Das islamische Erbe Österreichs - Wie der Islam die Kultur und die Gesellschaft Österreichs seit Jahrhunderten mitgestaltete - Fastly
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Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Gernot Galib Stanfel Das islamische Erbe Österreichs Wie der Islam die Kultur und die Gesellschaft Österreichs seit Jahrhunderten mitgestaltete Keine Wiedergabe, Vervielfältigung auch Auszugsweise, außer zum privaten Gebrauch ohne Einwilligung des Verfassers © Alle Rechte beim Verfasser Pressbaum 2021 1
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Inhalt: Vorwort Anfänge im Dunklen Märtyrer und Heilige Wissenschaft, Technik, Religion und Kaiser An der Grenze zum Orient Türkenmode, ein mysteriöses Buch, Symbolizismus und erste Toleranz Eine neue Wissenschaft, ein christliches Kloster mit Minarett, der Rote Halbmond und „als Bosnien noch bei Österreich war“ Abenteurer, Denker und Republik Dunkle Jahre, dunkel Seiten Neue Zeiten PS, oder die Welt ist rund Hier und Jetzt Nachwort Reflexion zur pädagogischen Relevanz Anhang 1: Ansprache des österreichischen Bundespräsidenten Dr. Rudolf Kirschläger anlässlich der Eröffnungs-Zeremonie des Wiener Islamischen Zentrums am 20. November 1979 Anhang 2: Ansprache Kardinals Dr. Franz König anlässlich der Eröffnungs-Zeremonie des Wiener Islamischen Zentrums am 20. November 1979 Anhang 3: Die Rede Papst Johannes Pauls II. am Kahlenberg im Jahr 1983, anlässlich der 300. Wiederkehr der Schlacht um Wien Anhang 4: Entwicklung der Anzahl der muslimischen Einwohner Österreichs Anhang 5: Auswahl von österreichischen Familien, die auf getaufte Osmanen zurückgehen Quellen und Literatur 2
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Danksagung Mein Dank gilt allen, die mir geholfen haben die vielen Fakten dieses bisher nicht umfassend betrachteten Themas zusammenzutragen. Oft bedeutet eine geschriebene Zeile, oder bedeuten sogar nur ein paar Wörter, einige Tage an Recherche, durchaus auch eine Reise zu einem bestimmten Ort, weil sonst keine andere Information zu erhalten ist. Viele Hinweise und Fakten habe ich von vielen Menschen bekommen. Auch für das Anregen von Verbesserungen und das Lektorieren sei allen gedankt, die das unentgeltlich gemacht haben. Besonders erwähnt seien, in alphabetischer Reihenfolge: Michael Bachmair-Eksi, Friderica Wächter – Stanfel (meine Frau), Martin M. Weinberger, Dieter Zoubek Weiteres gilt mein Dank der KPH Wien-Krems, und besonders dem dortigen Institut für islamische Religion, die diese Arbeit als Forschungsprojekt genehmigt und damit die nötigen Zeitreserven geschaffen haben. 3
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Vorwort 1979 1 wurde das Gesetz über die Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich beschlossen. Man tat dies, um der immer größer werdenden Anzahl an muslimischen „Gastarbeitern“ die Ausübung ihrer Religion zu sichern, und eine Organisation als Ansprechpartner für den Staat zu haben. Dabei bezog man sich aber auf ein Gesetz aus dem Jahr 1912, das den Islam schon seit viel Längerem als ein Teil der Österreichischen Identität dokumentiert. Dieses Gesetz, seit 2015 in seiner Neuformulierung, sichert nun seit über 100 Jahren den Status des Islam in Österreich. Nicht immer war die Anwesenheit des Islam eine harmonische, oftmals war sie für Nicht-Muslime, aber auch für Muslime schwierig, ja sogar traumatisch. Vor allem aber war das Vorhandensein der islamischer Einflüsse immer im jeweiligen Ausmaß die Menschen verändernd und die österreichische Identität weiterentwickelnd. So hat der Islam Österreich mit geprägt und auch mitgestaltet. Manchmal geschah das auf direkten Weg, oft auch indirekt, indem er Reaktionen hervorrief. Nicht immer ist der islamisch geprägte Teil der österreichischen Identität auch auf den ersten Blick als solcher erkennbar, manchmal ist es auch nicht klar ob es bei bestimmten Ereignissen an bestimmten Orten oder Geschichten um historische Wahrheiten oder überlieferte Legenden handelt. In diesen Fällen scheint die historische Wahrheit aber nicht alleine wesentlich, denn Legenden erzählen durch den wahrgenommenen emotionalen Inhalt ihrer selbst viel über die Befindlichkeiten und das Bewusstsein der Bevölkerung. Der vorliegende Text möchte diese Identität aufzeigen, und den einen oder anderen, vielleicht wenig bekannten Teil derselben, bewusst machen, oder neu hervorholen. Es nicht so ist, wie es uns eine verkürzte Geschichtsdarstellung oft glauben lässt, dass es außer Krieg und Konfrontation, keine weiteren Kontakte zwischen den Kulturen und Religionen durch die Zeiten hindurch gegeben hätte. Deswegen konnte der islamische Teil der österreichischen Identität entstehen, weil er nicht nur aus Konfrontation bestand. Vielmehr ist das Gegenteil wahr, die gewaltvolle Variante der Begegnung ist nur ein von vielen möglichen und ist im Vergleich mit den anderen, friedlichen Zusammentreffen, die auch stattgefunden haben, sogar meist in der Minderheit. Der Text versucht im Groben der historischen Linie der Ereignisse zu folgen, ordnet manchmal aber auch die Dinge nach thematischen Gesichtspunkten, beides um ein eventuelles Nachschlagen zu erleichtern. Naturgemäß kann die Behandlung eines solch komplexen Themas keinen wie immer gearteten Anspruch auf Vollständigkeit haben, es soll vielmehr um eine Bewusstmachung des Themas gehen und vielleicht weitere AutorInnen zu noch präziserer Beschäftigung damit anregen. Da dies die erste Publikation ist, die sich mit diesem Thema befasst, war der Autor darauf angewiesen auch auf Sekundärquellen und Populärliteratur zurückzugreifen. Oft ist ein bestimmtes Thema nicht in einer rein wissenschaftlich aufgearbeiteten Form zugänglich oder wurde nie behandelt. Die Trennung von Religion und Kultur ist dem Autor einen wichtiges Anliegen, dies kann aber nicht immer in diesem Kontext, wie auch im täglichen Leben, immer präzise vollzogen werden. Man erkennt das gut am Beispiel des Wortes „Türken“, das sowohl für einen Ethnie, als auch historisch für die Einwohner des osmanischen Reiches und für Muslime im Allgemeinen verwendet wurde. Der geographische Untersuchungsraum des Autors ist das Gebiet des heutigen Österreichs, zum Verständnis des Kontextes werden diese aber manchmal im Text überschritten und auch Orte außerhalb des heutigen Staatsgebietes mit einbezogen. Pressbaum 2021 n. Chr. / 1441 n. H. 1 Alle Jahresangaben sind in der europäischen Geschichtsschreibung üblichen Zählung „nach Christus“ gehalten, die ihrem Wortlaut nach wahrscheinlich weniger richtig sind, als die islamische nach der Hijra, aber es ist die heute übliche des täglichen Gebrauchs 4
