Erfolgsfaktor MIT TELSTAND - Altenheim
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ERFOLG S FA K TO R M I T T EL STAN D Steve Schrader, Thomas Knieling, Chefredakteur Bundesgeschäfts- Altenheim führer VDAB Das Rückgrat der Pflege Die Pflegelandschaft ist vielfältig: Neben den freigemeinnützigen und kommuna len Trägern kamen mit Einführung der Pflegeversicherung 1995 auch die privaten Anbieter auf den Markt. In ganz Deutschland sind viele mittelständisch geprägte und inhabergeführte Einrichtungen entstanden, ohne die die pflegerische Ver sorgung heute nicht mehr vorstellbar wäre. Diese Vielfalt gerät zunehmend in Gefahr. Mit jeder Reform auf Bundes und Lan desebene sind die Anforderungen an die Betreiber gestiegen und bringen klei nere Einrichtungen an den Rand ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Viele Unternehmen, die in den vergangenen 25 Jahren so manchen Sturm überstanden haben, denken intensiv über den Verkauf ihrer Einrichtungen nach – oder haben dies bereits getan. Denn Großinvestoren aus dem In und Ausland suchen derzeit ihr Heil im Pflegemarkt und locken mit attraktiven Angeboten. Doch wie nachhaltig sind diese Strukturen, die gerade entstehen? Wir, die Re daktion von Altenheim sowie der Verband VDAB, meinen: Nur ein starker Mittel stand sichert die pflegerische Versorgung der nächsten Jahrzehnte. Mit unserer Aktion „Erfolgsfaktor Mittelstand“ wollen wir darauf aufmerksam machen. Wir haben Kernforderungen für einen politischen Kurswechsel aufgestellt, die wir Ih nen hier in dieser Broschüre präsentieren. Denn die Pflege braucht einen starken Mittelstand! 3
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D GRUSS Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmäch- WORT tigter der Bundes- regierung Vielfalt zeichnet den Markt aus Der deutsche Pflegemarkt ist bunt und vielfältig – und das ist gut so. Private An bieter stellen einen bedeutenden Anteil der Träger, zwei von drei ambulanten Pflegediensten und jedes zweite Pflegeheim sind Privatunternehmen. Als Pfle gebevollmächtigter weiß ich, dass mittelständische und inhabergeführte Betrei ber ein Rückgrat für die Versorgungssicherheit in der Langzeitpflege sind. Damit die Pflegebranche im Wettbewerb um Personal gerüstet ist, hat die Bundesre gierung aktuell viel auf den Weg gebracht: zusätzliche Stellen, bedarfsgerechtes Personalbemessungsverfahren, Refinanzierung attraktiver Gehälter, moderne Berufsausbildung, Entbürokratisierung, Digitalisierung in der TelematikInfra struktur und vieles mehr. Die Politik kann aber nur den Rahmen setzen, ausfüllen können ihn nur die Arbeitgeber. Der Mittelstand trägt Verantwortung in der Pfle ge – für die Versorgung genauso wie für seine Beschäftigten. In der Konzertierten Aktion Pflege haben sich alle Partner das Versprechen gegeben: Wir werben um Nachwuchs und tun alles dafür, um Pflegekräfte im Beruf zu halten. Mein Appell an alle Partner der Konzertierten Aktion ist daher: Bitte setzt Euer Versprechen jetzt gemeinsam um. Ich werde weiter an der Seite aller an der Pflege Beteiligten stehen und ein offenes Ohr für ihre Anliegen haben. Ihr 4
DIE 10 KERNFORDERUNGEN IM ÜBERBLICK 1. Risiko und Gewinn im Rahmen von Vergütungs verhandlungen berücksichtigen 2. Bürokratiecheck von Prüfrichtlinien und ordnungsrechtlichen Vorschriften 3. . Mehr unternehmerische Freiheit bei Konzeption und Bau der Einrichtung 4. . Verlässliche Rahmenbedingungen in langfristigen Finanzierungsfragen 5. Leistungserbringung und Leistungsbezug flexibilisieren 6. . Sektorenübergreifendes digitales Gemeinschaftsprojekt aller Akteure 7. System der Refinanzierung neu aufstellen 8. . Statische Strukturen der Personalbe- messung im stationären Bereich aufbrechen 9. Mittelstand beim Ausbau von Ausbildungs- kapazitäten stärken 10. . Auflösung der Sektorengrenzen und Neustrukturierung des Leistungsrechts 5
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Der Markt im Wandel – Zukunftsperspektiven W irft man einen Blick in die aktuelle Pflegesta- menbedingungen und zum anderen die intensiven Inves- tistik aus dem Jahr 2017, kann der Eindruck titionsaktivitäten von Großträgern und Investoren. entstehen, alles sei in Ordnung. Die Zahl am- Was die gesetzlichen und vertraglichen Rahmen anbe- bulanter, teilstationärer und vollstationärer Einrichtungen langt, so ist zu konstatieren, dass mit jeder Reform der ist angestiegen und vor allem die Investitionen privater Pflegeversicherung und von Heimgesetzen auf Länder- Pflegeunternehmen hat dabei offensichtlich zugenommen. ebene die Anforderungen an Einrichtungen gestiegen Was die Pflegestatistik nicht ausweist, ist der Konzentrati- sind. Insbesondere bauliche Vorgaben im Zuge der Um- onsprozess innerhalb der unterschiedlichen Trägergruppen. setzung von festen Einzelzimmerquoten bringen klei- Entgegen der öffentlichen und politischen Wahrnehmung nere Einrichtungen an den Rand ihrer wirtschaftlichen prägen vor allem die kleinen inhabergeführten Träger die Leitungsfähigkeit und nicht selten darüber hinaus. Dazu Pflegelandschaft. Sie übernehmen lokal Verantwortung für kommt, dass der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb vor al- Mitarbeiter und Pflegebedürftige und sind damit das Rück- lem durch die Regelungen im Pflegestärkungsgesetz III grat der flächendeckenden professionellen pflegerischen nachhaltig in Frage gestellt ist. Danach werden die Per- Versorgung. sonalkosten im Rahmen der Pflegesatzverhandlung dem Selbstkostendeckungsprinzip unterworfen, ohne gleich- ANFORDERUNGEN AN DIE EINRICHTUNGEN zeitig einen klaren Anspruch auf Finanzierung von Ge- STEIGEN KONTINUIERLICH winn und zusätzlicher Berücksichtigung von unterneh- merischen Risiken zu formulieren. Viele Unternehmer stellen sich die Frage, wie sich der Hier schließt