Das schamanische Weltbild als archaische Form des Konzepts "ökologische Ökonomie"

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Arbeitspapier 79/2003

Fachhochschule Hannover
Fachbereich Wirtschaft

                                  Alexander Zick

              Das schamanische Weltbild als
              archaische Form des Konzepts
                 "ökologische Ökonomie"

                   Hrsg. von Dipl. Volkswirt Prof. Dr. Inse Cornelssen

            Arbeitspapier Nr.79/03 des Fachbereichs Wirtschaft der FH-Hannover
                                  ISSN Nr. 1436-1035 (print)
                                ISSN Nr. 1436-1507 (internet)
-II-

INHALTSVERZEICHNIS

Tabellenverzeichnis........................................................................III

Einleitung .........................................................................................1

1.    Kurze Einführung in das schamanische Universum .............2
1.1. WAS SIND SCHAMANEN?................................................................2
1.2. SEELENREISEN ..............................................................................3
1.3. DIE SCHAMANISCHE KONZEPTION DES UNIVERSUMS .........................4

2.    Das Weltbild des Holismus ......................................................6
2.1. DEFINITION ....................................................................................6
2.2. ABGRENZUNG ZUM WESTLICHEN WELTBILD .....................................6
2.3. BEISPIELE AUS DER WISSENSCHAFT ...............................................9

3.    Holistisches Weltbild heute – Konzept „ökologische
      Ökonomie“...............................................................................12
3.1. ENTSTEHUNG ..............................................................................12
3.2. DEFINITION ..................................................................................14
3.3. NEOKLASSISCHE ÖKONOMIE – ÖKOLOGISCHE ÖKONOMIE ..............15

4.    Gegenüberstellung der Sichtweisen des Schamanismus
      und des Konzepts der ökologischen Ökonomie .................19

Zusammenfassung ........................................................................21

Schrifttumsverzeichnis .................................................................23
-III-

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Charakteristika des schamanischen Weltbilds ..................5
Tabelle 2: Vergleich der Sichtweisen in der neoklassischen und
           der ökologischen Ökonomie ...........................................17
Tabelle 3: Vergleich zwischen Schamanismus und ökologischer
           Ökonomie .......................................................................20
Einleitung

„Wie wir in die Welt gehören, ist ein vergessener Traum.“1

Die alte Frage nach der rechten Lebensordnung muss in der
gegenwärtigen Naturkrise wieder neu gestellt werden. Der
Wissensstand explodiert gerade in den letzten Jahrzehnten mit hoher
Geschwindigkeit. Dennoch scheinen Menschen nicht fähig zu sein, so
zu handeln, dass auch künftige Generationen ihr Dasein noch als
lebenswert empfinden.2

Die Grenzen des Wachstums sind seit langem ausgereizt,
Klimaveränderungen          aufgrund   anthropogener     Einflüsse
wissenschaftlich fast nicht mehr widerlegbar, Bodenerosion und –
degradation oft durch Agrarchemie, also durch Produkte jüngsten
menschlichen Wissens verursacht; die Menschen wissen auch, was
zu tun wäre, um global zu einem nachhaltigen Lebensstil zu finden.
Doch die praktischen Schritte, das tägliche Handeln, hinken den
Einsichten weit hinterher.3

Da die Dekadenz der westlichen Zivilisation immer deutlicher sichtbar
wird, wenden sich viele Menschen der heutigen Industriegesellschaft
den alten Kulturen zu.4 Sie sehen ein, dass sie Hilfe und Führung
brauchen, um die Harmonie mit der Natur, der Erde und mit sich selbst
wiederherzustellen.

Der Schamanismus ist die älteste Methode, das menschliche
Bewusstsein für die Lösung von Problemen einzusetzen. Dieses alte
Wissen ist unbewusst in jedem Menschen vorhanden und zugänglich.
In der vorliegenden Hausarbeit wird der Versuch unternommen, zu
zeigen, wie die Denk- und Handlungsweise der Schamanen mit dem
Konzept der ökologischen Ökonomie in eine Wechselbeziehung
gebracht werden kann. Im ersten Kapitel erfolgt zunächst eine
Einführung in das schamanische Universum. Es soll deutlich gemacht
werden, dass im Schamanismus Geist und Natur eine Einheit bilden.
Auf diese als Holismus bezeichnete Sichtweise der Ganzheit wird im
zweiten Kapitel ausführlich eingegangen, das als Brückenschlag zur
ökologischen Ökonomie als Thema des dritten Kapitels dienen soll. Im
vierten Kapitel soll durch eine Gegenüberstellung verdeutlicht werden,
dass das schamanische Modell eines Weltbildes durchaus dazu
dienen kann, das heutige rationalistisch geprägte Weltbild zu
hinterfragen, es zu ergänzen und sogar ihm ein Vorbild zu sein. Eine
Zusammenfassung schließt die Arbeit ab.

1
   Meyer-Abich, K. M.: Praktische Naturphilosophie: Erinnerung an einen
   vergessenen Traum, 1997, S. 276.
2
  Vgl. Gottwald, F.-T.: Hören, Wissen, Handeln – Schamanische und tiefenökologi-
   sche Anregungen für eine konviviale Wissenschaft, in: Schamanische Wissen-
   schaften: Ökologie, Naturwissenschaft und Kunst, 1998, S. 11.
3
  Vgl. ibid.
4
  Vgl. Meyer-Abich, K. M., a.a.O.
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1. Kurze Einführung                         in     das        schamanische
   Universum

Schamanismus ist in der westlichen Welt zu einem Zauberwort
geworden. Schamanen sind sowohl Ärzte, Priester, Sozialarbeiter als
auch Mystiker. Sie wurden als Geisteskranke bezeichnet, waren durch
die Geschichte hindurch Verfolgungen ausgesetzt, wurden in den
1960er Jahren als Phantasieprodukt anthropologischer Vorstellungen
abgetan und sind heute wieder so modern, dass sie intensive
akademische Debatten auslösen.5

Im Folgenden werden der Begriff „Schamane“ definiert, auf die
Besonderheit der Seelenreisen eingegangen und die schamanische
Konzeption des Universums erläutert.

1.1. Was sind Schamanen?

„Der ... Terminus Schamane ist mandschu-tungusischen6 Ursprungs
und gelangte über das Russische in den ethnologischen Wortschatz.
Das ursprüngliche tungusische Wort ëaman (xaman) leitet sich von
dem Verb scha-, wissen, her, schaman heißt also jemand, der weiß,
wissend, ein Wissender ist.“7

Der Schamane ist ein Mensch, der in einem veränderten
Bewusstseinszustand außerhalb von Raum und Zeit ist.8

Kulturanthropologen sehen im Schamanismus eine Vorstufe zu den
institutionalisierten Religionen.9 Der Schamanismus ist jedoch streng
genommen keine Religion, sondern ein Ganzes von ekstatischen und
therapeutischen Methoden, die alle das Ziel verfolgen, den Kontakt
herzustellen zu jenem anderen parallel existierenden, jedoch
unsichtbaren Universum der Geister, um deren Unterstützung für die
Besorgung der menschlichen Belange zu erwirken.10

5
   Vgl. Vitebsky, P.: Schamanismus: Reisen der Seele – Magische Kräfte – Ekstase
    und Heilung, 2001, S. 10.
6
   Sprache (Mandschurei: nordostchinesisches Tiefland; Tunguse: Angehöriger eines
    sibirischen Volksstammes).
7
   Hoppál, M.: Schamanen und Schamanismus, 1994, S. 11.
8
   Vgl. Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, 2001, S. 5.
9
     Vgl. o. A.: Der Flug des Kondors – Zeitgenössisches Schamanentum,
    http://www.kondor.de/shaman/schamanismus.html , 1999.
10
   Vgl. Hoppál, M., 1994, S. 8.

