts-Biofeedback bei der somatischen Belastungsstörung Laura Klewinghaus Alexandra Martin Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Schlüsselwörter zeigt positive Effekte bei Patient*innen mit SBS. Die Hinzu- Herzratenvariabilität · Biofeedback · Intervention · nahme des HRV-BF zu bestehenden Interventionen, z.B. Psy- Somatische Belastungsstörung · Psychophysiologie chotherapie, scheint vielversprechend. © 2022 The Author(s). Published by S. Karger AG, Basel Zusammenfassung Hintergrund: Herzratenvariabilitäts-Biofeedback (HRV-BF) Presentation and Evaluation of a Manual for Heart zeigt erste Wirksamkeitshinweise bei Depressionen, Angst- Rate Variability Biofeedback in Somatic Symptom störungen oder funktionellen somatischen Syndromen. Bei Disorder der somatischen Belastungsstörung (SBS) stehen diese noch aus. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, eine neu entwi ckelte HRV-BF-Kurzintervention vorzustellen und die HRV Keywords detailliert zu analysieren sowie die Anwendbarkeit und Ak Heart rate variability · Biofeedback · Intervention · zeptanz bei der SBS zu überprüfen. Methoden: Analysiert Somatic symptom disorder · Psychophysiology wurden hier die Daten der Teilstichprobe einer randomisiert kontrollierten Pilotstudie (22 Personen mit SBS nach DSM-5), die ein HRV-BF über 4 Sitzungen erhielt. Erhoben wurden die Abstract HRV (SDNN: “standard deviation of the NN interval”, RMSSD: Background: There is initial evidence for the efficacy of “root mean square of successive differences between NN in- heart rate variability biofeedback (HRV-BF) in depression, terval”, LF: “low frequency”), die Bewertung und Akzeptanz anxiety disorders and functional somatic syndromes. In der Intervention auf subjektiver Ebene. Ergebnisse: HRV- somatic symptom disorder (SSD) evidence is lacking. The Analysen innerhalb der Therapiesitzungen zeigten, dass die aim of the study was to describe a newly developed HRV- Personen lernten, ihre HRV signifikant während der Biofeed- BF brief intervention and to analyze HRV changes, and to backeinheiten zu erhöhen und diese in Selbstregulations- examine the applicability and acceptance in SSD. Meth- phasen ohne Feedback aufrechtzuerhalten (SDNN, RMSSD, ods: We analyzed the data of the subsample of a pilot ran- LF: 5,7 ≤ Ft ≤ 11,1). Zudem zeigte sich eine Verbesserung der domized controlled trial (22 subjects with SSD) who re- HRV über die Sitzungen hinweg (SDNN). Die Intervention ceived HRV-BF over 4 sessions. We assessed HRV (SDNN: wurde durch die Mehrheit der Teilnehmer*innen sehr posi- standard deviation of the NN interval, RMSSD: root mean tiv bewertet (u.a. Zufriedenheit, Verbesserung der Stim- square of successive differences between NN interval, LF: mung und des körperlichen Befindens). Schlussfolgerun- low frequency), and the subjective evaluation and accep- gen: HRV-BF kann in 4 Sitzungen gut erlernt werden und tance of the intervention. Results: HRV analyses within Karger@karger.com © 2022 The Author(s). Korrespondenz an: www.karger.com/ver Published by S. Karger AG, Basel Laura Klewinghaus, klewinghaus @ uni-wuppertal.de This article is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY) (http://www.karger.com/Services/ OpenAccessLicense). Usage, derivative works and distribution are permitted provided that proper credit is given to the author and the original publisher.
therapy sessions showed that individuals learned to in- flussen und wieder eine Kontrolle über ihre Körperfunk- crease their HRV significantly during biofeedback ses- tionen zu erlernen. Neben den zuvor genannten Wirk- sions and were able to maintain it during self-regulation mechanismen, ist anzunehmen, dass auch psychologische periods without feedback (SDNN, RMSSD, LF: 5.7 ≤ Ft ≤ Lerneffekte wie eine Steigerung der Selbstwirksamkeit 11.1). Moreover, HRV improved across sessions (SDNN). und Kontrollüberzeugungen bedeutend sind [Holroyd et The majority of participants rated the intervention very al., 1984]. Beim HRV-BF im Speziellen werden den positively (e.g., satisfaction, improvement in mood and Patient*innen die Herzrate und Atmung als Feedbacksi physical well-being). Conclusions: HRV-BF can be learned gnale rückgemeldet und mit einem Taktgeber die Atem- within 4 sessions and shows positive effects in patients frequenz angezeigt, in der die Patient*innen atmen sol- with SSD. Adding HRV-BF to existing treatments, e.g. psy- len. Sie sollen erlernen, ihre Herzrate durch die Atmung chotherapy, seems promising. © 2022 The Author(s). zu beeinflussen. Es werden zwei Arten des HRV-BF un- Published by S. Karger AG, Basel terschieden: Entweder mit der Vorgabe von einer Atem- frequenz mit z.B. 6 Atemzügen pro Minute (0,1 Hz) oder als Resonanzfrequenzbiofeedback (RF-BF). Bei Letzteren hat die respiratorische Sinusarrhythmie eine zentrale Theoretischer