sich der Kreis zu den Investitionsaktivi- Pflegemarkt entwickeln wird und ob dort weiterhin auch täten von Großträgern und Investoren. Denn in der Regel Platz für kleine Pflegeeinrichtungen mit überschaubaren wird kein Inhaber den Verkauf des eigenen Unterneh- Strukturen sein wird. Zweifellos ist in den letzten Jahren mens in Erwägung ziehen, wenn die Möglichkeit besteht, festzustellen, dass sowohl die Größe neuer Einrichtun- auch in Zukunft durch eigenes unternehmerisches Han- gen, als auch die Größe der dahinterstehenden Träger- deln erfolgreich sein zu können. Angesichts der Regulie- strukturen zunimmt. Nach unserer Beobachtung kommen rung von allen Seiten denken viele Entscheider, die bes- Einrichtungen mit weniger als 60 Plätzen immer mehr in seren Karten im System großer Organisationseinheiten Bedrängnis. Auf der Suche nach dem Grund für diesen zu haben. Dies zeigt sich besonders deutlich an immer Trend kristallisieren sich zwei wesentliche Faktoren he- mehr Beispielen, in denen der Verkauf des Unternehmens raus: zum einen die gesetzlichen und vertraglichen Rah- sogar der Nachfolgeregelung innerhalb der Familie vor- gezogen wird. Noch stehen wir am Anfang einer bedrohlichen Entwick- lung für die Pflege in Deutschland und haben die Chance, ihr konsequent entgegenzutreten. Wenn es die Politik mit Kernforderungen der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit professioneller, wohnortnaher und bedarfsgerechter Pfle- || Verlässliche Rahmen ge ernst meint, muss dringend ein Umdenken stattfinden. bedingungen Statt sich mit Fragen der Regulierung von Großträgern und || Realistische und umsetzbare Investoren aufzuhalten, müssen die mittelständischen Un- Anforderungen an mittel ternehmen am Markt gestärkt werden. Sie sind auch weiter ständische Pflegeunternehmen bereit zu investieren, wenn es dafür verlässliche Rahmen- || Bewältigung der demografi bedingungen und unternehmerischen Handlungsspielraum schen Herausforderungen durch gibt. Die Stärkung des Mittelstandes ist deshalb die Ant- Stärkung des Mittelstands wort auf die demografischen Herausforderungen. 6
Investitionsbereitschaft der Anbieter sichern D ie demografische Entwicklung stellt die profes- Die Grundvoraussetzung für die Investitionsbereitschaft sionelle Pflege nicht nur vor große qualitative, mittelständischer Pflegeunternehmen ist, ihnen Redlichkeit sondern vor allem auch vor umfangreiche quan- zu unterstellen. Denn Freiheit und Vertrauen beginnen da, wo titative Herausforderungen. Aktuell zeigen sich in allen Kontrolle endet. Unternehmen müssen die Hoheit über ihre Versorgungsbereichen bereits erste Versorgungsengpässe. unternehmerischen Entscheidungen zurückerhalten. Darüber Die Ablehnungsquote bei Anfragen in der stationären Pfle- hinaus braucht die Branche insgesamt dringend eine Reform- ge steigt, da die Kapazitäten vielerorts stagnieren oder gar pause, um die aktuellen großen Herausforderungen auch be- rückläufig sind. Nach einer aktuellen Umfrage des VDAB wältigen zu können. Zur Sicherung und Stärkung von inha- bei seinen Mitgliedern müssen die Einrichtungen teils bergeführten mittelständischen Einrichtungen sind dringend mehrfach täglich Anfragen von Pflegebedürftigen ableh- folgende Weichen zu stellen: nen. Dazu passen auch die Erhebungen des DAK-Pflege- ||Unternehmerische Gestaltungsfreiheit überall dort, wo die reports 2018, wonach Investitionen in Höhe von 3,5 Mil- Pflegeversicherung keine Finanzierungsverantwortung liarden Euro nötig sind, damit auch in Zukunft jeder die trägt. Dies setzt gesetzgeberische Zurückhaltung und eine professionelle Pflege bekommen kann, die er braucht. klare Definition voraus, wofür die Pflegeversicherung mit ihrer Pauschale einsteht. UMDENKEN IN DER SOZIALPOLITIK ||Mehr unternehmerische Freiheit in Fragen der konzeptio- nellen und baulichen Gestaltung ihrer Einrichtung Um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen, wird ||Verlässliche Rahmenbedingungen in langfristigen Finan- also entscheidend sein, dass sich insbesondere private Pfle- zierungsfragen geunternehmen weiter engagieren. Bei den Trägern der ||Anerkennung des Anspruchs auf Gewinnerzielung, Risiko- freien Wohlfahrtspflege und den kommunalen Trägern ist absicherung und Investitionsrücklagen ohne Eingriffe der keine ausgeprägte Investitionsbereitschaft zu erkennen. Es Kassen in Betriebsgeheimnisse ist deshalb höchste Zeit für ein Umdenken in der Sozial- politik. Die Zukunftsfrage ist nicht, wie Versicherte immer Fazit: Das Engagement von inhabergeführten mittelstän- mehr und immer bessere Leistungen erhalten können, son- dischen Pflegeunternehmen ist Voraussetzung, um eine flä- dern wie wir die flächendeckende Versorgung auf dem der- chendeckenden Versorgung mit professioneller Pflege zu zeitigen Niveau für alle mittel- und langfristig sichern kön- sichern. Dafür braucht es mehr Wertschätzung und Vertrau- nen. Die Zeiten von schneller, höher, weiter sind vorbei! en von Politik und Kassen, die vor allem in mehr Gestal- Mit jeder Reform der Pflegeversicherung im Bund, mit tungsspielräumen und Zurückhaltung bei der Regulierung jeder Reform des Ordnungsrechts in den Ländern und mit zum Ausdruck kommen sollten. jeder Richtlinie der Kassen ist in den letzten zehn Jahren der unternehmerische Spielraum kleiner geworden. Inzwi- schen kann ein Pflegeunternehmer den Eindruck gewinnen, er sei gerade noch gut genug, um das Kapital zu stellen und das Risiko zu tragen, während alles andere Dritte be- Die Basis stimmen. Dies wurde politisch auch bewusst in Kauf ge- nommen und immer wieder damit begründet, dass es um Grundvoraussetzung für eine Versichertengelder und um besonders schutzwürdige Men- Investitionsbereitschaft schen gehe. Beides lässt sich nicht bestreiten, rechtfertigt mittelständischer Pflegeunter aber nicht alles. Viele Regelungen werden eher mit einem nehmen ist, ihnen Redlichkeit moralischen Impetus verfolgt, als sachlich begründet. Das zu unterstellen. Denn Freiheit ist auch nicht verwunderlich, solange das Misstrauen ge- und Vertrauen beginnen da, wo genüber Pflegeunternehmern allgegenwärtig ist. Kontrolle endet. 7
