Handelsmarken im B2B - Kannibalen im eigenen Lager? - Studie zum Stimmungsbild bei Markenherstellern im B2B-Bereich am Beispiel Bauindustie
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Marketing Management Handelsmarken im B2B - Kannibalen im eigenen Lager? Studie zum Stimmungsbild bei Markenherstellern im B2B-Bereich am Beispiel Bauindustie - Dr. Karl-Heinz Sebastian Dr. Rainer Elste www.simon-kucher.com
H andelsmarken sind uns in der Vergangenheit bei Konsumgütern begegnet. Ob Kartoffel- Chips von Aldi, hinter denen Bahlsen steckt, oder Henkel als Waschmittellieferant für Schlecker: hinter den Marken des Einzelhandels stehen häufig namhafte Hersteller. Jedoch auch in den Business-to-Business Segmenten treffen Verarbeiter und Endkunden immer häufiger auf Alternativen ihrer Fachhändler, hinter denen ebenfalls andere Hersteller stecken. Diese Hersteller können renommierte Markenhersteller sein. Der Handel bezieht dabei seine Produkte mithin von verschiedenen Herstellern. Um die Entwicklung der Hausmarken des Handels aus Sicht der Markenhersteller besser beurteilen zu können, hat Simon-Kucher & Partners 50 Top-Entscheider (C-level, Inhaber, Geschäftsführer, Vertriebsleiter) von namhaften Herstellern der deutschen Baubranche u.a. in den Segmenten Baustoffe und -materialien (Grundstoffe, Bauchemie, Steine, Wand etc.) und Bautechnik (Isolation, Abwasser, Bad &Sanitär, Böden, Ausrüstung etc.) befragt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Karten im Wettbewerbsspiel der Branche völlig neu verteilt werden. „Die Handelsmarke wird zum größten Wettbewerber“ Am Anfang war die Versuchung groß: Händler, die sich erodierenden Margen aufgrund gnadenloser Preiskämpfe mit Wettbewerbern ausgesetzt sahen; im Extremfall schlichtes ‚Durchreichen’ von einzelnen Produktkategorien, um über andere noch etwas Marge zu erzielen. Produzenten mit überbordenden Produktionskapazitäten, die nach Absatzmöglichkeiten suchten. Steigende Vertriebs- und Marketingkosten auf www.simon-kucher.com 2
Herstellerseite, die den Ruf nach alternativen Vertriebskonzepten stärker werden ließen. All diese Ursachen sind Auslöser von Handelsmarken. Haben sich Hersteller und Handel hier in eine Sackgasse verrannt und sind Handelsmarken zu Kannibalen vor den eigenen Toren geworden? Eines der Kernergebnisse der Studie ist die zunehmende Bedeutung von Handelsmarken: Während heute der ” Marktanteil von Handelsmarken von den Befragten auf Die Handels- etwa 12% eingeschätzt wird, wird er sich in absehbarer marken werden Zeit mehr als verdoppeln. 84% gehen davon aus, dass der zur zweit- Handel seine Eigenmarken weiter forcieren wird. stärksten Kraft Diffuser sind den Befragten jedoch die Konsequenzen aus im Markt. der Forcierung der Handelsmarken: Die Frage, ob die Handelsmarken eher die Dritt- und Viertmarken ” verdrängen und die Premiummarken sogar stützen, wird ja nach Erfahrung in der Zusammenarbeit mit dem Handel unterschiedlich gesehen. Diejenigen Unternehmen, die bereits für Handelsmarken produzieren, sehen die Chance der Konsolidierung und damit Stärkung der Marktführer (50% Zustimmung). Die jeweiligen Marktführer und die Unternehmen, die noch keine Handelsmarken liefern, befürchten hingegen eine Kannibalisierung für die jeweils führenden Marken (53% respektive 55% Zustimmung). www.simon-kucher.com 3