Hintergrund Rolle, die die rhythmischen Schwankungen der Herzrate durch die Atmung darstellt [Lehrer und Gevirtz, 2014]. Die Herzratenvariabilität (HRV) kann als Index für Die HRV ist am höchsten, wenn Herzrate und Atmung den Gesundheitszustand eines Individuums angesehen parallel verlaufen. Die Atemfrequenz, bei der die höchste werden [Appelhans und Luecken, 2006]. Sie zeigt das Übereinstimmung der Herzrate und Atemfrequenz Zusammenspiel der sympathischen und parasympathi besteht, wird als Resonanzfrequenz (RF) bezeichnet. schen Einflüsse auf die Herzrate an und kann als Mess- Beim RF-BF wird die individuelle RF eines*r Patient*in größe für die Funktionalität des autonomen Nervensys- ermittelt und das Biofeedback damit durchgeführt. Es hat tems betrachtet werden [Appelhans und Luecken, 2006]. sich gezeigt, dass das HRV-BF auf Basis der individuell Eine hohe HRV kennzeichnet, dass eine Person sich bestimmten RF zu besseren Ergebnissen führt als das adaptiv und flexibel regulieren kann [Thayer et al., 2012]. Vorgehen mit fester Vorgabe der Atemfrequenz [Steffen Eine niedrige HRV hingegen ist mit einer sympathovaga- et al., 2017]. Lehrer und Kollegen entwickelten zum RF- len Dysbalance assoziiert und geht mit Erkrankungen BF ein Manual mit 10 Sitzungen und verkürzten dieses im (z.B. Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen) und Verlauf auf 5 Sitzungen [Lehrer et al., 2000, 2013]. Evi- einem erhöhten Mortalitätsrisiko einher [Appelhans und denz für die Wirksamkeit des HRV-BF und im Speziellen Luecken, 2006; Thayer et al., 2012]. Neben dem körperli- des RF-BF liegt bei verschiedenen Störungen bereits vor chen Wohlbefinden wird sie auch als Marker für emotio- [Lehrer et al., 2020]. Ein Review von Schmidt und Martin nales Wohlbefinden und Emotionsregulation angesehen [2017] zeigte positive Effekte durch das HRV-BF sowohl [Appelhans und Luecken, 2006; Mather und Thayer, bei körperlichen (u.a. kardiovaskuläre Störungen, funk- 2018]. Von Beauchaine und Thayer [2015] wird die HRV tionelle Syndrome) als auch psychischen (u.a. posttrau- als transdiagnostischer Marker für Psychopathologie an- matische Belastungsstörung; Substanzabhängigkeit) Er- gesehen. Meta-Analysen zeigten beispielsweise eine re- krankungen. Die Effekte des HRV-BF hinsichtlich so- duzierte HRV bei depressiven Störungen und Angst- matoformer Störungen und der im DSM-5 eingeführten störungen [Chalmers et al., 2014; Koch et al., 2019]. Auch somatischen Belastungsstörung (SBS) sind jedoch bislang bei anderen psychischen Störungen kann von einer au- nicht untersucht. tonomen Dysbalance ausgegangen werden [Quintana et Die SBS ist gekennzeichnet durch eines oder mehrere al., 2013; Sammito et al., 2015]. körperliche Symptome und geht mit psychobehavioralen Eine Interventionsmöglichkeit, die direkt an der sym- Auffälligkeiten (exzessive Gedanken, Verhalten und Ge- pathovagalen Dysbalance ansetzt, indem die HRV erhöht fühle im Zusammenhang mit den körperlichen Be wird, stellt das HRV-Biofeedback (HRV-BF) dar [Lehrer schwerden) einher [APA, 2013]. Erste Studien legen auch und Gevirtz, 2014]. Neben der Wiederherstellung der bei diesem Störungsbild eine verringerte HRV im Ver- Regulationsfähigkeit des autonomen Nervensystems hat gleich zu gesunden Personen nahe [Cheng et al., 2020]. es positive Effekte auf den Vagusnerv und stimuliert Sowohl die Leitlinie für funktionelle Körperbeschwerden entzündungshemmende Vorgänge [Lehrer und Gevirtz, [AWMF, 2018] als auch die Leitlinie zur Psychotherapie 2014]. Biofeedback ist eine Behandlungsmethode, bei der somatoformer Störungen [Martin et al., 2013] empfehlen Körpersignale über einen Bildschirm den Patient*innen Biofeedback im Rahmen einer gestuften Behandlung. zurückgemeldet werden, die mit der Psychopathologie Erste Studien legen positive Effekte des HRV-BF bei assoziiert sind [Rief und Birbaumer, 2011]. Primär sollen funktionellen somatischen Syndromen (z.B. Reizdarm- die Patient*innen lernen, ihre Körpersignale zu beein- syndrom, Fibromyalgie) oder Schmerzsyndromen (z.B. 2 Verhaltenstherapie Klewinghaus/Martin DOI: 10.1159/000522175
chronische Nackenschmerzen) in Form einer verbes- sich die Fragestellungen auf die letzten beiden Sitzungen serten Lebensqualität und einer Verringerung der Symp- beziehen, in denen das klassische HRV-BF eingeübt wird. tome nach der Intervention nahe [Ryan und Gevirtz, Zudem wird überprüft, ob die Intervention übergeordnet 2004; Schmidt et al., 2012; Windthorst et al., 2017]. Auf- zu einer Veränderung der HRV während der Ruhemes- grund der angenommenen Parallelen der SBS mit funk- sungen über die Sitzungen hinweg beiträgt. Die Akzep- tionellen somatischen Syndromen und der zuvor be- tanz der Intervention wird auf subjektiver Ebene über- schriebenen Befunde ist anzunehmen, dass das HRV-BF prüft. auch für die SBS wirksam