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Gewinne als Basis für Stabilität und Innovation D as Institut für Arbeit und Technik (IAT) hat einen ein differenzierter Blick gefragt. Die inhabergeführten mittel- Zwischenbericht zu seiner Langzeitstudie „Über- ständischen Pflegeunternehmen prägen den privaten Pflege- nahmen durch Private Equity im deutschen Ge- markt – zumindest noch. Sie übernehmen seit vielen Jahren sundheitssektor“ veröffentlicht, in der die Pflegebranche Verantwortung vor Ort und sind das Rückgrat der flächen- eine zentrale Rolle spielt. Die Untersuchungsergebnisse zei- deckenden pflegerischen Versorgung. Diese Unternehmen gen in alarmierender Weise, wie sich der Pflegemarkt nach finanzieren sich in der Regel klassisch über Banken und für industriellem Vorbild zu wandeln beginnt. Institutionelle In- Kredite wird noch persönlich gehaftet. Ihre Inhaber investie- vestoren sind auf dem deutschen Pflegemarkt angekommen ren darüber hinaus regelmäßig in den Erhalt, die Moderni- und treiben einen dynamischen Marktkonzentrationsprozess sierung und die Erweiterung ihrer Immobilien sowie in Per- aktiv voran. Vor allem Private-Equity-Gesellschaften sind sonal, weil es ihnen um eine qualitative Versorgung und die nicht auf ein langfristiges Engagement mit Verantwortung Schaffung bleibender Werte als Familienunternehmen geht. für die Versorgung ausgerichtet, sondern verfolgen kurz- und Betrachtet man die Herausforderungen, vor denen die Ein- mittelfristig das Prinzip der Gewinnmaximierung. So drohen richtungen derzeit stehen, erscheint die Diskussion um Ge- Pflegeeinrichtungen samt ihrer Mitarbeiter und Bewohner winne fast aus der Zeit gefallen. In rund 14 500 stationären zum Spekulationsobjekt zu werden. Diese Entwicklung wird Einrichtungen müssen 765 000 Mitarbeiter für das neue Qua- zu Recht kritisch betrachtet: Pflege ist keine Branche und litätsverfahren geschult werden. Die Einrichtungen müssen Dienstleistung wie jede andere. sich als Ausbildungsbetriebe auf die neue Fachkraftausbil- dung einstellen. Dazu kommen in vielen Ländern staatlich SCHWARZ-WEISS-DISKUSSION ÜBER RENDITEN UND verordnete bauliche Anpassungen, die Weiterentwicklung GEWINNE FÜHRT IN DIE SACKGASSE der Löhne auf Tarifniveau usw. Für die erfolgreiche Bewäl- tigung all dieser Anforderungen braucht es ein gesundes Un- Die Frage, ob mit Pflege Gewinn gemacht werden darf, be- ternehmen, das wirtschaftlich leistungsfähig ist darf mehr als der Antworten, die sich oft aus der moralischen Unternehmer möchten auch persönlich einen Anspruch Perspektive ergeben. Eine schwarz-weiß gefärbte Diskussion auf wirtschaftlichen Erfolg haben. Ihre Unternehmen sind führt am Ende in die Sackgasse. Für eine kritische Ausein- nicht nur das Objekt der Refinanzierung von Kostenträgern. andersetzung mit der Entwicklung auf dem Pflegemarkt im Wer das in Frage stellt, negiert die Grundlagen unserer Wirt- Allgemeinen und mit dem Thema Gewinn im Besonderen ist schaftsordnung und legt die Axt an die Sicherstellung der flächendeckenden pflegerischen Versorgung. Wenn den mit- telständischen Pflegeunternehmen wirtschaftlicher Anreiz und unternehmerische Perspektive genommen werden, blei- ben letztlich die notwendigen Investitionen zur Bewältigung Kernforderungen der demografischen Herausforderungen im Pflegemarkt aus. Der Anspruch auf wirtschaftlichen Erfolg darf nicht da- || Qualitative Versorgung in der Fläche braucht durch unterlaufen werden, dass das Konzept der mittelstän- Investitionen dischen inhabergeführten Unternehmen mit Gewinnmaxi- || Für Investitionen ist eine angemessene Rendi mierungsmodellen von Hedgefonds, Venture Capital oder te des eingesetzten Kapitals notwendig Private Equity in einen Topf geworfen wird und ihnen als || Risiko, Gewinn und Wagnis sind von den Folge daraus unredliches Gewinnstreben auf Kosten von Pflegekassen im Rahmen von Vergütungsver Pflegebedürftigen und Pflegekräften unterstellt wird. Hier handlungen zu berücksichtigen gilt es, genau hinzusehen und jede pauschale Verurteilung || Jeder mittelständische Unternehmer in der zu vermeiden. Verbände, Kassen und Politik sind aufgeru- Pflege verdient das Vertrauen, dass er redlich fen, in dieser Diskussion Flagge zu zeigen und sich klar für handelt den pflegerischen Mittelstand zu positionieren. 8
Wirksame Maßnahmen gegen Fachkräftemangel D as Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht bis weit über die bisherigen Reformen der Pflegeversicherung zum Jahr 2035 einen Personalbedarf von einer hal- hinausreichen. Bleibt es bei dem fest gefügten System von ben Million Fachkräfte in der Altenpflege, soweit fixen Personalschlüsseln, Fachkraftquoten und regulier- der Anteil der Pflegebedürftigen stabil bleibt. Dem gegen- tem Leistungsangebot, so wird sich die Versorgungslücke über steht eine umgekehrt proportionale Entwicklung im weiter vergrößern und professionelle Pflege ein knappes Bereich der Erwerbstätigen, die unweigerlich zu einem Gut, das nicht mehr für jeden verfügbar sein wird. Wenn verschärften Wettbewerb zwischen allen Wirtschaftsberei- sich das Leistungsversprechen des Sozialstaats weiterhin chen um geeignete Fachkräfte führen wird. Das Gesund- erfüllen soll, dass jeder Versicherte an jedem Ort Zugang heitswesen und die Altenpflege im Besonderen stehen da- zu professionellen Pflegeleistungen hat, reicht mehr Geld bei vor großen Herausforderungen, weil Preise nicht frei für Versicherte und