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Einleitung Die Einflüsse des Islam und der Muslime auf die Österreichische Kultur fanden auf viele unterschiedliche Arten statt. Sowohl der Transfer von Wissen und Fähigkeiten spielte dabei eine Rolle, als auch der von Personen und Waren. Diese Transfers fanden, nicht anders als heute, unter den verschiedensten Umständen statt. Sie waren einerseits Begleiterscheinungen von Völkerbewegungen, von Konflikten und Auseinandersetzungen, aber auch von der Notwendigkeit mit den Menschen außerhalb des eigenen Horizonts in Verbindung zu stehen. Geographische Räume änderten im Laufe der Geschichte oft ihre Herrscher, aber auch ihre Bedeutung im Bezug auf die jeweils Herrschenden und ihre Nachbarn. Bevölkerungsgruppen zogen von einem Raum in den anderen, manchmal freiwillig, manchmal gezwungen. Das Bedürfnis nach dem Erhalt bestimmter Waren und Produkte machten Handel über die Grenzen zu einer zwingenden Notwendigkeit. Wie die Menschen änderten sich auch ihre Bedürfnisse, so dass dieser Austausch immer lebendig blieb. Mit dem Austausch auf materieller und menschlicher Ebene ging auch immer ein Austausch von Denken und Ideen einher. Das begünstigte einerseits die Entwicklung der kulturellen Räume und schuf für diese eigentlich eine lebensnotwendige Voraussetzung. Andererseits rief es den Argwohn der Herrschenden hervor, die sich von Ideen die von außerhalb kamen, in ihrer Machtposition gefährdet sahen. Es ist so nicht verwunderlich, das sowohl fremde Menschen, als auch deren Ideen und deren Denken versucht wurden zu kontrollieren und bei angenommener Gefahr abgelehnt und bekämpft wurden. Umso mehr traf das wohl zu, wenn man sie als Konkurrenz zu Eigenem wahrnahm. Dieses Bekämpfen passierte nicht nur mit martialischen Mitteln, sondern auch mit gezielter Abwertung, die entsprechend wirksam kommuniziert wurde. So ist es nicht verwunderlich dass gerade das Thema der Kulturbeeinflussung durch eine Religion, die systematisch als „nicht dazugehörig“ und „das Unsere bedrohend“ dargestellt wurde, oft an einen schwer durchschaubaren Dschungel von Halbwahrheiten, Falschinformationen und Verdrehung oder gar Verschweigen von Tatsachen stößt. Das manchmal Legendenhafte das dadurch in den unterschiedlichen Kontexten entstand, ist aber auf der anderen Seite wiederum ein exaktes Abbild, nach welchen Prioritäten Dinge die geschehen, wahrgenommen werden oder auch nicht. Das so hier Festgestellte mag erstaunlich bis vielleicht erschreckend aktuell klingen, und ist sicher nicht nur auf das Thema dieser Arbeit beschränkt, sondern wohl eine Grundkonstante im Funktionieren menschlicher Gesellschaften. Da es sich zu zeigen scheint, dass man aus der Geschichte nicht wirklich viel nachhaltig lernen kann, mag diese Erkenntnis vielleicht eine der wenigen möglichen daraus überhaupt zu sein. Andererseits ist es historische Tatsache, dass Europa und damit auch das Gebiet und die Menschen die das heutige Österreich ausmachen, ungefähr zur selben Zeit von den drei monotheistischen Religionen geprägt wurden. Die zweite Christianisierung Europas, jene nach dem Ende der römischen Kultur, fand ungefähr zur gleichen Zeit statt, in der nachweislich jüdische Gemeinden im wachsenden Ausmaß auf der Bildfläche erscheinen und auch vier große Gebiete Europas begonnen wurden vom Islam nachhaltig beeinflusst zu werden: Die iberische und die italienische Halbinseln von Nordafrika durch die Araber und Berber, Nordosteuropa von Asien durch die Mongolen und Tataren, sowie Südosteuropa durch die die Osmanen. So kann die Beeinflussung Europas durch den Islam durchaus im Kontext einer Montheisierung Europas gesehen werden und ist als solche einer dessen wichtigster Grundbausteine seiner jüdisch-christlich-islamischen Kultur. Die Beeinflussung durch den Islam dessen, was wir heute als Österreich kennen, kann man in grob fünf große Kategorien und Zeitabschnitte teilen, die natürlich wie jede Kategorisierung auch ein gewisses Maß an Willkür und Verkürzung beinhalten. Erwähnenswert dabei ist, dass sich, je nach den Gegebenheiten der Zeit, bestimmte Geschehnisse in der einen Phase häufen und in der anderen dafür eher nicht stattfinden: 5
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Die erste Phase ist im Mittelalter, als man erstaunlich offen für den Transfer von Wissen und Kunst war. Es gilt hier offensichtlich weniger sich über diese Dinge ethnisch zu definieren, sondern das Hauptaugenmerk liegt auf dem angestrebten Ergebnis, ein Kunstwerk oder eine politische Tatsache. Ob dabei das, was dazu eingesetzt wird, oder die Menschen, die es bewerkstelligen, christlich oder islamisch sind, scheint eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Verwendung von arabischer Kufi Schrift, die eindeutig islamisch kontextualisiert ist, ist dabei genauso willkommen, wie muslimische Soldaten, solange sie dem Heer des christlichen Herrschers beim Erreichen seines Zieles dienen. Die zweite ist jene Phase am Beginn der Neuzeit, als sich Territorien begannen über einen Herrscher religiös zu definieren. In diese Zeit fallen die großen Auseinandersetzungen zwischen Osmanen und deutschen Kaisern, meist den Habsburgern, in denen der Islam als Bedrohung und Muslime als vom Teufel geschickte Unmenschen wahrgenommen und definiert wurden. Die dritte Phase ist die Zeit der beginnenden Aufklärung, in der man begann sich systematisch mit den Inhalten „fremder“ Ansichten und Lebensweisen zu beschäftigen, was schließlich später zu einer romantisierenden Sehnsucht nach dem „Fremden“ führte, mit dem man sich nach Möglichkeiten schmücken und gesellschaftliche positiv definieren wollte. Damit einher ging aber keine Begegnung auf Augenhöhe, sondern die Rollen und Positionen des „Aufgeklärten“ und des „Aufzuklärenden“ waren klar und starr definiert und führten schlussendlich in den Kolonialismus, von dem die islamisch geprägte Welt massiv betroffen war und dessen Auswirkungen wir bis heute spüren. Die vierte Phase ist die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, in der sich zwar der Kolonialismus gerade am Höhepunkt befand, aber mehr und mehr Menschen, zuerst Abendteurer und Sinnsuchende, später auch Künstler und Politiker einsahen, dass es mehr Sinn für die eigenen Interessen machte die Begegnung auf Augenhöhe anzustreben und auch zu leben, als die Energie in die Aufrechterhaltung von starren Hierarchien nach Zugehörigkeit und Religion aufrecht zu halten. Diese Phase war eine für viele sehr schmerzvolle, da es starke Wiederstände gegen eine gleiche Ebene für alle gab, und die bis heute in Rassismen, Nationalismen und monoreligiösen Ansprüchen weiterleben. Die fünfte Phase ist wohl die, in der wir uns gerade befinden, in der es die Chance gibt, die alten überkommenden Definitionen von dem was mehr und weniger wertvoll und zum Eigenen dazugehörig ist, zu überwinden, von der es aber nicht ausgemacht ist, dass sie auch nachhaltig genutzt wird, im Gegenteil, in letzter Zeit deuten viele Positionen in der Gesellschaft darauf hin, dass es Gruppen gibt, deren Interesse eine Polarisierung entlang von religiösen Grenzen gibt, bei der der Islam manchmal Zielscheibe längst vergangener Kräfte wie Nationalismus oder Monoreligiosität ist. Es ist wohl im Interesse aller, dass diese Ideen nicht wieder eine bedeutende Rolle in Österreich und in Europa spielen können. In diesem Sinn mag die nachfolgende, weitgehend Chronologisch geordnete, Darstellung des Einflusses des Islam auf die österreichische Kultur exemplarisch für das Wahrnehmen der Vielfalt und des Reichtums unserer Gesellschaft und Kultur sein. 6
