Der Begriff "Nachhaltigkeit" (sustainability) - Einl. A Grundstrukturen des Energieumweltrechts - Soldan

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Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     sabon am 1.12.2009 findet sie sich in Art. 11 AEUV. Außerdem sieht Art. 191 Abs. 1
     Spstr. 4 AEUV als Mittel der Aufgabenwahrnehmung vor, dass die Union Maßnahmen auf
     internationaler Ebene frdert, um regionale oder globale Umweltprobleme zu bewltigen
     (Globalittsprinzip).

     1. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ (sustainability)
11   Erheblichen Einfluss auf europische wie nationale Konzepte des Umweltschutzes im All-
     gemeinen und einer umweltvertrglichen Energieversorgung im Besonderen hat der Be-
     griff einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) gewonnen, der durch
     den Bericht der Brundtlandt-Kommission von 198757 geprgt wurde. Hierunter ist eine
     Entwicklung zu verstehen, die den Bedrfnissen der Gegenwart gerecht wird, ohne eine
     Bedrfnisbefriedigung knftiger Generationen zu gefhrden. Mit der Rio-Erklrung von
     1992 (vgl. fi Rn. 10) wurde die in der Forstwirtschaft58 verwurzelte Idee der Nachhaltig-
     keit aufgenommen und mit der Aufforderung zur wissenschaftlichen und technologischen
     Kooperation verbunden.59 Hieran anknpfend nahm auf EWG-Ebene das „Gemeinschafts-
     programm fr Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und um-
     weltgerechte Entwicklung“ von 1993 (5. Umweltaktionsprogramm, „Towards Sustain-
     able Development“) Bezug auf den Begriff Nachhaltigkeit, um ihn in der europischen
     Umweltpolitik umzusetzen.60 Art. 11 AEUV stellt nunmehr eine explizite Verbindung zwi-
     schen den Erfordernissen des Umweltschutzes und der Frderung einer nachhaltigen Ent-
     wicklung her. Auch in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV wurde die „nachhaltige Entwick-
     lung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preis-
     stabilitt“ in den grundlegenden Zielekatalog der Union aufgenommen.61 Das Adjektiv
     „ausgewogen“ weist dabei auf die Grenzen des Wachstums hin, das umweltvertrglich sein
     und in Abstimmung zwischen kologie und konomie erfolgen soll.62
12   Auf den Energiebereich bertragen, bezeichnet Nachhaltigkeit in einem energiepoliti-
     schen Sinne eine Versorgung, die die Bedrfnisse der Gegenwart hinsichtlich zeitlich und
     rumlich bedarfsgerecht bereitgestellter Energiedienstleistungen zu befriedigen vermag,

     57 WCED, Our Common Future, S. 43 ff.; eingehend hierzu jngst Mathis, S. 87 ff.
     58 Instruktiv Mathis, S. 69 ff.
     59 9. Grundsatz der Rio-Erklrung v. 13.6.1992; s. ferner den 4. und 12. Grundsatz; nher Mathis,
        S. 139 ff., vgl. auch S. 151 ff. zu den Rio-Nachfolgekonferenzen in New York (1997), Johannes-
        burg (2002) und erneut Rio (2012); s. zudem die von der UN-Generalversammlung am 25.9.2015
        beschlossene Globale Agenda 2030 fr nachhaltige Entwicklung (UN, A/RES/70/1, 7, Nr. 21),
        die 17 Ziele und 169 konkretisierende Zielvorgaben in Richtung einer jeweils nachhaltigen kono-
        mischen, sozialen sowie kologischen Entwicklung auflistet; instruktiv zu Rechtscharakter und
        Umsetzung Huck/Kurkin, ZaRV 78 (2018), 375.
     60 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten
        v. 1.2.1993 ber ein Gemeinschaftsprogramm fr Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf
        eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung, ABl. 1993 C 138/1; vgl. auch den zugrunde lie-
        genden Vorschlag der Kommission: KOM(1992) 23/II endg.; hierzu I. Appel, S. 284 f.
     61 S. daneben Art. 3 Abs. 5 S. 2 EUV, wonach die Union auch einen Beitrag zu „globaler nachhaltiger
        Entwicklung“ leistet; der Begriff der nachhaltigen Entwicklung wird im brigen schon in Erw-
        gungsgrund Nr. 9 der Prambel zum EUV und in Abs. 3 S. 2 der Prambel zur GRCh erwhnt und
        auch in Art. 37 GRCh explizit aufgegriffen; nher zu den unionsrechtlichen Grundlagen der Nach-
        haltigkeit: Mathis, S. 220 ff.; s. auch Streinz/Kahl, Art. 11 AEUV Rn. 4 ff.
     62 Frenz/Unnerstall, S. 156; s. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 6, Rn. 2104; Mathis, S. 222 f.

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II. Der internationale Rahmen        Einl. A
wobei die begrenzte Belastbarkeit der Natur, begrenzte Ressourcen und die zentrale Be-
deutung der Energieversorgung fr ein wirtschaftliches Wachstum und sozialen Wohlstand
zu beachten sind.63 In diesem Sinne ging das bis heute wirkmchtige Drei-Sulen-Modell
der Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ aus dem Jahr 1998 fr
den nationalen Gesetzgeber davon aus, dass drei Teilziele, nmlich die kologische, ko-
nomische und soziale Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden sind.64 kologische Nach-
haltigkeit zielt darauf ab, die begrenzte Belastbarkeit der Natur zu bercksichtigen und
ihre vielfltigen Funktionen zu erhalten. Ein Energieversorgungssystem soll das Arten-
gleichgewicht (Flora und Fauna) nicht beeintrchtigen. Stoffeintrge in die Natur drfen
die Aufnahmefhigkeit der Umweltmedien nicht bersteigen oder die natrliche Regenera-
tionsfhigkeit gefhrden. konomische Nachhaltigkeit meint geeignete Rahmenbedin-
gungen im Sinne eines effizienten Wirtschaftens und eines mglichst hohen Versorgungs-
niveaus. Effizienz der Energiesysteme und niedrige Versorgungskosten hngen davon ab,
dass knappe Ressourcen in einem mglichst geringen Umfang in Anspruch genommen
werden. Soziale Nachhaltigkeit umfasst soziale Gerechtigkeit, Sicherheit und gleiche
Entwicklungschancen fr alle Menschen. Dies erfordert den Zugang der Einzelnen zu not-
wendigen Energiedienstleistungen, und zwar zu Preisen, die das individuelle finanzielle
Leistungsvermgen nicht bersteigen.65

2. Spezielle Umweltabkommen und Technologietransfer
Internationale Abkommen zu Spezialmaterien des Umweltrechts verfolgen unterschied-                         13
liche Zielsetzungen. Ein wichtiger Belang ist die Vermeidung voraussichtlich nachteiliger
grenzberschreitender Umweltauswirkungen. Mit dieser Zielsetzung verpflichtet etwa
das bereinkommen der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) v.
25.2.1991 „ber die Umweltvertrglichkeitsprfung im grenzberschreitenden Rahmen“
(Espoo-bereinkommen) dazu, dass der fr die Zulassung von Projekten zustndige Staat

