Den Blick weiten - die Kraft des Dialogs - Kultur des Dialogs
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FocusingJournal Den Blick weiten – die Kraft des Dialogs von Martina Hartkemeyer Im vergangenen Jahr habe ich das hier vorgestellte „Dialogprinzip“ bei einem Workshop mit Martina Hartkemeyer kennen- und sch‚tzen gelernt. Der philosophische Hintergrund und die praktische, konkrete Um- setzung in Gestalt der hier postulierten Kernf‚higkeiten hat eine groƒe N‚he zu den Haltungen, die wir auch im Focusing pflegen. Weil das Dialogprinzip nicht nur f„r die Konfliktmoderation in groƒen Gruppen (z.B. Israelis und Pal‚stinenser), sondern auch f„r Kleingruppen, Familien, Partnerschaften und auch auf innere Dialoge anwendbar ist, habe ich Martina gebeten, ihre Arbeit hier im FocusingJournal vorzustellen. (H. Neidhardt) Haben Sie sich schon einmal in einer Sackgasse ten wir wirklich „was ist“: Die typische Haltung des befunden, in einer Situation, in der Sie €berrascht Wissenden. Diese Attit€de ist eine nicht selten feststellten, dass sie mit Ihrer alten, langj•hrig anzutreffende „Berufskrankheit“ in lehrenden und bew•hrten Strategie nicht mehr weiter kamen? Wo leitenden Berufen. Sie liegt nahe, denn ein lehrender Sie irritiert waren, die Welt nicht mehr verstanden – oder leitender Mensch hat diese Position doch auf oder zumindest Ihrem Gegen€ber gedanklich gar Grund seiner Qualifikation, seines Wissensvor- nicht mehr folgen konnten? Das Gute an solchen sprungs, seiner Erkenntnisf•higkeit bekommen – verfahrenen Situationen: Sie kƒnnen uns ƒffnen f€r oder? Zumindest ist das eine g•ngige Zuschreibung. Neues, wenn die alten Konzepte nicht mehr zu dem Noch problematischer f€r das menschliche Zusam- gew€nschten Erfolg f€hren. menleben wird es, wenn sich Menschen mit ihren Zielorientiert, schnell, auf Gewinnen orientiert – so bruchst€ckhaften Erkenntnisvermƒgen so zusammen argumentieren wir in Diskussionen, wenn es eben tun, dass sie sich mit ihren begrenzten An- darum geht, das Gegen€ber zu €berzeugen oder schauungen in ihren (Vor-)Urteilen best•tigen. So durch die besseren Argumente vor einem Publikum entsteht die Dynamik „wir“ gegen die „anderen“, die zu gewinnen, qualifizierter zu erscheinen, durch sich darin begr€ndet, dass wir uns mit unseren Wissen zu €berzeugen. In einer Situation, in der es Anschauungen identifizieren, so dass wir, wenn aber gar nicht um Gewinnen oder Verlieren geht, unsere Meinungen bedroht sind, uns selbst bedroht sondern in der ein besseres Verstehen des Konfliktes f€hlen. Gandhi betonte einmal, dass ich vƒllig notwendig ist, sind grundlegend andere, dialogische gelassen bleiben kann, wenn ich wei†, dass meine Qualit•ten gefragt: Dem Gegen„ber zuh…ren, um ein Meinung richtig ist, wenn ich dagegen im Unrecht wirkliches, tieferes Verst•ndnis zu ermƒglichen, und bin, brauche ich erst recht Gelassenheit, um mehr auch in mich selbst hineinhorchen, mir €ber meine lernen zu kƒnnen: „Wenn du im Recht bist, kannst eigenen Gef€hle, Bed€rfnisse und Denkschablonen du dir leisten, die Ruhe zu bewahren; Und wenn du klar werden. Also meinen Blick zu weiten, anstatt ihn im Unrecht bist, kannst du dir nicht leisten, sie zu zielorientiert zu verengen. Solch ein Dialog bedeutet verlieren.