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Anfänge im Dunklen 632 starb Prophet Mohammed 2. Durch sein Wirken wurde die jüngste der monotheistischen Weltreligionen, der Islam als Religion etabliert. Sie verbreitete sich in kürzester Zeit von der arabischen Halbinsel bis nach Persien, Kleinasien, Nord-, Ost- und Westafrika, Indien, Indonesien sowie Süd- und Osteuropa. Dabei ging der Islam mit den jeweiligen Kulturen eine Verbindung ein, was zu einem bunten Erscheinungsbild dieser Religion weltweit führte. Auch in das Gebiet des heutigen Österreichs kamen schon früher als oft angenommen Menschen mit muslimischem Glauben. 3 Mit dem Ende des weströmischen Reiches gelangten eine ganze Reihe von Völkern in den frei werdenden Raum Mitteleuropas, die einander oftmals kriegerisch ablösten, auch hier sesshaft wurden und zum Teil auch wieder verschwanden oder assimiliert wurden. Eines dieser Völker war das turkstämmige Volk der Petschenegen, auch Bissener genannt, das im 10. Jahrhundert aus der Gegend an der Wolga kam. Die Petschenegen wanderten in Ost und Mitteluropa ein und wurden zur Verteidigung der damaligen ungarischen Westgrenze rund um den Neusiedlersee angesiedelt. Ein großer Teil dieses Volkes hatte bereits damals den Islam angenommen. Erwähnt werden diese ersten Muslime in Südosteuropa in muslimischen Schriften, wo von blonden hellhäutigen Studenten aus Europa an der Universität von Damaskus berichtet wird, als auch in katholischen Schriften, etwa in einem Schreiben des Königs Ottokar von Böhmen (1252-1278) an den Papst. Ein Dekret des Ungarischen Königs Imre (1174 - 1204) aus dem Jahre 1196 erwähnt Ismaeliten 4und Petschenegen in der slawonischen Stadt Osijek an der bosnisch / ungarischen Grenze. 5 Es gibt mehrere Hinweise auf dort ansässige Muslime, meist Händler, im Ungarn des 11. Jahrhunderts 6. Auf Ungarisch wurden petschenegische Muslime Böszörmeny genannt, woran noch heute der Name der Stadt Hajduböszermeny und andere Ortsnamen erinnern. Nach der Gesta Hungarorum aus dem 12. Jahrhunderts soll Pest, der linksufrige Teil des heutigen Budapest, eine muslimische Gründung sein, die durch Fürst Geza ermöglicht wurde. 7 Die Muslime hatten zunächst einen ähnlichen Status wie die Juden. In Landsee, im heutigen Burgenland, gab es in dieser Zeit eine bedeutende jüdische Gemeinde, und in deren Nachbarschaft sollen auch Muslime ansässig gewesen sein. In diesem Zusammenhang soll es eine Gedenktafel gegeben haben, die an die erfolgreiche Christianisierung dieser Einwohner erinnert hat. Dieser Wechsel zur christlichen Religion war für die Betroffenen deswegen notwendig geworden, weil König Lazlo I. (1048- 1095) und König Kalman (1070 – 1116) Gesetze erlassen hatten, die den Muslimen entweder das Verlassen des islamischen Glaubens oder des Landes vorschrieb. Im 15. Jahrhundert kämpften muslimische Soldaten, die allgemein begehrte Krieger unter anderem wegen ihrer Alkoholabstinenz, waren, im Heer König Sigismunds von Böhmen gegen die Hussiten. Man kann davon ausgehen, dass bis dahin einige der ungarischen Muslime auch in das Gebiet des heutigen Österreichs, nicht zuletzt in das zum damaligen Ungarn gehörende Burgenland, jedoch auch darüber hinaus, kamen 8. Es gibt es in Österreichs Osten und Süden zahlreiche Ortschaften, die auf eine Besiedelung durch die Petschenegen zurückblicken können. Orte mit Bezug zu den Petschenegen, oder Bissenern, sind 2 „Frieden und Segen seien auf ihm“, eine Segensformel die Muslime bei der Erwähnung seines Namens immer versuchen mit anzuführen 3 Balic,1992 4 Damalige Bezeichnung für Muslime 5 Balic, 1992 6 Ungarn umfasste damals auch die heutige Slowakei, wo es ebenfalls muslimische Einwohner gab 7 Balic, 1992 8 Zeitweise war auch Wien von Ungarn besetzt 7
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs unter anderem: Purbach am Neusiedlersee, Podersdorf am See, Gols oder Pöttsching (letzterer Name leitet sich direkt von den Petschenegen ab). In Tadten zeugt ein Gräberfeld von 35 Gräbern von dieser Besiedlung. Möglicherweise sind das die ältesten Gräber von Muslimen im heutigen Österreich. Auch in der Steiermark und in Kärnten deuten einige Ortsnamen auf die Petschenegen hin. 9 Spuren, die heute noch zu sehen sind, hat der Islam in Österreich schon damals, wenn auch in einem anderen Kontext, hinterlassen: Die Johanneskapelle in Pürgg in der Steiermark wurde von 1160 – 1165 im romanischen Stil mit Fresken ausgemalt. Im Chorbogen wurde dabei in arabischer Kufi Schrift siebenmal das Wort Allah geschrieben. So sieht dieser aus wie ein überdimensionaler arabischer Bogen im Stil des maurischen Spaniens. Auch Reliefs an der südlichen Innenwand der Kapelle dürften von der arabischen Kufi Schrift beeinflusst worden sein. Der nur mehr in Resten vorhandene Gurtebogen der Rupiertikapelle der Burg am Petersberg in Friesach (Kärnten), ist, ähnlich wie der Absisbogen in Pürgg, mit Freskomalerei aus dem 12. Jh. mit dem Wort Allah in Kufi Schrift als Ornament, ausgestaltet. 10 Noch vorhanden sind die Kufi Inschriften in der Kirche des Klosters St. Peter in Salzburg mit dem Text Elhamdulillah („Aller Dank sei bei Gott“). Kufi Schriftzeichen als Ornamente sind um diese Zeit im christlich sakralen Kontext offenbar selbstverständlich verwendet worden, findet sich diese doch in einigen Handschriften wie zB. dem Perikopenbuch von St. Erentrud, dass um 1160 im Kloster St. Peter in Salzburg entstand. Ebenfalls von dort dürfte der sogenannte Kelch von St. Peter stammen, dessen Entstehung auch um 1160-80 datiert wird. 11 Auf ihm, sowie auf der dazugehörigen Patene, ist ebenfalls ein sich wiederholendes Allah als umlaufendes Ornament eingraviert, er befindet sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien. 12 Etwas später entstand der Verduner Altar in der Stiftskirche Klosterneuburg, auf dem mehrere orientalische, von der arabischen Schrift inspirierte Ornamente (in den Kleidersäumen der Figuren) zu sehen sind. Auf der Rückseite des Verduner Altares befindet sich das Tafelbild die drei Marien am Grabe, auf dem in den Heiligenscheinen der Figuren ebenfalls arabische Schriftornamente zu sehen sind. 13 Die Verwendung der arabisch-islamischen Kufi Schrift, der Schrift in der die ersten Koranniederschriften verfasst wurden, mag wohl auf den Kulturtransfer durch die Kreuzzüge und die muslimischen Herrschaftsgebiete in Europa zurückzuführen sein. Auch in den weiteren Jahrhunderten griff man immer wieder auf die Kufi Schrift als Ornament zurück, wobei man sich vermutlich der ursprünglichen Bedeutung gar nicht mehr immer bewusst war. So sind Kufi Ornamente zum Beispiel auf einem Teppich des Erzbischofs von Salzburg, Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1519 – 1540), heute im zu sehen im Salzburg Museum in Salzburg, oder mit dem Wortlaut bi-Allah am Bahnhofsgebäude von Seekirchen (Salzburg) zu finden, das 1860 errichtet wurde 14. 9 Balic, 1992 10 Erdmann, 1953 11 ebenda 12 khm.at/objektdb/detail/96000/;2019 13 Röhring, Floridus, 2009 14 Tichy / Starley 8