sein wird. Es lässt sich ver- muten, dass es als Kurzintervention geeignet ist, da die Kontrolle über die Körperfunktionen schnell erworben Methode: Darstellung des Manuals werden kann. Eine Studie konnte bereits nach einer HRV- BF-Sitzung und vierwöchigem Training zu Hause eine Aufbau und Konzept der Kurzintervention Verbesserung der Symptomatik bei Personen mit post- Die hier eingesetzte Kurzintervention eines HRV-BF traumatischer Belastungsstörung erzielen [Schuman und wurde in Anlehnung an das Manual zum RF-BF von Leh- Killian, 2019]. Zudem berichteten Hassett et al. [2007], rer et al. [2013] entwickelt und umfasst vier Sitzungen dass Patient*innen mit Fibromyalgie lernen, ihre HRV (siehe Online-Supplement-Material S1, verfügbar unter während der Biofeedbacksitzungen zu erhöhen. Allge- www.karger.com/doi/10.1159/000522175). Die Patient*innen mein evaluieren nur wenige HRV-BF-Studien die Verän- erhalten zum einen psychoedukative Informationen über derung der HRV, ihre Anwendbarkeit sowie Benutzer- das Störungsbild und zum anderen ein RF-BF, welches akzeptanz. um Hausaufgaben mit einer App (siehe Abschnitt Sit- Eine HRV-BF-Kurzintervention bietet eine gute zung 1) ergänzt wird. Im Folgenden werden die vier Sit- Ergänzung zu einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen zungen jeweils beschrieben. Während der Trainingssit- Psychotherapie [Lehrer, 2018]. Durch das HRV-BF kön- zungen erfolgt zu Beginn eine kurze Rückschau auf die nen physiologische Aspekte der psychischen Erkrankun- vergangene Woche, und es werden die zu Hause durch- gen wie z.B. SBS oder Panikstörung direkt angesprochen geführten Übungen besprochen. Am Ende jeder Sitzung werden. Entspannungsverfahren sind zwar schon gut in erfolgt gemeinsam mit den Patient*innen eine Evaluation der psychotherapeutischen Behandlung etabliert, spre der Sitzung mit möglichen Problemen und bemerkten chen aber nur die sympathische Aktivierung an [Lehrer, körperlichen Veränderungen während der Übungen. 2018]. Das HRV-BF hat den Vorteil, die autonome Ak- Sitzung 1. In der ersten Sitzung liegt der Fokus auf der tivität zu modulieren und wirkt über das parasympa Psychoedukation und auf der Bestimmung der Reso thische vagale System. Im Bereich der somatoformen nanzfrequenz. Den Patient*innen wird eine Beschreibung Störung bzw. SBS besteht die Notwendigkeit der Wei der HRV gegeben, und die Zusammenhänge zu ihren Be- terentwicklung psychologischer Interventionen, da die schwerden werden deutlich gemacht. Es wird auf Studi- Effektstärken bestehender Interventionen nur klein bis enbefunde verwiesen, die zeigen, dass die HRV ein Indi- moderat sind [van Dessel et al., 2014] und Patient*innen kator für den Gesundheitszustand ist und bei chroni oftmals lange (ca. 25 Jahre) benötigen, bis sie eine adä- schen Schmerzen oder Körperbeschwerden herabgesetzt quate Behandlung erhalten [Herzog et al., 2018]. Zusam- sein kann. Den Patient*innen wird dann die respirato- menfassend stellt HRV-BF eine vielversprechende The rische Sinusarrhythmie und das Rational des Biofeed- rapiemöglichkeit dar, die aber noch weiterer Forschung backs erklärt. Dies wird in das biopsychosoziale Modell bedarf. [Engel, 1977], das an chronische Körperbeschwerden an- Die vorliegende Arbeit ist Teil einer randomisiert- gepasst wurde, eingeordnet. Im zweiten Abschnitt der kontrollierten Studie zur Wirksamkeit von HRV-BF bei Sitzung werden den Patient*innen die Sensoren zur Ab SBS. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, das entwickelte leitung der Atmung (dehnungssensibler Atemgurt) und Behandlungsmanual (HRV-BF als Kurzintervention mit der Herzrate (3-Kanal-EKG) angelegt. Nach einer Adap- 4 Sitzungen) genauer darzustellen und in seiner Anwend- tationsphase (etwa 2 min), erfolgt eine Ruhemessung barkeit und Akzeptanz am Störungsbild der SBS zu über- (etwa 5 min), um die Ausgangswerte zu bestimmen. Die prüfen. Zum einen soll überprüft werden, ob die Per- Patient*innen sollen dafür eine entspannte Körperhal- sonen während der Trainingssitzungen das Prinzip des tung einnehmen und in Ruhe atmen. Der nächste Teil der HRV-BF erlernen, indem die physiologischen Veränder- Sitzung dient der Bestimmung der RF (die höchste Über ungen detailliert betrachtet werden. Dabei wird eine Stei- einstimmung der Herzrate und Atemfrequenz). Den gerung der HRV im Verlauf der Biofeedbacksitzung an- Patient*innen werden die verschiedenen Kurven (Herz- genommen. In der ersten und zweiten Sitzung liegt der rate, Atemkurve, Hilfslinie/Taktgeber) am Bildschirm Fokus vor allem auf der Bestimmung der Resonanzfre- erklärt. Danach werden die Patient*innen instruiert, in quenz und der Einübung von Atemtechniken, so dass fünf verschiedenen Atemfrequenzen zu atmen, wobei ein Herzratenvariabilitäts-Biofeedback bei der Verhaltenstherapie 3 somatischen Belastungsstörung DOI: 10.1159/000522175
