Dem Tabakkonsum Einhalt gebieten - Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit - Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle - Band 4 ...
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Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Dem Tabakkonsum Einhalt gebieten – Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit Band 4 Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Band 4: Dem Tabakkonsum Einhalt gebieten – Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit © 2005, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg Bundesärztekammer, Berlin 1. Auflage: 5000 Zitierweise: Deutsches Krebsforschungszentrum, Bundesärztekammer (Hrsg.): Dem Tabakkonsum Einhalt gebieten – Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit Heidelberg und Berlin, 2005 Titelfoto: Arztgespräch, KBV-Archiv, Berlin Mit freundlicher Genehmigung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Berlin Gestaltung, Layout und Satz: komplus GmbH, Heidelberg Verantwortlich für den Inhalt: Deutsches Krebsforschungszentrum Stabsstelle Krebsprävention und WHO Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle Leiterin: Dr. med. Martina Pötschke-Langer Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg Telefon: (0 62 21) 42 30 07 Telefax: (0 62 21) 42 30 20 E-mail: who-cc@dkfz.de Internet: http://www.tabakkontrolle.de
Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Band 4 Dem Tabakkonsum Einhalt gebieten – Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit Autoren: Dr. Martina Pötschke-Langer Dr. Wilfried Kunstmann In Zusammenarbeit mit: PD Dr. Anil Batra, Tübingen Dr. Regina Rasenack, Freiburg PD Dr. Andreas Blum, Konstanz Dr. Christoph Rau, Heidelberg Prof. Dr. Peter Drings, Heidelberg Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Heidelberg Prof. Dr. Knut-Olaf Haustein, Erfurt Dr. Sven Schneider, Heidelberg Dr. Wolf-Rüdiger Horn, Gernsbach Dr. Peter Schröder, Freiburg Prof. Dr. Gerhard Jorch, Magdeburg Dipl.-Soz. Alexander Schulze, Heidelberg Prof. Dr. Bernd Krönig, Trier Prof. Dr. Gerhard Siemon, Hannover Dr. Thomas Kyriss, Gerlingen Prof. Dr. Heinz Walter Thielmann, Heidelberg Prof. Dr. Ekkehart Paditz, Dresden Prof. Dr. Friedrich Wiebel, Eching Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg Bundesärztekammer, Berlin
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 A Ausmaß und Folgen des Tabakkonsums in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 7 (Dr. Martina Pötschke-Langer, Dipl.-Soz. Alexander Schulze) B Inhaltsstoffe des Tabakrauches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 (Dr. Martina Pötschke-Langer, Prof. Dr. Heinz Walter Thielmann) C Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik . . . . . . . . . . . . 14 1 Rauchen und Krebserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 (Prof. Dr. Peter Drings) 2 Rauchen und Atemwegserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 (Prof. Dr. Gerhard Siemon) 3 Rauchen und und kardiovaskuläre Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 (Prof. Dr. Bernd Krönig) 4 Rauchen und Hypertonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 (Prof. Dr. Bernd Krönig) 5 Rauchen und orthopädische Beschwerden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 (Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Dr. Sven Schneider, Dr. Christoph Rau) 6 Rauchen und Hautdefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 (PD Dr. Andreas Blum) 7 Rauchen in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 (Dr. Regina Rasenack) 8 Rauchen und SIDS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (Prof. Dr. Gerhard Jorch, Prof. Dr. Ekkehart Paditz) 9 Rauchen im Kindes- und Jugendalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 (Dr. Wolf-Rüdiger Horn) 10 Rauchen und Operationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (Dr. Thomas Kyriss) D Tabakabhängigkeit und Tabakentwöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1 Tabakabhängigkeit: Stadien der Änderungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . 36 (PD Dr. Anil Batra) 2 Medikamentöse Therapie der Tabakabhängigkeit – Empfehlungen der Arzneimittelkommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (Prof. Dr. Knut-Olaf Haustein) 3 Tabakentwöhnung in der ärztlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (Dr. Peter Schröder) 4 Tabakentwöhnung als adjuvante Therapie von Tumorerkrankungen . . . 48 (Dr. Thomas Kyriss)
E Ärzte in Prävention und Therapie der Tabakabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . 50 1 Bundesärztekammer und Deutscher Ärztetag: Aktiv für eine umfassende Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (Dr. Wilfried Kunstmann) 2 Der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (Prof. Dr. Friedrich Wiebel) 3 Tabakabhängigkeit und -entwöhnung in der ärztlichen Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (Dr. Wilfried Kunstmann) 4 Ärztliche Raucherberatung: Brotlose Kunst oder qualifizierte Krankenbehandlung? . . . . . . . . . . . . . . 62 (Dr. Wilfried Kunstmann) F Wirtschaftliche und politische Aspekte des Tabakkonsums . . . . . . . . . . . . . 66 1 Die Zigarettenindustrie: Täuschung der Verbraucher und der Gesundheitsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (Dr. Martina Pötschke-Langer) 2 Wirksame Maßnahmen der gesellschaftlichen Tabakkontrolle . . . . . . . . . 70 (Dr. Martina Pötschke-Langer) G Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 H Adressen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Vorwort Allein in Deutschland sterben jährlich gen in dem vorliegenden Band eigene weit über 100 000 Menschen an den Beiträge gewidmet sind. Zudem wird oft- Folgen des Tabakkonsums. Die Hälfte mals unterschätzt, welche Auswirkungen von ihnen erreicht nicht einmal mehr das bereits das Passivrauchen auf die Ge- 70. Lebensjahr. Der Weltnichtrauchertag sundheit hat. Aus diesem Grunde fällt 2005 hat deshalb mit dem Motto „Health der Beratung schwangerer Raucherinnen Professionals and Tobacco Control“ die wie auch rauchender Mütter und Väter Gesundheitsberufe in den Blickpunkt eine besondere Bedeutung zu. Kinder gerückt. und Jugendliche sind vor allem auch im Elternhaus vor Passivrauch zu schützen. Dabei fällt der Ärzteschaft in der Bera- Sie sollten zudem frühzeitig über die Ge- tung und Behandlung von Raucherinnen fahren des aktiven Rauchens aufgeklärt und Rauchern eine besondere Verant- werden. Immerhin raucht in Deutschland wortung zu. Dies zum einen, weil Ärztin- bereits ein Viertel aller 12- bis 17-Jähri- nen und Ärzte tagtäglich in Klinik und gen, weshalb den Möglichkeiten von Kin- Praxis mit den oftmals dramatischen der- und Jugendärzten in ihrer Praxis wie gesundheitlichen Folgen des Tabakkon- auch im Verbund mit anderen