mehr Geld für Pflegeeinrichtungen kalkulierbar sind und somit auch Lohnentwicklungen nicht nicht aus. Diese Maßnahmen wirken allenfalls stabilisie- so dynamisch vollzogen werden können wie in der frei- rend. Der pflegerische Mittelstand ist in diesem Prozess en Wirtschaft. Hier wird es vor allem die Bereitschaft von der ideale Partner, denn er ist innovationsfähig, flexibel Kostenträgern, Politik und Gesellschaft geben müssen, für und übernimmt langfristig Verantwortung vor Ort. In der professionelle Pflege immer mehr Geld auszugeben, um öffentlichen Debatte sollte nicht der Eindruck erweckt die Versorgung in Zeiten des Wettbewerbs um Mitarbeiter werden, dass die aktuellen Projekte, wie ein allgemein- weitestgehend sicherzustellen. verbindlicher Tarif, die Reform der Pflegeberufe oder Förderprogramme, an den demografischen Herausforde- PROFESSIONELLE PFLEGE WIRD KÜNFTIG EIN rungen substanziell etwas ändern werden. Alle, die für die KNAPPES GUT professionelle Pflege Verantwortung tragen, sind deshalb aufgerufen, gemeinsam an Strategien zu arbeiten, wie mit Selbst bei entsprechender Finanzierung wird der zusätzli- der immer größer werdenden Pflegelücke umzugehen ist. che Personalbedarf im Inland nicht zu decken sein. Deshalb Die Mechanismen der letzten 20 Jahre nach dem Motto verwundert es nicht, dass die Anwerbung internationaler „schneller-höher-weiter“ werden in der Altenpflege nicht Fachkräfte bei den Einrichtungen ein brandaktuelles Thema mehr realisierbar sein. Die Sicherung des Status quo ist ist. Politisch wird daneben zurzeit das Einwanderungsgesetz das Gebot der Stunde. kontrovers diskutiert. Unabhängig davon darf allerdings das Potenzial von Zuwanderung nicht überschätzt werden. Nach den letzten statistischen Angaben der Bundesagentur für Ar- beit waren im Juni 2017 bundesweit 128 000 internationale Pflegekräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Unter der Voraussetzung, dass im Inland keine deutlichen Steigerun- Kernforderungen gen der Pflegekräfte zu erwarten sind, sondern bestenfalls die Es bedarf einer Diskussion um: Stabilisierung des Status Quo, müsste das gesamte zusätzlich notwendige Personal international akquiriert werden. Konkret || eine Neustrukturierung von professioneller würde das bedeuten, dass die Zahl der in Deutschland sozial- Pflege im Lichte des Fachkräftemangels versicherungspflichtig tätigen internationalen Pflegefachkräf- || eine Neustrukturierung des Leistungsrechts te von 2018 bis zum Jahr 2035 um mehr als 290 Prozent (!) || eine Flexibilisierung der Leistungserbrin gesteigert werden müsste, damit die vom IW prognostizierten gung 500 000 Kräfte auch tatsächlich in der Praxis ankommen. || eine klare Zuweisung von Verantwortung im Betrachtet man diese Realität nüchtern, so stellen sich Sinne des Sicherstellungsauftrags zwischen grundsätzliche Fragen an die langfristige Sicherung von Kostenträger und Leistungserbringern professioneller pflegerischer Versorgung, die inhaltlich || eine Auflösung der Sektorengrenzen 9
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Bessere Bedingungen für Ausbildungsbetriebe D ie „Konzertierte Aktion Pflege“ der Bundesregie- gung stehen werden. Als echtes Nadelöhr kann sich der rung geht aktuell in die Umsetzung und hat sich Praxiseinsatz in der Pädiatrie erweisen. Darauf wurde bei u.a. die Steigerung der Auszubildenden und der der Konzeption der Ausbildung seitens der Verbände im- Ausbildungsstellen um zehn Prozent bis zum Jahr 2023 mer wieder hingewiesen. Bleibt es bei der strikten Vorgabe auf die Fahnen geschrieben. Dieses Ziel ist ambitionierter, eines Einsatzes in der Pädiatrie, so werden insbesondere als es auf den ersten Blick wirkt. Denn parallel steht auch viele Altenpflegeeinrichtungen allein deshalb nicht aus- die neue Pflegeausbildung für das Jahr 2020 in den Start- bilden können, weil ihnen diese Kooperationsmöglichkeit löchern und es ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen fehlt. Sollte dies eintreten, gilt es rechtlich schnell gegen- vor allem die neue Konzeption der praktischen Ausbildung zusteuern und die Anforderungen kritisch zu hinterfragen. auf die Entwicklung der Ausbildungszahlen haben wird. Voraussetzung dafür ist, dass auf Landesebene fehlende Klar ist dagegen, dass die mittelständischen inhabergeführ- Praxisplätze zentral erhoben werden. ten Pflegeunternehmen der entscheidende Faktor für eine weiterhin positive Entwicklung im Bereich der Ausbildung AUSKÖMMLICHE FINANZIERUNG DER sein werden. Denn sie sind es, die die Mehrzahl aller Aus- PRAXISANLEITER IST DREH- UND ANGELPUNKT bildungsplätze stellen und dies nicht nur bezogen auf den Altenpflegebereich, sondern auch im Verhältnis zu den Ein weiterer wichtiger Faktor für die positive Entwicklung Ausbildungsplätzen in der Krankenpflege. der Ausbildungszahlen ist die auskömmliche Finanzierung. Mit Blick auf die neue Ausbildung ist allerdings keines- Derzeit werden in allen Bundesländern die Pauschalvergü- falls gesichert, dass sich die dynamische Entwicklung der tungen verhandelt. Vor allem die Finanzierung der Praxisan- letzten Jahre nahtlos fortsetzen wird. Dies liegt vor allem leiter ist auf Seiten der Ausbildungsbetriebe der Dreh- und an den komplexen Kooperationsanforderungen, die die Angelpunkt. Daneben muss die Schulfinanzierung so ge- neue Ausbildung an die Ausbildungsbetriebe stellt, z. B. staltet werden, dass die vielen kleineren Altenpflegeschu- was Pflichteinsätze im Rahmen der praktischen Ausbildung len erhalten bleiben können. Denn Unternehmen können angeht. Aufgrund des Ungleichgewichtes zwischen der nur dann Azubis gewinnen, wenn es in der Nähe auch eine Anzahl der Ausbildungsplätze in der Alten- und Kranken- Schule gibt. Es bleibt abzuwarten, ob alle Schulen den neu- pflege zeichnet sich