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Schamanismus ist als Phänomen bereits sehr alt. Höhlenzeichnungen
lassen darauf schließen, dass sich in den Jägerkulturen des späten
Paläolithikums11 durch soziale Funktion und Arbeitsteilung in kleineren
Gruppen der Wirkungskreis eines intellektuellen Anführers
entwickelte.12

1.2. Seelenreisen

In der prähistorischen Zeit war der Animismus für die Jägerkulturen
kennzeichnend. Im Animismus ist die gesamte Natur von Geistern
beseelt.

Nach schamanischem Denken bedeutet „Geist“ das „Wesenhafte“ der
Erscheinungen, das, was ein Tier zum Tier, ein Werkzeug zum
Werkzeug macht. Geist kann aber auch Bewusstsein bedeuten: jede
Kreatur, Bäume, Berge und Werkzeuge können ein dem menschlichen
Bewusstsein ähnliches Seinsgefühl besitzen. Trotz dieser Empfindung
von Einheitlichkeit besteht eine deutliche Individualität. Es existieren
diverse Geister mit eigenen Erscheinungsformen, Namen und
Qualitäten.13

„Schamanische Logik beginnt bei der Idee, dass die Seele den Körper
verlassen kann. Das geschieht jedem, der stirbt, jedoch zeigt die
Erfahrung der Träume, dass die Seele sich unabhängig vom Körper
bewegen kann, ohne den Tod zu verursachen.“14 Diese Seelenreisen
sind notwendig, um Kontakt mit den Geistern aufnehmen zu können.
Praktisch vollzieht es sich mit Hilfe eines ekstatischen Zustands, den
die Schamanen durch verschiedene Methoden hervorrufen können:
durch Atemtechniken, Fasten, rhythmische Stimulation (Trommeln,
Rasseln, Tanzen), die Einnahme geistbewegender Substanzen
(Tabak, Fliegenpilz, Peyote usw.) oder aber durch kontemplative15
Methoden wie beispielsweise die Konzentration auf bestimmte
Kraftobjekte.16

Häufig geschehen solche Reisen im Auftrag der jeweiligen Gemeinden
zum Zwecke der Krankenheilung, um das Jagdglück zu beeinflussen
oder um in die Zukunft zu sehen. Den Schamanen kommen dabei ihre
speziellen Kenntnisse über die Seele zu Gute: Nur sie können die

11
   Paläolithikum: Altsteinzeit.
12
   Vgl. Hoppál, M., 1994, S. 13.
13
   Vgl. Vitebsky, P, 2001, S. 12f.
14
   Ibid., S. 13f.
15
   Kontemplativ: besinnlich.
16
   Vgl. Rosenbohm, A.: Schamanen: zwischen Mythos und Moderne, 1999, S. 7f.

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Seele sehen und greifen. Wenn jemand krank ist, weil er seine Seele
verloren hat, bringt der Schamane sie ihm zurück. Die Seelen der
Toten geleitet er ins Jenseits. Bei Opferungen bringt er die Seelen der
geopferten Tiere dem betreffenden Geist dar.17

Die Seelenreise war die Quelle für den Glauben, der Mensch habe
zwei Seelen: die eine steht mit dem Körper, dem Leben in Verbindung
und verlässt den Körper erst mit dem Tod; die andere nimmt man
wahr, wenn sie sich im Zustand des Schlafes bzw. der Ekstase
entfernt.18

1.3. Die schamanische Konzeption des Universums

Die Denkweise der Schamanen ist durch eine besondere Weltsicht
charakterisiert, die den Menschen als Teil des Kosmos begreift und
die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur in den
Mittelpunkt des Interesses rückt, die die Idee der Identität von Mikro-
und Makrokosmos beinhaltet: von Mensch und Universum.19
Schamanen nehmen vor allem Vermittlerfunktionen zwischen
Diesseits und Jenseits, Menschen und Geistmächten, Lebenden und
Toten (Ahnen) wahr. Das ist existenzunabdinglich, da die Welten ein
komplementäres Ganzes bilden, Wohl- und Fehlverhalten in ihren
Auswirkungen niemals lokal auf eine beschränkt bleiben, sondern
immer die anderen, das heißt die gesamte Natur mitaffizieren.20

Im Schamanismus ist Wissenschaft nur ein Erklärungsfaktor unter
vielen. Sie steht mit anderen Erklärungsfaktoren in Beziehung, um
Phänomene verschiedener Wissensebenen und miteinander
verknüpfte Formen menschlicher Erfahrung, Wahrnehmung und
Gefühle zu begreifen.21

Obwohl die Schamanen das Universum als gewaltig und rätselhaft
begreifen, ist es für sie zugleich ein personifizierter Kosmos (vgl.
Kapitel 1.2). Auch der Kosmos, in seinen Teilen wie als Ganzes,
verfügt nach diesen Vorstellungen über einen Willen, ein Bewusstsein
und über Empfindungen. Alle Erscheinungen dieses schamanischen
Universums beeinflussen sich gegenseitig in unterschiedlichem Maße

17
   Vgl. ibid., S. 8.
18
   Vgl. Hoppál, M., 1994, S. 13.
19
   Vgl. Rosenbohm, A., 1999, S. 11.
20
   Vgl. Müller, K. E.: Schamanismus: Heiler, Geister, Rituale, 2. Aufl. 2001, S. 19.
21
   Vgl. Reichel D., E.: Die Öko-Politik im Schamanismus der Yukuna und Tanimuka
    vom nordwestlichen Amazonas, in: Schamanische Wissenschaften: Ökologie,
    Naturwissenschaft und Kunst, 1998, S. 27.

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und mit unterschiedlicher Kraft.22 Der Schamanismus bietet die
notwendige Verbindung zur Erde, zur ursprünglichen, lebendigen Erde
(die Erde begriffen als Lebewesen), zum Lebensraum, in dem der
Mensch nur eine der Möglichkeiten ist. Der Schamanismus vertritt
keinen Anthropozentrismus. Der Schamane arbeitet für eine
harmonische, friedliche Welt von Mensch und Natur bzw. der Akzent
ist umgekehrt: Natur und Mensch. Die Natur braucht den Menschen
nicht, aber der Mensch braucht die Natur.23

Auf diese Sichtweise, die als Holismus bezeichnet wird, wird im
folgenden Kapitel näher eingegangen.