„Der Handelsmarkendruck ist hausgemacht“ Selbst die Markenhersteller geben zu, dass die Handelsmarken grundsätzlich eine ‘Gut-Genug-Qualität’ bieten (42% Zustimmung bei 16% Ablehnung). Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass nach Ansicht der Befragten diese vielfach von den Premiummarken- ” anbietern selbst hergestellt werden (47%). Erst durch die Mehr als ein Drittel dahinterstehende Qualität und die Reputation des aller renommierten Absenders, die sich offensichtlich vor dem Endkunden Hersteller beliefert bzw. Verarbeiter nicht verbergen lässt bzw. sogar noch schon heute den betont wird, haben für die ‚Hoffähigkeit’ von Handel mit Handelsmarken gesorgt (60%). Schon heute gibt mehr als Handelsmarken- ein Drittel der Befragten an, für Handelsunternehmen produkten Produkte unter anderem Namen zu liefern (s. Abbildung ” 1). Weitere 5% planen, dies in Zukunft zu tun. Ein Viertel schließt dies kategorisch auch für die Zukunft aus. Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Einsatz von Zweitmarken. Nur sogenannte Less Expensive Alternatives (LEA), also abgespeckte Produkte in Einstiegspreislagen, werden mit 34% noch seltener eingesetzt. ja 37% 39% 34% 2% geplant 5% 3% 30% nein 24% 24% keine Angabe 34% 34% 34% Handelsmarken Zweitmarke LEA Abbildung 1: Herstellung von Produkten für Handelsmarken www.simon-kucher.com 4
Ein wesentlicher Grund, warum Markenhersteller Handelsmarken beliefern ist der Mengendruck, der auf der Produktion lastet. Handelsmarken bieten den Herstellern die Möglichkeit, opportunistisch Mengen abzusetzen (68% Zustimmung). „Handelsmarken = Preisfalle für Handel und Industrie?“ Die Preise der Handelsmarken sind nach Aussage der Befragten im Schnitt etwa 27% unter denen der Premiummarken angesiedelt, wobei die Spanne von 5 bis 50% sehr groß ist. Vor allem bei den Marken, die in ihren Segmenten führend sind, liegt der Wert mit 30% Abstand zu den Handelsmarken noch höher als bei Dritt- und Viertmarken (24% Unterschied, s. Abbildung 2). 100 92 73 Preisniveau Premium- Dritt- und Handels- marke Viertmarke marke Abbildung 2: Preisniveau der Handelsmarken gegenüber Premium- und Folgermarken ” Handelsmarken vernichten die absolute Marge Der Nutzen dieser Positionierung liegt klar auf Seiten der Verarbeiter und Endkunden, denn: 1. der Preiswettbewerb ist im Markt durch Handelsmarken weiter gestiegen (79% Zustimmung) der Händler 2. der Handel kann durch die Preisstellung seiner Marken ” seine Marge prozentual verbessern (70%). Absolut bleibt jedoch nicht unbedingt mehr übrig (nur 34% Zustimmung), was die Frage nach der ökonomischen Sinnhaftigkeit derart niedriger Preise stellt. Aus Sicht des Handels ist anzuführen, dass über www.simon-kucher.com 5
Handelsmarken die Wertschöpfung stärker in der eigenen Hand liegt. Dies hat jedoch auch zur Folge, dass Händler einen Teil der Verpflichtungen wie Abnahmemengen, Herstellergewährleistung, Sortimentspflege etc. mittragen. Diese Kosten sind dem Wertschöpfungsbeitrag abzuziehen. Ein zentraler Grund, warum sich Handelsmarken trotz häufig niedriger absoluter Marge dennoch rechnen, ist die Chance, limitierte Budgets der Auftraggeber auf sich zu vereinen und entsprechend mehr Aufträge zu gewinnen. Dennoch stellen Handelsmarken eine weitere Entwicklungsstufe im steigenden Preiskampf dar. Schließlich fragt nach den Ergebnissen der vorliegenden Studie auch der Endkunde nicht aktiv nach Handelsmarken. Nur 24% der Befragten (bei technischen Gütern nur 19%) glauben an einen solchen Pull-Effekt seitens der Kunden. Die jeweiligen Marktführer glauben gar nicht an diesen Nachfragesog (76% Ablehnung). Vielmehr werden den Kunden die Produkte mit Hinweis auf den Preisvorteil offensiv angeboten. 40% der Befragten glauben denn auch, dass Handelsmarken den Niedergang der Preise und Margen bedeuten. „Die ‚Schlange vor dem Kaninchen’ – kooperieren oder attackieren?“ Die Markenhersteller haben zwar nicht vor, die Handelsmarken in ihrer Entwicklung zu ignorieren (73%). Jedoch sind sich die Befragten uneins, ob sie den Handel in seinem Vorstoß in Richtung Handelsmarken unmittelbar attackieren wollen (41% Zustimmung zu 39% Ablehnung). www.simon-kucher.com 6