Berufs- sums konfrontiert sind. Zum anderen gruppen und Einrichtungen ein eigenes aber eröffnet ihnen auch der kontinuier- Kapitel gewidmet ist. liche Kontakt mit Rauchern die Chance, sie im Gespräch wirksam dazu zu moti- Das Wissen über die physiologischen vieren, mit dem Rauchen aufzuhören. und biochemischen Zusammenhänge des Tabakkonsums ist nicht nur für die Der vorliegende Band möchte deshalb Behandlung von Rauchern, sondern auch interessierte Ärztinnen und Ärzte darüber für die Prävention hilfreich und wertvoll. informieren, wie Patientinnen und Pa- Ärzte, die sich mit dem Thema „Rauchen“ tienten beraten und behandelt werden bereits intensiv auseinandergesetzt ha- können, um sich von der Tabakabhängig- ben und es zum Inhalt des Gesprächs mit keit zu lösen. Darüber hinaus wird ein ihren Patienten machen, wissen aber breites Spektrum von Krankheitsbildern auch um die Schwierigkeiten, Raucher vorgestellt, die maßgeblich durch den zum Rauchstopp zu motivieren oder eine Tabakkonsum hervorgerufen oder durch bereits vorhandene Motivation wirksam ihn ungünstig beeinflusst werden. Dazu zu unterstützen. Mehrere Beiträge dieses gehören vor allem die Herz-Kreislauf- Bandes widmen sich deshalb diesem erkrankungen, die Atemwegs-, aber auch Thema und zeigen Wege auf, wie das viele Krebserkrankungen. Dabei werden Gespräch mit dem Patienten gestaltet jedoch die Auswirkungen, die das Rau- werden kann, aber auch welche Medika- chen z. B. auf Erkrankungen des Stütz- mente sich ggf. zur Abmilderung einer und Bewegungsapparates, auf Hauter- körperlichen Entzugsproblematik einset- krankungen oder auch auf das Opera- zen lassen. tionsgeschehen und auf postoperative Heilungsverläufe hat, oft aus den Augen Die Beiträge zu den Fortbildungs- und verloren, weshalb diesen Zusammenhän- den Vergütungsmöglichkeiten in der Rau- Vorwort 5
cherberatung sollen interessierten Ärztin- Dennoch ist Tabakkontrolle nicht nur auf nen und Ärzten Mut machen, sich mit der makropolitischen Ebene ein lohnens- dem Thema „Rauchen“ intensiver als bis- wertes Unterfangen. Viele Studien haben her auseinanderzusetzen und die Rau- nachgewiesen, dass selbst eine kurze cherberatung stärker in die Patientenbe- Ansprache des Rauchers durch den Arzt handlung zu integrieren. Die Darstellung wirksam ist. Je intensiver die Interven- der bisherigen Ärztetagsbeschlüsse und tion verläuft, umso größer sind die der Verlautbarungen der verfassten Ärz- Erfolgsaussichten. Dieser Band will daher teschaft zum Thema verdeutlichen, dass alle interessierten Ärztinnen und Ärzte der an der Tabakproblematik interessierte darin bestärken, sich dieser wichtigen Arzt nicht alleine steht, sondern dass die Aufgabe zu stellen und sie intensiv in der Tabakkontrolle und die Raucherberatung Praxis zu verfolgen. zentrale Anliegen der gesamten Ärzte- schaft darstellen. Und letztendlich dienen alle diese Maß- nahmen auch der Prävention des Rau- Die Wirksamkeit ärztlicher Beratung ent- chens von Kindern und Jugendlichen, faltet sich jedoch nicht im luftleeren denn diese orientieren sich an der Er- Raum. Damit sie dauerhaft erfolgreich wachsenenwelt. sein kann, muss ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, in dem das Rauchen die Ausnahme und das Nicht- rauchen die Normalität darstellt. In eige- Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe nen Beiträgen werden deshalb die politi- Präsident der Bundesärztekammer, schen Möglichkeiten eines Maßnahmen- Berlin mixes zur Tabakkontrolle aufgezeigt – nicht ohne gleichzeitig darzustellen, wie Prof. Dr. Otmar D. Wiestler die Tabakindustrie in der Vergangenheit Wissenschaftlicher Stiftungsvorstand des immer wieder versucht hat, entsprechen- Deutschen Krebsforschungszentrums, de Bemühungen zu unterlaufen oder mit Heidelberg wissentlichen Falschinformationen zu konterkarieren. Berlin und Heidelberg, im Mai 2005 6 Vorwort
A Ausmaß und Folgen des Tabakkonsums in Deutschland Dr. Martina Pötschke-Langer, Dipl.-Soz. Alexander Schulze Kernaussagen In Deutschland sterben mehr Menschen an den Folgen des Tabakkonsums als durch Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, AIDS, Morde und Selbstmorde, zusammen – dies sind 110.000 bis 140.000 Todesopfer jährlich. Rauchen stellt das größte einzelne vermeidbare Gesundheitsrisiko für eine Vielzahl schwerwiegender Krankheiten dar. Rauchen schädigt nahezu jedes mensch- Im 20. Jahrhundert sind weltweit mehr liche Organ und verursacht eine Vielzahl als 100 Millionen Menschen an den Fol- von Krankheiten. Bereits der im Jahr gen des Rauchens verstorben, und jähr- 1964 veröffentlichte Bericht der ameri- lich kommen über fünf Millionen neue kanischen Gesundheitsbehörde belegt Tabakopfer hinzu 55. Allein in der Bun- einen Kausalzusammenhang zwischen desrepublik versterben schätzungsweise Tabakkonsum, Lungenkrebs und anderen 110.000 –140.000 Menschen pro Jahr an Todesursachen 147. Seitdem ist eine Viel- den Folgen tabakbedingter Krankheiten zahl weiterer wissenschaftlicher Arbeiten 93,123,161. vorgelegt worden, die in mehreren Mehr als 20 % aller Krebserkrankungen bedeutenden Übersichtsarbeiten zusam- werden in Deutschland auf das Rauchen mengefasst wurden 88,89,148,152,155, wel- zurückgeführt 5,16. Insbesondere die Ent- che das Ausmaß der Gesundheitsgefähr- wicklung von Lungenkrebs ist durch den dungen durch das Rauchen und das Pas- Tabakkonsum bedingt, bis zu 90 % aller sivrauchen beschreiben. Zwischen dem Lungenkrebsfälle bei Männern (jährlich Rauchen und den in Abbildung 1 darge- 28.600 tabakassoziierte Neuerkrankun- stellten Krankheiten, Beschwerdebildern gen) und 60 % bei Frauen (jährlich 6.200 und Todesursachen ist ein kausaler tabakassoziierte Neuerkrankungen) sind Zusammenhang belegt 89,155. in Deutschland auf das aktive Rauchen Mehr als die Hälfte aller regelmäßigen zurückzuführen 5,16. Der Tabakkonsum ist Raucher verstirbt vorzeitig an den Fol- außerdem ein Hauptrisikofaktor für Herz- gen ihres Tabakkonsums 50. Die Hälfte Kreislaufkrankheiten und periphere arte- dieser vorzeitigen tabakbedingten Todes- rielle Durchblutungsstörungen 98,150,152. fälle tritt bereits im mittleren Lebensalter Dies ist unter anderem auf eine verän- zwischen 35 und 69 Jahren auf 123. Nur derte Blutgerinnung, die frühzeitige Ent- 58 % der Raucher erreichen das 70. Le- wicklung von Arteriosklerose sowie eine bensjahr und sogar nur 26 % das 80. Le- erhöhte Herzfrequenz und erhöhten Blut- bensjahr, im Vergleich zu 81 % bzw. 59 % druck bei Rauchern zurückzuführen 149. der Nichtraucher (Abb. 2) 49,50,123. Wäh- Raucher haben ein etwa 2- bis 4-fach rend der statistische Durchschnitt verlo- höheres Risiko, an einer Herz-Kreislauf- rener Lebenszeit bei zehn Jahren liegt, krankheit zu erkranken, als Nichtraucher büßen diejenigen, welche bereits im 36,152; insbesondere erhöht sich das Risi- mittleren Alter sterben, bis zu 20 Jahre ko bei Rauchern in Verbindung mit den ihrer durchschnittlichen Lebenserwar- klassischen Risikofaktoren für Herzer- tung ein 49,50,123. krankungen 99. Zudem verdoppelt der Ta- Ausmaß und Folgen des Tabakkonsums in Deutschland 7