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs 15 15 Abbildung aus Erdmann, Dr Kurt.: „ Arabische Schriftzeichen als Elemente der abendländischen Kunst des Mittelalters“, Verlag der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, 1953 9
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Märtyrer und Heilige Eine lange als Gründungsmythos verbreitete Legende erzählt folgendes: Bei der Belagerung der Festung Akkon (heute in Israel) kämpfte dort im Zuge des dritten Kreuzzuges, am 11. Juli 1191, der Herzog von Österreich, Leopold V. (1177 – 1194) als Heerführer. Bei besagtem Kampf trug er, wie damals üblich, einen weißen Übermantel, der aber, nach der Schlacht blutig getränkt, vollkommen rot war. Nur an der Stelle, an der er seinen Gürtel getragen hatte, war der Mantel noch weiß. Dies war so eindrucksvoll, dass man Rot – Weiß – Rot zu den Landesfarben von Österreich machte. Angeblich war der blutgetränkte Waffenrock über 400 Jahre in der Kirche Maria auf der Heyd in Maria Lanzendorf in Niederösterreich aufbewahrt worden, von wo er vor den heranziehenden osmanischen Truppen 1529 nach Perchtoldsdorf gebracht worden sein soll. In der Kirche in Maria Lanzendorf befindet ein Gemälde, dass die angebliche Schenkung des Waffenrockes von Leopold an die Kirche darstellt. Endgültig verschwunden sei der Rock dann bei der zweiten Türkenbelagerung 1683 16. Auch wenn die Legende des rot weiß rote Ursprungs der österreichischen Fahne aus historischer Sicht so nicht stimmt, sondern wahrscheinlich auf byzantinischem Ursprung zurück zu führen ist 17, erblicken wir im übertragenen Sinne nach in der Legende der österreichischen Fahne etwas, was Muslimen höchsten Respekt abnötigt: Einen Stoff, der mit Blut von Shahits getränkt ist, das heißt von muslimischen Märtyrern, die beim Kampf der Verteidigung ihres Glaubens gestorben sind. Schon beim Vater von Leopold wird sogar sein Beiname in Verbindung mit dem Islam gebracht. Heinrich II. (1107 – 1177) wird der Beiname Jasomirgott zugeschrieben, weil er den Stehsatz „So wahr mir Gott helfe“ sehr oft verwendet haben soll. Es gibt aber auch die Vermutung dass es sich um einen Verballhornung eines arabischen Ausdrucks handeln könnte 18. Ebenfalls mit dem Kriegen gegen die Muslime, den Kreuzzügen, im Zusammenhang, steht das Wappen von Wien, das vom Reichsbanner des römisch deutschen Reiches abgeleitet wurde. Dieses, in Form eines silbernen Kreuzes auf rotem Grund, entstand bei den Kreuzzügen, um die Truppen des Reiches gegen die Muslime damit zu kennzeichnen und von anderen Kreuzrittern zu unterscheiden 19. Der Gurker Dom, in dessen Krypta das Grab der Hemma errichtet wurde, zählt zu den wichtigsten romanischen Kirchenbauten Europas. Diese Krypta wird getragen und geprägt von 100 Säulen, und bietet ein Bild, das an die großen Moscheen der Frühzeit des Islam in Syrien oder Cordoba erinnert. Dies ist möglicherweise kein Zufall, immer wieder wird auf diese Ähnlichkeit der Konstruktion und des Aussehens dieser Krypta mit Moscheen verwiesen, und auch, dass dies vermutlich mit dem architektonischen Wissen zu erklären ist, dass die Kreuzfahrer aus dem Orient zurück nach Europa brachten. 20 Auch zwei Kapitelle im hinteren Bereich des Domes lassen mit ihren Stalaktiten artigen Mustern an arabische Vorbilder denken. Im Generellen regt der romanische Baustil immer wieder zu Vergleichen mit arabischer Architektur die zur selben Zeit entstanden ist, an. Als Beispiele für mehrere seien das Seitenportal der Kirche Kleinmariazell (Niederösterreich) oder Das Portal der Stiftskirche St. Peter (Stadt Salzburg) genannt. Letzteres weist auch, die für viele arabischen Portale oder Bögen typische, rötlich - graue Farbkombination der verwendeten Steine auf. Der Karner des Doms von Maria Saal, der ursprünglich ein Rundbau war, bekam später eine neuneckige Ummauerung mit Arkaden. Dieser Umbau verweist möglicherweise auch auf einen 16 austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Rot_Weiß_Rot; 2019 17 Eine andere These schreibt die „Erfindung“ von rot-weiß-rot als österreichische Wappenfarbe Herzog Friedrich II. „dem Streitbaren“ zu 18 Bruckmüller, 2019 19 austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Rot_Weiß_Rot; 2019 20 sacerdos-viennensis.blogspot.com/2014/06/am-grab-der-hl-hemma-von-gurk.html; 2019 10
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs architektonischen Einfluss aus dem Mittelalter aus dem byzantinisch/ islamischen Orient. Ein anderer Karner ist sogar auf eines der ältesten und wichtigsten Bauwerke des Islams zurückzuführen: Der Karner der Stadtpfarrkirche von Tulln (Niederösterreich), der sich wahrscheinlich in seinem elfeckigen Grundriss auf den Kettendom in Jerusalem als Ort der Rechtssprechung durch Prophet Davud / David bezieht. Der Kettendom ist eigentlich zehneckig, hat aber elf Außensäulen, deren regelmäßige Anordnung aber von der Gebetsnische unterbrochen werden und der so fälschlich als Elfeck gesehen werden kann. Er steht als „kleiner Bruder“ direkt neben dem Felsendom am Tempelberg und hat dieselbe Fundamentebene wie dieser21. Der Karner in Tulln wurde in der Regierungszeit von Friedrich den Streitbaren (1211 – 1246) erbaut. Offenbar wurde er vom selben Künstler gestaltet, der auch das schon erwähnte Portal der Kirche in Kleinmariazell errichtete 22. Die Form der blinden Bögen an der Innenmauer der Kapelle im ersten Stock des Karners, sowie am unteren Relief der Außenmauer lassen ebenfalls an orientalische Vorbilder denken. Generell ist der Einfluss der orientalischen Architektur auf die Europas, vor allem auf die Gotik, ein bedeutender. Was schon in der Romanik unter anderem mit der Doppelturmfassade und den Halbbögen samt Säulen begann, setzte sich in der Gotik mit dem Spitzbogen, dem Kreuzrippen und der Fensterrosette fort 23. Sie alle stammen aus dem arabischen Orient und beheimateten sich durch die Übermittlung der Kreuzfahrer und die islamisch beherrschten Gebieten Europas hier am Kontinent. Der in ganz West- und Mitteleuropa und damit auch Österreich verbreitete gotische Baustil, in dem unter anderem die berühmtesten christlichen Kathedralen wie Notre Dame in Paris, der Kölner Dom oder der Stephansdom in Wien, errichtet wurden, hat somit wesentliche Elemente aus dem islamisch geprägten Kulturraum übernommen 24. Fortgesetzt wurde dies in der Neogotik des 19. Und 20 Jahrhunderts in Bauten wie dem Wiener Rathaus, der Votivkirche und zahlreichen Gebäuden aus der Ringstrassenzeit. Berühmt für die Gotik sind die bunten Glasfenster. Auch die Technik zu ihrer Herstellung stammt aus dem muslimisch geprägten Kulturraum und fand seinen Weg nach Europa. 21 architekt.de/Bauwerke/felsendom.php, 2020 22 Schwarz, 2017 23 dianadarke.com/2019/04/16/the-heritage-of-notre-dame-less-european-than-people-think/;2020 24 Fry, 1982 11
