Berufsfragen: Neue Kinderrichtlinien - kinder- und jugendarzt
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Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. Heft 6/16 · 47. (65.) Jahr · A 4834 E Berufsfragen: Forum: Neue Kinderrichtlinien Wellcome-Umfrage: Was Mütter sich wünschen Fortbildung: Kopfschmerzen: Magazin: Angemessen managen! ADHS und Delinquenz: Präventiv einsperren? www.kinder-undjugendarzt.de HANSISCHES VERLAGSKONTOR GmbH · LÜBECK
Herausgeber: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. Editorial in Zusammenarbeit mit weiteren pädiatrischen Verbänden. 351 Foto: © sanneberg - Fotolia.comw Jugendliche mit ADHS Foto: Mustermann S. 416 Redakteure: Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Bremen (federführend), Prof. Dr. Florian Heinen, Inhalt 6 | 16 München, Prof. Dr. Peter H. Höger, Hamburg, Prof. Dr. Klaus-Michael Keller, Wiesbaden, Dr. Wolfram Hartmann, Kreuztal, Regine Hauch, Düsseldorf Berufsfragen Fortbildung Forum Magazin 353 Editorial – Geänderte 380 Kopfschmerzen im 405 Fakten-Check 416 Jugendliche mit ADHS Kinderrichtlinien Kindes- und Jugendalter – von wellcome Kirsten Stollhoff Ronald G. Schmid Schlüsselaspekte guter 406 Vermischtes 420 Fortbildungstermine des 358 Ärztestatistik Praxis BVKJ 407 PraxisApp Wolfram Hartmann Michaela Bonfert, 408 Weiterbildung 421 Personalia Mirjam N. Landgraf, 360 Pro ÖGD Folkert Fehr 422 Pädindex Iris Hannibal, Gabriele Trost-Brinkhues Thyra Langhagen, 410 Impfaufklärung, eine 424 Nachrichten der Industrie 362 Ungenutzte Spielräume Lucia Gerstl, gemeinsame Aufgabe 429 Wichtige Adressen in der pädiatrischen Beate Kusser, Martin Terhardt des BVKJ Privatabrechnung Florian Heinen 411 Kommentar zum Sucht- Marcus Heidemann 390 Highlights aus Bad Orb: mittelreport der BZgA 366 Der Kinder- und Jugend- Tuberkulose im Kindes- Uwe Büsching arzt als Arbeitgeber, Teil 4 alter 412 Regionale Unterschiede Christian Krapohl Folke Brinkmann bei der Kinder- und Achtung 372 Mukoviszidose-Screening 396 consilium: Bakterielle Jugendhilfe Klinikär zte! Olaf Sommerburg, Komplikationen nach 412 Impressum Burkhard Lawrenz einer RSV-Infektion? 414 Kinder richtig operieren 374 Kinderreha Johannes Forster 415 Neue Leitlinie für s. S. 414 + 415 Alwin Baumann 398 Welche Diagnose wird Mandelentzündungen 376 Wahlergebnis gestellt? 377 Hebammen: Wie frei sind Sandra Pehle Den Beilagenhinweis finden Sie auf Seite 377. sie in ihrer Beratung? 401 Review aus englischspra- Juliane Netzer-Nawrocki chigen Zeitschriften 378 Asthmatherapie Grit Heinicke-Peljak 47. Jg. (2016) Nr. 6 160216_04_anzeige_concerta_104x30.indd 1 16.02.1
Editorial 353 Editorial ... Geänderte Kinderrichtlinien Das neue Früherkennungs-Untersuchungs- heft für Kinder ab dem 3. Quartal 2016 Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat nach Beschlüssen zu den geänderten Kinder- richtlinien 18.06.2015 und zum Mukoviszidose-Screening am 20.08.2015, am 19.05.2016 den Beschluss zur Dokumentation und Einführung des neuen Früherkennungsprogramms U1 bis U9 (Abb. 1) gefasst (www.g-ba.de). Vorgeschichte und Historie Folgende Rahmenbedingungen sind angeordnet: • Die neuen Hefte werden ab Juni 2016 an die Praxen 45 Jahre nach der Einführung des blauen Vorsorge- und Kliniken ausgeliefert. Prof. Dr. heftes am 01.01.1971 wurde somit erstmals eine grund- • Die alten Hefte werden durch die Praxen und Klini- Ronald G. Schmid legende Überarbeitung des nicht mehr zeitgemäßen ken entsorgt. Früherkennungsprogramms für Kinder vorgenommen. • Das Früherkennungsprogramm besteht weiter aus Die Beratungen zur Neufassung dauerten über 10 Jahre. 10 Vorsorgeuntersuchungen (U1-U9 incl. U7a). Der Bestandteil dieser Beratungen waren auch die zahlrei- jetzige Beschluss umfasst noch nicht die Früherken- chen Modifikationen des Früherkennungsprogrammes nungsuntersuchungen oberhalb von 6 Jahren, insbe- von 1971 bis 2010 (Tab. 1). sondere auch nicht die J1. Mit über 5 Millionen Untersuchungen von der U1 • Die Zeitpunkte und Zeiträume zur Durchführung bis U9 pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland und der Früherkennungsuntersuchungen bleiben unver- einer Beteiligungsrate von 97 Prozent (KiGGS-Studie) ändert. ist das Früherkennungsprogramm für Kinder ein im • Auch bei Frühgeborenen sind die Untersuchungs- Vorsorgebereich einmaliges Erfolgsmodell. Nach der zeiträume einzuhalten. Die Frühgeburtlichkeit wird KiGGS-Studie nehmen 81 Prozent aller Kinder an allen bei der Beurteilung der Zeiträume berücksichtigt Vorsorgeuntersuchungen U3 bis U9 teil. teil. Es ist da- (Beschluss vom 18.06.2015 B I § 2). Dies erfordert von auszugehen, dass die Quote sowohl bei der U1 und z. B bezüglich der Entwicklung eine Alterskorrektur. U2, die fast ausschließlich in den Kliniken stattfinden, • Wesentliche Inhalte des Früherkennungsprogram- als auch bei den anderen Vorsorgen nach Einführung mes bleiben gleich. Es besteht aber eine stärkere Ver- der verpflichtenden Teilnahme in fast allen Bundeslän- dern eher noch höher liegt. 01.01.1971 U1-U7 blaues Heft Der GBA als juristische Person des öffentlichen Rechts 01.01.1977 U 8 (4 Jahre)- seitdem gelbes Heft nach § 91 SGB V hat unter Beteiligung des Spitzenver- 01.01.1981 U 9 (5 Jahre) bandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der 01.01.1992 Vitamin K Prophylaxe Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der kassenzahn- 01.01.1996 Hüftsonographie- Screening ärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Patien- 01.10.1998 J 1 (12-14 Jahre) tenvertretung in damit elfjähriger Tätigkeit ein nicht in 1999/ 2005 Erweitertes Stoffwechselscreening (BY-D) allen Punkten, aber weitgehend konsentiertes Konzept 01.07.2008 Einführung U 7a (3 Jahre) vorgelegt. Z.B. konnte die Einführung der Fragebögen zur Früherfassung psychosozialer, emotionaler und kogniti- 01.01.2009 Hörscreening ver Auffälligkeiten, trotz massiven Widerstandes der KBV 18.06.2015 Neues Früherkennungsprogramm- GBA und des Protestes aller pädiatrischen Verbände, auch der 20.08.2015 Mukoviszidose- Screening Kinder- und Jugendpsychiater, nicht durchgesetzt werden. 20.10.2015 Änderung § 26 SGB V= Neue Untersuchungen? 19.05.2016 Beschluss des GBA zur Einführung der Inhalte des neuen Das neue Kinderuntersuchungsheft Gelben Heftes ab 01.07.2016 Tab. 1: Einführung der Modifikationen des Früherkennungsunter- Das neue Kinderuntersuchungsheft wird (vorbehalt- suchungsprogrammes für Kinder in der Bundesrepublik Deutsch- lich Ministerunterschrift) zum 01.07.2016 eingeführt. land vom 01.01.1971 bis zum 19.05.2016. 47. Jg. (2016) Nr. 6