63 Enzensberger/Wietschel/Rentz, ZfE 2001, 125, 127, 135; hnlich Rodi, in: Gesellschaft fr Um-
   weltrecht, Umweltschutz im Energierecht, S. 17, 21: „Eine nachhaltige Energiewirtschaft zielt auf
   eine langfristig sichere Versorgung mit preiswerter Energie bei gleichzeitiger Minimierung negati-
   ver Umweltauswirkungen“; kritisch Gundel, in: Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 443,
   445; zum auf den Klima- und Umweltschutz konzentrierten Verstndnis einer „nachhaltige[n] Ent-
   wicklung der Energieversorgung“ in § 1 Abs. 1 EEG 2021 vgl. Greb/Boewe/dies., § 1 EEG Rn. 5;
   s. auch BT-Drs. 16/8148, S. 36 (Gesetzentwurf der Bundesregierung).
64 Enquête-Kommission, „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen
   einer nachhaltig zukunftsvertrglichen Entwicklung“, BT-Drs. 13/11200; s. auch Enquête-Kom-
   mission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualitt – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesell-
   schaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“, BT-Drs. 17/13300, S. 598; instruktiv
   Hahn, S. 151 ff.; Mathis, S. 131 ff.; Seeliger, S. 117 f.; eingehend zu den drei Sulen der Nachhal-
   tigkeit die Beitrge in Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 425, 535, 620; kri-
   tisch Ekardt, NVwZ 2013, 1105; pointiert Ott/Dring, S. 39, die das Drei-Sulen-Modell als den
                          ,
   großen „,Weichspler der Nachhaltigkeitsidee“ charakterisieren; instruktiv zum Ganzen: von
   Hauff, S. 159 ff.; einen jngeren Beleg fr die drohende berfrachtung des Konzepts der Nachhal-
   tigkeit liefert die am 25.9.2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution
   „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“ mit ihren nicht weniger
   als 17 Zielen und 169 konkretisierenden Zielvorgaben der nachhaltigen Entwicklung fr das Jahr
   2030 (United Nations, General Assembly, A/RES/70/1, www.un.org/depts/german/gv-70/band1/
   ar70001.pdf.; letzter Abruf: 13.10.2021; vgl. auch bereits Fn. 59).
65 Enzensberger/Wietschel/Rentz, ZfE 2001, 125, 127 f.

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Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     eine Umweltvertrglichkeitsprfung durchfhrt und die Behrden sowie die ffentlich-
     keit anderer mglicherweise betroffener Vertragsstaaten beteiligt. Ist eine grenzberschrei-
     tende ffentlichkeitsbeteiligung unterblieben, besteht die Mglichkeit, das Espoo Im-
     plementation Committee (IC) anzurufen, wovon in jngerer Zeit zunehmend Gebrauch
     gemacht wird.66 Deutschland hat das am 10.9.1997 in Kraft getretene bereinkommen am
     8.8.2002 ratifiziert und auch das am 21.5.2003 von der UNECE beschlossene Protokoll
     ber die Umweltvertrglichkeitsprfung im grenzberschreitenden Rahmen (SEA-Proto-
     koll) in nationales Recht umgesetzt.67 Die Espoo-Konvention wurde bislang von 44 Staaten
     sowie der Europischen Union ratifiziert. Angesichts der in den kommenden Jahren zu rea-
     lisierenden Projekte mit mglichen grenzberschreitenden Umweltauswirkungen (wie der
     geplanten Erweiterung bestehender Atomkraftwerke im europischen Ausland) wird den
     grenzberschreitenden Umweltvertrglichkeitsprfungen nach den Espoo-Vorgaben ein
     signifikanter Bedeutungszuwachs prognostiziert.68 Hiermit korrespondiert auf nationaler
     Ebene die zum 29.7.2017 erfolgte Aufnahme eines neuen Teils 5 „Grenzberschreitende
     Umweltprfungen“ im UVPG.69 Ein vieldiskutiertes Beispiel aus jngster Zeit bildet die
     Gaspipeline Nord Stream 2.70
14   Ein weiterer wesentlicher Gegenstand internationaler Zusammenarbeit ist der gter- oder
     personenbezogene Transfer von Umwelttechnologien (environmentally sound technolo-
     gies).71 Eine Quelle grenzberschreitender Umweltbeeintrchtigungen ist die Umwand-
     lung fossiler Energierohstoffe zu Nutzenergie, die Treibhausgase freisetzt. Deshalb sollte
     eine weltweite Umweltkooperation darauf abzielen, den Transfer von Umwandlungstech-
     niken, aber auch von (nachgeordneten) Minderungstechniken zu ermglichen. Spezielle
     Umweltabkommen enthalten regelmßig zugleich Klauseln ber eine Finanzierung durch
     Zuschsse oder Darlehen zu Vorzugsbedingungen sowie ber einen wissenschaftlichen
     Austausch. Die begrenzte Reichweite der Regelungen ist nicht zuletzt auf die Schwierig-
     keit zurckzufhren, einen Ausgleich mit dem Schutz des geistigen Eigentums herzustel-
     len.72 Der Transfer von Umwelttechnologien rckt auch deshalb in den Mittelpunkt, weil
     eine weltweite Begrenzung schdlicher Emissionen die Anwendung der „Besten verfg-
     baren Techniken“ (best available technique) erforderlich macht.73 Auf EU-Ebene setzt
     sich das Europische Parlament bereits seit Lngerem fr einen verstrkten Transfer fort-
     schrittlicher Umwelttechnologien im Energie- und Verkehrssektor in Entwicklungslnder

     66 Rietzler/von Gayland-Westphal, EurUP 2017, 11.
     67 Espoo-Vertragsgesetz, BGBl. II 2002, S. 1406; Vertragsgesetz zum SEA-Protokoll, BGBl. II
        2006, S. 497; zum Inkrafttreten des Protokolls fr Deutschland am 11.7.2000 vgl. BGBl. II 2010,
        S. 111; nher Kment, S. 300 ff.; Rietzler, NVwZ 2015, 483.
     68 Rietzler/von Gayland-Westphal, EurUP 2017, 11, 12.
     69 BGBl. I 2017, S. 2808 (I 2018, S. 472); hierzu Grandjot, DVBl. 2018, 161.
     70 Nher zum Espoo-Prozess im Hinblick auf die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2: https://www.nord-
        stream2.com/de/umwelt/internationaler-konsultationsprozess/, zuletzt abgerufen am 13.10.2021;
        fr einen allgemeinen berblick zu den rechtlichen und politischen Problemlagen vgl. P. Becker,
        ZNER 2019, 181; zur Frage der Einschlgigkeit des unionsrechtlichen Entflechtungsregimes Lud-
        wigs, in: Ruffert, EnzEuR Bd. 5, § 5 Rn. 209.
     71 Kellersmann, S. 290 ff.; Timmermann, VR 32 (1999), 314; monographisch Bloch; zum Technolo-
        gietransfer durch internationale Unternehmenskooperation vgl. Heubel.
     72 Bartenstein, in: Proelß, Internationales Umweltrecht, Abschnitt 2 Rn. 55.
     73 Kuhnt, DVBl. 1996, 1082, 1086; zum Begriff: Knopp/Heinze, UPR 2004, 212 ff.; Kment, Verw-
        Arch 2014, 262.