“ auch Verzicht auf Machtgef•lle und erfordert Im Dialog vertiefen wir verschiedene Kernf•hig- gleiche Augenhƒhe zwischen den Beteiligten. keiten, deren zentrale die lernende Haltung ist, eine innere Haltung von Interesse und Neugier am anderen, getragen von dem Bewusstsein des eigenen Nicht-Wissens. Warum €berhaupt Dialog? „Everything you know is wrong“, dieser, f€r mache vielleicht herausfordernde Kernsatz aus der Erkennt- nisphilosophie des Konstruktivismus verweist auf das Wir •ndern die Welt, indem wir unsere Wahr- bruchst€ckhafte, vorl•ufige, begrenzte Erkenntnis- nehmung ver•ndern vermƒgen des Menschen. Aber, und das wird nicht Kehren wir zur€ck zu der Frage der Wahrnehmung selten vergessen, auch darauf, dass wir uns in die und wie sie unsere Welt bestimmt. Meine Wahr- Falle der Selbstverdummung begeben, wenn wir nehmungs- und Interpretationskonzepte der Welt unser begrenztes Vermƒgen so verstehen, als w€ss- stelle ich gemeinhin nicht in Frage, solange sie sich 4
Nr.24, Juni 2010 bew•hren, oder solange ich mich mit ihnen wohl Die grƒ†te Herausforderung f€r die meisten Dialog- f€hle. Manchmal f€hren allerdings auch ‡nde- prozess-Begleitenden ist die Identifikation mit ihren rungen •u†erer Umst•nde zu Ver•nderungen meiner eigenen mentalen Modellen, Urteilen und Bewer- Wahrnehmung. tungen, die den Blick eher verengen und dem Dia- Wann sind Sie das letzte Mal im Wald spazieren logprozess nicht fƒrderlich sind. Je mehr die Einsicht gegangen? Haben Sie das Rauschen des Windes in in die eigenen Wahrnehmungsmodelle und deren den B•umen gehƒrt, das Leuchten der Bl•tter im Begrenztheit w•chst, umso hƒher wird die Qualit•t Sonnenlicht genossen, die Strahlen der Sonne, die der Pr•senz, die den Dialogprozess unterst€tzt. In der zwischen dicken Baumst•mmen hervor schien, kurz: Ausbildung zur Dialogprozess-Begleitung (siehe: den Wald als Wanderer erlebt? Waren Sie auch www.dialogprojekt.de) vertiefen wir anhand von schon einmal im Wald, um dort Holz f€r Ihre ‰bungen, Reflexionen und theoretischen Erƒrterun- Heizung zu hacken? Um tote B•ume zu f•llen, vom gen unsere Selbstwahrnehmung. Sturm abgebrochene St•mme Es geht in Dialogprozessen zu zers•gen, zerborstene Kro- weniger um die Frage von nen zu zerteilen, sich mit richtig und falsch, sondern Brennholz zu versorgen? um unterschiedliche mentale Wir leben auf einem land- Modelle, die wir aus ganz wirtschaftlichen Betrieb, zu verschiedenen Gr€nden ent- dem schon immer einige wickelt haben. Wie kƒnnen Hektar Wald gehƒrten. Durch wir uns bewusst machen, dass ‡nderungen der Besitzver- unsere Wahrnehmungsfilter h•ltnisse in der Nachbarschaft und solche Modelle exis- bekamen wir die Gelegenheit, tieren? Gl€cklicherweise be- einige Hektar Wald angren- sitzen wir nicht nur die zend an unseren Hof zu er- Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, F•higkeit, die Welt sensorisch, werben. Zu dieser Zeit waren sondern wie wir sind (Talmud). gef€hls- und verstandes- wir ebenfalls auf der Suche m•†ig zu erfassen, sondern nach regenerativen Heizmƒglichkeiten. Zu Zeiten des auch die F•higkeit, diese Wahrnehmung zu Golfkrieges wollten wir uns weiter vom ˆl ver•ndern. Oder: wir kƒnnen die Welt ver•ndern, unabh•ngig machen – mein Mann hatte schon 1980 indem wir unsere Wahrnehmung ver•ndern. das erste Windrad im Landkreis konstruiert, mit dem Das allerdings gelingt nur in einem angstfreien wir das Wasser f€r unsere Fu†bodenheizung Raum, f€r dessen Entwicklung jede Gruppe Zeit erw•rmten – jetzt hatten wir eine Holzhackschnit- braucht. In einem solchen Vertrauensraum (Dialog- zel-Heizung installiert und wollten alle Wohnungen Container) kann Dialog praktiziert werden, kƒnnen auf dem Hof mit Holz beheizen. generative und thematische Dialoge gef€hrt und Schon seit vielen Jahren kannte ich das Waldst€ck, reflektiert werden. Erst