Editorial 354 bindlichkeit der vereinbarten Maßnahmen. Zahlrei- Dokumentation zu den Punkten muss nur erfolgen, che Untersuchungen sind stärker strukturiert und in wenn Auffälligkeiten bestehen. den Durchführungsbestimmungen enger gefasst. • Orientierende Beurteilung der Entwicklung In • Das Mukoviszidose-Screening wird mit der Einfüh- Anlehnung an das Grenzstein-Prinzip wurden in rung des neuen Kinderuntersuchungsheftes neu ein- der Neufassung entwicklungsrelevante Items zwi- geführt. schen der 90. und 95. Perzentile auf der Basis einer • Bei der ersten anstehenden Früherkennungsuntersu- internationalen Literatur-Studie ausgesucht und chung bis zur U6, aber auch bei allen Neugeborenen nach ausgiebiger Prüfung in das Konzept aufge- wird ab 01.07.2016 das neue Heft ausgegeben. Do- nommen. Es ist verpflichtend, jedes dieser Items kumentationen in das alte Kinderuntersuchungsheft zu überprüfen. Bei Auffälligkeiten (es ist mit einer sind nach dem 01.07.2016 ungültig und dürfen nicht Quote von 15-20 Prozent über die gesamten Berei- zur Abrechnung gebracht werden. che zu rechnen) ist der auffällige Befund durch eine • Ab der U7 wird es selbstklebende Einlagehefter ge- erweiterte Diagnostik im kurativen Bereich abzu- ben, die in das alte Früherkennungsheft eingeklebt klären. Bestandteil der orientierenden Beurteilung werden müssen. Die Dokumentation aller Früher- der Entwicklung ist eine Beobachtung der Interak- kennungsuntersuchungen nach dem 01.07.2016 hat tion, wobei auch hier, je nach Untersuchungssitu- in dem neuen Einlagehefter zu erfolgen. ation, ergänzende Befragungen nötig werden kön- • Eine besondere Neuerung ist die Einführung einer nen. Die Liste der Items wurde bereits im Kinder- Teilnahmekarte. Die Teilnahme an einer Früherken- und Jugendarzt März 2015 bei der Veröffentlichung nungsuntersuchung ist immer gleichzeitig in der Teil- des IVAN-Papiers publiziert. Bei Auffälligkeiten nahmekarte zu dokumentieren. Die Eltern sind aufge- wird die Durchführung einer Basis-Diagnostik z.B. fordert das Untersuchungsheft zukünftig nicht mehr entsprechend dem IVAN-Papier empfohlen. Die bei Einrichtungen (Schule, Krippe, etc.) vorzulegen. orientierende Beurteilung der Entwicklung ist nur Die Teilnahmebestätigung (bundesweit verschiedene dann auffällig, wenn abgefragte Items nicht erfüllt gesetzliche Regelungen) wird durch die Vorlage der werden. Nur dies ist zu dokumentieren. Teilnahmekarte möglich. Die Teilnahmekarte ist prin- • Untersuchung Anschließend erfolgt die klinische zipiell Bestandteil des Früherkennungsheftes, kann Untersuchung. Diese ist gegenüber der Vorfassung aber herausgetrennt werden. eher reduziert. Auch hier sind nur Auffälligkeiten zu dokumentieren. Es besteht eine Möglichkeit einzu- tragen, wenn Eltern unzufrieden mit der Entwick- Mit einer herausnehmbaren Teilnahmekarte erhalten die Eltern lung und dem Verhalten des Kindes sind. eine neue Möglichkeit, beispielsweise gegenüber Kindergärten nach- • Beurteilung der Eltern-Kind-Interaktion zuweisen, dass die Früherkennungsuntersuchungen wahrgenommen Dieses Kriterium wurde neu eingeführt. Dabei wer- wurden, ohne dabei die vertraulichen Informationen zu Entwick- den von der U3 bis zur U6 folgende Reaktionen lungsständen und ärztlichen Befunden des Kindes weiterzugeben. während der Vorsorgeuntersuchung beobachtet und beurteilt: • Stimmung / Affekt Die Struktur der • Kontakt / Kommunikation Früherkennungsuntersuchungen • Regulation / Stimulation • Ab der U7 wird im Rahmen der orientierenden Im neuen Kinderuntersuchungsheft wurden wegen Beurteilung der Entwicklung ein Item „ Interakti- der hohen Akzeptanz des Programms in der Bevöl- on/Kommunikation“ eingefügt. kerung möglichst wenige äußerliche Veränderungen • Beratung Die Beratungsinhalte sind in den ver- durchgeführt, bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung und schiedenen Früherkennungsuntersuchungen un- in einigen Punkten auch Anpassung an den Zeitgeist. terschiedlich. Sie sind verbindlich vorgegeben und Diesen Forderungen trägt der neue Aufbau der Früh- müssen vorgenommen werden. Nur wenn eine er- erkennungsuntersuchungen Rechnung. Die U1 weicht weiterte Beratung erforderlich ist, ist eine Dokumen- etwas von diesem Konzept ab, da Übereinstimmung be- tation vorzunehmen. stand, dass bei der U1 nur die dringendsten medizinisch • Ergebnisse Der Ergebnisteil ist neu strukturiert. Er nötigen Untersuchungen durchgeführt werden sollen, umfasst zunächst die Dokumentation von auffälligen um der besonderen Situation von Mutter und Kind um anamnestischen Erkenntnissen und die Beurteilung die Geburtsphase herum Rechnung zu tragen. Alle Vor- der Entwicklungseinschätzung sowie die Dokumen- sorgeuntersuchungen haben folgenden Aufbau: tation der Körpermaße. Das Gesamtergebnis wird • Elterninformation Die Elterninformation für das zusammengefasst: ganze Heft und dann zu jeder einzelnen Früherken- • Keine Auffälligkeiten nungsuntersuchung wurde nach umfangreichen Bera- • Auffälligkeiten zur Beobachtung tungen neu eingeführt, um den Eltern die spezifischen • Weitere Maßnahmen vereinbart Anliegen zur anstehenden Untersuchung zu erklären. Es folgt dann eine Check-Liste zu den bei der jewei- • Anamnese Die Anamnese wurde gegenüber dem ligen Früherkennungsuntersuchung anstehenden früheren Untersuchungsheft eher reduziert. Eine ergänzenden Untersuchungen und die Möglichkeit 47. Jg. (2016) Nr. 6
Editorial 356 Bemerkungen einzutragen. Ebenso sind die nächs- Ophthalmoskop die Transilluminationsfähigkeit zur ten Termine in (Impftermine und nächste Früher- Diagnostik einer Trübung der brechenden Medien ge- kennungsuntersuchung) einzutragen. prüft. Sinn dieser Maßnahme ist die frühe Erkennung • Nachtragungen Das gesamte Früherkennungs- angeborener Katarakte. heft ist so aufgebaut, dass nur Auffälligkeiten und Von der U4 bis zur U7 ist der Brückner-Test so- besondere Befunde zu dokumentieren sind. Falls wohl 10 – 30cm vor dem Auge als auch aus 3-4 Metern das Kind unauffällig ist, beschränkt sich die Do- Entfernung mit dem Ophthalmoskop in einem abge- kumentation auf die orientierende Beurteilung der dunkelten Raum durchzuführen. Die Pupillen müssen Entwicklung, die Körpermaße, das Gesamtergeb- seitengleich aufleuchten. Auffällig ist jeder Seitenunter- nisses, Terminvereinbarungen, das Ausfüllung der schied, jede Verschattung, der fehlende Rot-Reflex bzw. Teilnehmerkarte und den Stempel mit Unterschrift ein gelb-weißer Reflex. Ziel ist es Strabismus, Anisome- und Datum. tropie und Transilluminationsauffälligkeiten zu entde- cken. Auch eine Prüfung der Blickfolge ist vorgesehen. Achtung Ab der U7a ist neben der Untersuchung des Auges ein Stereotest (der schon länger in der Pädiatrie verwen- Eine Besonderheit ist die Dokumentation zur dete Langtest zum Beispiel) und ein Sehtest mit beid- zahnärztlichen Beratung bzw. zum Verweis an den seitigem und rechts-/links Sehen mit Okklusion eines Zahnarzt. Von der U5 bis zur U7 ist dies kein Pflicht- Auges durchzuführen z. B. (H-Test, Landoltringe). Falls feld und muss nur bei