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Kultur, Wissenschaft, Technik, Religion und Kaiser Die Kultur Europas, so auch die Österreichs, wurde zu einem wichtigen, jedoch oft unterschätzten Teil, vom Islam geprägt und beeinflusst. Es geschah dies vor allem in vier geographischen Räumen Europas, die alle im Laufe der Zeit zumindest partiell Teil des Reiches der Habsburger waren und damit im direkten Bezug zu Österreich stehen. Es sind dies: Die Iberische Halbinsel bis Südfrankreich, die italienische Halbinsel, der Balkan und das nördliche Osteuropa mit dem Baltikum, Polen und der Ukraine. Die Gesellschaft im Vorderen Orient zur Zeit der so benennbaren islamischen Hochkultur mit den Kalifenhauptstädten Damaskus und später Bagdad, war eine multikulturelle Hochkultur, die mit ihren Errungenschaften entscheidend die kommenden Jahrhunderte Europas und damit auch Österreichs prägte. Aus der Antike wurden wissenschaftliche und philosophische Werke übersetzt, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und die Anwendungen dieses Wissens ausgearbeitet. Gleiches geschah mit dem Wissen Indiens, Persiens, Chinas etc., kurz, mit dem aller Kulturen, mit denen der aufstrebende Islam in Berührung kam und wo in vielen Gebieten eine islamische Staatsführung entstanden war und die somit in die islamische Welt integriert wurden. Es wurde das Beste aus der jeweiligen Kultur herausgefiltert und in das große, neu Entstehende, integriert. So wurden Wissenschaften wie Medizin, Hygiene, Spitalswesen, Al- Gebra (Mathematik), Al – Chemie (Chemie), Philosophie (unter anderem die Übersetzung der Werke des Aristoteles) etc. entscheidend weiterentwickelt. Dieses Wissen gelangte über das muslimisch beherrschte Gebiet, das auch den Süden Europas, das heutige Spanien, Portugal und Teil Italiens umfasste, in den gesamten europäischen Raum, der damals vergleichsweise große Entwicklungsrückstände aufwies. 25 Später begründeten diese intellektuellen Leistungen die europäische Renaissance und Aufklärung. So war zum Beispiel bis ins 19. Jahrhundert der Kanon von Ibn´I Sina (980 - 1037) ein Standardwerk für Europäische und damit auch Österreichische Ärzte. Und wer weiß schon, dass wenn jemand in die Trafik oder ans Kiosk geht, es sich um Gebäude mit einer Bezeichnung aus dem Persischen handelt, oder dass ein Schachspieler das „königliche“ Spiel, das des Schahs, spielt? Das Wort Zucker kommt ebenso aus dem Arabischen wie Matratze. Die Zwetschke hat als Wort auch arabische Wurzeln, nämlich die syrische Hauptstadt Damaskus. Zwetschke ist eine Verballhornung von Damaszene, so benannt, weil besagte Frucht von Damaskus aus nach Mitteleuropa gelangt ist. 26 Tagtäglich verwenden wir arabische Ziffern um zu rechnen oder unsere Wirtschaft am Laufen zu halten. Selbst das Wort Ziffer hat eine arabische Wurzel, Sifr, was Null bedeutet. Die Zahl Null und deren mathematische Anwendung war sicher einer der wichtigsten Kulturbausteine, die über Vermittlung der Muslime (von Indien) nach Europa kamen. 27 Auch die Namensgebung der Europäer wurde von islamischen Namen beeinflusst, so haben der weibliche Vorname Eleonore und der daraus abgeleitete Hannelore ihren Ursprung in al-Nur, auf Arabisch das Licht. Ein weiterer weiblicher Vorname mit islamischem Bezug ist Fatima, der sich in unseren Breitengraden, aber vor allem in Spanien und Portugal, vom gleichnamigen Marienwallfahrtsort in Portugal herleitet, der wiederum seine Bezeichnung der Legende nach von einer zum Christentum konvertierten arabischen Prinzessin gleichen Namens hat. Fatima war ursprünglich der Name der Tochter des Propheten Muhammed und ist ein beliebter islamischer weiblicher Vorname. Die angebliche Zauberformel Simsalabim scheint auf eine Verballhornung der islamischen Gebetsformel und Koranvers Bismillahiramanirahim (im Namen Gottes des Gnädigen, des Barmherzigen) zurückzugehen, genauso wie Abarakadabara auf Allah hu akbar (Gott ist am größten). Das aus den spanischen 25 Hunke, 1990 26 Osman, 1982 27 Die von den Römern übernommene Mathematik kannte die Null nicht 12
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Stierkampfarenen in die heutigen Fußballstadien und anderen Massenveranstaltungen weltweit gelangte Ole! ist ein direkter Abkömmling des Rufes Allah! (Gott!) 28. Die orientalische Badekultur, die direkt von den Römern bzw. Byzantinern zu der damals neuen islamischen Hochkultur gelangte, wurde dort weiterentwickelt, und gelangte schließlich einige hundert Jahre später nach Europa, wo wir sie heute als einen selbstverständlichen Standard unserer Kultur betrachten. Sich auf die islamisch-orientalische Herkunft beziehend, errichtete man im 19. Jh. im wohl bekanntesten Kurort Österreichs, in Baden bei Wien, ein Bad im islamisch-osmanischen Stil mit Kuppeln und Halbmonden als Bekrönung, das sogenannte Ursprungsbad29. Auch das Schminken und viele Feinheiten der Körperhygiene wurden in der damaligen islamischen Kultur entwickelt, vor allem in den Damengemächern wohlhabender Familien. Auch davon profitieren die europäischen und damit auch die österreichischen Damen (und Herren) bis heute. Die im Umfeld der islamisch - mystischen Sufibruderschaften gepflegte Marmorierkunst, die auf Türkisch Ebru (Wolke) heißt, gelangte nach Italien, wo vor allem in Venedig ein europäisches Zentrum dieser Kunst entstand und von dort aus über den ganzen Kontinent verbreitet wurde. Es wurden auf diese Art bis zur Erfindung des Farbdruckes vor allem Bucheinbände und die Vorsatzblätter hochwertiger Buchausgaben hergestellt. 30 Selbst in der Praxis, der in weiten Teilen Europas, so auch in Österreich, vorherrschenden christlich- katholischen Religionsausübung, findet man islamische Einflüsse. So ist der Rosenkranz als Mantren ähnliches Gebet, das von den Betenden anhand einer Gebetsschnur abgezählt wird, direkt von der muslimischen Gebetskette mit den 99 schönen Namen für Allah übernommen worden31. Die Organisationsform und auch manche Inhalte des Franziskanerordens, vor allem des dritten Ordens, hat dessen Gründer Franz von Asissi (1182 – 1226) vermutlich von den islamisch mystischen Sufi- Bruderschaften übernommen, mit denen er in Nordafrika in Berührung kam32. Die Verehrung Marias wurde anlässlich der Kriege zwischen „christlichen“ und „islamischen“ Reichen von Seiten der katholischen Kirche stark gefördert, und Maria wurde von katholischer Seite zu eine Art Schutzheiligen für die Kreuzzüge gegen die Muslime gemacht. Dies brachte der katholischen Kirche und damit auch den Österreichern bis heute einige Marienfeiertage als Gedenktage an Schlachten in diesem Zusammenhang ein. 33 