im Erleben kann die Qualit•t das wir gekauft hatten, oft schon war ich dort eines Dialogprozesses von Kommunikationsformen spazieren gegangen und hatte dieses Fleckchen wie Diskussion oder Debatte unterschieden werden. Natur genossen. Nun aber ging ich dort anders (In generativen Dialogen entsteht das Thema im vorbei. Ich war nicht als Erholung suchende Verlauf des Prozesses – es wird „generiert“, in Spazierg•ngerin unterwegs, sondern ich schaute mir thematischen Dialogen geht es um die dialogische die B•ume daraufhin an, wie sie gewachsen waren, Vertiefung eines zu Beginn gesetzten Themas.) wie und wo sie standen. W€rde diese Kiefer die Eiche daneben langfristig zu stark beschatten? M€ssten wir nicht die Birke dort f•llen, damit die Buche gerade wachsen kƒnnte? Welche w€rde sich besser Wie sehe ich dich – wie siehst du mich? entwickeln? Der alten Kiefer war beim letzten Sturm Erinnerungen an Menschen, die uns lieb und wichtig die Krone abgebrochen, sie w€rde bald absterben, sind, tragen wir als Bilder, Szenen, Ger€che, Worte, und die tote Eiche trug schon l•nger kein einziges Kl•nge im Ged•chtnis. Wir halten so – durch die gr€nes Blatt mehr – optimal f€r den Holz-Schnitzler. Erinnerungen – eine Verbindung aufrecht. Oftmals Nicht der Wald hatte sich ge•ndert, sondern mein formen diese Bilder aber eine eigene Wirklichkeit, so Blick auf ihn, mein „mentales Modell“ vom Wald war dass sie bisweilen die Begegnung mit dem tat- ein anderes geworden. Normalerweise bemerken wir s•chlichen, lebendigen Menschen erschweren. solche inneren Brillen nicht, mit denen wir die Welt Gerade in famili•ren Beziehungen halten sich die betrachten. Wie wir selbst die Welt betrachten, Bilder €ber Jahre und Jahrzehnte. Auf der Beerdi- scheint uns der einzig mƒgliche Blickwinkel. Andere gung ihres 60-j•hrigen j€ngsten Sohnes wendet sich Perspektiven kƒnnen aber eine ebensolche Berech- die Mutter, 88 Jahre, an ihre Nachbarin mit den tigung haben wie die unsere. Worten: „Dat hev ik me oll dacht, dat wi den l„ttken nich graut kriget…‡ (Das hatte ich mir schon ge- dacht, dass wir den Kleinen nicht gro† kriegen...) 5
FocusingJournal Dialogverst•ndnis eines Physikers Was Dialog ist, und was er nicht ist Das Abrufen von abgespeichertem Wissen, das Leben Martin Buber, der j€dische Religionsphilosoph und nach Mustern aus der Vergangenheit, nennt David „Vater“ des Dialogs (1878 - 1965) befasste sich in Bohm (1917 – 1992), angloamerikanischer Quanten- seiner Arbeit intensiv mit Fragen zwischenmensch- physiker, Leben aus bereits „Gedachtem“. Bohm un- licher Beziehungen, den Mƒglichkeiten des Ge- terscheidet zwischen Gespr•chen, in denen lediglich spr•chs, der Begegnung zwischen „Ich und Du“. Er Gedachtes ausgetauscht wird, - was in Diskussionen stellt den Ver-gegnungen oberfl•chlicher Unterhal- ja meist der Fall ist - und Dialogen, in denen tat- tungen die Be-gegnungen eines echten Dialogs ge- s•chlich neues Denken entstehen kann. („Thought- gen€ber, in dem sich Menschen vom „Scheinen- ing” und „Thinking”). Dialog kann so ein Weg sein, wollen“ frei machen. Eine Herausforderung – viel- von Gedachtem zum kreativen Denken zu kommen. leicht sogar ein Paradox in unserer Glitzerwelt, wo David Bohm fordert dazu auf, im Dialog Prozesse Werbemillionen in das „Outfit“ und die „Erschei- und Strukturen, die unseren Gedanken und nung“ gepumpt werden? Handlungen zugrunde liegen, best•ndig zu hinter- Eine Reihe von Kern-Kompetenzen lassen sich fragen. beschreiben und durch praktische ‰bungen bewusst David Bohm, der zum