ab, dass für Ausbildungsbetriebe nicht en Anforderungen gewachsen sein werden. Es zeichnet sich unbeschränkt Praxisplätze in Krankenhäusern zur Verfü- allerdings jetzt schon ab, dass viele Schulen nur den Ausbil- dungsgang zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann anbieten werden können. Dies wird zu Lasten der Wahlfreiheit von Azubis gehen und oft verhindern, dass sie sich für die Qua- lifizierung zur Altenpflegerin/zum Altenpfleger entscheiden. Sich in der Ausbildung zu engagieren, macht nur dann Kernforderungen Sinn, wenn eine realistische Chance besteht, die Auszubil- || Mittelstand beim Ausbau von Aus denden auch im Betrieb zu halten. Hier schließt sich der bildungskapazitäten stärken Kreis zur aktuellen Lohndebatte. Die Unternehmen in der || Schnelle rechtliche Reaktion bei Man Altenpflege müssen in die Lage versetzt werden, konkur- gel an Kooperationsmöglichkeiten renzfähige Löhne zu bezahlen. Dies gilt nicht nur innerhalb || Auskömmliche Finanzierung in den der Altenpflege, sondern insbesondere im Verhältnis zur Betrieben und der Schulen sicher Krankenpflege. Denn mit der neuen Ausbildung entsteht stellen ein gemeinsamer Arbeitsmarkt, auf dem die mittelständi- || Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit schen inhabergeführten Unternehmen auf Augenhöhe agie- durch Refinanzierung konkurrenz ren können. Dann wird ihr Engagement als Ausbildungsbe- fähiger Löhne trieb auch in Zukunft erhalten bleiben. 10
Dem Mittelstand in der Pflege eine Stimme geben „Die demografischen und strukturellen Herausforderungen in der Pflege sind nur zu bewältigen, wenn die Gesetzgeber in Bund und Land in eine Vertrauenskultur für die professi onelle Pflege investieren und auf Regelungen verzichten, die Pflegekapazitäten beschränken, anstatt sie auszuwei ten. Das Strukturmodell in der Pflegedokumentation ist ein erster Schritt. Ich wünsche mir mehr Initiativen der Entbü rokratisierung, damit ich die alltäglichen und zukünftigen Aufgaben im Sinne einer sehr guten professionellen Pflege für meine Bewohnerinnen und Bewohner lösen kann. “ „Innovative Versor Philipp Unger, Einrichtungsleiter Deutsches Haus in Weisenheim am Sand (Rheinland-Pfalz) gungskonzepte sollten vom Staat und den Kostenträgern geför dert und unterstützt „Professionelle Pflege können nur starke Unternehmen werden. Wenn wir für für die Zukunft sichern. Als Unternehmer brauche ich die Menschen, die dafür die Anerkennung der unternehmerischen Freiheit professionelle Pflege und die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage. Damit leisten, gute Rahmen ich auch weiterhin langfristig investieren kann, ist eine an bedingungen schaffen, gemessene Rendite des eingesetzten Kapitals notwendig. wird dieser Beruf auch Dazu gehört, dass Risiko, Wagnis und ein angemessener wieder an Attraktivität Gewinn von den Pflegekassen im Rahmen von Vergütungs gewinnen. Möchte die verhandlungen berücksichtigt werden müssen.“ Politik weiterhin eine soziale Pflegeversi Stephan Baumann, Gesellschafter und Geschäftsführer cherung, muss mehr in der GESBE Unternehmensgruppe, Essen (NRW) Geld in diese Säule der Sozialversicherung in vestiert werden. Mehr „Die Vereinzelung und Überalterung unserer Flexibilität und Ver Gesellschaft stellt die private professionelle Pflege trauen wünsche ich mir jetzt und in Zukunft vor große Herausforderungen. Zur für unsere Arbeit und Bewältigung aller damit verbundenen Probleme kann für den Mittelstand in unser Team keine Vorgaben gebrauchen, die die Arbeit der professionellen in der Einrichtung einschränken und erschweren. Insbe Pflege.“ sondere bei der Personalbemessung und beim Perso naleinsatz brauche ich mehr Flexibilität statt statischer Andrea Geiselhart Geschäftsführung Ambulante Strukturen. Es müssen einrichtungsindividuelle Perso und Stationäre Pflege Gei nalmengen möglich sein, die prospektiv am Pflegebe selhart, Wendlingen (Baden- darf ermittelt werden.“ Württemberg) Kerstin Giese-Barth, Einrichtungsleiterin Haus Albanus in Schkeuditz (Sachsen) 11
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Flexiblere Leistungen für stabile Versorgung D er Befund aus der demografischen Entwicklung DEN FLUCH DER FACHKRAFTQUOTE BRECHEN ist klar: Die flächendeckende Versorgung mit pro- fessioneller Pflege ist gefährdet, wenn sich nicht Eine besonders wichtige Ebene ist dabei die Personalbe- grundlegend etwas ändert. Denn die Entwicklung der Er- messung und der Personaleinsatz. Es ist überfällig, die sehr werbsfähigen verläuft diametral zur Entwicklung der Pfle- statischen Strukturen der Personalbemessung im statio- gebedürftigen. Schon jetzt zeigen sich fast flächendeckend nären Bereich aufzubrechen und einrichtungsindividuelle Versorgungsengpässe in der stationären und ambulanten Personalmengen zu ermöglichen, deren Zulässigkeit pros- professionellen Pflege – und das ist erst der Anfang. pektiv am Pflegebedarf zu ermittelt ist. Retrospektiv wäre Trotz dieser eigentlich unbestreitbaren Realität gehen dann anhand der Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität alle gesetzlichen Regelungen und alle in der Konzertier- festzustellen, ob die Personalausstattung angemessen war. ten Aktion Pflege verabschiedeten Maßnahmen von der Dies würde den Fluch der fixen Fachkraftquote brechen, Grundannahme aus, dass durch bessere Finanzierung und die den Personalmangel auf dem Papier verschlimmert und intensivere Anstrengungen aller Akteure die Pflegelücke aufsichtliches Handeln auslöst, das mögliche Kompensa- geschlossen werden könne. Nimmt man allerdings die be- tionsmaßnahmen oder Auswirkungen auf die tatsächliche kannten Projektionen ernst, so muss festgestellt werden, Versorgungsqualität unberücksichtigt lässt. Eng damit ver- dass sich die Versorgungslücke vergrößern wird. Denn