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II. Der internationale Rahmen       Einl. A
ein und befrwortet zustzliche Mechanismen zur Erreichung dieses Ziels.74 Innerhalb Eu-
ropas und im Rahmen ihrer sog. Lissabon-Strategie hat die Europische Kommission die
Entwicklung und Anwendung dieser Technologien durch den „Aktionsplan fr Umwelt-
technologie in Europa“ (ETAP – Environmental Technologies Action Plan) forciert.75
Nach berprfung und Auswertung des ETAP kam es am 16.12.2011 zur Verabschiedung
des aktuellen „Aktionsplans fr ko-Innovation“ (EcoAP – Eco-Innovation Action
Plan).76 Dieser koinnovationsplan ergnzt(e) die Strategie Europa 202077 sowie die ver-
schiedenen einschlgigen Leitinitiativen und soll jene Neuerungen frdern, die zu wesent-
lichen und nachweisbaren Fortschritten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fhren.
Gefrdert werden klimafreundliche Technologien und Innovation auch im Lichte des euro-
pischen Green Deals (Nheres s. fi Rn. 71)78 und des Aufbauplans NextGenerationEU
2021–2027.79 Instrumentell geschieht dies mittels verschiedener Programme durch finan-
zielle Untersttzung sowie ber Zertifizierungen wie der Environmental Technology Veri-
fication (ETV)80.81 Besondere Hervorhebung verdient in diesem Kontext das Programm
„Horizont Europa“, welches fr den Bereich „Klima, Energie und Mobilitt“ im Zeitraum
2021 bis 2027 Mittel in Hhe von rund 13,5 Mrd. EUR zur Verfgung stellt (Art. 12 Abs. 2
lit. b v, Abs. 4 lit. b iv Verordnung (EU) 2021/695).82 Speziell auf die internationale und

74 Vgl. Ziff. 12 der Entschließung des Europischen Parlaments zu dem Regierungsexpertentreffen
   zum Klimawandel v. 12.5.2005, ABl. 2005 C 92 E/392 (= BR-Drs. 536/05); Ziff. 38 ff. der Ent-
   schließung des Europischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das
   Europische Parlament „Stimulation von Technologien fr nachhaltige Entwicklung: Ein Aktions-
   plan fr Umwelttechnologien in der Europischen Union“ v. 5.7.2005, ABl. 2005 C 157 E/77 (=
   BR-Drs. 686/05); Ziff. 23 der Entschließung des Europischen Parlaments v. 9.7.2008 zu dem
   „Europischen Strategieplan fr Energietechnologie“, BR-Drs. 591/08, S. 8; Erwgungen P–Y der
   Entschließung des Europischen Parlaments v. 4.2.2009 zu „2050: Die Zukunft beginnt heute –
   Empfehlungen fr eine knftige EU-Klimaschutzpolitik“, BR-Drs. 228/09, S. 5 f.; Erwgung K
   und Ziff. 46 der Entschließung des Europischen Parlaments v. 12.12.2013 zum Thema „ko-In-
   novation – Arbeitspltze und Wachstum durch Umweltpolitik“, ABl. 2016 C 468/146.
75 Mitteilung der Kommission v. 28.1.2004, „Ein Aktionsplan fr Umwelttechnologie in der Europi-
   schen Union“, KOM(2004) 38 endg.; s. hierzu auch die Berichte der Kommission v. 27.1.2005,
   KOM(2005) 16 endg. v. 21.1.2005 sowie v. 2.5.2007, KOM(2007) 162 endg.
76 Mitteilung der Kommission v. 15.12.2011, „Innovation fr eine nachhaltige Zukunft – Aktionsplan
   fr ko-Innovationen (koInnovationsplan)“, KOM(2011) 899 endg.
77 KOM(2010) 2020 endg.
78 COM(2019) 640 final, S. 22 f.
79 S. hierzu Europische Kommission, Der nchste langfristige Haushalt der EU und NextGenera-
   tionEU: Wichtige Fakten und Zahlen, v. 11.11.2020, https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/ab
   out_the_european_commission/eu_budget/mff_factsheet_agreement_de_web_20.11.pdf, zuletzt
   abgerufen am 13.10.2021, sowie Europische Kommission, Europischer Aufbauplan, https://ec.eu
   ropa.eu/info/strategy/recovery-plan-europe_de#documents, zuletzt abgerufen am 13.10.2021.
80 KOM(2011) 899 endg., S. 13 sowie SEC(2011) 1600 final fr weitere Details.
81 Zu den Frderungsmaßnahmen im Planungszeitraum 2021–2027 s. Europische Kommission,
   Eco-Innovation: Support Mechanisms 2021–2027, https://ec.europa.eu/environment/ecoap/about-
   action-plan/union-funding-programmes_en, zuletzt abgerufen am 13.10.2021.
82 Verordnung (EU) 2021/695 des Europischen Parlaments und des Rates v. 28.4.2021 zur Einrich-
   tung von „Horizont Europa“, dem Rahmenprogramm fr Forschung und Innovation, sowie ber
   dessen Regeln fr die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse und zur Aufhebung der Ver-
   ordnungen (EU) Nr. 1290/2013 und (EU) Nr. 1291/2013, ABl. 2021 L 170/1. Nhere Angaben
   zum Inhalt des Clusters „Klima, Energie und Mobilitt“ finden sich in Anhang I Nr. 2 lit. e der
   Verordnung.

                                            Ludwigs                                                25
Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     Entwicklungszusammenarbeit stellt die EU ab, wenn sie im Verhltnis zu den Schwellen-
     und Entwicklungslndern Reformmaßnahmen, Infrastrukturprojekte und nachhaltige
     Energiekonzepte frdern will. Solche Energiepartnerschaften sollen nicht zuletzt CO2-
     arme Technologien verbreiten helfen und Investitionen in nachhaltige und ressourcenscho-
     nende Verfahren untersttzen.83 Zu ergnzen sind diese Maßnahmen aus Sicht der Kom-
     mission durch einen entsprechenden Informationsaustausch. Den Regelungsrahmen hier-
     fr schafft der Beschluss (EU) 2017/684 des Europischen Parlaments und des Rates vom
     5.4.2017 zur Einrichtung eines Mechanismus fr den Informationsaustausch ber zwi-
     schenstaatliche Abkommen und nicht verbindliche Instrumente zwischen Mitgliedstaaten
     und Drittlndern im Energiebereich.84
15   Im weltweiten Rahmen hlt Art. 10A des am 16.9.1987 von 24 Staaten und der EG (heute
     EU) unterzeichnete Montrealer Protokoll (zum Wiener bereinkommen zum Schutz der
     Ozonschicht) ber Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht fhren,85 die Vertrags-
     parteien dazu an, alle durchfhrbaren Schritte zu unternehmen, um eine Weitergabe um-
     weltvertrglicher Ersatzstoffe fr schdliche Produkte sowie entsprechende Technologien
     zur Verhtung von Ozonbeeintrchtigungen an die in Art. 5 Abs. 1 des Protokolls bezeich-
     neten (Entwicklungs-)Lnder zu gewhrleisten. Dem Montrealer Protokoll kommt heute
     mit inzwischen 198 Vertragsparteien86 universelle Geltung zu.87 Ergnzend zu den Trans-
     ferpflichten soll der 1990 eingerichtete Multilaterale Fonds die zustzlichen Kosten tragen,
     die Entwicklungslndern durch die Einhaltung des Protokolls entstehen.88
16   Das Rahmenbereinkommen der Vereinten Nationen ber Klimanderungen (Klimarah-
     menkonvention) vom 9.5.199289 zielt auf eine Begrenzung der Treibhausgase in der At-
     mosphre (ausfhrlich Knig fi Einl. C 2 Rn. 3 ff.). Es wurde im Rahmen der Rio-Konfe-
     renz 1992 angenommen, trat am 21.3.1994 in Kraft und gilt heute fr 197 Vertragspartei-
     en.90 Die Klimarahmenkonvention (KRK) greift mit den Hinweisen auf das Vorsorgeprin-