Entwickler der modernen Dia- vertiefen, um die Entwicklung dialogischer Kom- logtheorie f€r Gruppen wurde, verwendet den Be- petenzen zu unterst€tzen. griff Dialog im urspr€nglichen Wortsinn: „Dialog“ bedeutet demnach das „Flie†en von Sinn“, das Suchen und Entwickeln neuer, zuvor nicht bekannter Bedeutung in einer Gruppe um und durch die Menschen (dia: [hin-] durch, logos: Wort, Sinn, Bedeutung). Der Dialog soll ermƒglichen, den Voraussetzungen, Ideen, Annahmen, ‰berzeugungen und Gef€hlen von Menschen auf den Grund zu gehen, die unterschwellig die Interaktionen in der Gruppe beherr-schen. Er war von der Vorstellung fasziniert, dass Menschen im Dialog lernen kƒnn- ten, gemeinsam auf koh•rente Weise zu denken, w•hrend sich die Gedanken in den meisten €blichen Gespr•chen fragmentiert, sprunghaft und gegen- s•tzlich entwickeln w€rden. Inkoh•renz ist f€r Bohm Basiskompetenzen „als w€rde man eine Uhr nehmen und sie mit einem Hammer zertr€mmern, anstatt sie auseinander- Grunds•tzlich basiert dialogische Kommunikation zunehmen und die Teile zu sortieren. Die Teile sind darauf, wie wir uns ausdr€cken, sprechen und Teil eines Ganzen, aber die Fragmente wurden will- anderen zuhƒren. Dar€ber hinaus betrachten wir es k€rlich auseinandergebrochen. (S.102)“ als notwendig, unsere eigenen Meinungen „in der Schwebe halten“ zu kƒnnen, zu suspendieren, wie Koh•renz im dialogischen Gespr•ch, vergleichbar mit im Laserstrahl geb€ndeltem Licht, kann ein wir es nennen, und anderen Personen Respekt ent- gro†es Potential an Kreativit•t freisetzen und neue gegenzubringen. Gedanken hervorbringen, vom Gedachten zum Die Basis dialogischer F•higkeiten liegt auf diesem Denken f€hren. Viereck von Respektieren, Sprechen, Zuhƒren und Suspendieren. 1 Das Wort „Diskussion“ dagegen hat die gleiche Wurzel wie englisch „percussion“ oder gar „con- Die Meinung eines Andersdenkenden nicht nur zu cussion“ (Gehirnersch€tterung). Diskussion hat eine tolerieren, sondern ihr respektvoll gegen€ber- enge sprachliche Verwandtschaft mit Debatte (latein. zutreten bedarf eine radikale Abkehr von einer „debat(t)uere“, engl. „to beat down“), was so viel Kultur der eigenen Profilierung auf Kosten anderer. bedeutet wie „niederschlagen“. Das einer Diskussion Sprechen und Zuhƒren kƒnnen sich sehr ver•ndern, zugrundeliegende Motiv ist in der Regel auch nicht, wenn es nicht mehr in erster Linie um das „In- voneinander zu lernen, sondern den eigenen Stand- Erscheinung-Treten“ geht. punkt durchzusetzen, zu gewinnen. 1 (vgl. auch Isaacs 1999) 6
Nr.24, Juni 2010 Subjektive Bewertungen als Wahrheitsillusion Eitelkeiten, intellektuelle Spielereien und theore- Eine neue Qualit•t liegt in dem dialogischen tische Erg€sse behindern den Dialog und f€hren zu- Anspruch, seine eigenen Meinungen und Bewer- r€ck in altbekanntes Fahrwasser. tungen wahrzunehmen, auszusprechen – und davon Ohne Maske zu sprechen - wie die Indianer es nann- innerlich einen Schritt zur€ckzutreten, um sie als ten: „von Herzen sprechen“ - l•sst den Menschen mƒgliche Meinungen, als subjektive Bewertungen hinter dem Wort sichtbar werden. wahrzunehmen und ihnen die Illusion endg€ltiger Unser Zuhƒren kann dazu f€hren, Neues entstehen Wahrheiten zu nehmen – sie zu suspendieren. David zu lassen, zu generieren – in uns selbst und in der Bohm spricht davon, seine Meinung „in der Schwebe Gruppe: wir bezeichnen dies als „Generatives Zu- zu halten“. hƒren“. Unser Sprechen sollte nicht belehrend, abstrakt und Die respektvolle Haltung dem anderen gegen€ber unpersƒnlich bleiben. bleibt nicht oberfl•chlich, sondern benƒtigt „Radi- Es sollte stattdessen persƒnlich und in Beziehung zu kalit•t“, d.h. geht „an die Wurzel“, in dem Sinn, dass unseren eigenen Anliegen, Erfahrungen stehen. wir uns um ein tieferes Verst•ndnis bem€hen. Dialogkarten mit Symbolen der Kernf•higkeiten (weiter auf Seite 8 f.) 7