Der Schamane teilt die Welt in drei Ebenen. Das mittlere Reich, „... in
dessen Mitte, im Nabel der Erde, ein riesiger Baum aufragt ...“24, ist
das des menschlichen Lebens auf der Erde. „Es ist das einzige Reich,
das den Gesetzen der linearen Zeit und des dreidimensionalen
Raumes unterliegt.“25 Die obere und die untere Welt, die Welt der
Geister, zerfällt in weitere Schichten.26 Die Verbindungsachse dieser
Welten wird meist als Weltenbaum gesehen, dessen Krone in die
Oberwelt reicht, der Stamm befindet sich in der Mittelwelt, in der die
Menschen leben, und die Wurzeln verästeln sich in der Unterwelt.
Zugleich verbindet der Weltenbaum Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft miteinander. Er wird gleichsam zum Weg des Schamanen,
über den er die anderen Welten aufsucht.27

Die folgende Tabelle stellt die Charakteristika des schamanischen
Weltbilds zusammengefasst dar:

        Tabelle 1: Charakteristika des schamanischen Weltbilds
Ziel                                         Gleichgewicht des Physischen, des
                                             Verstands, des Herzens, des
                                             Geistes und der Seele / Seelenheil
Weltsicht                                    holistisch
Entstehungsort einer Idee                    außerhalb des Individuums
Ganzheitlichkeit                             v.a. von Natur und Geist
Vorhersagbarkeit                             nicht gegeben
Anwendungsbereich                            keine eindeutige Festlegung, v.a.
                                             Medizin
Individuum                                   Teil    des    Universums,     keine
                                             anthropozentrische Sichtweise
                                Quelle: eigene Darstellung

22
   Vgl. Rosenbohm, A., 1999, S. 7.
23
   Vgl. Matzker, W. E.: http://www.visionhill.de/wolf/texte.html , 2001.
24
   Hoppál, M., 1994, S. 15.
25
   Bodogh, M.: Die Schamanen,
    http://www.esotericpark.de/esoterik/schamanen/schamanen.html
26
   Vgl. Hoppál, M., 1994, S. 15.
27
   Vgl. Kofink, T.: Schamanen: Mittler zwischen den Welten,
    http://www.tacansina.de/schamanen.htm , 1999.

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2. Das Weltbild des Holismus

Im vorigen Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass dem
schamanischen Weltbild der Gedanke des Holismus zu Grunde liegt.
Nachfolgend wird dieser Begriff definiert und eine Abgrenzung zum
westlichen Weltbild vorgenommen. Das Kapitel schließt mit
historischen Beispielen, um die Bedeutsamkeit des Holismus auf
verschiedenen Gebieten der Wissenschaft zu untersuchen.

2.1. Definition

Der Terminus Holismus wird von griech. holon (das Ganze)
abgeleitet28 und geht auf Jan Christian Smuts29 zurück. Ihm zufolge
streben alle Daseinsformen der Welt danach, ein Ganzes zu sein.
Sein Verständnis von Holismus besagt, dass das Ganze mehr ist als
die Summe seiner Teile.30 „Der Mensch wird als Teil des Universums
gesehen, ‚als kleines Rädchen im Getriebe der Welt‘, das den
Einflüssen des Mikro- und Makroorganismus völlig unterliegt.“31

Der Begriff Ganzheit hat als methodischer Begriff in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts in vielen Wissenschaften als Alternative zu
mechanistischen32 Erklärungsmodellen des 18. und 19. Jahrhunderts
Eingang gefunden, so in Medizin, Biologie, Psychologie, Soziologie
und Pädagogik.

Im Folgenden werden die Unterschiede zwischen dem holistischen
und dem westlichen Weltbild herausgearbeitet.

2.2. Abgrenzung zum westlichen Weltbild

Die Unterschiede zwischen der von der westlichen Wissenschaft
entwickelten Auffassung des Universums, der Natur, des Menschen
und des Bewusstseins und derjenigen der vorindustriellen
Gesellschaften (damit auch der schamanischen Kulturen) werden
28
    Vgl. Sandkühler, H. J. (Hrsg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und
    Wissenschaften 1990, S. 552.
29
   Jan Christian Smuts: südafrikanischer Staatsmann (1870-1950).
30
   Vgl. o. A.: Lexikon des Psi-Wissens, http://www.usm.de/mysteria/x/x1338.htm ,
    1999.
31
   Wagner, M.: Paradigma Ganzheitlichkeit oder Ganzheitlichkeit ein Paradigma?,
    http://www.pflegenet.com/einblicke/paradigmaganzheitlichkeit.html , 2000.
32
   Mechanistisch: die Mechanik wird als gleichbedeutend mit der Physik betrachtet
    (in Antike und Mittelalter noch Gegensätze).

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gewöhnlich mit der Überlegenheit der materialistischen Wissenschaft
über den Aberglauben und das primitive magische Denken von
Stammeskulturen erklärt. Die sorgfältige Analyse des realen
Sachverhalts ergibt, dass die Ursache dieses Unterschiedes nicht die
Überlegenheit der westlichen Wissenschaft ist, sondern die
Unwissenheit und Ahnungslosigkeit der Industriegesellschaften, was
holotrope33 Bewusstseinszustände betrifft.34

Dem Schamanismus liegt mythisches und magisches Wissen zu
Grunde, das nicht in unserem westlichen Sinn gelernt werden kann,
sondern in das man initiiert wird. Während die westliche Wissenschaft
versucht, die Welt in unseren Kopf hineinzuziehen und dort zu
sezieren, geht es bei den Schamanen bzw. im holistischen Denken
darum, den Kopf in die Welt zu stecken und sich dort umzusehen (und
die Welt ganz zu lassen).35

Für den Schamanen gibt es keinen Dualismus, sondern ein
zusammenhängendes Kontinuum: Alles ist miteinander verbunden
und verwoben in einem endlosen Gewebe des Lebens. Der
Schamane akzeptiert das ganze Leben als System der "Großen
Mutter", an dem er nichts ändern kann und will. Es ist, wie es ist, und
es bleibt, wie es ist, es wandelt sich nur. Ein Schamane fühlt sich
aufgehoben im Kreislauf der Ur-Mutter.36 Die Menschen in der
heutigen Gesellschaft dagegen geben sich der Illusion hin, dass sie
von der Natur und den spirituellen Reichen getrennt leben. Sie sehen
sich als Opfer der Umwelt des Lebens.37

Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, dass der Holismus, in dem
alle Seinsbereiche miteinander verbunden und vernetzt sind, bereits in
schamanischen Kosmologien vorherrschte.38 Das westliche,
atomistische Weltbild erkennt nur Materie und Bewegung als wirklich,
das Ganze wird mit der Summe der Teile gleichgesetzt und lebende
Systeme werden auf anorganische Materie reduziert, mit der Folge,
dass die Natur letztlich als tot erscheint. Der Holismus aber sagt aus,
dass Prozess, Form und Beziehung das Wichtigste sind, dass
Ganzheiten Eigenschaften besitzen, die ihre Teile nicht haben, dass
lebende Systeme wie auch der Geist nicht auf ihre Komponenten
reduzierbar sind, mit der Folge, dass die Natur als lebendig
erscheint.39

33
   Zusammensetzung aus dem griechischen holon (das Ganze) und trepein (sich auf
    etwas zubewegen); Begriffsprägung durch Grof, S. (tschechischer Psychiater und
    Bewusstseinsforscher, geb. 1931).
34
   Vgl. Grof, S.: Kosmos und Psyche: An den Grenzen menschlichen Bewusstseins,
    3. Aufl., 2001, S. 339f.
35
   Vgl. Jantsch, E.: Grenzen westlicher Rationalität und Alternativen, 1979, S. 2.
36
   Vgl. Matzker, W. E., http://www.visionhill.de/wolf/texte.html , 2001.
37
   Vgl. Ingerman, S.: Heilung für Mutter Erde: Wie wir uns und unsere Umwelt
    verwandeln können, 2002, S. 18.
38
   Vgl. Andritzky, W., http://www.andritzky-online.de/sem_holo_00.htm .
39
   Vgl. o.V., http://www.usm.de/mysteria/x/x1338.htm , 1999.