Auch der bekannteste katholische Wallfahrtsort Österreichs, steht in direktem Bezug zu dieser Art Verehrung von Maria und hat damit seine überregionale Bedeutung begründet. Nach dem der König von Ungarn, Polen und Kroatien, Ludwig I. von Anjou (1326-1382) 1377 ein osmanisches Heer besiegte, ließ er aus Dankbarkeit dafür den ersten großen Kirchenbau in Mariazell in der Steiermark errichten, von dem heute noch das gotische Portal und der Hauptturm erhalten sind. Des Weiteren veranlasste er auch den Bau der Gnadenkapelle in der Kirche, die es, später umgebaut, noch heute gibt. Ludwig stiftete auch ein Bild von Maria, das diese ihm angeblich vor der Schlacht im Schlaf auf die Brust gelegt habe nachdem er davor gebetet hatte, und das als zweites Gnadenbild in Mariazell verehrt wird. 34 35 In Wien rührt unter anderem der Name einer der wichtigsten Straßen und der eines ganzen Stadtteils, nämlich Mariahilf, aus diesem Zusammenhang. Der Anlass war die Seeschlacht von Lepanto am 7.10.1571 zwischen Osmanen und der heiligen Allianz unter Don Juan d´Austria (1547 – 28 Hunke, 1990 29 Caravias, 2008 30 Barutcugil, 1999 31 Die Muslime wiederum übernahmen die Gebetskette aus Indien 32 Baumann, 2018 33 siehe auch Anhang 2 34 Siehe auch Kapitel an der Grenze zum Orient und Eine neue Wissenschaft, ein christliches Kloster mit Minarett, der Rote Halbmond und „als Bosnien noch bei Österreich war“ sowie Anhang 2 35 pilgerzeichen.at/lexicon/index.php?entry/293-mariazell-steiermark/;2019 13
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs 1878) 36, einem illegitimen Sohn Kaiser Karl V (1500-1558), der dabei Siegreich geblieben war. Nach dieser Schlacht wurden zahlreiche Maria Hilf Kirchen errichtet, oder bereits vorhandene, in eine solche umgewandelt, wie die Maria Hilf Kirche in Mondsee (Oberösterreich) 37 Das jedem Österreicher wohl bekannte Läuten der Kirchenglocken um 12 Uhr zu Mittag, geht ebenfalls auf die kriegerischen Begegnungen osmanischer und ungarischer Heere zurück. Es wurde 1456 als Erinnerung an den Sieg des Heeres unter Janos Hunyadi (1387 - 1456) bei Belgrad über das Sultan Mehmets II. (1430 - 1481), dem Eroberer Istanbuls, von Papst Calixtus III.( 1378 – 1458) angeordnet. Jeder der das Läuten hörte, sollte daraufhin entsprechende Dankgebete abhalten. Das heute als Mittagsläuten bezeichnete Geläut hieß ursprünglich auch Angstläuten oder Türkenläuten. Dafür, und um im Bedarfsfall das Geläute als Warnung der Bevölkerung verwenden zu können, wurden vielerorts dafür eigene Türkenglocken angeschafft, eine der bekanntesten in Österreich ist die sogenannte Liesl im Grazer Uhrturm am dortigen Schlossberg. Eine andere Entstehungsgeschichte des täglichen Glockenläutens, des sogenannten dreimaligen Angelusläutens, geht auf Franz von Assisi zurück, der, inspiriert vom Gebetsruf der Muslime, etwas Gleiches und täglich Regelmäßiges für die christliche Religion einführen wollte. 38 Das weltweite Aushängeschild Wiens ist die klassische europäische Musik. Die Herkunft der entsprechenden Musikinstrumente dafür liegt zum großen Teil im islamischen Orient. So ist der orientalische al- Oud mit der Änderung des arabischen Artikels al in den, in Spanien gebräuchlichen, romanischen Artikel la, der Namensgeber für la Ud, in Folge für die Laute und damit im weiteren eine Vorläuferin der Gitarre. Die Kniespießgeige Rebab entwickelt sich in Europa zur Rabek, diese zur Fiedel und diese wiederum zur Geige. Die sich aus einer umgelegten Harfe entwickelt habende Kanun wird in Spanien zum Psalterikum, und weiter, mit einer Anspielmechanik versehen, zum Cembalo und schließlich zum Klavier. 39 Im frühen Mittelalter wurde das Heilige römische Reich (später deutscher Nation) von einem Kaiser aus der Dynastie der Stauffer regiert, der besser Arabisch als Deutsch sprach, und der mit seiner Art der Herrschaft, deren Zentrum in Süditalien lag, um Jahrhunderte die Aufklärung vorwegnahm. Er unternahm den einzigen Kreuzzug der, sehr zum Missfallen des Papstes, tatsächlich zum Erfolg führte, und das noch dazu auf unblutige Art, nämlich durch Verhandlungen: Er erreichte nämlich den freien Zugang nach Jerusalem für alle Christen zum Zwecke der Pilgerfahrt. Dies gelang, weil dieser Kaiser Namens Friedrich II. (1194 - 1250) sich auf beste Art mit dem Sultan Al Kamil Muhammed al Malik (1180-1238) von Ägypten auf Arabisch verständigen konnte, war er doch in seiner Kindheit in Palermo von islamischen Gelehrten erzogen worden. Es gibt auch die Ansicht von Geschichtswissenschaftlern, die meinen, dieser Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wäre im Geheimen Moslem gewesen, was historisch weder bestätigt, noch wiederlegt werden kann. Friedrich II. war übrigens durch Heirat seiner zweiten Frau zum Titularkönig, das heißt König ohne Reich, von Jerusalem geworden, ein Titel, der sich auf die ehemalige christliche Eroberung Jerusalems durch den ersten Kreuzzug zurückführen lässt. Die Habsburgerkaiser trugen ab Karl VI. (1685 - 1740) diesen Titel, die ihn über die Heirat erbten. Über Friedrich II. gelangte auch der Krönungsmantel der deutschen Kaiser zu den Reichskleinodien, der bis zu seinem letzten Vertreter, dem Habsburger Franz II. (1768 - 1835) bei der jeweiligen Kaiserkrönung getragen wurde. Es verwundert daher weiter nicht, dass sich auf dem Krönungsmantel des deutschen Kaisers die Inschriften auf Arabisch finden, wurde er doch von muslimischen Künstlern in Süditalien hergestellt. Heute ist dieser Kaisermantel, eines der Wichtigsten Utensilien der wichtigsten Zeremonien des Reiches, eines der Prunkstücke der Schatzkammer in der Wiener Hofburg. 40 36 Geboren und aufgewachsen in Regensburg, wo sein Geburtshaus heute noch zu besichtigen ist 37 Heiligensetzer, Reisinger, 2007 38 Baumann 39 Shakir, Stanfel, Weinberger (Hrsg), 2012 40 Horst, 1997 14
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Die Herzogswürde von Österreich hatten die Habsburger schon vor der regelmäßigen Kaiserwürde inne. Der erste Habsburger Herzog, der auch in Österreich geboren war, ist auch Gründer des Wahrzeichens Wiens, des Stephansdoms in seiner heutigen Form. Der Leichnam dieses Herzogs, Rudolf IV., der Stifter (1316 -1335), wurde nach seinem Ableben in Mailand in einen wertvollen Stoff mit islamischen Stickerei Inschriften nach Wien gebracht und auch in diesem bestattet. Dieses von Muslimen mit arabischer Aufschrift versehene Grabtuch, das einen christlichen Fürsten im Grab umhüllte, stammt aus dem persischen Kulturkreis und zählt heute zu den kostbarsten Gegenständen des Dom und Diözesanmuseums in Wien. Es ist das wichtigste erhaltene Beispiel für mongolisch- persische Textilkunst. Die Inschrift huldigt Ilchan Abu Sa´id (1305 – 1335), dem islamisch – mongolischen Herrscher über Persien.41 Ebenfalls im Besitz dieses Museums befinden sich zwei prächtige Glasamphoren, die mit kunstvollen arabische Kalligraphien und Goldornamenten verziert sind. Eine der Aufschriften bedeutet Ruhm unserem Sultan, dem Sultan, dem Sultan... Der angebliche frühere Inhalt der Flaschen, „Erde durchtränkt mit dem Blut unschuldiger Kinder“ war der Grund, warum sie durch Rudolf den Stifter als Gefäß für besagte vermeintliche Märtyrerreliquien nach Wien gelangten, ihr Ursprung aus dem islamischen Kontext dürfte in Syrien sein. 42 Auf der Nordseite des Stepahnsdoms ist eine Kanzel angebracht, die an den Prediger und Inquisitor Giovanni di Capistrano (1386 -1456), auch katholischer Schutzeiliger der Rechtsanwälte und Seelsorger, erinnert. Er war als erfolgreicher Inquisitor bei der Judenverfolgung tätig und ein charismatischer Prediger für den Kampf gegen die Osmanen. Oft predigte er am Stepahnsplatz und erzielte damit jedes Mal einen großen Publikumserfolg. Zur Glorifizierung des Sieges über die Osmanen wurde die ursprünglich hölzerne Kanzel die er verwendete durch eine steinerne ersetzt und 1727 in der jetzigen Form, Capistran triumphal auf einem gefangenen nackten Türken stehend, errichtet. 