Das Jahrzehnt der Innovation, der Bildung und der Forschung
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AG Bildung und Forschung der SPD-Bundestagfraktion Das Jahrzehnt der Innovation, der Bildung und der Forschung Diskussionsbeitrag zur Klausursitzung der SPD-Bundestagsfraktion am 08. und 09.01.2004 in Leipzig 0. Vorbemerkung 1. Mit der umfassenden und profilierten Ausarbeitung von Grundwerten, Projekten und Prioritäten einer sozialdemokratischen Leitlinie für Bildung und Forschung haben wir die große Chance, das Ge- samtkonzept unserer Innovationsagenda 2010 stärker in den Vordergrund der gesellschaftlichen Dis- kussion zu rücken. Diese Leitlinie muss jetzt als gemeinsame Verpflichtung für die Sozialdemokraten auf allen politischen Ebenen, von Bund, Ländern und Kommunen, von Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft, gesellschaftlichen Gruppen aufgegriffen werden. Der Prozess wird umso erfolgreicher sein, wenn er von allen politischen Ressorts unterstützt wird, wenn er mittel- und langfristig angelegt ist und wenn alle Handlungsfelder von Bildung und Forschung für gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Innovationen genutzt werden. Bildung und Forschung sind Voraussetzung für künftigen gesellschaftlichen Wohlstand für alle. 2. Mit der Prioritätensetzung der Agenda 2010 auf Innovation, Bildung und Forschung wird der Pro- zess weitergeführt und vertieft, der mit der erfolgreichen Reformpolitik der Bundesregierung seit 1998 bis hin zum Bundesparteitag im November 2003 bereits eingeleitet worden ist. Es gibt keinen Grund, die bisher schon erreichten Erfolge klein zu reden. Im Gegenteil: Die Bundesregierung und die Bun- destagsfraktion können hier für ihre Arbeit seit 1998 eine Bilanz vorlegen, die auch in der Gesell- schaft, in der Wirtschaft, in der Bildung und Forschung mit Recht viel Anerkennung gefunden hat. Es gibt zugleich viele gute Gründe, aus diesen Erfolgen seit 1998 heraus die Innovation jetzt noch umfas- sender anzulegen und die Förderung von Bildung und Forschung hierfür zu verstärken. 3. Innovationspolitik muss den Menschen dienen, Lebensqualität erhöhen, eine nachhaltige Entwick- lung befördern und Antworten auf die Frage geben, wie Wachstum und Beschäftigung langfristig ge- sichert und Chancengleichheit im Hinblick auf Arbeit, Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe realisiert werden kann. Bildung und Forschung sind hierbei zentrale öffentliche Güter. Das Innovati- ons-Jahrzehnt ist hierbei durch einen langfristig angelegten öffentlichen Diskurs zu begleiten. In die- sen Diskurs bringen wir unsere sozialdemokratische Orientierung ein, die aus unserem Selbstverständ- nis heraus immer wertorientiert, transparent in den Zielen und Mitteln und wirksam in den Problemlö- sungen sein muss. Hiermit gewinnt unsere Innovationsstrategie dann auch ihre besondere Kraft ge- genüber konservativen oder liberalen Gegenstrategien. Zu diesem offenen Diskussionsprozess legt die AG Bildung und Forschung für die Debatte innerhalb der SPD-Fraktion vor: - zwölf wesentliche Leitmotive für den Beitrag von Bildung und Forschung im Innovationsprozess; - politische Forderungen in den zentralen Handlungsfeldern aus der Sicht der AG; - organisatorische Vorschläge für eine langfristige Vertiefung der sozialdemokratischen Diskussi- on. 1