Zusammenfassend ergibt sich vereinfacht folgendes Bild: attackieren abwarten kooperieren Abbildung 3: Verhaltensmuster der Hersteller Ungefähr jeweils ein Drittel der Befragten plant die Entwicklung abzuwarten, mit dem Handel zu kooperieren oder ihn direkt zu attackieren (s. Abbildung 3). Gleichzeitig gilt es, die eigene Position zu sichern. Die Notwendigkeit, die Pull-Wirkung im Markt für die eigene Premiummarke zu stärken, sehen 81% und planen, die Präferenzen bei Verarbeitern zu stärken. Hierfür sehen die Befragten folgende notwendigen Anstrengungen: ” Die Industrie reagiert mit konventionellen Mitteln auf die das Innovationstempo erhöhen (87%) den Markenwert steigern und damit den Geräuschpegel "auf allen Kanälen“ erhöhen (84%) Forcierung von Produktsystemen (Produkte, Herausforderungen Komponenten, Services) (76%) der Handels- marken Als wenig wirksam werden dagegen folgende Maßnahmen ” angesehen: preiswerte Markenalternativen einführen bzw. neue, abgestufte Preislagen schaffen (37%) Garantien in Laufzeit und Umfang erweitern (34%) durch Co-Branding zusammenarbeiten (16%) durch Produktion/Lieferung einer "Premium"- Handelsmarke kooperieren (11%) In Bezug auf die Vertriebskanäle planen die Befragten, auf allen Ebenen aktiver zu werden: Zum einen befürworten sie, durch "händlerspezifische Category-Programme" die www.simon-kucher.com 7
Exklusivität des jeweilig selektierten Handelspartners zu stärken (42%). Nur 38% der Hersteller technischer Produkte im Baubereich planen, alternative Vertriebskanäle (Direkt-, Internetvertrieb, Fachmärkte) zu öffnen. Aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Marktpositionen sieht dieses Bild anders aus: Die jeweiligen Marktfolger suchen ihr Heil deutlich stärker als die Marktführer in alternativen Vertriebskanälen (57%). Zusammenfassend kann man diese Strategien wie folgt charakterisieren: „Tue das Eine ohne das Andere zu lassen“ – mit einer Mehrwertstrategie soll die eigene Position insbesondere bei den Verarbeitern und Endkunden gestärkt werden. „Schuster bleibe bei Deinen Leisten“ – keine Experimente mit neuen Marketing- und Vertriebsstrategien, kein Risiko eingehen. Bei Preisreaktionen auf die Handelsmarken scheint es, als verhalten sich die Markenhersteller so diszipliniert, dass sie sich auf keinen ruinösen Preiskampf mit den Handelsmarken einlassen wollen. Nur 11% der Befragten geben an, den Preisabstand zu Handelsmarken reduzieren zu wollen. Bemerkenswert ist jedoch, dass diejenigen Unternehmen, die erst einmal die weitere Entwicklung der Handelsmarken abwarten wollen, insbesondere durch eine Veränderung der Preisoptik reagieren, in dem sie Produkte, die im direkten Preisvergleich stehen, im Preis senken und Preise für weniger gefragte Produkte anheben wollen (71% Zustimmung). www.simon-kucher.com 8