     83 Mitteilung der Kommission v. 7.9.2011 zur Energieversorgungssicherheit und internationalen Zu-
        sammenarbeit – „Die EU-Energiepolitik: Entwicklung der Beziehungen zu Partnern außerhalb der
        EU“, KOM(2011) 539 endg.; s. auch die Entschließung des Europischen Parlaments v. 12.6.2012,
        „Energiepolitische Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der EU“, ABl. 2013 C 332 E/28; vgl.
        ferner die Entschließung des Europischen Parlaments v. 15.12.2015 zu dem Thema „Wege zu
        einer europischen Energieunion“, ABl. 2017 C 399/21 (dort u. a. Ziff. 20); allgemeiner berblick
        zu Energiepartnerschaften der EU unter https://ec.europa.eu/energy/topics/international-coopera
        tion/key-partner-countries-and-regions_en, zuletzt abgerufen am 13.10.2021.
     84 ABl. 2017 L 99/1.
     85 Montrealer Protokoll ber Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht fhren – Erklrung der Eu-
        ropischen Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 1988 L 297/21; zuletzt gendert ABl. 2017 L 236/3; zu
        den Regelungen auf nationaler und europischer Ebene vgl. Rn. 140; instruktiv zum Montrealer
        Protokoll: Proelß, in: ders., Internationales Umweltrecht, Abschnitt 11 Rn. 25, der in Rn. 26 zu-
        dem mit Recht darauf hinweist, dass sich dieses mit dem am 1.1.2019 erfolgten Inkrafttreten der
        im Oktober 2016 in Kigali vereinbarten nderung (Kigali Revision) und der hiermit verbundenen
        Einfgung eines konkreten Abbaukalenders bzgl. der Verwendung von Fluorkohlenwasserstoffen
        (HFWK) in Art. 2J auch zu einem Klimaschutzvertrag gewandelt hat.
     86 Stand: Mai 2021.
     87 Bartenstein, in: Proelß, Internationales Umweltrecht, Abschnitt 2 Rn. 25.
     88 Art. 10 Abs. 3 des erweiterten Montreal-Protokolls.
     89 United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) v. 9.5.1992, ILM 31
        (1992), 848; BGBl. II 1993, S. 1784.
     90 Stand: August 2021.

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II. Der internationale Rahmen       Einl. A
zip (Art. 3 Nr. 3 KRK) und das Wohl knftiger Generationen (Art. 3 Nr. 1 KRK) konkre-
te Aspekte des Nachhaltigkeitsgrundsatzes auf und nimmt diesen an mehreren Stellen auch
explizit in Bezug (vgl. etwa Art. 2 S. 2, Art. 3 Nr. 4 S. 1 und Art. 3 Nr. 5 S. 1 KRK).91 Mit
Blick auf eine globale Umweltkooperation bestimmt die KRK, dass die Industriestaaten
gegenber den Entwicklungslndern die „vereinbarten vollen Kosten“ („agreed full costs“)
bzw. die „vereinbarten vollen Mehrkosten“ („agreed full incremental costs“) von Maßnah-
men im Bereich des Klimaschutzes (Art. 4 Nr. 3 KRK) bernehmen. Im gleichen Zusam-
menhang verpflichten sie sich, „alle praktikablen Schritte“ („all practicable steps“) zur
Weitergabe solcher Technologien zu ergreifen, die zum verringerten Ausstoß der nicht be-
reits im Montreal-Protokoll erfassten Treibhausgase beitragen (Art. 4 Nr. 5 KRK). Eine
hnliche Bestimmung enthlt auch die ebenfalls auf der Rio-Konferenz 1992 angenomme-
ne „Konvention ber biologische Vielfalt“ (mit heute ebenfalls mehr als 190 Vertragspar-
teien) in ihrem Art. 16 ber den „Zugang zur Technologie und Weitergabe von Technolo-
gie“ („Access to and Transfer of technology“).92

3. Kyoto-Protokoll
Mit der Klimarahmenkonvention wurde eine Konferenz der Vertragsparteien (Confer-                         17
ence of the Parties, COP) eingerichtet, die seit 1995 einmal jhrlich tagt und die Umset-
zung der Klimarahmenkonvention sicherstellen soll (vgl. Art. 7 KRK).93 Im Dezember
1997 konnte bei der 3. Vertragsstaatenkonferenz eine Verstndigung auf ein konkretisie-
rendes Protokoll mit rechtlich verbindlichen Reduktionszielen und -fristen fr die
Treibhausgasemissionen erzielt werden; das nach seinem Abschlussort benannte Kyoto-
Protokoll v. 11.12.1997 (in Kraft getreten am 16.2.2005).94 Die Industrielnder ver-
pflichteten sich darin zur Senkung der Treibhausgasemissionen um 5,2 % bis 2012 (gegen-
ber dem Basisjahr 1990). Dabei wurden lnderspezifische (sowie auch auf die damalige
EG-15 bezogene) Emissionsziele ausgehandelt, die den Entwicklungsstand des jeweiligen
Landes widerspiegeln (eingehend zum Kyoto-Protokoll und den Folgekonferenzen Knig
fi Einl. C 2 Rn. 6 ff.).95 Es wurde von 191 Staaten ratifiziert,96 darunter alle Mitgliedstaa-
ten der EU sowie bedeutende Schwellenlnder (wie Brasilien, China und Indien). Eigen-
stndige Vertragspartei ist daneben auch die Europische Union. Demgegenber haben die
USA das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert. Kanada ist mit Wirkung vom 15.12.2012 ausge-

91 Nher Frenz, ET 11/2002, 788, 789; Kreuter-Kirchhof, ZaRV 65 (2005), 967, 971 f.; s. auch Ma-
   this, S. 145 ff.
92 Convention on Biological Diversity v. 5.6.1992, ILM 31 (1992), 818, 829 (in Kraft getreten am
   29.12.1993); ergnzt durch das Cartagena Protocol on Biosafety v. 29.1.2000 (in Kraft getreten am
   11.9.2003) und das Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable
   Sharing of Benefits Arising from their Utilization v. 29.10.2010 (in Kraft getreten am 12.10.2014);
   nher Winham, World Trade Review 2003, 131, 132, 141 ff.; knapper berblick zur Biodiversitts-
   Konvention bei Mathis, S. 147; zu den begrenzten Mglichkeiten der Durchsetzung noch Berl-
   KommEnR/Timmermann, Bd. 2, 3. Aufl. 2014, Einl. A Rn. 9.
93 Seit dem Jahr 2005 wurde die COP noch um das Treffen der Mitglieder des Kyoto-Protokolls er-
   gnzt (Meeting of the Parties to the Protocol, MOP).
94 Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change (UN-Doc.
   FCCC/CP/1997/L. 7. Add. 1, ILM 37 [1998], 22 ff.) und BGBl. II 2002, S. 967 (in Kraft getreten
   am 16.2.2005).
95 Mathis, S. 145; Mhlbauer, S. 34 f.
96 Stand: Mai 2017.

                                            Ludwigs                                                27
Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     treten. Auf der UN-Klimakonferenz in Bali im Jahr 2007 wurde der „Fahrplan“ (Bali
     Roadmap) fr einen neuen Vertrag vereinbart, der das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll
     ablsen sollte. Allerdings scheiterte bereits 2009 in Kopenhagen ein solches Nachfolgeab-
     kommen, wenn man von dem durch das Plenum lediglich zur Kenntnis genommenen „Co-
     penhagen Accord“ absieht.97 Mangels Einigung auf eine Nachfolgeregelung beschloss die
     UN-Klimakonferenz in Doha 2012 mit dem sog. Doha Amendment eine (partielle) Ver-
     lngerung des Kyoto-Protokolls bis zum Jahr 2020 („Kyoto-II“).