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Der wichtigste Unterschied zwischen dem westlichen und dem
holistischen bzw. schamanischen Weltbild besteht im „Ort, an dem
eine Idee entsteht“. Im Schamanismus liegt dieser Ort außen,
außerhalb des Individuums (vgl. Kapitel 1.3), genauso wie im
christlichen, im mosaischen und in allen anderen alten
Glaubenssystemen. Wenn eine Idee plötzlich da ist, die vorher nicht
da war, muss sie den Menschen von irgendwoher gegeben worden
sein. In der euoropäischen Philosophie entwickelte sich hingegen die
These (und wurde seit dem Zeitalter der Aufklärung favorisiert), dass
die Idee im Individuum entsteht.40 Die Betonung rationalen Denkens
findet in Descartes‘41 berühmtem Ausspruch „Cogito ergo sum“ – „Ich
denke, also bin ich“ – ihren Ausdruck.42 Dieser Satz hat die Menschen
in der westlichen Welt dazu verführt, ihr Ich mit ihrem Geist und nicht
mit dem gesamten Organismus gleichzusetzen; nicht „ich fühle“ oder
„ich träume“, sondern „ich denke, also bin ich“. Diese Haltung hatte zur
Folge, dass Leib und Seele als etwas völlig Getrenntes und die Welt
als ein mechanisches System unverbundener Objekte angesehen
wurden.43 Das gesamte Gebäude der modernen Wissenschaft
basierte auf dieser Sicht der Natur, die grundsätzlich in zwei getrennte
und unabhängige Bereiche geteilt worden ist, Materie (res extensa)
und Geist (res cogitans).44 Diese Sichtweise stellte die Basis für alle
Wissenschaftler dar, die Materie als unbelebt und damit separat vom
individuellen Selbst zu behandeln und die materielle Welt als profunde
Akkumulation von individuellen Dingen mit von ihnen selbst getrennter
Identität zu sehen, die eine gigantische Maschine mit einer gewissen
Ordnung bilden. Die Darstellung der verschiedenen Phänomene durch
die Newtonsche Physik45 und ihre Bestätigungen erwiesen sich nur
bekräftigend für die kartesianische46 Philosophie des „Cogito ergo
sum“, so dass westliche Gesellschaften begannen, ihre Identität mit
dem Verstand gleichzusetzen.47

Dass die holistische Sichtweise dennoch Eingang in die Wissenschaft
gefunden hat, soll der folgende Abschnitt an Hand von Beispielen
verdeutlichen.

40
   Vgl. o.V., http://www.magieheim.at/shaman/Schamanismus%20Handout.htm .
41
   Descartes, René: französischer Philosoph (1596-1650).
42
   Vgl. Capra, F.; Davies, P.; Lovelock, J.; Sheldrake, R.: Der wissende Kosmos: Die
    Entdeckung eines neuen Weltbildes, 2001, S. 10.
43
   Vgl. ibid., S. 10f.
44
   Vgl. Asrani, V. R.: Die Erforschung des menschlichen Geistes – Die Physik des
    21. Jahrhunderts,
    http://www.here-now4u.de/die_erforschung_des_menschlich.htm .
45
   Sir Isaac Newton: englischer Mathematiker und Physiker (1643-1727).
46
   Nach Renatus Cartesius = René Descartes, vgl. Fußnote 40.
47
   Vgl. Asrani, V. R., a.a.O.

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2.3. Beispiele aus der Wissenschaft

Die Newtonsche Physik und die mechanistische Weltsicht gründeten
höchst erfolgreich eine ganze Wissenschaftskultur in westlichen
Gesellschaften mit spektakulären Erfolgen auf den Gebieten der
Physik, Biologie, Medizin und Chemie. Ungeachtet des materiellen
Erfolgs hat die reduktionistische, individualistische und isolationis-
tische Natur dieser Anstrengungen für die Gesellschaft eine ganze
Skala von sozialem, moralischem und wirtschaftlichem Leid
gebracht.48

Bereits Johann Wolfgang von Goethe hatte eine zukunftsweisende
Wissenschaft vorgedacht, indem er Selbst- und Welterkenntnis in ihrer
Komplementarität und Ganzheit gesehen hat:

„Die Natur zugleich und sich selbst zu erforschen, weder ihr noch
seinem Geiste Gewalt anzutun, sondern beide durch gelinden
Wechseleinfluss miteinander ins Gleichgewicht zu setzen.“49

Im botanischen Bereich entwickelte Goethe den Begriff der Urpflanze.
Alle Organe der Pflanze betrachtete er als Metamorphose von
Gestaltungskräften des Blattes.50

Besonders in seiner Farbenlehre, der er einen großen Teil seines
Lebens gewidmet hat, zeigte Goethe, wie rein aus den Phänomenen
des Lichts und der Finsternis heraus ein Verständnis der optischen
Erscheinungen und der Farben entwickelt werden kann, welches an
das Empfinden des Menschen anschließt. Heftig attackierte Goethe
seinen Zeitgenossen Isaac Newton, der in sehr abstrakter, vom
menschlichen     Empfinden     losgelöster    Art   das    Licht mit
mechanistischen Modellvorstellungen beschreibt. Dennoch setzte sich
Newton durch. So sind nun heute statt Farbempfindungen nur
abstrakte Wellenlängen elektromagnetischer Wellen für ein
naturwissenschaftliches Erfassen des Lichtes zugelassen, nicht aber
unser tatsächliches Erleben von Farbe, Licht und Finsternis.51

Auch in anderen Bereichen der Wissenschaft wurden holistische
Ansätze entwickelt: Betrachtet man eine rechteckige Fläche als
Ganzes, so kann man sagen, dass die Fläche mehr ist als die Summe
der Linien, durch die sie gebildet wird. Diese Linien sind auch mehr als
die Summe der Punkte, aus denen sie bestehen. Wenn man die Linien
als Objekt mit einem klar definierten Sinngehalt betrachtet und sie
nach einer bestimmten Vorschrift zusammen fügt, entsteht ein neues
48
   Vgl. Asrani, V. R.,
    http://www.here-now4u.de/die_erforschung_des_menschlich.htm .
49
   Trunz, E. (Hrsg.): Goethes Werke, Bd. XII, 1981, S. 399.
50
   Vgl. Merker, W.: Vom mechanistischen zum organischen Denken,
    http://www.bio-logos.de/leitartikel.htm , 2001.
51
   Vgl. ibid.