es bunden ist auch das Thema Personaleinsatz. In Zukunft zeichnet sich abseits des Prinzips Hoffnung kein Szenario muss alles daran gesetzt werden, dass Fachkräfte nur die ab, in dem auch nur annähernd genug Menschen für die Er- Tätigkeiten ausführen, für die ihre Qualifikation auch er- bringung aller notwendigen professionellen Pflegeleistun- forderlich ist. Nur so können alle Effizienzreserven geho- gen zur Verfügung stehen werden. Bleibt das System der ben werden. Pflegeversicherung unverändert, wird professionelle Pflege Eine weitere Ebene ist die Flexibilisierung der Leis- nicht nur ein teureres, sondern vor allem auch ein knappe- tungserbringung und des Leistungsbezugs. Abgesehen res Gut werden, das nicht mehr für jeden auf dem bestehen- davon, dass eine verpflichtende vollstationäre Rundumver- den Niveau verfügbar sein wird. Dies rüttelt an den Grund- sorgung auf Pflegebedürftige und Angehörige wie aus der festen der sozialen Pflegeversicherung. Es ist also höchste Zeit gefallen wirkt, könnten flexible vollstationäre Leistun- Zeit, die zugegeben schmerzhafte Diskussion darüber zu gen auch einen Beitrag zur Entspannung der Personalkrise beginnen, wie die professionelle pflegerische Versorgung leisten. Denn der zwingende Personalvorhalt wäre geringer bei bestenfalls stagnierenden Personalressourcen aussehen und gleichzeitig würde das Wahlrecht und die Eigenverant- und das Leistungsversprechen der Pflegeversicherung auf- wortung von Pflegebedürftigen und Angehörigen gestärkt. rechterhalten werden kann. Ein zentraler Ansatzpunkt ist Logische Folge wäre schließlich auch, die Refinanzie- die konsequente Flexibilisierung in allen Bereichen. rung zu flexibilisieren. Es ist kritisch zu überprüfen, ob das System vorgeschriebener und finanzierter Pflegeleistung weiter Bestand haben kann. Die größte Herausforderung liegt darin, überhaupt erst einmal in die Diskussion über die Zukunft der professio- Kernforderungen nellen pflegerischen Versorgung einzusteigen und das Leis- tungsversprechen der Pflegeversicherung an die Realität || Statische Strukturen der Personalbemes anzupassen. Denn wenn alles beim Alten bleibt, werden im- sung im stationären Bereich aufbrechen mer mehr Pflegebedürftige auf eine professionelle Versor- || Flexibilisierung der Leistungserbringung gung verzichten müssen, obwohl sie einen Anspruch darauf und des Leistungsbezugs haben. Deshalb sind vor allem diejenigen gefordert, die den || System der Refinanzierung neu Sicherstellungsauftrag haben: Politik und Kassen. aufstellen 12
Die Digitalisierung in der Pflege vorantreiben D ie Debatte um die Digitalisierung in der Pflege ist Fachliche Hemmnisse werden am Beispiel der sekto- emotional besetzt und wenig konkret. Ein Grund renübergreifenden Überleitung deutlich. Soll ein Pflege- dafür ist, dass es für diesen aktuell häufig verwende- bedürftiger vom Krankenhaus in eine Pflegeeinrichtung ten Begriff keine allgemeingültige Definition gibt. Als Folge verlegt werden oder umgekehrt, so scheitert eine digitale wird die Digitalisierung zum Projektionsfeld für die unter- Überleitung nicht nur an technischen Schnittstellen, son- schiedlichen Interessen einzelner Akteure im Pflegebereich. dern vor allem inhaltlich an einer gemeinsamen Fachspra- Bereits jetzt sind technische Lösungen in vielen Berei- che. Hier wären auf Bundesebene die Grundlagen für eine chen der professionellen Pflege im Einsatz und verbessern sektorenübergreifende Kommunikation zu schaffen. den Pflegealltag für alle Beteiligten. Man denke beispiels- weise an die technischen Lösungen zur Minimierung von HEMMNISSE ABBAUEN, DAMIT DIE freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Versorgung von DIGITALISIERUNG WIRKEN KANN Pflegebedürftigen mit Demenz oder an die digitale Bewoh- nerverwaltung und Pflegedokumentation. In der Zusammenarbeit mit den Kassen ist das größte Versteht man Digitalisierung in der Pflege als Sammel- Hemmnis, dass es keine kassenübergreifend einheitliche begriff für alle technischen Entwicklungen, die auf digita- Basis gibt und nicht alle Prozesse zum Nachweis und zur len Systemen basieren, so tut sich ein Markt der Möglich- Abrechnung digital möglich sind – teils aus rechtlichen keiten auf. Insbesondere für den pflegerischen Mittelstand und teils aus technischen Gründen. Auch hier besteht drin- sind damit viele Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten gender Handlungsbedarf auf Bundesebene, wenn es mit der im Unternehmen verbunden. Gerade in Zeiten schwin- Digitalisierung vorangehen soll. dender personeller Ressourcen und steigender Quali- Fehlende Technik-Affinität und eine weit verbreitete tätsanforderungen können technische Systeme helfen, die Technik-Skepsis bei Pflegekräften sind weitere Hemm- menschliche Arbeitskraft effektiv dort einzusetzen, wo sie nisse, die es abzubauen gilt. Die Industrie muss nutzer- unersetzlich ist: in der Pflege am Bett. Darüber hinaus kann freundliche Produkte anbieten, die echte Vorteile im Alltag damit die Qualität gesichert werden. Die Zeit ist also reif, bieten. Vor allem die Pflegeunternehmen müssen Geduld die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. aufbringen, möglichst alle Mitarbeiter auf dem Weg der Di- Der Umgang mit Digitalisierung ist derzeit so zersplit- gitalisierung mitzunehmen. Besonders die Führungskräfte tert, wie das Gesundheitswesen selbst. Erfolgreiche inter- sind gefordert, Mitarbeiter zu motivieren und bei der An- sektorale Initiativen gibt es (noch) nicht, so ging z. B. die eignung neuer digitaler Techniken zu begleiten. Dann wird E-Health-Initiative der Bundesregierung von vornherein an die Digitalisierung eine wichtige Rolle in der Sicherung der Pflegebranche vorbei. Es ist höchste Zeit, dass Poli- der flächendeckenden Versorgung mit