43 Noch einmal wurden die Kriege mit den Osmanen bedeutsam für den Stephansdom: Er wurde als ein Maßnahmenpaket gegen die Osmanen nach deren Eroberung von Konstantinopel, dass auch einen Kreuzzug gegen diese vorsah, 1469 zum Bischofssitz, und damit erst zur Domkirche, erklärt. Wien bildete damit, mit dem ebenfalls zu diesem Anlass zur Bischofsstadt erhobenen Wiener Neustadt, eine Art Frontlinie gegen die Osmanen. Im Zuge dieses Maßnahmenpaketes gegen die Osmanen wurde auch der St. Georgsorden gegründet. 44 41 austria-forum.org/af/AEIOU/Das_Leichentuch_von_Rudolf_IV.,2018 42 homepage.univie.ac.at/ebba.koch/14Jh/glas.htm; 2019; mündliche Information 43 Hasmann, 2011 44 erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/71015.html;2019 15
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs An der Grenze zum Orient Der Aufstieg des osmanischen Reiches ab 1291 brachte die Grenze eines Reiches mit islamischer Führung, ja mit der Regierung des Kalifen selbst, dem aus sunnitische islamischer Sicht rechtmäßigen Nachfolger des Propheten Mohammeds, als politischen Leiter aller Muslime, in die direkte Nachbarschaft der habsburgischen Länder und sehr nahe an die Grenze des heutigen Österreichs. Das Sprichwort, dass in Wien der Balkan anfängt 45 (angeblich hinter dem Rennweg, 3. Bezirk) hat wahrscheinlich mehr als ein Körnchen Wahrheit in sich. Der Großteil des Gebietes des heutigen Ungarn war zirka 150 Jahre lang ein Teil des Osmanischen Reiches. Davon zeugen heute noch unter anderem die teils noch original osmanischen Thermalbäder in Budapest, Mauerteile von zahlreichen Häusern in der Altstadt von Budapest 46 und das Grab des 1541 verstorbenen Bektashi - Scheichs 47 Gül Baba (türkisch: Rosenvater), der der Legende nach die Rosen nach Europa gebracht haben soll, am Rózsadomb (ungarisch: Rosenhügel). Es ist dies der westlichste, historische bis heute in islamischer Tradition stehende, Ort Europas. 48 Aber auch die heute als Marienkirche verwendete Moschee in Pec´ und andere architektonische Überreste sind Zeugen eines institutionalisierten islamischen Lebens auf dem Boden der ehemaligen Habsburgermonarchie. 49 Die Grenze zwischen osmanischem und habsburgischem Reich verlief Jahrhunderte lange quer über den Balkan, entlang der heutigen Grenze Kroatien – Bosnien bzw. Ungarn – Serbien, der sogenannten Militärgrenze. Auf deren beiden Seiten kam es in diesem Gebiet immer wieder zum Aufeinandertreffen der Bewohner beider Gebiete auf unterschiedliche Art, manchmal in Form kleinerer Gefechte, oft aber auch auf friedlichem Weg. Im Vergleich dieser beiden Reiche zu dieser Zeit war das osmanische Reich durchaus das mit dem größeren militärischen und wirtschaftlichen Potential. 50 Einen ersten „Höhepunkt“ der zahllosen, meist lokal begründet und begrenzten Auseinandersetzungen, auf heutigem österreichischem Gebiet, die bis dato in Form kleinerer Streifzüge, eher Kärnten, die Steiermark und möglicherweise den Salzburger Lungau betrafen, war die erste Wiener Türkenbelagerung, bei der das osmanische Heer unter der persönlichen Führung Sultan Kanuni Süleymans (Salomon des Prächtigen, 1495 - 1566), 1529 Wien belagerte. Da aber die Belagerung bereits in den Spätherbst fiel, das Wetter schlecht wurde und es wahrscheinlich mehr um eine Machtdemonstration denn um eine tatsächliche Eroberung ging, brachen die Osmanen schließlich das Unternehmen ab. Im Wienmuseum befindet sich heute die ehemalige Turmbekrönung des Wiener Stephansdomes, die zu den Zeiten der Türkenbelagerungen kein Kreuz, sondern Halbmond und Stern war! Die Symbolik von Halbmond und Stern auf der Spitze des Turmes stand ursprünglich in keinem islamischen Zusammenhang, bezog sich aber auf etwas, das auch dem Islam heute manchmal zum Vorwurf gemacht wird es angeblich nicht trennen zu können, der Vereinigung von weltlicher und kirchlicher Macht (Kaiser und Papst) 51. Da Halbmond und Stern seit den Osmanen die am meisten für den Islam verwendeten sind52, war es naheliegend, dass in zahlreichen Legenden darüber ein Bezug zum Islam 45 Angebliches Zitat von Kanzler Fürst Metternich 46 Kropf, Meyer, 1983 47 „Scheich“ in diesem Zusammenhang: Meister, Leiter einer Gemeinschaft 48 Pinter, 1997 49 Buchmann, 1999 50 Buchmann, 1999 51 Eine andere mögliche Zuordnung der Symbole ist Halbmond – Maria und Stern - Jesus 52 Weder Halbmond noch Stern sind theologisch begründbare Symbole der Religion „Islam“ , sondern wurden wahrscheinlich als byzantinische Feldzeichen von den Osmanen übernommen 16
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs hergestellt wurde, und zwar sowohl in den österreichischen, als auch in den osmanischen Erzähltraditionen. Diese Legenden haben eine heimliche Abmachung zwischen dem österreichischen König und dem osmanischen Sultan zum Inhalt, Halbmond und Stern in Wien am Stephansdom von Seiten des Kaisers zu akzeptieren, und damit eine Eroberung der Stadt zu vermeiden. So ganz unrealistisch erschien dieses Szenario tatsächlich nicht, da die Belagerung Wiens trotz drückender Überlegenheit der osmanischen Armee abgebrochen wurde und die Habsburger den Osmanen damals zu quasi jährlichen Tributzahlungen verpflichtet waren, die man aber, um dieses Wort zu vermeiden, als Ehrengeschenke bezeichnete 53. Deswegen wurde als Reaktion auf die zweite Belagerung Wiens durch das osmanische Heer diese Bekrönung abmontiert und eine Beleidigung des Sultans und Heeresführers der ersten Belagerung in den so bezeichneten Mondschein eingraviert: Eine Fingerfeige (eine Art historischer Stinkefinger) und Haec Solymanne Memoria tua Ao. 1529 54). 55 Dass es aber auch damals durchaus andere Beziehungen, als nur Kämpfe der Reiche miteinander gab, belegt der Reisebericht des berühmten osmanischen Reisenden Evliya Celebi (1611 - 1682), der zwischen den beiden Türkenbelagerungen, in Gefolge einer Gesandtschaft, Wien besuchte. Er berichtete, im Spital am Stephansplatz die gleiche Art und mit gleichen Instrumente Kranke mit Musik zu behandeln gesehen zu haben, wie er es aus seiner türkischen Heimat kenne. 