     4. Pariser Abkommen (PA)
18   Nach dem Stillstand in den Vorjahren einigten sich 197 Vertragsparteien bei der Pariser
     Klimaschutzkonferenz im Dezember 2015 auf ein neues Weltklimaabkommen als
     Nachfolgevertrag fr das Kyoto-Protokoll. Das bereinkommen von Paris98 ist bereits am
     4.11.2016 in Kraft getreten und wurde mittlerweile von 192 Parteien ratifiziert,99 darunter
     auch die EU und Deutschland. Einen Rckschlag bedeutete der vom frheren US-Prsi-
     denten D. Trump vorangetriebene Austritt der USA zum 4.11.2020. Am 20.1.2021 hat die
     neue US-Regierung unter J. Biden diesen Schritt aber wieder revidiert und ihre Urkunde
     zur Annahme des bereinkommens beim Generalsekretr der Vereinten Nation hinterlegt
     (mit der Folge des erneuten Inkrafttretens am 19.2.2021). Das Pariser Abkommen gilt fr
     den Zeitraum ab 2020 und ist als Vertrag im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a der Wiener Ver-
     tragsrechtskonvention (WVRK)100 zu qualifizieren.101 Im Zentrum steht das vlkerrecht-
     lich verbindliche Ziel, die Erderwrmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf
     „deutlich unter“ („well below„) 2 8C zu halten. Darber hinaus sollen Anstrengungen un-
     ternommen werden, um den Temperaturanstieg bei 1,5 8C ber dem vorindustriellen Ni-
     veau zu begrenzen (Art. 2 Abs. 1 lit. a PA). In der zweiten Hlfte des 21. Jahrhunderts sol-
     len die globalen Nettoemissionen von Treibhausgasen auf Null reduziert werden (Art. 4
     Abs. 1 PA). Verantwortlich fr die Einhaltung dieser „Leitplanken“ sind alle Vertragspar-
     teien.102 Die noch im Kyoto-Protokoll verankerte Zweiteilung in Industrie- und Nichtindus-
     triestaaten wurde insoweit aufgegeben.103 Im brigen konnten sich die Vertragsparteien
     des Pariser bereinkommens weder auf konkrete Minderungsmaßnahmen noch auf ver-
     bindliche individuelle Reduzierungsziele oder -fristen verstndigen.104 Stattdessen wird
     ein prozeduraler Bottom-up-Ansatz verfolgt. Danach soll seit dem Jahr 2020 jede Ver-

      97 Instruktiv zu Klimavertrgen nach Kyoto v. Unger, AVR 50 (2012), 450.
      98 S. den Nachweis in Fn. 13; aus der Lit.: Bhringer, ZaRV 76 (2016), 753; Ekardt, NVwZ 2016,
         355; Franzius, ZUR 2017, 515; Kreuter-Kirchhof, DVBl. 2017, 97; Morgenstern/Dehnen, ZUR
         2016, 131; Nckel, ZUR 2017, 525; zur partiellen Konkretisierung der vagen Vorgaben in dem
         auf der Klimakonferenz COP 24 in Katowice von den Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonven-
         tion angenommenen Regelbuch zum Pariser Abkommen (das u. a. die Schaffung von Transpa-
         renz durch ein ffentliches Register vorsieht) vgl. Voland/Engel, NVwZ 2019, 1785, 1787 ff.; s.
         auch Frenz, Grundzge des Klimaschutzrechts, Rn. 8 ff.
      99 Stand: Oktober 2021; abrufbar unter: https://unfccc.int/process/the-paris-agreement/status-of-ra
         tification, zuletzt abgerufen am 13.10.2021.
     100 BGBl. II 1985, S. 926.
     101 Nher zur Rechtsnatur m.w.N. Voland/Engel, NVwZ 2019, 1785, 1787.
     102 Zur Einbindung nicht-staatlicher Akteure durch das Pariser Abkommen Kosa, EurUP 2020, 17.
     103 Kahl/Grditz, Umweltrecht, 11. Aufl. 2019, § 6 Rn. 11, dort auch das wrtliche Zitat im Satz zu-
         vor.
     104 Voland/Engel, NVwZ 2019, 1785, 1786.

     28                                            Ludwigs
II. Der internationale Rahmen      Einl. A
tragspartei selbst festgelegte nationale Klimaschutzziele aufstellen und ihre Treibhausgas-
emissionen verbindlich reduzieren (Nationally Determined Contributions – NDC).105
Staatliche Verbnde drfen eine gemeinsame NDC melden (Art. 14 Abs. 16 PA), was die
EU zuletzt durch bermittlung ihres neuen 55 %-Treibhausgasreduktionsziels bis 2030
(gegenber 1990) auch getan hat.106 Die Ziele werden dann ab 2023 alle fnf Jahre im Rah-
men einer gemeinsamen Umsetzungskontrolle berprft und mssen gegebenenfalls ver-
schrft werden (Art. 4 und 14 PA). Nach dem „Progressionsprinzip“ (vgl. Art. 4 Abs. 3
PA sowie bei der Bereitstellung von Mitteln fr Entwicklungslnder auch Art. 9 PA) haben
sptere Beitrge ambitionierter zu sein als die vorangegangenen.107 Die Einhaltung der Ver-
pflichtungen durch die Vertragsstaaten soll durch Transparenzregeln und ein Komitee zur
Umsetzungskontrolle sichergestellt werden.108

5. Vlkerrechtliche Vorgaben zu Energieeffizienz und erneuerbaren
   Energien
Whrend die Reduzierung der Treibhausgasemission vielfltiger Gegenstand vlkerrecht-                  19
licher Vereinbarungen ist, finden sich spezifisch mit Blick auf die Steigerung der Energie-
effizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien nur punktuelle Regelungen. Fr den
Bereich der Energieeffizienz sind der von Deutschland und der EU ratifizierte Vertrag
ber die Energiecharta aus dem Jahr 1994 und das beigefgte Protokoll ber die Ener-
gieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte (PEEREA)109 von Bedeutung (nher
Knauff fi Einl. C 3 Rn. 4 ff.). Mit Blick auf die Frderung der erneuerbaren Energien spie-
len insbesondere das WTO-Recht und das internationale Investitionsschutzrecht eine Rol-
le. Praktisch bedeutsam sind vor allem die Investitionsschutzregeln im Energiecharta-
Vertrag. Sie stehen bzw. standen im Zentrum sowohl der seit 2013 gegen verschiedene
EU-Mitgliedstaaten eingeleiteten Schiedsverfahren wegen nachtrglicher nderung der
Frderbedingungen fr erneuerbare Energien110 als auch des – zwischenzeitlich ausge-
setzten (vgl. hierzu noch fi Rn. 115) – Vattenfall II-Verfahrens vor dem ICSID wegen
des beschleunigten Kernenergieausstiegs (nher Steffens fi Einl. C 1 Rn. 32 ff.).111 Sollte
der EuGH die in der Achmea-Entscheidung112 zu sog. Intra-EU-BITs getroffene Aussage