FocusingJournal Ein tabellarischer ‰berblick „ber die Kernf‚higkeiten. Und, dazu passend, eine kleine zus‚tzliche Anleitung zum Ungl„cklichsein… 8
Nr.24, Juni 2010 Dialog als gelungene Beziehung Diese Verbundenheit r€ckt den „Anderen“ in den Im Gegensatz zu Bohm, der den Gruppen-Dialog- Mittelpunkt. Wie kƒnnte ich gut geschlafen haben, Prozess neu definierte, gilt der j€dische Religions- oder wie kƒnnte es mir gut gehen, wenn es dem anderen schlecht geht? philosoph Martin Buber (1878 – 1965)– neben grie- chischen Klassikern wie Sokrates und Plato mehr als Vielfach wird vom modernen Menschen heute die “Vater“ des Zwiegespr‚chs. Er beschrieb Dialog als Reiz€berflutung beklagt, email, sms, Chatrooms, Fo- echtes Zusammentreffen von Menschen, „die sich ren jedweder Art. Niemand muss sich jemals einsam einander in Wahrheit zugewandt haben, sich r€ck- f€hlen im Internet – oder gerade da? Buber: „Dialo- haltlos •u†ern und vom Scheinenwollen frei sind“ gisches Leben ist nicht eins, in dem man viel mit (Buber 1994, S.295). Menschen zu tun hat, sondern eins, in dem man mit Buber betont, dass sich im Dialog „eine denkw€rdige, den Menschen, mit denen man zu tun hat, wirklich nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche zu tun hat.“ Fruchtbarkeit“ entwickeln kann und so „das Zwi- „Wirklich zu tun haben“ kann beispielsweise bedeu- schenmenschliche“, „das sonst Unerschlossene“ zu ten, miteinander ins Gespr•ch zu kommen. Eine der- erschlie†en vermag (ebd.). artige Verbundenheit tritt in einem „echten Dialog“ „Wirklich zu tun haben“ kann beispielsweise bedeu- zu Tage, wenn: „… jeder der Teilnehmer den oder die ten, miteinander ins Gespr•ch zu kommen. Ein sol- anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint ches dialogisches Gespr•ch kann uns helfen, ein Be- und sich ihnen in der Intention zuwendet, „lebendige wusstsein davon zu entwickeln, wer wir sind, wie wir Gegenseitigkeit“ zu schaffen“. gemeint sein kƒnnten. Eine derartige Verbundenheit tritt in einem „echten Dialog“ zu Tage, wenn: „… jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Lebendigkeit in der Kommunikation Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, „lebendige Gegenseitigkeit“ hie†e dann f€r mich: Kann ich eine Wahl treffen, zu schaffen“. mich entscheiden daf€r, wie ich anderen begegnen mƒchte, oder bin ich einem einmal entwickelten Diese Form der Begegnung unterscheidet sich – nach Muster so verhaftet, dass nicht ich die Begegnung Buber - von anderen Gespr•chsformen: dem „... gestalte, sondern die Situation mich bestimmt? Das dialogisch verkleideten Monolog, in dem zwei oder kann dann dazu f€hren, ein mir vertrautes Muster mehrere im Raum zusammengekommene Menschen abzurufen, das ich abh•ngig von dem jeweiligen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit Thema variiere. Wodurch es vielleicht zu inter- sich selber reden und sich doch der Pein des essanten Beitr•gen, aber weniger zu einer mensch- Aufsichangewiesenseins entr„ckt d„nken.