Auffälligkeiten angekreuzt ein auffälliger Befund vorliegt ist eine erweiterte oph- werden. Abweichend vom Gesamt-System des Früh- thalmologische Untersuchung erforderlich. Optotypen erkennungsprogrammes muss von der U7a bis zur sind verpflichtender Bestandteil der Untersuchun- U9 zur Erfüllung der Pflichtdokumentation ange- gen, die vielfach noch verwendeten Kinderbilder sind kreuzt werden, dass auf die zahnärztlichen Früher- nicht zugelassen. kennungsuntersuchungen beim Zahnarzt aufmerk- sam gemacht wurde. Die Stuhlfarb-Tafel An diesem Punkt liegt eine Unlogik der Doku- Seit der Bekanntgabe im Jahr 2015 ist die Einführung mentation vor. Bei der U5 bis zur U7 ist nur bei einer Farbtafel zur Erkennung der Stuhlfarbe (Abb. 1) Auffälligkeit anzukreuzen, ab der U7a bis zur U9 ein viel umstrittenes Thema in pädiatrischen Kreisen. ist der „Verweis zur zahnärztlichen Früherken- Grundlage der Einführung ist allerdings die schlechte nungsuntersuchung“ obligat zur Erfüllung der Evidenz einer spontanen Abfrage ohne vergleichbare Leistungsvorschrift zu dokumentieren. Farbkarte oder Prüfung des Stuhls ohne Farbkarte zur Früherkennung einer Gallengangsatresie. Im Idealfall Besondere Neuregelungen kann die Stuhlfarbkarte anhand vorhandenen Stuhles selbst vergleichend eingesetzt werden, es besteht aber Mukoviszidose-Screening auch die Möglichkeit die Eltern nach der Stuhlfarbe zu Mit dem neuen Kinderuntersuchungsheft wurde das fragen. Es wird davon ausgegangen, dass durch die Ein- Screening auf Mukoviszidose eingeführt welches zu- führung der Farbkarte sich die bisher lückenhafte Diag- sammen mit dem Stoffwechselscreening in den ersten nostik deutlich verbessert. 4 Lebenswochen durchgeführt wird. Die Inzidenz der Mukoviszidose liegt bei 1 zu 3300, sodass mit knapp 200 Die Impfberatung Fällen pro Jahr zu rechnen ist. (s. Beitrag von Dr. Law- Ab der U3 ist eine verpflichtende Impfberatung vor- renz in diesem Heft). gesehen. Die Beratung hat sich an den Vorgaben der GBA- Impfempfehlung zu orientieren. Falls Abwei- Die Hördiagnostik chungen zu den STIKO-Impfempfehlungen bestehen, Die Hördiagnostik wurde gegenüber dem alten U- kann dies den Eltern dargelegt werden. Relevant sind Heft nach der erfolgreichen Einführung des Hörscree- nur die von den Krankenkassen finanzierten Impfemp- nings reduziert. Es wird lediglich für die Kinder, die in fehlungen des G-BA. den ersten Lebensjahren eine Hörstörung entwickeln (vorwiegend genetische-, Stoffwechsel- und Infekti- Vergütungen onskrankheiten) bei der U8 ein Hörscreening mit dem Die Anpassung der Vergütung der neuen Früherken- Screening-Audiometer mit 5 Frequenzen von 0,5-6 kHz nungs-Untersuchungen ist bei Redaktionsschluss noch vorgeschrieben. Dabei müssen mindestens 4 Lautstär- nicht geregelt. Der BVKJ fordert eine zeitnahe Anpas- ken von 20-50 dB geprüft werden. Wenn 2 Bereiche auf- sung der Vergütung bei der Kassenärztlichen Bunde- fällig sind, ist eine erweiterte Diagnostik erforderlich. vereinigung (KBV) seit Herbst 2015 ein. Rein formal juristisch haben Kassen und KBV im Bewertungsaus- Screening auf Sehstörungen schuss (BWA) nach In-Kraft-Treten eines neuen GBA- Neu und verbindlich geregelt wurde das Screening Beschlusses 3 Monate Zeit, sich auf eine Höhe der Ver- auf Sehstörungen. Bei der U2 und U3 ist eine Prüfung gütung zu einigen. Sie werden von den kassenärztlichen im durchfallenden focussierten Licht vorgeschrieben. Vereinigungen aber auch vom BVKJ unterrichtet wer- Dabei wird aus 10-30 cm vom Auge entfernt mit dem den, sobald ein entsprechender Beschluss gefasst ist. 47. Jg. (2016) Nr. 6
Editorial 357 Abb. 1: Die Verwendung einer Stuhlfarbkarte ist mit der Einführung des neuen Früherkennungsheftes verbindlich Qualitätskontrolle und Evaluation Die Qualität und die Zielerreichung der überarbei- Ab diesem Stichtag ist zu beachten: teten Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 wer- • Für Neugeborene dürfen die bisher geltenden den anhand einer repräsentativen Stichprobe evaluiert. Hefte nicht mehr ausgegeben werden. Beispielsweise soll untersucht werden, inwieweit Kinder • Kinder erhalten bis zur U6 zusätzlich ein neues mit Entwicklungsauffälligkeiten frühzeitig diagnosti- „Gelbes Heft“. ziert und therapiert werden können. Der G-BA wird • Befunde aus dem bisher verwendeten Kinderun- spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie tersuchungsheft sind nicht zu übertragen. ein unabhängiges wissenschaftliches Institut mit der • Ab der U7 wird die Ärztin oder der Arzt die Er- Evaluation beauftragen. gebnisse auf Einlegeblättern dokumentieren, die in das vorhandene Heft eingeklebt werden. Zukunftsentwicklungen • Die Teilnahmekarten und die Einlegeblätter für Im Herbst 2015 hat der Gesetzgeber beschlossen, dass die neuen U7 bis U9 werden zeitgleich mit den auch Vorsorgeuntersuchungen über das 6. Lebensjahr neuen Heften zur Verfügung gestellt. hinaus nach § 26 SGB V durchgeführt werden können. Dies ist eine Neuregelung. Es ist zu erwarten, dass im Wir werden Ihnen in den nächsten Heften entspre- Rahmen der zukünftigen Beratungen des GBA eine An- chend der weiter verfügbaren Informationen über den passung an die neue Gesetzeslage erfolgt. Ob dies wie in Fortgang der Neu-Einführung berichten. vielen Selektiverträgen des BVKJ zur Einführung einer U10, U11 und J2 führt ist derzeit nicht vorhersehbar. Mitarbeit In Bayern wird derzeit eine Erweiterung des Stoff- wechsel-Screenings von 14 Krankheiten um 11 weitere Dr. Hermann-Josef Kahl, Krankheiten als Modell-Versuch durchgeführt. Zur Hy- Prof. Dr. med. Ronald G. Schmid pertyrosinämie Typ 1 ist schon eine Stellungnahme auf (beratende Vertreter des KBV im G-BA), der GBA-Homepage hinterlegt. Dr. Reinhard Bartetzky (Sprecher Honorarausschuss), Weiterhin wird derzeit bundesweit intensiv die Ein- Dr. Burkhard Lawrenz (Sprecher Ausschuss Präventi- führung eines Pulsoxymetrie-Screenings zur Früher- on und Frühtherapie) kennung von lebensbedrohlichen Herzfehlern disku- tiert. Für die Autoren: Prof. Dr. med. Ronald G. Schmid Umsetzung in der Praxis Vizepräsident BVKJ 84503 Altötting Die neuen „Gelben Hefte“ werden den Geburtsklini- E-Mail: bvkj@schmid-altoetting.de ken, Kinderarztpraxen und Hebammen rechtzeitig mit dem Inkrafttreten zur Verfügung gestellt. Red.: WH 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 358 Ärztestatistik zum 31.12.2015 D ie Bundesärztekammer (BÄK) hat im April die aktuelle Ärztestatistik veröffentlicht. Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt 371.102 berufstä- tige Ärztinnen und Ärzte. Die Kinder- und Jugend- ärzte stehen mit 14.162 an 6. Stelle der Gesamtärztesta- tistik, in der Ärztinnenstatistik nach Allgemeinmedizin (20.143), Innerer Medizin (18.106), Frauenheilkunde und Geburtshilfe (11.668) sowie Anästesiologie (9.632) mit 8.115 an 5. Stelle. Bei den Facharztanerkennungen sieht es folgender- maßen aus: Gebiet Gesamtzahl Kolleginnen Innere Medizin 1.701 1.010 (59 %) Abb. 1: Entwicklung der Zahl der berufstätigen Kinder- und Jugendärzte (niedergelassen und stationär) seit 1996 Allgemeinmedizin 1.337 901 (67%) Anästhesie 1.130 565 (50 %) Orthopädie und Un- 911 219 (24 %) fallchir. Frauenheilk. und Ge- 681 578 (85%) burtsh. Kinder- u. Jugendme- 664 497 (75%) dizin Psychiatrie u. Psycho- 509 295 (58%) ther. Abb. 2: Altersverteilung der berufstätigen Kinder- und Jugend- ärzte am 31.12.2015 in Klinik und Praxis Neurologie 485 304 (63%) Radiologie 408 169 (41%) Augenheilkunde 276 170 (62%) Tab. 1: Facharztanerkennungen der zehn am meisten gewählten Fachgruppen 2015 Die Kinder- und Jugendmedizin steht auch hier ins- gesamt an sechster Stelle, bei den Kolleginnen erneut an fünfter Stelle. Bei Umfragen unter Medizinstudenten wurde die Kinder- und Jugendmedizin nach der Inne- ren Medizin und der Allgemeinmedizin an dritter Stelle der gewünschten Fachrichtungen genannt. Abb. 3: Altersverteilung der Kinder- und Jugendärzte (alle und Ärztinnen) am 31.12.2015 Insgesamt berufstätig 14.162 (8.115 ♀ , 6.047 ♂) Niedergelassene Kinder- 5.838 und Jugendärzte (- 0,2 % gegenüber 2014) Stationär tätige Kinder- 5.853 und Jugendärzte (+ 4,6 % gegenüber 2014) Tab. 2: Anzahl Kinder- und Jugendärzte am 31.12.2015 (+ 3,14 % gegenüber 2014) Abb. 1 zeigt die dramatische Veränderung der Tä- tigkeitsfelder der Kinder- und Jugendärzte seit 1996 an. Während 1996 noch 5.594 Kinder- und Jugendärzte als niedergelassene Vertragsärztinnen und Vertragsärzte Abb. 4: Entwicklung der Facharztanerkennungen in der Kinder- tätig waren, hatte sich diese Zahl zum 31.12.2015 um und Jugendmedizin von 1995 bis 2015 56 auf 5.838 reduziert, wohingegen die Zahl der im 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 359 Klinikbereich tätigen Fachärzte für Kinder- und Ju- gendmedizin (Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nicht mitgerechnet) von ursprünglich 3.692 um 2.160 auf 5.853 Kolleginnen und Kollegen erhöht hat. Hier spielen natürlich geänderte Tarifverträge und Arbeits- zeitregelungen eine entscheidende Rolle. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass sich immer mehr früher unter stationären Bedingungen erfolgte Behandlungen in den ambulanten Bereich ver- schoben haben und dass das Aufgabengebiet der nie- dergelassenen Kinder- und Jugendärzte sich durch neue Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, Selektivverträge und neue Morbiditäten ganz erheblich erweitert hat. Und auch niedergelassene Kinder- und Jugendärzte haben einen Anspruch auf geregelte Arbeitszeiten und Abb. 5: Kinder- und Jugendärzte am 31.12.2015 nach Tätigkeits- Vereinbarkeit von Familie und Beruf. bereichen Wir steuern, wenn sich nichts ändert, auf eine mas- sive Unterversorgung im ambulanten Versorgungsbe- Jahren wächst, es sind inzwischen 1.266. Dieser Trend reich zu! wird sich insbesondere bei den Kolleginnen fortsetzen, Die Abb. 2 und 3 zeigen die Altersverteilung der Kin- die bereits jetzt 82 % der in den Praxen angestellten der- und Jugendärzte, die Abb. 4 noch einmal die Ent- Pädiater (ohne Weiterbildungsassistenten) ausmachen. wicklung der Facharztanerkennungen seit 1995 und die Abb. 5 die Tätigkeitsbereiche der Kinder- und Jugend- Dr. Wolfram Hartmann ärzte. Wichtig ist hier die Beobachtung, dass die Zahl der 57223 Kreuztal in der Praxis angestellten Kolleginnen und Kollegen seit E-mail: dr.wolfram.hartmann@uminfo.de Trim g Trim g
Berufsfragen 360 Optionen pädiatrischer Tätigkeit ... Teil 2 – Pro ÖGD • Interesse an Bevölkerungsmedizin, Public Health, Sozialpädiatrie, Kindern und Jugendli- chen mit Handikap, psychosozialer Benachteiligung, Infektionsschutz? Interesse am Blick vom Individuum auf eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen? • Sie überwinden bürokratische Hürden, nutzen Ihre Kenntnisse der Unterstützungs möglichkeiten im System und begleiten z.B. Kinder mit Behinderungen und deren Eltern über die gesamte Kindheit und Jugend bis in das Erwachsenenalter. • Dann lassen Sie sich begeistern von der Arbeit des Kinder- und Jugendgesundheitsdiens- Dr. Gabriele tes im ÖGD! Trost-Brinkhues W ährend des Studiums und auch in der Fach- Entwicklung und evtl. Beeinträchtigung zu verste- arztausbildung ergibt sich selten die Gele- hen. Die derzeit aus vielen Ländern hinzukommen- genheit, die breite Aufgabenpalette eines den Kinder und Jugendlichen sind eine besondere Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes (KJGD)/des öf- Herausforderung. In Kenntnis von Anamnese und fentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) insgesamt ken- Untersuchung beraten die untersuchenden Ärztinnen nenzulernen. Alle Kolleginnen und Kollegen, die aus und Ärzte die Kinder und Jugendlichen von Geburt unterschiedlichen Gründen zumindest einen Teil ihrer bis zur Volljährigkeit und ihre Eltern in allen Fragen fachärztlichen Tätigkeit im KJGD gearbeitet haben, der Schulgesundheit, der Gesundheitsförderung und waren erstaunt über die Vielfältigkeit der Tätigkeit, die des Gesundheitsschutzes. Bei individuell erforderli- Möglichkeiten und die spannende Vernetzungsarbeit. cher/ besonderer Förderungsnotwendigkeit werden Bestürzung rufen die Mengen der psychosozial be- mit Einverständnis der Eltern die betreuenden Erzie- nachteiligten, auch der schlecht- oder unversorgten herinnen und Lehrer in die Beratung mit einbezogen. Kinder, hervor. Je nach Schwerpunkten in den einzel- Dies ist vor allem dann erforderlich, wenn es sich um nen Diensten spannt sich der Bogen der Tätigkeiten von Kinder mit besonderen gesundheitlichen Unterstüt- „Frühen Hilfen“, aufsuchende Arbeit, Sozialpädiatrie zungsbedarfen und/oder chronischen Erkrankungen pur, Betreuung von Kindertagesstätten und Schulen, handelt. Ein Bereich, der dringend der guten Vernet- Entwicklungsscreening und –diagnostik, begutachten- zung von Grundversorgern und dem kinder- und ju- de Aufgaben nach Sozialgesetzbüchern bis hin zu einer gendärztlichen Dienst/schulärztlichen Dienst bedarf. unterschiedlich ausgebauten Prävention und Gesund- • Sozialkompensatorische Aufgaben heitsförderung im sogenannten „Setting“, also den Kin- Neben der eigentlichen Diagnostik erfüllen die kin- dertagesstätten und Schulen. der- und jugendärztlichen Untersuchungen zudem Insbesondere die Beratung, Begleitung und Schulung eine wichtige sozialkompensatorische Rolle: Vor der Pädagogen aus Familienzentren, Kindertagesstätten dem Hintergrund des Zusammenhangs von sozia- und Schulen, auch andere Multiplikatorenschulungen ler und gesundheitlicher Ungleichheit leisten diese sind eine sehr befriedigende und spannende Aufgabe. Untersuchungen vor und in Kindertagesstätten und Nicht wenige Kolleginnen mit einem in sich