Taktgeber der Orientierung dient: ”Atmen Sie nun in der dabei anwenden. Hierzu wird zum Einstieg der Taktgeber Frequenz, wie es der Taktgeber vorgibt. Atmen Sie ein, mit der RF noch eingeblendet (Biofeedback mit Taktge- wenn die Linie hochgeht und aus, wenn die Linie wieder ber; BF-T), jedoch nach 5 min Übungszeit ausgeblendet runtergeht.“ Der*die Therapeut*in weist darauf hin, dass und die Übung wird für weitere 5 min fortgeführt (Bio- die Patient*innen nicht zu tief einatmen sollen, um Symp- feedback ohne Taktgeber; BF-1). Während der Sitzung tome der Hyperventilation zu vermeiden. Den achtet der*die Therapeut*in auf die Atmung der Patient*innen werden nacheinander die fünf verschie- Patient*innen und gibt Hinweise, falls die Herzrate und denen Atemfrequenzen 6 Atemzüge pro Minute (breath Atmung nicht im Einklang sind. Das HRV-BF ohne per minute, bpm), 5,5, 5, 4,5 und 6,5 bpm für jeweils 4 Taktgeber wird weitere zwei Mal für 5 min (Biofeedback min vorgegeben und mit 1 min Pause gewechselt. Bis zur ohne Taktgeber; BF-2 & BF-3) wiederholt. Die Übung nächsten Sitzung wird dann die RF anhand verschiede- wird mit einer Selbstregulationsphase (SR) von zwei Mi- ner HRV-Parameter (Peak bei 0,1 Hz; maximale Low-fre- nuten beendet. Während der Selbstregulationsphase wird quency-Power (LF)) bestimmt. Im Anschluss an die Sit- der Bildschirm ausgestellt und die Patient*innen werden zung wird den Patient*innen die Hausaufgabe erklärt, in gebeten, die Atmung aufrechtzuerhalten ohne dass sie ein der die Patient*innen mit Hilfe einer App ”Breathball“ Feedbacksignal erhalten. (https://breathball.com) zweimal täglich für 10 min at- Sitzung 4. Die letzte Sitzung dient der Wiederholung men sollen. Die Hausaufgaben dienen dazu, das Erlernte des Biofeedbacks aus Sitzung drei. Auch hier erfolgt eine in den Alltag zu übertragen. Die App besitzt einen indi- Wiederholung der Atemtechniken, sowie des Biofeed- viduell einstellbaren visuellen Taktgeber für die Atemfre- backs mit Taktgeber (BF-T). Danach erfolgen zwei quenz, aber ohne Biofeedback- und Protokollfunktion. Übungsblöcke von je fünf Minuten, in denen das Biofeed- Als Einstieg für die oftmals ungewohnte langsame At- back ohne Taktgeber geübt wird (Biofeedback ohne mung wird dieser Taktgeber nach der ersten Sitzung auf Taktgeber; BF-2 und BF-3). Die Selbstregulationsphase 6 bpm eingestellt und nach der zweiten Sitzung, wenn die (SR) schließt auch hier wieder an die letzte Übungseinheit RF bestimmt wurde, auf diese angepasst. Zudem werden an und umfasst diesmal 5 min. Am Ende wird das Trai die Patient*innen angeleitet, einen Protokollbogen zur ning besprochen, sowie evaluiert und den Patient*innen Dokumentation der Hausaufgaben zu führen, in denen erklärt, dass das Fortführen der Übungen auch nach der sie notieren, wann und wie lange sie die Übungen durch- Kurzintervention wichtig ist. Zur Verbesserung des geführt haben und reflektieren, wie sie diese erlebt haben. Transfers erhalten die Patient*innen ein Arbeitsblatt, auf Sitzung 2. Diese Sitzung dient der Feinabstimmung dem sie sich Erfahrungen sowie Perspektiven der zukünf der RF und der Einführung verschiedener Atemtechni tigen Umsetzung der gelernten Übungen notieren. ken. Zu Beginn werden die Patient*innen gebeten, in der bislang ermittelten RF mit Taktgeber wie in der vorheri- gen Sitzung zu atmen. Zudem erfolgt das Atmen in einem Methode: Überprüfung der Anwendbarkeit der halben Atemzug mehr und weniger als der RF. Auch hier Intervention erfolgt das Atmen für 4 min mit jeweils 1 min Pause. Die RF wird während der Sitzung final bestimmt und im wei Ablauf teren Verlauf als Taktgeber eingestellt. Der zweite Ab- Die vorliegende Arbeit stellt eine Teilanalyse einer schnitt der Sitzung dient der Erklärung der Lippenbrem- randomisiert kontrollierten Pilotstudie dar, deren senatmung und der tiefen Bauchatmung. Zunächst Hauptergebnisse insbesondere zum Zwischengruppen- werden die Techniken ohne den Einsatz des Biofeedbacks vergleich einer anderen Publikation zu entnehmen sind kurz geübt. Im Anschluss erfolgt nacheinander der Ein- [Klewinghaus und Martin, eingereicht]. Die Rekrutie satz der Techniken mit der ermittelten RF anhand der rung der Teilnehmer*innen erfolgte in Arzt- und Physio- Rückmeldung auf dem Bildschirm. Der*die Therapeut*in therapiepraxen, Schmerz-Kliniken, der Universitätsam- achtet während der Sitzung auf die korrekte Durchfüh- bulanz für Psychotherapie der Bergischen Universität rung der Atemtechnik und Atemfrequenz und unter Wuppertal sowie durch Zeitungsartikel, soziale Medien stützt ggf. die Patient*innen. Am Ende der Sitzung wird und Annoncen. Folgende Einschlusskriterien wurden den Patient*innen ihre RF mitgeteilt, damit sie nun in vorausgesetzt: 1. das Vorliegen einer somatischen Belas- dieser Frequenz täglich üben. tungsstörung