professioneller Pfle- tik und Kassen die Digitalisierung anders denken, denn sie ge spielen können. ist kein isoliertes Projekt innerhalb der eigenen Sektoren- und Zuständigkeitsgrenzen. Soll der technische Fortschritt seine volle Wirkung zugunsten von Pflegebedürftigen und Pflegenden entfalten, so muss die Digitalisierung ein Ge- meinschaftsprojekt aller Akteure im Gesundheitswesen Kernforderungen werden. Dabei sind die vielen kleinen und mittelständi- schen Unternehmen mit einzubeziehen. Das Pflegeperso- || Sektorenübergreifendes digitales nal-Stärkungsgesetz mit der enthaltenen Förderung der Gemeinschaftsprojekt aller Akteure Digitalisierung und die Konzertierte Aktion Pflege haben || Abbau von Hemmnissen technischer zuletzt gezeigt, dass dieses umfassende Verständnis noch und fachlicher Art nicht gereift ist. Als einzelne Initiative ist das zu begrüßen, || bei Pflegekräften Vorbehalte gegenüber bleibt aber weit hinter den Möglichkeiten zurück. Digitalisierung abbauen 13
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D ZAHLEN, DAT Wie entwickelt sich der Pflegemarkt zu künftig? Und wie viele Fachkräfte werden wir brauchen, um die weiter steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen versorgen zu können? Ein Überblick über die wichtigs ten Daten und Fakten. 46 PRIVAT Pflegebdürftige pro Einrichtung 84 58 ambulante versorgte WOHLFAHRT Pflegebdürftige pro Einrichtung PRIVAT stationär versorgte 75 67 ÖFFENTLICH WOHLFAHRT Durchschnittliche Einrichtungsgrö- 80 ßen nach Trägerschaft im Vergleich ÖFFENTLICH HEUTE WERDEN 24% VOLLSTATIONÄR UND 76% ZU HAUSE GEPFLEGT. 14
EN, FAKTEN Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt 2019 2030 2050 4 Mio. 5,1 Mio. 3,4 Mio. Pflegebedürftige Pflegebedürftige Pflegebedürftige insgesamt Quellen: Pflegestatistik 2017 und AOK Pflege-Report 2019 Pflege zu Hause 32% Der Bedarf an mit oder durch ambu Pflegekräften 68% lante Hilfe steigt bis 2050 1 Mio. durch Angehörige auf Die privaten Anbieter haben ihren Marktanteil Jahr für Jahr ausgebaut % 70 60 50 40 30 Quelle: VDAB 2019, Destatis 20 Marktanteile in der ambulanten und stationären Pflege nach Trägerschaft 10 0 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2007 2009 2011 2013 2015 2017 ambulante Pflegeeinrichtungen stationäre Pflegeeinrichtungen PRIVAT WOHLFAHRT ÖFFENTLICH 15
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Konsequent deregulieren und entbürokratisieren D ie Diskussion um Deregulierung und Entbüro- gramm Pflege steigt aktuell auch die politische Erwartungs- kratisierung ist so alt wie die Pflegeversicherung haltung an die Einrichtungen, die Politik hätte ihre Haus- selbst. Jedes neue Gesetz, jede neue Verordnung aufgaben gemacht und jetzt seien die Träger am Zug. Dies und jede neue Richtlinie enthalten das Mantra Bürokratie- birgt die Gefahr eines Schwarzen-Peter-Spiels zu Lasten abbau. Das Ergebnis ist in der Regel das glatte Gegenteil der Einrichtungen. Sie dürfen letztlich nicht die Schuldigen und die Begründung dafür ist im Kern immer gleich: Enge- sein, wenn die Sicherung der Versorgung mit professioneller re Vorgaben, Nachweise und Prüfungen seien für die pro- Pflege nicht flächendeckend erreicht wird. Der Sicherstel- fessionelle Altenpflege unerlässlich, um der Schutzbedürf- lungsauftrag liegt bei Politik und Kassen, die sich aus ihrer tigkeit der Pflegeversicherten und dem Kontrollanspruch Verantwortung nicht einfach freikaufen können. von Kassen und Aufsichtsbehörden zu entsprechen. Dazu kommen gerichtliche Urteile, die ihren bürokratischen Nie- DIE PFLEGEUNTERNEHMEN BRAUCHEN JETZT EINE derschlag in der Praxis finden. REFORMPAUSE Die personellen Ressourcen im Management- und Ver- waltungsbereich sind dagegen teils seit Jahrzehnten unver- Mit der Umsetzung des Strukturmodells in der Pflege- ändert geblieben, weil sich Kostenträger nicht gesprächs- dokumentation ist fraglos ein großer Schritt in Richtung bereit zeigen. Dies führt zu der fatalen Entwicklung, dass Entbürokratisierung gelungen. Damit ist das Thema Ent- in Pflegeeinrichtungen keine Ressourcen für die unterneh- bürokratisierung und Deregulierung aber insgesamt nicht mensinterne Entwicklung bleiben. Ganz im Gegenteil: Vie- abgeschlossen. Die professionelle Pflege braucht dringend le Verantwortliche stellen fest, dass sie sich seit Jahren in weitere Initiativen, um den Herausforderungen der Zukunft einem Wettlauf um die Umsetzung externer Anforderungen gerecht zu werden. Als erste Maßnahme ist eine Reform- befinden, den sie nicht gewinnen können. Lässt man nur pause geboten, die es den Beteiligten ermöglicht, die Viel- die letzten sieben Jahre Revue passieren, so waren vier zahl der Anforderungen umzusetzen. Pflegeversicherungsreformen mit tiefgreifenden System- Darüber hinaus müssen die Qualitäts-Prüfrichtlinien änderungen umzusetzen. Dazu kamen diverse Novellie- des Medizinischen Dienstes und die ordnungsrechtlichen rungen von Landesheimgesetzen und weitere Großprojekte Vorschriften auf Landesebene einem Bürokratiecheck un- wie die neue Pflegeausbildung oder die Umsetzung der terzogen werden. Dabei müssen Respekt und Vertrauen der EU-Datenschutzgrundverordnung. Maßstab sein. Alle Regelungen, die nur der jeweiligen Prüf- Daneben muss das Management natürlich weiterhin pro- organisation selbst dienen und nicht den Pflegenden und fessionelle Mitarbeiterführung und -bindung praktizieren und Pflegebedürftigen, müssen unterlassen werden. Ein beson- immer mehr Aufwand in der Akquise von Personal betreiben. ders absurdes Beispiel kommt aktuell aus Thüringen, wo Mit der „Konzertierten Aktion Pflege“ und dem Sofortpro- das Ordnungsrecht seit Neuestem für Wohngemeinschaften mit mehr als 12 Plätzen und für alle vollstationären Pfle- geeinrichtungen zwingend eine Frauenbeauftragte nur für Bewohnerinnen vorsieht. Für Einrichtungen bedeutet dies wieder einen bürokratischen Mehraufwand, ohne dass eine Kernforderungen positive Wirkung auf die pflegerische Versorgung zu erwar- ten ist. || Reformpause für Unternehmen, damit Jeder, der professionelle Pflege braucht, wird sie in Zu- diese Anforderungen umsetzen können kunft nur bekommen können, wenn sich Einrichtungen und || Bürokratiecheck von Prüfrichtlinien und deren Mitarbeitende auf das Wesentliche konzentrieren ordnungsrechtlichen Vorschriften können und dürfen: die Pflege am Menschen! Das muss das || Vertrauen in Unternehmen für eigen oberste Ziel und der wichtigste Zweck von Deregulierung verantwortliches und redliches Handeln und Entbürokratisierung sein. 16