I. Die 12 allgemeinen Leitmotive Sozialdemokratische Innovationspolitik orientiert sich an folgenden Leitmotiven: 1. Die Steigerung von Lebensqualität und Nachhaltigkeit. Eine ausschließliche Fixierung auf Wachstum und Produktionssteigerung entspricht nicht unseren Grundwerten. 2. Gesellschaftspolitischer Diskurs über Wege und Ziele der Forschung. Eine Reduzie- rung der Forschungspolitik auf technologische und ökonomische Aspekte greift zu kurz. 3. Grundlagenforschung und Wissenschafts- und Forschungsfreiheit. Der unmittelbare wirtschaftliche Ertrag kann nicht das alleinige Kriterium für die Förderung von Wissen- schaft und Forschung sein – ohne Grundlagenforschung keine marktfähigen Innovationen. 4. Interdisziplinarität und Integration von Forschungsfeldern. Fachliche Fixierung und Abgrenzung verhindern innovative Entwicklungen. 5. Mehr Bildungschancen für alle und Bildungschancen ein Leben lang, um früher Se- lektion und andauernder Dequalifizierung entgegenzuwirken. 6. Recht auf Bildung und staatlich gesicherte Ansprüche an Staat und Wirtschaft. Eine Privatisierung, Kommerzialisierung und einseitige Nachfrageorientierung von Bildung lehnen wir ab. 7. Fördern und Fordern der persönlichen Potenziale. Denn mehr Eigenverantwortung kann nur wahrgenommen werden, wenn das Bildungssystem die entsprechenden Voraus- setzung bereitstellt. 8. Leistung in der Breite und Excellenz in der Spitze. Eine einseitige Fixierung auf Eli- tenbildung entspricht nicht unseren Vorstellungen von Innovation und Gerechtigkeit. 9. Durchlässigkeit und Vernetzung der Bildungs- und Forschungsinstitutionen. Ten- denzen zur Abschottung und zu institutionellem Egoismus schmälern die Leistungsfähig- keit des Bildungs- und Forschungssystems und die individuellen Bildungschancen. 10. Bildungsplanung und Bildungskooperation. Ein reiner Wettbewerbsföderalismus ohne gesamtstaatliche Bildungsverantwortung läuft dem Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse entgegen. 11. Internationalität und europäische Kooperation. Nationale Alleingänge und Abgren- zung sind nicht mehr zeitgemäß. 12. Umweltschutz und ökologische Modernisierung als Innovationsmotor. Die immer noch verbreitete Vorstellung, dass eine anspruchsvolle Politik für Umwelt und Ressour- censchutz Innovationen behindert, ist durch die auch ökonomisch erfolgreiche rot-grüne Politik der ökologischen Modernisierung eindeutig widerlegt. 2
II. Politische Forderungen in den zentralen Handlungsfeldern a) Zur stärkeren finanziellen Förderung von Bildung und Forschung 1. 3% des BIP für Forschung durch Bund, Länder und Wirtschaft im Jahr 2010, d.h. jährlich ein Plus von rund einer Mrd. Euro bei Bund und Ländern 2. Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes für 2005 ff 3. Stiftung Bildung und Forschung (4 Milliarden Grundkapital aus dem Goldvermögen der Bundesbank) 4. Novellierung der Erbschaftssteuer für Aufwuchs der Mittel für Forschung und Bildung (Länder – Anteil) im Sinne eines zweiten Generationenvertrages 5. Drastische Veränderung der EU –Haushaltsschwerpunkte ( von Agrar- und Strukturförde- rung zu Bildung und Forschung; jährlich um 3 Milliarden) 6. Bildungs- und Forschungsausgaben haushaltstechnisch als Investitionen führen und aus dem Subventionsabbau herausnehmen b) Zur Verbesserung der Strukturen in der Bildungs- und Forschungspolitik 1. Mehr Kompetenzen des Bundes in Bildungsplanung und Bildungskooperation - Sachverständigenrat Bildung - Bildungsgutachten - Bund – Länder – Bildungsplanung, Erhalt der BLK 2. Wahrnehmung der Bund – Länder – Verantwortung für Berufliche Bildung und Weiter- bildung - Novellierung des Berufsbildungsgesetzes - Ausbildungsplatzsicherungsgesetz / Umlage - Bundesrahmenkompetenz Weiterbildung (Bundesrahmengesetz) 3. gesetzgeberische Verantwortung des Bundes für die Hochschulen erhalten - Sicherung von Mindeststandards - Öffnung der Hochschulen, keine soziale Exklusion - Gleichwertigkeit in der regionalen Versorgung - Mindestkoordination in der Ressourcennutzung - gemeinsame Bund-Länder-Hochschulbaufinanzierung 4. Erhalt der Bund – Länder – Verantwortung in der Forschungsförderung 5. Ausbau der Technologiefolgenabschätzung und Chancenbewertung (auch auf europäi- scher Ebene); Forschungsdiskurse unter ethischen Gesichtspunkten 6. Verstärkung der Bildungsforschung 3
c) Zur Sicherung von Bildungsrechten 1. Verstärkung der Frühförderung zum Erlernen der deutschen Sprache für Kinder und Ju- gendliche auch von Migranten; Erhöhung der Verbindlichkeit; Sprachtests schon in der Primärbildung für alle 2. nationaler Aktionsplan „Grundbildung für alle“ - Bekämpfung des Analphabetismus - Halbierung der Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss - Ansprüche auf sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes 3. gesetzliche Sicherung eines ausreichenden Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen (Ausbildungsplatzumlage) 4. Erhalt des gebührenfreien Schulbesuches und des gebührenfreien Erststudiums 5. Sicherung der BAföG-Leistungen 6. Lösung des Problems beim studentischen Wohnraum 7. Bündelung und Erweiterung von Weiterbildungsansprüchen unter Berücksichtigung be- trieblicher, tariflicher und gesetzlicher Regelungen; Lernzeitkonto für alle, nicht nur für a- kademische Ausbildung (Beispiel Studienkontenmodell) d) Zur Qualitätsverbesserung der Hochschulbildung 1. Einführung eines Wissenschaftstarifvertrages; Reform des Besoldungsrecht 2. Fortführung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau 3. Bund-Länder-Programm zur Verstärkung von Umfang und Qualität der Lehrkapazitäten Pakt für die Hochschulen zur Verbesserung der Studienbedingungen in der Breite; Quali- tätssicherung in der Lehre durch Mindestqualifikation der Hochschullehrer in Didaktik und Methodik; Weiterbildungsverpflichtungen für Hochschullehrer 4. Spitzenförderung des Bundes für ausgewählte Hochschulen, Fachbereiche oder Institute nach Kriterien der Excellenz, der Profilbildung, der sozialen Integration, des Studium ge- nerale und der Internationalität 5. Öffnung des höheren Dienstes für Fachhochschulabsolventen 6. Ausbau des Hochschulzugangs ohne Abitur 7. Umsetzung des Bologna-Prozesses (internationale Anerkennung von Bachelor und Mas- ter, Förderung der Akzeptanz bei Staat und Wirtschaft); Reform der Studiengänge 8. Ausbau der Bildungsforschung 9. Stärkere Öffnung der Hochschulen für Weiterbildung und Qualifizierung 4
e) Zur Modernisierung der beruflichen Bildung 1. Ausbildungsplatzsicherungsgesetz 2. Berufsbildungsreform; Aufwertung der schulischen Leistungen; bessere Integration der Berufsvorbereitung; Internationalität; Verzahnung von Erstausbildung und Weiterbildung 3. Hochschulzugang ohne Abitur mit qualifiziertem beruflichen Bildungsabschluss; Gleich- wertigkeit schaffen 4. Sicherung von Fördermaßnahmen zum Nachholen von Schulabschlüssen; „Schule der zweiten Chance“ 5. Ausbildungs- bzw. Berufsvorbereitung qualifizieren durch Schaffung verlässlicher Struk- turen und Finanzierungssysteme 6. Sonderprogramme zur Integration ausländischer Jugendlicher 7. Ausbilder – Qualifizierung 8. Internationales Berufsbildungs – Marketing; Ausbildung für ausländische Jugendliche in Deutschland f) Zur