nach DSM-5, 2. mindestens zwei Symp- Sitzung 3. In der dritten Sitzung wird das klassische tombereiche, 3. Alter 18–65 Jahre. Ausschlusskriterien Biofeedback eingeführt. Zu Beginn werden die Atem- der Studie waren aufgrund bekannter Effekte auf die techniken der letzten Sitzung wiederholt und mögliche HRV folgende: Herzschrittmacher, akute Herzer- Probleme besprochen. Danach wird den Patient*innen krankung, keine stabile Dosierung der Herz- und Psycho- erklärt, dass sie die HRV erhöhen können, indem sie im pharmaka-Medikation (letzte 4 Wochen), BMI >35, Dia- Einklang mit der Herzrate atmen und die Atemtechniken betes, Rheuma oder psychotische Symptome in der 4 Verhaltenstherapie Klewinghaus/Martin DOI: 10.1159/000522175
Abb. 1. Flussdiagramm für die HRV-BF- Interventionsgruppe. Vorgeschichte. Zu Beginn erfolgte mit interessierten Per- Stichprobe der HRV-BF-Intervention betrachtet. Die sonen ein Screening am Telefon, in dem erste Ein- Studie wurde im Deutschen Register Klinischer Studien schlusskriterien überprüft und Informationen zur Studie (DRKS00017099) registriert, und es liegt ein positives gegeben wurden. Geeignete Personen wurden dann in die Ethikvotum der Ethikkommission der Bergischen Uni- Räume der Universität Wuppertal eingeladen. Die Per- versität Wuppertal (MS/BBL 190327) vor. sonen wurden über die Ziele und den Ablauf der Studie aufgeklärt und gaben ihr schriftliches Einverständnis. Es Stichprobe erfolgte eine diagnostische Abklärung mit einem Inter- Im Erhebungszeitraum von März 2019 bis Februar view für die SBS angelehnt an die Kriterien des DSM-5 2021 wurden 50 Personen randomisiert auf die beiden [Toussaint et al., 2019], sowie eine Abklärung von Ko- Interventionsarme HRV-BF und autogenes Training ver- morbiditäten mit dem halbstrukturierten Interview teilt. In der vorliegenden Arbeit wird nur die Teilstich- Mini-Dips für DSM-5 [Margraf und Cwik, 2017]. Ge probe betrachtet, die das HRV-BF absolvierte. Diese star- eignete Personen wurden im Rahmen der Pilotstudie ran- teten mit n = 24, und n = 22 Personen schlossen die In- domisiert in Blöcken (random.org) auf eine der Interven- tervention ab. Abbildung 1 ist das detaillierte tionsbedingungen (HRV-BF oder autogenes Training) Flussdiagramm für die HRV-BF-Gruppe zu entnehmen. zugeteilt und erhielten einmal wöchentlich eine Interven- tionssitzung. In der vorliegenden Arbeit wird nur die Herzratenvariabilitäts-Biofeedback bei der Verhaltenstherapie 5 somatischen Belastungsstörung DOI: 10.1159/000522175
Messinstrumente mit den Biofeedbackeinheiten (BF) und der Selbstregula- Für die vorliegende Studie sind sowohl psychophy tionsphase (SR) in den HRV-Parametern verglichen. Zu- siologische Maße (HRV) als auch die subjektive Akzep- dem wurden messwiederholte ANOVAs für die Ruhemes- tanz und Zufriedenheit mit der Intervention von Inte sungen (BL) über die vier Sitzungen hinweg berechnet. resse. Jede Sitzung wurde vor und nach der Intervention Das Signifikanzniveau wurde auf p = 0,5 gesetzt und hin- die HRV als Ruhemessung (Baseline, BL) für 5 min und sichtlich der Post-hoc-Tests Bonferroni korrigiert. im Verlauf während der Trainingssitzungen (BF-T, BF-1, Bezüglich der Häufigkeiten des Evaluationsfragebogens BF-2, BF-3, SR) erhoben. Die Erfassung erfolgte mittels wurden die Antwortmöglichkeiten ”ziemlich“, ”stark“ eines 3-Kanal-EKG (1024 Abtastrate) mit dem NEXUS-4 und ”sehr stark“ für eine übersichtlichere Darstellung ku- mit der Software BioTrace Version 2018A1 (Mind Media muliert berichtet und als Zustimmung gewertet. BV). Eine Elektrode wurde unter den linken Rippenbo- gen und eine am Ende des rechten Schlüsselbeins plat ziert. Die Erdungs-Elektrode wurde an der Außenseite Ergebnisse des rechten Arms befestigt. EKG-Rohdaten wurden ex- trahiert und mithilfe der Software Kubios [Tarvainen et Stichprobenbeschreibung al., 2014] analysiert. Die Sitzungsdaten wurden segmen- Die 22 Personen der HRV-BF-Intervention waren im tiert und nach automatischer Artefaktkorrekur durch Mittel 45,2 Jahre alt (SD = 13,3) und zu 80% weiblich. Die Kubios zusätzlich visuell überprüft. Berechnet wurden Mehrheit (57,2%) war berufstätig, 19% in Ausbildung sowohl zeit- (SDNN, “standard deviation of the NN in- und 23,8% erwerbsunfähig oder arbeitslos. Die meisten terval”; RMSSD, “root mean square of successive differ- Personen waren verheiratet oder in einer Partnerschaft ences between NN interval”) als auch frequenzbasierte (57,2%), 19% waren ledig, sowie 23,8% geschieden. Die (LF) HRV-Parameter. Ein dehnungssensibler Atemgurt Symptomatik der SBS bestand bei den Personen im Mittel mit einer Abtastrate von 32 Stichproben pro Minute 8,9 Jahre (SD = 9,4). Der Summenscore des SOMS-7 lag diente der Erfassung der Atemfrequenz. im Mittel bei 29,1 (SD = 15,9). Die Mehrheit der Zur Erfassung der Akzeptanz und Zufriedenheit wurde