Der Mittelstand kann die Versorgung gestalten D ie fast täglichen Berichte über Ablehnung von Ver- nur als Spekulationsobjekt. Wenn den mittelständischen sorgungsanfragen und fehlendes Fachpersonal zei- Unternehmen der wirtschaftliche Anreiz und die unterneh- gen, dass die sichere Versorgung mit professioneller merische Perspektive genommen werden, bleiben letztlich Pflege in Deutschland für die Zukunft nicht mehr als selbst- die notwendigen Investitionen zur Bewältigung der demo- verständlich genommen werden kann. Die Gründe dafür grafischen Herausforderungen im Pflegemarkt aus. sind vielfältig. Sicher ist: Die inhabergeführten, mittelstän- Das drängendste Problem für den Mittelstand ist der dischen Unternehmen sind das Rückgrat der flächendecken- Fachkräftemangel. Ohne ausreichendes und qualifiziertes den Versorgung in Deutschland. Sie übernehmen lokal Ver- Personal kann die Versorgung in der Fläche nicht sicher- antwortung und verdienen dafür Respekt und Anerkennung. gestellt werden. Dem steigenden Personalbedarf steht Die Anforderungen an die Pflege steigen. Mehr Pflege- eine proportional sinkende Zahl von Erwerbstätigen ge- bedürftige und höhere Qualitätsanforderungen stellen alle genüber, was zu einem verschärften Wettbewerb zwischen Beteiligten vor immer neue Herausforderungen. Um die- allen Wirtschaftsbranchen führt. Der Altenpflegebereich sen erfolgreich zu begegnen, ist das Engagement privater steht dabei im Besonderen vor großen Herausforderungen, Pflegeunternehmen notwendig. Eine qualitative und in der weil Preise nicht frei kalkulierbar sind und somit auch die Zukunft sichere Versorgung bedarf Investitionen in Erhalt, Entwicklung der Löhne und Gehälter nicht so dynamisch Modernisierung, Erweiterung einer Pflegeimmobilie, in vollzogen werden kann wie in der freien Wirtschaft. Bleibt Personal oder gar in die Neugründung. Der Mittelstand hat es bei dem starren System von fixen Personalschlüsseln, gezeigt, dass er dazu bereit ist. Er investiert sein Kapital Fachkraftquoten und reguliertem Leistungsangebot, wird und trägt das Risiko. Trotzdem wird die unternehmerische sich die Versorgungslücke vergrößern und professionelle Gestaltungsfreiheit, die dringend benötigt wird, um den Pflege ein knappes und teures Gut. Für die notwendige Sys- vielfältigen Anforderungen auf dem Feld der Pflege zu be- temänderung mit einem neu strukturierten Leistungsrecht, gegnen, zusammengestutzt und überreguliert. Es braucht einer flexibilisierten Leistungserbringung und Auflösung also eine Kehrtwende in der Pflegepolitik hin zu mehr der Sektorengrenzen ist der Mittelstand der ideale Partner, Markt statt mehr Staat. denn er ist innovationsfähig, flexibel und übernimmt Ver- antwortung vor Ort. FEHLT DER WIRTSCHAFTLICHE ANREIZ, Den unternehmerischen Mittelstand in der Pflege zu BLEIBT AUCH DIE INVESTITION IN DIE PFLEGE AUS stützen und auszubauen ist die beste Strategie für die Zu- kunft, damit die Versorgung mit professioneller Pflege Das Damoklesschwert, das vor allem über der privaten pro- auch in Zukunft aufrechterhalten werden kann. Dafür sind fessionellen Pflege schwebt, ist ein grundlegendes Miss- neben einem klaren Bekenntnis auch konkrete Maßnahmen trauen gegenüber Pflegeunternehmen. Die Grundvoraus- seitens Politik und Kostenträgern notwendig – damit jeder, setzung für die Investitionsbereitschaft des pflegerischen der in Zukunft professionelle Pflege braucht, diese auch be- Mittelstands ist, ihm Redlichkeit zu unterstellen. Denn kommen kann. Freiheit und Vertrauen beginnen da, wo Kontrolle aufhört. Darüber hinaus darf das Streben nach Wirtschaftlichkeit nicht verteufelt werden, sondern ist als notwendig anzuer- kennen. Dazu gehört auch der Anspruch des Unternehmers auf wirtschaftlichen Erfolg in Form eines angemessenen Der Mittelstand Gewinns. Die Jagd nach kurz- und mittelfristiger Gewinn- maximierung von Hedgefonds und Private-Equity-Gesell- || Der Mittelstand investiert schaften ist hier ausdrücklich nicht gemeint. Sie schließt || Der Mittelstand verdient Vertrauen per se ein langfristiges Engagement mit Verantwortung aus || Der Mittelstand ist Partner für einen und betrachtet Pflegeeinrichtungen und ihre Mitarbeiter Systemwechsel 17
ER FO LG S FA K TOR M I T T EL STAN D Impressum Sonderpublikation der Zeitschrift Altenheim und des VDAB Redaktion: Steve Schrader (V.i.S.d.P.), Jens Ofiera Redaktionsassistenz: Martina Hardeck Medienproduktion: Maik Dopheide (Leitung), Birgit Seesing (Artdirection und Layout) Verlagsleitung: Miriam von Bardeleben Anzeigen: Ralf Tilleke Gerichtsstand und Erfüllungsort: Hannover Verlag: Vincentz Network, Plathnerstraße 4c, 30175 Hannover, T +49 511 9910-000, F +49 511 9910-089, USt-Id.-Nr. DE 115699823 Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen © Vincentz Network GmbH & Co. KG Kontakt zur Redaktion Altenheim T+49 511 9910-135 · martina.hardeck@ vincentz.net · www.altenheim.net Kontakt zum VDAB T+49 030 2005 9079-17 · jens.ofiera@vdab.de · www.vdab.de 18
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