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Gebilde, welches zwar aus der Summe der Einzellinien besteht, aber
als Objekt für sich einen neuen zusätzlichen Sinngehalt enthält, zum
Beispiel der Übergang von der Eindimensionalität zur Zwei-
dimensionalität.52

Obwohl sich die Geometrie zur Veranschaulichung der Problematik
eignet, liegt es näher, ein Beispiel aus dem organischen Gebiet zu
benutzen. Hier bietet sich das Leben als Phänomen an, denn alles,
was nur etwas Leben in sich trägt, besteht aus chemischen
Elementen, welche - jedes für sich betrachtet – lediglich tote, entseelte
Substanz darstellen.53

Auch in der Kunst von Joseph Beuys54 gibt es holistische, gar
schamanische Elemente: In der 1963 entstandenen Ölfarben-
zeichnung „Schamane“ scheinen die knorrigen Beine und Füße wie im
Boden verwurzelt, während der Blick der ungeschlacht wirkenden
Figur mit einer geistigen Sphäre Kontakt aufnimmt, was mit parallelen
Linien angedeutet ist. In diesem Werk wollte Beuys die
verlorengegangene Einheit von Natur und Geist verwirklichen und das
rein rationale materialistische Denken durch archetypische, magische
und mystisch-religiöse Elemente ergänzen.55

Die Physik brachte endgültig eine Aufweichung der starren, west-
lichen Rationalität:56 Im 19. Jahrhundert entstand die Wissenschaft der
Thermodynamik57, die die nicht umkehrbare Natur makroskopischer
Prozesse als Folge der Wechselwirkungen innerhalb von kompletten
Ansammlungen von Molekülen identifizierte und damit den Bruch der
Zeitsymmetrie in der Physik einleitete. So erhielt die Zeit eine
Richtung, die von der Vergangenheit in die Zukunft verläuft.58

Aber die Thermodynamik des 19. Jahrhunderts erkannte lediglich die
Bewegung auf einen Gleichgewichtszustand hin, einen Zustand
maximaler Entropie59. Ordnung kann auf diese Weise nicht entstehen,
nur zerfallen.60 Physikalische Phänomene waren eindeutig
charakterisierbar: entweder als lokalisierbare Masseteilchen oder als

52
   Vgl. Maischein, A.: Durkheims Programm einer holistischen Sozialerklärung für die
    Soziologie,
    http://www.maischein.de/durkheim/durkheim.html#DurkheimsProgramm , 1996.
53
   Vgl. ibid.
54
   Joseph Beuys: deutscher Maler und Bildhauer (1921-1986).
55
   Vgl. Müller-Ebeling, C.: Schamanische Elemente in der Kunst von Joseph Beuys,
    in: Schamanische Wissenschaften: Ökologie, Naturwissenschaft und Kunst,
    1998, S. 229.
56
   Vgl. Jantsch, E., 1979, S. 5.
57
   Vgl. Capra, F.; Davies, P.; Lovelock, J.; Sheldrake, R., 2001, S. 45.
58
   Vgl. Jantsch, E., 1979, S. 5.
59
   Entropie: Maß für die Unordnung eines Systems.
60
   Vgl. Jantsch, E., 1979, S. 5.

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räumlich-zeitlich kontinuierliche elektromagnetische Wellen, aber nicht
beides zugleich.61

Die Quantenmechanik als Durchbruch im subatomaren Bereich zu
Beginn des 20. Jahrhunderts stellte den entscheidenden Schritt zur
Überwindung einer dualistischen Weltsicht dar. Es gab Experimente,
die es nicht mehr zuließen, ein bestimmtes Objekt eindeutig als
Masseteilchen oder eindeutig als elektromagnetische Welle zu
klassifizieren.62

Im folgenden Kapitel wird ein holistischer Denkansatz im Bereich der
Wirtschaft vorgestellt, das Konzept „ökologische Ökonomie“.

61
     Vgl. Stohrer, W.-D.; Koch, O.: Die Phänomene der Quantenmechanik,
     http://www.chemie.uni-bremen.de/stohrer/skripte/QM-Skript.pdf , 1998.
62
     Vgl. Stohrer, W.-D.; Koch, O.: Die Phänomene der Quantenmechanik,
     http://www.chemie.uni-bremen.de/stohrer/skripte/QM-Skript.pdf , 1998.

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3.        Holistisches Weltbild heute –
          Konzept „ökologische Ökonomie“

Die mechanistische und reduktionistische Sicht, die der westlichen
Anschauung zugrunde liegt, hat auf alle Wissenschaften einen
enormen Einfluss gehabt. In der westlichen Kultur ist die
Vorgehensweise, komplexe Phänomene auf ihre einzelnen Bausteine
zu reduzieren und die Mechanismen zu beobachten, die zwischen
ihnen wirken, so tief verwurzelt, dass sie oftmals mit der Wissenschaft
selbst gleichgesetzt wird.63

In heutiger Zeit befindet sich die Gesellschaft an einem Wendepunkt.
Die Aktivitäten unserer Spezies auf dem Planeten Erde haben eine
solche Größenordnung erreicht, dass sie das globale ökologische
Lebenserhaltungssystem zu gefährden beginnen. Das Konzept des
wirtschaftlichen Wachstums (definiert als steigender materieller
Konsum) muss heute überdacht werden, insbesondere inwieweit es
sich eignet, die immer zahlreicher werdenden sozialen,
wirtschaftlichen und ökologischen Probleme zu lösen. Es fehlen eine
echte    wirtschaftliche    und    soziale  Entwicklung   (qualitative
Verbesserungen) und eine ausdrückliche Anerkennung der Tatsache,
dass alle Aspekte des Lebens auf unserem Planeten miteinander
verknüpft und voneinander abhängig sind.64

Die Entwicklung des Konzepts „ökologische Ökonomie“ bedeutet eine
Rückbesinnung auf eine Zeit, in der die Ökonomie und die anderen
Wissenschaften noch integriert und noch nicht voneinander isoliert
waren.65 Eine Voraussetzung der Angemessenheit von Wissenschaft
und Wirtschaft im Ganzen der Natur ist heute deshalb die Einsicht in
das Natursein der Menschen.66

3.1. Entstehung

Etwa bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war die Ökonomie mit den
anderen Wissenschaften noch relativ eng verbunden. Doch dann hat
sich das Weltbild geändert. Die Newtonsche Physik wurde zum
beherrschenden Paradigma der Wissenschaft. Nach dieser Weltsicht

63
   Vgl. Capra, F.; Davies, P.; Lovelock, J.; Sheldrake, R., 2001, S. 21.
64
    Vgl. Costanza, R.; Cumberland, J.; Daly, H.; Goodland, R.; Norgaard, R.:
    Einführung in die Ökologische Ökonomik, 2001, S. 4f.
65
   Vgl. ibid., S. 5.
66
   Vgl. Meyer-Abich, K. M., 1997, S. 27.

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ist die Welt in lineare, voneinander trennbare, mechanische Sub-
systeme unterteilt, die auf relativ einfache Weise zusammengefasst
werden können, um das Verhalten des gesamten Systems zu
beschreiben. Diese Ansicht förderte die Fragmentierung der
Wissenschaft in verschiedene Disziplinen. Darüber hinaus besteht ein
Größenproblem. Mit dem Wachstum von Wissenschaftsbetrieb und
Wissensbestand wurde es immer schwieriger, die Gesamtheit des
Wissens zu erfassen. Aus Gründen der Überschaubarkeit musste eine
immer feinere Unterteilung vorgenommen werden.67

Das Konzept der ökologischen Ökonomie entstand während der
1980er Jahre durch Wissenschaftler, die feststellten, dass eine
bessere Umweltpolitik und die Beachtung des Zustandes der künftigen
Generationen davon abhängen, dass diese Wissenschaftsbereiche
wieder integriert werden.68 Auf die Problematik der in der westlichen
Gesellschaft kultivierten Verehrung des Wachstumsgedankens wurde
jedoch bereits Jahre zuvor hingewiesen, beispielhaft ist der „Club of
Rome“69 zu nennen. Politische Initiativen wie der Brundtland-Bericht
198770 und die Rio-Konferenz 199271 haben das Bedürfnis nach einer
theoretischen Behandlung der dort diskutierten Vorhaben erzeugt.72
Im Brundtland-Bericht wird die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung
begründet: Die heute lebende Generation muss bei der Befriedigung
ihrer Bedürfnisse darauf achten, dass die zukünftigen Generationen
bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht schlechter gestellt werden
als die heute lebenden Generationen.73