“ Den lichen Begegnung in der jeweiligen Situation kom- technischen, „der lediglich von der Notdurft der men kann. sachlichen Verst‚ndigung eingegeben ist“ Und Sie alle haben sicher schon erlebt, dass wir in guten Beziehungen ganz anders lernen kƒnnen. Wie es ein Karikaturist augenzwinkernd in einem Garten- Durch euch zu mir - Ausflug nach Afrika2 zaun-Gespr•ch zwischen zwei Frauen beschrieb: „Gerd hat mir das Segeln beigebracht, Marco hat Kann es sein, dass ich mich zu dem, wie ich sein mich an die Kunst herangef„hrt, Peter hat mir alles kann, erst entwickele, weil ich in Begegnungen mei- „ber die Geschichte der Azteken und Indianer er- ne Potentiale entfalte und erlebe? Ein Sprichwort z‚hlt, und bei Jan habe ich gelernt, einen Motor zu der Zulu formuliert: Ich bin, weil wir sind. Welch reparieren“ „ … und ich Idiot belege seit Jahren anderes Verst•ndnis, als es unser naturwissenschaft- Volkhochschulkurse.“ lich gepr•gtes Weltbild: Ich denke, also bin ich – cogito ergo sum - nicht ohne Stolz behauptet. W•hrend Bohms Augenmerk eher darauf lag, wie in einer Gruppe neuer Sinn miteinander geschaffen „Ubuntu“ ist ebenfalls ein afrikanisches Konzept, das werden kann, Sicherheiten hinterfragt und Interpre- der Wertsch•tzung und Pflege der persƒnlichen Be- tationsmuster €berpr€ft, liegt Bubers Augenmerk ziehungen in gesellschaftlichen aber auch in organi- eher auf der zwischen-menschlichen Begegnung, satorischen Feldern eine hohe Priorit•t beimisst. Ein dem Ich-Du im Dialog. Wenn diese beiden Perspekti- Morgengru† der Shona in Zimbabwe dr€ckt dies so ven sich treffen – menschliche Begegnung und In- aus: Frage-Stellen eigener ‰berzeugung –, kƒnnen sich „Mangwani. Marana sei?“ (Guten Morgen, hast du sowohl dem Individuum als auch der Gruppe ganz gut geschlafen?) „Maswera sei, kana mararawo.“ (Ich neue Erfahrungs- und Gedankenwelten erƒffnen. Im habe gut geschlafen, wenn du gut geschlafen hast.) Sinne von Erich Fromm bedeutet das allerdings auch eine grunds•tzliche Bereitschaft, sich von reiner 2 Zweckorientierung zu verabschieden: „Diese Kunst Nach: Barbara Nussbaum, Ubuntu, in: Resurgence, Nov/Dez 2003, No 221, Hartland GB der Unterhaltung oder die Freude an der Unter- haltung wird erst wieder mƒglich sein, wenn ganz 9
FocusingJournal gro†e ‡nderungen in unserer Kultur vor sich gehen, Hartkemeyer, Johannes F. & Martina, L. Freeman Dhority, dann n•mlich, wenn die einseitig zweckorientierte "Miteinander Denken - Das Geheimnis des Dialogs", Klett Cotta, 5. Aufl. Stuttgart 2010. Art des Lebens €berwunden wird. Wir brauchen eine Hartkemeyer, Johannes F. & Martina: Die Kunst des Dialogs – Einstellung, in der der Ausdruck, das Wachstum des Kreative Kommunikation entdecken. Erfahrungen, Anregun- menschlichen Lebens zum einzig anerkennenswerten gen, ‰bungen. Klett-Cotta, Stuttgart 2005. Zweck wird.“ Isaacs, William, Dialogue and the art of thinking together, Currency, New York 1999. Literatur: Bohm, David: Der Dialog. Das offene Gespr•ch am Ende der Diskussion, Hrsg. Lee Nichols, Klett-Cotta, Stuttgart, 3. Aufl. 2002. Buber, Martin: Das dialogische Prinzip. Lambert Schneider, Gerlingen 7. Aufl. 1994. Buber, Martin: ‹Elemente des ZwischenmenschlichenŒ. In: Ders.: Das dialogische Prinzip, Fromm, Erich (1974): Im Namen des Lebens. Ein Portr•t im Gespr•ch mit Hans J€rgen Schultz. Zuerst als Gespr•ch im S€ddeutschen Rundfunk Stuttgart am 5. Januar 1974 aus- Dr. Martina Hartkemeyer gestrahlt. Abgedruckt in. Erich Fromm Gesamtausgabe in Deutsches Institut f„r zwƒlf B•nden, M€nchen (Deutsche Verlags-Anstalt und Dialogprozess-Begleitung/Adolf- Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band XI, S. 609-630 Reichwein-Gesellschaft. (Zitat S. 609f.). www.dialogprojekt.de Anzeige 10
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