105 Kloepfer/Durner, Umweltschutzrecht, § 6 Rn. 45 u. § 11 Rn. 18 zu den bereits vor der UN-Kli-
    makonferenz 2015 in Paris von den Vertragsstaaten auf freiwilliger Basis bermittelten „intended
    nationally determinated contributions“ vgl. Voland/Engel, NVwZ 2019, 1785, 1786 f., mit Hin-
    weis darauf, dass deren Umsetzung zu einer Erderwrmung von 2,7 bis 3,5 8C gefhrt htte.
106 Submission by Germany and the European Commission on behalf of the European Union and its
    Member States v. 17.12.2020, Dok. Nr. 14222/1/20 REV 1, Tz. 27.
107 Kreuter-Kirchhof, ZUR 2019, 396, 397 mit Fn. 9.
108 Vgl. zu den Transparenzregeln Voland/Engel, NVwZ 2019, 1785, 1786, zum Expertenkomitee
    nach Art. 15 PA Markus, ZaRV 76 (2016), 715, 747 f.
109 BGBl. II 1997, S. 4, 102.
110 Hierzu nher C. F. Germelmann, RdE 2018, 229, 230 f.
111 ICSID Case No. ARB/12/12; hierzu statt vieler Gundel, EnWZ 2016, 243 ff.; Ludwigs, NVwZ
    2016, 1, 4 ff.
112 EuGH, Urt. v. 6.3.2018, Rs. C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158 – Achmea; zur Umsetzung durch
    das am 5.5.2020 von 23 EU-Mitgliedstaaten unterzeichnete (den Energiecharta-Vertrag in der
    Prambel explizit ausnehmende) „bereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitions-
    schutzvertrge zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union“ (ABl. 2020 L 169/1) vgl.
    Berger, EuZW 2021, 342, 344 ff.

                                           Ludwigs                                               29
Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     zur Inkompatibilitt innereuropischer Investitionsschutzverfahren auf den Energiecharta-
     Vertrag (als multilaterales, gemischtes Abkommen) bertragen – was nicht zwingend er-
     schien, vom Gerichtshof aber jngst in einem orbiter dictum besttigt wurde113 – wrde
     dies freilich mit einem substanziellen Bedeutungsverlust der Energiecharta einhergehen.

     III. Unionsrechtliche Vorgaben
     1. Entwicklungslinien und berblick
20   Seit 1992 zhlen Maßnahmen im Bereich der Energie zu den expliziten Zielen des EG-Ver-
     trags (ursprnglich Art. 3 lit. u EGV; s. heute Art. 4 Abs. 2 lit. i AEUV). Es finden zum
     einen die allgemeinen Vorschriften des Vertrages ber den freien Warenverkehr, den Wett-
     bewerb und die Handelspolitik Anwendung, wovon Erdl, Erdgas und Kohle ebenso wie
     die Sekundrenergien Elektrizitt und Gas erfasst sind.114 Zum anderen sind der 20. Titel
     des Dritten Teils des AEUV (Umwelt) und die hierin enthaltenen Aufgaben, Kompeten-
     zen und Handlungsgrundstze zur Umweltpolitik der Union einschlgig. Mit dem Vertrag
     von Lissabon ist zudem in Art. 194 AEUVein eigenstndiger neuer Energiekompetenz-
     titel geschaffen worden, der auch Teilbereiche des Energieumweltrechts umfasst. Sowohl
     die Umwelt- wie auch die Energiekompetenz stehen ausweislich von Art. 4 Abs. 2 lit. e
     und i AEUV in einer mit den Mitgliedstaaten geteilten Zustndigkeit.115 Daneben berck-
     sichtigen auch die energiepolitischen Strategien der Union, die sich im Sekundrrecht der
     EU zur Energieversorgung widerspiegeln, primrrechtliche Vorgaben des Umwelt- und
     Energietitels. Abzugrenzen ist die Umwelt- und Klimaschutzgesetzgebung der EU zudem
     von der Verwirklichung des Binnenmarktes. Denn das mit der Einheitlichen Europischen
     Akte etablierte Binnenmarktziel bildet neben dem Umwelt- und Klimaschutz sowie der
     Versorgungssicherheit eine weitere zentrale Sule der EU-Energiepolitik.116

     2. Primrrechtliche Zustndigkeitsordnung
     a) Umwelttitel (Art. 191 ff. AEUV)
     aa) Umweltpolitische Ziele (Art. 191 Abs. 1 AEUV)
21   Art. 191 Abs. 1 AEUV enthlt, als „Ziele“ bezeichnet, die vier wesentlichen umweltpoliti-
     schen Aufgaben der EU. Ungeachtet ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit sind sie als ver-
     bindlich anzusehen.117 Sie bedrfen i. S. der praktischen Konkordanz einer Abwgung mit

     113 EuGH, Urt. v. 2.9.2021, Rs. C-741/19, ECLI:EU:C:2021:655 Rn. 54 ff., 61 ff. – R publique de
         Moldavie; zweifelnd noch Gundel, EWS 2018, 124, 128 f., unter Hinweis auf die differenzierenden
         Ausfhrungen in Rn. 58 des Urteils; ausfhrlich Berger, International Investment Protection
         within Europe, 2021, S. 138 ff.; s. auch C. F. Germelmann, EuR 2020, 375, 394 ff.
     114 Oppermann/Classen/Nettesheim, § 23 Rn. 11 ff.
     115 Anders Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 194 AEUV Rn. 24, wonach die Art. 194 Abs. 1 lit. c und d
         AEUV „eher“ den ergnzenden Zustndigkeiten i. S. des Art. 6 AEUV zuzuordnen sein sollen;
         hiergegen Pechstein/Nowak/Hde/Gundel, Art. 194 AEUV Rn. 3, unter zutreffendem Hinweis
         auf den Wortlaut von Art. 4 AEUV und die Zielbeschreibung des Art. 194 AEUV.
     116 Nher Ludwigs, in: Ruffert, EnzEuR Bd. 5, § 5 Rn. 3 ff.
     117 Fr eine aus Art. 191 Abs. 1 AEUV ableitbare Pflicht der Union zur Verfolgung einer eigenen
         Umweltpolitik nach Maßgabe eines stimmigen Gesamtkonzepts: Vedder/Heintschel von Hei-
         negg/Epiney, Art. 191 AEUV Rn. 4; Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV Rn. 47 ff.

     30                                            Ludwigs
III. Unionsrechtliche Vorgaben    Einl. A
konkurrierenden, vor allem wirtschaftlich geprgten Zielen der europischen Vertrge und
drfen weder einseitig zu deren Lasten gewichtet noch selbst verdrngt werden.118 Auch
innerhalb von Art. 191 Abs. 1 AEUV besteht keine Hierarchie der einzelnen Aufgaben
untereinander. Ebenso wenig existiert im brigen eine Verpflichtung, Lsungen einer be-
stimmten umweltpolitischen Frage auf die Umwelt insgesamt auszurichten.119 Der unions-
rechtliche Umweltbegriff ist weit zu verstehen und umfasst neben der natrlichen Um-
welt auch die vom Menschen beeinflusste Umwelt.120 Ausgeschlossen sind demgegenber
die sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Bedingungen fr das menschliche Wohlbe-
finden.121 Die konzeptionelle Ausfllung der umweltpolitischen Aufgaben obliegt vor al-
lem den umweltpolitischen Aktionsprogrammen. Darin werden jeweils fr mehrere Jah-
re die vorrangigen Zielsetzungen der europischen Umweltpolitik festgelegt. Whrend die
ersten fnf Aktionsprogramme noch als bloße umweltpolitische Absichtserklrungen er-
schienen,122 werden sie seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht (ex-Art. 130r EGV)
von Rat und Parlament als frmliche Rechtsakte beschlossen. Der einschlgige Art. 192
Abs. 3 AEUV ordnet hierfr die Durchfhrung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens
gemß Art. 294 AEUVan und dokumentiert damit zugleich die Bindungswirkung.123 Aktu-
ell maßgeblich ist noch das im November 2013 verabschiedete siebte Umweltaktionspro-
gramm „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten“ mit einer Lauf-
zeit bis 2020.124 Es gliedert(e) sich ein in die politikfeldbergreifende Strategie „Europa
2020 fr intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“.125 Mit dem siebten Um-
weltaktionsprogramm sollen die Anstrengungen der EU zum Schutz der natrlichen
Grundlagen verstrkt und Anreize geschaffen werden, um Wachstum und Innovationen so
ressourceneffizient und CO2-arm wie mglich zu gestalten. Darber hinaus wird ange-
strebt, zu Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen beizutragen und dabei die natrli-
chen Grenzen der Erde nicht aus den Augen zu verlieren.