67
   Vgl. Meyer-Abich, K. M., 1997, S. 19.
68
   Vgl. ibid., S. 59.
69
   Der Club of Rome wurde 1968 ins Leben gerufen und stieß 1972 mit seiner ersten
    Veröffentlichung „Die Grenzen des Wachstums“ eine neue Dimension des
    Denkens dem Thema Wachstum gegenüber an. Die Philosophie des CoR wird
    von drei Denkansätzen geprägt: a) eine globale Betrachtungsweise der
    komplexen Probleme einer Welt, in der die wechselseitige Verflochtenheit aller
    Nationen immer mehr zunimmt, b) eine Betrachtung von Problemen unter einer
    längerfristigen Perspektive und c) das Bestreben, ein tieferes Verständnis der
    Wechselwirkungen von Problemen zu entwickeln und alle beteiligten
    Wissenschaftsbereiche sowie gesellschaftliche Gruppen mit in die Überlegungen
    einzubeziehen.
70
    Brundtland-Bericht: vorgelegt von der „Weltkommission für Entwicklung und
    Umwelt“ unter der Leitung der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro
    Harlem Brundtland; Definition „sustainable development“: Unter dauerhafter
    Entwicklung wird eine Entwicklung verstanden, die den Bedürfnissen der
    heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen
    zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu
    wählen.
71
   Rio-Konferenz: weltweite Umweltkonferenz; Abschluss von zwei internationalen
    Abkommen, zwei Grundsatzerklärungen und ein Aktionsprogramm für eine
    weltweite nachhaltige Entwicklung.
72
   Vgl. Hampicke, U.: Ökologische Ökonomie, in: Handbuch zur Umweltökonomie,
    1995, S. 138f.
73
   Vgl. Majer, H.: Institutionentheoretische Aspekte nachhaltiger Entwicklung, in:
    Studien zur Evolutorischen Ökonomik IV, 2001, S. 119.

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3.2. Definition

Die ökologische Ökonomie wird definiert als „Analyse ökonomischer
Prozesse im Rahmen eines sozial-ökologischen Zusammenhangs
unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen zwischen Menschen
und der übrigen Natur“74. Sie basiert auf der Annahme, dass die
Wirtschaft in ihren physischen Dimensionen ein offenes Subsystem
eines endlichen, nicht wachsenden und materiell geschlossenen
Gesamtsystems ist – des Ökosystems Erde.75 Sie bezieht sich nicht
nur auf Realprobleme, sondern auch auf theoretische Ergebnisse der
Nachbarwissenschaften, wie insbesondere Ökologie und Thermo-
dynamik. Teilweise ist eine Tendenz zur Übernahme neuer
Paradigmen (z.B. Konzept der Entropie) festzustellen (vgl. Abschnitt
2.3).76

Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Ökologie und die
selbstständigen Rechte nichtmenschlicher Lebewesen werden in die
Betrachtung einbezogen.77 Die ökologische Ökonomie räumt dem
Prinzip der Komplementarität in Natur und Ökonomie eine hohe
Bedeutung ein: Ökologische Systeme sind mehr als die Summe ihrer
Teile und müssen als ganze funktionsfähig sein, ihre Elemente sind
zueinander komplementär.78

Über folgende grundlegende Elemente des Konzepts ökologische
Ökonomie besteht weitgehender Konsens: 79
1. Die Vorstellung von der Erde als geschlossenes thermo-
   dynamisches und nicht materiell wachsendes System. Die
   Wirtschaft stellt ein Subsystem des globalen Ökosystems dar. Dies
   impliziert, dass Grenzen für die biophysischen Ressourcenströme
   bestehen, die vom Ökosystem zum ökonomischen Subsystem,
   durch dieses hindurch und in Form von Abfällen wieder zurück
   zum Ökosystem fließen.
2. Das zukünftige Leitbild eines nachhaltigen Gesellschaftssystems
   mit einer hohen Lebensqualität für alle Bewohner (sowohl der
   Menschen als auch aller anderen Arten) innerhalb der in 1. Ange-
   sprochenen materiellen Grenzen.
3. Die Anerkennung der Tatsache, dass die Analyse von komplexen
   Systemen wie der Erde in jeglicher räumlicher und zeitlicher
   Größenordnung mit großen Unsicherheiten behaftet ist, die nicht

74
   Bartmann, H.: Umweltökonomie – ökologische Ökonomie, 1996, S. 232.
75
   Vgl. Daly, H. E.: Ökologische Ökonomie: Konzepte, Fragen, Folgerungen, in:
    Jahrbuch Ökologie 1995, 1994, S. 147.
76
    Vgl. Hampicke, U.: Ökologische Ökonomie: Individuum und Natur in der
    Neoklassik – Natur in der ökonomischen Theorie: Teil 4, 1992, S. 303f.
77
   Vgl. Bartmann, H., 1996, S. 232.
78
   Vgl. Hampicke, U., 1992, S. 306.
79
   Vgl. Costanza, R.; Cumberland, J.; Daly, H.; Goodland, R.; Norgaard, R., 2001,
    S. 95f.

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   beseitigt werden können. Einige Prozesse sind irreversibel und
   erfordern deshalb einen vorbeugenden Ansatz.
4. Die Notwendigkeit agierender statt reagierender Institutionen und
   Politiken: Im Ergebnis sollten einfache, flexible und durchführbare
   Politikstrategien verfolgt werden, die auf einem tiefen Verständnis
   der Systeme beruhen und die fundamentalen Unsicherheiten voll
   zur Kenntnis nehmen. Dies bildet die Basis für eine
   Politikumsetzung, die selbst nachhaltig ist.

3.3. Neoklassische Ökonomie –
     ökologische Ökonomie

Die neoklassische Ökonomie geht davon aus, dass der technische
Fortschritt langfristig die Ressourcenknappheit überwinden und die
Leistungen der Öko-Systeme durch (neue) Technologien erbracht
werden kann.80

Die Besonderheiten dieser Öko-Systeme werden ignoriert. Alle
Produktionsfaktoren werden unter dem Kapitalbegriff eingeordnet: Aus
dem Menschen wird „Humankapital“, Öko-Systeme degenerieren zu
„natürlichem Kapital“, Realkapital wird als „künstliches Kapital“
bezeichnet. Mensch und Natur sind in diesen Modellen ausschließlich
den ökonomischen Zwecken unterworfen, ihrem Nutzen als ein
irgendwie bezeichnetes „Kapital“. Analog zu Isaac Newtons Mechanik
werden lineare Beziehungen unterstellt; die Zeit ist reversibel, und
damit sind auch Ursache und Wirkung austauschbar.81

Die ökologische Ökonomie hingegen versucht, neuere physikalische
Gesetze wie Thermodynamik und Entropie und die Erkenntnisse der
„Neuen Physik“ (vgl. Kapitel 2.3), der anderen Naturwissenschaften
und der Sozialwissenschaften zu berücksichtigen: Nicht-Linearität,
irreversible Zeit, intertemporale und interregionale Verantwortung für
gerechte Lösungen (Verteilungen), Lenkungsstrukturen.82 Die Umwelt
wird nicht nur in Form der Schadstoffproblematik oder klar
abgrenzbarer Rohstoffe betrachtet. Es wird zunehmend realisiert, dass
natürliche    Elemente      in   größere,    komplex    interagierende
Systemeinheiten – wie Ökosysteme bis hin zu globalen Kreisläufen –
eingebettet sind und dass die „Entnahme“ (oder das Hinzufügen)
eines Elements auch dann problematisch sein kann, wenn die direkt
betroffene Art hiervon nicht beeinträchtigt wird. Entsprechend finden
sich im Bereich der ökologischen Ökonomie Arbeiten, die versuchen,
80
   Vgl. Costanza, R.; Cumberland, J.; Daly, H.; Goodland, R.; Norgaard, R., 2001,
    S. 82.
81
   Vgl. Majer, H.: Wachstum aus der Sicht der ökologischen Ökonomie, in: Jahrbuch
    Ökologische Ökonomik Band 1: Zwei Sichtweisen auf das Umweltproblem:
    Neoklassische Umweltökonomik versus Ökologische Ökonomik, 1999, S. 325.
82
   Vgl. ibid., S. 327.