Reform der Weiterbildung 1. Entwicklung einer Strategie für „Lebensbegleitendes Lernen“ 2. Bundesrahmenkompetenz Weiterbildung; Bundesrahmengesetz 3. Auf- und Ausbau von Weiterbildungsinformation und –beratung als Voraussetzung für ein nachfrageorientiertes System der Weiterbildungsfinanzierung durch Bildungsgutscheine 4. Institutionalisierung einer Stiftung Bildungstest; kontinuierliche Qualitätssicherung und Zertifizierung in öffentlicher Verantwortung 5. Bündelung und Erweiterung von Weiterbildungsansprüchen (Lernzeitkonten) unter Be- rücksichtigung betrieblicher, tariflicher und gesetzlicher Regelungen 6. Verstärkung und Systematisierung des Hochschulangebots für Weiterbildungsangebote 7. Verstetigung der Vernetzung als Konsequenz aus dem Projekt „Lernende Regionen“ 5
g) Zur Stärkung von Forschung und Entwicklung 1. Konzentration auf Kernziele staatlicher Forschungspolitik - Bereitstellung einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur - Entwicklung von Problemlösungen für gesellschaftlichen Bedarf - Förderung von Grundlagenforschung - Inhaltliche Ausrichtung auf Forschung für den Menschen/Vorsorgeforschung, For- schung für Nachhaltigkeit, Förderung von Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung, 2. Weiterentwicklung struktureller Reformen des Forschungssystems - Verstärkung der interdisziplinären Projektförderung - Sicherstellung ausreichender Kontinuität der Forschungsprogramme - Gezielte Forschungsförderung für junge Unternehmen - Verstärkte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses - Verbesserung der Kooperation von Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen 3. Problemorientierte Forschungsschwerpunkte - Vorsorgeforschung / Forschung für den Menschen (z.B. Gesundheitsforschung, Forschung zur demographischen Entwicklung, Integrati- onsforschung, Humanisierung der Arbeitswelt und Zukunft des Arbeitens) - Forschung für eine nachhaltige Entwicklung (z.B. Umweltforschung, Mobilitätsforschung, Energieforschung, Ressourceneffizienz, Friedensforschung; siehe auch „Umweltpolitische Agenda 2010“ der AG Umwelt) - Forschung für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung (z.B. Förderung von Schlüsseltechnologien; Ausrichtung auf Megatrends und Wachs- tumsfelder, Entwicklung neuer Dienstleistungen) 4. Neue Akzente im 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramm u.a. - Mitfinanzierung bei Großgeräten - Sozial- Geistes - und Bildungswissenschaften - Grundlagenforschung 5. Gesetzgebung an Nachhaltigkeit und Auslösung von Innovationen ausrichten (von Daten- schutz bis Sozialhilfe, von Telekommunikation bis Medienordnung) 6
III. Vorschläge zur Vertiefung der sozialdemokratischen Diskussion 1. Einberufung eines Bundesparteitages Bildung und Innovation / Verabschiedung eines in- novationspolitischen Programms 2. Einsetzung einer Enquete Kommission des Bundestages „Bildung für die Wissensgesell- schaft der Zukunft“ 3. Einsetzung einer Kommission „Zukunft der Bildung“ (inklusive Bildungsfinanzierung) der Partei / FES 4. Gemeinsamer Kongreß von SPD und Gewerkschaften „Qualität des Lebens 2010“ in An- knüpfung an den IG-Metall-Kongress aus den 70er-Jahren (Otto – Brenner – Kongreß) 5. Anbindung an Kristallisationspunkte der öffentlichen Debatte (z.B. Begleitung der UN- Dekade zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung mit eigenen Beiträgen) Beraten bei der Klausurtagung der AG Bildung und Forschung am 07.01.2004 7
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