ruhenden Schulen einen unersetzbaren Beitrag zur Prävention Selbstbewusstsein und großer Empathie haben mit sehr durch die frühzeitige Identifikation von Kindern mit viel Freude die Arbeit im öffentlichen Gesundheits- Präventions- und Förderbedarf unabhängig von ih- dienst schätzen gelernt. rer sozialen Herkunft. Hier kommt der aufsuchen- den Arbeit und der Vernetzung mit den niedergelas- Die grundsätzlichen Aufgaben und Ziele senen Kolleginnen und Kollegen eine besondere Be- der Arbeit im KJGD lassen sich wie folgt deutung zu. Trotz aller Bemühungen fallen etwa ein beschreiben: Drittel dieser benachteiligten Kinder immer noch durch das Netz der Primärversorgung. • Individualmedizinische Aufgaben • Bevölkerungsmedizinische (epidemiologische) Hierunter ist insbesondere die fachärztliche Unter- Aufgaben suchung des einzelnen Kindes oder Jugendlichen Die kinder- und jugendärztlichen Untersuchungen hinsichtlich seiner körperlichen und psychischen des ÖGD liefern wichtige Daten für die Gesund- 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 361 heitsberichterstattung, um gesundheitsrelevante des Schularztes im ÖGD verankert und diese Aufga- Sachverhalte und Trends aufzuzeigen. So lässt sich ben detailliert beschrieben. einerseits die zunehmende Bedeutung chronischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter mit sehr Im Folgenden möchte ich beispielhaft einen Teil unterschiedlicher Beeinträchtigung beschreiben. An- möglicher Ergebnisse präsentieren, um zu verdeutli- dererseits wird insbesondere die Notwendigkeit in- chen, welchen unschätzbaren Wert z.B. die Vollerhe- tensiver Betreuung von Kindern aus benachteiligten bung bei der Schuleingangsuntersuchung hat. Bevölkerungsgruppen (Bildungsferne, Armut) mehr Besonders auffällig wird der Zusammenhang von als deutlich. Sozialraumbezogen lassen sich Präven- Bildung und Kindesentwicklung (Abb. 1 und 2) bzw. tions-, Versorgungs- und Handlungsbedarfe bei den der Gesundheit in allen Facetten. In den meisten Bun- untersuchten Kindern und Jugendlichen beschrei- desländern wird wie in NRW ein sog. Bildungsindex ben, spezifische kommunale Notwendigkeiten iden- als höchster Schul- und Ausbildungsabschluss in der tifizieren und für die gezielte Arbeit vor Ort nutzen. Familie des Kindes ermittelt. Betrachtet man die Er- • „Betriebsmedizinische“ Aufgaben gebnisse der standardisiert durchgeführten Schulein- Die Ärztinnen und Ärzte des Kinder- und jugend- gangsuntersuchung mit insgesamt 27 Einzelparame- ärztlichen Gesundheitsdienstes beraten zudem die tern (von ca. 300 erfassten Items), insbesondere des Eltern, aber auch die Träger von Einrichtungen/ sozialpädiatrischen Entwicklungsscreenings zum Schulen zur kindgemäßen „Arbeitsplatz“-Gestal- Schulbeginn, so werden neben den individuellen Er- tung in der Schule. Hierzu gehören Fragen des In- gebnissen auch die sozialräumlichen Zusammenhänge fektionsschutzes, zur Unfallverhütung sowie zu bau- augenfällig. lichen und hygienischen Anforderungen und indi- viduellen Förderanforderungen (durch besondere, Fazit: z.B. visuelle Hilfen, pflegerische Hilfen…) vor allem bei der Inklusion förderbedürftiger bzw. behinderter Sie glauben, dies gibt es nur in wenigen Kommunen? Kinder. In den meisten Gesetzen sind die Tätigkeiten Nein, Sie irren, lassen sie sich in Ihren Qualitätszirkeln A u sw ertu n g d er S ch u lein g an g su n tersu ch u n g d er A u sw ertu n g d er S ch u lein g an g su n tersu ch u n g der Jah re 2 0 1 0 bis 2 0 1 5 (6 G ebu rtsjah rg än g e) Jah re 2 0 1 0 b is 2 0 1 5 (6 G eb u rtsjah rg än g e) D u rch sch n ittlich er Bild u n g sin dex n ach Bew ertu n g d er Leben sräu m e n ach Eltern an g ab en zu Sch u l- u n d Beru fsau sb ildu n g R an g reih en fo lg e der au sg ew erteten V ariablen (Q u an til-D arstellu n g ) (Q u an til-D arstellu n g ) L eg en d e Legende Bildu n g sin d ex (1 = n ied rig bis 8 = h o ch ) Bew ertu n g G esam t: R an g su m m e (2 7 V ariab len ) 2 .7 9 - 4 .2 2 2 6 1 .0 0 - 5 0 4 .8 0 4 .2 2 - 4 .7 9 5 0 4 .8 0 - 6 9 9 .6 0 4 .7 9 - 5 .3 6 6 9 9 .6 0 - 8 8 4 .2 0 5 .3 6 - 5 .9 9 8 8 4 .2 0 - 1 1 5 4 .6 0 5 .9 9 - 6 .7 9 1 1 5 4 .6 0 - 1 4 6 0 .0 0 Datenquelle: Datenquelle: StädteRegion Aachen, Gesundheitsamt 0 1 2 3 4 5 km StädteRegion Aachen, Gesundheitsamt 0 1 2 3 4 5 km Dokumentation der Schuleingangsuntersuchungen Dokumentation der Schuleingangsuntersuchungen Abb. 1: Bildungsscore der Eltern von Kindern zum Abb. 2: Ergebnisse des sozialpädiatrischen Entwicklungs- Schulbeginn: niedrigste Schul- und Berufsausbildung in screenings zum Schulbeginn (SOPESS): schwächste Er- den hellen Bezirken gebnisse in den „roten“ Bezirken. 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 362 die Daten aus Ihrer Kommune zeigen, sie werden sich Literatur bei der Verfasserin wundern. Die Arbeit im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Dr. Gabriele Trost-Brinkhues einer Kommune ist eine befriedigende und sehr vielfäl- Gesundheitsamt Städte Region Aachen, 52078 Aachen tige Tätigkeit, eine Alternative zu Klinik und Praxis, die E-Mail: Dr.G.Trost-Brinkhues@t-online.de Sie kennen lernen sollten. Red.: WH Der Honorarausschuss informiert ... Ungenutzte Spielräume in der pädiatrischen Privatabrechnung Wie bereits bekannt, ist mit einer Novellierung und Anpassung der GOÄ an die Entwicklung der Medizin in dieser Legislaturperiode des Bundestages aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu rechnen. Die Ärzteschaft wird noch über einen längeren Zeitraum mit der alten GOÄ arbeiten müssen. Daher lohnt es sich, neben der Beschäftigung mit den Ziffern selbst, auch den Paragraphenteil nicht aus den Augen zu verlieren. G ab es in der Amtlichen Gebührenordnung von Anwendung von Steigerungsfaktoren Dr. Marcus 1924 noch Abrechnungsspannen, die teilweise Heidemann bis zum 20-fachen des Mindestsatzes gesteigert Aufgrund dieser Bestimmungen steht es den Ärzten werden konnten, sah die folgende Gebührenordnung zu, den Abrechnungsfaktor einer Leistung gemäß den von 1965 noch eine Steigerung auf den 6-fachen Satz beschriebenen Anforderungen festzulegen. Dabei sind vor. In der jetzigen GOÄ gibt es noch die Möglichkeit, alle Faktoren, die bei der Erbringung einer Leistung re- bis zum 3,5-fachen zu steigern. Allerdings wird hiervon levant sind, gemeinsam zu beurteilen und dann in einem nur noch sehr wenig Gebrauch gemacht, sondern meist Faktor für jede einzelne Leistung festzulegen. Da dies in pauschal in Höhe des Regelsatzes abgerechnet. Von vie- der Praxis sicherlich oft schwierig ist, ist in den meisten len Praxen wird somit in zahlreichen Fällen mögliches Rechnungen oft eben nur der Regelsatz zu finden, dass und berechtigtes Honorar nicht abgerechnet und somit heißt in den meisten Fällen der 2,3-fache Satz, bei be- oft Geld verschenkt, denn gerade in der