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naturwissenschaftliche Theorien mit ökonomischen Ansätzen zu
verbinden.83 Der Begriff Ökologie ist in diesem Zusammenhang neu
zu definieren. Im Allgemeinen spricht man von der Lehre von den
Beziehungen der Lebewesen zu ihrer Umwelt (griech. Oikos =
Wohnung; logos = Wort, Lehre, das Ganze). Abgesehen davon, dass
Logos vor allem ‚das Ganze‘ bedeutet, hier aber lediglich auf Wort,
Lehre (bloße Abbilder des Ganzen) reduziert ist, erzeugt diese
Definition jenen künstlichen, typisch westlichen Gegensatz Lebewesen
– Umwelt. In der ökologischen Ökonomie gibt es diesen Unterschied
nicht, denn Individuum und Natur gleichen sich, sie sind
vereinheitlicht.84

Gegenüber der Neoklassik wird in der Form Kritik geäußert, dass
diese in ihrer Orientierung an reduktionistisch-naturwissen-schaftlicher
Denkweise und ihrer einseitigen Betonung mathematischer,
insbesondere marginalistischer Gleichgewichtsanalyse zu einer
holistischen Erfassung komplexer Phänomene, wie es die ökologische
Realwelt erfordert, nicht in der Lage sei.85 Während die neoklassische
Ökonomie eine anthropozentrische Weltsicht, lineare Beziehungs-
systeme vertritt und Natur lediglich als Produktionsfaktor betrachtet
wird, werden in der ökologischen Ökonomie die Ökologie und die
Ökonomie als gleichwertig angesehen und die Natur besitzt einen
eigenständigen, hohen Wert. Hier ist keine lineare Produktionsfunktion
formulierbar. Auch die Zielsetzungen der beiden Ansätze sind
grundlegend verschieden. Den ökologischen Ökonomen geht es um
die Verbesserung der Lebensqualität von Mensch und Gesellschaft
bei gleichzeitiger Tragfähigkeit des ökologisch-ökonomischen
Systems. Ökologie und Ökonomie werden als gleichwertig, das
Individuum als Teil der Gesellschaft und Natur betrachtet. Die
Neoklassiker dagegen formulieren als Makroziel das Wachstum der
Volkswirtschaft durch Gewinn- und Nutzenmaximierung. Das
Individuum stellt der „homo oeconomicus“86 dar, die Ökologie ist der
Ökonomie untergeordnet und die Zeit wird als reversibel betrachtet,
d.h. die Zeit ist rückbildungsfähig, während die ökologischen
Ökonomen von einer Irreversibilität der Zeit ausgehen, d.h. es gibt
bleibende Schäden oder Veränderungen.87

Die folgende Tabelle stellt die Sichtweisen der Neoklassiker und
ökologischen Ökonomen gegenüber.

83
   Vgl. Geisendorf, S.: Evolutorische Ökologische Ökonomie, 2001, S. 20.
84
   Vgl. Hofmann, A., a.a.O., S. 100.
85
   Vgl. Hampicke, U.: Ökologische Ökonomie, in: Handbuch zur Umweltökonomie,
    1995, S. 139.
86
   Homo oeconomicus nennen die Wissenschaftler den rationalen Menschen, der
    nur den eigenen Interessen folgt. Vgl. z.B. Uchatius, W.: Der Mensch, kein
    Egoist, http://www.geocities.com/CapitolHill/Lobby/2554/homo-economicus.html .
87
   Vgl. Majer, H.: Wachstum aus der Sicht der ökologischen Ökonomie, in: Jahrbuch
    Ökologische Ökonomik Band 1: Zwei Sichtweisen auf          das Umweltproblem:
    Neoklassische Umweltökonomik versus Ökologische Ökonomik, 1999, S. 326.

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 Tabelle 2: Vergleich der Sichtweisen in der neoklassischen und
                   der ökologischen Ökonomie
Neoklassische Ökonomie                       Ökologische Ökonomie
Ziel: Wachstum der Volkswirtschaft,          Ziel: Verbesserung der
Gewinn- und Nutzenmaximierung                Lebensqualität von Mensch und
                                             Gesellschaft, Tragfähigkeit des
                                             ökologisch-ökonomischen Systems
Wachstumsgrenzen müssen durch                Wachstumsgrenzen werden explizit
technischen Fortschritt und                  in die Modelle integriert
Substitution überwunden werden
Zeit reversibel                              Zeit irreversibel
Mensch im Mittelpunkt                        Partnerschaft zwischen
(anthropozentrisch)                          Ökologie und Ökonomie
                                             (gleichgewichtig)
Individuum als homo oeconomicus              Individuum als Teil von Gesellschaft
                                             und Natur
Ganzheitlichkeit betrifft allenfalls die     Ökonomie, Ökologie und
Gesamtheit der Märkte                        Gesellschaft müssen zusammen
                                             betrachtet werden
vollkommene Information                      Vorhersagbarkeit nicht gegeben
Akteure: Unternehmer                         Akteure: Alle
Ökologie ist der Ökonomie                    Gleichwertigkeit von Ökologie und
untergeordnet                                Ökonomie
lineare Beziehungssysteme                    nicht-lineare
                                             Beziehungssysteme
gegenwartsbezogener                          intertemporale und
Hedonismus                                   interregionale Gerechtigkeit
wissenschaftl. Ausrichtung:                  wissenschaftl. Ausrichtung:
Disziplinär                                  Supradisziplinär
Natur ist einer der (additiven)              Natur besitzt eigenständigen Wert
Produktionsfaktoren                          und eigene Funktionen
Produktionsfunktion:                         keine lineare Produktionsfunktion
Produktionsmenge =                           formulierbar
f(Arbeit, künstliches Kapital,
natürliches Kapital,
Effizienzfaktor)
     Quelle: Majer, H.: Wachstum aus der Sicht der ökologischen Ökonomie, in: Jahr-
     buch Ökologische Ökonomik Band 1: Zwei Sichtweisen auf das Umweltproblem:
      Neoklassische Umweltökonomik versus Ökologische Ökonomik, 1999, S. 326.