Für folgende Krankheiten, Beschwerdebilder und Todesursachen ist ein Zusammenhang mit Rauchen belegt: Krebserkrankungen Atemwegserkrankungen Lungenkrebs und -beschwerden Kehlkopfkrebs Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen Speiseröhrenkrebs Lungenentzündungen Harnleiterkrebs Akute und chronische Bronchitis Blasenkrebs Gebärmutterhalskrebs Außerdem Nierenkrebs Unfruchtbarkeit bei Frauen Leukämie Impotenz bei Männern Mundhöhlenkrebs Schwangerschaftskomplikationen Bauchspeicheldrüsenkrebs Grauer Star (bei Frauen) Abbildung 1: Magenkrebs Niedrige Knochendichte Tabakrauchverursachte (bei Frauen nach der Menopause) Krankheitsbilder. Quellen: Herz- und Gefäßerkrankungen Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür International Agency for Koronare Herzerkrankungen (Herzinfarkt) Research on Cancer, 2004 89, Zerebrovaskuläre Erkrankungen (Schlaganfall) US Department of Health Bauchaortenaneurysma and Human Services, Arteriosklerose 2004 155 bakkonsum im Vergleich zu Nichtrau- weibliche Raucher etwa 13-mal häufiger chern das Risiko für Schlaganfälle durch an chronischen Lungenkrankheiten als die veränderten Fließeigenschaften des Nichtraucher, männliche Raucher etwa Blutes 17,69,134. Außerdem ist der Tabak- 12-mal häufiger 153. konsum die bedeutendste Ursache für Tabakrauch ist zudem der mit Abstand die Entwicklung chronisch obstruktiver bedeutendste und gefährlichste ver- Lungenerkrankungen 151,158. Mehr als meidbare Innenraumschadstoff und die 60 % der Todesfälle in Industrieländern, führende Ursache von Luftverschmut- die auf diese Krankheit zurückzuführen zung in Innenräumen. Unter „Passivrau- sind, werden durch das Rauchen verur- chen“ versteht man das Einatmen von sacht 55. Der Tabakrauch beeinträchtigt Tabakrauch aus der Raumluft. Diese aus die Atemwege durch Lähmung und der Raumluft aufgenommene Mischung Zerstörung der Flimmerhärchen, die Zu- von gas- und partikelförmigen Substan- nahme der Schleimdrüsen in den zen enthält viele bekannte Giftstoffe, die Hauptbronchien, Entzündungen und Ver- von zahlreichen nationalen und interna- änderungen des Lungengewebes und tionalen Gremien als gesundheitsschäd- Verdickung der Bronchialmuskulatur. lich und krebserregend eingestuft wor- Nach Angaben der US-amerikanischen den sind 29,40,52. Die schadstoffbelade- Cancer Prevention Study versterben nen Partikel des Tabakrauches lagern sich an Wänden, auf dem Boden, an Abbildung 2: Teppichen und Polstermöbeln ab. Von Überlebensraten von hier werden die Schadstoffe wieder in Rauchern und die Raumluft abgegeben. Innenräume, in Nichtrauchern ab dem denen geraucht wird, sind somit eine 35. Lebenjahr. dauernde Expositionsquelle für die im Quelle: Doll et al., 2004 49 Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe, Bearbeitung: Deutsches selbst wenn dort aktuell nicht geraucht Krebsforschungszentrum, wird 92. Die Auswirkungen des Passiv- Stabsstelle Krebsprävention rauchens sind abhängig von der Anzahl 2005. Mit freundlicher der in der Umgebung gerauchten Ziga- Genehmigung von retten, der Beschaffenheit des Raumes Sir Richard Doll. (Größe, Temperatur, Belüftung etc.), der 8 Ausmaß und Folgen des Tabakkonsums in Deutschland
individuellen Konstitution des Passiv- krebs, Arteriosklerose, Angina pectoris rauchenden (Lungenvolumen, Alter etc.), und Schlaganfälle, akute und chronische der räumlichen Distanz zum Raucher Herzkrankheiten einschließlich Herzin- und von der Zeitdauer der Exposition 52. farkt, akute und chronische respiratori- Passivraucher erleiden – wenn auch in sche Symptome sowie stärker ausge- geringerem Ausmaß und in geringerer prägte und häufigere Asthmaanfälle Häufigkeit – die gleichen akuten und 37,38,52,89,107. Auch der mütterliche Tabak- chronischen Erkrankungen wie Raucher konsum bzw. Tabakrauchbelastungen (Abb. 3). während der Schwangerschaft können Zu den akuten Folgen des Passivrau- sich bereits auf Ungeborene schädlich chens zählen Augenbrennen und -tränen, auswirken. Viele der im Tabakrauch ent- Schwellungen und Rötungen der Schleim- haltenen Schadstoffe sind mehr oder häute und vermehrte Infektanfälligkeit 91. minder plazentagängig und können so- Neben Reizungen des Atemtraktes kön- mit in den fetalen Blutkreislauf eintreten. nen Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Atemlosigkeit und Müdigkeit auftreten Summa summarum stellen Rauchen und 40,52. Eine ursächliche Beziehung zwi- Passivrauchen die größten einzelnen schen Passivrauchen und einer Reihe vermeidbaren Morbiditäts- und Mortali- weiterer Krankheiten und Todesursachen tätsrisiken dar. ist zudem nachgewiesen für Lungen- Für folgende Krankheiten, Beschwerdebilder und Todesursachen ist ein Zusammenhang mit dem Passivrauchen belegt: Krebserkrankungen Bronchitis (Entstehung und Verschlimmerung) Lungenkrebs Mittelohrentzündung bei Kindern Verringerte Lungenfunktionswerte Herz- und Gefäßerkrankungen Reizung der Nase und Augen Akute und chronische koronare Reizung der Atemwege mit der Folge von Herzerkrankungen Husten, pfeifende Atemgeräuschen und Herzinfarkt Auswurf Schlaganfall Entwicklungsstörungen Atemwegserkrankungen und -beschwerden Verzögertes Wachstum des Fetus Asthma (Entstehung und Verschlimmerung) Geringeres Geburtsgewicht Lungenentzündung (Entstehung und Plötzlicher Säuglingstod (SIDS) Verschlimmerung) Für folgende Krankheiten, Beschwerdebilder und Todesursachen wird ein Zusammenhang mit dem Passivrauchen vermutet: Abbildung 3: Ursächliche und mutmaßliche Krebserkrankungen Entwicklungsstörungen passivrauchverursachte Weitere Krebserkrankungen, z.B. Gebär- Fehlgeburten Krankheitsbilder. Quellen: mutterhalskrebs Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern California Environmental Lymphome (bei Kindern) Lernschwierigkeiten bei Kindern Protection Agency, 1997 29, Environmental Protection Atemwegserkrankungen Außerdem Agency, 1993 52, Verschlimmerung der Mukoviszidose Meningokokkeninfektion bei Kindern International Agency for Research on Cancer, 2004 89 Ausmaß und Folgen des Tabakkonsums in Deutschland 9