(1) Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualitt
Die in Art. 191 Abs. 1 Spstr. 1 AEUV genannte Aufgabe, die Umwelt zu erhalten und zu               22
schtzen sowie ihre Qualitt zu verbessern, ist, wie auch die Aufgabe des Spstr. 3, in einem
inneren Zusammenhang mit dem Begriff der Nachhaltigkeit (s. bereits fi Rn. 11 f.) aus-
zulegen. Dies gilt fr den Umweltschutz im Allgemeinen wie fr eine umweltvertrgliche
Energieversorgung im Besonderen. „Erhaltung“ der Umwelt meint schutzgutbezogen die
Bewahrung des vorhandenen Zustands der Umweltmedien und des Bestands an Organis-

118 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 63; Oppermann/Classen/Nettesheim,
    § 33 Rn. 19.
119 Lenz/Borchardt/Breier, Art. 191 AEUV Rn. 3.
120 Statt vieler Vedder/Heintschel von Heinegg/Epiney, Art. 191 AEUV Rn. 3.
121 Ibid.
122 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 33; Streinz/Kahl, Art. 192 AEUV Rn. 39; s. auch
    schon Henke, S. 66 ff.; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 60 f.
123 Statt vieler Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Kller, Art. 192 AEUV Rn. 30, 32, der zugleich mit
    Recht auf die fehlende Außenwirkung der Aktionsprogramme hinweist.
124 ABl. 2013 L 354/171; zur laufenden Diskussion um das achte Umweltaktionsprogramm vgl. den
    Vorschlag der Kommission v. 14.10.2020 fr einen Beschluss des Europischen Parlaments und
    des Rates ber ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union fr die Zeit bis 2030,
    COM(2020) 652 final.
125 KOM(2010) 2020 endg.; s. auch Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 6.

                                          Ludwigs                                            31
Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     men (Flora, Fauna, Artenreichtum).126 Das Merkmal „Schutz“ der Umwelt bezieht sich ein-
     griffsbezogen auf Maßnahmen zur Kontrolle und Lenkung menschlicher Eingriffe durch
     direkte oder indirekte Steuerung des Verhaltens mit Bezug auf die Umwelt.127 Die „Verbes-
     serung ihrer Qualitt“ unterstreicht, dass sich eine unionale Umweltpolitik weder auf kon-
     servierende noch auf verhaltenssteuernde Maßnahmen beschrnken kann, sondern darber
     hinaus eingetretene Schden beseitigen und tatschlich gesunkene Schutzniveaus wieder
     anheben muss.128

     (2) Gesundheitsschutz
23   Der in Spstr. 2 des Art. 191 Abs. 1 AEUVerwhnte „Schutz der menschlichen Gesundheit“
     stellt den Bezug zur insoweit umfassenderen Bestimmung in Art. 168 AEUV her. Ein wirk-
     samer Umweltschutz und der spezielle Anwendungsfall einer umweltvertrglichen Ener-
     gieversorgung leisten immer auch einen Beitrag zur menschlichen Gesundheit als ein
     Belang, der alle krperlichen und seelischen Lebensvorgnge einschließt.129 Allerdings ist
     es nicht Aufgabe der Union, ber die umweltvertrgliche Energieversorgung einen umfas-
     senden Gesundheitsschutz zu verfolgen. Denn nicht jede Form des Umweltschutzes ver-
     folgt den unmittelbaren Zweck, die menschliche Gesundheit zu schtzen.130 Soweit sich
     etwa energieintensive Ttigkeiten allein auf den Bestand natrlicher Ressourcen an sich
     (z. B. als Energiequellen) oder die Artenvielfalt auswirken, fallen sie allenfalls mittelbar
     unter Art. 191 Abs. 1 Spstr. 2 AEUV. Eine selbststndige Bedeutung gewinnt der Gesund-
     heitsschutz hinsichtlich umweltschtzender Maßnahmen im Bereich der Energieversor-
     gung aber dann, wenn sich z. B. die berschreitung bestimmter Schadstoffwerte in der Luft
     unmittelbar auf das krperliche oder seelische Wohlbefinden der Menschen auswirkt oder
     auszuwirken droht. Indem Art. 191 Abs. 1 Spstr. 2 AEUV von der „menschlichen Ge-
     sundheit“ und nicht von der enger gefassten „ffentlichen Gesundheit“ spricht, wird deut-
     lich, dass die Umweltpolitik bereits dann gefordert ist, wenn Gefhrdungen des einzelnen
     Individuums bestehen.131

     (3) Umsichtige und rationelle Ressourcenverwendung
24   Bedeutung i. S. einer umweltvertrglichen Energieversorgung hat ferner die Aufgabe
     des Spstr. 3. Mit der „umsichtige[n] und rationelle[n] Verwendung der natrlichen Res-
     sourcen“ werden als Schutzgter diejenigen Naturgter erfasst, die durch bernutzung

     126 Anschaulich Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 Rn. 10, der von einem „kologischen Bestands-
         schutz“ in Gestalt eines „Verschlechterungsverbot[s]“ spricht; vgl. auch Volmert, S. 322; s. zur
         Diskussion um ein auf nationaler Ebene aus Art. 20a GG ableitbares „Verschlechterungsverbot“
         noch Rn. 82.
     127 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 68; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191
         AEUV Rn. 10.
     128 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 71; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191
         Rn. 10; prgnant Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV Rn. 55: „offensiv-dynamische[r] Umweltschutz“.
     129 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 73; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191
         AEUV Rn. 11; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Krmer, Art. 191 AEUV Rn. 26.
     130 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 72; Lenz/Borchardt/Breier, Art. 191
         AEUV Rn. 8.
     131 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 11.

     32                                            Ludwigs
III. Unionsrechtliche Vorgaben     Einl. A
langfristig beeintrchtigt werden oder sich erschpfen knnen.132 Dazu gehren auch die
fr die Energieversorgung relevanten nicht erneuerbaren, langfristig versiegenden Roh-
stoffe Erdl, Erdgas und Kohle. Die Vorstellung einer nachhaltigen Bewirtschaftung
kommt darin zum Ausdruck, dass es auf die langfristige Verfgbarkeit aller Ressourcen an-
kommt und auch erneuerbare Ressourcen nicht in einer ihre natrliche Regenerationsf-
higkeit berfordernden Weise beansprucht werden drfen.133

(4) Bekmpfung des Klimawandels
Der Notwendigkeit eines internationalen Umweltschutzes entspricht schließlich die mit               25
Spstr. 4 adressierte „Frderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewlti-
gung regionaler oder globaler Umweltprobleme und insbesondere zur Bekmpfung des
Klimawandels“. Folgerichtig ist die EU z. B. an den Abkommen zum Schutz der Ozon-
schicht oder zum Klimaschutz maßgeblich beteiligt (vgl. fi Rn. 15 f.).134 Eine Erweite-
rung der Umweltaußenkompetenz der EU ist mit dem Globalittsziel in Art. 191 Abs. 1
Spstr. 4 freilich nicht verbunden.135

bb) Umweltpolitische Handlungsgrundstze (Art. 11, 191 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV)
Fr die Ausgestaltung der gemeinschaftlichen Umweltpolitik sind die in Art. 191 Abs. 2              26
genannten Handlungsgrundstze als rechtsverbindlich zu beachten, weshalb sie ber poli-
tische Handlungsmaximen hinausgehen.136 In diesen Zusammenhang gehrt systematisch
auch die Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV. Die Handlungsgrundstze knpfen z. T.
an frhere Umweltaktionsprogramme an oder gehen auf nationales Umweltrecht zurck.
Mit Blick auf eine umweltvertrgliche Energieversorgung sind besonders vier Grundstze
hervorzuheben, die gleichrangig nebeneinander stehen:137 die Verwirklichung eines hohen
Umweltschutzniveaus, die Vorsorge und Vorbeugung, das Ursprungs- sowie das Verur-
sacherprinzip.