56 In dieser Zeit kamen auch andere, für die Europäer und Österreicher neue Dinge von der islamisch geprägten Welt nach Mitteleuropa, wobei unter vielem besonders die Pflanzen Rosskastanie, Flieder und Tulpe zu erwähnen wären. Es war ein Österreichischer Gesandter, Ogier Ghislain de Busbecq (1522 – 1592), der die Tulpe direkt aus Istanbul mit nach Wien brachte, wo sie den Gefallen des kaiserlichen Hofgärtners, des Niederländers Charles de l’Écluse (1526 - 1609) fand. Dieser pflanzte und kultivierte die Tulpe in den kaiserlichen Gärten im Schloss Neugebäude (Wien), wo auch die beiden anderen erwähnten Pflanzen erstmals in Europa angebaut wurden.57 Als er im Jahr 1593 als Professor an die Universität Leiden, im heutigen Holland, das damals zum Habsburgerreich gehörte, ging, nahm er die Tulpe mit. Diese Blumen und damit die Tulpenzwiebeln wurden derart begehrt, dass sie zeitweise dem Wert reinen Goldes gleichkamen. Die überzogenen Spekulationen mit ihnen lösten 1637 den ersten Börsenkrach der Geschichte, die sogenannte Tulpenkrise, aus. Die Tulpe ist heute ein nationales Symbol für die Niederlande. Durch den Islam wurde Österreich um eine bis heute bestehende Volksgruppe bereichert, die ihrerseits eine muslimische Vergangenheit hat. Es ist sind dies die Rom und deren Untergruppe, die Sinti. Ursprünglich aus Indien stammend, wurden sie vom Sultan von Ghazni in Indien gefangen genommen und in den heutigen Iran verbracht. Später, unter der Herrschaft der Seldschuken und Osmanen, traten viele ihrer Sippen zum Islam über und erlangten so die Freiheit. Einige siedelten sich im europäischen osmanischen Herrschaftsgebiet am Balkan an, wo sie unter dem Namen Klein Ägypten als Volk eine Art eigenes Staatsgebilde besaßen. Sie sind heute noch im Kosovo als Balkanägypter bekannt.58 Nachdem einige ihrer Sippen auf ihrer Weiterwanderung und Vertreibung nach Westen wiederum ihre Religion, vom Islam hin zum Christentum, gewechselt hatten, siedelten sie sich im heutigen Italien und Ungarn an, von wo sie weiter in das Gebiet des heutigen Österreichs gelangten. Die Angehörigen dieser österreichischen Volksgruppe haben also vermutlich Großteils muslimische Vorfahren.59 53 Verein der geprüften Wiener Fremdenführer, 2018 54 Auch soll nach osmanischer Legende eine goldene Kugel den Stephansdom gekrönt haben, was zu der stehenden türkischen Wendung vom „Goldenen Apfel“ als Symbol Wiens führte 55 Möhring, 1983 56 Celebi, 1987 57 Infotafel Schloss Neugebäude 58 uni-regensburg.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/geschichte-suedost-osteuropa/medien/08- schmidt_balkan__gypter.pdf;2019 59 Die Furche 17
Gernot Galib Stanfel: Das islamische Erbe Österreichs Zwei weitere Male im Verlauf der jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen osmanischen und habsburgischen Reich, kamen die Armeen des Sultans bis fast vor Wien. 1532 wurden sie schlussendlich von den habsburgischen Verteidigern der Stadt Güns / Szeged, im heutigen Ungarn an der burgenländischen Grenze liegend, aufgehalten. Dennoch kamen einige Voraustruppen bis ins Alpenvorland, wo eine größere Gruppe von Akindşi in der Schlacht am Steinfeld von österreichischen Truppen geschlagen wurde. 60 Als eine weitere Türkenbelagerung könnte man die Geschehnisse am 1. August 1664, die Schlacht bei Mogersdorf (Burgenland) bezeichnen. An diese „vergessene Türkenbelagerung“ durch eine von den habsburgischen Truppen gewonnene Schlacht verhindert, erinnert in Mogersdorf selbst unter anderem die Annakapelle, die der Legende nach 1670 von Türken errichtet worden sein soll und die jedenfalls das Aussehen eines runden Zeltes hat. Es wird erzählt, dass über lange Zeit angeblich osmanische bzw. türkische Delegationen jährlich bei dieser Kapelle den Gefallenen der Schlacht gedacht haben sollen. Daneben stehen Denkmäler aus neuester Zeit, zwei von Organisationen aus der Türkei für damals gefallene osmanische Soldaten und eines gewidmet den ebenfalls beteiligten gefallenen französischen Soldaten. Im genannten Tükenfriedhof ist für die Gefallenen habsburgischen Soldaten das sogenannte Weisse Kreuz und daneben 1984 eine Gedenkstein für die gefallenen osmanischen Soldaten errichtet worden. 61 Die den Hauptplatz von Fürstenfeld in der Steiermark dominierende Mariensäule wurde an das Gedenken dieses Sieges der Habsburger Armee mit einer entsprechenden Inschrift versehen, errichtet. Die Schlacht von Mogersdorf inspirierte später den Dichter Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) zu seinem bekannten Werk Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, worin der Dichter auf seinen tatsächlich an der Schlacht teilgenommen habenden und dabei umgekommenen Vorfahren Bezug nimmt. In zahlreichen Legenden und Volksbräuchen ist das Bewusstsein der Zeit der sogenannten Türkenkriege bis heute erhalten. Viele Gelände- und Flurbezeichnungen wie Türkenschanze, Schlachtwiese, Türkenloch oder Türkengraben und zahllose mehr oder weniger schauerliche Sagen über Kämpfe, mit regulären osmanischen Soldaten oder mit den das Heer begleitenden und umherstreunenden irregulären Truppen, sind Zeugen der immer wiederkehrenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Österreichern 62. Ein Beispiel dafür ist die Sage von der osmanischen Belagerung von Graz, die, obwohl sie in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, angeblich abgebrochen wurde. Grund dafür wäre ein steirischer Kanonier, der dem Befehlshaber Ibrahim Pascha den Braten vom Tisch geschossen haben soll, worauf der Pascha aus Furcht vor den Schiesskünsten der Grazer die Belagerung aufhob. Darauf nimmt der sogenannte Türke der aus dem Palais Saurau herausragt Bezug63. Es ist dies eine offensichtlich osmanisch aussehende Figur die das fluchtartige Herausstürzen eines osmanischen Soldaten aus dem Palais darstellen soll. Tatsächlich handelt es sich um eine Figur zum militärischen Training, die aufgestellt und drehbar, zum Erlernen und Üben das Nahkampfes verwendet wurde und irgendwann zur Darstellung besagter Legende am Palais entsprechend angebracht wurde. Das Verwenden von Figuren mit osmanischem Aussehen zu Waffentrainingszwecken war durchaus üblich und es wurden entsprechende Figuren vor allem bei Reit- und Stechspielen eingesetzt. Ein im Stadtmuseum von Friesach (Kärnten) gezeigter Türkenkopf könnte solch einen Ursprung haben 64. Das so manche Sage und Legende, die von durch die Lande ziehenden Türken erzählen, nicht der Wahrheit entspricht wird klar, wenn in der besagten Gegend möglicherweise nie Osmanische Scharen durchgezogen sind. Besonders betrifft das die Steiermark 65, Kärnten und möglicherweise 60 Gerhartl, 1989 61 Peball, 1989 62 sagen.at 10.2018 und 6. 2019 63 Feichtinger / Heiss (Hrsg), 2013 64 Schweiger 65 Feichtinger / Heiss (Hrsg), 2013 18
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