B Inhaltsstoffe des Tabakrauches Dr. Martina Pötschke-Langer, Prof. Dr. Heinz Walter Thielmann Kernaussagen Tabakrauch enthält 4800 Chemikalien, darunter rund 70 krebserzeugende Stoffe und eine Vielzahl giftiger Substanzen. Die Zigarettenindustrie mischt Hunderte von Zusatzstoffen unter den Roh- tabak, mit dem Ziel Kindern und Jugendlichen das Rauchen zu erleichtern sowie das Suchtpotenzial von Zigaretten beizubehalten oder zu verstärken. Kanzerogene im Zigarettenrauch Messwertpunkte nicht ab. Es gilt als Tabakrauch besteht aus einem Ge- gesichertes Wissen, dass ein erhöhtes misch von 4800 Chemikalien und ent- Risiko auch unterhalb einer „statistisch hält zahlreiche krebserzeugende (kan- signifikanten“ Schwelle der Messbar- zerogene) Stoffe 88,89. Chemische Kan- keit existiert 165. Auf weltweiter Basis zerogene sind Stoffe, die über die wird die Bewertung karzinogener Risi- Spontanrate hinaus zu einer vermehr- ken verschiedener Stoffe durch die ten Entstehung maligner Tumoren oder International Agency for Research on Leukämien als Folge einer einmaligen Cancer (IARC) der Weltgesundheitsor- oder wiederholten Einwirkung führen. ganisation vorgenommen 88,89. Aber Die meisten chemischen Kanzerogene auch in Deutschland überprüft und be- bewirken eine Schädigung der DNA, wertet regelmäßig die MAK-Kommis- was unter bestimmten Umständen zu sion der Deutschen Forschungsge- einer irreversiblen Mutation der betrof- meinschaft (DFG) Stoffe, die in Ver- fenen Zelle führt. Für DNA-mutagene dacht stehen, Krebs zu erzeugen. Stoffe können Schwellenwerte nicht definiert und begründet werden. Es Folgende Abbildung enthält nur eine lässt sich experimentell nachweisen, Auswahl der 70 Kanzerogene im Ziga- dass eine von einem Kanzerogen aus- rettenrauch, die von der IARC- bzw. der gelöste Primärläsion irreversibel ist MAK-Kommission als krebserregend und zu einem bleibenden Erbgutscha- oder mit hoher Wahrscheinlichkeit den führt. Dosis-Wirkungskurven bre- krebserregend für den Menschen ein- chen daher unterhalb der niedrigsten gestuft werden. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe a) Benz[a]anthracen Abbildung 4: Benzo[b]fluoranthen Ausgewählte Kanzerogene Benzo[j]fluoranthen im Zigarettenrauch. Benzo[k]fluoranthen Benzo[a]pyren Quelle: Thielmann H W, Dibenz[a,h]anthracen Pötschke-Langer M in: Dibenzo[a,i]pyren Deutsches Krebsfor- Dibenzo[a,e]pyren schungszentrum, 2005 47 10 Inhaltsstoffe des Tabakrauches
Indeno[1,2,3-cd]pyren 5-Methylchrysen Naphthalin Heterozyklische Kohlenwasserstoffe Furan Dibenz[a,h]acridin Dibenz[a,j]acridin Dibenzo[c,g]carbazol Benzo[b]furan N-Nitrosaminea) N-Nitrosodimethylamin N-Nitrosomethylethylamin N-Nitrosodiethylamin N-Nitrosodi-n-propylamin N-Nitrosodi-n-butylamin N-Nitrosopyrrolidin N-Nitrosopiperidin N-Nitrosodiethanolamin N-Nitrosonornicotin („NNK“)b) 4-(Methylnitrosamino)-1-(3-pyridyl)-1-butanon („NNK“)b) Stickstoffdioxid c) Aromatische Amine, flüchtige Amine d) 2-Toluidin 2,6-Dimethylanilin Anilin 2-Naphthylamin 4-Aminobiphenyl N-Heterozyklische Amine 2-Amino-9H-pyrido[2,3-b]indol 2-Amino-3-methylimidazo-[4,5-b]chinolin („IQ“) 3-Amino-1,4-dimethyl-5H-pyrido[4,3-b]indol („Trp-1“) 3-Amino-1-methyl-5H-pyrido[4,3-b]indol („Trp-2“) 2-Amino-6-methyl[1,2-a : 3',2''-d]imidazol („Glu-P-1“) 2-Amino-1-methyl-6-phenylimidazo[4,5-b]pyridin („PhIP“) Aldehyde Formaldehyd Acetaldehyd Glyoxal Acrolein (2-Propenal) Crotonaldehyd (trans-2-Butenal) Furfural (2-Furylmethanal) Phenole Phenol Brenzcatechin (1,2-Dihydroxy-benzol) Hydrochinon (1,4-Dihydroxy-benzol) o-, m-, p-Kresol Kaffeesäure Flüchtige Kohlenwasserstoffe 1,3-Butadien Isopren Benzol Nitromethan 2-Nitropropan Nitrobenzol Inhaltsstoffe des Tabakrauches 11
Verschiedene organische Verbindungen Acetamid Acrylamid Acrylnitril Vinylchlorid Hydrazin 1,1-Dimethylhydrazin Ethylenoxid Propylenoxid Styrol Butylhydroxytoluol Safrol Urethan Metalle Arsen Beryllium Nickel Chrom (Oxidationsstufe VI) Cadmium Cobalt Selen Blei (anorganisch) a) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und N-Nitrosamine werden als die hauptsäch- lichen Lungenkanzerogene des Tabakrauchs angesehen. b) Erhöhter Nitratgehalt des Tabaks kann zu einem Anstieg kanzerogener tabakspezifischer N-Nitrosamine, speziell des N-Nitrosopyrrolidins, im Rauch führen. Nikotin und Nitrat gelten als Vorläufer des N-Nitrosonornikotins und des NNK, wobei Nitrat die einflussreichere Komponente ist. c) Stickoxide können Reaktanten bei der Bildung von N-Nitrosaminen sein. d) Identifiziert wurden: 31 aliphatische Amine; 26 Pyrrole, Pyrroline und Pyrrolidine; ca. 70 Pyri- dine; 11 Piperidine und Hydroxypyridine; mehrere Pyrazine (IARC, Bd. 38). Giftige Substanzen im Tabakrauch men oder über die Haut ein. In der fol- Als giftig werden Substanzen bezeich- genden Abbildung sind ausgewählte net, die eine schädliche Wirkung auf Le- toxische Substanzen aufgeführt, die im bewesen besitzen. Dies ist vor allem oft Tabakrauch identifiziert wurden. Sie be- nur eine Frage der Konzentration. Von ruht auf einer Liste der irischen Regie- einem eigentlichen Gift spricht man, rung, die diese auf der Basis von US wenn Substanzen auch in sehr geringen amerikanischen Bewertungen erstellte Mengen giftig sind, also im Bereich von 141. In der hier aufgeführten Liste von Milligrammmengen. Die Giftwirkung tritt Giften befinden sich Kanzeropgene, die üblicherweise nach Verschlucken, Einat- bereits in Abbildung 4 erwähnt wurden.. Acetaldehyd Butyraldehyd Methylethylketon (2 Butanon) Aceton Cadmium Nickel Acrolein (2-Propenal) Kohlenmonoxid Quecksilber Acrylnitril Catechol Stickoxid Ammoniak Chinolin Phenol Abbildung 5: 4-Aminobiphenyl Crotonaldehyd Propionaldehyd Giftige Substanzen im Benzol Cyanwasserstoff Selen Tabakrauch. Quelle: The Benzo[a]pyren Formaldehyd Styrol Department of Health and Blei p-Hydrochinon Toluol Butadien m-, p- und o-Kresol Children, Ireland, 2004 141 12 Inhaltsstoffe des Tabakrauches
Zusatzstoffe für Tabakerzeugnisse nicht definierte Gemische umfassen, Ferner gestattet die Verordnung über darunter Vorstufen oder Reaktionspart- Tabak und Tabakerzeugnisse (Tabakver- ner zur Bildung krebserzeugender Stoffe, ordnung) vom 20. Dezember 1977, zu- z.B. Aminosäuren, β-Naphthylmethylke- letzt geändert am 8.12.2003, für die Her- ton, Ammoniumchlorid, Nitrate, Glycole, stellung von Tabakerzeugnissen eine Polysaccharide. Zusätzlich zur Aromen- Fülle von äußerst fragwürdigen Zusatz- verordnung lässt die Tabakverordnung stoffen. Die Stoffliste liest sich wie ein über 120 Einzelsubstanzen und 115 che- Streifzug durch die Chemikalienwelt. misch entweder nur vage definierte oder Gestattet sind danach: sämtliche Aro- völlig undefinierte Gemische zu, wie aus men der Aromenverordnung, mehr als folgender Abbildung sichtbar wird: 130 Einzelsubstanzen und 30 chemisch Chemisch undefinierte Gemische wie Früchte, frisch oder getrocknet, Fruchtsaft und -sirup, Süßholz, Lakritze, Ahornsirup, Melasse, Gewürze, Honig, Wein, Likörwein, Spirituosen, Kaffee, Tee, Dextrine, Zuckerarten, Stärke, Essenzen; Feuchthaltemittel, darunter Glycerin, hydrierter Glucosesirup, hydrierte Saccharide, 1,2-Propy- lenglykol, 1,3-Butylenglycol, Triethylenglycol, Glycerin- und Phosphorsäure sowie deren