Patient*innen war arbeitsfähig (85,7%), und 28,6% wie- ein Evaluationsfragebogen, orientiert an Schmidt und sen eine Komorbidität mit einer weiteren psychischen Martin [2015], entwickelt, der den Umgang mit den kör- Störung auf. perlichen Symptomen, das Befinden, die Stimmung, das Stressempfinden, die Zufriedenheit mit der Intervention, Objektive Anwendbarkeit die Fortführung im Alltag und Nebenwirkungen auf einer HRV-Analysen innerhalb der Sitzungen. Überprüft 5-Punkt-Likert-Skala (keine bis volle Zustimmung) er- werden sollte die Annahme einer Steigerung der HRV- fasst (siehe Online-Supplement-Material S2). Diese Erhe- Parameter in den letzten beiden Sitzungen von der bung erfolgte eine Woche nach der letzten Sitzung in den Ruhemessung zu den Biofeedbackeinheiten und der Räumen der Universität Wuppertal im Online-Format. Selbstregulationsphase. Die deskriptiven Daten und Test- Zur Erfassung multidimensionaler Therapieergeb- statistiken der ANOVA sind Tabelle 1, die Post-hoc- nisse wurden neben dem Screening für somatoforme Analysen Tabelle 2 zu entnehmen. Zur dritten Train- Störungen [SOMS-7T; Rief und Hiller, 2008] weitere ingssitzung zeigten sich signifikante Zeiteffekte für die störungsspezifische Variablen sowie psychobehaviorale HRV-Parameter SDNN, RMSSD und LF (p-Werte Aspekte und Folgen der Erkrankung gemäß den Emp-
Tabelle 1. HRV-Parameter der Messphasen der dritten und vierten Interventionssitzung mit ANOVA-Teststatistiken (n = 20) BL BF-T BF-1 BF-2 BF-3 SR ANOVA-Teststatistik M (SD) M (SD) M (SD) M (SD) M (SD) M (SD) RMSSD, ms T3 25,57 (13,02) 35,06 (15,78) 34,35 (17,48) 37,39 (20,26) 39,46 (22,85) 36,61 (20,53) Ft(1,8, 33,4) = 7,8, p < 0,001, η2 = 0,29 T4 28,19 (12,97) 36,42 (14,08) 36,97 (13,24) 38,80 (14,06) 38,33 (18,54) Ft(2,0, 38,2) = 5,7, p < 0,001, η2 = 0,23 SDNN, ms T3 33,06 (14,80) 61,39 (27,04) 56,31 (26,39) 60,04 (29,51) 61,92 (31,80) 57,01 (29,96) Ft(2,3, 44,3) = 14,3, p < 0,001, η2 = 0,43 T4 40,66 (17,65) 59,23 (23,19) 59,17 (20,50) 60,66 (20,69) 59,81 (24,88) Ft(2,7, 50,9) = 11,1, p < 0,001, η2 = 0,37 LF, % T3 63,38 (19,11) 89,59 (5,86) 88,30 (10,35) 89,99 (5,36) 87,97 (6,76) 85,41 (9,81) Ft(2,1, 39,7) = 23,1, p < 0,001, η2 = 0,55 T4 73,56 (19,21) 86,73 (9,64) 89,12 (6,98) 90,52 (6,25) 84,20 (16,09) Ft(1,8, 34,3) = 8,1, p < 0,001, η2 = 0,30 M, Mittelwert; SD, Standardabweichung; BL, Ruhemessung; BF-T, Biofeedback mit Taktgeber; BF-1, Biofeedback 1; BF-2, Biofeedback 2; BF-3, Biofeedback 3; SR, Selbstregulationsphase; T3, 3. Therapiesitzung; T4, 4. Therapiesitzung; SDNN, “standard deviation of the NN interval”; RMSSD, “root mean square of successive differences between NN interval”; LF, Low-frequency-Bereich. Tabelle 2. Teststatistiken der Kontrastanalysen zur dritten und vierten HRV-BF-Sitzung (n = 20) Baseline vs. Biofeedback-Phasen Biofeedback-Phasen vs. Selbstregulationsphase RMSSD, ms T3 Ft(1, 19) = 13,4, p < 0,001, η2 = 0,41 Ft(1, 19) = 0,09, p = 0,77, η2 = 0,00 T4 Ft(1, 19) = 26,9, p < 0,001, η2 = 0,59 Ft(1, 19) = 0,11, p = 0,75, η2 = 0,00 SDNN, ms T3 Ft(1, 19) = 24,9, p < 0,001, η2 = 0,57 Ft(1, 19) = 0,57, p = 0,45, η2 = 0,03 T4 Ft(1, 19) = 27,2, p < 0,001, η2 = 0,59 Ft(1, 19) = 0,00, p = 0,97, η2 = 0,00 LF, % T3 Ft(1, 19) = 36,5, p
Abb. 2. Ergebnisse der HRV-Analysen zum Verlauf innerhalb einer Biofeedback- sitzung (a zeigt Mittelwerte und Standard- abweichungen des RMSSD zur dritten Bio- feedbacksitzung) und über die Interven- tion hinweg (b zeigt Mittelwerte und Standardabweichungen des SDNN der Baseline über die Sitzungen hinweg). BL, Baseline; BF-T, Biofeedback mit Taktge- ber; BF-2, BF-3, Biofeedbackeinheiten 2 und 3 (mit Feedback); SR, Selbstregula- tionsphase. Abb. 3. Subjektive Verbesserung im kör- perlichen Befinden und im Umgang mit den körperlichen Beschwerden durch HRV-BF nach Abschluss der Intervention (Angaben in relativen Häufigkeiten). 8 Verhaltenstherapie Klewinghaus/Martin DOI: 10.1159/000522175
finden 72,7%. Insgesamt 90,9% der Teilnehmer*innen Empfinden, sowie dass sie einen besseren Umgang mit gaben an, dass sie das Training auch nach dem Studi- ihren körperlichen Symptomen erreicht hatten. Vor dem enende im Alltag fortführen wollen. Hintergrund einer Stichprobe mit stark chronifizierten körperlichen Beschwerden ist dies beachtlich und deutet auf eine gute Wirksamkeit hin. Insgesamt ist Biofeedback Diskussion eine Methode, die sehr gut von den Patient*innen akzep- tiert wird [Rief und Birbaumer, 2011]. Die HRV als Maß der Funktionalität des autonomen Die vorliegende Arbeit hat als erste eine Kurzinterven- Nervensystems scheint bei der SBS herabgesetzt zu sein tion in Form eines HRV-BF bei Personen mit einer SBS [Cheng et al., 2020]. Das HRV-BF bietet hier als Interven- als Teil einer randomisiert-kontrollierten Pilotstudie un- tion die Möglichkeit der direkten Stimulation des au- tersucht. Das Biofeedback