Zusammenfassung Der Sündenfall musste passieren: Einmal mit Handels- marken begonnen ist der Trend nicht mehr umkehrbar. Hauptverursacher sind jedoch die Hersteller selbst, die für eine ‚Gut genug’-Qualität sorgen und häufig erkennbar hinter den Handelsmarken stecken. Hierdurch beschleu- nigen sie selbst die Spirale aus Innovationen, Übertragung auf Handelsmarken und Preissenkungen. ‘If you can’t beat them join them’. Nach diesem Motto verfährt die Markenartikelindustrie in der Baubranche, um die richtigen Antworten auf die Fragen zu finden, die die Handelsmarken aufwerfen. Wenn alles so kommt wie die Befragungsergebnisse vermuten lassen, ergeben sich folgende Einsichten und Schlussfolgerungen: 1. Mittlerweile haben sich Handelsmarken auch in B2B- Branchen etabliert 2. Der Druck steigt weiter an: geringe Handelsmargen, zu hohe Produktionskapazitäten, Mangel an Innovationen 3. Die Handelsmarken werden zum größten Wettbewerber 4. Der Wettbewerb dreht sich: vom Wettbewerb der Markenhersteller zum Wettbewerb austauschbarer Produktlieferanten 5. Industrie und Handel sitzen in der Preis- und Margenfalle 6. Die Reaktion der Markenhersteller ist ambivalent: abwarten, kooperieren, attackieren 7. Die Hersteller wollen ihre eigene Position mit Mehrwertstrategien stärken 8. Neue Wege der Vermarktung werden dabei nicht beschritten 9. Preiskriege sind nicht zu erwarten 10. Der Spagat droht: am Ende überleben nur Premium und Billig www.simon-kucher.com 9
Ausblick und Empfehlungen Hatte Peter Körfer-Schün (ehemaliger CEO von Friedrich Grohe) Recht, als er plakativ von einem ‚vagabundieren- den Markenproletariat’ sprach? Der Handel macht ernst und baut aus Sicht der Industrie seine Position mit Eigenmarken so stark aus, dass einige Dritt- und Viertmarken verdrängt werden. Die Konsumgüterbranche hat die zu erwartende Entwicklung der Handelsmarken vorgemacht: in Deutschland liegt der Handelsmarkenanteil bei etwa 40%, in Großbritannien sogar bei fast 50%. Nur emotionale Segmente wie Parfums und in Bereichen, in denen noch volle Kontrolle über die Vertriebswege vorherrscht wie bei PKW’s, sind ‚handelsmarkenfrei’. Wie ist auf die Entwicklung der Handelsmarken herstellerseitig zu reagieren? 1. ‚Rekord-Rüsten’: schneller = Innovationstempo erhöhen besser = wahrnehmbar die Produktleistung verbessern stärker = Marken stärken und vom Wettbewerb differenzieren 2. Vermarktungskonzepte jenseits der Konventionen: fallweise Direktvermarktung (z.B. Abholgeschäft mit Ergänzungssortimenten) ‚shop-in-shop’ Ansätze (Vermarktung im Namen der Händler, jedoch in Eigenregie zu verbesserten Konditionen) eigene Zweitmarken, Less Expensive Alternatives und Einstiegsvarianten 3. Wenn schon kooperieren, dann richtig: wahrnehmbar qualitative Differenzierung der Handelsmarken: ‚was günstiger ist muss auch weniger leisten’ klare organisatorische Trennung des Handelsmarkenbereichs: ‚wer heute nur Premium kann, kann nicht morgen auch Billig’ 4. Erschließung weiterer Segmente: starke Marken können eher auf andere Produktsegmente und Anwendungen ausgedehnt werden als schwache 5. Für Dritt- und Viertmarken: ‚nur die Nische zählt’: auf Spezialitäten fokussieren, Vertriebspartner ohne Zugang zu Handelsmarken binden www.simon-kucher.com 10
Dr. Karl-Heinz Sebastian ist Senior Partner bei SIMON KUCHER & PARTNERS, Strategy & Marketing Consultants. Er leitet das Kompetenzzentrum “Bau & Chemie”. Er ist auf die Entwicklung und Umsetzung von Marketingkonzepten und Preisstrategien spezialisiert. Dr. Rainer Elste ist Director bei SIMON KUCHER & PARTNERS, Strategy & Marketing Consultants. Er ist im Kompetenzzentrum “Bau & Chemie” verantwortlich für Marketing-, Marken- und Kommunikationsstrategien. Köln, März 2010 SIMON KUCHER & PARTNERS Strategy & Marketing Consultants Büro Köln: Gustav-Heinemann-Ufer 56 D-50968 Köln Telefon ++49-221-36794-400 Telefax ++49-221-36794-498 E-mail karl-heinz.sebastian@simon-kucher.com rainer.elste@simon-kucher.com www.simon-kucher.com 11
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