Außer Fatalismus (die Menschen können nichts mehr am
Weltuntergang ändern) und Nihilismus (diese Menschen sollen
weiterleben dürfen?) dominiert das Vertrauen in die Lösungskraft der
Technik. Bisher war der Fortschritt (in Wissenschaft und Technik) stets
fähig, Antworten bereitzustellen. So werde es technische Lösungen
auch für Klima, UV-Strahlung und Enregiebedarf geben, auch die
Resultate würden beherrschbar werden: radioaktive Abfälle,
gentechnische Veränderungen, Knappheit von Trinkwasser, und so
weiter.88

88
     Vgl. Majer, H., a.a.O., S. 344.

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Auch in der heutigen Zeit gehen noch viele ökonomische Analysen
von der Annahme aus, dass die Wirtschaft ein Gesamtsystem sei und
ihr Wachstum durch nichts behindert werde. Die Natur wird dabei als
Teilbereich der Wirtschaft angesehen, der im Grunde durch andere
Aktivitäten ersetzt werden kann, ohne das Wirtschaftswachstum zu
begrenzen. Die Wirtschaft kann sich weiter qualitativ entwickeln – wie
die Erde es tut -, aber sie kann nicht stetig quantitativ weiter
wachsen.89 Die Gesundheit von Mensch und Natur würde irreparablen
Schaden erleiden.90 Das zentrale Problem besteht darin, die Sucht der
Menschen nach dem Wachstum als der bevorzugten Methode zur
Durchsetzung ihrer schöpferischen Macht zu überwinden wie auch
den Götzenglauben, dass die den Menschen gegebene schöpferische
Macht autonom und unbegrenzt sei. Dieser Götzenglauben kann nicht
akzeptieren, dass die Abschaffung der Armut die Anerkennung von
Grenzen erforderlich macht, z.B. Grenzen des Bevölkerungs-
wachstums und Grenzen für das Wachstum der Ungleichheit. Die
Weigerung der Menschen, diese geschöpflichen Grenzen
anzuerkennen, führt zu einem Wachstum über die Tragfähigkeit der
Erde hinaus und zu der daraus folgenden Zerstörung.91 Die Menschen
müssen zu einem Lebensstil zurückkehren, der von einer
schöpferischen Partnerschaft mit der Natur geprägt ist.92

89
   Vgl. Daly, H. E.: Ökologische Ökonomie: Konzepte, Fragen, Folgerungen, in:
    Jahrbuch Ökologie 1995, 1994, S. 150.
90
   Vgl. Majer, H.: Wachstum aus der Sicht der ökologischen Ökonomie, a.a.O.,
    S. 319.
91
   Vgl. Daly, H. E.: Wirtschaft jenseits von Wachstum: die Volkswirtschaftslehre
    nachhaltiger Entwicklung, 1999, S. 293.
92
   Vgl. Ingerman, S., 2002, S. 164.

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4.     Gegenüberstellung der Sichtweisen des
       Schamanismus und des Konzepts der
       ökologischen Ökonomie

Nachdem in den vorigen Kapiteln die Unterschiede der
schamanischen, holistischen Sichtweise zu dem westlich modernen
Ansatz herausgearbeitet wurden und auf dieser Basis im dritten
Kapitel die ökologische Ökonomie als notwendiges ganzheitliches
Wirtschaftskonzept vorgestellt wurde, soll in diesem Kapitel der
Versuch unternommen werden, einen Brückenschlag zwischen
Schamanismus und ökologischer Ökonomie herzustellen. Hierzu
sollen die im Abschnitt 1.3 herausgearbeiteten Kriterien als relevante
Untersuchungsparameter dienen.

Demnach ist das Weltbild des schamanischen Animismus der
nordischen Völker wie auch das der amerikanischen Indianer und
anderer indigener Völker das einer ausgeprägten Balance in der
Natur. Alles, was geschieht, hat Folgen und Auswirkungen. Nur
begnügt sich die Anschauung nicht damit, die Verknüpfung von
Ursache und Wirkung in der Ebene der mit dem Verstand erfassbaren
Welt zu suchen. Durch die Praktizierung des Schamanismus waren
diese Völker der modernen Ökologie einen gewaltigen Schritt voraus.
Das Unverständnis der „modernen“ Welt, das weitgehend auch heute
noch anhält, hat einen großen Teil dieses Wissens bereits verloren
gehen lassen. Das Konzept der ökologischen Ökonomie betrachtet die
Natur ebenfalls nicht als Instrument der Menschen, sondern ordnet der
Natur einen eigenständigen Wert und eigene Funktionen zu. Der
Ansatz geht von einer gleichgewichtigen Partnerschaft von Ökologie
und Ökonomie aus. Somit kann festgehalten werden, dass beiden
Sichtweisen ein nicht-anthropozentrischer, sondern vielmehr
holistischer Ansatz zugrundeliegt.

Durch den holistischen Ansatz gibt es viele Übereinstimmungen
zwischen Schamanismus und ökologischer Ökonomie. So wird das
Individuum als Teil des Universums bzw. der Gesellschaft betrachtet.
Die Methoden sind zwar unterschiedlich, jedoch ist dies auf die
jeweilige Entstehung zurückzuführen. Während die Schamanen die
Kommunikation mit Pflanzen und Tieren praktizieren, stehen in der
ökologischen Ökonomie Methoden wie die Elementarteilchenphysik
und das interdisziplinäre Vorgehen im Vordergrund. Der
Anwendungsbereich unterscheidet sich in der Hinsicht, dass der
Begriff des Schamanismus vielfältiger und umfassender ist als der der
ökologischen Ökonomie. Der Schamanismus kann den in sich
vereinsamten und entwurzelten Menschen Wege weisen, sein
ursprüngliches Aufgehobensein im Ganzen des Universums wieder
anzunehmen. Hiermit ist das Bedürfnis nach Religion gemeint (religio
im Sinne von „verwurzelt sein“). Der Begriff kann sich daher auf viele
Bereiche beziehen, während das Konzept der ökologischen Ökonomie

  ISSN 1436 – 1035 Arbeitspapier 79/03, FB Wirtschaft der FH Hannover, Mai 2003   19
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den ganzheitlichen Aspekt auf den wirtschaftlichen und ökologischen
Bereich herunter bricht und insofern als eine mögliche Form bzw. als
Anwendung der schamanischen, holistischen Sichtweise zu
betrachten ist. Die schamanische Sichtweise kann daher durchaus als
Basis für das Konzept der ökologischen Ökonomie genannt werden,
wie auch die folgende Tabelle zeigt.

 Tabelle 3: Vergleich zwischen Schamanismus und ökologischer
                            Ökonomie
                             Schamanismus                       Ökologische
                                                                  Ökonomie
Ziel                        Gleichgewicht des             Verbesserung der
                            Physischen, des               Lebensqualität von
                            Verstands, des                Mensch und
                            Herzens, des Geistes          Gesellschaft,
                            und der Seele /               Tragfähigkeit des
                            Seelenheil                    ökologisch-
                                                          ökonomischen Systems
Weltsicht            holistisch, ganzheitlich             holistisch, ganzheitlich
Entstehungsort einer außerhalb des                        außerhalb des
Idee                 Individuums                          Individuums
Individuum           Teil des Universums                  Teil von Gesellschaft
                                                          und Natur
Ganzheitlichkeit            v.a. von Natur und            von Ökonomie,
                            Geist                         Ökologie und
                                                          Gesellschaft
Vorhersagbarkeit            nicht gegeben                 nicht gegeben
Anwendungsbereich           keine eindeutige              Wirtschaft
                            Festlegung, v.a.
                            Medizin
Methoden                    Kommunikation mit             Pluralismus, inter-
                            Pflanzen und Tieren,          disziplinär, „neue“
                            Reisen in Ober- und           Physik, Evolutorische
                            Unterwelten, Tanz,            Ökonomik, Nicht-
                            Gesang                        Linearität, Simulationen
Akteure                     alle                          alle
                             Quelle: eigene Darstellung

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