Kalium- und Magnesiumsalze; Klebe- und „Verdickungsmittel“ für Zigarren, für Strang- und schwarzen Rolltabak usf.: z.B. Gelatine, Schellack, Collodium, Celluloseacetat, Ethyl- und Methylcellulose, Carboxymethyl- cellulose, Carboxymethylstärke, Maisstärke, Gummi arabicum, Agar-Agar, Alginsäure und Salze, Traganth, Johannisbrotkernmehl, Guarkernmehl, Polyvinylacetat, Kopolymere des Vinyl- acetats mit Ethylen; für Tabakfolien: Glyoxal, Melamin-Formaldehydharz; als „Weißbrandmittel“: Aluminiumhydroxid, -sulfat, -oxid, Magnesiumoxid, Talk (Puder), Titandi- oxid, Alkali- und Erdalkalisalze der Salpetersäure; Stoffe für Zigarettenfilter: Glycerinacetate, Triethylenglycoldiacetat, Polyvinylacetate; „Heißschmelzstoffe“ zum Kleben von Mundstücken: z.B. Paraffine, mikrokristalline Wachse, Styrol-Misch- und Pfropf-Polymerisate, 2,6-Di-tert-butyl-4-methylphenol, hydriertes Polycyclo- pentadienharz; Farbstoffe für Zigarettenpapier, Zigarettenmundstücke sowie Zigarrendeckblätter, u.a. Brilliantschwarz, Cochenillerot, Echtrot, Indigotin (= Indigo), sowie mehrere für Kanzerogenität verdächtige Azofarbstoffe und Chromkomplexe zweier Azo-Verbindungen; Abbildung 6: Weichmacher für Farben und Lacke zum Bedrucken von Zigarettenpapier, -filtern und Mund- Ausgewählte Zusatzstoffe stücken: Dibutylphthalat, Glycerinacetate; für Tabakwaren. Stoffe für Aufdrucke auf Zigarettenpapier und Mundstücke: Anthrachinonblau, „Schwarz 7984“, Quelle: Thielmann H W, Paraffin, dünn- und dickflüssig, Leinöl und Holzöl, Phenol-Formaldehyd-modifiziertes Kolo- Pötschke-Langer M in: phonium, mit Acrylsäure modifiziertes Kolophonium, Kondensationsprodukte von Phenolen mit Deutsches Krebs- Formaldehyd, Salze und Oxide des Cobalts, Salze der 2-Ethylhexansäure. forschungszentrum, 2005 47 Für die Gesundheitsschädlichkeit von Zi- cher unnötige gesundheitliche Zusatzbe- garetten ist die Gesamtmenge aller toxi- lastung geschaffen, indem die Liste der schen Stoffe, die in Zigaretten und in Zi- erlaubten Zusatzstoffe Kanzerogene ent- garettenrauch enthalten sind, ausschlag- hält, oder Stoffe, die durch Pyrolyse zu gebend. Obwohl die Tabakindustrie Kanzerogenen werden, sowie Substan- schon seit Jahrzehnten im Besitz von zen, die zur Suchtverstärkung und Er- Patenten für die Herstellung weniger leichterung der Inhalation beitragen, was gefährlicher Produkte ist, erhält sie wis- es allen Neueinsteigern, und dies sind sentlich die bestehende Gesundheitsge- Kinder und Jugendliche, leichter macht fährdung aufrecht. Auch wird durch die zu rauchen. Tabakverordnung eine für den Verbrau- Inhaltsstoffe des Tabakrauches 13
C Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik Der Tabakkonsum ist bei mehr als 40 densten Fachdisziplinen deutlich, in wel- Krankheiten eine bedeutsame Ursache, chem Umfang sie mit dem Risikofaktor unter ihnen eine Reihe schwerwiegender Rauchen konfrontiert sind und geben und tödlich verlaufender Krankheiten. Im Empfehlungen für die ärztliche Praxis Folgenden machen Ärzte der verschie- und Klinik. 1 Rauchen und Krebserkrankungen Prof. Dr. Peter Drings Kernaussagen Rund 70 Kanzerogene im Zigarettenrauch bewirken, dass das Rauchen die häu- figste einzelne vermeidbare Ursache für die Krebssterblichkeit darstellt. Neben Karzinomen der Organe, die mit dem Tabakrauch direkt in Kontakt kom- men, wie Mundhöhle, Kehlkopf, Speiseröhre und Lunge, welche bis zu 90% durch das Inhalieren von Tabakrauch verursacht sind, werden auch andere Or- gane wie Pankreas, Harnblase, Nieren, Gebärmutterhals sowie bestimmte For- men der Leukämie durch Rauchen gehäuft zum malignen Wachstum angeregt. Morbidität und Mortalität rauchten Zigaretten, einem früheren Be- Rund 70 Substanzen im Zigarettenrauch ginn des Zigarettenrauchens, einer ho- sind als krebserregend oder im Verdacht hen Zahl von Raucherjahren, dem Aus- stehend Krebs zu erzeugen, identifiziert maß der Inhalation und dem Typ der worden. Hierzu zählen vor allem die gerauchten Zigaretten. In Deutschland polyzyklischen aromatischen Kohlen- sterben jährlich etwa 50.000 bis 70.000 wasserstoffe, aromatischen Armine und Krebspatienten an den Folgen des die tabakspezifischen Nitrosamine. Als Rauchens 124. weitere wichtige Gift- und Schadstoffe Auch Passivrauchen hat einen kanzero- sind zu nennen: Ammoniak, Blausäure, genen Effekt. Das Lungenkrebsrisiko für Kohlenmonoxid und Chinolin, Aceton- Ehepartner von Rauchern ist bei Frauen nitril und Quecksilber. Die International um 20%, bei Männern um 30% erhöht Agency for Research on Cancer hat deut- und steigt mit zunehmender Exposition lich gemacht, dass die Vielzahl von an. Pro Jahr sterben in Deutschland rund Substanzen eine mutagene Wirkung auf 400 Lungenkrebspatienten an den Fol- Körperzellen aufweist 89. Für die durch gen ihrer Passivrauchexposition 15. das Tabakrauchen induzierten Karzinome besteht eine eindeutige Dosis-Wirkungs- Tabakentwöhnung wirkt beziehung. So erhöht sich das Risiko mit Die Beendigung des Tabakkonsums der ansteigenden Zahl der täglich ge- bringt sowohl kurz- als auch langfristig 14 Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik
erhebliche gesundheitliche Vorteile für deutlich, dass zwar ein Exraucher nie- Raucher aller Altersgruppen. Am Bei- mals das gleiche niedrige Krebsrisiko spiel des Lungenkrebsrisikos in Abhän- eines Nierauchers erreichen kann, jedoch gigkeit vom Rauchverhalten und dem ein frühzeitiger Rauchstopp auch das Zeitpunkt der Tabakentwöhnung wird Krebsrisiko deutlich vermindern hilft. 16 15,9 % ständiger 14 Raucher Lungenkrebsrisiko in % Abbildung 7: 12 Rauchstopp mit Lungenkrebsrisiko in 9,9 % 60 Jahren Abhängigkeit vom 10 Rauchstopp mit Rauchverhalten und dem 8 50 Jahren 6% Zeitpunkt der 6 Rauchstopp mit Tabakentwöhnung. Quelle: 4 3% 40 Jahren Peto et al., 2000 122. 1,7 % Rauchstopp mit Bearbeitung: Deutsches 2 30 Jahren Krebsforschungszentrum, 0 0 0 0,4 % lebenslanger Stabsstelle Krebsprävention, 45 50 55 60 65 70 75 Nieraucher 2002. Mit freundlicher Alter Genehmigung von Sir Richard Peto. Empfehlungen für ärztliches Handeln in Praxis und Klinik Alle Ärzte in Klinik und Praxis sollten jeden Patienten nach seinem Rauch- status fragen und Raucher durch Gespräche zu einem Rauchstopp ermutigen. Ärzte sollten rauchenden Patienten immer wieder deutlich machen, dass 25% bis 30% aller Krebstodesfälle durch Nichtrauchen vermeidbar sind. Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik 15