Pädiatrie gibt es stimmten Leistungen der 1,8-fache, bzw. bei Laborleis- oft Situationen, die eine Steigerung auch über den Re- tungen der 1,15-fache Satz. gelsatz rechtfertigen. Oberhalb des Regelsatzes wird zudem eine Begrün- dung notwendig, damit der Patient erkennen kann, Rechtslage worin die besondere Schwierigkeit einer Leistung lag. Dies ist aber weder an einen besonderen Katalog von In § 5 GOÄ heißt es in Absatz 1: „Die Höhe der einzelnen Gebühr be- Begründungen gebunden, noch gibt es standardisierte misst sich, soweit in den Absätzen 3 bis 5 nichts anderes bestimmt ist, nach Vorgaben, wann welche Leistung zu steigern ist. Die Tat- dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes…“ sache, dass die Mehrzahl der Ärzte z. B. einen bestimm- ten Faktor nicht als Steigerungsgrund anführt, bedeutet Weiterhin heißt es in Absatz 2: Innerhalb des Gebührenrahmens sind die nicht, dass der einzelne Arzt dies eben nicht nach „billi- Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwan- gem Ermessen“ doch zur Begründung heranziehen darf. des der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach Die dem Arzt ggf. etwas fremde juristische Formu- billigem Ermessen zu bestimmen. Die Schwierigkeit der einzelnen Leistung lierung „nach billigem Ermessen“ bedeutet dabei nichts kann auch durch die Schwierigkeit des Krankheitsfalles begründet sein; weiter, als dass der Arzt weitgehend frei in der Gestaltung dies gilt nicht für die in Absatz 3 genannten Leistungen. Bemessungskrite- und Auslegung der Steigerungsgründe ist. Der Patient rien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, oder die PKV, mit der der Arzt übrigens in keinem Ver- haben hierbei außer Betracht zubleiben. In der Regel darf eine Gebühr tragsverhältnis steht, können nicht einfach den Steige- nur zwischen dem Einfachen und dem 2,3-fachen des Gebührensatzes rungsgrund anzweifeln. Der Patient bzw. bei Minderjäh- bemessen werden; ein Überschreiten des 2,3-fachen des Gebührensat- rigen der gesetzliche Vertreter müssen dann begründen, zes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Be- warum nach ihrer Ansicht der angewandte Steigerungs- messungskriterien dies rechtfertigen. faktor nicht gerechtfertigt ist. Die dem Naturwissen- 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 364 schaftler ggf. suspekte Unbestimmtheit des Begriffes ist Tatsache Kind als Steigerungsgrund naturgemäß nicht also eher ein Vertrauensbeweis in die Urteilungsfähigkeit aus, jedoch sind auch hier individuelle Erschwernisse und die Gerechtigkeit des Arztes. im Einzelfall vorhanden und können als Begründung herangezogen werden. Steigerungsfaktoren in der Pädiatrie Nur weil wir es können, Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist Kenn- bedeutet es noch nicht, dass es leicht ist! zeichen der Pädiatrie, wir haben dieses Gebiet bewusst gewählt, weil wir gern mit Kindern und Jugendlichen ar- Zusammenfassend sollte also jeder Arzt überlegen, in beiten. Manches mag gerade mit ihnen besonders leicht welchen Fällen er Steigerungsgründe über den Regelsatz und spielerisch erscheinen, doch die Tatsache, dass wir anwenden kann. Die Begründung muss hierfür individu- aufgrund unserer oft großen Erfahrung und eines spe- ell erfolgen, kann aber natürlich wiederholt in Form von ziellen Geschickes im Umgang mit Kindern die beson- Textbausteinen verwendet werden. Die Steigerung sollte deren Herausforderungen dieser Arbeit jeden Tag erneut dabei auf jede Ziffer einzeln erfolgen und die Bedingun- bewältigen, ist noch kein Beweis, dass es deshalb immer gen des Falles gut wiedergeben. Beispielhafte Begrün- leicht ist, Kinder und Jugendliche zu untersuchen und dungen sind im Textkasten zu diesem Beitrag aufgeführt. zu behandeln. Insofern ist jede medizinische Tätigkeit mit und für diese Altersgruppe oft auch komplexer und schwieriger als bei Erwachsenen. Beispielbegründungen für Steigerungsfaktoren Soweit dies der Fall ist, ist eine Steigerung über den in der Pädiatrie 2,3-fachen Gebührenrahmen immer dann möglich, so- (nicht abschließend!) weit der Faktor „Kind“ nicht bereits in der Leistungsle- Kindbezogen gende angeführt wird. In der Regel ist bei der Legende (z. B. bei Untersuchung oder Sonografie): der Ziffern von einem kooperativen und zur Mitarbeit – unruhiges Kind gewillten Erwachsenen auszugehen. Das beste Beispiel – schreiender Säugling einer besonderen Schwierigkeit sieht man bei der Bewer- – abwehrendes Kind tung der venösen Blutabnahme. Bei Erwachsenen er- – Überredung zur Mitarbeit notwendig folgt diese meistens nicht durch den Arzt, sondern durch eine MFA, in einer pädiatrischen Praxis meistens durch Technisch bedingt: den Arzt selbst, sowie oft unter zusätzlicher Assistenz ei- – schlechte Venenverhältnisse / schwierigere ner MFA mit ganz erheblichem Zeitaufwand. Das kann anatomische Strukturen selbst durch maximale Steigerung der Ziffer 250 (maxi- – mehrfache Messung bei schlechter Mitarbeit mal Faktor 2,5) nicht ausgeglichen werden. notwendig Auch die Auskultation beim Säugling ist sicher eine – erschwerte Untersuchungsbedingungen schwierigere Leistung als dies beim Jugendlichen oder bei Hausbesuch Erwachsenen der Fall ist. Dies umso mehr, wenn teilwei- – erhöhter Zeitaufwand für Kind se Abwehr, Schreien oder starke Unruhe hinzukommen. Krankheitsbezogen: All dieses wird der Erwachsenenmediziner im Regelfall – komplexes Krankheitsbild nicht bei seinen Patienten erleben, hingegen bei z. B. ver- – eingeschränktes Therapiespektrum aufgrund wirrten Patienten sehr wohl als Steigerungsgrund anfüh- des Alters ren können. Insofern ist die Vorraussetzung zur Steigerung ei- Elternbezogen: ner Leistungsposition oftmals gegeben, wird aber meist – Dauer der Beratung nicht angeführt. Gleiches gilt für die Lungenfunktions- – Beratung mehrerer Begleitpersonen prüfung, die manchmal mehrere Anläufe benötigt oder (s. auch GOÄ Ziffer 4) auch die Sonografie, bei der nicht nur der Internist den „adipösen Patienten“ als Erschwernis steigern darf, son- dern auch der Pädiater das „unruhige Kleinkind“. Bei Dr. Marcus Heidemann, 33605 Bielefeld Ziffern, die sich speziell auf Kinder beziehen reicht die E-Mail: marcusheidemann@web.de Red.: WH im Internet Alle Beiträge finden Sie vier Wochen nach Erscheinen der Printausgabe im Internet unter www.kinder-undjugendarzt.de Dort steht Ihnen ein kostenloser Download zur Verfügung. 