kann schnell erlernt werden tonomen Nervensystems [Lehrer und Gevirtz, 2014]. Vor und zeigt zudem sowohl subjektive als auch physiolo- allem im Bereich der SBS erscheint die Weiterentwick- gische Verbesserungen unmittelbar (eine Woche) nach lung psychologischer Interventionen aufgrund nur ge Therapieende. Die hier präsentierten Ergebnisse zu den ringer Effektstärken notwendig. Ziel der Studie war es da- physiologischen Veränderungen zwischen einzelnen Be- her, die Anwendbarkeit einer neu entwickelten Kurz handlungssitzungen und -phasen basieren rein auf den zeitintervention in Form eines HRV-BF zu überprüfen. Daten der Biofeedbackgruppe ohne Kontrollgruppe. Für Die Ergebnisse zeigen erwartungsgemäß eine Verän- die weiteren Ergebnisse, differenziert für verschiedene derung der HRV-Parameter im Rahmen des Resonanz- Bereiche der Symptomatik und der Ruhe-HRV von The frequenztrainings sowohl während als auch über die Sit- rapiebeginn zu -ende im Vergleich zu einer alternativen zungen hinweg sowie eine hohe Zufriedenheit mit der aktiven Therapie, verweisen wir auf die Arbeit von Kle vermittelten Technik. Die Personen waren innerhalb der winghaus und Martin [eingereicht]. Trainingssitzungen in der Lage, die Technik anzuwen- Durch das hier entwickelte Biofeedback-Manual kam den. Dies zeigte sich durch eine signifikante Steigerung es sowohl zu einer Symptomreduktion als auch Verbesse- der HRV-Parameter SDNN, RMSSD und LF von der rung der psychobehavioralen Komponenten (exzessive Ruhemessung zu den Biofeedbackeinheiten mit großen Gedanken, Gefühle, Verhalten) der SBS [Klewinghaus Effektstärken. Der Anstieg des LF ist damit zu erklären, und Martin, 2021]. Die hier dargestellten Ergebnisse er- dass während einer sehr langsamen Atmung der Vagus- lauben jedoch nicht zu beurteilen, ob die erzielten subjek- nerv stimuliert wird [Kromenacker et al., 2018]. Außer- tiven oder physiologischen Effekte positiver ausfallen als dem ist eine Steigerung des LF mit einer Stimulierung des bei der Anwendung einer anderen Intervention. Stärke Baroreflexes assoziiert [Lehrer et al., 2003]. Wie von uns der Studie ist die detaillierte Analyse der HRV in zeit- und erwartet wurde, lernten die Personen, die Technik des frequenzbasierten Parametern mit sehr sorgfältiger Arte- RF-BF zu verinnerlichen und konnten diese in der faktkontrolle. Zudem repräsentiert die Stichprobe das Selbstregulationsphase aufrechterhalten. Dies zeigte sich Krankheitsbild der SBS durch eine lange Beschwerdedau- durch nahezu unveränderte Werte in der HRV im Ver- er sowie einer hohen Rate an Komorbiditäten gut. Neben gleich der Biofeedback-Phasen mit Rückmeldung und den Stärken weist die Studie auch Limitationen auf. Auch der Selbstregulationsphase, in der weder eine sichtbare wenn die Stichprobengröße im Vergleich zu vorherigen Rückmeldung der HRV noch der Taktgeber als Hilfsmit- Studien groß ist, ist die statistische Power begrenzt. Somit tel zur Atmungssteuerung gegeben waren. Die Daten konnte der Einfluss möglicher weiterer Variablen, die mit weisen darauf hin, dass die Techniken der Selbstregula- der HRV in Verbindung stehen, nicht kontrolliert werden. tion bereits in der dritten Sitzung erlernt waren. Diese Demnach wären in Zukunft Studien mit größeren Stich- Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen von Lehrer et proben wünschenswert. Zudem muss noch gezeigt al. [2013] überein, dass die Selbstkontrolltechniken werden, ob die Ergebnisse unmittelbar nach Thera- schnell erworben werden können. Bei den physiologi pieende auch nach längerer Anwendung in einer Nach- schen Parametern zeigt sich über die Ruhemessungen beobachtung stabil bleiben. Ermutigend ist, dass die Be- hinweg noch kein einstimmiges Bild, da sich die Verän- reitschaft, das Training auch nach Studienende im Alltag derung nur in einem Parameter (SDNN) statistisch sig- fortführen zu wollen, mit 90,9% Zustimmung sehr hoch nifikant zeigte. In dem weiteren Indikator (RMSSD) zeig- liegt. te sich der Anstieg über die Sitzungen hinweg als Trend. Gemäß den hier dargestellten Studienergebnissen, Hinsichtlich der subjektiven Rückmeldung der Per- bietet das HRV-BF zum einen eine Möglichkeit des nie- sonen ergab sich zusammenfassend eine hohe Zufrieden- derschwelligen Therapieangebots in der gestuften Ver heit und Akzeptanz. Nach nur vier Sitzungen berichteten sorgung und zum anderen eine Ergänzung zu einer Psy- die Personen eine positive Auswirkung auf ihre Stim- chotherapie. Personen könnten orientiert an der S3- mung, das Stressempfinden sowie auf das körperliche Leitlinie für funktionelle Körperbeschwerden ein Herzratenvariabilitäts-Biofeedback bei der Verhaltenstherapie 9 somatischen Belastungsstörung DOI: 10.1159/000522175