2 Rauchen und Atemwegserkrankungen Prof. Dr. med. Gerhard Siemon Kernaussagen Chronische Bronchitis und chronisch obstruktive Bronchitis (COPD) sind die häufigsten Folgen des Tabakrauchens. Ca. 90% der über 6 Millionen Menschen in Deutschland mit COPD rauchen oder haben geraucht. Das Erkrankungsrisiko von COPD ist bei rauchenden Frauen 3 bis 4 mal höher als bei Männern. COPD ist die vierthäufigste Todesursache mit steigender Tendenz Pathophysiologie eine chronische Bronchitis ohne manife- Zigarettenrauchen führt zum Verlust der ste Atemwegsobstruktion, auch wenn Zilien, zu Hyperplasie der Schleimdrü- die Lungenfunktionsprüfung normal ver- sen, einem Anstieg der Becherzellen in läuft. Wenn jedoch Raucher von Husten den zentralen Atemwegen und zur Ent- und Auswurf berichten, kann davon aus- zündung und Atrophie sowie zu Becher- gegangen werden, dass diese Gruppe zell-Metaplasie, schuppiger Metaplasie, von Rauchern eine Risikogruppe für Schleimstau, Hypertrophie der glatten COPD ist. Dies trifft auf jeden zweiten Muskulatur und peribronchialer Fibrose Raucher zu 65,128. Da die typischen klini- in den peripheren Atemwegen. In den schen Zeichen einer COPD bei leichten Alveolen und den Kapillaren ist eine Erkrankungsformen nur diskret ausge- Destruktion der peribronchialen Alveolen prägt sind, ist eine sorgfältige Anamnese zu beobachten. Zigarettenrauchen führt insbesondere zum Rauchstatus, zur Er- aber auch zu einer Abnahme der kleinen krankungsschwere, zeitlichen Erkran- Arterien, einer pathologischen Zusam- kungsentwicklung, Komorbidität (Rechts- mensetzung der Bronchialspülflüssigkeit, herzbelastung, andere durch Zigaretten- einer Erhöhung von IgA und IgG sowie rauch verursachte Erkrankungen, insbe- einem Anstieg der aktivierten Makropha- sondere aus dem kardiovaskulären For- gen und Neutrophilen71. menkreis) und Abgrenzung des Asthma Bronchiale (Allergie- und Familienanam- Klinische Manifestation nese, Therapie) notwendig. Die Früh- Raucher und Passivraucher weisen inte- diagnostik der COPD ist entscheidend für rindividuelle Unterschiede bei Lungen- den Krankheitsverlauf und die Überle- veränderungen und funktionellen Schä- benszeit, deshalb sollte bei allen Rau- den auf. Lungenfunktionsstörungen kön- chern eine sorgfältige anamnestische nen auf Grund von respiratorischer und klinische Diagnostik erfolgen 65. Bronchiolitis selbst bei Kindern von Raucherinnen nach der Geburt und bei Tabakentwöhnung zur COPD Prävention jungen Rauchern auftreten 117. Bereits Da in Deutschland von den etwa 6 Millio- bei 25jährigen Rauchern ist eine abneh- nen COPD Patienten 90% Raucher oder mende Lungenfunktion zu beobachten, Ex-Raucher sind und COPD die inzwi- die bei weiterem Zigarettenrauchen zu- schen vierthäufigste Todesursache mit nimmt. Chronischer Husten, übermäßige steigender Tendenz darstellt, ist die einzi- Sputumproduktion und begleitende Ven- ge Präventionsmöglichkeit in der Tabak- tilationsstörungen sind Begleiterschei- entwöhnung zu suchen. Denn fortgesetz- nungen des langjährigen Rauchens. Die tes Zigarettenrauchen ist die primäre COPD beginnt meist schleichend über Ursache für eine fortschreitende COPD 16 Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik
mit sekundärem Lungenemphysem bis Männer an einer COPD zu erkranken 128. zum chronischen Cor pulmonale und Tabakentwöhnung wird in der Praxis von gehäuften Pneumonien. Insbesondere Lungenfachärzten zunehmend mit gutem rauchende Frauen haben ein drei- bis Erfolg praktiziert 80. viermal höheres Risiko als rauchende Empfehlungen für ärztliches Handeln in Praxis und Klinik Nur das Vermeiden von aktivem und passivem Rauchen kann die Entwicklung und das Fortschreiten einer COPD wirksam beeinflussen, deshalb müssen alle Allgemeinmediziner, Hausärzte und Lungenfachärzte Patienten nachdrücklich zu einer Tabakentwöhnung motivieren. Jeder Patient mit Atemwegsinfekt muss auf sein Rauchverhalten angesprochen werden, und ärztlicher Rat zum Rauchstopp muss grundsätzlich erfolgen. Es hat sich gezeigt, dass pneumologische Praxen für die Durchführung von Tabakentwöhnungsprogrammen hervorragend geeignet sind. Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik 17
3 Rauchen und kardiovaskuläre Erkrankungen Prof. Dr. Bernd Krönig Kernaussagen Etwa 40% der 140.000 jährlichen Todesfälle aufgrund des Zigarettenrauches entfallen auf kardiovaskuläre Erkrankungen infolge arteriosklerotischer Verän- derungen. Ursächlich dafür sind u.a. eine durch Rauchen induzierte endotheliale Dysfunk- tion und beeinträchtigte hämorheologische Faktoren. Bei zusätzliche Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes, Hyperlipidämie und Adipositas wird das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko potenziert. Rauchen und tokrit und Fibrinogen, sowie gesteigerter Arteriosklerose-Entwicklung Thrombozytenaggregation 71 ebenso be- Ursächlich kommt der „endothelialen günstigt, wie durch einen Anstieg der Dysfunktion“ als Trigger einer vorzeiti- Katecholamine und etlicher inflammato- gen Arteriosklerose eine Schlüsselrolle rischer Mechanismen. Besonders ungün- zu (vgl. Abb. 8). Sie wird allerdings weni- stig scheint eine erhöhter ApoB/ApoA1- ger durch Nikotin, als durch die Rauch- Quotient zu sein; er kann bei Rauchern inhaltsstoffe, insbesondere Kohlenmon- gegenüber Nichtrauchern 3-fach erhöht oxyd, Benzpyrene und Glycoproteine, sein 170 und damit vorzeitige arterioskle- Abbildung 8: gefördert. Damit ergibt sich ein fataler rotische Veränderungen fördern. Wirkungen von Nikotin und Synergismus zu allen weiteren kardiova- Abbrandprodukten des skulären Risikofaktoren. Im besonderen Krankheitsrisiko und Abhängigkeit Zigarettenrauches auf Herz- Maße gilt dies für die aktuelle epidemie- vom Raucherstatus Kreislauf-Parameter. Quelle: artige Entwicklung von Adipositas und Nach der FRAMINGHAM-Studie 164 nahm Haustein, 2001 71. Mit freund- Typ-2-Diabetes. Nicht nur in jüngeren das relative Risiko höhergradiger Caro- licher Genehmigung von Jahren sind diese Gesundheitsstörungen tisstenosen selbst bei „moderaten“ Rau- Prof. Dr. Knut-Olaf Haustein oft mit Zigarettenabusus verknüpft . chern (> 5 Packungen/Jahr) um 44 % (Frauen, n.s.) bzw. 160 % (Männer) zu. Ähnliches gilt für die paVK, die in unse- rem Land noch immer eine Inzidenz von ca. 100 000 pro Jahr (Stadium III–IV) auf- weist 132 und bei ca. 30 – 40 000 Patienten pro Jahr zu Amputationen führt. Umge- kehrt ließ sich in der INTERHEART-Stu- die 170 zeigen, dass im Vergleich zu Rau- chern z.B. das Herzinfarktrisiko bei Nicht- rauchern um 65%, bei zusätzlicher vege- tabiler Kost sogar um 76% niedriger liegt. Dies gilt insbesondere beim Vor- liegen weiterer kardiovaskulärer Risiko- faktoren, wie Hypertonie, Diabetes, Hy- perlipidämie, Bewegungsmangel, Fehl- ernährung und Übergewicht 98. Nach dem Neben vorgenannten Mechanismen wird PROCAM-Index 9 kommt es bei einer die vorzeitige Arteriosklerose bei Rau- beispielhaft angenommenen mittleren chern auch durch ungünstige hämorheo- Punktzahl von 20 bis 40, durch Rauchen logische Faktoren, wie erhöhtem Häma- zu einem Zugewinn von 8 Punkten; nach 18 Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik
SCORE 36 verdoppelt sich das Risiko Wahrscheinlichkeit von (malignen) Herz- einer tödlich verlaufenden kardiovasku- rhythmusstörungen an 71. lären Erkrankung innerhalb der nächsten Erfolge des Rauchstopps 10 Jahre bei einem sonst „gesunden“ Bei konsequenter Tabakentwöhnung 55-jährigen Mann von 3% als Nichtrau- (Schlusspunktmethode, bei Abhängig- cher auf 6% als Raucher. keit ggf. mit Nikotinersatzstoffen) kann das Risiko von kardiovaskulären Folge- Herzinsuffizienz, erkrankungen – anders als bei Rauch- Herzrhythmusstörungen und Rauchen induzierten malignen Erkrankungen – be- Nicht nur durch verstärkte koronarskle- reits nach ca. zwei Jahren auf das rotische Veränderungen, sondern auch Niveau von Nichtrauchern zurückgehen. durch toxische Einflüsse auf das Myo- Bzgl. der Zahl täglich gerauchter Zigaret- kard und durch eine Verschlechterung ten besteht eine lineare Korrelation zum der Oxygenierung, kann es bei Rauchern Herzinfarktrisiko: Bei einer Reduktion eher zu einer Herzinsuffizienz kommen. von z.B. 25 auf 10, bzw. 10 auf 0 Ziga- Damit und aufgrund einer akuten sym- retten/tgl., halbiert sich die Herzinfarkt- pathico-adrenalen Stimulation steigt die wahrscheinlichkeit jeweils 170. Empfehlungen für die ärztliche Praxis und Klinik Bei der Erhebung der Anamnese sollte immer das Rauchverhalten abgefragt und auf die Gefahr kardiovaskulärer Folgeerkrankungen hingewiesen werden. Es ist zu betonen, dass schon mit einer Zigarette erhebliche Kreislaufverände- rungen (z.B. Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerung) eintreten. Zum wirksa- men Abbau des gesundheitlichen Risikos durch Rauchen sind Entwöhnungs- kurse und ggf. der Einsatz von Nikotinersatzstoffen zu empfehlen. Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik 19
4 Rauchen und Hypertonie Prof. Dr. Bernd Krönig Kernaussagen Rauchen führt zu einem akuten Blutdruckanstieg und zur Steigerung der Herz- frequenz auch bei normotensiven Rauchern. Rauchende Hypertoniker haben einen deutlich höheren Blutdruck als nichtrau- chende Hypertoniker. Das kardiovaskuläre Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko ist bei rauchenden gegenüber nichtrauchenden Hypertonikern etwa doppelt so hoch. Akuter Blutdruckanstieg durch Rauchen Dauerhafte Blutdruckerhöhung Die vasokonstriktorische Wirkung des durch Rauchen Zigarettenrauchs bewirkt zwangsläufig Mit Hilfe der üblichen Blutdrucklangzeit- auch einen Anstieg des Blutdrucks. messung alle 15 Minuten am Tag und Dauerhafte Gefahren für die Entwicklung alle 30 Minuten während der Nacht ließ des Blutdrucks bei normotonen wie sich zeigen, dass bei vergleichbaren Kol- hypertonen Rauchern sollen deshalb im lektiven von Hypertonikern der Tages- Folgenden näher untersucht werden. In mittelwert bei Rauchern (> 20 Zigaretten/ einer Studie mit jungen normotensiven tgl.) mit 150/97 mmHg signifikant höher Rauchern wurde deutlich, dass es zu ausfiel als bei Nichtrauchern mit 143/93 einem signifikanten Blutdruckanstieg von mmHg – und dies bei vergleichbaren 103,4/56,5 – auf 120,0/65,1 mmHg nach Gelegenheitsblutdruckwerten eingangs der ersten Zigarette am Morgen kom- der Studie mit 158/99 – (bei Rauchern) men kann 68. Bei weiterem Konsum von bzw. 158/98 mmHg (bei Nichtrauchern). jeweils einer Zigarette alle 15 Minuten blieb das initial erreichte Blutdruck- Geringe Blutdruckdifferenzen bestanden niveau – allerdings bei höheren „Aus- selbst noch während der Nacht. Damit gangswerten“ – fast gleich. Dies galt in könnte die – allerdings nur bei männ- gleicher Weise für die Herzfrequenz, die lichen Probanden – beobachtete, mit 119 von initial 63,2 – auf 81,4 Schläge/Min. g/m2 Körperoberfläche höhere linksven- nach der ersten Zigarette anstieg und bis trikuläre Muskelmasse bei Rauchern zur 4. Morgenzigarette am Ende der gegenüber 110 g/m2 Körperoberfläche erste Stunde nur gering zurückging 68. bei Nichtrauchern erklärbar sein. Interes- santerweise fiel selbst ein Maß der Gefäßrigidität (= Arteriosklerose), näm- lich die Blutdruckvariabilität (am Tag), bei Rauchern mit 15,9/13,0 mmHg signi- fikant höher aus als bei Nichtrauchern (14,6/12,2 mmHg-systol./diast.). Abbildung 9: 24-Stunden-Blutdruck-Profil Der blutdrucksteigernde Effekt des Rau- bei rauchenden versus chens lässt sich besonders bei Hyper- nichtrauchenden Hoch- tonikern nur durch die Langzeitblut- druckkranken. druckmessung (ABDM) und nicht bzw. Quelle: Rosenthal J, nur unzureichend durch die Gelegen- Kolloch R, 2004 157 heitsblutdruckmessung erfassen. Ur- Mit freundlicher sächlich spielt die unmittelbare Blut- Genehmigung des Springer druckreaktion beim Rauchen eine we- Verlags, Heidelberg sentliche Rolle. Bei der üblichen Gele- 20 Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik
genheitsblutdruckmessung in der Praxis Rauchstopp und Blutdrucksenkung dürfte ein in der Regel 30- bis 60-minüti- Selbst eine nur einwöchige Nichtrau- ges rauchfreies Intervall den blutdruck- cherperiode vermag bei normotensiven steigernden Effekt maskieren. Probanden mittels Langzeitblutdruck- messung zu einer Senkung des 24-h-Mit- Erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitäts- telwertes von 125,3/76,5- auf 121,8/74,5 risiko bei rauchenden Hypertonikern mmHg bei gleichzeitiger Abnahme der Durch negative Beeinflussung, z.B. des mittlere Herzfrequenz von 82,6- auf 75,3 sympathiko-adrenalen Systems, der Ge- Schläge /Min. beizutragen 112. fäßreagibilität, der linksventrikulären Muskelmasse sowie etlicher hämorheo- Was die antihypertensive Pharmakothe- logischer Faktoren, wird das kardiova- rapie bei rauchenden Hochdruckkranken skuläre Morbiditäts- und Mortalitäts-Risi- betrifft, scheinen nur die (ohnehin heute ko bei rauchenden Hochdruckkranken selten eingesetzten) nicht-selektiven Be- verdoppelt. Dazu tragen weniger die tablocker eine abgeschwächte Wirkung blutdrucksteigernden Effekte durch das zu entfalten. Beta-1-selektive Sympatho- Rauchen als vielmehr die negativen lytica und alle übrigen Antihypertensiva Folgen der Begünstigung arterioskleroti- weisen eine vergleichbare Wirkung bei scher Veränderungen bei. Dies betrifft rauchenden und nichtrauchenden Hoch- haemorheologische (z.B. Thrombozyten- druckkranken auf. Die bei Entwöhnungs- aggregation, Hämatokrit, Fibrinogen ge- maßnahmen häufig eingesetzten Niko- steigert), myokardiale (z.B. Störung der tinersatzstoffe führen zu keiner Druck- diastolischen Funktion, Anstieg der LV- steigerung, in gleicher Weise gilt dies für Masse) und vaskuläre Faktoren (z.B. end- die Kombination mit dem Antidepressi- otheliale Dysfunktion durch erhöhten vum Bupropion. oxidativen Stress). Aus primär-, wie se- kundär-präventiver Sicht ist deshalb ein absoluter Rauchverzicht unabdingbar. Empfehlungen für die ärztliche Praxis und Klinik Alle Allgemeinmediziner, Internisten und Kardiologen sollten jeden Patienten nach seinem Rauchverhalten fragen und darauf einwirken, dass ein Rauchstopp unverzichtbar ist als adjuvante Therapie der Hypertonie und aller kardiovasku- lären Erkrankungen. Auch sollten noch gesunde Raucher darauf hingewiesen werden, dass Rauchen einen akuten Blutdruckanstieg und eine Steigerung der Herzfrequenz zur Folge hat. Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik 21