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 366 Der Kinder- und Jugendarzt als Arbeitgeber ... Teil 4: Das laufende Arbeitsverhältnis – Schwangerschaft und Elternzeit Teil 4 der Serie „Der Kinder- und Jugendarzt als Arbeitgeber“ knüpft an den Inhalt der vorhe- rigen Artikel (Einstellungsvorgang und Abschluss des Vertrages) an. Behandelt wird nun das laufende Arbeitsverhältnis mit den Themen Schwangerschaft und Elternzeit. Auch wenn die Geburt eines Kindes ein schönes Ereignis ist, stellt dies ein (eingespieltes) Team – insbesonde- re bei kleinen Praxen – häufig auf eine harte Probe. Zunächst gilt es, aus Sicht des Arbeitgebers adäquaten Ersatz zu finden. Steigt eine Mutter für die Dauer der Elternzeit aus, so hat sich das Kollegium meist neu aufgestellt. Es zeigt sich, dass – auch wenn es manchmal schwer zu Christian Krapohl begreifen ist – jeder Arbeitnehmer ersetzbar ist. Diese Erkenntnis führt natürlich zu Konflikten. Schwangerschaft ergeben sich zum einen aus individuellen Gründen, wenn z. B. nach ärztlichem Zeugnis des Gynäkologen Mit Kenntnis von einer Schwangerschaft treffen den bei Fortdauer der Tätigkeit Leben oder Gesundheit von Arbeitgeber zahlreiche Verpflichtungen. Mutter und/oder Kind gefährdet sind. Zudem bestehen gesetzliche Beschäftigungsverbote: Verbot der Nachtarbeit (zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr), • Meldeverpflichtung Verbot der Mehrarbeit Der Kinder- und Jugendarzt als Arbeitgeber ist nach (Arbeitszeiten von mehr als 8,5 Stunden pro Tag be- § 5 Abs. 1 Satz 3 Mutterschutzgesetz (MuSchG) ver- ziehungsweise 90 Stunden in der Doppelwoche) und pflichtet, die für ihn zuständige Aufsichtsbehörde über Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit. eine Schwangerschaft unter Angabe des Namens, des voraussichtlichen Entbindungstermins, der Arbeitszeit In der pädiatrischen Praxis besonders entscheidend und der Art der Tätigkeit der Schwangeren zu informie- ist das Verbot der Beschäftigung mit Gefahrstoffen. ren (sog. Schwangerschaftsanzeige). Hinweise zu Gefahrstoffen finden sich auf Produkt- verpackungen und den dazugehörigen Sicherheitsda- • Gefährdungsbeurteilung tenblättern. Arbeitsplatzgrenzwerte für Gefahrstoffe Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber die Pflicht, sind den Technischen Regeln für Gefahrstoffe zu ent- den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen einer nehmen. Als Gefahrstoffe kommen z. B. Desinfektions- werdenden oder stillenden Mutter so zu gestalten, dass und Reinigungsmittel, Lösemittel und Quecksilber in Leben und Gesundheit von Mutter und Kind durch die berufliche Tätigkeit nicht gefährdet werden. Das bedeu- Praxishinweis tet, dass er unmittelbar nach Bekanntgabe der Schwan- Wichtig und entscheidend ist, dass die vorgenann- gerschaft eine sorgfältige Beurteilung des Arbeitsplatzes ten objektiven Beschäftigungsverbote bereits ab dem und der Arbeitsbedingungen durchführen muss (sog. ersten Tag Geltung erlangen. Der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilung). Die Beurteilung erstreckt Vorgaben von sich aus zu beachten. Die Schwangere sich auf jede Tätigkeit, die die werdende oder stillen- hat hierüber keine Atteste zu erbringen. Bei Nicht- de Mutter durchführt und beinhaltet Art, Ausmaß und beachtung drohen ihm hohe Schadensersatzforde- Dauer der Gefährdung. rungen, wenn sich die Angestellte mit Krankheits- Sofern die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass die erregern infiziert und dies zu irreparablen Schäden Sicherheit oder Gesundheit der werdenden oder stillen- am ungeborenen Kind führt. Zur Vermeidung die- den Mutter oder aber des ungeborenen Kindes gefähr- ser Haftungsrisiken sollte im Zweifel ein Beschäfti- det sind, muss der Arbeitgeber geeignete Schutzmaß- gungsverbot ausgesprochen werden. Die Gewerbe- nahmen veranlassen. Diese können in der Umgestal- aufsicht unterstützt bei der Erstellung der Gefähr- tung des Arbeitsplatzes, im Arbeitsplatzwechsel oder dungsbeurteilung. aber in der Freistellung liegen. Beschäftigungsverbote 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 369 Betracht. Den häufigsten Fall bildet jedoch der Aus- spruch eines Beschäftigungsverbotes, weil die Schwan- § 15 Anspruch auf Elternzeit gere mit Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen in (1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Eltern- Berührung gerät, die ihrer Art nach erfahrungsgemäß zeit, wenn sie Krankheitserreger übertragen können. Problematisch 1. a) mit ihrem Kind, ist daher insbesondere die Sprechzimmerassistenz, b) mit einem Kind, für das sie die Anspruchsvoraussetzungen nach § bei welcher die Medizinische Fachangestellte mit den 1 Absatz 3 oder 4 erfüllen, oder Patienten unmittelbar in Berührung kommt. Schutz- c) mit einem Kind, das sie in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Bu- handschuhe stellen keine wirksame Maßnahme zur ches Sozialgesetzbuch aufgenommen haben, Abwendung der Gefahren dar, sofern gleichzeitig mit in einem Haushalt leben und stechenden, schneidenden oder rotierenden Instru- 2. dieses Kind selbst betreuen und erziehen. menten (z. B. Spritzen) umgegangen wird und somit Nicht sorgeberechtigte Elternteile und Personen, die nach Satz 1 Num- eine Verletzungsgefahr besteht. mer 1 Buchstabe b und c Elternzeit nehmen können, bedürfen der Liegen die Voraussetzungen für ein Beschäftigungs- Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils. verbot vor, hat die schwangere Mitarbeiterin Anspruch (1a) Anspruch auf Elternzeit haben Arbeitnehmerinnen und Arbeit- auf Entgeltfortzahlung. Maßgeblich für die Höhe ist der nehmer auch, wenn sie mit ihrem Enkelkind in einem Haushalt leben Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen. Der Ar- und dieses Kind selbst betreuen und erziehen und beitgeber erhält jedoch im Wege des Umlageverfahrens 1. ein Elternteil des Kindes minderjährig ist oder gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Aufwendungsausgleichsgesetz 2. ein Elternteil des Kindes sich in einer Ausbildung befindet, die vor (AAG) 100 % seiner Aufwendungen erstattet. Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde und die Arbeits- kraft des Elternteils im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Der Anspruch besteht nur für Zeiten, in denen keiner der Elternteile Rechtsfolgen der Schwangerschaft des Kindes selbst Elternzeit beansprucht. Die schwangere Angestellte genießt nach § 9 Mu- (2) Der Anspruch auf Elternzeit besteht bis zur Vollendung des dritten SchG einen besonderen Kündigungsschutz, denn die Lebensjahres eines Kindes. Ein Anteil von bis zu 24 Monaten kann Kündigung ist nur mit Zustimmung der Aufsichtsbe- zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Le- hörde ausnahmsweise zulässig; diese Zustimmung wird bensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden.“ nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen, wie z. B. der vollständigen Praxisschließung, erteilt. Das Kündi- gungsverbot erlangt bereits in der Probezeit Geltung, so Verlangt wird, dass man mit einem Kind in einem dass – wie schon in den vorherigen Teilen dargestellt – Haushalt lebt und dieses Kind „selbst betreut und er- an eine befristete Einstellung zu denken ist. Auch wäh- zieht“. Das betreute Kind kann entweder das eigene rend des Beschäftigungsverbots bei Schwangerschaft sein oder das des Ehegatten oder Lebenspartners. Der entstehen die vollen Urlaubsansprüche, da § 17 Mu- Anspruch auf Elternzeit steht also nicht nur der Mutter, SchG sämtliche Ausfallzeiten aufgrund des Beschäfti- sondern auch dem Vater oder auch einer anderen der in gungsverbots als Beschäftigungszeiten qualifiziert. § 15 Abs. 1 Satz 1 BEEG genannten Personen zu. Die El- ternzeit kann, auch anteilig, von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam genommen Geltung auch für (angestellte) werden. Der Zweck der Elternzeit besteht darin, dass Kinder- und Jugendärztinnen der erziehende Arbeitnehmer für die Dauer der Eltern- zeit ohne Verlust seines Arbeitsplatzes nicht oder nur In der Praxis wird oft übersehen, dass vorausgegan- zeitlich beschränkt arbeiten muss. Als Ergänzung zu gene Ausführungen auch – und zwar ohne Ausnahme – dem Anspruch auf Elternzeit sichert der Anspruch auf für angestellte Ärztinnen gelten. Diesen wird praktisch Elterngeld für die ersten zwölf Monate die wirtschaftli- immer ein Beschäftigungsverbot zu erteilen sein, da che Existenz des Arbeitnehmers. sie bei der Patientenbehandlung unvermeidlich mit Krankheitserregern in Berührung geraten. Die vorste- • Verlangen der Elternzeit henden Ausführungen gelten nicht für selbstständige Das Gesetz sieht ein formelles Verfahren vor. Der Kinder- und Jugendärztinnen, da sie nicht Adressaten Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin muss die El- der Arbeitnehmerschutzgesetze sind. Sie können daher ternzeit spätestens sieben Wochen vor Inanspruchnah- grundsätzlich bis zur Geburt weiterarbeiten. me schriftlich beim Arbeitgeber verlangen. Gleichzeitig muss schriftlich erklärt werden, für welche Zeiten in- nerhalb von zwei (!) Jahren Elternzeit genommen wer- Elternzeit den soll. Mit dem Verlangen der Elternzeit besteht Kün- digungsschutz. Die Angaben über die Zeiträume bis zur • Grundsätzliches Vollendung des zweiten Lebensjahres sind zwingend, Anspruch auf Elternzeit haben Arbeitnehmerinnen was den berechtigten Interessen des Arbeitgebers an und Arbeitnehmer, die mit einem bis zu drei Jahre alten der Planung Rechnung tragen soll. Mit der Erklärung Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst ist die Elternzeit zunächst festgelegt, eine Änderung ist betreuen und erziehen. Die Rechtsgrundlage ist: nur noch mit Zustimmung des Praxisinhabers möglich. 47. Jg. (2016) Nr. 6
Berufsfragen 370 Das dritte Jahr der Elternzeit kann bis zum achten Le- re Situation vollständig verändert; die Vereinbarkeit von bensjahr des Kindes genommen werden. Familie und Beruf steht nun für ihn im Vordergrund. Der Arbeitgeber hat dagegen gemerkt, dass er die Praxis • Tätigkeit während Elternzeit während der Abwesenheit neu organisieren konnte. Vor Mit Inanspruchnahme der Elternzeit ruht das Arbeits- diesem Hintergrund treffen unterschiedliche Interessen verhältnis. Dies bedeutet, dass die Arbeitnehmerin oder aufeinander, die in einen angemessenen Ausgleich ge- der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet bracht werden müssen. ist. Das Gesetz ermöglicht jedoch eine Teilzeittätigkeit Welche Rechte hat dabei der Mitarbeiter? Grundsätz- während der Elternzeit von maximal 30 Wochenstunden. lich lebt das Arbeitsverhältnis nach Rückkehr aus der El- ternzeit wieder so auf, wie es vorher bestanden hat. Ein „Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin darf Anspruch auf den vorherigen Arbeitsplatz besteht nicht. während der Elternzeit nicht mehr als 30 Wochen- Es kann lediglich eine vertragsgemäße Beschäftigung stunden erwerbstätig sein. ... Teilzeitarbeit bei ei- – z. B. als MFA – verlangt werden. Stunden und Vergü- nem anderen Arbeitgeber oder selbstständige Tä- tung bleiben gleich. Der Arbeitnehmer kann in der Regel tigkeit nach Satz 1 bedürfen der Zustimmung des auch keine Reduzierung der Stundenzahl verlangen. Das Arbeitgebers. Dieser kann sie nur innerhalb von Teilzeit- und Befristungsgesetz setzt hier eine Mindest- vier Wochen aus dringenden betrieblichen Grün- beschäftigtenzahl von 15 Arbeitnehmern voraus. Sofern den schriftlich ablehnen.“ keine Einschränkung durch den Arbeitsvertrag auf be- stimmte Stunden vorliegt, kann der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit frei bestimmen (sog. Direktionsrecht). Zum Angebot einer Teilzeitbeschäftigung in der Praxis wird der Kinder- und Jugendarzt in der Regel Mit der Rückkehr aus der Elternzeit endet auch nicht verpflichtet sein. Dazu ist eine Mindestbeschäf- der Kündigungsschutz, so dass ab diesem Zeit- tigtenzahl von 15 Arbeitnehmern erforderlich. Gleich- punkt unter Beachtung der Kündigungsfrist eine wohl kann die Beschäftigung während der Elternzeit in Kündigung erklärt werden kann. Teilzeit für beide Seiten einen Nutzen bringen, denn der Arbeitnehmer in Elternzeit erhält seine Fähigkeiten, der Arbeitgeber kann ggf. den Ausfall leichter kompensie- Aus Sicht aller Beteiligten ist es sinnvoll, frühzeitig ren. Eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber wird Perspektivgespräche zu führen, um Streit über das Ar- er jedoch nur selten ablehnen können. Eine Ablehnung beitsverhältnis zu vermeiden. Im Einvernehmen sind kommt in Betracht, wenn Wettbewerbs- oder Geheim- Vertragsänderungen immer möglich. haltungsinteressen des Arbeitgebers tangiert werden, was praktisch nie der Fall sein wird. Ausblick • Rückkehr nach Elternzeit Teil 5 wird sich in der nächsten Ausgabe mit der Be- Die Rückkehr aus der Elternzeit gestaltet sich oft endigung des Arbeitsverhältnisses beschäftigen (Wie schwierig, insbesondere, wenn der (früher wohlver- kündige ich? Was muss in einem Zeugnis stehen?). diente) Mitarbeiter lange Jahre – manchmal nach meh- reren Elternzeiten für mehrere Kinder – nicht gearbeitet hat. Hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmer früher noch Christian Krapohl gleichgerichtete Vorstellungen, muss dies nach dem En- Fachanwalt für Medizinrecht de der Elternzeit nicht der Fall sein. Denn genoss der Fachanwalt für Arbeitsrecht Job für den Mitarbeiter „vor dem Kind“ noch oberste Dr. Möller und Partner Priorität, hat sich dies in vielen Fällen durch die familiä- E-Mail: zentrale@moellerpartner.de Red.: WH Psychomotorische Entwicklung des Säuglings (Wandtafel) Wandtafel (dt./engl.) für die Praxis. Tabellarische Übersicht nach der Münchener Funktionellen Ent- wicklungsdiagnostik, zusammengestellt von Prof. Dr. Theodor Hellbrügge. Dargestellt wird die Entwicklung vom Neugeborenen bis zum Ende des 12. Monats. Hansisches Verlagskontor GmbH, Lübeck vertrieb@schmidt-roemhild.com Format: 57 x 83,5 cm, zum Aufhängen Tel.: 04 51 / 70 31 267 EUR 20,50 47. Jg. (2016) Nr. 6
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