niederschwelliges Angebot in der erweiterten Versorgung Ethische Aspekte erhalten, um eine weitere Chronifizierung zu minimieren Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Bergischen und frühzeitig an den Beschwerden anzusetzen [AWMF, Universität Wuppertal liegt vor (MS/BBL 190327). Die ethischen 2018]. Zudem bietet das Biofeedback in der multimodalen Standards der Deklaration von Helsinki in ihrer erweiterten Form Behandlung eine Möglichkeit, Psychotherapie um die wurden eingehalten. Die Patient*innen gaben ihre schriftliche physiologische Ebene zu ergänzen. Vor allem Patient*innen, Einwilligung zur Studienteilnahme und Publikation. die ein sehr somatisch geprägtes Krankheitsverständnis ha- ben, können so über das Biofeedback einen Zugang zur Psychotherapie erhalten [Nanke und Rief, 2004]. Caldwell Interessenskonflikt und Steffen [2018] zeigten, dass die Hinzunahme von HRV- Die vorliegende Arbeit ist Teil der Dissertation von Laura BF zu einer Psychotherapie im Vergleich zu Psychotherapie Klewinghaus. Laura Klewinghaus erhielt Honorar für einen Work- alleine bei Personen mit einer “Major Depression” zu einer shop zum Biofeedback als Teil der postgradualen Weiterbildung stärkeren Verbesserung in der Symptomatik und zu einem in kognitiver Verhaltenstherapie. Alexandra Martin erhielt Ho Anstieg in der HRV führte. norare für Workshops zum Biofeedback und kognitiver Ver- Ausgehend davon, dass die Personen eine positive haltenstherapie bei somatoformen Störungen und als Editor der Zeitschrift Psychotherapeut. Auswirkung auf ihre Stimmung und das Stressempfinden berichteten, lässt sich annehmen, dass das Biofeedback- protokoll auch bei anderen Störungsbildern wie z.B. de- Finanzielle Unterstützung pressiven Störungen gut einsetzbar scheint. Dies zeigen auch bereits vorherige Studien, die eine gute Wirksam- Die Forschung erhielt keine finanzielle Unterstützung. keit auf die Depressivität durch HRV-BF nachweisen konnten [Karavidas et al., 2007; Pinter et al., 2019]. In Zukunft wird es interessant sein, den Mehrwert des Autorenmitwirkung Biofeedbacks bei der Ergänzung zur Psychotherapie zu untersuchen, so wie bei Caldwell und Steffen [2018] mit Die Konzeptualisierung der vorliegenden Studie erfolgte durch L.K. und A.M. L.K. analysierte und interpretierte die Ergebnisse. vielversprechenden Ergebnissen bei Personen mit “Major Alle Autorinnen diskutierten die Ergebnisse. L.K. erstellte das Depression”. Manuskript mit Beiträgen und Überarbeitung von A.M. Hinweis Datenverfügbarkeit Materialien zur Intervention (Informationsblätter und Proto- kollbogen) können bei den Autor*innen angefragt werden. Die Daten, auf die die Ergebnisse der Studie beruhen, können beim entsprechenden Autor mit Begründung angefragt werden. Dank Wir danken MSc Louisa Langhoff, MSc Jana Doormann, MSc Elisabeth Kusber und BSc Ulrike Klau für ihre Hilfe bei der Re krutierung und Durchführung der Studie. Literatur American Psychiatric Association (APA). Diag- Caldwell YT, Steffen PR. Adding HRV biofeed- Engel GL. The need for a new medical model: a nostic and statistical manual of mental disor- back to psychotherapy increases heart rate challenge for biomedicine. Science. 1977;196: ders. 5. Ausg. Washington: American Psychi- variability and improves the treatment of ma- 129–36. atric Association; 2013. jor depressive disorder. Int J Psychophysiol. Hassett AL, Radvanski DC, Vaschillo EG, Vaschillo Appelhans BM, Luecken LJ. Heart rate variability 2018;131:96–101. B, Sigal LH, Karavidas MK, et al. A pilot study as an index of regulated emotional respond- Chalmers JA, Quintana DS, Abbott MJ, Kemp of the efficacy of heart rate variability (HRV) ing. Rev Gen Psychol. 2006 Aug; 10(3): 229– AH. Anxiety disorders are associated with re- biofeedback in patients with fibromyalgia. Appl 40. duced heart rate variability: a meta-analysis. Psychophysiol Biofeedback. 2007;32:1–10. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Front Psychiatry. 2014 Jul;5:1–11. Herzog A, Shedden-Mora MC, Jordan P, Löwe B. Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Cheng YC, Huang YC, Huang WL. Heart rate Duration of untreated illness in patients with S3 Leitlinie “Funktionelle Körperbeschw- variability in patients with somatic symptom somatoform disorders. J Psychosom Res. erden”. Frankfurt: AWMF; 2018. disorders and functional somatic syndromes: 2018;107:1–6. Beauchaine TP, Thayer JF. Heart rate variability a systematic review and meta-analysis. Neu- Holroyd KA, Penzien DB, Hursey DL, Tobin DL, as a transdiagnostic biomarker of psychopa- rosci Biobehav Rev. 2020 Feb;112:336–44. Rogers L, Holm JE, et al. Change mechanisms thology. Int J Psychophysiol. 2015 Aug; 98: in EMG biofeedback training: cognitive chang- 338–50. es underlying improvements in tension head- ache. J Consult Clin Psychol. 1984;52:1039–53. 10 Verhaltenstherapie Klewinghaus/Martin DOI: 10.1159/000522175
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