5 Rauchen und orthopädische Beschwerden Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Dr. Sven Schneider, Dr. Christoph Rau Kernaussagen Unspezifische muskuloskelettale Beschwerden, insbesondere im Rückenbe- reich, sowie Osteoporose treten bei Rauchern signifikant häufiger auf als bei Nichtrauchern. Neben körperlichen Schädigungen führt regelmäßiger Tabakkonsum auch zu einer komplexen Veränderung der Schmerzwahrnehmung. Der Zusammenhang zwischen Rauchen und orthopädischen Erkrankungen ist eindeutig; es ist allerdings davon auszugehen, dass ein wesentlicher Teil der Symptome nicht durch unmittelbare Schädigung verursacht wird, sondern multifaktoriell zu erklären ist. Tabakkonsum darf nicht nur als Noxe, sondern sollte auch als (inadäquate) Coping-Strategie im Sinne einer dysfunktionalen Schmerzbewältigungsreak- tion betrachtet werden. Rauchen als Noxe den Nozizeption und die Schmerz- Unspezifische muskuloskelettale Be- schwelle beeinflusst. schwerden, insbesondere im Rückenbe- reich, treten bei Rauchern signifikant Rauchen als Ursache für häufiger auf als bei Nichtrauchern. Ein Fehlregulationen valider Nachweis einer Kausalität steht Einerseits geht mit Tabakkonsum häufig bis dato noch aus. Diskutiert werden fol- ein reduziertes Schmerz- und Angst- gende Einflüsse: (1) Zum einen führt empfinden einher. Andererseits kann Nikotinkonsum zur Vasokonstriktion und regelmäßiges Rauchen längerfristig als langfristig zu endothelialen Veränderun- dysfunktionales Verhalten bei Stress, gen im Rahmen einer Arteriosklerose. Angst und Depressivität mit nachfolgen- Die eingeschränkte Perfusion von Wir- den physiologischen Maladaptationen belsäulenstrukturen scheint insbesonde- wie z.B. erhöhter Muskelspannung füh- re im Bereich der Bandscheiben degene- ren, was in der Folge zu einer weiteren rative Veränderungen zu fördern 2. Da- Zunahme des Nikotinkonsums führen rüber hinaus stört Rauchen die rheologi- kann 18. So geben Raucher an, durch schen Bedingungen des Blutflusses auf- Nikotinkonsum besser entspannen zu grund einer zunehmenden Gerinnungs- können, berichten aber gleichzeitig eine aktivität und veränderter fibrinolytischer höhere Stressbelastung als Nicht- Prozesse. (2) Die chronische Bronchitis raucher. Dies führt zu erhöhtem Nikotin- als Folge des Rauchens soll durch den konsum u.a. bei akuten Schmerzen. In wiederholten intraabdominellen Druck- diesem Zusammenhang können gesund- anstieg beim Abhusten zu Bandschei- heitsbeeinflussende Verhaltensmuster benschädigungen führen, da die Ernäh- wie zum Beispiel der Nikotinkonsum als rung des Bandscheibengewebes durch intensional kurzfristig wirksame, jedoch Diffusion beeinträchtigt wird. In Unter- langfristig erfolglose Coping-Strategie suchungen an Zwillingen wurde zudem verstanden werden. Raucher weisen beim jeweils rauchenden Partner eine auch bezüglich weiterer morbiditätsrele- höhere Prävalenz degenerativer Verän- vanter Faktoren ein risikoerhöhendes derungen der Bandscheiben nachgewie- berufliches und psychosoziales Profil sen. (3) Im Rahmen nikotin-induzierter auf. So rauchen Personen mit höherem neurobiologischer Veränderungen wer- sozioökonomischen Status seltener und 22 Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik
pflegen einen gesünderen Lebensstil. In Rauchen und Osteoporose diesem Zusammenhang hat insbesonde- Die Assoziation zwischen Nikotinabusus re die berufliche Situation Auswirkungen und dem Auftreten einer Osteoporose ist auf das Auftreten von muskuloskeletta- unbestritten 61. Ob die osteoporotischen len Beschwerden und auf das individuel- Strukturveränderungen jedoch ursäch- le Rauchverhalten. Zudem klagen Arbeit- lich für die (muskulo-)skelettale Be- nehmer mit einer geringen Arbeitszufrie- schwerdesymptomatik bei Rauchern ver- denheit vermehrt über Rückenbeschwer- antwortlich ist, ist nicht mit Sicherheit den als Personen, die ihre Arbeit gerne geklärt. Bei Nikotinabusus wurde eine erledigen. Personen mit einem niedrige- verminderte Serum-Konzentration von ren sozioökonomischen Status glauben Vitamin-D und Parathormon nachgewie- zudem häufiger an einen schicksalhaften sen, wobei es keinen Konzentrations- Krankheitsverlauf 159. Rauchen ist also unterschied des ionisierten Calciums bei auch als Konfounder für orthopädisch Rauchern im Vergleich zu Nichtrauchern relevante Erkrankungen einzuschätzen, gibt. Darüber hinaus bestätigen Knochen- insbesondere für jene Erkrankungen, für dichte-Messungen eine negative Kor- die psychosoziale Aspekte gesichert sind relation zwischen Nikotinkonsum und wie zum Beispiel für chronische Rücken- Knochendichte 64. Dabei scheint der schmerzen. Nikotinabusus einen dosisabhängigen Effekt auf den Knochendichteverlust zu Rauchen und entzündlich-rheumatische haben. Durch den bei Rauchern verän- Erkrankungen derten Mineralisationsgehalt des Kno- Die Datenlage zum Zusammenhang zwi- chens zeigt sich ein verminderter Kalk- schen Rauchen und entzündlich-rheuma- salzgehalt, der zum Beispiel im Bereich tischen Erkrankungen ist nicht eindeutig. der Wirbelsäule häufiger zu Mikrofrak- Das Auftreten einer rheumatoiden Ar- turierungen der Wirbelkörper-Trabekel thritis scheint sowohl von genetischen führt. Diese Zusammenhänge können als auch von Umweltfaktoren abhängig zumindest teilweise durch noxische zu sein. Das Risiko, an einer seropositi- Schädigung erklärt werden. Weiterhin ven rheumatoiden Arthritis zu erkranken, pflegen Raucher auch einen passiven ist bei Rauchern größer als bei Nicht- Lebensstil und beeinträchtigen hier- rauchern; dies gilt allerdings nur für die durch ihren Knochenstoffwechsel. seropositive Krankheitsform 120. Eine Do- sisabhängigkeit des Krankheitsverlaufs Rauchen und degenerative scheint nicht zu bestehen. Dagegen Gelenkerkrankungen konnte bei Untersuchungen an Patienten Die Osteoarthrose scheint nicht mit dem mit bekannter Spondylitis ankylosans Nikotinabusus assoziiert zu sein. Unter (M. Bechterew) eine Verschlechterung Konstanthaltung beruflicher und sozialer der Langzeitprognose und der Funk- Risikofaktoren lässt sich kein Zusam- tionseinschränkung bei regelmäßigem menhang zwischen Nikotinkonsum und Nikotinkonsum festgestellt werden 96. Gonarthrose oder Coxarthrose belegen. Das Tabakproblem in der ärztlichen Praxis und in der Klinik 23
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