(1) Prinzip des hohen Schutzniveaus
Die ausdrckliche Erwhnung eines hohen Schutzniveaus in Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1               27
AEUV przisiert die allgemeiner gehaltene Schutzniveauklausel des Art. 114 Abs. 3
AEUV fr die EU-Umweltpolitik. Der Zweck besteht darin, dem Umweltschutz im Ver-
hltnis zu anderen Belangen ein (relativ) hohes Gewicht zu geben, wenn auch nicht grund-

132 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 12.
133 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 74.
134 Darauf hinweisend Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 13.
135 Statt vieler Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV Rn. 62.
136 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV Rn. 80 ff., mit berzeugender methodi-
    scher Einordnung als Rechtsprinzipien (Optimierungsgebote); auf den Gestaltungsspielraum des
    Unionsgesetzgebers hinweisend Vedder/Heintschel von Heinegg/Epiney, Art. 191 AEUV Rn. 19,
    unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 14.7.1998, Rs. C-284/95, Slg. 1998, I-4301 – Safety Hi-Tech;
    Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-444/15, ECLI:EU:C:2016:978, Rn. 44 – Associazione Italia Nostra On-
    lus; eingehend Epiney, Kap. 5 Rn. 46 ff.; undeutlich Lenz/Borchardt/Breier, Art. 191 AEUV
    Rn. 12: der von einem „rechtlichen Orientierungsrahmen“ spricht.
137 Im Grundsatz auch von der Groeben/Schwarze/Hatje/Krmer, Art. 191 AEUV Rn. 39, der aller-
    dings im Weiteren dem Vorsorge- und Vorbeugungsgrundsatz einen Vorrang vor dem Ursprungs-
    prinzip einrumen will.

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Einl. A      Grundstrukturen des Energieumweltrechts

     stzlich einen Vorrang einzurumen.138 Außerdem ist stets die wirtschaftliche Leistungs-
     fhigkeit der entsprechenden Region im Hinblick auf die Umsetzung der umweltpoliti-
     schen Vorgaben zu bercksichtigen.139 Die Unionsorgane verfgen bei der Festsetzung des
     (hohen) Umweltschutzniveaus ber einen Spielraum, der gerichtlich nur begrenzt ber-
     prfbar ist.140 Die Verpflichtung auf ein hohes Schutzniveau bezieht sich dabei auf jede ein-
     zelne Maßnahme, nicht nur auf die Umweltpolitik der EU im Ganzen.141 Im brigen muss
     das Schutzniveau nicht unbedingt das in technischer Hinsicht hchstmgliche sein. Dies
     zeigt schon ein Rckschluss aus Art. 193 AEUV, wonach es den Mitgliedstaaten gestattet
     ist, verstrkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen.142

     (2) Vorsorge- und Vorbeugeprinzip
28   Die Grundstze der Vorsorge und Vorbeugung (Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV) las-
     sen sich in der Praxis im Hinblick auf eine umweltvertrgliche Energieversorgung kaum
     trennen.143 Begrifflich zielt „Vorbeugung“ („preventive action“) strker als „Vorsorge“
     auf die Verhinderung von Gefahren. Das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) ist da-
     gegen eher i. S. einer vorausschauenden Frsorge zu verstehen und auf Risiken bezogen.144
     Es setzt unterhalb der Gefahrenschwelle an und erlaubt Vorkehrungen, bevor ein Umwelt-
     schaden droht oder Umweltgefahren abzuwenden sind, wie es das erste Umweltaktions-
     programm des Rates von 1973 ausdrckt: Das Vorsorgeprinzip bedeutet, Umweltbelas-
     tungen von vornherein zu vermeiden und nicht erst nachtrglich zu bekmpfen.145 Hie-
     runter fallen alle Maßnahmen der Risikovermeidung und Risikominimierung, also auch
     solche, die einer Vermeidung von Emissionen dienen, ehe deren Verminderung erforder-
     lich wird. Dazu gehrt etwa die Ausrichtung der Emissionsnormen am jeweiligen Stand
     der Technik, unabhngig von der Aufnahmekapazitt des jeweiligen Umweltmediums.146
     In der Praxis geht es um die Ermittlung und Differenzierung eines noch hinnehmbaren Ri-
     sikos, das mit der umweltrelevanten Emission verbunden ist, in Abgrenzung zu dem zu be-

     138 berblick zum Meinungsstand bei Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 16 ff. m. w. N.
     139 Vedder/Heintschel von Heinegg/Epiney, Art. 191 AEUV Rn. 8; fr ein eigenstndiges „Prinzip
         der regionalen Differenzierung“: Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 22 ff.
     140 Lenz/Borchardt/Breier, Art. 191 AEUV Rn. 13 f.
     141 Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV Rn. 69; Vedder/Heintschel von Heinegg/Epiney, Art. 191 AEUV
         Rn. 7; a. A. Frenz, EuR 2009, Beiheft 1, 232, 241 f.
     142 Klarstellend EuGH, Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-444/15, ECLI:EU:C:2016:978, Rn. 44 – Associa-
         zione Italia Nostra Onlus; EuGH, Urt. v. 13.3.2019, Rs. C-128/17, ECLI:EU:C:2019:194,
         Rn. 132 – Polen/Parlament und Rat; aus der Lit. etwa von der Groeben/Schwarze/Hatje/Krmer,
         Art. 191 AEUV Rn. 17.
     143 Ausfhrlich zur umstrittenen Frage einer inhaltlichen Synonymitt der beiden Prinzipien Cal-
         liess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 30, 32 m. w. N. und unter zutreffendem Hinweis da-
         rauf, dass die Beibehaltung beider Begriffe sowohl im Vertrag von Amsterdam als auch im Ver-
         trag von Lissabon darauf hindeutet, „dass ihnen zumindest teilweise unterschiedliche Gebote ent-
         springen mssen“.
     144 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV Rn. 32 f.; zur Rezeption des Vorsorgeprinzips im Vl-
         kerrecht Winham, World Trade Review 2003, 131, 140 ff.; Junker, in: Schbener, Vlkerrecht,
         S. 560 ff.; zum WTO-Recht vgl. Arndt, S. 331 ff.
     145 S. insoweit bereits Teil I Titel II Nr. 1 des ersten Umweltaktionsprogramms, ABl. 1973 C 112/1;
         kritisch zur Rckfhrung des Vorsorgeprinzips auf das erste Umweltaktionsprogramm aber
         Arndt, S. 71 ff.
     146 Lenz/Borchardt/Breier, Art. 191 AEUV Rn. 15.

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